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Johann Strauss Sohn DIE FLEDERMAUS - opera.szczecin.pl · 6 77 DIE FLEDERMAUS Eisenstein alias Renard schließt schnell Freundschaft mit Chevalier Chagrin, hinter dem sich der Gefängnisdirektor

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DIE FLEDERMAUS

LibrettoKarl Haffner i Richard Genée

Polnische Übersetzung des LibrettosRyszard Daniel Golianek

Polnische Übersetzung der DialogeJulian Tuwim

UraufführungTheater an der Wien | 5. April 1874

Premiere der aktuellen Inszenierung Stettin | 9. März 2012

Johann Strauss Sohn

DIE FLEDERMAUSOperette in drei Akten

Plakatentwurf:Vadim Kornacki

Texte:Jerzy SnakowskiJitka StokalskaMateusz MorycPiotr Urbański

Redaktion:Anna Markiewicz-Czaus

Entwurf und Gestaltung des Programmhefts:Monika Gerlicka

Übersetzung: Torsten Salzer

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DIE FLEDERMAUSZEMSTA NIETOPERZA

PREMIERENVORBEREITUNG

Musikalische LeitungWojciech Semerau-Siemianowski

RegieJitk a Stokalska

Bühnenbild und KostümeŁucja Kossakowska

ChoreografieNatalia Fedorowa

ChorarbeitMałgorzata Bornowska

Assistenz der musikalischen LeitungEwelina Rożek-JanowskaNorbert Twórczyński

RegieassistenzWiesław Łągiewka

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DIE FLEDERMAUS

Eisenstein alias Renard schließt schnell Freundschaft mit Chevalier Chagrin, hinter dem sich der Gefängnisdirektor verbirgt.Endlich erscheint die allseits mit Spannung erwartete ungarische Gräfin, keine andere als Rosalinde! Ihr Mann erkennt sie nicht und macht so unwissentlich seiner eigenen Frau Avancen. Falke erzählt von einer für ihn peinlichen Begebenheit in der Silvester-nacht: Ein Freund hatte ihn betrunken im Prater zurückgelassen, be-kleidet mit einem lächerlichen Fledermauskostüm. Am nächsten Mor-gen musste er unter dem Spott der Gassenjungen als Fledermaus den Weg durch die ganze Stadt zurücklegen. Doch Rache ist süß ...Rosalinde nimmt Gabriel seine Taschenuhr ab. So will sie beweisen, dass er sie betrogen hat. Dann erklärt sie sich bereit, in ihrer „Muttersprache” einen Csárdás zu singen. Anschließend begeben sich die Gäste ins Speisezimmer, um auf den Wein, die Freundschaft und die Liebe anzustoßen. Es folgt eine Reihe von Tänzen.Als es sechs Uhr schlägt, macht sich Eisenstein auf den Weg ins Gefängnis, wohin auch Frank aufbricht.

Dritter Akt Der betrunkene Gefängniswärter Frosch hat kein Auge zugetan, denn einer der neuen Insassen hat die ganze Nacht gesungen und ihm mit seinem hohen C den Schlaf geraubt. Gefängnisdirektor Frank erscheint in Begleitung von Ida und Adele, deren Karriere zu fördern er versprochen hat. Als er vor dem Gefängnistor Stimmen hört, schlie-ßt er die beiden in einer Zelle ein. Mit Verwunderung erfährt Eisenste-in, dass er sich bereits seit dem Vortag im Gefängnis befinde. Wer sitzt da für ihn ein? Um die Sache aufzuklären, verkleidet er sich als Rechtsanwalt und ver-langt eine Vernehmung, die in Anwesenheit Rosalindes stattfinden soll. Diese wartet mit Einzelheiten über das schmähliche Benehmen ih-res Ehemannes auf und fordert die Scheidung, womit sie Gabriel zur Weißglut bringt, sodass er schließlich seine Verkleidung aufgibt, um nun seinerseits Rosalinde der Untreue zu bezichtigen. Daraufhin präsentiert Rosalinde ihm die Taschenuhr, die sie ihm beim Ball abgenommen hat, als Beweis für seine Untreue. Als Retter in der Not erscheint Graf Orlofsky in Begleitung seiner Gäste. Falke erklärt, er habe das ganze Verwirrspiel nur inszeniert, um sich an Eisenstein zu rächen. Am Ende versöhnen sich alle. Eisenstein nebst Gattin machen sich auf den Nachhauseweg, während Adele dank ihrer Förderer, Graf Orlofsky und Direktor Falke, eine Stelle am Theater bekommt.

Erster Akt Vor der Wohnung der Eisensteins hat sich Alfred, ein Tenor der Wiener Oper, eingefunden, um seiner Angebeteten Rosalinde - inzwischen Frau Eisenstein - ein Ständchen zu bringen.Adele, Rosalindes Zofe, erhält einen Brief von ihrer Schwester Ida mit einer Einladung zum Maskenball beim Grafen Orlofsky. Unter dem Vor-wand, ihre kranke Tante besuchen zu müssen, verschafft sie sich Ausgang.Alfreds Gesang lässt Rosalinde schwach werden, sie verspricht ihm ein abendliches Stelldichein, sobald ihr Mann die mehrtägige Gefängnisstra-fe antritt, die er sich wegen Beamtenbeleidigung eingehandelt hat. Ga-briel von Eisenstein erscheint in Begleitung seines Rechtsanwalts Doktor Blind, dessen Ungeschick schuld ist am schlechten Ausgang des Prozes-ses: Die Strafe fiel höher aus als erwartet!Noch am selben Abend soll Gabriel seine Haftstrafe antreten. Dr. Falke, ein Freund Gabriels, hat eine bessere Idee: Statt im Stadtgefängnis Trüb-sal zu blasen, solle er ihn lieber zum Maskenball begleiten. Eisenstein lässt sich nicht lange bitten. Rosalinde wundert sich schon ein wenig darüber, dass ihr Mann Abendgarderobe angelegt hat, um vermeintlich seinen Gefängnisaufenthalt anzutreten. Sie spielt die treue Gattin und nimmt scheinbar schweren Herzens Abschied von ihrem Mann. Gleich darauf schickt sie Adele zu ihrer „kranken Tante”, um Alfred zu empfangen. Das romantische Stelldichein findet mit dem Erscheinen des Gefängnisdirek-tors Frank ein jähes Ende. Er ist gekommen, um den zu Inhaftierenden höchstpersönlich in die Zelle zu befördern. In der Überzeugung, dass es sich bei dem Mann, der mit Rosalinde diniert, um deren Gatten handle, nimmt er diesen in Haft. So wandert Alfred, um Rosalindes Ehre zu retten, wohl oder übel anstelle Eisensteins ins Gefängnis.

Zweiter Akt In der Villa des russischen Grafen Orlofsky treffen die Gäste ein, neben Mitgliedern der höheren Wiener Gesellschaft auch Opernsoubretten. Dr. Falke zieht die Fäden bei der Verwechslungskomödie, die sich im Verlauf der Ballnacht abspielen soll. Prinz Orlofsky bekennt sich ge-genüber seinen Gästen zur epikureischen Philosophie: Unter seinem Dach regieren Genuss und Vergnügen!Adele, die ein Kleid ihrer Gnädigen trägt, macht sich über Eisenstein lustig, der sich als Marquis Renard ausgibt und in Adele, als diese ihm als Sängerin vorgestellt wird, nicht zu unrecht die Zofe seiner Frau zu erkennen vermeint.

HANDLUNG| Piotr Urbański

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DIE FLEDERMAUS

GELEITWORT DER REGISSEURIN

Die Oper im Stettiner Schloss beauftragte mich

mit einer klassischen Inszenierung der Operet-

te „Die Fledermaus“ von Johann Strauss, eine

Arbeit, die ich mit großer Freude annahm, nicht

zuletzt wegen des überaus eleganten Librettos

und der Musik, die perlt und prickelt wie Cham-

pagner, was sie übrigens für die Aufführenden

besonders schwierig macht.

Hier braucht es keinerlei Ergänzungen oder

Neubewertungen. Diese Operette ist so an-

sprechend und frisch wie vor hundert Jahren.

Voller Leichtigkeit und mit einem Schuss Frivo-

lität lässt sie uns den Alltag mit seinen Sorgen

vergessen, sie ist reines Vergnügen.

Und doch sind wir im Theater, wenn es auch

ein ungewöhnliches Theater ist, im Theate-

rzelt nämlich der Oper im Stettiner Schloss. Die

Vorstellung beginnt damit, dass die Sänger ein

eingestaubtes Druckexemplar der Operette

finden. Mit Freude schlüpfen sie in die Rollen

und spielen diese für alle. Am Ende der Vor-

stellung legen wir alle Bühnentricks offen, um

gleichsam vor Augen zu führen, was hinter dem

vergnügten Spiel auf der Bühne steckt. Ich hof-

fe, dass die Zuschauer genauso viel Freude an

diesem Stück haben werden, wie die Darsteller

während der Proben.

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ANEKDOTISCHES ZUR FLEDERMAUS

In ungeheurem Tempo und mit der Inspiration des Genies machte sich

Johann Strauss zur Jahreswende 1873–1874 an die Komposition der

Fledermaus. Sein Enthusiasmus wurde zunächst getrübt durch die Tat-

sache, dass er panische Angst vor Fledermäusen hatte und die Tiere

hasste. Als Kind war er einmal dem „Angriff“ einer Schar von Fleder-

mäusen ausgesetzt, die ihm an einem Sommerabend aus dem Dachge-

stühl entgegenflatterten.

Die Premiere am 5. April am Theater an der Wien brachte einen

schlagartigen Erfolg. Der Schüler hatte seinen Lehrer, der Vater den

Sohn überflügelt. Man muss wissen, dass Johann Strauss Vater und

Johann Strauss Sohn bis zum Tod des Vaters stets im Streit lagen

wegen „musikalischer Angelegenheiten”.

Bei der Premiere schlug das Werk die Zuhörer in seinen Bann,

wie hypnotisiert wiegten sie sich im Rhythmus der wundervollen Me-

lodien. Das Publikum schloss die Fledermaus augenblicklich ins Herz,

von Wien aus eroberte die Operette die Bühnen der großen Städte

wie Berlin, Hamburg, München, Paris und London, um endlich sogar

den Sprung über den Atlantik zu schaffen. Mit Anmut und Leichtigkeit,

sinnlich und reizend eroberten die Melodien von Johann Strauss New

York.

Ein amerikanischer Journalist, Mitglied der American Music Society,

schrieb in der „New York Times“: „Allein die Ouvertüre hätte schon für

ein ganzes Werk gereicht, was von der vollkommenen Kunst des Kom-

ponisten zeugt, dabei umgibt sie trotz der verwickelten, intrigenge-

spickten Handlung eine Aura der Unschuld. Als Manifest der Liebe zu

Wein, Weib und Gesang [interessanterweise einer der großen Walzer

des Komponisten] und zusammen mit dem Reichtum der wunderbar

wiegenden Musik repräsentiert sie die Quintessenz Wiens in der Mitte

des 19. Jahrhunderts.“

| Mateusz Moryc| Jitka Stokalska

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DIE FLEDERMAUS

– Warum schreiben Sie nicht eine Operette? – fragte Offenbach in einem

Gespräch mit Strauss.

– Warum eigentlich nicht? – dachte Strauss, der zwar bekannt und

wohlhabend war, doch Offenbach war bekannter und wohlhabender.

– Ich weiß nur nicht, wie man für Sänger komponiert.

– Er sollte eine Operette komponieren – sagte sich Jetty, die Frau des Kom-

ponisten, als sie in seiner Abwesenheit seine Papiere und Notizen durch-

ging. Sie sorgte dafür, dass diese Entwürfe zwei Stunden später auf dem

Schreibtisch des Direktors

des Theaters an der Wien

landeten.

Einige Tage später fand sich

Strauss im Büro des Direk-

tors wieder, wohin man ihn

unter einem Vorwand ge-

lockt hatte.

– Sie sollten eine Operette

komponieren – lautete der

Rat des Direktors an den

Komponisten. Im Geiste

zählte er - der Direktor - be-

reits die enormen Gewinne.

– Hören Sie doch nur, wie sangbar

Ihre Musik ist! Zu einigen Melodien, die uns Ihre Gattin gebracht hat, haben

wir bereits Texte geschrieben!

Strauss hörte seine Melodien mit den darauf zurechtgeschusterten Texten

und war von dem Vorhaben überzeugt.

Er war 45 Jahre alt und seine Karriere war an einem Punkt angekommen,

an dem es ihm nicht mehr genügte, ein berühmter Walzerkomponist zu

sein. Ein Blick auf Kollegen wie Brahms, Berlioz, Wagner und Verdi ließ

Selbstzweifel und Komplexe aufkommen. Diese schufen Symphonien, Ton-

dichtungen und Opern, er hingegen musikalische Konfektionsware. Paris

- und kurze Zeit später die ganze Welt - war verrückt nach den komischen

Operetten Offenbachs. Selbst im Vergleich zu Offenbach, dem gebürtigen

Deutschen und Wahlfranzosen, kam Strauss schlecht weg, wurden dessen

Warum nicht eine Operette?

UNTER DEN SCHWINGEN DER FLEDERMAUS | Piotr Urbański

Werke doch an zwei angesehenen Bühnen gespielt: 1860 hatte die Pariser

Oper ein Ballett von Offenbach aufgeführt und - was Strauss besonders

wurmte- die Wiener Oper hatte bei Offenbach die Oper Die Rheinnixen in

Auftrag gegeben und aufgeführt. Zwar war die Premiere kein Erfolg, doch

das war nur ein schwacher Trost. Was zählte, war, dass das Werk überhaupt

an der wichtigsten Bühne Österreich-Ungarns gespielt wurde, eine Ehre,

die Strauss trotz seines Ruhms und der Tatsache, dass er in Wien wohn-

te, noch nicht zugekommen war. Dabei ging es ihm nicht um Erfolg, denn

erfolgreich war Strauss, sondern um Ansehen, um den Glanz, der von den

großen Bühnen ausging. Wenn schon niemand eine Oper aus seiner Feder

wollte, dann doch zumindest eine Operette!

1855 erreichten die ersten Nachrichten über die Operette Wien. Sie kamen

aus Paris, wo Jacques Offenbach mit seinem neuen Bühnengenre Erfolge

feierte. Auch in Wien fand die Operette bald Anhänger und Nachahmer,

so ließ sich Franz von Suppé von dem Erfolg der Offenbachschen Werke

Orpheus in der Unterwelt und Die schöne Helena inspirieren und kompo-

nierte unter anderem die komische Operette Die schöne Galathée (1865),

die ebenfalls einen der griechischen Mythologie entnommenen Stoff pa-

rodiert. Er hatte allerdings wohl nicht ganz verstanden, was hinter dem

durchschlagenden Erfolg der französischen Operetten steckte, die im Ge-

wand der komischen Handlung mit Göttern und Helden eine geistreiche

Satire des Zeitgeschehens darstellten.

Dabei blieb die Operette eng am Puls der Zeit. In den Offenbachschen

Operetten wurden die Texte der Dialoge und Lieder fast jeden Abend ge-

ändert, um aktuelle Skandale der korrupten Regierung aufs Korn zu neh-

men oder auch die Bigotterie des Kaisers und der Kaiserin. Auch die Pariser

Oper blieb nicht ungeschoren.

Die Primadonnen wurden auf der Operettenbühne ebenso parodiert wie

Werke von Wagner, Rossini und Meyerbeer. Die Operette machte vor

nichts und niemandem halt, nichts war ihr heilig. Sie war damals das, was

heute das Kabarett ist. Gelacht wurde auch in Wien, allerdings fehlten

dort Anspielungen und satirische Elemente. Der österreich-ungarische

Polizeistaat mit seiner scharfen Zensur, die auch ein wachsames Auge auf

die Moral hatte, spielte dabei gewiss eine Rolle. Waren die Scherze in Paris

pikant und frivol, so kam der Wiener Humor eher schlicht und hemdsär-

melig daher. Witze über die Regierung und die Behörden kamen absolut

nicht infrage, Cancans und wilde Galopptänze mussten aus Gründen der

Moral Walzern und Polkas weichen. Die Wiener waren mit dem Ergebnis

allerdings zufrieden. Wie der Rest der Welt fanden auch sie Gefallen an

den in Dialogen und Liedern vorgetragenen komischen Geschichten mit

Happy End.

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DIE FLEDERMAUS

Ich schreibe eine Operette!, beschloss Strauss. Gesagt, getan: Das Werk trug

den Titel Die lustigen Weiber von Wien. Wie sich herausstellte, war es leich-

ter, eine Operette zu komponieren, als sie auf die Bühne zu bringen. Die

Sängerin, die sich Strauss in der Hauptrolle gewünscht hatte, sorgte noch

vor Aufnahme der Proben für einen Skandal, indem sie das Theater verließ

und zur Konkurrenz überlief. Manche glaubten zu wissen, man habe die

Primadonna hinausgeworfen, nachdem sie in einem Wutanfall den The-

aterdirektor geschlagen habe (herrlicher Stoff für eine Operette!). Strauss

wollte keine andere Sängerin und zog das Werk zurück. Vielleicht befürch-

tete er, die Operette würde kein Erfolg werden und nutzte die Situation

als Vorwand, um sein Werk zu Grabe zu tragen, bevor es recht geboren

war.

Zwei Jahre später, 1871, war es dann soweit: Endlich bekamen die Wiener

eine Operette ihres Lieblingskomponisten zu hören und alle freuten sich:

der Komponist, seine Frau, der Theaterdirektor und die Kartenhändler, die

die Eintrittskarten zu unverschämten Preisen auf dem Schwarzmarkt an-

boten. Die Operette Indigo und die 40 Räuber wartete mit einem wunder-

bar verschwurbelten Libretto, einnehmender Musik und vor allem einer

überaus prächtigen Bühnenausstattung auf. Böse Zungen behaupteten, die

Operette habe ihren Erfolg einzig und allein dem Bühnenbild zu verdanken.

Zwei Jahre später war der Operette Carneval in Rom, die heute kaum noch

jemand kennt, ein, wenn auch kurzlebiger, Erfolg beschieden. Strauss fand

zunehmend Gefallen daran, Operetten zu komponieren und auf die Büh-

ne zu bringen. Es schmeichelte ihm, dass der Direktor der Hofoper erwog,

den Carneval in Rom aufzuführen, wovon ihm dann allerdings übelgeson-

nene Menschen abrieten. Strauß ließ sich nicht entmutigen. Mehr und

mehr ging er auf in der Welt der Bühne, der Kulissen, der Primadonnen,

mit Tausenden Zuschauern in vergoldeten Logen und auf den Rängen.

Er fieberte hinter dem Vorhang mit und lernte, die polemischen Urte-

ile der Bühnenkritiker einzustecken. Kurz gesagt: Strauss hatte sich den

Theatervirus eingefangen. Voller Eifer machte er sich an seine nächste

Operette. Die Premiere der Fledermaus fand am 5. April 1874 am Theater

an der Wien statt. Die Meinungen der Zuhörer waren geteilt. Der aufgrund

seines messerscharfen Urteils bei Komponisten verhasste Eduard Han-

slick, der Guru der Wiener Kritikerszene, bezeichnete die Partitur als „ein

Potpourri aus Walzer- und Polkamotiven“. Was dem Kritiker missfiel, kam

bei den übrigen Zuhörern gerade gut an: Das Publikum wiegte sich im Rhy-

thmus der Tanzmelodien. Der Kritiker ist heute so gut wie vergessen, die

Melodien jedoch sind so mitreißend wie eh und je.

Die Premierenvorbereitungen waren nicht ohne Probleme abgelaufen.

Die Sittenzensur nahm sich das Libretto vor und führte in scheinheiliger

Weise Streichungen durch, denen die Worte Orlofskys zum Opfer fie-

len: „In meiner Villa hat jede Dame das Recht, sich zu verhüllen oder zu

enthüllen, so weit es ihr beliebt.” Außerdem wollte man Adele den Mund

verbieten, die sagt: „Natürlich bin ich dem Marquis nicht treu, und dann

habe ich ja noch meinen Alfred”. Warum der Zensor ausrechnet an diesen

Stellen Anstoß nahm, weiß der Himmel, schließlich ist das gesamte Libret-

to ein einziges Lob der Unmoral! Die Protagonisten lügen und betrügen,

begehen Ehebruch, intrigieren, trinken zu viel Alkohol, sind rachsüchtig,

anstatt zu vergeben, kuppeln und prostituieren sich, geben falsche Steu-

ererklärungen ab, werden handgreiflich gegenüber Beamten und spielen

ihren Freunden übel mit, um dann zu behaupten, Schuld daran sei allein

der Champagner!

Rosalinde bringt es in der polnischen Übersetzung des Librettos von Julian

Tuwim mit entwaffnender Offenherzigkeit auf den Punkt: „Mir ist heut so

pervers ums Herz!” Sie spricht dabei für alle, die an dieser Farce beteiligt

sind. Glücklicherweise erwarten wir heutzutage von einer Operette keine

moralische Belehrung, sondern gute Unterhaltung und es gibt auch keine

Zensur, die es darauf abgesehen hätte, Operettenfiguren den Mund zu

verbieten.

Die Fledermaus eroberte schnell die Bühnen der Welt und hat dort bis

heute ihren festen Platz, was man von den übrigen Operetten des Kom-

ponisten nicht unbedingt behaupten kann. Nur einige wenige wie Der Zi-

geunerbaron, Eine Nacht in Venedig und Wiener Blut konnten sich bis heute

Der Fledermaus 2012, Joanna Tylkowska-Drożdż, fot. Ł. Szełemej

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DIE FLEDERMAUS

behaupten, die übrigen liegen vergessen in der Mottenkiste der Musikge-

schichte.

Der Appetit kommt bekanntlich beim Essen und so dachte sich Strauss

„Jetzt schreibe ich eine Oper!” Gesagt, getan. So entstand die Oper Ritter

Pázmán. „Langweilig“, lautete das Urteil seiner Freunde. Nichtsdestotrotz

unterstützten sie das Opernprojekt, von dem Strauss geradezu besessen

schien, und halfen ihm, seinen Traum zu verwirklichen.

Leider fand auch das Publikum die Oper langweilig. Der Traum endete

in einem Debakel. Dass Offenbach mit seiner Oper Hoffmanns Erzählun-

gen weltweit Erfolge feierte, machte die Niederlage noch schmerzlicher.

Strauss kehrte also zu seinem Leisten zurück, es folgten die Operetten Für-

stin Ninetta, Jabuka, Waldmeister und Göttin der Vernunft, die leider durch

die Bank erfolglos waren. Keine konnte das Publikum so mitreißen wie

einst die Fledermaus. Es ist ausgleichende Gerechtigkeit, dass die Fleder-

maus neben dem Zigeunerbaron das meistgespielte seiner Bühnenwerke

ist, das somit seinen süßen Traum vom unsterblichen Ruhm wahr werden

ließ: Seine Operetten werden auch heute noch an den angesehensten

Bühnen von Stettin bis New York gespielt.

Fledermaus im Anflug Woher kam die Idee für die Handlung, warum gerade diese Geschichte?

Sie fiel Strauss zufällig in die Hände. Das Libretto wurde weitergereicht

wie eine heiße Kartoffel, die man schnell wieder loswerden möchte. Am

Anfang stand das Lustspiel Das Gefängnis von Roderich Benedix, aufge-

führt 1851 in Berlin, also zwanzig Jahre bevor die Strausssche Operette

entstand. Die Druckfassung fiel den beiden Franzosen Meilhac und Halévy

in die Hände. Sie verfassten gemeinsam zahlreiche Stücke, insbesondere

aber großartige Libretti zu Werken wie Die schöne Helena, Carmen oder

auch Hoffmanns Erzählungen. Das deutsche Lustspiel inspirierte sie zu der

französischen Komödie Le Réveillon. Sie kürzten das Werk von fünf auf drei

Akte, vereinfachten die Handlung und fügten eine Ballszene hinzu. Die Ge-

fängnisstrafe fiel mit 8 statt 14 Tagen milder aus, einige Figuren wurden

gestrichen, neue hinzugefügt. Das Publikum war begeistert, nicht nur von

der handlungstragenden Intrige und den witzigen Dialogen, sondern auch

von der Inszenierung, die alle Sinne ansprach, einschließlich des Geruchs-

sinnes: Beim Souper wurden echte warme Speisen aufgetragen! Auch der

Alkohol, den die Schauspieler zu sich nahmen, war echt, sodass einige den

Schlussapplaus auf schwankenden Beinen entgegennahmen. Ein kapitaler

Spaß! Das Stück war so erfolgreich, dass sein Ruhm bald Wien erreichte.

Der Theaterunternehmer Max Steiner schlug sofort zu und erwarb die

Aufführungsrechte für Österreich, ohne zu ahnen, dass er die Katze im

Sack gekauft hatte.

Als ihm das Stück vorlag, wurde ihm klar, dass es sich um die Bearbeitung

eines Lustspiels handelte, dass viele Wiener wahrscheinlich kannten.

Außerdem stellte sich heraus, dass das Stück für den Wiener Bürger-

geschmack allzu frivol war. Hinzu kam, dass es - befremdlich für die Wiener

- an Heiligabend spielte. In Wien war es üblich, Heiligabend zu Hause zu

verbringen, mit der französischen Tradition, sich am Weihnachtsabend in

der Stadt zu vergnügen - auch Puccinis La Bohème spielt an Weihnachten -

waren die Wiener nicht vertraut.

Steiner versuchte daher, die Rechte weiterzuverkaufen, und zwar an die

Konkurrenz. Der Theaterunternehmer Jauner war allerdings auch nicht

auf den Kopf gefallen und ließ das Trojanische Pferd nicht unbesehen in

seinen Stall. Er beriet sich mit seinem Dramaturgen Haffner, der schriftli-

che Änderungsvorschläge machte, die jedoch Jauner nicht zu überzeugen

vermochten. Er schickte Steiner den französischen Text mit den Haffner-

schen Anmerkungen zurück. Es sah ganz so aus, als bliebe der Impresa-

rio zu seinem Pech auf dem Ladenhüter sitzen, für den er zu allem Übel

schweres Geld bezahlt hatte.

Zur Hilfe kam ihm ein Verleger, der mit Strauss bekannt war. Wahr-

scheinlich war es nach einem gemeinsamen Essen - Wiener Schnitzel und

Sachertorte zum Dessert -, dass ihm die zündende Idee kam: „Ich mach da-

raus ein Libretto für Johann!” Die beiden ließen ihren Kaffee stehen und

machten sich begeistert auf, um Richard Genée zu treffen und diesem

- er war ebenfalls Dramaturg - den Text des französischen Stückes Le Réve-

illon vorzulegen. Nach Durchsicht des Textes mit den Anmerkungen Haff-

ners schlägt Genée seine Version vor: Dreh- und Angelpunkt ist die Idee,

dass der Liebhaber anstelle des Ehemannes ins Gefängnis wandert. Der

Ball bleibt, dazu kommt die Figur Falkes mit seinem Komplott, Ort und Zeit

bleiben vage usw. usw.

Genées Ideen gefallen Steiner, er soll ihm ein Libretto schreiben. Um den

hochbetagten Haffner nicht vor den Kopf zu stoßen (die Vornamen der

Protagonisten stammen von ihm), wird er offiziell als Mitautor genannt.

Schließlich klopfen Impresario, Verleger und Dramaturg mit dem fer-

tigen Libretto bei Strauss an. Der Komponist ist zunächst skeptisch und

misstrauisch, lässt sich aber zum Glück dann doch überzeugen. Bald hat er

die erste Melodie im Kopf, schon jagt ein musikalischer Gedanke den ande-

ren... Ein paar Wochen später legt Strauss die fertige Partitur vor.

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DIE FLEDERMAUS

Das ursprüngliche Lustspiel von Benedix exponiert im Titel Das Gefän-

gnis eines der wichtigsten Elemente der Handlung, nämlich die abzule-

istende Gefängnisstrafe. Der Titel des französischen Schauspiels lautet

Le Réveillon, womit man einen Empfang oder Ball am Weihnachtsabend

bezeichnete. Sicher ließ sich Steiner täuschen durch die Tatsache, dass

der französische Titel in keiner Weise an den deutschen anknüpft, als

er die Aufführungsrechte an dem Stück erwarb. Mit den Änderungen,

die Genée vornahm, kam auch ein neuer Titel: Die Fledermaus.

Der Zuschauer mag zurecht verwirrt sein durch diesen Titel, der Fragen

aufwirft. Eine Fledermaus? Was hat dieses nicht gerade ästhetische und

eher unsympathische Tier in einer so entzückenden Geschichte zu suchen?

Der Titel war im Übrigen einer der Gründe dafür, dass Strauss das Libretto

zunächst ablehnte, hatte er doch eine persönliche Aversion gegen Fleder-

mäuse. Hinter der Fledermaus verbirgt sich Falke, der im Verwirrspiel der

Handlung alle Fäden zieht und dabei selbst eher im Hintergrund bleibt im

Vergleich zu den schillernden Hauptfiguren Eisenstein, Orlofsky, Rosalin-

de und Adele. Falke hat nicht einmal eine Solonummer. Dem unaufmerk-

samen Zuhörer kann Falkes Bemerkung im ersten Akt, wonach er noch

eine Rechnung offen hat mit Eisenstein, leicht entgehen: „Über eine Wo-

che wird er Gelegenheit haben, reumütig nachzudenken über alle seine

Sünden und darüber, was er sich hat zuschulden kommen lassen, auch mir

gegenüber”. Etwas später im Text taucht dann die Fledermaus auf:

Falke, der weiß, dass Orlofsky sich in der Realität nicht allzu gut

auskennt, lädt zum Ball in der Villa Orlofsky den Gefängnisdirektor

sowie Adele und Rosalinde ein, alle sind in seinen Plan eingeweiht.

Was aber sieht dieser Plan vor?

Der Titel

FALKE: Und dabei immer mit den tollsten Einfällen bei der Hand,

zum Beispiel vor drei Jahren, als wir den Scheelendorfer Masken-

ball besuchten ...

EISENSTEIN: Ich als Papillon, du als Fledermaus. Haha! Erinnerst

du dich noch?

FALKE: bedeutungsvoll Oh, so etwas vergisst man nicht so leicht!

EISENSTEIN: Es war ein kapitaler Spaß!

FALKE: O ja, für den Papillon, aber nicht für die Fledermaus!

ORLOFSKY: Und meinen Sie, dass wir heute lachen werden?

FALKE: Ich hoffe es, Durchlaucht. Sie haben mir plein pouvoir

gegeben, und ich war bemüht, einen kleinen dramatischen Scherz

vorzubereiten. Wie heißt das Stück?

FALKE: Rache einer Fledermaus!

Als er den Schritt ins Land der Operette wagte, muss Strauss klar gewe-

sen sein, dass er auf diesem Terrain mit Änderungen an seinem Werk zu

rechnen hatte. So waren und sind bis heute die Regeln des Genres. Dazu

gehören aktualisierende Eingriffe in den Text, mit einem Augenzwinkern

an das Publikum. Anspielungen auf aktuelles Zeitgeschehen, das die

Zuschauer beschäftigt, sind nichts Ungewöhnliches. Im 19. Jahrhundert

waren auch Änderungen des musikalischen Textes an der Tagesordnung.

Die Primadonnen wollten mit ihren Bravourarien glänzen und fügten

diese einfach in die Werke ein, auch wenn sie von anderen Komponisten

stammten. Beispielsweise bot die Szene, im Barbier von Sevilla, in der

Rosina Gesangsunterricht erhält, Gelegenheit, Arien aus anderen Opern

zu präsentieren, oder auch Lieder wie Mädchens Wunsch (Życzenie) von

Chopin. Noch im 20. Jahrhundert sanktionierte Herbert von Karajan

Was in der Fledermaus steckt, wusste nicht einmal Strauss | Jerzy Snakowski

Das ist alles. Für den Zuschauer bleibt unklar, worum es geht. Erst am

Ende gibt Falke zu, dass alles, was auf der Bühne zu sehen war, ein

Scherz war, den er inszeniert hat, um Eisenstein zu kompromittieren.

Das ist seine Rache dafür, dass er einst zum Gespött der Leute im Fle-

dermauskostüm durch die Stadt marschieren musste. Ist es nicht eine

etwas allzu harte Strafe, eine Ehe aufs Spiel zu setzen, um einen harm-

losen Scherz zu rächen?

Weltweit wird Fledermaus unter diesem Titel aufgeführt, den ihre

Schöpfer einst für das Werk vorsahen. Nicht immer war die Frage der

Namensgebung so eindeutig. Die Pariser Premiere wurde unter dem

Titel Die Zigeunerin angekündigt. Nicht nur der Titel war ein anderer,

sondern auch den Inhalt des Stückes hatte man stark verändert aus

Furcht vor einem möglichen Streit mit den Urhebern der französisch-

sprachigen Vorlage Le Réveillon. Als die Operette von Strauss 1877

erstmals in Warschau aufgeführt wurde, geschah dies unter dem Ti-

tel Die lieben schönen Frauen. In Lemberg wurde die Operette in der

Spielzeit 1878/79 als Fledermaus aufgeführt, in Posen 1879 hinge-

gen erneut unter dem Titel Die lieben schönen Frauen. Es ist schwer

zu sagen, wann die rachsüchtige Fledermaus die schönen Damen aus

dem Titel verdrängt hat. In Polen ist das Werk heute unter dem Titel

Zemsta nietoperza (Die Rache der Fledermaus) bekannt. Der bekannte

polnische Dichter Julian Tuwim wählte diesen Titel, als er im Auftrag

des Polnischen Theaters Warschau, das das Stück 1932 aufführte, das

Libretto neu übersetzte.

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DIE FLEDERMAUS

in seiner Aufnahme der Fledermaus die Praxis, Arien aus anderen Werken

in die Operette einzubringen: Der zweite Akt, der Ball bei Graf Orlofsky,

bot einen Rahmen für Auftritte von Opernstars der damaligen Zeit wie

Tebaldi, Nilsson, Price, Bastianini und del Monaco, die unter anderem

Summertime oder Ich hätt‘ getanzt heut Nacht... sangen. Die Idee wurde

von den Bühnenhäusern aufgegriffen und bis heute ist es üblich, dass

zum Ball bei Prinz Orlofsky Überraschungsgäste und Gaststars ersche-

inen, um das Publikum in Ekstase zu versetzen, insbesondere bei Silve-

ster- oder anderen Sondervorstellungen.

Eine verbreitete Praxis besteht darin, im zweiten Akt verschiedene be-

rühmte Walzer und Polkas von Strauß einzufügen, um so dem Ball bei

Prinz Orlofsky zusätzlichen Glanz zu verleihen.

Im 19. Jahrhundert hatte auch die Zensur ein Wörtchen mitzureden.

Sie konnte verschiedene Änderungen schlichtweg anordnen. Jegliche

Weigerung hätte eine Absetzung der entsprechenden Produktion nach

sich gezogen. Zensiert wurde unter moralischen und politischen Aspek-

ten. Der moralischen Zensur fielen Zeilen wie „schmiede die Gräfin, solan-

ge sie heiß ist“ zum Opfer.

Bei der Premiere in Posen hingegen (und sicherlich auch zwei Jahre davor

in Warschau) verpasste der Zensor dem verdorbenen und hedonistischen

Grafen Orlofsky eine neue Nationalität: Aus einem Russen wurde ein Bul-

gare!

Der Fledermaus 2012, fot. Ł. Szełemej

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DIE FLEDERMAUS

Telefonische Kartenbestellung: (+48) 91 43 48 106Opernkasse, Öffnungszeiten: Di.–Sa. von 12–18 Uhr

Tel. +48 512 559 465www.opera.szczecin.pl