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Jörn Lamla Sighard Neckel (Hrsg.) Politisierter Konsum – konsumierte Politik

Jörn Lamla Sighard Neckel (Hrsg.) Politisierter Konsum ... · Vorwort 7 Vorwort Der vorliegende Band zeichnet den Wandel des Politischen in einer durch Ver-marktlichungsprozesse

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Jörn Lamla Sighard Neckel (Hrsg.)

Politisierter Konsum – konsumierte Politik

Soziologie der Politik

Herausgegeben vonRonald Hitzler, Stefan Hornbostel und Sighard Neckel

Jörn Lamla Sighard Neckel (Hrsg.)

Politisierter Konsum –konsumierte Politik

1. Auflage Oktober 2006

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006

Lektorat: Frank Engelhardt

Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media.www.vs-verlag.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes istohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesonderefür Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei-cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesemWerk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solcheNamen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachtenwären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergDruck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., MeppelTitelbild: Oliver Fabel, BerlinGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in the Netherlands

ISBN-10 3-531-14895-8ISBN-13 978-3-531-14895-3

Bibliografische Information Der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Inhalt 5

Inhalt

Vorwort der Herausgeber ...................................................................................... 7

Einführung

Jörn Lamla

Politisierter Konsum – konsumierte Politik Kritikmuster und Engagementformen im kulturellen Kapitalismus ..................... 9

Teil I: Politisierung des Konsums und die Praxis der Verbraucher

Claudius Torp

Konsum als politisches Problem Konsumpolitische Ordnungsentwürfe in der Weimarer Republik ...................... 41

Ronald Hitzler/Michaela Pfadenhauer

Diesseits von Manipulation und Souveränität Über Konsum-Kompetenz als Politisierungsmerkmal ........................................ 67

Stephan Lorenz

Biolebensmittel und die ‚Politik mit dem Einkaufswagen‘................................. 91

Christine Hentschel

Der Schlanke Staat und der dicke Konsument Zur Regierung der Fettleibigkeit ....................................................................... 113

Teil II: Politische Ästhetik des Konsums

Sighard Neckel

Design als Lebenspraxis. Ein Abgesang............................................................ 135

6 Inhalt

Rudi Maier

Werbung & Revolte Protestemblemata in kommerziellen Werbeanzeigen 1967 bis heute .............. 143

Martin Doll

Vom Protest zum Produkt Über die Schattenseite der Rebellion als Lifestyle............................................ 163

Sabine Müller

Symbole der Politik in der modernen Medien- und Konsumgesellschaft:Andy Warhols Mao Wallpaper.......................................................................... 185

Teil III: Konsumismus in der Politik

Lutz Hieber

Appropriation und politischer Aktivismus in den USA .................................... 207

Sigrid Baringhorst

Keine Reizwäsche aus Burma Menschenrechte durch politisierten Konsum? .................................................. 233

Anna Richter

Kommodifizierung der Stadtpolitik Am Beispiel der Bewerbung Bremens zur KulturhauptstadtEuropas 2010 ..................................................................................................... 259

Isabel Kusche Wa(h)re Politik? Politische Kommunikationsforschung und Marketingtheorie........................... 281

Hinweise zu den Autorinnen und Autoren ........................................................ 301

Vorwort 7

Vorwort

Der vorliegende Band zeichnet den Wandel des Politischen in einer durch Ver-marktlichungsprozesse und Konsumkultur geprägten Gesellschaft nach. Dabei nähern sich die Beiträge von zwei Seiten den vielfältigen Verschränkungen von Politik und Konsum, wie sie gegenwärtig zu verzeichnen sind. Zum einen wird analysiert, wie der moderne Konsum Gegenstand von Politisierungen geworden ist, sei es durch Entwürfe für alternative Wirtschaftsordnungen, sei es in den alltäglichen Praktiken einer „Politik mit dem Einkaufswagen“ oder in den subti-len Formen moderner Regierungspraxis. Stellt diese Betrachtungsweise den Konsum als Gegenstand und Ausdrucksform von Politik in den Mittelpunkt, so lassen sich zum anderen Verschränkungen von Politik und Konsum auch dort untersuchen, wo die Konsumkultur die ihr vermeintlich wesensfremde Sphäre des Politischen zu überformen beginnt. Die Handlungs- und Kommunikations-muster von Parteien, Politikern oder Bewegungen machen heute vielfach Anlei-hen bei kommerziellen Werbe- und Marketingstrategien und nutzen die Domi-nanz von Marken im medienwirksamen Wettbewerb zur Erlangung von Auf-merksamkeit. Welchem Wandel die Prozesse kollektiver Selbststeuerung da-durch unterliegen und welchen Paradoxien Politik dadurch ausgesetzt ist, stellen weitere Leitfragen der hier versammelten Beiträge dar. Von besonderem sozial-wissenschaftlichen Interesse ist, wann die Politisierung des Konsums in bloßen Politikkonsum, mithin in konsumierte Politik umschlägt. Die fortwährende An-eignung der politischen Ästhetik neuerer Protestformen durch die Werbung ver-deutlicht in besonders eindrücklicher Weise das Risiko, politisches Engagement auf eine „Lifestyle-Politik“ zu reduzieren, die das Politische nur noch an expres-siven Wertfragen ausrichtet und seinen Kern damit verfehlen muss.

Der erste Teil des Bandes widmet sich demgemäß der Politisierung des Konsums und der Praxis der Verbraucher. Im zweiten Teil wird die politische Ästhetik des Konsums analysiert, in der das Politische zu verschwinden droht, die aber auch Quelle seiner Erneuerung sein kann. Und im dritten Teil schließ-lich geht es um den Konsumismus in der Politik, also um jenes politische Han-deln, das selbst konsumkulturelle Kommunikationsformen reproduziert oder sich mit diesen pragmatisch oder kritisch auseinandersetzt. Vorangestellt ist ein ein-führender Beitrag zum Thema, in dem zunächst Grundbegriffe und Untersu-chungsfelder einer Politischen Soziologie des Konsums abgegrenzt und die ein-

8 Vorwort

zelnen Beiträge des Bandes systematisch in das Spektrum von Forschungsper-spektiven eingeordnet werden.

Der Band ist aus einer Tagung hervorgegangen, die im Juni 2005 an der Justus-Liebig-Universität in Gießen stattfand und von der Sektion „Politische Soziologie“ und der „AG Konsumsoziologie“ in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie ausgerichtet wurde.1 Neben soziologischen Referenten/innen kamen hierbei auch Vertreter/innen der Geschichtswissenschaft, der Kunstgeschichte, der Kultur- und Politikwissenschaften zu Wort. Als Organisatoren möchten wir die Gelegenheit dieses Vorwortes nutzen, uns noch einmal bei all jenen zu be-danken, die uns bei der Durchführung der Tagung unterstützt haben, insbesonde-re beim Vorsitzenden der Sektion „Politische Soziologie“, Trutz von Trotha, sowie bei Kai-Uwe Hellmann und Dominik Schrage seitens der „AG Konsumso-ziologie“. Für ihre finanzielle Unterstützung der Tagung danken wir der Gieße-ner Hochschulgesellschaft.

Großer Dank gilt weiterhin Claus Leggewie und dem Gießener Zentrum für Medien und Interaktivität (ZMI), die uns technische und finanzielle Ressourcen sowie ihr Wissen zur Verfügung gestellt haben, um für die Tagung einen eigenen Internetauftritt zu organisieren (www.politik-konsum.de). Die Internetseiten wurden von vornherein so angelegt, dass sie über die Bereitstellung üblicher Tagungsinformationen hinaus einen begleitenden Online-Diskussionsprozess ermöglichten. So findet sich auf der Website neben Programmhinweisen und Abstracts eine Reihe von zusätzlichen Texten zum Download, die von „virtuell anwesenden“ Tagungsteilnehmerinnen und Tagungsteilnehmern eingespeist wurden. Auch konnten auf diesem Wege Studierende eines Gießener Lehrfor-schungsprojektes ihre Untersuchungen zur „Internetnutzung zwischen Politik und Konsum“ öffentlich machen. Auch an all diese Beitragenden sei unser herz-licher Dank gerichtet.

Besonderer Erwähnung bedarf schließlich die Kooperation mit der Redakti-on des „Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen“, vertreten durch Ansgar Klein, der aufgrund unseres Tagungskonzeptes vorschlug, einen entsprechenden Themenschwerpunkt im Forschungsjournal herauszubringen. Erschienen ist dieser von Jörn Lamla als Gastherausgeber konzipierte Schwerpunkt zum The-ma: „Unterschätzte Verbrauchermacht. Potenziale und Perspektiven der neuen Verbraucherbewegung“ als Heft 4/2005 des Forschungsjournals. Dieses Heft kann somit als Ergänzung zum vorliegenden Band gelesen werden.

Gießen, im Juni 2006 Jörn Lamla & Sighard Neckel

1 Über Inhalt und Verlauf der Tagung berichtet Carmen Ludwig in der Zeitschrift „Soziologie“ (Heft 4/2005: 474-479).

Politisierter Konsum – konsumierte Politik 9

Politisierter Konsum – konsumierte Politik

Kritikmuster und Engagementformen im kulturellen Kapitalismus

Jörn Lamla

1 Einleitung: Einige Schlaglichter auf das Phänomen der Politisierung des Konsums

Dem interessierten Beobachter begegnen im Konsumalltag und bei der Zeitungs-lektüre laufend bemerkenswerte, weil zunächst irritierende Phänomene, die zwi-schen Politik und Konsum einen Zusammenhang stiften. Einige Beispiele seien vorab schlaglichtartig beleuchtet:

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace schaltete im Oktober 2005 ei-nen Kino-Werbefilm, in dem ein Komitee von Außerirdischen mit einem Jargon, der an Meetings von Top-Managern eines Konzernriesen denken lässt, darüber berät, ob sich die Rettung der Erde lohne oder dieses unrenta-bel geführte Unternehmen besser abgestoßen werden sollte. Die Antwort fällt negativ aus, weil „Sorg“, der Anwalt der „Erdlinge“, den korrupt wir-kenden Vorsitzenden nicht überzeugen kann. Er hat nicht viel mehr zu bie-ten, als den Appell an die Kinobesucher, zusammen nur noch „gute Produk-te“ zu kaufen und sich hinter die „guten Firmen“ zu stellen. In den Pariser „Banlieues“ eskalierten im Herbst 2005 schon länger schwe-lende Unruhen frustrierter Jugendlicher, zumeist mit Migrationshintergrund und ohne Arbeit, und weiteten sich zu einem Flächenbrand aus, den der Staat mit harten Restriktionen wie nächtlichen Ausgangssperren bekämpfte. Nacht für Nacht gingen hunderte von Autos in Flammen auf und wurden öf-fentliche Einrichtungen, Läden und Einkaufszentren gestürmt. In seinem Buch „Das Elend der Welt“ (Bourdieu et al. 1997: 85f.) interpretiert der So-ziologe Pierre Bourdieu solche Gewalt als Protest gegen die Symbole und den materiellen Ausschluss von der konsumkulturellen Teilhabe. In der Bankenmetropole Frankfurt am Main versammelte sich im Februar 2005 eine größere Zahl von Aktionskünstlern, Kapitalismus- und Konsum-kritikern, die unter der Maxime „Schöner wär’s, wenn’s schöner wär“ nach kreativen Formen zivilgesellschaftlichen Widerstands suchten. Neben zahl-reichen Performances, die sich in der Frankfurter Einkaufsmeile gegen den Shoppingwahn richteten, wurde in den Räumen des Schauspiels auch mit

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dem Feuer gespielt: Die „Bank of burning money“, initiiert von der Ham-burger „Geheimagentur“, offerierte dem Publikum die Idee, eingezahltes Geld rituell den Flammen zu übergeben. In seiner vorletzten Neujahrsansprache forderte Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder die Bürger mit freundlichen Worten dazu auf, durch das eigene Konsum- und Investitionsverhalten „ganz persönlich“ den Arbeitsplatz des Nachbarn sichern zu helfen. Die anhaltende Kaufunlust oder sogar Kon-sumverweigerung der Verbraucher wird in der veröffentlichten Meinung seit längerem als eine Hauptursache für das Stocken des deutschen Kon-junkturmotors benannt. Um die Binnennachfrage in Schwung zu bringen, wird Kaufen daher zur Bürgerpflicht ernannt. Die Drogeriemarktkette „dm“ behauptet sich hervorragend in ihrem von Discountern und Supermärkten hart umkämpften Sektor und verdankt die-sen Erfolg der im Vergleich größten Kundenzufriedenheit. Ihr Gründer und Chef, Götz Werner, Professor für Entrepreneurship an der Universität Karlsruhe, der sein Unternehmen nach anthroposophischen Grundsätzen lei-tet, propagiert derzeit öffentlichkeitswirksam die Idee eines existenzsi-chernden Grundeinkommens, das alle Einwohner individuell und ohne jede Arbeits- oder Gegenleistungspflicht erhalten sollen und das die bisherigen Transfereinkommen ersetzen würde. Die Finanzierung soll im Rahmen ei-ner radikalen Steuerreform durch eine auf 50 Prozent der Nettopreise erhöh-te Konsum- oder Mehrwertsteuer erfolgen, wodurch der Faktor Arbeit steu-erfrei würde.

Diese Schlaglichter haben eines gemeinsam: Sie alle beleuchten aktuelle Phäno-mene der Politisierung des Konsums, wenn auch aus unterschiedlichen Richtun-gen, mit ganz unterschiedlichen Zielen und Mitteln. Es ist die Aufgabe einer Politischen Soziologie des Konsums, solche Phänomene zu untersuchen: Wie und warum wird der Konsum zum Gegenstand von Politisierungsprozessen? Welche Formen und Ebenen der Politisierung lassen sich unterscheiden? Kann der Konsum selbst politisches Handeln sein oder ist er vor allem Gegenstand politischen Handelns, sei es in umfassenden wirtschaftspolitischen Ordnungs-entwürfen, in der alltäglichen Kleinarbeit von Verbraucherpolitikerinnen und Verbraucherschützerinnen oder in Appellen der Repräsentanten von Interessen-gruppen und Staatsorganen? Handelt es sich bei Kaufentscheidungen, denen ethische oder moralische Kriterien zugrunde liegen, lediglich um Nachfragever-halten, das in der Summe zu marktseitigen Anpassungen führen kann, um Prak-tiken neuartiger Bewegungen und Netzwerke oder sogar um Elemente neuer Formen kollektiver Normsetzung und gemeinsamen Regierens durch Staat, Un-ternehmen, intermediäre Akteure und Verbraucher? Folgen individuelle „Lifesty-

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le-Politiken“ lediglich den ästhetischen Gesichtspunkten von Status-, Identitäts- und Abgrenzungskämpfen innerhalb und zwischen (post-)traditionalen Gemein-schaften oder weisen sie über die Partikularität dieser Gesichtspunkte auch hin-aus? Welche Auswirkungen hat die Aneignung und Instrumentalisierung der politischen Gegenkultur und des jugendlichen Rebellentums durch die Werbung und das Marketing auf Praktiken des kreativen, die kommerziellen Symbole und Marken entstellenden und verkehrenden Widerstands? Wann schlägt die Politi-sierung des Konsums in bloßen Konsum von Politik um? Werden kulturelle Ressourcen, soziales Kapital und (staats-)bürgerliche Tugenden durch die politi-sche Partizipation in Formen des Konsums ausgezehrt oder stehen hohe Spen-denbereitschaft und Scheckbuchmitgliedschaften in Nichtregierungsorganisatio-nen für die Robustheit zivilen Engagements? Welche Auswirkungen haben dies-bezüglich massenmedial verstärkte Politikinszenierungen nach den Regeln er-folgreicher Markenführung? Und welche Effekte und Zumutungen gehen für die Rechtssubjekte vom Leitbild des „Kunden“ in öffentlichen Verwaltungs- und sozialen Dienstleistungseinrichtungen aus?

Dieses komplexe Fragenspektrum macht eine gewisse Systematisierung des Untersuchungsfeldes einer Politischen Soziologie des Konsums unverzichtbar. Im Folgenden werden einige begriffliche Unterscheidungen eingeführt, anhand derer sich spezifische Untersuchungsfelder sowie zugehörige Theorierichtungen und Forschungsergebnisse besser ein- und abgrenzen lassen. Insbesondere wird so die Diskrepanz verschiedener Zeitdiagnosen klarer, die zwischen euphori-schen Thesen zur Entstehung neuer konsumbasierter Partizipations-, Bewe-gungs- und Engagementformen auf der einen und Klagen über die zunehmende Verfestigung konsumistischer Haltungen in den alltäglichen, habituellen und politischen Orientierungen von Marktteilnehmern, Bürgern und Politikern auf der anderen Seite schwanken (2). Einige der Fragen, die sich gegenwärtig auf-grund der engen Verflechtungen von Kultur, Politik und Ökonomie in der global vernetzten kapitalistischen Gesellschaft zuspitzen, werden anschließend geson-dert aufgegriffen. In einer Gesellschaft, die in wachsendem Maße durch Ver-marktlichungsprozesse und von einer ausgeprägten Konsumkultur bestimmt wird, bleibt auch das Politische von diesem Wandel nicht verschont. Ich werde anhand von typischen Kritikmustern und zugehörigen politischen Engagement-formen nachzeichnen, wie sich das Spektrum von Politisierungen des Konsums im heutigen „kulturellen Kapitalismus“ (Rifkin) darstellt. Von besonderer Be-deutung sind hier die Spannungen zwischen Positionen, die aus der Perspektive einer Sozialkritik an den ungerechten raumzeitlichen, vor allem ökonomischen Interdependenzen im netzförmigen Kapitalismus argumentieren, und Ansätzen einer Künstlerkritik, die sich an den immer engeren Wechselbeziehungen von Kapitalismus und Kultur abarbeiten (3). Diese vergleichende Analyse politischer

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Positionen, Deutungs- und Rechtfertigungsmuster im Diskursfeld des politisier-ten Konsums wirft abschließend die Frage auf, wie sich eine kritische Theorie zur Frage der Politisierung des Konsums positionieren kann. Lässt sich aus den empirischen Kritikvarianten ein tragfähiger Ansatz für eine politische Konsum-ethik herausdestillieren (4)?

2 Grundbegriffe und Untersuchungsfelder einer Politischen Soziologie des Konsums

Von den vielen Perspektiven, aus denen das Verhältnis von Politik und Konsum in den Sozialwissenschaften betrachtet werden kann, lassen sich zunächst zwei Extreme herausstellen, die zwischen diesen Praxisformen im Grunde keinen Unterschied machen: Mit einem sehr weiten Politikbegriff lassen sich auf der einen Seite sämtliche Konsumpraktiken, insofern sie Aushandlungen mit Ver-käufern, Auswahlentscheidungen oder die Bezeugung von Gemeinschaftszuge-hörigkeiten beinhalten, als eine Form politischen Handelns begreifen (vgl. den Beitrag von Hitzler/Pfadenhauer in diesem Band). Auf der anderen Seite sind Anwendungen der ökonomischen Theorie auf die Politik verbreitet, so dass der gedankliche Schritt, die Darstellung von Politik, das Wahlverhalten oder die Politikrezeption der Bürger mithilfe von Modellen des Verbraucherverhaltens oder der Markenkommunikation zu analysieren, nicht allzu groß ist (vgl. Schnei-der 2004 sowie den Beitrag von Kusche in diesem Band). Tatsächlich macht sich die Politik diese Analogien auch selbst zueigen (vgl. Balzer/Geilich/Rafat 2005). Eine besondere Stellung nimmt historisch sodann die „politische Ökonomie“ als Wissenschaft ein, deren Gesellschaftsanalyse ebenfalls von der Untrennbarkeit der disziplinären Perspektiven ausgeht und den historischen Wandel integrierter Produktions- und Herrschaftsverhältnisse erklären will. Die Konzepte, die im Folgenden betrachtet werden, halten demgegenüber an der Unterscheidung von Praxisformen, Problembezügen oder gesellschaftlichen Sphären der Politik bzw. des Konsums durchweg fest und zielen auf die Bestimmung ihres Verhältnisses, sei es im historischen Wandel, als Interdependenzzusammenhang, um Trends zur Hybridisierung aufzuzeigen oder um Weisen der Interpenetration zu bestimmen.

Beginnen wir beim politischen Konsum. Dieser Begriff bezeichnet Prakti-ken, die eher explizit als implizit politisch motiviert sind und mit denen sich die Konsumentinnen, indem sie die exit-, voice- und loyalty-Optionen des Marktes nutzen, bewusst und absichtsvoll auf eine Politik hinter den Produkten beziehen (vgl. Micheletti 2003; Micheletti/Follesdal/Stolle 2004). Es handelt sich um Konsumentscheidungen, bei denen zwar auch, aber nicht nur private Anliegen Berücksichtigung finden, sondern zudem Acht gegeben wird auf Ungerechtigkei-

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ten in den Ordnungen des globalen Handels, z.B. auf die Inkaufnahme von Men-schenrechtsverletzungen bei Standortentscheidungen multinational operierender Konzerne, auf Kinderarbeit oder fehlende Sozialstandards in den Herstellerbe-trieben oder auf die Missachtung von ökologischen Folgen der Produktion (vgl. den Beitrag von Baringhorst in diesem Band). Im Vergleich zur Beteiligung in kollektiven Interessenorganisationen oder sozialen Bewegungen ist politischer Konsum sporadischer, alltagsnäher, für die Akteure auch kosteneffizienter und überwiegend von Frauen getragen. Er äußert sich in einer Boykotthaltung oder als „Buycott“, dem Gegenstück, bei dem etwa Produkte mit dem „Fairtrade-Label“ bewusst gekauft werden, um damit zur Verbesserung der Lebensbedin-gungen in weniger entwickelten Weltregionen beizutragen (vgl. Friedman 1999: 201-212). Die Teilnahme an Boycotts, Buycotts oder beidem liegt auch der Mes-sung von politischem Konsum im Rahmen der umfragebasierten Forschung zugrunde, die eine wachsende Beliebtheit dieser marktbasierten Form des politi-schen Engagements konstatiert (vgl. Stolle/Micheletti 2005: 44; Stolle/Hooghe/ Micheletti 2004; Goul Andersen/Tobiasen 2004 sowie auch Harrison/Newholm/ Shaw 2005; Neuner 2001). Erforderlich ist allerdings auch die qualitative Diffe-renzierung von politischen Motivkonstellationen solcher Konsumpraktiken. So zeigen qualitative empirische Untersuchungen, dass etwa Bio-Konsumentinnen und -Konsumenten, die in Meinungsumfragen dem politischen Konsumtypus zugerechnet würden, genauer besehen sehr eigeninteressierte oder hoch diffuse Motivierungen aufweisen können, die einer „Politik mit dem Einkaufswagen“ kaum entsprechen (vgl. den Beitrag von Lorenz in diesem Band).

Handelt es sich beim politischen Konsum um die paradoxe Form eines „in-dividualisierten kollektiven Handelns“ (Micheletti 2003: 24), so entwickelt sich der politische Konsumerismus historisch demgegenüber in Bahnen kollektiver Interessen- und Bewegungsorganisationen, die vor allem in der Anfangszeit stark unter dem Einfluss der Gewerkschaftsbewegung standen. Der Konsumerismus bezeichnet die Anstrengungen zur Bündelung der Macht der Verbraucher, um sie als Waffe gegen die Produzenten, den Handel sowie den Gesetzgeber in Stellung zu bringen (vgl. Selter 1973). Dabei ging es dem Konsumerismus als sozio-politische Bewegung nach einer Phase der Bekämpfung von Armuts- und Unter-versorgungslagen im Industriezeitalter des 19. und frühen 20. Jahrhunderts haupt-sächlich um „value for money“, also um unmittelbar auf den Markt und die Kon-sumsphäre bezogene Probleme, wie etwa bessere Hygienebedingungen in der Lebensmittelproduktion (in der Anfangszeit z.B. bei den Hausfrauenprotesten gegen die Zustände in Chicagos Schlachthöfen) oder technisch zuverlässige und sichere Autos (vgl. Lang/Gabriel 2005; Hilton 2003, 2005; Chatriot/Chessel/

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Hilton 2006; Furlough/Strikwerda 1999).1 Diese Bewegung, die sich auf unab-hängige Produkttests und Verbraucherinformation als „Anti-Marketing“ stützte, sich ausgehend von den Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert nach Europa und über die gesamte Welt ausdehnte und sich unter dem Einfluss von Aktivisten wie dem Verbraucheranwalt Ralph Nader in den 1960er Jahren wieder stärker politi-sierte, spielte in der Bundesrepublik nur eine marginale Rolle in den 1970er Jahren, weil der Verbraucherschutz hierzulande staatsnah und am Modell neo-korporativer Verbandspolitik ausgerichtet ist, kaum aber von einer aktiven Zivil-gesellschaft getragen wird (vgl. Kleinschmidt 2004; Janning 2005). Auch wenn sie sich nicht durchsetzen konnten, wurden aber in der Weimarer Republik, dem „Labor der Moderne“, weit reichende Programme in der sozialistischen Verbrau-chergenossenschaftsbewegung formuliert, die mit dazu beitrugen, das Feld der „Konsumpolitik“ zu konstituieren (vgl. den Beitrag von Torp in diesem Band sowie Berghoff 1999).

Umfasst das Feld der Verbraucherpolitik insbesondere in Krisenzeiten oder gesellschaftlichen Umbruchphasen auch grundlegende wirtschaftspolitische Ordnungsdebatten und -entwürfe, entwickelt es sich die meiste Zeit in Abhän-gigkeit von einmal eingeschlagenen Institutionalisierungspfaden, von Zuständig-keiten, Gesetzgebungsverfahren und Verwaltungsabläufen im alltäglichen Poli-tikbetrieb sowie der Lobbyarbeit und Verhandlungspolitik zahlreicher Akteure des Interessenumfeldes. Die Auswirkungen der BSE-Krise in Deutschland Ende des Jahres 2000, die mit der Schaffung eines Verbraucherministeriums umfas-sendere Restrukturierungen eingeleitet haben, verdeutlichen, wie verbraucherpo-litische Leitbilder zunächst charismatisch erneuert werden und sich anschließend an der harten Realität agrar- und ernährungspolitischer Interessenkämpfe brechen (vgl. Janning 2004; Lamla 2002; Müller 2001). Die politische Ausrichtung der Verbraucherpolitik schwankt im Wesentlichen zwischen marktkonformen An-sätzen reiner Wettbewerbspolitik und interventionistischen Ansätzen eines staat-lichen Verbraucherschutzes, der durch Regulierung der Ökonomie, durch Verbraucherrechte, Partizipationsformen, Information und Bildung die Interes-

1 Von besonderer Bedeutung für das Selbstverständnis des Konsumerismus war in der Phase allgemeiner Wohlstandssteigerung die „Special Message on Protecting the Consumer Interest“ aus dem Jahr 1962, in der US-Präsident John F. Kennedy vier grundlegende Verbraucherrechte proklamierte: das Recht auf Sicherheit und Schutz, das Recht auf Information, das Recht auf Auswahlmöglichkeiten und das Recht, Gehör zu finden. Im Zuge der verbandsförmigen Inter-nationalisierung wendete sich die Bewegung im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wieder stärker sozialen Verteilungsfragen zu, die durch die krassen Unterschiede in den Lebensbedin-gungen westlicher Nationen im Vergleich zu den Entwicklungsländern aufgeworfen wurden. In diesem Zuge wurde der liberale Kanon von Verbrauchergrundrechten um die vier Rechte „auf Regress, auf Verbraucherschulung, auf eine gesunde Umwelt und auf Zugang zu Basisgütern“ erweitert (Hilton 2005: 26).

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sen der ‚schwächeren Marktakteure‘ gegenüber der Anbietermacht stärken will (vgl. Kuhlmann 1990; Mitropoulos 1997). Methodisch wird Verbraucherpolitik als Gegenstand von (vergleichenden) Politikfeldanalysen mit Blick auf Macht- und Interessenkonstellationen, Handlungsdilemmata, typische sachliche Steue-rungsprobleme (z.B. Gesundheitsvorsorge), den Wandel des Aufgabenverständ-nisses sowie konzeptionelle Defizite und Ansätze für die Politikberatung unter-sucht, wobei auch Theoriedefizite beklagt werden (vgl. Martiny 1978; Offe 1981; Janning 2003; Beetz/Oberthür 2005). Gegenwärtig gewinnen Denkmodel-le des gemeinsamen Regierens (Governance) unterschiedlicher Akteurstypen – von administrativen Einrichtungen, über Interessenverbände und zivilgesell-schaftliche Organisationen, Unternehmen2 und Marktteilnehmer bis hin zu den Bürgern selbst – an Attraktivität. Neuere kulturtheoretische Perspektiven auf verbraucherpolitische Regulierungsregime, die sich z.B. an das Konzept der Gouvernementalität (Foucault) anlehnen und Hintergründe staatlicher Verbrau-cheraktivierung sowie deren Auswirkung auf das Verbrauchersubjekt untersu-chen, finden dagegen noch kaum Einzug in Politikfeldanalysen (vgl. den Beitrag von Hentschel in diesem Band).

Der englische Begriff „consumerism“ hingegen wird inzwischen vorwie-gend kulturtheoretisch zur Bezeichnung der konsumorientierten Massenkultur verwendet und bezeichnet nur noch selten jene politisch ambitionierten Bewe-gungsansätze, die oben mit dem Begriff des Konsumerismus belegt wurden (vgl. etwa Campbell 1987 und kritisch Lodziak 2002). Um Verwechslungen vorzu-beugen, ist es daher zumindest im Englischen empfehlenswert, den Zusatz ‚poli-tical‘ vor consumerism zu gebrauchen (vgl. Micheletti/Follesdal/Stolle 2004). Im Deutschen bezeichnen wir das für Konsumgesellschaften charakteristische mas-senkulturelle Orientierungssyndrom dagegen als Konsumismus (vgl. Bolz 2002; Schrage 2003) oder Neokonsumismus (Prisching 2006: 36-39). Dieser Begriff führt zunächst weg von politischen Fragen und hin zur Kultursoziologie des Konsums, die auf dessen zentrale Bedeutung für den individuellen Lebensstil und die Identitätsbildung abstellt, die Konsumsphäre als Bühne für Selbstinsze-nierungen und soziale Distinktion betrachtet und das „Branding“ und die Wer-bung als dominante Formen symbolischer Kulturvermittlung untersucht (vgl. z.B. Slater 1997; Reisch 2002; Koppetsch 2004). Doch sind Zeitdiagnosen zur konsumistischen Geisteshaltung auch für die Politische Soziologie von großer Bedeutung, da diese kulturelle Konfiguration politische Orientierungen und Kommunikationsformen nicht unberührt lässt: Protestbewegungen z.B. können

2 In diesem Zusammenhang spielt auch die politische Diskussion um das bürgerschaftliche Engagement und die Verantwortung von Unternehmen eine wichtige Rolle, die gegenwärtig mit Bezug auf Leitbilder wie „Corporate Citizenship“ oder „Corporate Social Resposibility“ geführt wird (vgl. Backhaus-Maul/Schubert 2005).

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danach unterschieden werden, ob sie die ästhetischen Aufmerksamkeitsfilter der Werbung ablehnen, weil sie nicht ins staatsbürgerschaftliche Bild von demokra-tischer Öffentlichkeit passen, oder aber Logos, Werbeplakate und provokative Statements selbst kunstvoll und pragmatisch einsetzen, um politischen Einfluss zu gewinnen (vgl. den Beitrag von Hieber in diesem Band).

Eine besondere Herausforderung stellt die zunehmende Verschmelzung von Kultur und Ökonomie dar, die im Begriff des Konsumismus bereits angedeutet wird, sich aber auch auf die produktive Seite, das Arbeitsleben, und andere Le-bensbereiche erstreckt. Begriffe wie Vermarktlichung, kultureller oder mentaler Kapitalismus stehen exemplarisch für die soziologische Diagnose eines „neuen Synkretismus von Ökonomie und Lebensform“ (Neckel 2005; vgl. auch Rifkin 2002: 183-249; Franck 2005; Boltanski/Chiapello 2003). In einer Gesellschaft, die das kulturelle Leben als wichtigsten Rohstoff entdeckt hat, dessen ökonomi-sche Erschließung systematisch betrieben wird, und in der gleichzeitig der Markterfolg, die ökonomische Verwertbarkeit und ein neoliberaler Jargon der Eigenverantwortlichkeit die biographischen Orientierungen, sozialen Beziehun-gen und semantischen Codes dominieren, hat das Politische – verstanden als relativ autonomes Prinzip der Vermittlung zwischen Wertsphären und Interes-senkonflikten sowie als Kunst der kollektiven Problemlösung durch demokrati-sche Willensbildungs-, Entscheidungs- und Gesetzgebungsverfahren – einen schweren Stand. Der drohende Verlust politischer Unterscheidungsfähigkeit, die auch als Kunst der Sphärentrennung (vgl. Walzer 1994) bezeichnet worden ist, zeigt sich nicht nur auf dem Gebiet der Kulturpolitik selbst (vgl. dazu den Bei-trag von Richter in diesem Band), sondern an zahlreichen Grenzverschiebungen, die den Konsumismus weiter expandieren lassen: Er beginnt bei der Herabstu-fung des staatsbürgerlichen Rechtssubjekts zum individuellen Vertragspartner (z.B. in der Arbeitsvermittlung oder bei der „Riester-Rente“), nachdem soziale Transfer- und Dienstleistungen privatisiert und Verwaltungseinrichtungen auf ‚Kundenbeziehungen‘ umgestellt wurden (vgl. Evers 1998; Jacobsen/Voswinkel 2005). Er setzt sich fort in der massiven Ausweitung von unbezahlten Ko-Produktionen durch „arbeitende Kunden“ bzw. „Prosumenten“, wodurch das kulturelle Verständnis von subjektiver Autonomie allmählich auf Selbstbedie-nung reduziert zu werden droht (vgl. Voß/Rieder 2005; Voswinkel 2005 und Ritzer 1995). Und er endet vermutlich nicht beim Versuch, nicht nur die äußerli-chen, sondern auch noch die emotionalen Seiten der Lebensführung möglichst lückenlos von Designern gestalten zu lassen (vgl. den Beitrag von Neckel in diesem Band).

Freilich bleiben die Diagnosen unvollständig, wenn sie nicht auch Einfluss-potenziale berücksichtigen, die den alltags- oder lebensweltlichen Sinnbezügen aus der ökonomischen Wertsteigerung des Kulturellen zuwachsen. Die Frage ist

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aber, wie sich solche Relevanzen im kulturellen Kapitalismus zur Geltung brin-gen lassen, wenn Werbung und Marketing als professionelle Kulturvermittler die Regie übernehmen. Demnach wären Medium und Form, Kanäle und Instanzen der kommunikativen Vermittlung von Werten, Normen, Interessen und Bedürf-nissen daraufhin zu durchleuchten, ob sie einer ästhetischen Umdeutung von politischen, moralischen oder ethischen Problemstellungen Vorschub leisten, so dass diese expressiven Wertfragen gleichgestellt und dadurch neutralisiert wer-den (vgl. Lash/Urry 1994: 133; Jameson 1998; Koppetsch 2003).3 Ob sich das Politische und Prinzipien demokratischer Autonomie unter dem Einfluss der Kulturindustrien behaupten können, ist auch unter Gesichtspunkten der politi-schen Ästhetik des Konsums zu untersuchen. Im Anschluss an Walter Benjamin (1974) stellt sich z.B. die Frage, ob in der heutigen Werbe- und Warenwelt Schock- und Diskrepanzerfahrungen noch möglich sind, die nach kritischer Durcharbeitung das politische Unterscheidungsvermögen schärfen könnten. Wie schwer sich politische Kritik am Konsumismus mit künstlerischen Mitteln zur Geltung bringen lässt, nachdem Symbole selbst zum Konsumgut der Medienge-sellschaft geworden sind, zeigt z. B. der Fall Andy Warhols (vgl. den Beitrag von Müller in diesem Band). Spielräume und Ansatzpunkte für ästhetische Kritik verengen sich nicht zuletzt deshalb, weil die kommerzielle Werbung sich stets die neusten Symbole und Protestembleme der gegenkulturellen Rebellion selbst aneignet und dadurch zugleich umcodiert (vgl. die Beiträge von Maier und von Doll in diesem Band).

Ob also politische Praktiken in einer solchen konsumistischen Kultur Platz greifen können, wird damit zu einer interessanten Forschungsfrage, die auch die Dispositionen ‚politischer Verbraucher‘ sehr genau zu untersuchen verlangt. Verschiebungen, Durchlässigkeiten und Verklammerungen gesellschaftlicher Sphären werden ja ebenfalls konstatiert, wo den älteren Idealtypen des Bürgers und des Konsumenten ein hoher Erklärungswert eher bestritten wird und die hybriden Konstruktionen des Consumer-Citizen bzw. des Citizen-Consumer an ihre Stelle rücken (vgl. Cohen 2003: 8 sowie verschiedene Beiträge in Daun-ton/Hilton 2001; vgl. außerdem Reckwitz 2006).4 Diese heuristischen Konzepte

3 Die Einführung der „Mecca-Cola“ etwa, die in islamischen Ländern als Alternative zur US-amerikanischen Top-Marke Coca-Cola mit dem Hinweis „Don’t drink stupid, drink comitted“ beworben wird, liefert ein interessantes Beispiel für die Subtilität solcher Vorgänge, verstärkt sie doch religiöse Codes und reproduziert zugleich die Strukturen des Konsumismus (vgl. Ram 2005).

4 Vielmehr sei der moderne Bürgerstatus historisch in vielfältiger Weise mit dem Verbraucher-status verflochten. Beispielhaft sei an die Rollenzuschreibungen gegenüber Frauen erinnert, de-ren Ausschluss aus der öffentlichen politischen Sphäre sich auch auf das Bild des ‚geächteten Konsumenten‘ stützte, das sich durch die Kämpfe der Frauenbewegung und das sozialpoliti-sche Regime des ‚New Deals‘ allmählich in das des ‚aktiven Konsumenten‘ wandelte (vgl. de

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lenken den Blick auf historische Kontexte und Konstellationen, in denen das Bürger- und das Verbraucherhandeln einen gemeinsamen Motivkomplex ausbil-den und gegenläufige Zusammenhänge, die etwa den Typ des ‚Worker-Citizen‘ oder des ‚Customer-Consumer‘ prägen, schwächer werden. Auch für die Ge-genwart kann eine gewisse Konvergenz angenommen werden, wenngleich ziem-lich unklar ist, wie stark sie ausgeprägt sein wird. So wird insbesondere die Technologie des Internet als eine Infrastruktur betrachtet, die innovative bürger-schaftliche Vernetzungen und Aktivitäten von Verbrauchern möglich macht und den Eintritt in ein neues Zeitalter des Citizen-Consumer herbeiführen könnte (vgl. Bieber/Lamla 2005; Bennett 2004; Scammell 2000 sowie den Beitrag von Baringhorst in diesem Band). Wie stark die neuerliche Wahlverwandtschaft von Bürger und Konsument allerdings in diesem Medium ausfällt und ob sich in der Form eines „vernetzten Individualismus“ (Castells 2005: 138) ein politisches Projekt verankern lässt, das der Zivilgesellschaft ihren Platz im kulturellen Kapi-talismus sichert, bleibt offen (vgl. dazu Lamla 2005a). Die Antwort hängt u. a. davon ab, wie überzeugend und anschlussfähig sich diskursive Ansätze zur Poli-tisierung des Konsums erweisen.

3 Sozial- oder Künstlerkritik? – Positionen im Diskursfeld des politisierten Konsums

In Anlehnung an Luc Boltanskis und Ève Chiapellos „Soziologie der Kritik“, der zufolge historisch sich verdichtende Kritikmuster „als Motor für die Verände-rungen des kapitalistischen Geistes“ eine tragende Rolle im gesellschaftlichen Wandel spielen (2003: 68), rekonstruiere ich im Folgenden das Spektrum von Politisierungen des Konsums in ausgewählten Diskursphänomenen der gegen-wärtigen Kapitalismus-, Kultur- und Gesellschaftskritik. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei auf Spannungen innerhalb und zwischen Positionen, die eher aus der Perspektive einer Sozialkritik der ungerechten raumzeitlichen und ökonomischen Interdependenzen im netzförmig-flexiblen Kapitalismus argumentieren, und solchen Ansätzen, die eher eine Künstlerkritik entwickeln, sich also an der zu-nehmenden Verschränkung von Kapitalismus und Kultur abarbeiten. Die Unter-

Grazia/Furlough 1996). Konstruktionen des bürgerlichen Rechtssubjekts sind also von jeweils dominierenden sozialen und kulturellen Klassifizierungen keineswegs unabhängig. Angefan-gen beim Kampf des Bürgertums gegen das exklusive Modell des höfischen Konsums bis zum Zusammenbruch des Ostblocks und dem Wunsch vieler DDR-Bürger, am westlichen Kon-summodell zu partizipieren, durchlebt das Verhältnis von Bürger und Konsument eine wech-selvolle Geschichte zwischen engen Verbindungen einerseits und Versuchen strikter Trennung andererseits (vgl. den Überblick von Kroen 2003).

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schiede dieser zwei Grundformen der Kritik, die sich auf verschiedene Quellen der Empörung stützen (vgl. Boltanski/Chiapello 2003: 80-84; 379-513), machten einige grundlegende Probleme sichtbar, die auftreten können, wenn es darum geht, eine politische Ethik oder ein zivilgesellschaftliches Projekt in der Praxis von Konsumentinnen und Konsumenten zu verankern: Resultiert die Adressie-rung der Verbraucher vielleicht aus der Dominanz einer individualistischen, an Selbstverwirklichungsidealen ausgerichteten Künstlerkritik, die Formen und Ansätze einer auf kollektive Probleme der Gerechtigkeit zielenden Sozialkritik in den Hintergrund gedrängt hat? Oder anders gefragt: Vermögen die Politisierun-gen des Konsums diese Kritikmuster zusammenzuführen, indem sie Verbin-dungslinien zwischen kulturellen Entfremdungserfahrungen und ökonomischen Ausbeutungsbeziehungen aufzeigen?

Nach den Protesten von Seattle gegen die von der Welthandelsorganisation (WTO) vertretene neoliberale Wirtschaftspolitik im Jahr 1999 wurde in dem globalisierungskritischen Bestseller „No Logo!“ von Naomi Klein (2002) viel-fach das Manifest für ein neues zivilgesellschaftliches Projekt gesehen. Dieses Buch greift sowohl die sozialen Verteilungswirkungen der Produktionsverlage-rungen multinationaler Markenkonzerne als auch deren Strategien zur Kunden-bindung durch Werbung und das ‚Branding‘ von Kulturräumen, also sowohl raumzeitlich-strukturelle als auch symbolisch-kulturelle Aspekte des Gegen-wartskapitalismus an (vgl. Hellmann 2005). Es verbindet damit zumindest pro-spektiv Anliegen der Künstlerkritik, die auf kulturelle Autonomie und Authenti-zität zielen, mit einer Sozialkritik, die ökonomische Ausbeutung anprangert und für soziale Umverteilung plädiert. Doch als Manifest einer politischen Verbrau-cherbewegung mit deutlich konturiertem Projektcharakter eignet sich das Buch genauer besehen wohl kaum: „Indeed, it contains almost no theoretical observa-tion whatsoever, nor any statement of the ideological unity between the various strands of protest“ (Hilton 2003: 299). Es repräsentiert in erster Linie eine jour-nalistische Suchbewegung mit unverkennbar prophetischen Zügen, wobei die Kluft zwischen konsum- und markenorientierten Aktionen im reichen Westen und Anstrengungen zur Verbesserung der Lebenssituation von Bevölkerungstei-len in den armen Weltregionen selbst bemerkt wird: „Im Gegensatz zu den Verbraucherboykotts in den Siebzigerjahren besteht heute eine diffusere Bezie-hung zwischen Fragen des Lebensstils (was essen, was rauchen, was tragen) und der größeren Frage, wie der Weltkonzern – mit seiner Größe, seinem politischen Gewicht und seiner mangelnden Transparenz – die Weltwirtschaft umorgani-siert“ (Klein 2002: 350, vgl. auch 440f., 457, 515). Von einem tragfähigen Pro-jekt werden also allenfalls grobe Umrisse sichtbar.

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3.1 Politisierung des Konsums aus Sicht der Sozialkritik

Globalisierungskritiker wie Naomi Klein oder die Autoren des „Schwarzbuch Markenfirmen“ (Werner/Weiss 2003) stehen für eine Reaktivierung der Sozial-kritik an den Exklusions- und Verteilungswirkungen des flexiblen Kapitalismus und sehen sich hierbei in Kontinuität zu sozialen Bewegungen, die für soziale Gerechtigkeit, Frieden, Menschenrechte, kulturelle Toleranz, Demokratie und Ökologie kämpfen. Sie sehen in der Politisierung der Marken und des Konsums vor allem ein Mittel, um Aufmerksamkeit und politischen Einfluss zu gewinnen. Damit bleibt eine Verknüpfung zu Kritikansätzen, die einen anderen, neuen Konsum- und Lebensstil als Zweck propagieren, freilich in Reichweite. Wie Sozial- und Konsumkritik aber programmatisch genau zu verknüpfen sind und welche Richtung die Politisierung der Verbraucher einschlagen soll, bleibt un-terbestimmt und potenziell umstritten. Angesichts ungleicher Kaufkraftausstat-tungen hält sich beispielsweise das „Schwarzbuch Markenfirmen“ stärker als „No Logo!“ damit zurück, moralischen Druck auf Konsumentinnen und Konsu-menten auszuüben, ihren Konsum- und Lebensstil zu überdenken und nur noch die als ‚unbedenklich‘ ausgewiesenen Produkte zu kaufen (vgl. Werner/Weiss 2003: 14, 51). Gleichzeitig sind die Werner und Weiss aufgeschlossener für eine Politik mit dem Einkaufswagen, bei der die Verbraucher mit ihren Kaufentschei-dungen für das zivilgesellschaftliche Projekt tragend sind, wohingegen für Nao-mi Klein die Probleme des globalen Arbeitsmarktes „zu gewaltig“ sind, „als dass sie durch unsere Interessen als Konsumenten definiert – oder auf sie reduziert – werden könnten“ (Klein 2002: 439), weshalb „wir es noch einmal mit politischen Lösungen versuchen“ und unseren „Weg als mündige Staatsbürger suchen“ soll-ten (a.a.O. 2002: 456).5

Anhand dieser Unterschiede – hinsichtlich Art und Grad der Moralisierung des Konsums sowie der Bevorzugung politischer oder ökonomischer Handlungs-arenen – lassen sich weitere Positionen im Diskursfeld ausmachen, die dessen Konflikthaltigkeit deutlich erhöhen (vgl. Tab. 1). Eine liberale Haltung zu Fra-gen des Konsums legen etwa die Kanadier Joseph Heath und Andrew Potter an den Tag, die unter dem Titel „Konsumrebellen“ (2005; Original: The Rebel Sell, 2004) den „Mythos der Gegenkultur“ entlarven wollen und politisch ganz auf die

5 Als normativer Anker wird das Prinzip (lokaler) demokratischer Selbstbestimmung herausge-stellt, insbesondere dort, wo die Normsetzung – wie bei der Aufstellung ethischer Verhaltens-kodizes – von Unternehmen in Eigenregie ohne Beteiligung betroffener Arbeiterinnen und Ar-beiter vorgenommen wird (vgl. Klein 2002: 441-455).

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repräsentativ-demokratische Gestaltung von institutionellen Rahmenbedingun-gen für Märkte und Konsum setzen.6

Tabelle 1: Positionen der Sozialkritik im Diskursfeld des politisierten Konsums

Politisierung desKonsums:

Handlungsansatz und -arena:

Liberale Position Substanzielle Moralisierung

Staatsbürgerhandeln / Demokratie

StaatlicheInstitutionenpolitik(Heath/Potter)

Dezentral-partizipativeDemokratie (Klein)

Verbraucherhandeln / Markt

Erweiterung desRepertoires für Um-verteilungskämpfe(Werner/Weiss)

Nachhaltiger oder suffizienter Konsum (Pötter; Worldwatch Institute)

Die Neuauflage des alten Gegenkulturdenkens (vgl. Roszak 1973) machen sie überall dort aus, wo Verbraucher mit moralischen Appellen belagert werden, um sie zu einer Bewusstseinsveränderung und zur Umkehr in ihrem Alltagsverhalten zu bewegen. Gegen solche therapeutischen Interventionsformen hegen die Auto-ren eine tiefe Abneigung, weil sie gänzlich ungeeignet seien, kollektive Hand-lungsprobleme zu lösen, und mit ihrem symbolischen Radikalismus den Weg zu solchen Lösungen nur unnötig erschwerten (vgl. Heath/Potter 2005: 123). Auch werde in Verweigerungsritualen wie dem jährlich für den Tag nach Thanksgi-ving ausgerufenen internationalen „Buy-Nothing-Day“ ausgeblendet, dass Nicht-kaufen den Kapitalismus sowieso nicht schädigen kann, weil dann andere das zur Bank getragene Geld ausgeben (vgl. a.a.O.: 141). Ebenso kann sich manche Protestaktion schnell als egoistisch herausstellen, wenn das gute Gewissen der

6 Um Jugendliche vor den Folgen der Konsumkonkurrenz zu schützen, schlagen die Autoren z. B. vor, Schuluniformen zur Pflicht zu machen (vgl. Heath/Potter 2005: 202-229). Diese Maß-nahme richtet sich aber nicht gegen Märkte oder die Konsumkultur als solche, sondern nur ge-gen das Marktversagen in bestimmten Bereichen. Die gegenkulturelle Suche nach einer Ge-samtalternative gehe prinzipiell fehl und schwäche mit ihrem Ablehnungsgestus nur die politi-schen Institutionen, die zur Regelsetzung noch in der Lage wären (vgl. a.a.O.: 392-404): „Na-türlich steht nirgendwo geschrieben, dass der Staat die Folgen des Marktversagens allein korri-gieren soll. Er wird aber immer der wichtigste Akteur sein, einfach deshalb, weil er die Grund-struktur der Eigentumsrechte definiert und durchsetzt, die den Markt erst hervorbringen“ (a.a.O. 403, Hervorhebung weggelassen).

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Konsumenten Folgekosten erzeugt, die ausschließlich andere (z.B. Beschäftigte der boykottierten Betriebe) oder die Gemeinschaft zu tragen haben.

Angeregt durch die Untersuchung von Thomas Frank (1997; vgl. dazu den Beitrag von Doll in diesem Band) zu den Eroberungszügen des „Coolen“ in der Wirtschafts- und Marketingkultur seit den 1960er Jahren betrachten Heath und Potter (vgl. 2005: 15) die Ideale der Konsumrebellen vor allem als Ausdruck der sozialen Konkurrenz um angesehene Lebensstile und knappe Positionsgüter, die dem Konsumkapitalismus gerade hilft, laufend neue Moden und Märkte zu er-schließen.7 Von solchem Verdacht werden selbst jene nicht ausgenommen, die einen Bewusstseinswandel hin zum nachhaltigen Konsum forcieren wollen und für regional erzeugte Biolebensmittel, naturnahe und möglichst handgefertigte Produkte sowie Slow Food werben: Wer die entsprechende Infrastruktur in einer typischen nordamerikanischen oder europäischen Stadt suche, „wird zweifellos nur in den eleganteren Stadtteilen (vermutlich in Universitätsnähe) fündig. Man beginnt sich zu fragen, ob das umweltbewusste Verbraucherverhalten nur eine andere Form des rebellischen Konsumdenkens ist. Wie sind wir dahin gelangt, dass sich unsere gutwilligsten und umweltbewusstesten Bürger solch eine bla-sierte und genießerische Auffassung von sinnvollem politischem Handeln zuge-legt haben?“ (a.a.O.: 372).

Kontrastierend dazu hält Bernhard Pötter die Idee für berechtigt, vor allem die Verbraucher zu mehr Verantwortung und bürgerschaftlichem Engagement zu verpflichten: „Nachhaltiger Konsum kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten (Industrie, Politik, Verbraucher) zusammen daran arbeiten, neue Produkte und Verfahren zu entwickeln und lieb gewordene Gewohnheiten überdenken. Zieht man hier eine Zwischenbilanz, fällt sie für die Verbraucher nicht schmeichelhaft aus, denn in den letzten Jahrzehnten haben sich Industrie und Politik durchaus bewegt – der deutsche Verbraucher dagegen sehr selten“ (Pötter 2006: 15). Der Autor lastet die externen Folgekosten des durchschnittlichen Konsummusters westlicher Gesellschaften demnach in erster Linie den Konsumentinnen und

7 Die Autoren dechiffrieren z.B. Naomi Kleins (vgl. 2002: 12f.) einleitende Bemerkung zum Strukturverfall ihres Viertels in Toronto als Klage über den eingetretenen Distinktionsverlust. Lebte sie doch zwischen Resten der heimischen Bekleidungsindustrie in einer Gemeinschaft aus Künstlern und Individualisten, die nun der Exklusivität ihres Lebensstils beraubt würden: „Wenn man ein paar Jahre vorher sagte: ‚Ich wohne in einem Loft in King-Spadina‘, war das für jeden, der sie zu vernehmen wusste, eine klare Botschaft. Es besagte: ‚Ich bin cool. Cooler als du.‘ Aber wenn es ein Dutzend neuer Wohnanlagen gibt, wird das Signal vom allgemeinen Rauschen verschluckt. Woher sollen die Leute denn wissen, dass man in einer ‚richtigen‘ Fab-riketage wohnt und nicht bloß in einer dieser Yuppie-Etagen?“ (Heath/Potter 2005: 166). Es ist dieser gegenkulturelle Gestus, der die Autoren zweifeln lässt, ob sich Kleins Plädoyer für de-zentrale bürgerschaftliche Selbstorganisation von einfachen Markenboykotts und ethischen Einkaufsratgebern groß unterscheide (vgl. a.a.O.: 396-401).

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Konsumenten an, weil sie den innovativen Ansätzen in der Verbraucherpolitik zu wenig entgegenkämen. Solche Kosten werden etwa über den „ökologischen Fußabdruck“ eines bestimmten Mobilitätsmusters bezifferbar, dessen Verallge-meinerung die Ökosysteme kollabieren ließe, oder die Ausgaben für westliche Luxuskonsumgüter (Make-up, Eiskrem) werden Äquivalenten gegenübergestellt, mit denen sich weltweit Grundbedürfnisse befriedigen ließen (vgl. Worldwatch Institute 2004: 48). Auch wenn politische Änderungen dieser Zustände prinzi-piell von verschiedenen Akteuren und Institutionen gemeinsam vorangebracht werden müssten (Governance), wird beim Verbraucher der größte Nachholbedarf gesehen, weshalb zivilgesellschaftliche „Consumer-Watch“-Organisationen zu-künftig mit intelligenten Werbekampagnen und durchaus provokativ auf solche Zusammenhänge und die fehlende Verantwortungsbereitschaft hinweisen sollten (vgl. Pötter 2006: 133-152).

Eine solche Politik der Verbraucheraktivierung, die den Appell an eine ge-wisse Verzichtbereitschaft mit positiv beworbenen sozial-ökologischenWerten verknüpfen will, soll zwar von der Zivilgesellschaft getragen werden, unterstützt damit aber auch einen ‚gouvernementalen‘ Regierungsstil, der den Staat durch Optimierung und Steigerung der Selbststeuerung der Subjekte in seiner Verant-wortung zu entlasten trachtet (vgl. Rose 2000). Diese Politisierung des Konsums durch den Appell an die bürgerschaftliche Verantwortung der Verbraucher er-folgt im Namen des moralischen Prinzips der Nachhaltigkeit, das ökologische, ökonomische und soziale Gemeinwohlgesichtspunkte umfasst. Aspekte der Künstlerkritik spielen demgegenüber kaum eine Rolle. Möglicherweise liegt aber genau darin auch die Erklärung, warum sich die Idee der Nachhaltigkeit bislang als kulturell schwer vermittelbar erweist (vgl. dazu auch Scherhorn/Weber 2002). Der Vorschlag, den Begriff „durch Wörter wie ‚Vernunft‘, ‚Verantwor-tung‘, ‚Gerechtigkeit‘, ‚Zukunft‘“ zu ersetzen (Pötter 2006: 135), ändert daran wenig, da solche Begriffe weitgehend dieselben moralischen Haltungen und Verstehensleistungen bei den Adressaten voraussetzten. Wie also würde sich eine politische Verbrauchermobilisierung aus Sicht der Künstlerkritik darstellen? Ich betrachte dazu im Folgenden Positionen, die sich im Namen kultureller Ent-faltungsmöglichkeiten mit dem expansiven Konsumismus auseinandersetzen.

3.2 Politisierung des Konsums aus Sicht der Künstlerkritik

Eine Variante der Künstlerkritik, die Konsumentinnen und Konsumenten adres-siert und z.B. den erwähnten „Buy-Nothing-Day“ eingeführt hat, findet sich im „Manifest der Anti-Werbung“ von Kalle Lasn (2005) repräsentiert, das sich für einen Angriff auf die Kommerzialisierung der Kultur im Konsumkapitalismus

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stark macht. Gewisse Anschlüsse an die Position des nachhaltigen Konsums ergeben sich hier schon durch die Analogie, die zwischen Ökosystem und Kultur hergestellt wird und welche die Argumentation weitgehend trägt: „Vor 15 Jahren machten sich die meisten von uns auch noch keine Gedanken über Chemikalien in Lebensmitteln oder über Schadstoffemissionen der Industrie. (…) Heute sind wir auf dem besten Weg, denselben Fehler noch einmal zu begehen, wenn es um die ‚mentale Umweltverschmutzung‘ geht“ (a.a.O.: 27). Es sei die mediale, vom Konsum bestimmte Kultur, die zum Abstumpfen der Fähigkeit führe, „Empathie zu empfinden, soziale Themen ernst zu nehmen und von Gräueltaten ergriffen zu sein“ (a.a.O.: 38). Wie ‚Schläfer‘ würden die Verbraucher „von Logos in Bewe-gung gesetzt“, ohne es zu merken (a.a.O.: 51), und zu Mitgliedern einer Konsu-mentensekte, denen jedes freie Denken abgewöhnt wurde (vgl. a.a.O.: 66). Diese Entwicklung soll dadurch umgekehrt werden, dass „Culture Jammer“ – das sind die selbsternannten Maschinenstürmer des Informationszeitalters – die Botschaf-ten der Markenkonzerne und der Medienindustrie mit den eigenen Mitteln der Werbung und des Marketing in einem „Guerillakrieg der Informationen“ (a.a.O.: 129) manipulieren und in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttern. Die Anti-Werbung richtet an die Konsumentinnen und Konsumenten die Aufforderung, aus dem Konsumterror auszusteigen, sich zu verweigern und anzufangen, ein anderes Leben zu führen, das in Vielem der Genügsamkeit und ethischen Ausrichtung eines nachhaltigen Lebensstils ähnelt (vgl. a.a.O.: 168-180).

Die Begründung dieser Politisierung des Konsums folgt einer Logik, die sich nicht auf Prinzipien der Linken, des Feminismus oder akademische Analy-sen zum Zustand des Ökosystems stützen will, gleichwohl aber auf die Verände-rung von Grundstrukturen des Gesellschaftssystems abzielt (vgl. a.a.O.: 122-128).8 Sie hält am Traum eines spontanen, authentischen Lebens fest, der durch die Konsumreligion bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt worden sei und den es nun wiederzuentdecken gelte, um auf den Trümmern der zerschlagenen Kom-merzkultur eine neue Kultur „mit einer nichtkommerziellen Seele“ (a.a.O. 14) zu errichten. Die Nähe des favorisierten gegenkulturellen Lebensstils zu den For-men eines nachhaltigen, suffizienten Konsums liegt im Falle von Lasn vor allem darin begründet, dass die Komposition aus Bio-Konsum, der Bewegung in freier Natur, der Unterstützung lokaler Tauschringe und regionaler Märkte sowie der spontanen Gegenwartsorientierung seiner Vorstellung vom authentischen Leben ungefähr entspricht. Aber kann die Kritik am kulturellen Kapitalismus in dieser romantischen Suchbewegung nach dem wahren, authentischen Leben noch einen

8 „Culture Jammer unterscheiden sich von Downshiftern. Sie wollen nicht nur selbst raus aus dem Hamsterrad des Konsums und mehr Zeit haben für ihre Kinder. Sie lehnen dieses Leben ab, weil sie das Gefühl haben, dass unsere Kultur eine erschreckende Fehlentwicklung durch-läuft, an der sie einfach nicht mehr teilnehmen wollen“ (Lasn 2005: 170).

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festen Grund finden? Oder handelt es sich bei der Authentizität selbst um einen Mythos, der maßgeblich vom Konsumkapitalismus befeuert wird, wie etwa Heath und Potter (2005: 308-346) mit Blick auf die boomende Tourismusbran-che oder die Konjunktur fernöstlicher Religionen und Therapieformen behaup-ten?

Dass diese Fragen umstritten sind, zeigt ein weiteres Beispiel aus dem Dis-kursfeld des politisierten Konsums: Judith Mair und Silke Becker (2005) nehmen die Position einer Künstlerkritik ein, die zwar in der Wahl der subversiven Mittel weitgehend den Strategien der Culture Jammer folgt, sich aber vom Ziel einer authentischen Gegenkultur radikal verabschiedet und eine „Taktik des So-tun-als-ob“, des „Fake for Real“ an ihre Stelle treten lässt. Die Autorinnen wissen um die Fallen gegenkultureller Attacken im kulturellen Kapitalismus: „Wer heute als Kritiker, Rebell, Querulant oder Störenfried von sich reden macht, muss damit rechnen, noch ehe er sich versieht, zum Impulsgeber und Ideenliefe-rant des Systems zu werden, gegen das er sich richtet“ (a.a.O.: 219). Dieses Schicksal hat auch die Culture Jammer ereilt, deren Methoden von den Werbe- und Marketingagenturen längst vereinnahmt worden sind. Anstatt sich dagegen jedoch zu wehren und weiterhin auf der Differenz von falscher Kommerzkultur und authentischem Leben zu beharren, spiele die wahre Subversion – im Stile Andy Warhols (vgl. dazu Müller in diesem Band) – mit der Ununterscheidbar-keit von Fake und Realität und irritiere Politik und Wirtschaft durch Taktiken der Unterwanderung: „Wo das Konforme sich rebellisch gibt und die Mächtigen sich um den Posten des Kritikers rangeln, muss das Nichtkonforme und Kritische lieb, nett und harmlos daherkommen“ (Mair/Becker 2005: 237).

Mit dieser Wendung wird der gegenkulturellen Künstlerkritik ein politi-sches Betätigungsfeld erhalten, auf dem sich nun all die enttäuschten „Bobos“ („bourgeoise bohemien“) ausleben dürften, die ihr Künstlerdasein ökonomischen Zwängen zur Selbstvermarktung verdankten und im Laufe der Zeit ein feines Gespür für die semiotischen Codes der Marketing- und Werbewelt ausgebildet hätten. Angesichts der Dominanz von Zeichen, Symbolen, Marken und Images, die im kulturellen Kapitalismus zum geschlossenen System geformt würden, sei diese Variante der Aufstörung der Konsumkultur anderen Modellen politischer Einflussnahme vorzuziehen.9 Unverkennbar steht hinter diesem Kritikansatz eine

9 Man müsse die Frage stellen, „ob Politik heute noch der richtige Platz ist, um politisch zu sein – also um gesellschaftlich, sozial und wirtschaftlich Einfluss auszuüben“ (Mair/Becker 2005: 114). Der herkömmlichen Politik von Parteien, Interessengruppen und Bewegungen fehle es an Attraktivität. Zudem reduzierten die medialen Inszenierungen Politik in der ‚Ökonomie der Aufmerksamkeit‘ auf vermarktbare Unterhaltung, ihre Trägergruppen auf ein poliertes Image und die Bürger auf Politik-Konsumenten, deren Aufbegehren sich mangels Adressaten auf das Privatuniversum als einzig verbliebenem Handlungsraum zurückziehen müsse (vgl. a.a.O.: 48-67). Das Modell eines Bürgerengagements von Verbrauchern wird dabei zurückgewiesen: „Der

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postmoderne Theorie, für die Macht- und Gewaltverhältnisse maßgeblich durch symbolische Ordnungen getragen werden und Emanzipation nur darin bestehen kann, die kulturellen Regeln sozialer Schließung zu entlarven. Wie die philoso-phische Methode der Dekonstruktion lehrt, muss eine solche Strategie der sub-versiven, irritierenden Kritik von Diskurswelten darauf verzichten, sich auf ein positives Bild vom guten Leben zu beziehen, weil sich alle normativen Stand-punkte stets innerhalb der Zeichensysteme und Sprachspiele bewegen. Das dürf-te der Grund sein, warum die Autorinnen eine Künstlerkritik, die sich suchend auf authentische Lebensformen bezieht, rundherum ablehnen und als verlogenes Spiel entlarven wollen. Authentizität werde im gegenwärtigen Kapitalismus mit besonderer Sorgfalt auf allen Ebenen und insbesondere in den Medien (z.B. Big Brother) inszeniert und tauge daher am wenigsten zum Ankerpunkt gegenkultu-reller Kritik (vgl. Maier/Becker 2005: 29-35). An diese Stelle tritt das Lob der Künstlichkeit und des „So-tun-als-ob“, weil es die Subjekte eher dazu befähige, sich von den Symbolwelten der Ökonomie, der Marken und des Konsums zu emanzipieren.

Tabelle 2: Positionen der Künstlerkritik im Diskursfeld des politisierten Konsums

NormativerBezugspunkt:

StrategischerAnsatzpunkt:

Inauthentizität Authentizität

Strukturen der Werbe- und Kulturindustrie

Subversive Strategie des so-tun-als-ob(Mair/Becker)

Culture Jamming (Lasn)

Kultur derLebensführung; Takti-ken des Alltags

Konsumismus (Bolz) Handwerk der Bürgerexistenz (Bau-man; Sennett; Taylor)

Konsumaktivismus ist nicht mehr als eine politische Randsportart unter der Flagge ‚Unser Ka-pitalismus soll schöner werden‘. (…) Wer mehr will als Lippenstifte ohne Tierversuche, keine von Kinderhänden zusammengeflickten Turnschuhe und Eier von freilaufenden Hühnern, ist hier schlecht aufgehoben. Radikaler Widerstand und fundamentale Kritik sind nicht gewünscht und wirtschafts- oder gesellschaftspolitische Fragestellungen, die sich nicht in konsumierbaren Produkten oder Dienstleistungen niederschlagen, bleiben per se außen vor“ (a.a.O.: 198).

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Dem Gegensatz zwischen den beiden bisher betrachteten Positionen der Künst-lerkritik, die sich auf Normen der Authentizität berufen bzw. solche gerade zu-rückweisen, lassen sich Hinweise auf eine weitere Unterscheidungsdimension im Diskursfeld des politisierten Konsums entnehmen, wenn man die Frage verfolgt, warum der Gegenkultur ihr Richtungsbewusstsein abhanden gekommen ist (vgl. Tab. 2). Beide Varianten setzen, weil sie den kulturellen Kapitalismus über die institutionellen Grundstrukturen der Werbe- und Kulturindustrie verändern wol-len, ihre Stellungnahmen zum Problem der Authentizität bzw. Inauthentizität auf einer sehr allgemeinen Ebene, also zu hoch und zu abstrakt an. Es stellt sich demnach das Problem, inwiefern die kulturellen Kämpfe der Künstlerkritik ihre ästhetischen Standpunkte überhaupt zu ethischen oder moralischen Leitbildern verallgemeinern, diese normativ rechtfertigen und gesellschaftlich verankern können. Diese Frage legt zunächst einen Perspektivenwechsel auf die Praktiken und Lebensführungsmuster der Konsumentinnen selbst nahe: Wie viel Authenti-zität im kulturellen Kapitalismus möglich ist, hängt auch von den Handelnden selbst ab, davon nämlich, was sie unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedin-gungen aus ihrem Leben machen, welche Schranken ihre Kultur gegen die Impe-rative und Zumutungen der Werbung und des Marketing errichtet und inwiefern sie damit ihrerseits die Ökonomie unter Anpassungsdruck setzen. Relativiert man die strikte Gleichsetzung von Konsumkultur und Inauthentizität (vgl. Illouz 2003) und blickt stärker auf die verschiedenen Praktiken und Taktiken der Verbraucher (vgl. de Certeau 1988), beim Gebrauch von Waren und im Umgang mit kommerziellen Zeichenwelten ihre Alltagsprobleme zu bearbeiten, sich ihrer Handlungsautonomie zu versichern und einen Selbstentwurf zu behaupten, dann gewinnt das Diskursfeld im Rahmen der Künstlerkritik Varianten hinzu, die das Politische mit Blick auf die konsumkulturell vermittelten Alltagskompetenzen verorten (vgl. den Beitrag von Hitzler/Pfadenhauer in diesem Band).

Die Fronten verlaufen hier zwischen solchen Positionen, die das Politische in der westlichen Kultur des Massenkonsums weitgehend optimal verankert sehen, weil darin übersteigerte Erwartungen an die Authentizität des eigenen Lebens und somit z.B. fanatische religiöse Neigungen gebannt seien, wie Nor-bert Bolz (2002) im „konsumistischen Manifest“ argumentiert (vgl. kritisch dazu Lamla 2005c: 295-298). Die Verbraucher würden aus rationalen Interessen her-aus eine Kultur der Sorge und des zivilen Umgangs hervorbringen, wohingegen Überforderungen mit bürgerschaftlichen Partizipationsidealen gerade die Kon-flikthaltigkeit des Zusammenlebens erhöhten. Dem stehen Positionen gegenüber, die den Verlust der kulturellen Fähigkeit beklagen, zwischen bürgerschaftlichem Engagement in öffentlichen Räumen und der Verfolgung privater Angelegenhei-ten Grenzen zu ziehen. Zygmunt Bauman (2003: 49) sieht etwa durch die Fit-nesskultur der Konsumenten die Autonomie des Handelns massiv bedroht, weil

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die Öffentlichkeit dermaßen mit privaten Sorgen kolonisiert werde, dass jede Politisierung von Wertfragen an Partikularinteressen flüchtiger Gemeinschaften hängen bleiben müsse. Das einzige, was dagegen helfe, sei die „Wiederbelebung des in Vergessenheit geratenen Handwerks der Bürgerexistenz“ (a.a.O.: 54). Ähnlich beobachtet Richard Sennett, der diese „Tyrannei der Intimität“ schon länger beklagt, eine Abkopplung der Fähigkeiten zur persönlichen Veränderung von der kulturellen Beherrschung des Bürgerhandwerks (vgl. Sennett 2005: 125-140). Dieses „Abgleiten in den Subjektivismus“ prägt nun nach Charles Taylor das konsumistische Verständnis von Authentizität in unserer modernen Kultur. Diese lebe damit allerdings „nach einem Ideal (…), das nicht vollständig begrif-fen wird und das, wenn man es richtig verstünde, viele ihrer Praktiken in Frage stellen würde“ (Taylor 1995: 66).

Betrachtet man die verschiedenen Diskurspositionen der Politisierung des Kon-sums zusammen, treten einige der Schwierigkeiten hervor, im Bürgerengage-ment von Verbrauchern Brücken zwischen Künstler- und Sozialkritik zu schla-gen und so die politische Rolle der Zivilgesellschaft gegenüber der Wirtschaft zu stärken. Besonders die zuletzt angeführten Positionen (Bauman, Sennett, Taylor) sehen in einer Politik der Lebensführung (Life-Politics), die sich in den Bahnen eines individualistischen Verbraucherhandelns ausgehend von existenziellen Problemstellungen an der Differenz von Authentizität und Inauthentizität abar-beitet, einen wesentlichen Grund für die gegenwärtige Blockade emanzipatori-scher Politikansätze, die sich dem Abbau struktureller Ungleichheiten, Unter-drückungsverhältnisse und Ausbeutungsbeziehungen widmen (vgl. zu dieser Unterscheidung Giddens 1991: 209-231). Das hängt mit den strukturellen Wi-derständen der konsumistischen Kultur (Bolz) zusammen, darin noch ein starkes ethisches Fundament zu verankern, das den weitgehend richtungslosen, vor-nehmlich destruktiven gegenkulturellen Angriffen auf die institutionellen Struk-turen der Kulturindustrie (Lasn, Mair/Becker) Bodenhaftung und Überzeugungs-kraft sichern könnte (vgl. Prisching 2006: 261-296 sowie die verschiedenen Positionen in Koslowski/Priddat 2006). Ebenso wenig lässt sich die Sozialkritik aber jenseits des Individualismus und Konsumismus erneuern, solange die kapi-talistische Kultur des Westens durch diese Orientierungen geprägt ist: Neue Kritikstrategien entwickeln sich stets in Auseinandersetzung mit den institutiona-lisierten Legitimations- und Deutungsmustern.10 Das erklärt, warum Postulierun-

10 Die „neue soziale Frage“ kann ihre Kraft nicht allein aus dem Vorhandensein sozialer Rand- und Exklusionslagen beziehen, sondern wird wesentlich aus einer „Zone der Verwundbarkeit“ zwischen den Zonen der Integration und der sozialen Abkopplung gespeist, in der soziale An-erkennung mit materiellen und kulturellen Konsumfähigkeiten eng verknüpft ist (vgl. Vogel 2005 im Anschluss an Robert Castel 2000).

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gen eines nachhaltigen Konsum- und Lebensstils weitgehend kraftlos und wenig anschlussfähig sind, obgleich sich vom Urteilsstandpunkt globaler Gerechtigkeit und ökologischer Vernunft aus betrachtet viele Gründe für eine kollektive Empö-rung finden (Pötter; vgl. auch Lamla 2003b). Stur an den institutionellen Lö-sungsansätzen der rechtstaatlichen Demokratie festzuhalten, deren Schwächung durch die kulturellen Entwicklungen beklagt wird (Heath/Potter), hilft da freilich noch weniger als die Beschwörung einer neuen Bewegung, die zwar kaum be-gründen kann, wie und warum sie Künstler- und Sozialkritik zu einem Projekt verschmelzen will (Werner/Weiss, Klein; ähnlich auch Hertz 2001), aber mit dieser Behauptung immerhin die Krisenkonstellation der Zivilgesellschaft intui-tiv erfasst.

4 Ausblick: Wege von der politischen Kritik zu einer zeitgemäßen Ethik des Konsums

Offenbar lässt sich also die kollektive Macht der Konsumentinnen und Konsu-menten nicht so leicht zu einer „scharfen Waffe“ (Beck 2003: 51) formen und organisieren, weil die Problemhorizonte der Kritik am kulturellen Kapitalismus im kulturellen Kapitalismus schwer zu integrieren sind. Die Forschung zu sozia-len Bewegungen spricht vom „frame-bridging“, wo zwei unabhängige Kritik- und Argumentationsmuster so viel Kongruenz aufweisen, dass sie im Diskurs relativ leicht zusammengeführt und sich wechselseitig verstärken können (vgl. Snow et al. 1986: 467). Boltanski und Chiapello sehen demgegenüber zwischen Künstler- und Sozialkritik Spannungen angelegt, die maßgeblich für die Entste-hung von in sich relativ geschlossenen, untereinander weitgehend inkongruenten Rechtfertigungsmustern in der Geschichte des kapitalistischen Geistes sind (vgl. 2003: 176-185, 257). Wird die Brücke allein im gemeinsamen Nenner der ver-schiedenen Positionen gesucht, würde sie wahrscheinlich die Gestalt einer zahn-losen, konsumistischen Weltverbesserungsideologie annehmen: „We are what we do“ heißt beispielsweise eine selbsternannte neue Bewegung aus Großbritan-nien, die mit dem Slogan „Change the World for a Fiver“ einfache Tipps für ein Leben bereithält, das zumindest das Gefühl vermittelt, etwas Gutes zu bewirken. Die angebliche Mobilisierungskraft wird an den hohen Auflagenzahlen ihres hübschen Ratgebers bemessen, dessen Kauf freilich wenig über das tatsächliche politische oder soziale Engagement seiner Käuferinnen und Käufer auszusagen vermag (vgl. Harvey/Robinson 2006).

Ein eher steiniger Weg der Kritik besteht darin, die strukturellen Machtver-hältnisse und sozialen und kulturellen Prozesse, die das komplexe gesellschaftli-che Beziehungsgefüge im globalen Kapitalismus konstituieren, gedanklich so

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weit durchzuarbeiten, bis Zusammenhänge sichtbar werden zwischen sozialen Ungerechtigkeitserfahrungen und dem Unbehagen am Konsumismus mit seinen Mythen der Authentizität. Ein solcher Weg muss freilich unterstellen, dass die verschiedenen „Empörungsquellen“ im Gegenwartskapitalismus immerhin so eng zusammenhängen, dass ihre kritische Rekonstruktion auch tatsächlich Linien ihrer Konvergenz aufdecken kann. Sonst werden die Elemente der Ethik des Konsums reichlich unverbunden nebeneinander stehen bleiben. Und dieses Prob-lem lässt sich auch nicht dadurch umgehen, dass Zusammenhänge im Rahmen einer postkonventionellen Prinzipienmoral einfach konstruiert werden (vgl. Cor-tina 2006). Denn erst die Verankerung in den empirischen Quellen der Empö-rung vermag die Motivationsprobleme aufzulösen, mit denen kognitivistische Verantwortungsethiken ihre Schwierigkeiten haben. Es stellt sich also die Frage, ob stärker rekonstruktiv verfahrende Ansätze zur Begründung einer Ethik des Konsums tragfähige Übergänge zwischen Sozial- und Künstlerkritik aufzeigen.

Wichtige Ansatzpunkte für eine sozialkritische Ethik des Konsums liefert das „social connection model“ von Iris Marion Young (2006), das als Referenz-beispiel den Protest von Anti-Sweatshop-Aktivisten gegen soziale Ungerechtig-keiten, Ausbeutungsbeziehungen und Menschenrechtsverletzungen in der Be-kleidungsindustrie wählt (vgl. zu diesem Beispiel auch Baringhorst in diesem Band). Soziale Verantwortlichkeiten werden in diesem Ansatz nicht als allge-meine Bürgerpflichten ausbuchstabiert, sondern gestuft nach dem institutionellen und materiellen Vermögen an Macht und Einfluss gefordert, das den sozialen Positionen verschiedener Akteure in dem komplexen Beziehungsnetzwerk der globalen Gesellschaft entspricht. Die Argumentation setzt an den strukturellen Zusammenhängen und Prozessen an, die der Figuration von ungerechten Ver-tragspraktiken und Ausbeutungsbeziehungen zugrunde liegen, wie sie exempla-risch an der Bekleidungsindustrie abgelesen werden, und postuliert „that all agents who contribute by their actions to the structural processes that produce injustice have responsibilities to work to remedy these injustices“ (Young 2006: 102f.).

Interessant ist nun, welche Verantwortlichkeiten daraus für die Käuferinnen und Käufer von Kleidung oder Turnschuhen gefolgert werden, die manchen Aktivisten als Mitverursacher sozialer Ausbeutung gelten, wohingegen andere solche Kritik für überzogen halten, weil Verbraucher und Händler nicht die Zu-stände in den Produktionsbetrieben bestimmten. Young verweist hier auf die strukturellen Prozesse, die soziale Relationen über raumzeitliche Distanzen hin-weg konstituieren.11 Sie umschifft auf diese Weise die Reduktion auf einfache Verursacherprinzipien, an deren Stelle verteilte Verantwortlichkeiten treten, und

11 Young argumentiert hier vor allem mit Rückgriff auf die Theorie der Strukturierung von An-thony Giddens (1992; vgl. dazu Lamla 2003a: 45-82).