Upload
mammut-sports-group
View
216
Download
2
Embed Size (px)
DESCRIPTION
Jubiläumsbuch 150 Jahre Mammut - Leseprobe 'Ein langer gemeinsamer Weg von Robert Bösch
Citation preview
Die Ansprüche an das Bildmaterial nahmen Schritt für Schritt
zu. Albert Wenk beauftragte mich, zwei starke Oberländer Klette-
rer in den Wendenstöcken zu fotografieren. Heinz und Ueli Bühler
hatten, von Mammut mit Material ausgerüstet, die Route «Bat-
man» erstbegangen, damals eine der schwierigsten Freikletterrou-
ten in diesem anspruchsvollen Klettergebiet. Wir kletterten die
Route, installierten Fixseile, und am nächsten Tag fotografierte ich
die beiden – ein Aufwand, den man bis anhin lediglich für Bilder
nicht auf sich nahm. Zunehmend wurden auch Shootings im be-
nachbarten Ausland durchgeführt. Noch in bester Erinnerung sind
mir zwei Fotoaufträge mit dem damals von Mammut gesponserten
französischen Spitzenkletterer Alain Robert in der Verdonschlucht.
Es ging um Seile: Ein riesiger Run-out und ein Mega-Sturz waren
die gewünschten Vorgaben. Alain Robert, den ich davor schon oft
bei wilden Free Solos fotografiert hatte und der für mich der Wahn-
sinnigste ist, der mir je über den Weg lief, war genau der richtige
Mann dafür. Die Aktion war haarsträubend und chaotisch – aber
am Schluss waren die Bilder im Kasten.
In den folgenden Jahren versuchte ich die Ansprüche, die man
an Fotos aus Felskletterrouten stellte, auch in die grossen kombi-
nierten Nordwände zu übertragen. Die Lauper-Route und später die
Heckmair-Route am Eiger waren Stationen in dieser Entwicklung.
Was damals Neuland war, ist heute eine Selbstverständlichkeit.
Inzwischen habe ich an keinem Ort so oft fotografiert und gefilmt
wie in der Eiger-Nordwand, in vielen weiteren Routen («Spit verdo-
nesque», «Deep Blue Sea», «Le Chant du Cygne», «The Young Spi-
der», «Pilz», «Paciencia»), mit den verschiedensten Leuten (Hansi
Kessler, Oswald Oelz, Kobi Reichen, Ueli Bühler, Robert und Danie-
la Jasper, Stephan Siegrist, Roger Schäli, Peter Schäffler, Marco
Büchel, Röbi Koller, Chäppi Ochsner, Ralf Dujmovits, Evelyne Bin-
sack, Hansruedi Gertsch, Thomas Kohler, Robi Marti, Bernhard
Russi, Heinz Müller und Ueli Steck). In den verschiedensten Vari-
anten: Als Bergsteiger bin ich etliche Routen geklettert, im Sommer
und im Winter. Als Fotograf habe ich unterschiedliche «Techniken»
angewendet: Ich habemich vomHeli per Longline in der Spinne ab-
setzen lassen, bin aus dem Stollenloch in die Wand gestiegen oder
an Fixseilen 800 Höhenmeter zum Spinnenbein hochgestiegen, ich
bin vom Wandfuss bis zum Ersten Eisfeld hinauf- oder vom Gipfel
zu den Ausstiegsrissen hinuntergeklettert. Manchmal von einem
zusätzlichen Partner gesichert, oft aber auch nur zu zweit undmeist
ungesichert. Manchmal relativ relaxed bei angenehmen Tempera-
turen und guten Verhältnissen, aber auch bei 100 Stundenkilome-
ter Sturm und 20 Minusgraden ums Überleben kämpfend.
Und dann, im November 2010, das «X»: das Mammut-X für
«X-trem» im Gipfeleisfeld der Eiger-Nordwand. Nicht das gefähr-
lichste, aber das aufwendigste Nordwand-Fotoprojekt. In einem
gewissen Sinn war die gesamte von Gabriel Peisker, einem der bei-
den Gründer der Agentur erdmannpeisker, ausgedachte Test-
kampagne der Höhepunkt einer langen Entwicklung. Ich war froh,
inzwischen auf eine mehr als 20-jährige Erfahrung zurückgreifen zu
können, denn diese brauchte ich in jeder Beziehung, um den An-
forderungen gewachsen zu sein. Fotografisches Know-how war
genauso gefragt wie eine sehr gute Kenntnis der alpinen Locations
und das Wissen um das alpinistisch Machbare. Jedes einzelne Su-
jet bedeutete einen enormen Aufwand. Der eigentliche Shooting-
Tag war jeweils nur die Spitze des berühmten Eisbergs – und für
mich natürlich immer eine ziemliche Nervenprobe: Error was no
option. Dabei profitierte ich nicht nur von meinen Erfahrungen als
Fotograf und Bergsteiger, sondern auch von meinen guten Kon-
takten zu vielen hervorragenden Bergsteigern, Bergführern und
Heli-Piloten, die mit ihrem grossen Wissen und Können und der
Bereitschaft, auch erhebliche Verantwortung auf sich zu nehmen,
letztlich der Schlüssel waren, dass diese spannende Kampagne
überhaupt realisiert werden konnte.
Dass man jemals so viel Aufwand und Kosten in ein Bergsport-
Fotoprojekt stecken würde, hätte ich vor 20 Jahren, als ich mit
Albert Wenk und Kim Carrigan loszog, nicht nur nicht geträumt,
es wäre schlicht undenkbar gewesen. Aber wer hätte damals ge-
dacht, dass die Mammut einmal das sein wird, was sie heute ist!
einer meiner ersten richtigen Fotoaufträge, entsprechend nervös
war ich. Damals war kein aufwendiges Shooting angesagt, es
genügte, ein paar Meter neben der Strasse Model Kim im Vorder-
grund mit dem Steingletscher im Hintergrund zu positionieren.
Danach wurde es schon aufwendiger: Kletteraufnahmen mit dem
britischen Topkletterer Martin Atkinson am Tour d’Aï oberhalb von
Leysin (der Fotograf blieb aus Zeitgründen auf dem Boden), dann
Zeltaufnahmen am Rand eines Walliser Weinbergs (nicht sichtbar)
mit verschneiten Bergen im Hintergrund (sichtbar). Oder, oberhalb
von Grindelwald und unterhalb der Scheideggwetterhorn-Nord-
wand (unweit der Strasse), Bekleidungsaufnahmenmit Yves Remy.
Yves war eigentlich als Kletterer von Mammut gesponsert, aber ein
bisschen wandern konnte er auch. Dass wir das leise Rumpeln
hoch über uns nicht sofort ernst nahmen – eine tief hängende
Wolkendecke verhinderte den Blick zum Gletscherabbruch 1000
Meter höher –, wurde uns beinahe zum Verhängnis: Als die Eisla-
wine amWandfuss aufschlug und eine gewaltige Schnee- und Eis-
mauer auf uns zuschoss, unterbrachen wir unsere Fotoarbeiten
ziemlich Hals über Kopf, rannten Richtung Strasse und warfen uns
im letzten Moment mit einem Hechtsprung in einen Bachlauf. Die
Schneemassen rasten über uns hinweg, unser Auto, 500 Meter
vom Wandfuss entfernt, wurde auf der Bergseite komplett zu-
gekleistert. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass es bei einem
Shooting knapp wurde.
Ende der Siebzigerjahre war Mammut eine reine One-Man-Show:
Mammut, das war Albert Wenk. Benötigte man für eine geplante
Expedition Fixseile, hatte man ein defektes Steigeisen oder wollte
man sich über die Sohle eines Kletterschuhs informieren, wendete
man sich an Albert Wenk. Er wusste alles und bemühte sich um
alles. Ich kannte ihn aus der Zeit, als ich, sozusagen am Beginn
meiner «Bergsteigerkarriere», in der kleinen Werkstatt des Zürcher
Bergsportgeschäfts Eiselin zusammen mit Walti Müller, dem Frei-
kletterpionier der Schweiz, Ski präparierte. Hatte ein Kunde Pro-
bleme mit der Ausrüstung, die weder Walti Müller noch Filialleiter
Emil Schär lösen konnten, war klar, wen man anrief: Albert Wenk.
Etliche Jahre später hatte ich wieder mit Albert Wenk zu tun, als
ich oft mit Martin Scheel kletterte. Martin war einer der wichtigsten
Erschliesser alpiner Felsrouten und wurde von Mammut, also von
Albert Wenk, mit Material unterstützt. Als Martin und ich 1986 die
Route «Hannibals Alptraum» im Rätikon erstbegingen, wäre keiner
von uns auf die Idee gekommen, nochmals in die Wand zu gehen,
um zu fotografieren, obwohl es für die damalige Zeit eine ausser-
gewöhnliche Route war und Mammut uns dafür mit Material aus-
gerüstet hatte. Wir hatten während der Erstbegehung ein paar Bil-
der geschossen – aber die kennt man ja, diese vom Standplatz aus
aufgenommenen Fotos. Aus keinem von Martins grossartigen
Kletter-Highlights – unter anderem «Freetrip», «Supertramp», «Amar-
cord» – gab es vernünftiges Bildmaterial. Es war eine andere Zeit.
Die sich aber in den folgenden Jahren rasant ändern sollte.
Freeclimbing, Gleitschirmfliegen, Mountainbiken, Snowboar-
den: Neue Sportarten wurden «erfunden» und belebten die Szene.
Der Outdoor-Sport war geboren. Und damit der Outdoor-Markt.
Die sogenannten Action-, Extrem- oder Adrenalinsportarten waren
nicht nur für die Aktiven spannend und interessant, sondern auch
für die Medien. Eine wirkungsvolle Symbiose begann sich zu ent-
wickeln: Outdoor-Branche, Sportler undMedien wirkten wunderbar
zusammen. Zunehmend waren Bilder von diesen neuen Abenteu-
ersportarten gefragt. Es begann eine äusserst spannende Zeit für
uns Fotografen – ursprünglich vielleicht gerade eine Handvoll im
deutschsprachigen Raum –, wir entdeckten, dass es fotografisch
noch viel zu entdecken gab. Immer mehr hervorragende Sportler
liessen sich auf das Sponsoring ein und waren damit auf Publizität
angewiesen. Die Bilder wurden besser, damit auch die Ansprüche
an das Bildmaterial. Alle mussten mitziehen. Auch Mammut.
Mit Albert Wenk und dem australischen Spitzenkletterer Kim
Carrigan, der für einige Jahre in der Schweiz für Mammut arbeite-
te, fuhr ich Ende der 1980er-Jahre zum Sustenpass, um die neue-
sten Mammut-Jacken und -Rucksäcke zu fotografieren. Es war
EIN LANGER GEMEINSAMER WEGRobert Bösch l Alpen/Schweiz
76