Jung Stilling-Szenen Aus Dem Geisterreich

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  • 8/14/2019 Jung Stilling-Szenen Aus Dem Geisterreich

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    Jung-Stilling - Szenen aus dem Geisterreich

    Wir mssen alle vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit ein jederdas, was er sich in seinem irdischen Leben erworben hat, auch empfangen mge,es mag dann gut oder bse sein. 2. Cor. 5. V. 10.

    Erste SzeneDas groe Erwachen

    Hanon, Pelon, Avith und Azuriel

    Hanon. Mein Erwachen ist furchtbar oder ein Traum? Welch eine ernste Stille;schweigende Dmmerung in dieser endlosen Weite! Dort ber dem fernenGebirge ein sanftes Licht, gleich dem Erstlinge des Maimorgens. Gott, welcheine feierliche Ruhe! Nirgends Leben und Odem, kein Regen, kein Bewegen!Alles ducht mir blo Schatten zu sein; ich walle einher wie auf einemWolkenboden, unter mir keine Erde mehr, ber mir kein Gestirn, kein sanfterMondstrahl! Ich allein in dieser schauerlichen Wste! Wie ist mir? Ich schwebeleicht weg, wie Nebel auf dem Fittich des Windes, sanft schweb' ich hin, erhebe

    mich, sinke, nach dem leisesten Winke meines Willens. - Mein trger Krper istnicht mehr! - Ist das Trumen, so hab' ich noch nie in so hohem, deutlichemBewutsein getrumt! Allmchtiger Gott! Nein, ich trume nicht - es ist meinErwachen zum ewigen Leben.1) Sie standen um mein Bette, die Geliebten, undweinten. Ach, jetzt erinnere ich mich meines ganzen Lebens. Das war also dashochgepriesene Erdenleben, das groe Menschenglck! Wo sind sie nunhingeschwunden, die holden Tage des Genusses, die frohen Stunden im Schoeder Freude und Wohllebens. Meine durchlebten sechzig Jahre sind nur einSchattenspiel; alles ist hin, alles verschwunden, und nun stehe ich da imunendlichen Leeren, auf dem groen entscheidenden Punkte meines Daseins;was wird nun aus meinen zurckgelassenen Geliebten, nur zrtlicheRckerinnerung; auch sie werden den Traum bald ausgetrumt haben! Ichberschaue mein Leben, ich sehe eine ungeheure Menge Mngel undGebrechen; dagegen ist des vollbrachten Guten sehr wenig, und doch wohnt inmeinem Innern tiefer Friede, Friede der Wehmut. Vater der Geister, vollendemeine Geliebten, und erbarme dich mein! - Du wirst ja doch hier ebensoallgegenwrtig sein, als in dem bunten, rauschenden Gebude, das ich verlassenhabe! - Wie einsam! - Ich mu Wesen suchen, denen ich mich mitteilen kann;vielleicht finde ich sie dort in der Gegend des ewigen Morgens! Ha, wie

    erquickend ist's hier! Strkende Khlung, Maienluft suselt aus diesem ewigenOsten; welch' ein sanftes Licht! - Gott, ich werde verklrt! Ich fange an zu

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    schimmern; mein Wesen zieht das Licht an, ich ahne Seligkeit! Aber welcheMenge wandelt dort unten im Schattengefilde, am Fue des Gebirges! Ich muhin! Ohne Gesellschaft gibt's keine Seligkeit.(Er nhert sich einem einsam fr sich wandelnden Geiste.)

    Friede sei mit dir, mein Bruder! Wer bist du?Pelon. Mein Name ist Pelon.

    Ich bin mir selbst verborgen,Und kenne mich noch nicht!Doch dieses merk' ich zwar,Ich bin nicht wie ich war.Indessen fhl' ich wohl.Ich bin nicht, wie ich soll.

    Hanon. Dir fehlt nur die erste Zeile dieser Strophe, sie heit: "Erleucht mich, Herr, mein Licht!" 2) Und siehe, wie dieses Licht ber jene Schattenhgelherstrahlt!Pelon. Mir ist's eben, als wenn mich das Licht nichts anginge. Im sehe, da essich in dir spiegelt; du schimmerst wie Silberflor durch einen weien Nebel,oder wie ehemals der Vollmond durch Lmmerwolken; aber sieh, wie dunkelich bin!

    Hanon. Was warst du denn im vergangenen Leben? Entdecke dich mir, meinlieber Pelon!

    Pelon. Ich war ein Arzt, meine Erziehung war gut, ich begriff die Grundstzeder Religion. Nein, ich begriff sie nicht, ich lernte sie nur, aber ich glaubte sie,und wandelte untadelhaft; nun kam ich auf die hohe Schule, ich las Schriften,die mir das Ziel verrckten; kurz, ich ward ein Zweifler, ich bin's noch.

    Hanon. Woran zweifelst du denn?Pelon. Erst an der Wahrheit der christlichen Religion, nachher auch am DaseinGottes. an der Unsterblichkeit und an der Freiheit der menschlichenHandlungen; endlich ward ich ein vollendeter Determinist! 3)

    Hanon. Und an dem allen zweifelst du noch? - Bist vielleicht auch jetzt noch einDeterminist?Pelon. Ja, leider!

    Hanon. Zweifelst du denn auch an der Unsterblichkeit?Pelon. Ja, ja, an der Unsterblichkeit.

    Hanon. Aber du warst ja gestorben und siehe, du lebst wieder!Pelon. Wei ich denn, wie lange auch dieses Leben dauert? Sind wir derVernichtung nicht nher gekommen, als wir im vergangenen Leben waren? Wasist denn die Welt, worin wir jetzt sind? - Ein bloer Schatten; hier keimt keinHlmchen unter unseren Fen. Alles ist schwarzgraues Dunkel, eineunaussprechliche Aussicht nach allen Seiten! Nenne, was du willst, wenn es nur

    ein Etwas, eine Mglichkeit vom Etwas ist, so findest du es hier nicht; hierwrdest du den Schritt der Ksmilbe und das Odemholen des Infusionstierchens

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    hren, wenn's in dieser Welt lebte. Wie nahe sind wir hier nicht derVernichtung! Noch einen Schritt, und wir sind nicht mehr.4)

    Hanon. Armer Pelon ! Ich glaube und hoffe. dein Zweifel werde sich bald inunaussprechliche und frohe Gewiheit auflsen. Blieb dir aber das ewige und

    unvernderliche Gesetz der Liebe Gottes und des Nchsten immer heilig?Pelon. Ja, und ich suchte es nach allen Krften zu erfllen.Hanon. Du warst also tugendhaft? - Wrdest du dich also freuen, wenn diechristliche Religion in ihrem ganzen Umfange wahr wre?Pelon. Ja, unaussprechlich! 5)

    Hanon. Pelon! Du fngst an zu schimmern!Pelon. Groer Gott! Ich empfinde es, und ich fhle das entfernte Wehen derBeruhigung! Ich ahne dunkel und harre des groen Aufschlusses. Aber wer bistdu denn?

    Hanon. Ich heie Hanon und war Ratsherr in einer kleinen Stach; ich ernhrtemich und die Meinigen durch einen kleinen Kramhandel.Pelon. Du hast also nie gezweifelt? .

    Hanon. Nein! Ich hrte viel von Aufklrung und von Bchern, aus denen mansie lernen knne; allein ich gab immer auf die aufgeklrten Leute acht und dafand ich denn, da sie weniger wuten als ich, und auch viel weniger Gutestaten, als ein braver, gemeiner Mann, der nicht so aufgeklrt war; mir fiel danndie groe Wahrheit ein:,.An ihren Frchten sollt ihr sieerkennen!" 6)Pelon. OHanon, wie glcklich bist du nun!

    Hanon. Ich hoffe, wir werden beide selig und glcklich werden. Aber bist duschon lange hier?Pelon. Das wei ich nicht; hier ist keine Sonne, kein Mond, berhaupt keinZeitma, folglich auch keine Zeit; wenn ich aber nach der Menge meineraufeinander folgenden inneren Vorstellungen urteilen soll, so bin im schon einegeraume Zeit hier.

    Hanon. Hast du dich denn noch nie dort dem Lichte genhert?Pelon. O ja, mehrmals, aber je nher im komme, desto bengstigter werde ich;es wird mir als einem Lebenden, der nicht mehr zu Odem kommen kann.

    Hanon. Hast du denn noch nie in dieser endlosen Weite umhergestreift?Pelon. Ich habe mit der Schnelle des Sturmwindes ungeheure Weitendurchstrichen; aber es ist allenthalben gerade so wie hier; dort Gebirge, darbersanftes Licht und vor dem Gebirge Millionen Menschenseelen, die desAusgangs harren!

    Hanon. Sind denn, so lange du hier bist, noch keine Menschenseelen aus dieserDmmerung zum Licht hinbergegangen?Pelon. O ja, sehr oft. Von Zeit zu Zeit schweben von furchtbarer Majesttstrahlende Frsten vom Gebirge herber; diese sammeln ein HeerMenschengeister um sich und schwingen sich mit ihnen hinber. Viele werden

    auch in den endlosen Raum weggehaucht oder vielmehr hingeblitzt; einSchauspiel, das einem noch lebenden Erdensohne das Blut in den Adern starren

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    machen wrde. Die meisten aber bleiben hier im Reiche der Schatten und desHarrens.

    Hanon. Du hast wohl viele Geister gesprochen und manches von ihnenerfahren?

    Pelon. O ja, doch weniger als man denken sollte; ich habe mit mir selber so vielzu tun, da ich mich um andere wenig bekmmern kann, und so geht's hier wohljedem.7)Hanon. Gott, wir befinden uns hier auf einem erstaunlich wichtigen und hchstmerkwrdigen Standpunkte; was wird noch aus uns werden? - Da nhert sichuns jemand. Sieh, Pelon, seine Gestalt wird grer, er sieht schrecklich aus. Werbist du?

    Avith. Es kommt euch nicht zu, zu fragen, wer ich bin.8)

    Hanon. Verarmter Geist, du verbirgst dich vergebens, der Hauch um dich her

    strmt Tod und Verwesung aus.Avith (indem er sich zu einer ungeheuren Gre ausdehnt.) Rede mit Achtung zueinem Manne, den sein Frst ber Tausende gesetzt hatte, die er in seinemNamen regierte. 9)Pelon. Der aber nicht mehr Achtung verdient, als nach dem Verhltnisse, wie erregierte.

    Avith (indem er sich schrecklich nhert, aber in der Berhrung wie von einemelektrischen Schlage getroffen. zurckfhrt.) So etwas darfst du mir sagen - mir- vor dessen Blick sich alles voller Erfurcht beugte, wohin ich ihn nur wandte?

    Hanon. Und den nun das bloe Berhren von zwei gemeinen Menschengeisternzurckblitzt.

    Avith. Ist das Gerechtigkeit? - Der Ewige bestimmt durch seine VorsehungFamilien oder auch einzelne Mnner zu Rang und Ansehen; in ihrem Leben willer, da sie die gemeinen Volksklassen an seiner Stelle regieren sollen; nach demTode aber lohnt er ihnen dafr mit Qual und Verachtung.

    Hanon. Gewi denen nicht, die, wie er, mit Weisheit und Gte Millionenglcklich machten.Pelon. Sieh,Hanon, wer fhrt da im Strahlengewande das Gebirge herab? .

    Hanon. Groer Gott! - Welche Majestt! - Mchte man doch gleich in den Staubkriechen und anbeten! - Welche armselige Goldkfer-Herrlichkeit war derhchste Glanz des Erdenlebens gegen diese! - Sieh, unser Gesellschafter willsich entfernen, aber er klebt am Boden. er ist wie gelhmt und kann nicht fort.Pelon. Der Arme! Aber siehe, Hanon, den Wolkenwagen des Lichtfrsten,blendend blaulicht-wei, wie hellpoliertes Silber, in dem sich ein sanfter,heiterer Morgenhimmel spiegelt, und untenher wallender Purpur im goldenenNebel. Sieh', wie er steht und einherzieht! Sein Gewand ist ruhender Blitz. seineHaarlocken Abendgewlke, wenn die Sonne heiter untergegangen. Sein

    Angesicht - seine ganze Person - O wie weit ber jede griechische Gttergestalterhaben! Aber er nhert sich uns!

    Hanon. Vater des Lichts, erbarme dich unser!

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    Azuriel (zu Avith). Enthlle dich!(Azuriel schwebt vor sie hin, er steht da in hoher Majestt - und nachdem er alle drei mit himmlischer Gteangeblickt hat, und Avith sich bestrebt zu entfliehen, aber nicht kann, fhrt ein Lichtstrahl von Azuriel auf denarmen Geist, in welchem er zu einem kleinen Zwerg zusammenschrumpft.)

    Pelon. Hanon, sieh' welch' eine blutige Rolle sich aus ihm hin ins Leereentwickelt! Sieh', wie Flammenschrift ber sie hinlodert, als wenn sie mitPhosphorus beschrieben wre. Gott, welche Greueltaten mit lebendigen Farbengemalt! 10)

    Hanon. O, wenn doch die Erdenkinder einmal ein solches Schauspiel zu sehenbekmen! Gott sei uns gndig!

    Azuriel (schleudert einen Blitz auf Avith und spricht): Fahre hin und leide Peinim ewigen Verderben, fern vom Angesicht des Herrn und seiner herrlichenMacht!

    Pelon. Sahst du,Hanon, in welch' eine ungeheure Gestalt er verwandelt wurde,als er hinfuhr?

    Hanon. Ich sah es, Pelon. Den Anblick ertrge kein Sterblicher.

    Azuriel (zu Pelon). Enthlle dich! - Du hast viel geliebt, Pelon; aber blo umdein selbst, nicht um des Herrn willen. Geniee den Lohn deiner Werke, aberdenErhabenen kannst du nicht schauen.

    Azuriel (zuHanon). Enthlle dich! Du hast viel geglaubt, aber weniger geliebt.Du wirst Ihn sehen und dich freuen; doch mut du dem Geringsten seinerFreunde dienen. 11)

    Hanon. Herr, dein Urteil ist gerecht; gern will im Trhter sein, wenn ich Ihnnur sehe.Pelon. Auch ich fhle, da du recht richtest; aber ach, werde ich denn nie zurGewiheit kommen?

    Azuriel. Du mut von vorne anfangen zu lernen, wie die Kinder, und dann wirdsich's zeigen, ob das sanfte Licht der Weisheit deine arme Finsternis erhellenkann. - Folgt mir zum Orte Eurer Bestimmung!

    Hanon (auf der Hhe des Gebirges). Gott, welch ein schner Morgen, welcheine paradiesische Gegend! Herr, hier ist's gut sein.

    Azuriel. Das ist das Reich des Unterrichts, wo die frh gestorbenen Kinder unddie gut gearteten Zweifler zum Dienste des Reiches Gottes erzogen werden. Hierregieren lauter Mnner, die in ihrem Erdenleben sich durch vortrefflicheErziehungsanstalten verdient gemacht, und die guten Hausmtter, die dort ihreKinder zu guten Erd- und Himmelsbrgern erzogen haben, glnzen hier inkniglicher Herrlichkeit und setzen ihre Lieblingsgeschfte, aber in himmlischerWrde und Seligkeit, fort. Mancher arme Dorfschulmeister herrscht hier dieEwigkeit ber Millionen und mancher Salomo in aller seiner Herrlichkeit ist nurein Bettler gegen ihn.12)Pelon. Ach, mein Herr, vielleicht werde ich in diesem Reiche meinen Aufenthaltfinden!

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    Azuriel. Ja, Pelon. Siehst du dort auf jenem fernen Hgel die rtlichschimmernde Burg?Pelon. Ja, mein Herr, ich sehe sie; so eine prchtige Wohnung hatte nie einErdenknig oder -Kaiser.

    Azuriel. Dort regiert ber diese Gegend ein Freund von mir; wir waren ehemalsLehrer der Religion und Kollegen auf der Erde; wir lebten schon damals invertrauter Freundschaft.

    Hanon und Pelon (zugleich). Wie, - bist du auch ein Mensch gewesen?Azuriel. Jawohl, meine Brder. Wundert euch das? - Der gute Mensch ist nochzu weit greren Dingen bestimmt, als ihr mich verrichten seht.13) Jetzt gehe hin,Pelon, zu meinem Freunde; der wird dir sagen, was du tun sollst. Du aber,Hanon, folge mir weiter.

    Hanon. Werd' ich dann hinter jenem Gebirge die Quelle des Lichts sehen?Azuriel. Jetzt sind wir auf der Hhe; siehst du sie nun?Hanon. Vor diesem Anblicke schwindet jede Vorstellung von Herrlichkeit undman mu unsterblich sein, ihn zu ertragen.

    Azuriel. Und doch ist dies noch das Anschauen des Herrn nicht, sondern nur derAbglanz seiner Wohnung.

    Hanon. Und diese unendliche Weite voll unaussprechlicher Schnheit. - Werahnet so etwas im armseligen Erdenleben?!

    Azuriel. Hier ist das Reich des Lichts; im Reiche der Herrlichkeit ist es nochweit schner. Komm, Hanon, zu deiner Bestimmung.

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    Die Nachfolgenden Erluterungen zu dieser "ersten Szene im Geisterreich" sindzum grten Teil von Stilling selber nachgefgt. Nur einige wenige neueHinweise dienen dazu, dem Menschen von Heute das Geschildertenahezubringen.

    Wir sehen hier klar, wie eine Seele ihren Eintritt in die Welt des Geistigenvollzieht. Sie tritt -in diesem Falle -sofort nach dem erfolgten leiblichen Tod"hinber".Die allererste Reaktion ist Schreck, ein wenig Furcht und ganz zaghaft dasGefhl. jetzt anders geworden zu sein.Allerdings kann diese abgeschiedene Seele sehr kurz nach ihrem Austritt ausdem Krper die jenseitige Daseinssphre erfassen. Aber sie sehnt sich nachanderen. denen sie sich mitteilen kann. Das Alleinsein in dieser unendlichenWeite bedrngt die bisher auf Erden lebende doch noch.

    Dieser Wunsch erfllt sich sofort. Die ihr Begegnende allerdings kann sichebenfalls - sofort - von ihr - als der christlich Bewuteren - fhren lassen. Diese.erste Hilfeleistung im Jenseits, weist dem anderen Ich den Weg und zwar zuBeginn nur durch die Vollendung eines Gesangverses, den die schon im Jenseitsbefindliche Seele nicht voll erfat hat.Daraus ist zu entnehmen, da wir mit dem verstandesgemen Auswendiglernenvon Gesngen, Gebeten und den Lehren unseres Heilandes das Rstwerk fr dieJenseitswelt erhalten. Hier ist ein Schlssel zum Reiche Gottes.

    1) Dieses bekannte Kirchenlied: Erleucht mich, Herr, mein Licht etc. hat dergottselige Prediger in Duisburg Theodorus Untereyk, im Anfange desverflossenen Jahrhunderts verfertigt; es schildert den Zustand einer Seele, die inden Wehen der neuen Geburt gepret wird, vortrefflich.Seltsam muten uns die aus dem Hebrischen bernommenen Namen der Geisteran. Stilling erklrt es folgendermaen:2) Um alle Mideutungen zu vermeiden, die bei diesem Buche so leicht mglichsind. whlte ich hebrische Namen. Ich habe durchaus nirgends Personen,sondern nur Sachen im Auge.Das nun stattfindende Gesprch zwischen den bei den entkrperten Seelen zeigt

    seltsamerweise, da der Hinzugekommene mehr als der schon hier Lebendewei. Wiederum ein Beweis, da wir Menschen so von hinnen gehen. wie wirhier gelebt haben. Es drfte fr uns zum Ansporn werden, doch mehr von derLehre des Christentums in unserem Denken aufzunehmen und durchzuarbeiten.Es ist interessant, da StiIling, der doch selber Arzt - und zwar ein bekannterStaroperateur - gewesen ist, dem Arzt die Rolle des Zweiflers zuschiebt. Undnoch etwas: das, was er nun den Geistern in den Mund legt, ist es nicht auchheute noch oft die Folge unserer Zweifelsucht, da wir - abgefallen vom rechtenChristenglauben -nichts besseres haben, ohne uns zu der rechten Erkenntnis

    zurckwenden zu knnen?

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    Hier also ist Stillings Gedankenweise schon nicht mehr zeitgem. Sie ist sowenig zeitbedingt gewesen, da sie nun fr uns - nach ber 200 Jahren -verstndlich und aufschlureich werden kann, wenn wir Ohren haben, umdamit zu hren".

    3) Dies ist der Weg, den die Vernunft im Forschen geht, wenn sie die Quelle derWahrheit in sich selbst und in der sinnlichen Natur sucht; sie kann aber auchnicht anders, solange sie den Fall Adams und ihre daher entstehende eigeneVerdorbenheit nicht kennt. Wre das menschliche Geschlecht noch in seinemanerschaffenen Zustande, so wre dies der einzige Weg zur Wahrheit, sie fndealsdann Gott, Unsterblichkeit und Freiheit in sich selbst, jetzt findet sie dasGegenteil.4) Man merke hier wohl die Sprache des Zweiflers! - Sein Charakter besteht nuneinmal darinnen. da er zweifelt - auch dann noch zweifelt, wenn er schon sieht

    und hrt: denn er knnte ja getuscht werden. Nur der wahre Glaubeunterscheidet das Gewisse und Ungewisse, er allein wei, was wahr und wasfalsch ist. Es ist ein Glck fr Pelon, da er nicht gern zweifelte.Es ist seltsam, da Stilling bei den ersten Regungen der erwachenden SeelePelons sagt, da sein verklrter Leib nun "zu schimmern beginnt, da er fhltwie Etwas in ihm anders, schner und befreiter wird."Ebenfalls ist der Gedanke trstlich, da nicht die Gelehrten, sondern vielleichtnoch mehr die "unverbildeten" im Reiche Gottes die Wissenden sein knnen,wenn sie im Geiste und Gebote des Herrn genau so zu handeln vermochten, wieHanon.5) Bei dieser Stelle bitte ich jeden Zweifler, Neologen und christlichen Nicht-Christen ernstlich und herzlich sich zu prfen und sich selbst gewissenhaftebenso zu fragen; kann er mit voller berzeugung mit Pelon ja sagen, so istnoch Hoffnung fr ihn, findet er aber das Gegenteil, so erbarme sich seiner dieewige Liebe, sonst ist er unausbleiblich verloren.6) Ach. wenn doch alle Rezensenten der Menschen und der Bcher bei demPrfen auf diesen Punkt merkten. Da mu doch wahrlich Wahrheit sein, wo mandie Frchte der Wahrheit mit eigenen Augen sieht.Und jetzt wird Pelon zum Wegweiser fr den Neuhinzugekommenen. Unendlichaufschlureich aber ist das Hinzukommen von Avith und das sich entwickelndeGesprch, in dem der Leser lernen kann, wie der Mensch die irdischen Gtereinsetzen mu, um ber ihnen der himmlischen teilhaftig werden zu knnen.7) Im Hades hrt die Neugierde auf - da sehnt sich jeder nach seinerBestimmung -der Fromme mchte gern ber die Berge hinber, und derGottlose schaudert im Warten der Dinge, die da kommen sollen. AnNaturstudium der Geisterwelt wird selten gedacht.

    8) Man bemerke hier den wahren Charakter des Satans.

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    9) Mchten sich doch viele Statthalter, Minister und Beamte an dem Schicksaledes armen Aviths spiegeln, und den Adel- und Dienststolz nicht mit hinber indie Ewigkeit nehmen - dort gilt er nichts!Welches der hier niedergeschriebenen Worte entsprche wohl nicht in

    irgendeiner Form unserem heutigen Denken und Streben?10) Ach htte doch mancher Volksquler in diese Flammenschrift schauenknnen, indessen, was wrde es helfen? - Der Satan wird durch Furcht undSchrecken nicht gebessert, sondern Demut und Liebe sind die Mittel zurErlsung aller gefallenen Geister.Auch unsere Generation wird einmal das ernten, was sie geset hat inUnglauben, Verblendung und dem bewuten Abwenden von dem Erlser.Warum also fragen wir Menschen so oft Warum?"

    11) Hatte doch auch Hanon vorhin von Frchten geredet, an denen man den

    Christen erkennen msse. Einem reichen Manne wirds schwer, die Mittel zutreffen, und es ist bel, wenn Gott ber seine Wohltaten Buch hlt - hier hatteHanon einigermaen gefehlt. Alles verlassen und ihm nachfolgen, ist nochimmer das Sicherste. - Aber, lieber Gott! Fr den Reichen ist das ein schweresStck Arbeit, darum kommts auch so leicht mit ihnen zum Darben und soschwer zum Aufnehmen in die ewigen Htten.Gilt dies nicht besonders fr die Eltern. Wieviele Eltern, die allzu jung diePflicht, eine Seele zurck zu Gott fhren, auf sich nahmen, sind selbst noch soerde gebunden, so sinnenweltlich denkend, da es fr sie unmglich ist, einKind im rechten Glauben, mit dem Hinblick auf das ewige und nicht zeitlicheDasein zu lenken.12) Prfe dich, Erzieher oder Erzieherin, fr wen du erziehst? - Fr Christum? -Fr die Welt? - Fr deine Ehre und fr deinen Beutel? - Horche scharf auf dieleise Stimme des Gewissens, so kannst du schon ahnen, was dir einst derrichtende Heilige sagen wird.Heilige? Sollten wir nicht alle nur noch dahinstreben, einmal so geheilt von denVersuchungen des Erdenlebens zu sein, da wir als Geheilte vom Erbfluch,Heilige werden durften?18) Dies grndet sich auf die Verheiung, da die Heiligen die Welt richtenwerden.

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    Zweite Szene.

    (Im Reiche des Unterrichts oder im Kinderreiche.)

    Die NaturforscherTimeus, Zalmon, ]eriel, Alima und Zuriel.

    Timeus. So schn auch dieses Land ist, so bietet es doch dem Naturforscherkeine Gelegenheit dar, seine Kenntnisse zu erweitern. Ich mchte mir so gernein den Nebenstunden ein Mineralkabinett sammeln, aber dazu komm ich nicht.Meint ihr denn, ich htte bisher eine Spur von Metallen oder Steinartengefunden? - Wenn ich zuweilen etwas Besonderes entdeckt zu haben glaubte, soverschwindet es mir in der Hand und vergeht wie ein Nebel, bevor ich seinenCharakter nach Kronstdt oder Kirchwan untersuchen kann.

    Zalmon. Gerade so geht's mir mit den Pflanzen; Hier kenne ich nicht eineeinzige. Ich habe das ganze Linnesche System durchdacht und alles, was ich hiersah, damit verglichen; allein das pat alles nicht; und was noch dasVerdrielichste ist, immer blhen neue Arten hervor - will man eine Pflanzebeobachten und man besieht sie, um einige Charakterzge an ihr zu bemerken,

    und man kommt nach einiger Zeit wieder auf die Stelle, so ist eine ganz andereda; oft breche ich eine Blume ab, aber sie verdampft mir in der Hand, sie scheintein geistiges, mit Empfindung begabtes Wesen zu sein; ans Aufbewahren ist hiernicht zu denken. O, es ist schade, denn die Schnheit der Farben und derGestalten geht ber alle Vorstellung!

    Alima. Ach, ich bin noch weit bler daran; so lange ich hier bin, habe ichInsekten gesucht, aber nicht ein Kferchen, kein Wrmchen, nicht einmal einenSchmetterling habe ich gefunden. Oft sehe ich aus Lichtfarben gebildete Wesenber die Fluren hinziehen, die bald auf einer Blume ruhen, bald safranfarbene

    Wlkchen um sich her sammeln und dann sanft in die Hhe steigen und wiedersinken, als wenn sie ihrem Schpfer ein Fest feierten; aber an das Fangen istnicht zu denken; was wrde es mir aber auch helfen? Spiritus vini hat man hiernicht, und wer wei, ob sich diese Tiere darin aufbewahren lassen?Timeus. Es geht uns dreien auf einerlei Weise. In meinem ehemaligen Lebendachte ich mir die Sache ganz anders; ich glaubte, es sei Menschenpflicht, dieWerke des Schpfers und aus diesen Ihn selbst kennen zu lernen; und da dochalle Geschpfe einen Nutzen haben, so stelle ich mir vor, es sei gut, dessenNutzen zu erforschen, um damit dem Nebenmenschen dienen zu knnen.2)

    Zalmon. Gerade das waren auch meine Gedanken. Zudem glaubte ich immer,die Kenntnisse, die man auf der untersten Stufe des Daseins sammelte, wrden

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    fr alle kommenden onen Grundkenntnisse bleiben, auf die man alle folgendenbauen knne.

    Alima. Ich stellte mir das Nmliche vor; ich glaubte, alle Geschpfe auf der Erdeseien ebenfalls auf der ersten Stufe, sie wrden ihrem Grundwesen nach bleiben

    und nur auf jeder Stufe vollkommener werden. Dann behauptete ich immer: derMensch sei in Ewigkeit und auf allen Stufen bestimmt, die Werke Gottes zuerforschen und sich in seinen Wundern zu erfreuen.3)]eriel. Ich habe euer Gesprch gehrt, meine Brder, und es tut mir leid, da ihreure Seligkeit nicht empfindet; so geht's aber, wenn man Nebenzwecke zuHauptzwecken macht. Sagt mir doch einmal, welches ist der Hauptzweck euresganzen Daseins?Timeus. Ewige und immer steigende Glckseligkeit.]eriel. Sollte das wahr sein? - Fhlen wir nicht, da das Grundgesetz der Liebe

    unserem Wesen unzertrennlich eingeschaffen ist, welches darin besteht, zurVervollkommnung aller Wesen, aller Brger des Reiches Gottes, zu wirken?Jeder prfe sich tief, so wird er die Forderung seiner ganzen Natur an alle seineKrfte finden: "Was du wnschest, das dir andere tun sollen, das tue ihnen!"

    Zalmon. So hab' ich mir die Sache auch immer vorgestellt; der Mensch hat diePflicht, sich und andere zu vervollkommnen, das ist sein Endzweck; da nunVergngen und Glckseligkeit damit verbunden ist, ist ein freiesGnadengeschenk des Schpfers; nun glaubte ich aber, in der Untersuchung derNatur bestnde eben die Vervollkommnung des Menschen.4)

    Timeus. Das ist alles ganz richtig; mich dnkt aber, es laufe auf eins hinaus: sichvervollkommnen, um glcklich zu werden, oder: Glckseligkeit zu suchen, umsich zu vervollkommnen.]eriel. Nein, mein lieber Timeus, der Unterschied ist erstaunlich gro: Wirsollen uns, wenn wir die Sache genau nehmen, so wie sie in unserem Wesenliegt, nicht einmal deswegen vervollkommnen, um glckselig zu werden,sondern weil es unsere wesentliche Pflicht ist; der Glckseligkeitstrieb ist unsunvollkommenen Geschpfen blo deswegen gegeben, um uns bestndig zu

    jener hohen Bestimmung anzutreiben; je vollkommener wir aber werden, destoweniger darf das Vergngen der Beweggrund unseres Wirkens sein; dieser istimmer tiefes Gefhl unserer Pflicht. Je niedriger die Stufe ist, auf welcher wiruns befinden, desto niedriger und unlauter ist auch unser Vergngen oder derZustand unseres Vergngens, nmlich die Glckseligkeit. Wenn wir nun auf

    jeder Stufe das ihr eigene Glck zumZweck machen, so geht auch unsereVervollkommnung nicht weiter, sie schrnkt sich dann blo aufden Zustand ein,und im folgenden sind wir nicht zu Hause. Wir bleiben also auf der unterstenStufe stehen und erreichen unsere Bestimmung nicht. Seht, meine Brder, das istgerade euer Fall. Ihr machet auf der ersten Stufe die Naturforschung, weil sieeuch Vergngen brachte, zum Zweck, und die immer wachsende Fhigkeit,

    dieses Vergngen zu genieen, hie euch Vervollkommnung; nun habt ihr euchauf die vergangene Periode isoliert und seid also hier arm und nicht zu Hause.5)

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    Timeus. Gott, ich fhle tief, und die Erfahrung berzeugt mich, da du rechthast; aber was htten wir tun sollen?

    Jeriel. Studium der menschlichen Natur, und daraus hergeleitete grndlicheKenntnis aller Mittel zu ihrer wahren Vervollkommnung, wozu dann auch

    allerdings eine zweckmige Untersuchung der Naturprodukte und ihrer Krftegehrt, und dann Einsicht in die beste Methode; diese Mittel in jedem Falle undununterbrochen anzuwenden, dies ist die wahre Wissenschaft, die Jeder inseinem Fache verstehen und dann unablssig anwenden mu. Wer dieMenschheit und ihre immer steigende Veredlung zum Zweck seines Wissensund Wirkens macht, der findet seinen Gegenstand auf jeder Stufe wieder, undimmer wird dann die ihn umgebende Natur passend sein. Httet ihr also ineurem vergangenen Leben den Menschen zum Zweck eurem Naturforschunggemacht, so wrde er auch hier euer Zweck sein; ihr wrdet also auch jetzt erstseinen gegenwrtigen Zustand ergrnden, seine Eigenschaften und Bedrfnisseerkennen, und dann wrdet ihr mit staunendem Vergngen bemerken, wiezweckmig und wie reich auch diese gegenwrtige himmlische Natur an allenBefriedigungsmitteln seiner Bedrfnisse auf dieser zweiten Stufe ist. Ihr wrdetalso auch hier eine sinnliche Glckseligkeit genieen, die um ebensovielerhabener sein wrde, als dieses Leben und die Natur ber die vergangeneerhabener ist; aber auch diese Glckseligkeit drfte wieder nicht Zweck sein,sonst wrdet ihr auf der folgenden Stufe abermals verarmen. Es ist unbedingtePflicht zur Erfllung unserer Bestimmung, da wir alles nicht um Eigennutzes,sondern um der Liebe Gottes willen tun; denn man liebt Gott, wenn man sein

    uns angeschaffenes Gesetz nicht um des Vergngens willen, sondern aus Pflichterfllt.

    Zalmon. Das alles leuchtet mir nun vollkommen ein, und jeder mu es besondersin der Lage empfinden, in der wir jetzt sind. Aber sage uns, Freund, wie ist dennuns zu helfen? - Wren wir noch in unserem vergangenen Leben, so wte ichden Weg wohl: wir mten alsdann freiwillig unsere Anhnglichkeit an dieNatur, die nicht mit uns ins andere Leben bergeht, verleugnen, und unsererSeele die gehrige Richtung geben; aber alles das ist nun nicht mehr mglich!]eriel. Gott, die ewige Liebe, hat auf jeder Stufe Mittel, seine verirrten

    Menschen wieder zurecht zu bringen; aber je weiter sie fortrcken, destoschwerer wird es. Dort schwebt unser Frst Zuriel auf uns zu, der wird euchoffenbaren, was ihr zu tun habt.

    Zuriel. Dein Urteil, mein Bruder ]eriel, ist wahr; derErhabene hat es gehrt unddich zum Frsten ber ein groes Volk gesetzt; gehe in meine Wohnung, dortwirst du an den Tafeln im Tempel deine Bestimmung lesen. Ihr aber, Timeus,

    Zalmon und Alima, werdet von eurem Lichtgewande entkleidet, und solangeber das Gebirge gegen abend ins Schattenreich verwiesen, bis eure Seelen ganzvon ihrer Anhnglichkeit an die irdische Natur durch Hunger und Mangel

    gereinigt und ihr fhig geworden seid, hier eure Bestimmung zu erfllen. Ihrhabt nun aus Erfahrung gelernt, da der bloe gute Wille nicht allein seligmacht.6) Entfernt euch!

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    Timeus (im Schattenreiche). Gott, meine Brder, wie arm sind wir nun! Garkeine Natur, ewiges Dunkel, Totenstille um uns her! - Sagt, was sollen wir tun,um bald aus dieser schrecklichen Einde wieder erlst zu werden?

    Zalmon. Hier pflanz' ich mich hin und weiche nicht von der Stelle; dann will ich

    den ganzen Vorrat meiner Ideen, Kenntnisse und Begriffe von meiner Geburt anbis in den Tod einzeln, eins nach dem andern vornehmen und jedes, wie einUnkraut, auswurzeln und vor meinem Angesichte verdorren lassen, bis ichwieder so leer werde, als da ich auf die Welt kam.

    Alima. Das ist gewi der beste Rat fr uns alle drei.Timeus. Das glaub' ich auch. Lat uns daher dem Lichte so nahe rcken als wirsaushalten knnen, so werden wir jede von unseren Vorstellungen destodeutlicher erkennen; und da auch dies Unkraut das Licht und die Wrme desHimmels nicht ertragen kann, so wird es desto leichter verdorren und verwesen.

    Hierzu schreibt Stilling:

    1) Bei dieser Szene habe ich keineswegs den Zweck, das Studium der Naturgeschichte zutadeln, sondern nur den bermigen Hang zu dieser Wissenschaft zu rgen, wodurchmancher verleitet wird, ihr seine ganze Existenz zu widmen.

    Gerade diese Szene ist fr unser Jahrhundert recht wichtig, denn mehr als jemals vorher wirddas Verstandesdenken, das Forschen und Beweisen hher gestellt, als das Glauben undVertrauen in die allmchtige Kraft des lebendigen Gottes. Wie sehr gerade tuschen wir unsber den Gedanken an das Kommende hinweg, indem wir unsere Gedanken, unsereVerstandeskrfte nur noch fr das Greif- und Fabare einsetzen.

    Und dies drfte nicht sein, auch wenn die Menschen die gleiche Frage wie hier folgt stellen:2) Aber geschah dies denn, guter Timeus? So tuschen sich die meisten gutgesinnten Mnnerdieser Art.

    Ja, wir tuschen uns und stellen die Tuschungen, die der Verstand diktiert, allmhlich hherals das "Ahnen unserer Seele". Darum mssen auch wir noch Stillings folgende Worte auf unsbeziehen:

    3) Guter Gott, wenn doch die Menschen die so nahe liegende Wahrheit erkennen knnten.Lat die ewigliebende Erlsungsgnade erst euer Herz heiligen, und dann erforscht die Natur.So werdet ihr die gefundenen Kenntnisse auch gehrig zu benutzen wissen.Wollen wir?

    Nicht immer und auch dann nur recht mangelhaft, aber4) Die Vervollkommnung des Menschen fngt mit dem Willen an, dieser whlt dann hernachdiejenige Klasse von Kenntnissen, die seine wahre Vervollkommnung am meisten befrdern,und das sind immer solche, die am strksten aufs allgemeine Beste wirken.

    Wie wenig suchen und finden wir in unserem allzu aufgeklrten Zeitalter" noch wirklichVergngen" an dem Streben zu Gott und zur seelischen Vollendung. Und nicht nur, daMenschen, die in dieser Weise leben mchten verlacht werden, man feindet sie auch an, siehaben oft berufliche und materielle Schwierigkeiten aller Art durchzufechten, wenn sie sichoffen und freimtig zum Christentum in seiner wahren Gestalt bekennen. Und doch liegt

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    5) diese so streng scheinende, so oft bestrittene und doch ewig wahre Lehre, in demHauptpostulat: Wirke Gutes, nicht um deines Vergngens willen, sondern geniee so vielVergngen, als dir zum Guteswirken ntig und ntzlich ist.Wer nun in sich zur Klarheit gekommen ist, versteht aber auch das ewig Gesetzmige mehrund mehr. Er sagt sich, da

    6) dieses streng erscheinende Urteil in der Natur der Sache gegrndet ist: es mu durchausdahin kommen. da nur die erleuchtete Vernunft den Willen beherrscht. solang er noch irgendeiner Lust, die nicht jener Vernunft, oder, welches eins ist - dem Gewissen, untergeordnet ist,zu Gebote steht, solange ist man noch nicht geschickt zum Reiche Gottes. Erst mu der Willedas Gute ernstlich wollen; damit die Vernunft erleuchtet werden knne, wenn dies geschehenist, dann regiert sie den geheiligten Willen.Wenn man bedenkt, da dies vor zirka 200 Jahren geschrieben ist. mu man erneut einsehen,da es unvergngliche Wahrheiten gibt, die nicht zeit- und modegebunden sind. Und manerkennt, wie sehr es an der Zeit ist, sich mit dem knftigen Leben auseinanderzusetzen, umnicht durch die Irrungen und Wirrungen des falsch geschulten Denkens behindert zu sein.

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    Dritte Szene.

    (Im Reiche des Lichts.)

    Das frohe WiedersehenAramia. Nun schaue um dich her, mein Bruder Jahdiel (dieses ist dein neuerName). -Siehe die weite Gegend, so fern dein Auge trgt. - Sie ist dein neuesFrstentum. Die lasurnen Gebirge dort im weiten Kreise sind seine Grenzen.Siehe alle die sanften Hgel und flachen Tler mit allen Lufthainen undGefilden. - Sind nicht alle Lichtfarben der vergangenen Natur Finsternis gegendiese Herrlichkeit? Was war der Smaragd im Glanze der Sonne gegen diesegrnende Natur? - Brillanten und hellpoliertes Silber hingest, sind bloe

    Schatten gegen jenen Lebensstrom, der sich dort zwischen den Palmwldernhinschmiegt, alle Juwelen im Glanze des schnsten Morgens waren nichts gegendie Blumengefilde, ber welche du nun hinschwebst, ohne da sich die zartesteBlume unter deinem Futritte beugt. Sind hier nicht die unabsehbaren Alleenvon lauter Lebensbumen, in allen labyrinthischen Gngen, lauter Tempel vollerSchauer des Heiligtums, und ihr Grn schimmert wie im flssigen Golde! Unddieses ganze weite Gefilde durch und durch bewohnt und bentzt von vielentausenden deiner ehemaligen Mitbrder, von denen du viele kennen wirst - allegute und Menschen, deren Vervollkommnung nur von deiner weisenGesetzgebung abhngt. Dort auf dem erhabensten Hgel ruht deine Burg! -Wieglnzt sie in den Strahlen der Herrlichkeit Gottes! - dort ragt deines TempelsZinne ber alles empor, - ber dem Altar wirst du saphirne Tafeln schwebensehen, auf welchen du immer den Willen des Erhabenen mit goldenenLichtfarben ausgedruckt lesen und deine Gesetzgebung darnach einrichten wirst.Wie du glnzest! Du strahlst ja unaussprechlich einher, steigst und sinkst! -Dufeierst dem Ewigen, und ich feiere auch!

    Jahdiel. Fr meine Empfindung hat die Ewigkeit keine Worte, darum sprichtmein ganzes Wesen demutsvolle Feier! Aber sieh', du Verklrter, - sieh' jeneHerrlichkeit, die uns hier die Sonne tausendfach ersetzt, ihr Licht ist lauter

    Wahrheit, die ich ehemals glaubte, und ihre Wrme ist lauter Gte, die ichehemals liebte. Wie unaussprechlich! Ich sehe im weiten Kreise die Stadt Gottesund auf ihrer Hhe die Wohnung des Erhabenen, eine ganze Welt vollerUrschnheit! Ach, werde ich das alles nicht in der Nhe - nicht Ihn, denUnaussprechlichen, selbst sehen? -

    Aramia. Ja, du wirst Ihn - und in seiner Wohnung - oft sehen; - es gibt Zustnde(Zeiten darf man hier nicht sagen), in denen du vor Ihm erscheinen darfst; einsolcher Zustand ist das Hchste, was ein endliches Wesen empfinden, aber auchertragen kann.

    Jahdiel. Wenn doch die armen Sterblichen das alles wten.

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    Aramia (ffnet noch eine groe, weite, strahlende Halle.) Tritt auch hier herein,hier siehe deine frommen Vorfahren, sie kommen alle, dich zu umarmen,empfange die Herrlichen alle, sie werden deine Ratgeber sein.(Stumme himmlische Umarmung.)

    Alle. Wie unaussprechlich ist das, was Gott bereitet hat denen, die Ihn lieben! -Wir gehen in Seinen Tempel, Ihm ein geheiligtes Halleluja zu feiern.

    Dieses Kapitel enthllt dem Leser die Notwendigkeit der christlichen Lehre. Wir mssen unsber die wahren Eigenschaften des Gottessohnes klar sein, um hier auf Erden und dereinstdort in der "Ewigkeit eingeweiht zu sein. Stillings Auffassung von der belebenden Kraft desHeilands, die Er auf uns bertragen mchte, drckt sich sehr erkenntnisreich in den folgendenWorten aus:

    "Christus ist die Sonne der Geisterwelt, ihr Licht ist die Wahrheit, ihre Wrme, die

    Liebe, das Organ fr das Licht ist der Glaube, und fr diese Wrme das Herz."

    Wre es deshalb nicht - gerade fr uns - die hchste Zeit, Einkehr zu halten? Unsere Seele sozu bereinigen, da wir wenigstens die Wahrheit ber das Jenseits, seine vielen Stufen undAbstufungen ertragen knnen? Damit, da wir das gttliche Land verstandlich bis ins letzteerfassen wollen, ist es nicht getan, hier kann letzten Endes nur der bedingungslose Glaubehelfen, denn allein durch den Glauben gelangen wir zu der echten Verbindung, werden wirnicht von dunklen Zwischenmchten gefangen gehalten und drfen die Herrlichkeit desVaters schauen.

    Wir wissen doch:

    "Der Zustand des reinen Herzens ist derjenige, in dem man Gott schaut." Darum sindund bleiben die "selig, die nicht sehen und doch glauben." Joh. 20, 29.Es ist aber nicht nur der Eintritt in die reine Jenseitswelt, die sich diesem Entkrperten ffnet.Etwas uns Menschen noch kstlicher Erscheinendes ist die zu erwartende Vereinigung mitunseren Lieben. Dies drfte sogar wenig glubigen Menschen, ja sogar einemausgesprochenen Materialisten begehrenswert und - glaubwrdig erscheinen, denn es gibtwohl keinen Lebenden, der nicht eine Seele hat, mit der er einmal im Jenseits vereint seinmchte, mit der zusammen er - fr sich und sie -eine Wohnung im Hause des allgtigenVaters ersehnt.

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    Vierte Szene.

    Die Hlle

    Adriel und Mahlon (im Reiche des Lichts).

    Adriel. Du weit doch, da ich im Reiche der Finsternis gewesen bin?Mahlon. Ich hrte, da ein gewisser Ilai von dort ins Kinderreich bergefhrtworden, vielleicht bist du sein Fhrer gewesen?

    Adriel. Ja, und ich freute mich des Auftrages unaussprechlich, denn ich kannteihn in seinem Erdenleben, und seine Verdammnis, so gerecht sie auch war,betrbte mich sehr.

    Mahlon. Erzhle mir doch seine Geschichte, mein Bruder!

    Adriel. Sehr gerne. Die Gerechtigkeit des Allerhchsten und seineunaussprechliche Liebe wird unsere Freude erhhen und wir werden uns durchdiese Erzhlung eine hohe und heilige Feier bereiten. Siehe, wie dort ein Kreishimmelhoher Bume purpurne Schatten ber ein blumichtes Grn hinstreut?Dort ruhen wir so lange und ich erzhle.

    Mahlon. Hier ist's schauerlich schn, ernste Stille um uns her, lieber Adriel Ichbin aufmerksam.

    Adriel. Ilai war der Sohn eines frommen Brgers zu Wallental; seine Elternerzogen ihn nach der gewhnlichen Art; er wurde in Schulen und Kirchen zur

    Erkenntnis der Religion geleitet; in seinem vterlichen Hause sah er das guteBeispiel eines christlichen Wandels, und jede Unart wurde durch Warnen,Ermahnen und Bestrafen bekmpft.

    Mahlon. Dein Ausdruck: nach der gewhlichen Art, scheint mir doch zu sagen,da es bei den Eltern am ernstlichen Ringen, Wachen und Beten fr ihr Kindgefehlt haben mag.

    Adriel. Du hast recht geurteilt, Lieber, es blieb bei der gewhnlichen christlichenErziehung; daher wuchs bei dem Knaben das Unkraut strker als der Weizen, sowie er grer wurde, so nahm auch die Menge seiner sinnlichen Bedrfnisse zu.Zuweilen hatte er wohl fromme Anwandlungen von Rckkehr, von Besserungund Ernst, recht gut und fromm zu werden; allein bei der ersten Gelegenheitzum Genu schwanden alle diese hinweg. Er wurde also immer sinnlicher,immer entfernter von unserer himmlischen Natur, ohne deswegen nach demBegriffe der Menschen lasterhaft zu sein; sie hielten ihn im Gegenteil fr einenbraven, ordentlichen und ehrlichen Mann.1)

    Mahlon. Bei meinen Gesandtschaften auf die Erde habe ich bemerkt, da es derMenschen von dieser Gesinnung am meisten gibt; und daher kommt auch ebendie starke Bevlkerung des Reichs der Finsternis: denn wie kann ein solchesWesen zur Brgerschaft des Reiches Gottes geschickt sein.2)

    Adriel. Du hast recht, Mahlon, so hab' ich's auch gefunden. Das Leben des Ilaiflo so wie gewhnlich dahin, er war ein guter Brger, ein Hausvater ohne

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    Menschentadel und ein uerlicher Freund der Religionsgebruche; er tat nichtsnamhaft Bses, aber auch ebensowenig wirklich Gutes, und der Vorstze zurwahren Besserung wurden immer weniger. Endlich rckte die Zeit seinesAbschieds heran; er bekam die Auszehrung und merkte bald, da seine Stunde

    nun nahe sei: jetzt nahm er seine Zuflucht zu seinem Religionslehrer; anstatt danun dieser Mann noch jetzt auf die grndliche Erkenntnis der Beschaffenheitseiner sittlichen Natur und ihrer gnzlichen Unfhigkeit zum Reiche Gottes httedringen und ihn zur wahren Selbsterkenntnis htte fhren sollen, wodurch derunberwindliche Vorsatz wrde entstanden sein, von nun an seinem erhabenenZweck gem zu leben, der ihn dann auch wenigstens auf die Grenzen desKinderreichs gebracht und nach und nach weitergefhrt haben wrde; stattdessen wies er ihn auf die berschwengliche Genugtuung des Leidens undSterbens des Welterlsers.3)

    Mahlon. Gott, wie mancher geht doch durch den so bel angewandten Begriffdes grten, wichtigsten und herrlichsten aller Geheimnisse verloren!

    Adriel. Ja wohl. und es ist erschrecklich, da gerade diejenigen, die die Lehrevon der Vershnung predigen und anwenden sollen, so selten selbst dieWahrheit erkennen! Viele glauben und lehren zu viel, viele zu wenig, und nureinzelne gttlich gesinnte Mnner treffen das Ziel; indessen gehen die armenMenschen verloren. Die Wege des Erhabenen sind unerforschlich; aber immerfallen mir die Worte unseres Freundes, des hohen Sehers ein, die er ehemalssagte:

    Wenn er seine Seele wird zum Schuldopfer gegeben haben, so soll er Samensen, in die Lnge leben, und des Herrn Wohlgefallen wird durch seine Hnde

    von statten gehen.4)

    Jes. 53. Vers 10.

    Sie werden noch errettet werden, die armen Menschen, unsere Brder! -Unserem Ilai kamen indessen die armseligen Trstungen des Geistlichen sehrerquickend vor, denn so kostete ihn das Seligwerden keine Mhe; er freute sichalso auf die nahe Vollendung und auf die berschwengliche Seligkeit, inwelcher er schwelgen wollte; seine uerungen wurden fr sehr erbaulich

    ausgeschrien, die Nachbarn kamen an sein Bette, um Sterben zu lernen; derPrediger gab das alles fr Wirkungen des Verdienstes Christi aus, und sowurden die elenden Mibegriffe von der gesegneten Menschenerlsung immermehr befestigt. Wenn nur solche unntzen Knechte des Erhabenen, die demhohen Amte ihrer Bestimmung so schlecht vorstehen, wten, welch einschreckliches Gericht auf sie wartet.5) - Ilai starb und erschien imSchattenreiche; hier konnte er sich nun gar nicht finden, er fhlte das Heimwehnach dem, was er auf ewig verlassen hatte, mit unaussprechlichem Jammer,denn das ganze Wesen seines Geistes war auf die verlorenen sinnlichen

    Gegenstnde und ihren Genu isoliert; nur der einzige Trost blieb brig:

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    er wrde im Himmel noch weit grere Vergngen wiederfinden; an Wirkenund Ttigkeit dachte er nicht, die Liebe zum allgemeinen Besten hatte nie inseinem Herzen gekeimt, viel weniger Wurzel geschlagen. Hier mute er einegeraume Zeit warten, bis sich sein Geist geordnet und wieder eine feste Existenz

    angenommen hatte. Nun trug sich's zu, da ich vom Erhabenen den Auftragbekam, im Schattenreiche Gericht zu halten, dort fand ich den Ilai, unter andernauch fhig und bestimmt; er wurde also enthllt, und in seiner ganzenLebensrolle war nicht ein einziges Samenkrnchen, das in unsern Boden gesetwerden konnte, keine einzige Tat, die himmlischen Ursprungs, himmlischerNatur war; - die bloe, nackte, aber mit keiner einzigen guten Handlungbefruchtete Liebe zum Erlser, war ihm noch kurz vor seinem Tode wesentlichgeworden; dieser Magnet blieb ihm also, und dieser war stark genug, um ihndereinst zu uns herberziehen zu knnen; jetzt aber mute erst jede sinnlicheNeigung durch lange und schwere Leiden ausgetilgt und sein Geist in denKinderstand zurckgefhrt werden, folglich wurde er ins Reich der Finsternisverwiesen.6) Kennst du auch die Beschaffenheit der Hlle und ihrer drei Reiche,lieberMahlon?

    Mahlon. Nein, mein Bruder, ich bin noch nicht lange verklrt, meineVerrichtungen waren blo auf unsere drei Reiche und auf die Erdeeingeschrnkt; vermutlich bin ich auch noch nicht stark genug, in jeneschrecklichen Gegenden versandt zu werden. Aber darf ich dich bitten, lieber

    Adriel, mir die Hlle zu beschreiben?Adriel. Gerne will ich dir den furchtbaren Aufenthalt schildern, und wir werden

    dann den demtigsten und innigsten Dank dem Erhabenen feiern, der unsbewahret und in diese seligen Wohnungen gefhrt hat.

    Mahlon. Mein ganzes Dasein ist aufmerksam.Adriel. Die Erde wurde vor ihrem gegenwrtigen Zustande auch von Menschenbewohnt; die ganze Oberflche derselben war vollkommener, und dermenschliche Krper nach dem gewhnlichen Laufe der Natur unsterblich; alleswar dem himmlischen Urbilde nher wie jetzt. Der Stammvater diesesGeschlechts war Knig aller seiner Nachkommen, und das Gesetz, wonach erregieren sollte, wie immer, kein anderes als das Gesetz der Liebe oder des

    allgemeinen Besten. Lange herrschte dieser Knig unter dem Einflusse desHerrn und die Vervollkommnung und Beglckung aller seiner Kinder und seinerselbst stieg mit jeder Periode immer hher. Endlich fing dieser Frst an, seinenGlanz und seine Herrlichkeit strker und lebhafter zu empfinden, als seinePflicht gegen seinen Schpfer, und jetzt begann er eigenmchtig zu regieren; ermachte sich selbst zum Gott, setzte das Gesetz des eigenen Besten an die Stelledes allgemeinen, und nun folgte natrlich, da aller Einflu vom Herrn aufhrenmute: die gttliche Wahrheit und die gttliche Liebe, die dem allgemeinenBesten wesentlich sind, hrten also auf der Erde auf, und dagegen wirkten die

    unzertrennlichen Eigenschaften der Eigenliebe, Falschheit und Grimm,unaufhaltsam allenthalben. Jetzt war der Jammer unaussprechlich.

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    Jeder suchte nur sein eigenes Glck, nicht sein eigenes Bestes, denn das ist vomallgemeinen ganz unzertrennlich, folglich wollte jeder befehlen, aber nichtgehorchen, jeder wolltefrei, das ist gesetzlos sein, aber jeden andern unter seineeigenen Gesetze zwingen; es war also nicht anders mglich, als da ein

    Regiment entstehen mute, das sich blo auf die Macht des Strkeren und nichtauf Vernunft und Liebe oder auf Wahrheit und Gte grndete; mit einem Wort:es entstand das hchste Ideal des Despotismus. Nun denke dir Unsterblichkeitund den hohen Grad der Vernunft - oder vielmehr Verstandes-Vollkommenheitnoch dazu, verbinde das alles nun noch mit so lang gestiegenen Krften undvermehrten Wirkungsmitteln: so ist dein Begriff von der hllischenStaatsverfassung vollendet.7)

    Mahlon. Ich durchschaue all' den Jammer vollkommen.

    Adriel. Der Erhabene lie diese Rotte so lange toben, bis es die irdische Naturnicht mehr aushalten konnte, und nun wars Zeit, ihnen eine Wohnung zubereiten, die sich genau zu ihrer Verfassung schickte, und diese Wohnung ist die

    Hlle. Auf der Erde fingen die Elemente an, in Unordnung zu geraten; Feuerund Wasser, Erdbeben und Sturmwinde, alles tobte so frchterlichuntereinander, da der ganze Planet zerrttet wurde und die ganze Oberflcheim Wasser unterging; in diesem Tumult wurden auch alle menschlichen Krperzerstrt und jeder Geist behielt nur die feinere Hlle brig, die nun je nach denherrschenden Leidenschaften auch eine Figur annahm, so da dieschrecklichsten Gestalten aller Art entstanden und einer dem andern vollendszum Schrecken und Abscheu wurde. So erschien die ungeheure Menge imSchattenreiche; dem Thronfolger Michael wurde der Befehl erteilt, sie zurichten; sie wurden in alle ihren Greueln blogestellt und dann in den Abgrundweggeblitzt. Nachher bekam ihr Knig aus weisen Ursachen die Erlaubnis, seineehemalige Wohnung nebst den Seinigen, so oft er wollte, zu besuchen; wie sehrer diese Erlaubnis bentzt hat, das lehrt die Geschichte der Menschheit, und dasgroe Geheimnis der Vershnung wird in seiner Vollendung zeigen, wie sehrauch das zum allgemeinen Besten diente. Welche Mittel aber im Abgrund dergttlichen Weisheit und Liebe noch verborgen liegen, um auch endlich die

    Millionen verarmter Geister zu retten (denn gerettet werden sie gewi), das wirddie groe Zukunft entwickeln und uns allen eine reiche Quelle unnennbarerSeligkeit sein.8)

    Mahlon. Es stehen uns also noch groe Dinge bevor, lieber Adriel, wir wollensie immer in Demut erwarten und den Herrn verherrlichen.

    Adriel. Das ist unsere Pflicht. Die frchterliche Wohnung jenes verworfenenGeschlechts liegt auf der Abendseite des Schattenreiches und besteht ebenso,wie der Himmel, aus drei Regionen; die erste heit: das Reich des Jammers; diezweite: das Reich der Finsternis, und die dritte: das Reich des Feuers.

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    Wenn man nun im Schattenreich sein Angesicht vom Licht ab gegen Abendrichtet, und dann den Zug dorthin beginnt, so kommt man endlich so weit, dadas Licht des Himmels ganz verschwindet, dagegen entdeckt man vor sich ingroer Ferne, ganz niedrig ber dem Horizonte, einen dunkelroten Streifen, der

    sich zur Linken und Rechten sehr weithin erstreckt; er hat das Ansehen wieEisen, das eben anfngt zu glhen, und durch einen schwarzen Raum schimmert.Sowie man nher kommt, sieht man ein zackiges, schroffes Gebirge, welchessich nach beiden Seiten in ungeheure Weite ausdehnt. Vor diesem Gebirge istein des Tal, in welchem eine unzhlbare Menge armer Geister in schrecklicherUnruhe wie lauter schwarze Schatten durcheinander schwrmt. Die ganzeGegend wird ber das Gebirge her ebenso erhellt, wie die fernen Gefilde voneiner Feuersbrunst in der Nacht. Von Zeit zu Zeit kommen die Frsten der Hllein Riesengre, aber mit der schrecklichsten Verzerrung der menschlichenFigur, so da alle Glieder, je nach den herrschenden Leidenschaften, etwasUngeheures an sich haben, in eine Glutwolke gekleidet, ber das Gebirgeherber, wo sie alsdann die zur Verdammnis reif gewordenen Geisteraussondern, und mit allem Grimme des Despotismus vor sich hin ber dieGebirge jagen, und jedem die ihm zukommende Region und Stelle anweisen.Sowie man sich ber das Gebirge hinschwingt. sieht man in der tiefsten Ferneabermals ein weit und breit sich erstreckendes, noch weit hheres undschrofferes Gebirge, ber welchem die schrecklichste Glut bis hoch hinauf in dieewige Nacht tobt. Es sieht aus, wie wenn Flammen in die Finsternis bohrten, umsich Luft zu machen, und man hrt in tiefster Feme ein dumpfes Gebrlle, wie

    von tausend Donnern, wovon die Grundfeste der Hlle zittert. Die ganzeRegion, die man jetzt bersieht, ist das Reich des Jammers; die ganze Flchebesteht aus lauter verworren durcheinander liegenden ungeheuren Felsmassen,um welche sich enge tiefe Tler hinwinden; hier entdeckt man nirgends etwasGrnes, sondern alles, was hin und wieder einzeln hervorkeimt, sieht aus wieder Tod und Verwesung, und der Boden erscheint wie ein schwarzer Grie undAsche. Die hierher verwiesenen Geister wohnen in den weiten und gerumigenHhlen, welche von den Felsenmassen gebildet werden 9).

    Mahlon. Das ist wohl ein jammervoller Aufenthalt; aber womit beschftigen

    sich diese Geister?Adriel. Jeder beschftigt sich je nach seinen Neigungen und Leidenschaften; siesuchen sich in dieser schrecklichen Einde dasjenige bestndig wieder zuverschaffen, was sie im Leben besessen und genossen haben; viele bestrebensich, schne Palste zu bauen, und wenn das jmmerliche Ding fertig ist, sostrzt es ihnen ber dem Kopfe zusammen; andere suchen Grten anzulegen,undin der Hlle ein Paradies zu pflanzen, indem sie die einzelnen giftigenGewchse zusammen ordnen; allein die Ausdnstung dieser Greuel betubt sie,und wenn sie sich umsehen, so ist alles wieder Graus und Ruin. Noch andere

    suchen Gesellschaft, in welcher sie sich vom vergangenen Genu unterhalten;viele geraten darber in die traurigste Verzweiflung, so da sie ins unendlicheLeere hinstrzen, und manchmal so lange herumirren, bis sie von ihren Frsten

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    wieder herbeigegeielt werden; andere erhitzen sich gegeneinander mit einemsolchen Grimm, da sie frchterlich kmpfen, bis sie endlich, von einemStrkeren gezchtiget, wieder in ihre Hhle zurckkehren. Nichts aber istschndlicher und schrecklicher, als wenn ein mnnlicher und weiblicher Geist

    sich gegeneinander zur Wollust erhitzen, und dann in der hchsten Glut derLeidenschaft auf einmal einer dem andern in der abscheulichsten Drachengestalterscheint; mit dem schrecklichsten Wehklagen fahren sie dann ohne dengeringsten Genu aus der Umarmung zurck und fliehen von einander, so weitsie knnen. Mit einem Worte, des mannigfaltigen Jammers ist kein Ende. 10)

    Mahlon. Werden denn die Geister aus diesem Reiche nicht versetzt; oderkommen wohl auch zu Zeiten Bewohner der brigen Reiche in dieses erste?

    Adriel. ber dieses alles will ich dir vollkommenen Aufschlu geben. Du weitnun, da die Hlle in ihren drei Abteilungen keinen andern Zweck hat, als dieGeister, die sich durch gelinde Mittel in ihrem Erdenleben nicht wollten zu ihrerBestimmung leiten lassen, hier durch immer schrfere nach und nach dahin zubringen, da sie endlich ihre wahre Richtung zur Vervollkommnung undBeglckung nehmen. Da aber hier alle sinnlichen Vergngungen gnzlichaufhren, so finden sie auch fr ihre Begierden und Leidenschaften keineNahrung mehr; es kommt also blo darauf an, da sie ihre Leidenschaftenverleugnen und tten, und den unberwindlichen Willen fassen, von nun an zumallgemeinen Besten zu wirken. Sobald sie nur anfangen, diesem Willen gemzu handeln, sich unter alle verdammten Geister zu demtigen, jedem zugehorchen, so lange er nichts Bses befiehlt, und allenthalben Gutes stiften: so

    hrt der Stachel des Todes auf zu wten, und der Einflu vom Herrn beginnt indem Verhltnis ins Innerste des Geistes zu wirken, in welchem der Wille zurWahrheit steht. Sanftmut und Liebe berwinden Satan und Hlle.11)An Mittelnzu dieser Erkenntnis fehlt es auch dort nicht, doch ist die Wiederkehr immerunendlich schwerer als im ersten Leben, und wehe dem, der sie bis hieher spart.So wie nun ein Geist auf seiner Rckkehr im Guten zunimmt, so wird auch seineGestalt wieder regelmiger und menschlicher, und die Gewalt des Mchtigenin der Hlle ber ihn wird immer geringer; er kann sich also aus dem drittenReiche ins zweite, und so wie er zunimmt, ins erste begeben; frher oder spter

    wird ihm dann vom Erhabenen ein Engel zugeschickt, der ihn strkt, unterrichtetund schleuniger befrdert, und wenn er die wahre Kindereigenschaft erlangt hat,so wird er vollends durchs Schattenreich hinber ins Kinderreich gefhrt.

    Mahlon. Einem solchen Geiste mu bei seiner Ankunft im Himmelunaussprechlich zu Mute sein. Aber erzhle mir doch weiter, mein Bruder, wiedie andern Reiche beschaffen sind.

    Adriel. Hinter dem zweiten Gebirge liegt das Reich der Finsternis; hier ist dieGegend noch weit schrecklicher! Ungeheure Felsenmassen liegen bereinanderher, und bilden frchterliche Hhlen und Schlnde, in denen Riesengestalten,

    deren frchterlicher Anblick einen Sterblichen schon tten wrde,umherstrmen und sich untereinander verfolgen; alles zittert und bebtbestndig, und allenthalben droht Einsturz. Hier sieht man nun auch Satans

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    eiserne Wohnung; tief ber dem Horizont glht schrecklich in der Ferne eineFeuerwelt, die weit um sich her mit krachendem Donner in die endlose Nachtblitzt; in der Mitte dieses Kreises erscheint eine dunkle Ausdehnung wierotglhendes Eisen, die mit einer groen Stadt ausgefllt ist, welche gerade so

    aussieht, als wenn sie durch eine Feuersbrunst ruiniert wre. Unter diesemWeltruin hinter der dritten Gebirgsreihe befindet sich das Feuerreich. Hier gehtnun die Wut und Zerstrung ber allen Begriff! Das Ganze besteht wieder ausungeheuren Felsmassen, die aber in einem wallenden Meere, wie Inseln umherzerstreut liegen; dieses Meer scheint wie schmelzendes Pech und Schwefel undwird unaufhrlich durch Blitze aus jenem Weltruin brennend erhalten. Hier sindnun die Geistergestalten am abscheulichsten, und ihr Gewhl und Getose gehtber alle Vorstellung.

    Mahlon. Schrecklich, schrecklich! Aber welche Arten von Sndern werden wohlvorzglich in diesen schrecklichen Ort verwiesen?

    Adriel. Nur wenige kommen gleich nach ihrem Tode in das Feuerreich; blo dieChristushasser, und dann auch alle, die mit Wissen und Willen und beharrlichzum allgemeinen Schaden, und zwar in hohem Grade gewirkt haben, werdengleich nach ihrem Abschiede aus der Welt hierher verbannt 12), die meistenkommen aus den brigen Hllenreichen nach und nach hieher; denn wenn sichein Geist in den ersten Graden der Zucht nicht bessert, sondern immer boshafterwird, wie dies sehr hufig geschieht, so gert er schlielich auf diese letzteStufe, wo nun die uersten Mittel, die ein endlicher Geist ertragen kann,angewendet werden, ihn zur Rckkehr zu bringen.

    Mahlon. Wo fandest du aber den armen Ilai, und wie fandest du ihn?Adriel. Nachdem ihm jeder Versuch, irgend eine gewohnte Leidenschaft zubefriedigen, milungen war, er auch keine Kraft der Bosheit hatte, um wieandere Hllenbewohner, Plne aller Art zu entwerfen und auszufhren, so wurdeer ein allgemeiner Gegenstand des Spottes und der Verachtung; aber es wurdenauch keine gewaltigen Plne gegen ihn gemacht, folglich war keine Gelegenheitfr ihn da, alle seine Leidenschaften in ihrer Hitze zu erhhen, oder sich in derBosheit zu vervollkommnen; im Gegenteil, sie verloschen allmhlich undwurden immer schwcher; so wie dies geschah, wuchs die Liebe zum Erlser

    und das Verlangen nach seinem Reiche. Endlich, als er nun von allem Eigenenentblt war, wurde ich beauftragt, ihn abzuholen. Er war wie ein Trumender,als ich ihn herber fhrte, und fr seine Empfindungen gibt es keine Worte.

    Mahlon. Das glaub' ich; den Ilai will ich kennen lernen.

  • 8/14/2019 Jung Stilling-Szenen Aus Dem Geisterreich

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    "Eine Hlle, bevlkert mit kleinen und groen Teufeln und Luzifer, dem abgefallenen Engelals Oberhaupt, ist fr den aufgeklrten Menschen von heute etwas Unvorstellbares."Viele Menschen haben diese Ansicht und halten den Glauben an einen hllischen Zustand frdas "Abschreckungsmittel", das die Kirche einsetzte, um ihre Macht ber die Seelen aufrechtzu halten.

    Warum aber soll sich im gttlichen Reiche eine auf Erden ungeshnte Schuld nicht rchen?Ist es glaubhaft, da der groe Schpfer des Universums keine Gerechtigkeit in Form einerewigen Gerichtsbarkeit ausbt?Wenn wir Menschen uns schon ein Gericht schalten muten, um den niedersten Instinktenund Triebhaftigkeiten des Menschen Einhalt zu gebieten, wieviel mehr wird Gott, der Herr,der alle Schwchen und Fehler sieht, danach trachten, die wilden Schlinge unserer Seele zubeseitigen. Aber - - Er betrachtet diesen "Zustand der Seele" nicht als Strafe, sondern alsLuterungsproze im "Ofen der Leiden und Trbsal".Stilling selbst nennt dieses Kapitel von der Hlle:"Die wichtigste Erzhlung im ganzen Buch."Das ist wahr, denn es pat fr jede Zeit, es ist fr alle bisherigen Entwicklungsstadien des

    Menschengeschlechtes zutreffend.Auch das kann man sich gut vorstellen, da viele Menschen dort hinkommen, von denen wires niemals dachten, wie Stilling wiederum erklrt:

    1) Heere von Menschen, die alle nach dem Tode als brave, rechtschaffene Leute seliggepriesen werden, und es gewi nicht sind, befinden sich in dieser Lage. Ach Gott es isttraurig, da die Prediger so gar oft an der nmlichen Seuche krank sind, und daher nichtwarnen knnen.Wenn er auch die Prediger nicht ausnimmt, so beweist das wirklich, wie gewaltig dieErbsnde in uns lebt, wie wenig Kraft wir immer noch besitzen, um Herr ber dieseSchwche zu werden. Selbstverstndlich aber drfen wir - als Menschen - uns niemals anHand dieses Buches eine Kritik an anderen erlauben:2) Dies darf man nur im Himmel sagen, aber beileibe auf Erden nicht auf gewisse Menschenanwenden, damit man dem Allerhchsten nicht in sein Richteramt falle und sich selbst einschweres Urteil bereite.Im Mittelalter war - ganz im Gegensatz zu heute - der Glaube an die Hlle etwasSelbstverstndliches. Natrlich bersteigerte sich damals das Denken der Menschen oft indieser Hinsicht, ohne einen reellen Nutzen fr die Seele gewinnen zu knnen.In dem bersteigern einer Richtung besteht die Gefahr, da der Mensch sich nun verliert, daer sich "einseitig" ausrichtet. In jedem Zuviel liegt eben schon das Zuwenig, denn allesbersteigerte ist nicht gesund und deshalb zu umgehen, wie Stilling ganz richtig bemerkt.

    3) Dies Extrem kommt nun aus der Mode; man neigt sich zu dem andern, weit schlimmeren,nach welchem es mit dem Seligwerden nicht so genau genommen wird. Die schrecklicheErfahrung wird sie eines andern belehren - Das Anweisen auf die Genugtuung des Erlsersfindet dann erst statt, wenn eine grndliche Erkenntnis des natrlichen Verderbens, und wahreBekehrung vorangegangen ist. Dann aber ist es auch das einzige Mittel zum Weiterforthelfen.Wenn er seine Seele wird zum Schuldopfer gegeben haben, so soll er Samen sen, in dieLnge leben, und des Herrn Wohlgefallen wird durch seine Hnde von statten gehen. Jes53, Vers 10.

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    4)Man hat diesen Spruch in dieser Verbindung nicht recht verstehen knnen, hier will ich alsomeinen Sinn darber erklren: des Herrn des Jehovah Wohlgefallen, ist die Errettung undSeligkeit aller Menschen; dieser Zweck soll durch die Ewigkeiten dadurch allmhlicherreicht werden; denn dadurch, da der Messias das groe Opfer opferte, erwarb Er sich denSegen, da Er ewig leben, und in Ewigkeit sich seiner Trnensaat freuen soll, weil Opfer nie

    aufhrt, unglckselige Menschen zu retten, solange es deren noch gibt. Da dieser Spruch imMunde des Propheten diesen Sinn hatte, behaupte ich nicht; und ebensowenig soll er zumBeweise der Wiederbringung aller Dinge dienen, sondern ich wollte ihn nur dieser Materieanpassen - und das darf im deswegen, weil es die Evangelisten und Apostel mit Stellen ausdem alten Testamente oft so gemacht haben.5) Das Trsten auf das Verdienst Christi kommt nun immer mehr aus der Mode; und mangeht nun leider zum andern Extrem ber, und das taugt noch weniger. Da doch dieMenschen so selten den Mittelweg finden knnen! Es ist unchristlich und durchaus nichterlaubt, jemand nach seinem Tode fr verdammt zu erklren, aber man hte sich auch, einenMenschen, um einiger guten uerungen auf dem Totenbette willen, fr selig zu halten! -Ach Gott, es gehrt mehr dazu! -

    Es gehrt vor allen Dingen der Glaube des denkenden Menschen dazu. Wir knnen heutenicht mehr ohne Nachdenken eine Schwche in uns berwinden. Die Zeit des Kinderglaubensist vergangen, denn die Menschheit ist durch die bermige Verstandesttigkeit in eine neueEntwicklungsra gekommen. Sie mu selbst kmpfen, aber bei aller bewuten Einsetzungeigener Seelenkrfte niemals vergessen, da das Letzte doch nur durch die Liebe Christivollendet werden kann.6) Die Erlsung durch Christum schafft dem bufertigen Snder Vergebung; damit darf ersich aber nicht beruhigen, sondern er mu sich durch sie heiligen lassen. - Denn ohne sie kannniemand selig werden.Da jeder Mensch indessen von anderen beeinflut, ja, geradezu befruchtet werden kann und- sicherlich nach gttlichem Ratschlu auch soll - sieht man daraus, da auch Stilling erklrt,er habe manche Vorstellungen seines inneren Erlebens ber die jenseitige Welt durch dieAnregung anderer - zum Beispiel Jakob Bhmes - gehabt. - So fhrt er in bezug auf seineHllenschilderung an, da7) diese Hypothese nicht neu ist, ich habe sie dem Jakob Bhme abgeborgt, sie erklrt denUrsprung des Satans und seines Reichs, seinen Ha gegen das menschliche Geschlecht undseine Begierde. Beherrscher der Erde zu sein, vortrefflich. Htte der Herr dem menschlichenGeschlechte nicht aus Gnade den Tod geschenkt und die herrliche Erlsungsarbeit getroffen,so wre es abermals zu einem Hllenreiche gereift.8) Soll das Bse so ewig sein wie Gott? - Das sei ferne! - Die ewige Liebe wird endlich allesbesiegen und dann wird Gott Alles in Allem sein. Wen dieser Satz sicher machen kann, der ist

    nicht geschickt zum Reiche Gottes.Immer tiefer aber fhrt der Verfasser den Leser jetzt in die Schrecken des hllischenZustandes ein, um eine Warnungstafel fr das erdhafte Leben aufzustellen. Er erklrt abergleichzeitig, wieviel in dem hier Gesagten symbolisch gemeint ist.

    9) Diese grausenhafte Schilderung ist blo figrlich, ungefhr so, wie sie sich auch die bsenGeister und verdammten Seelen vorstellen. An jenem groen Tage der Vergeltung bekommensie auch eine materielle Hlle. Jetzt hausen sie im Dunstkreise der Erde.10) Da den Verdammten ebensowohl ihre Werke nachfolgen, als den Seligen, ist in derNatur der Offenbarung gegrndet. Man kann sich diesem Zustand einigermaen durch dieDelirieren eines leidenschaftlichen Menschen im hitzigen Fieber begreiflich machen, immervon neuem verweist er dann auf die Liebe, die grer ist als Welt.

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    11) Eben dadurch berwand auch Christus. Er wurde dergestalt mihandelt, nur gttlicheGeduld und Sanftmut fhig war, nicht Fluch und Verdammnis ber die Bsewichter von Gottzu erbitten, sondern an deren Stelle fr sie zu flehen. Dies lhmte Satan und sein ganzesReich.An dieser Stelle ist eine Offenbarung ausgesprochen, die doch wirklich trostvoll fr alle

    Menschen ist. Wenn wir also lernen, die selbstlose Liebe in uns zu erwecken, drfen wirsicher sein, da Gott die scheidende Seele von den frchterlichsten aller Qualen, der ewigenVerdammnis, befreit.Wir brauchen uns nur bemhen, denn ..Christus nimmt die Snder an - - aus Gnade! Vondem Moment an, wo wir nicht nur erkennen, sondern bewut streben aber wird - wie Stillingsagt:Diese Vorstellung von dem Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt und sinnlich undmateriell realisiert wird" unwirksam fr unsere Seelen geworden sein. Sie haben sich imLeben vom Bsen abgewandt und sind im Tode frei. Aber genau

    12) so wie unter den Frommen in den letzten Zeiten die letzten die ersten sein sollen, so wirddas auch bei den Verdammten der nmliche Fall sein. Denn so, wie die Bosheit wchst, sowchst auch der Grad der Verdammnis. Wer in den Feuersee gehrt, das finden wirOffenbarung Joh. 21. 8. Die Hlle? - tragen wir sie nicht in uns, wenn Ha, Rachsucht, Neidund Zorn zu den Herrschern unseres Lebens wurden? Der Mensch, der nicht vergeben will,der gegen seine Feinde hetzt und intrigiert unterstellt sich dem Zustand, wie Stilling ihn indiesem Kapitel beschreibt. Welcher Denkende aber legt sich selbst den Strick um den Hals",wenn er - nur durch ein wenig "umschalten in seinem Ich - ein unvergngliches Glckerlangen kann.

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    F n f t e S z e n e.

    Der arme Mann

    Uriel, Hanniel und Delaja.

    Hanniel. Wo gehst du hin, Uriel? -Du hast ja dein Strahlenkleid abgelegt und dieWolkenhlle angezogen.Uriel. Im gehe hinab zur Erde, um einen edlen Geist abzuholen, der sich jetztaus seiner irdischen Schale loswindet.

    Hanniel. Ach, wenn ich mitgehen drfte!Uriel, Geh' in deinen Tempel und frage den Herrn.

    Hanniel (geht ab, kommt bald wieder auch in eine lichte Wolke gekleidet.) Ja,

    Bruder Uriel, ich darf mitgehen, aber wer ist denn der glckliche Sterbliche, dender Herr deiner Gesandtschaft wrdiget?Uriel, Er ist ein armer Taglhner und heit Delaja.1)

    Hanniel. Der Glaube dieses Mannes mu sehr gro sein, da er so wenig hatwirken knnen; willst du mir nicht seine Geschichte erzhlen?Uriel. Von Herzen gerne! Er ist der einzige Sohn einer armen Witwe; als Kindmute er seine Nahrung vor den Tren suchen, und seine Mutter, die an einerlangwierigen Krankheit darnieder lag, mit dem, was er zusammenbettelte,ernhren. Einstmals kam er auch, ganz mit Lumpen bedeckt, zu einemGeistlichen, von dem er etwas fr seine kranke Mutter forderte; der Mann trauteihm nicht recht, er gab ihm etwas und fragte ihn, ob er denn auch seiner Mutterbrchte, was er bekme? Der Knabe weinte und sagte: Wenn ich das nicht tte,so knnte mich ja unser Herrgott auf der Stelle strafen. Der Prediger fuhr fort:Frchtest du denn den lieben Gott? Ja, versetzte der Knabe, ich frchte ihn nichtblo, ich liebe ihn auch. Der Prediger: Aber wie kannst du denn Gott lieben, daer dir so wenig gibt und du so bitteren Mangel leiden mut? Der Knabe: Ichging einmal an der Kirche vorbei, da ich keine anstndigen Kleider habe, stellteich mich hinter die Tre und hrte dem Prediger zu; der erzhlte gar schn wasfr groe Herrlichkeiten die Armen dermaleinst in Seligkeit zu erwarten htten,

    wenn sie sich hier im Leben recht fromm auffhrten; und dann sagte er auch:da der Herr Christus selbst arm gewesen wre, und da er die Armenvorzglich lieb htte; das freute mich so sehr, da ich Gott fr Armut dankte undmir fest vornahm, so fromm zu sein, als es mir nur immer mglich wre, unddann den Herrn Christus von Herzen wieder so lieb zu haben, und so zu leben,wie er gelebt hat. Dem Prediger gingen die Augen ber, er erkundigte sich, woseine Mutter sich aufhielt, und versprach, sie bald zu besuchen. Dies geschahnun auch schon des andern Tages, die arme Frau wohnte in einer einsamenHtte allein; der fromme Mann schlich herbei, stellte sich an ein Fenster, um

    unbemerkt zu sehen, was vorging, und ich schwebte unsichtbar ber der hohenDulderin, um ihr himmlische Lfte in ihrem Todeskampfe zuzuwehen; denn ichwar ebenfalls abgeschickt, sie im Triumphe heimzuholen. Jetzt kniete nun der

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    kleine Knabe am Bette und betete; noch einmal erholte sich seine Mutter. sierichtete einen Blick zum Herrn; du kennst diese Blicke, Hanniel! - So betet derSeraph - sie haben Allgewalt und werden immer erhrt; nun hielt ich mich nichtmehr, ich ergriff den Geist, ri die noch wenigen schwachen Bande los, und im

    Hinflug gab ich dem braven Manne, der nun hereineilte, ungesehen einenBruderku, der ihm durch Mark und Bein drang, und dem Knaben strmte Feuerund Geist in seine Seele.2)

    Hanniel. In solchen Fllen fhlt man am strksten, da man Engel ist. Aber waswurde aus dem Knaben?Uriel. Der Prediger sorgte fr ihn, da er bei einem Bauern in Dienst kam, umdas Vieh zu hten; hier wurde er auch so viel zur Schule gehalten, da er dienotwendigsten Kenntnisse bekam. Indessen wuchs er heran und wurde stark anLeib und Geist. Besonders aber war der Glaube dieses jungen Mannes von einersolchen Strke, da wir selbst im Himmel wenig grere Beispiele davon haben;wenn er nachher in seinem Ehestande manchmal auf die hrtesten Probengesetzt wurde, so wankte er doch nie; je gefhrlicher es um ihn aussah, destostrker wurde sein Vertrauen, denn er wute gewi, da das alles nur Prfungseines Glaubens war. Ebenso gro war auch seine Menschenliebe, sein Hungernach edlen Handlungen ging ins Unendliche; da er nun kein Vermgen, und alleseine Zeit ntig hatte, um sich und die Seinigen kmmerlich zu ernhren, sobestand sein grtes Leiden darin, da er wenig zum Besten der Menschen tunkonnte, und so wenig Gelegenheit hatte, seinen Glauben in seinen Werken zuzeigen.3) Daher kam es denn, da er mit unbeschreiblicher Aufmerksamkeit

    allenthalben Acht gab, wo etwas Ntzliches fr andere auszurichten sei. Und daer alles blo aus dem Grunde tat, weil er wute, da es die Glaubenspflichterforderte, er also weder sein eigenes Wonnegefhl, noch die Liebe undHochachtung anderer Menschen suchte, folglich aus reiner Liebe zu Gott wirkte,so war es ihm auch wenig daran gelegen, ob jemand seine guten Handlungenbemerkte, sondern es war ihm genug, wenn sie geschahen. Hier verfuhr dennauch sein himmlischer Fhrer mit ihm nach seinem einmal angenommenenhchstweisen Plane; ihm blieben die gesegneten Folgen seiner besten Tatenverdeckt, die milingenden und geringsten aber konnte er in ihrem ganzen

    Umfange bersehen.4)

    Dies hlt den Christen in der ihm so ntigen Demut undspornt ihn an, immer ttiger zu werden. Zuweilen gelang ihm aber doch die eineoder die andere vortreffliche Handlung unter seinen Augen, so da er dieherrlichsten Frchte davon sah, und das war ihm dann eine unbeschreiblicheStrkung.

    Hanniel. O erzhle sie mir doch. So etwas ist allein fhig, die Freude derSeligkeit zu erhhen.Uriel. Gut, ich will dir drei Beispiele erzhlen. Als er einstmals des Morgensfrh in den Wald gehen und im Taglohn Holz hauen wollte, sah er von ferne

    eine hochschwangere Weibsperson zwischen den Bumen herumgehen und dieHnde ringen, er stellte sich hinter einen Baum und sah ihr zu; endlich zog sieeinen Strick aus dem Sack,

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    stieg auf einen abgehauenen Stamm, machte ihn oben an einem Aste fest undlegte sich die Schlinge um den Hals. Jetzt sprang Delaja herbei und rettete sie.Auf die Frage, warum sie sich mit ihrer Leibesfrucht habe umbringen wollen,antwortete sie, sie sei eine arme Magd und mit einem jungen Menschen

    versprochen; als sie sich nun htten heiraten wollen, so habe er mssen Soldatwerden, sie sei also in ihrer Schande sitzen geblieben, und ihre Herrschaft habesie aus dem Hause gejagt; da sie nun eine arme Waise sei und keinen Freundoder Verwandten in der Welt habe, zu dem sie gehen knne, so sei sie endlich inVerzweiflung geraten und habe sich umbringen wollen. Delaja redete ihrfreundlich zu und brachte sie nach Hause zu seiner Frau, die sie auch freundlichaufnahm und ihr in ihrem langwierigen schweren Wochenbette treulich diente;er aber ernhrte sie mit ihrem Kinde durch seiner Hnde Arbeit. Endlich erfuhrauch Delaja, wo ihr Brutigam war; er reiste also zu ihm, und brachte es beiseinem Regimente dahin, da der junge Mensch losgelassen wrde, wenn Delajaeinen andern an seine Stelle schaffen knne. Gerne wre der arme Taglhnerselbstdageblieben und Soldat geworden, wenn er keine Frau und Kinder gehabthtte, allein er hatte hhere Pflichten; er ging also und suchte einen Jngling,den er auch endlich fand, diesem gab er seinen ersparten Notpfennig und kauftealso den Brutigam los; dieser heiratete seine Braut und beide lebten nunglcklich zusammen, sie waren auch so erkenntlich, da sie bald sovielzusammenbrachten, um dem armen Delaja sein Geld wieder geben zu knnen.

    Hanniel. Das war eine schne Tat.5)Uriel. Gewi. -Aber nun hre auch die zweite. Nahe bei der Htte des armenDelaja wohnte ein reicher Bauer, der ihn und die Seinigen teils durch Druck undVerfolgung, teils durch Spott und Verachtung auf mancherlei Weise qulte;denn das fromme, unschuldige Leben dieser Leute war ihm ein Dorn in denAugen; gerne htte er ihnen bald diese, bald jene Schandtat nachgesagt, wenn ernur die geringste Veranlassung dazu gehabt htte. Endlich wurde der reicheMann bestohlen; dieses sollte nun das Mittel sein, um den frommen Delaja zuGrunde zu richten. Er gab ihn als den Dieb an und bekrftigte es mit einemSchwur. Delaja wurde also mit seiner Frau ins Gefngnis gebracht, wo er langeschmachten mute; doch fanden sich wohlttige Menschen, die fr seine Kinder

    sorgten. Die beiden Gefangenen duldeten ihre Leiden mit grter Gelassenheitund beteuerten ihre Unschuld. Ob nun gleich jedermann berzeugt war, daniemand weniger eines Diebstahls fhig sei, als Delaja und seine Frau, so halfdoch alles nichts, denn der reiche Mann hatte geschworen. Nun fgte es aber dieVorsehung so, da nicht weit von da die wahren Diebe auf einer andern Tatergriffen wurden; diese gestanden nun bald, da sie auch den reichen Bauernbestohlen htten; folglich wurde Delaja mit seiner Frau losgelassen und derreiche Bauer mit einer groen Summe Geldes bestraft. Von der Zeit an wichaller Segen von dem reichen Bauern, ein Unglck kam auf das andere; dadurch

    wurde er aber nicht besser, ich Gegenteil, er geriet in allerhand Laster,besonders ergab er sich dem Laster der Trunkenheit, und so kam es dannendlich,

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    da er durch seine Schuldner von Haus und Hof gejagt wurde und sich nunebenso wie sein armer Nachbar in einer armseligen Htte behelfen mute. Nachund nach wurde er alt, seine Frau starb und seine Kinder verliefen sich, so da ernun ganz allein war. Niemand gab ihm auch gerne etwas, denn er hatte sich

    jedermann zum Feinde gemacht, und man sagte, er habe sein Schicksal verdient.Endlich, als er sich einstmals betrunken und vielleicht einen und den anderensehr beleidigt hatte, wurde er des Abends spt auf der Strae angefallen und bisauf den Tod geschlagen. Delaja hrte ihn jammern, er lief hinaus, fhrte ihn insein eigenes Haus, seine Frau erquickte und labte ihn, er selbst ging die Nachtnoch mehrere Stunden weit, holte einen Wundarzt, lie den Verwundeten heilenund bezahlte alle Unkosten. Nun wurde der alte Snder nicht allein dankbar underkenntlich, sondern auch bufertig; er lebte noch etliche Jahre als ein wahrerChrist und starb selig.

    Hanniel.Das war eine ausschlielich christliche Handlung. Gelobet sei derErhabene fr solche Menschen!

    Uriel. Nun hre auch die dritte. Eine Stunde von seinem Dorfe lebte einvortrefflicher Kaufmann in einem Stdtchen, der durch eine groe Wollenfabrikviel hundert armen Leuten Brot gab, und zugleich nach Leib und Seele vterlichfr sie sorgte, er wurde daher allgemein derArmenvatergenannt. In dem Hausedieses Mannes brach des Abends spt Feuer aus, als alles schlief; dies Feuernahm berhand, so da der untere Teil schon allenthalben in lichten Flammenstand, als der oben schlafende Hausvater erwachte. Nun suchte er sich, seineFrau und Kinder und Hausgenossen zu retten, allein vergeblich, nirgends warmehr durchzukommen. Indessen entstand Alarm in der Stadt, auch dieumwohnenden Bauern kamen herzugeeilt, schon mehrere Huser brannten undnoch immer wehklagte die Familie oben, jedermann bejammerte sie, aber keinerwagte sich hinein, um zu helfen.Delaja war einer der ersten, der zur Hilfe kam;er erfuhr gleich von Anfang das Unglck des vortrefflichen Mannes und derSeinigen, und beschlo, sie zu retten oder zu sterben; denn, dachte er, dieserMann ist vielen ntig, ich aber nur wenigen; sterbe ich, so wird Gott fr Frauund Kinder sorgen. Stillschweigend nahm er eine Leiter, schlich damit hinterherins Haus, wagte sich zwischen Glut und Flammen durch, brennende Balken und

    Wnde strzten mit ihm zusammen und mit Hilfe der Leiter kam er zu denunglcklichen Menschen, die ohnmchtig beisammen knieten, lagen, betetenund wehklagten; schleunig ergriff er den Hausvater, ri ihn mit sich fort undbrachte ihn glcklich aus aller Gefahr; und nach fnf Todesgngen war allesgerettet! Nur leicht war Delaja verwundet, aber er fhlte keine Schmerzen, ereilte nun auch andern zu Hilfe, bis das Feuer getilgt war. Der Kaufmann wollteihn hernach belohnen, allein er nahm keine Belohnung an.

    Hanniel. Das heit: sein Leben fr die Brder lassen. Aber wurde der Mannnicht hochgeschtzt und von jedermann geehrt?

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    Uriel. Man sagte allgemein: Der Delaja ist ein gar braver Mann. Wre er aberreich und vornehm gewesen, so htte man ihm Denkmler gesetzt.

    Hanniel. Zu solchen Taten, um sie in dem Geiste auszufhren, wird doch eineerstaunliche bung erfordert.

    Uriel. Ja wohl! Aber das ist auch der Fall bei dem Delaja. Mit jedem Erwachenan jedem Morgen seines Lebens war sein erster Gedanke: Herr la mich heutekeine Gelegenkeit versumen, Gutes zu tun. Dann bewachte er jeden keimendenGedanken, und wenn er erreifte, war er ein Samenkorn fr den Himmel. Wenn

    jeder Gedanke betend entsteht, und durchs Gebet seine Richtung zumallgemeinen Besten bekommt, so entsteht endlich eine Fertigkeit, welcher auchdie erhabensten Taten leicht werden. Aber lat uns zu ihm eilen, seineAuflsung ist nahe.

    (An Delaja's Sterbebette.)Delaja (zu seiner Frau und Kindern, die um ihn sitzen und weinen). Weinetnicht, meine Lieben! Ich habe lange genug bei euch gelebt. Gott, der mich vonJugend auf ernhrt und wunderbarlich erhalten hat, wird euch gewi nichtverlassen; verlat Ihn aber auch nicht! Gott, wie matt - wie schwach werde ich! -Herr, strke mich in dieser letzten Stunde! -(Uriel und Hanniel schwebenunsichtbar ber ihm.)

    Hanniel. Das ist also der Edle! - Man sieht's in seinem Angesichte, da er sichdem Bilde des Vollkommensten sehr genhert hat.Uriel. Er kmpft einen harten Kampf, ich mu ihm himmlische Luft zuwehen.

    Delaja. Wie wird mir so wohl! - ich ahne ewiges Leben. Herr, Dir sei Dank fralles Gute, das Du mir erwiesen hast! - habe auch Dank fr alle Leiden undPrfungen!

    Hanniel. O du Erhabener, sei verherrlicht fr diesen Bruder!Uriel. Hlle dich ein, du Teurer, hier darfst du nicht glnzen!

    Delaja. Habt ihr nicht gesehen, wie etwas glnzte? Ich sah einen Strahl wiehellpoliertes Gold, aber im Augenblick wars weg. Herr, der du auf Golgathageblutet hast, tilge alle meine Snden und nimm mich, wie den armen Schcher,heute noch zu dir in dein Reich!Uriel. Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du bei ihm im Paradiese sein!

    Delaja. Was war das? - Es kam mir so vor, als wenn mir jemand zurief, ichsollte heute noch bei ihm sein. Herr, erflle diese Verheiung!

    Hanniel. Sieh, noch eben schwebt sein Geist an der Hlle, entbinde ihn dochvollends!Uriel. Komme, du vollendeter, gerechter Geist! deine Hlle werde zu Staub unddu erwache zum ewigen Leben!

    (Delaja stirbt.)

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    Delaja (in starrem Erstaunen). Was ist aus mir geworden? - Wer seid ihr,strahlende, fremde Jnglinge?Uriel. Wir sind deine Brder, Delaja! - wir sind gekommen, um dich in deinewiges Vaterland abzuholen.

    Delaja. Nun fhle ich erst, da ich wirklich gestorben bin und nicht trume -aber Trost fr diese meine Lieben!Uriel. Der Segen des Herrn wird ber ihnen sein, sie mssen in ihren Prfungennur ausharren.

    Delaja. Aber werde ich auch selig sein? - Wird mir der gerechte Richter auchalle meine Mngel und Vergehungen nicht mehr zurechnen?Uriel. Du hast treu an ihn geglaubt und nach allen deinen Krften seinen Willenerfllt. Du kommst nicht ins Gericht, denn du bist schon gerichtet. Aber folgeuns, du Geretteter, komm zu deinem Erbteil!

    (Im Schattenreiche.)

    Delaja. Welch' eine unbeschreiblich schne und weitglnzende Morgenrte! -Ich werd' in ihr verklrt. -Ach, ich werde ja so wie ihr, in Licht gekleidet - wieist mir so wohl!

    Hanniel. Du wirst auch ebenso ein Engel sein wie unsereiner.(Im Kinderreiche, weit vorwrts nahe am Gebirge.)

    Uriel. Sieh', mein Bruder Delaja, hier sollst du nun wohnen, diese ganze Flchemit allen ihren Hgeln und Tlern, mit allen Lebensbumen und Lebensstrmensind nun dein; hier in deinem Frstentum wirst du viele Tausend frhverstorbene Kinder und Millionen Geister aus allerlei heidnischen und wildenVlkern, auch Trken und Juden, finden, die der Herr wert gefunden hat, Brgerseines Reichs zu werden. Du wirst ihre himmlischen Wohnungen allenthalben ingroer Anzahl antreffen, alle haben ihre Lehrer, Fhrer und Vorgesetzte, und duwirst aller Frst und Vorsteher sein.

    Delaja. Ach, ich Unwrdiger, woher nehme ich die Weisheit, diesem Geschftevorzustehen?Uriel. Du hast dir den Willen und die Krfte in deinem Erdenleben erworben;aber alle Weisheit kommt allein vom Herrn. Siehe, auf jenem herrlichen hohenHgel, an der Seite des heiligen Gebirges, ist deine frstliche Burg; siehe, sie

    schimmert weit und breit wie Gold und Perlen; ber alles ragt ein prchtigerTempel hervor, in welchem auf saphirnen Tafeln bestndig der Wille desErhabenen offenbaret wird; hier wirst du immer, so oft du dein Angesichthinwendest, finden, was du zu tun hast. Auch werden sich viele Heilige um dichher sammeln, die dir in deinem erhabenen Geschfte beistehen.

    Delaja. Der Wille des Herrn geschehe! Gelobt sei die Herrlichkeit des Herrn andiesem Orte!

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    Uriel undHanniel. Wir verlassen dich, Bruder. Geniee nun deiner SeligkeitenFlle, die dir von nun an dein hohes Wirken bereiten wird!Womit aber legteDelaja die Saat zu seiner nunmehrigen Seligkeit?Antwort: Als er an der Kirchentr stand und sich fest vornahm, so fromm zu

    sein, als es ihm nur immer mglich wre, denn damit ging er gerechtfertigt nachHause.

    Der Gedanke einer Gleichschaltung aller Menschen, die guten Willens und Strebens sind,wird hier ausgefhrt und klargestellt, Stilling verweist auch ganz eindeutig darauf, da nichtGeld, Ehre und Ansehen die ewige Seligkeit gewhrleisten, sondern allein unser Ringen zumLicht.1) Die Gesinnung, die hier unserem Geiste durch den hiesigen Unterschied der Stnde nachGeburt, Ehre und Reichtum gleichsam wesentlich geworden ist, wird uns dereinst an unsererSeligkeit sehr hinderlich sein, wenn wir sie hier nicht schon ganz rein auswurzeln und jedennach dem Grade der Gnade schtzen, die in ihm wirkt.Er erzhlt hier eine Geschichte, die, wie er ausdrcklich betont: "So geschehen ist, wie ich siehier erzhle. Da ich die Dazwischenkunft der Engel dazu gedichtet habe, brauche ich wohlnicht weiter in Erinnerung bringen, "Im Verlaufe dieser Berichterstattung, die sich auf das Wohltun und die wahre Nchstenliebebezieht, verweist er darauf, da man sogar fr eine "ordentliche Bekleidung der Armen sorgenmsse." Unsere "gedankliche" Umschaltung ist also nicht allein ausschlaggebend. Es ist nichtso, wie wir heutzutage gerne sagen, da es Wohlfahrtsanstalten genug gibt, fr die wir

    jhrlich bestimmte Summen zahlen, sondern, da wir auch dort, wo uns Not und Leidenentgegentreten, als wahre Christen - christlich gesinnt - helfen mssen und uns nicht hinter"Ausreden" verstecken, wenn wir nicht eine tatschliche Schuld auf uns laden wollen.

    Das Empfinden, etwas Gutes getan zu haben, aber zeigt die innere Stimme, die wir Gewissennennen, uns dann genau so an, wie die sch1immen Handlungen, deren wir uns zu schmen,vor deren Auswirkung wir uns zu frchten haben.2) Wenn dir nach einer Handlung ein unbeschreibliches Wonnegefhl, so wie ein Blitz, durchdie Seele fhrt, so denke: das war ein Engelku, und dafr danke dann Gott. Der Prediger, dermir diese Geschichte als eine seiner merkwrdigsten Pastoralerfahrungen erzhlte, war HerrPastor Eickel in Elberfeld, dessen seligen Hingang ich auch besungen habe. Dies Gedichtbefindet sich in der neunten Szene des zweiten Bandes.3) Hier findet sich der unwiderlegliche Beweis, da nur der Glaube und nicht die Werke seligmachen; und zugleich auch eine Erfahrung, aus welcher sich die Vernunftmigkeit dieserLehre begreifen lt,

    4) Je weniger Ruhm und Ehre, aber auch Freude des Wohlgelingens man bei gutenHandlungen geniet, desto fruchtbarer sind sie fr uns in jenem Leben,Gutes