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Tageszeitung junge Welt Freitag, 1. Juni 2012, Nr. 126 kinder Wasser, Brot und hartes Lager: Eine Jugend in einem Branden- burger Therapiezentrum.Von Alexander Reich Seite 4 Wir fühlten uns allen überle- gen – nur der Einbruch ins Kanz- leramt war schwierig. Von Cyrill Callenius Seite 6 100 Geschichten in 40 Jahren: Die Buchstabenfabrikantin Christine Nöstlinger. Von Christiana Puschak Seite 7 Sport, Meditation, Kunst: Wie- so schicken Eltern ihre Jungs so selten ins Ballett? Von Gisela Sonnenburg Seite 8 junge W elt Die Tageszeitung V or über 30 Jahren haben Sie eine Superheldin für Kinder geschaffen: Bir- ne. Die konnte nicht nur leuchten, sondern auch fliegen und sprechen. Und aus dem Armenischen übersetzen. Im Vorwort des zweiten Birne-Bandes »Birne kann noch mehr« schreiben Sie, Birne hätte Ihnen gesagt: »Ich bin widerstandsfähig, man kann mich an- und ausknipsen. Ein Mensch wür- de das nie aushalten, deshalb bin ich auch erfunden worden.« War es nicht Ihr Sohn Daniel, der Birne erfunden hat? Ich habe ihm immer vor dem Einschla- fen erfundene Geschichten erzählt. Es ist meine Profession. Eines Abends sagte ich: »Ich mag nimmer, mir fällt nichts mehr ein. Mach du weiter«. Er hatte neben dem Bett ein altmodisches Nachttischlämpchen stehen. Es mußte so lange brennen, bis er eingeschlafen war. Er sagte: »Erzähl doch was ... über Birne«. »Und was ist mit ihr?«, fragte ich. »Sie muß alles können!« Das Zauberreich öffnete sich, die kindliche Om- nipotenz begann. Birne ist in den Weltraum geflogen, sie hat Autorennen gefahren, sie hat mit Fischern auf dem Meeresgrund Algengärten angelegt, an den olympi- schen Spielen teilgenommen und mit anderen Glühbirnen gestreikt. Wir haben mit Birne auch Jesus vom Kreuz geholt, weil das viele Hängen bestimmt sehr weh tut. Birne konnte alles, was nor- male Birnen birnentechnisch vermögen und noch viel mehr. Denn die Birne ist doppel- deutig. Es ist der Kopf, das Licht da drin und es ist ein technischer Gegenstand, das Licht draußen. Und vorallem: es ist keiner- lei Projektion für Mama und Papa. Das war das Gute daran. Sie war sehr links. In den frühen 1970er Jahren waren sogar die Sechsjährigen schon politisiert. Wir ha- ben Lesungen und Aufführungen in Turn- hallen veranstaltet. Da wurden die Lehrer und Lehrerinnen von den Kindern meistens rausgeschickt, die hatten dort nichts zu su- chen. Die Kinder hatten allgemein die viel besseren Ideen. Lange wurde über einen Birne-Film verhandelt, und ich sagte im- mer: Das geht nicht, das gebe ich nicht her, denn sobald die Kinder das Ding sehen und es nicht mehr nur in ihrer Phantasie existiert, ist es tot. Birne hatte in der Tat eine revolutionäre Tat vollbracht: Sie war die erste Kinderlite- raturheldin, die die Kinder in der Stadt ließ. Sie war strikt gegen die ganze Försterei und Blümchenkunst und heissa-ist- es-auf-der- Welt-so-schön. Das war in diesen Büchern alles weg. Statt dessen waren Düsenmoto- ren wichtig. Und die Kinderzeichnungen, mit de- nen Ihr Sohn Daniel die Geschichten illustrierte. Die Originalität der Kinderzeichnungen hat Birne Authentizität gespendet. Es wurde nicht von Erwachsenen etwas Illusionäres getuscht und den Kindern kindischer Plüsch vorgesetzt, sondern das Gefühl erzeugt: Das kann ich auch. Und das können sie auch alle ab vier, fünf Jahren, etwas Neues, Grobes. Mein Sohn Daniel hat das murrend, aber oft auch sehr gern gezeichnet. Wurde er auch am Umsatz beteiligt? Natürlich: zu zehn Prozent. Daß die Zeich- nungen die Erwachsenen befremdeten, das hörte ich anfangs oft. Beim Luchterhand- verlag gefielen sie nur dem Vertriebschef. Er sagte, das Geniale an Birne sei, daß sie eine Freiheitsidee beinhalte: »Leute, fragt! Laßt euch nicht für dumm verkaufen! Die Kinder müssen selbst etwas tun. Sie dür- sten. Deshalb waren Daniels Zeichnungen richtig. Das Selberzeichnenkönnen gehört zum Selbermachenkönnen dazu. Der Ver- triebschef war ein verspäteter El-Greco- Mann. Er trug immer schwarze Rollkragen- pullover und fuhr einen schwarzen Porsche. Und für die Birne-Bücher setzte er ein neu- es, größeres Format durch, sozusagen ein Porscheformat. Birne ist Teil von Aufbruch und Revol- te von 1967/68. Mein Sohn ist 1962 geboren. Zwischen Er- zählen und Aufschreiben liegen Jahre. Die ersten beiden Birne-Bücher kamen 1971 heraus. Da lebte ich mit Daniel nicht mehr zusammen. Ich wurde todkrank, weil ich mich von meinem Sohn trennen mußte. »Leute, fragt!« Gespräch u Mit Günter Herburger. Über »Birne« und »Rulaman«, über den Sohn und über den Vater und das Problem, wie man als Kind überlebt Fortsetzung auf Seite zwei O Günter Herburger, Jahr- gang 1932, ist Schriftstel- ler und lebt in Berlin Alle Fotos dieser Bei- lage stammen aus dem Buch »Durch dick und dünn. Großeltern von heute und ihre Enkel« von Paula Lanfranconi (Texte) und Ursula Mar- kus (Fotos), erschienen im Schweizer Helden Verlag. Mehr dazu auf Seite 7

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Tageszeitung junge Welt Freitag, 1. Juni 2012, Nr. 126k i n d e r

Wasser, Brot und hartes Lager: Eine Jugend in einem Branden-burger Therapiezentrum. Von Alexander Reich Seite 4

Wir fühlten uns allen überle-gen – nur der Einbruch ins Kanz-leramt war schwierig. Von Cyrill Callenius Seite 6

100 Geschichten in 40 Jahren: Die Buchstabenfabrikantin Christine Nöstlinger. Von Christiana Puschak Seite 7

Sport, Meditation, Kunst: Wie-so schicken Eltern ihre Jungs so selten ins Ballett? Von Gisela Sonnenburg Seite 8 jungeWelt

Die Tageszeitung

Vor über 30 Jahren haben Sie eine Superheldin für Kinder geschaffen: Bir-ne. Die konnte nicht nur

leuchten, sondern auch fliegen und sprechen.

Und aus dem Armenischen übersetzen.Im Vorwort des zweiten Birne-Bandes »Birne kann noch mehr« schreiben Sie, Birne hätte Ihnen gesagt: »Ich bin widerstandsfähig, man kann mich an- und ausknipsen. Ein Mensch wür-de das nie aushalten, deshalb bin ich auch erfunden worden.« War es nicht Ihr Sohn Daniel, der Birne erfunden hat?

Ich habe ihm immer vor dem Einschla-fen erfundene Geschichten erzählt. Es ist meine Profession. Eines Abends sagte ich: »Ich mag nimmer, mir fällt nichts mehr ein. Mach du weiter«. Er hatte neben dem Bett ein altmodisches Nachttischlämpchen stehen. Es mußte so lange brennen, bis er eingeschlafen war. Er sagte: »Erzähl doch was ... über Birne«. »Und was ist mit ihr?«, fragte ich. »Sie muß alles können!« Das Zauberreich öffnete sich, die kindliche Om-nipotenz begann.

Birne ist in den Weltraum geflogen, sie hat Autorennen gefahren, sie hat mit Fischern auf dem Meeresgrund Algengärten angelegt, an den olympi-schen Spielen teilgenommen und mit anderen Glühbirnen gestreikt.

Wir haben mit Birne auch Jesus vom Kreuz geholt, weil das viele Hängen bestimmt sehr weh tut. Birne konnte alles, was nor-male Birnen birnentechnisch vermögen und noch viel mehr. Denn die Birne ist doppel-deutig. Es ist der Kopf, das Licht da drin und es ist ein technischer Gegenstand, das Licht draußen. Und vorallem: es ist keiner-lei Projektion für Mama und Papa. Das war das Gute daran.

Sie war sehr links.In den frühen 1970er Jahren waren sogar die Sechsjährigen schon politisiert. Wir ha-ben Lesungen und Aufführungen in Turn-hallen veranstaltet. Da wurden die Lehrer und Lehrerinnen von den Kindern meistens rausgeschickt, die hatten dort nichts zu su-chen. Die Kinder hatten allgemein die viel besseren Ideen. Lange wurde über einen Birne-Film verhandelt, und ich sagte im-mer: Das geht nicht, das gebe ich nicht her, denn sobald die Kinder das Ding sehen und es nicht mehr nur in ihrer Phantasie existiert, ist es tot.

Birne hatte in der Tat eine revolutionäre Tat vollbracht: Sie war die erste Kinderlite-raturheldin, die die Kinder in der Stadt ließ. Sie war strikt gegen die ganze Försterei und Blümchenkunst und heissa-ist- es-auf-der-Welt-so-schön. Das war in diesen Büchern alles weg. Statt dessen waren Düsenmoto-ren wichtig.

Und die Kinderzeichnungen, mit de-nen Ihr Sohn Daniel die Geschichten illustrierte.

Die Originalität der Kinderzeichnungen hat Birne Authentizität gespendet. Es wurde nicht von Erwachsenen etwas Illusionäres getuscht und den Kindern kindischer Plüsch vorgesetzt, sondern das Gefühl erzeugt: Das kann ich auch. Und das können sie auch alle ab vier, fünf Jahren, etwas Neues, Grobes. Mein Sohn Daniel hat das murrend, aber oft auch sehr gern gezeichnet.

Wurde er auch am Umsatz beteiligt?Natürlich: zu zehn Prozent. Daß die Zeich-nungen die Erwachsenen befremdeten, das hörte ich anfangs oft. Beim Luchterhand-

verlag gefielen sie nur dem Vertriebschef. Er sagte, das Geniale an Birne sei, daß sie eine Freiheitsidee beinhalte: »Leute, fragt! Laßt euch nicht für dumm verkaufen! Die Kinder müssen selbst etwas tun. Sie dür-sten. Deshalb waren Daniels Zeichnungen richtig. Das Selberzeichnenkönnen gehört zum Selbermachenkönnen dazu. Der Ver-

triebschef war ein verspäteter El-Greco-Mann. Er trug immer schwarze Rollkragen-pullover und fuhr einen schwarzen Porsche. Und für die Birne-Bücher setzte er ein neu-es, größeres Format durch, sozusagen ein Porscheformat.

Birne ist Teil von Aufbruch und Revol-te von 1967/68.

Mein Sohn ist 1962 geboren. Zwischen Er-zählen und Aufschreiben liegen Jahre. Die ersten beiden Birne-Bücher kamen 1971 heraus. Da lebte ich mit Daniel nicht mehr zusammen. Ich wurde todkrank, weil ich mich von meinem Sohn trennen mußte.

»Leute, fragt!«Gespräch u Mit Günter Herburger. Über »Birne« und »Rulaman«, über den Sohn und über den Vater und das Problem, wie man als Kind überlebt

Fortsetzung auf Seite zwei O

Günter Herburger, Jahr-gang 1932, ist Schriftstel-ler und lebt in Berlin

Alle Fotos dieser Bei-lage stammen aus dem Buch »Durch dick und dünn. Großeltern von heute und ihre Enkel« von Paula Lanfranconi (Texte) und Ursula Mar-kus (Fotos), erschienen im Schweizer Helden Verlag. Mehr dazu auf Seite 7

Freitag, 1. Juni 2012, Nr. 126 junge Welt 2 k i n d e r

Ich lebte dann in München, und mein Sohn blieb bei seiner Mutter in Westberlin. Ich schickte ihm zum Wochenende per Post eine Geschichte. Dann wurde sie zurückge-schickt mit einer Zeichnung von ihm. Oder sie blieb bei ihm, weil er meinte: mag nicht, fällt mir nichts zu ein. Mußte er auch nicht. Keinerlei Zwang. Es waren offene Systeme. Er zeichnet schwarz oder in Farbe, was ge-rade auf dem Tisch lag.

Bevor sich unsere Wege trennten, wollte ich ihm noch beibringen, wie man ohne Geld in einem fremden Land überleben kann. Wir sind zusammen nach Neapel mit dem Zug gefahren, ohne zu bezahlen. Und von dort schwarz mit dem Schnellboot nach Capri. Alles muß immer vollbesetzt sein, dann fällt man nicht auf und muß nur ein bißchen auf die Kontrolleure achten. Wir haben gestohlen im Supermarkt und am Strand auf Kartons unter Booten geschla-fen. Eines Nachts bemerkte ich, wie mein Sohn sich hin und herwälzte – in der Hand sein langes Fahrtenmesser. Er wollte uns beschützen. Ich habe vor Rührung fast ge-weint. Die Fahrt zurück ging auch gut. Zum Abschluß habe ich ihm gesagt: »Schau, so ungefähr kannst du überleben.« Davon wollte er aber überhaupt nichts wissen. Er sagte: »Papa, ich will nie wieder mit dir verreisen!«

Wie alt war er da?Sechs. Was bis sechs nicht geschieht, ge-schieht nimmer mehr. Wenn die Kinder bis zu diesem Alter keine Heimat in sich haben, dann brauchen sie Jahrzehnte, bis sie sich selbst eine aufzubauen vermögen. Wo die Heimat sich befindet, verlangt zwar nach Rückkehr, sie kann auch imaginär sein, aber vorhanden muß sie sein. Sonst er-eignet sich sich ein permanentes Scheitern oder eine Zwangshaltung.

Hat Ihr Sohn auch Kinder?Er will keine, doch dreimal Urlaub im Jahr, Ski fahren und nach Hawaii oder Florida fliegen. Er wird 50, lebt in München und ist ein hochbegehrter Junggeselle mit golde-nen Kreditkarten.

Wie fand er die etwas avancierteren Ausflüge von Birne in die Geschich-te im dritten Band »Birne brennt durch«?

Nicht mehr gut, sie waren ihm zu erwach-sen.

Hat die Elektro-Industrie auf Birne reagiert? Gab es Nachricht von Os-ram?

Ich bin nie dorthin gegangen, um zu re-cherchieren. Die Recherche ist der Tod der Phanatsie. Ich habe mir alles ausgedacht und hinterher festgestellt: Ja, so ist es. Da-mals kam die O-Ton-Literatur auf. Sprich mit den Leuten, schreib es genauso auf, und dann wissen wir es. Erika Runge war die Königin des O-Tons.

Mit ihren »Bottroper Protokollen«.Ein gutes Buch, es hat viel durchgesetzt. Aber ich habe ihr gesagt: Erika, geh nir-gends hin, erfinde es. Frau O-Ton-Runge sagte: »Ich muß jetzt zum Friseur, ich will wissen, wie Dauerwellen gemacht werden«. »Nein«, habe ich ihr gesagt, »das weißt du doch schon, stell es dir einfach vor.« Sie kam mit einer Dauerwelle zurück und meinte: »Alles sehr schwierig. Wie soll ich das beschreiben?« Ich half ihr nicht. Heute gibt es eine Theatergruppe der »Rimini-Protokolle«, die ebenfalls dokumentarisch arbeitet. Mein Begehren sind solche Seh-nur-Dialoge nicht.

Sie waren Mitglied der DKP. Ist Birne auch in der DDR veröffenticht wor-den?

In strenger Auswahl. Mein ganzes Werk ist in der DDR erschienen, aber eben nicht alles.

Was wurde weggelassen?Was wir »Freiheit« und »freie Wahl« nen-nen, nannten sie dort »Anarchismus«. Birne wurde übersetzt in spanisch, baskisch, tür-kisch, italienisch, polnisch, in norwegisch. Das war alles fortschrittlich. Der Fortschritt in der DDR verbarg sich woanders, zum

Beispiel in 61 Wurstsorten. Ich habe dort gelesen, aber keine Birne-Geschichten. Sie dachten, er spuckt uns in die Erziehungs-suppe. Die Sowjetunion war viel großzü-giger.

1996 ist der vierte Birne-Band erschie-nen. »Birne kehrt zurück« – nach über 20 Jahren Abwesenheit.

Sie wurde gleich gestoppt. Entweder haben es die Birne-Väter und die Birne-Mütter nicht mitbekommen, oder die Birne-Kinder waren inzwischen schon erwachsen und haben gedacht: »Oh, Birne, nicht schon wieder!« Niemand wollte mehr Birne. Al-lerdings war die zurückgekehrte Birne sehr ökologisch verseucht und sehr ökonomisch interessiert. Da hatte ich etwas falsch ge-macht. Man muß mit der Ökonomie sehr sorgsam umgehen. Ich wollte wieder etwas anrichten, ein leicht anarchistisches Gestö-ber in die für mich nicht mehr greifbare westdeutsche Literatur einführen – was vollständig mißlang.

Was haben Sie als Kind gelesen?Keine Kinderbücher, sondern Heldensagen, mit sechs, sieben Jahren, zum Beispiel »Ein Kampf um Rom« von Felix Dahn, Römer

gegen Goten, als die intrigante Königin Amalaswintha im kochenden Bad verdarb. Es dampfte schwül aus den Sätzen. Mein ganzes Literaturverständnis, meine reli-giöse und soziologische Ausbildung, die gesamte Ökologie in mir aber kommt von einem anderen Buch her: »Rulaman« von David Friedrich Weinland, Erstauflage 1876. Er war Zoologe und Forscher, der Geschichten geschrieben hat, die in den steinzeitlichen Höhlen der Schwäbischen Alb spielten. Rulaman ist ein jugendlicher Held, ein großartiger Kämpfer und Jäger. Es gibt dann auch noch »Kuning Hartfest«, Geschichten über die Kelten als die Fort-setzung von »Rulaman«. Sie waren schon nicht mehr so gut.

War »Rulaman« illustriert?Präraffelitisch, leicht süßlich, also sehr schön, um Hemmnisse zu überwinden. Das genialste an »Rulaman« ist sein An-

merkungs-Apparat. Weinland, ein umfas-send gebildeter Mann, hat beispielsweise fremde Namen eingeführt und auch erklärt: Namen, die seltsam klangen, aber immer paßten – aus dem Isländischen, aus dem Lateinischen, aus dem Frühsumerischen. Und wenn ein bestimmter Knochen ge-spalten wurde, um daraus ein Werkzeug zu machen, wurde im Apparat genau erklärt, warum ausgerechnet dieser Knochen sich gut dafür eignete und woher er kam. Ich habe mich beim zweiten Mal Lesen nur auf den Apparat konzentriert. Es war das Span-nendste, was ich je entdeckt habe.

Lesen Sie noch Neuerscheinungen?Die Romane heutzutage sind oft uninteres-sant. Ein bißchen Trubel, ein wenig Bezie-hungsgeflecht oder die Mystifizierung der eigenen Person als Literatur-Literatur, zur Zeit sehr prestigeträchtig. Bei »Rulaman« aber ging es ums Überleben. Es war mein Ur-Buch.

Und wie kann man als Kind überle-ben?

Wenn wir Durst hatten, sind wir in den nächsten Bach gesprungen. Das Wasser, auch aus den Seen, konnte überall noch ge-trunken werden, und auf der Schwäbischen Alb gab es Knöchelchen, die Faustkeilen oder kleinen Harfen ähnelten. Wenn meine Mutter Brunnenkresse brauchte, sind wir los mit einem Netz und haben den Salat aus einer verlassenen Kneipanlage geholt. Brauchte sie Forellen, habe ich mich ans Ufer gelegt und welche mit der Hand gefan-gen oder mit dem Blumendraht gefischt. Er wird, eine fiese Angelegenheit, weiträumig über die Kiemen bugsiert, dann mit einem Ruck zugezogen und der Fisch aus dem Wasser geschleudert. Er blutete und japste noch im Gras, schaute uns mit seinen Au-gen, die nichts wissen, als seien sie Edel-steine, an.

Hat Ihnen Ihr Vater aus »Rulaman« vorgelesen?

Er kannte ihn nicht, hat meinem Bruder und mir auch nichts vorgelesen. Er war ein Tierarzt, der nach Hause kam und erschöpft eine Kanne Milch trank. Manchmal veran-staltete er Kissenschlachten oder fuhr mit uns auf seinem Motorrad vier Runden um die Stadt herum. Einer vorne auf dem Tank, einer hinten auf dem Sitz.

Sie sind 1932 geboren. Was haben Sie für Erinnerungen an die Nazis?

Daß mein Vater Obernazi war, aber im Krieg verschwand. Er kommandierte den letzten Pferdepark in Oels, Niederschlesi-en. Er kam nie wieder. Es heißt, er sei von Partisanen an einer Kreissäge scheibchen-weise zersägt worden.

Meine Familie war priviligiert, denn mein Großvater besaß eine kleine Peit-schenfabrik. Daraus entwickelte sich spä-ter, als der Tourismus begann, eine Fabrik

für Skistöcke, und dann für Camping. Ein Onkel von uns hat für seine Frau, die Ma-lerin war, den ersten Wohnwagen erfunden, damit sie ihr Atelier auf Reisen mitnehmen konnte. Diese Firma gibt es heute noch: Dethleffs. Ich sollte sie erben, wollte nichts damit zu tun haben, sie entsprach nicht den Nietzsche-Sätzen, die ich las. Die Welt war haptischer anzufassen.

Wie war der Krieg?Es war aufregend. Mustangs kamen über die Felder geschossen. Tiefflieger der Al-lierten. Wer sich im Graben nicht duckte, wurde mehrfach geteilt. Manchmal sind auch welche abgestürzt. Wir sind hinge-gangen und haben die schweren MPs aus-gebaut und nach Hause geschleppt, mein Bruder und ich. Wir waren gut ausgerüstet. Wenn alle bewaffnet waren, statteten wir uns ebenso mit Leuchtspurmunition, Dum-Dum, Phosphor und Stahlmantel aus. Ei-nem toten Piloten zogen wir die Pelzjacke aus und machten ihm die goldene Uhr ab. Es war, wie Benjamin sagt, Genuß der Un-terlegenen, die zerstörten, um ihrer Kind-heit einen Halt zu geben.

Sie haben keine schlechten Erinne-rungen?

Wohlbehütet, wie ich den Krieg im letz-ten Schürzenzipfel Süddeutschlands er-lebte, empfand ich die nach Kriegsende zurückkehrenden Väter am schlimmsten. Die sickerten wieder ein, hatten nur ein Auge oder nur noch einen Fuß. Zuerst waren sie äußerst schweigsam und wurden viermal am Tag warm gefüttert, weil sie so schwach waren. Und dann fingen sie lang-sam wieder an, über ihre Frauen und über die Kinder zu herrschen. In einem Ton, der knarrend war. Weg, weg, dachte ich schon, nach Paris, in die damalige Kulturzentrale der Welt.

Wir Kinder spielten mit den Bubis, so hatten wir die französischen Soldaten aus Algerien genannt, weil sie so lieb und so jung waren. Sie lebten mit uns im Keller, und zwei Stock höher, in unserer eigent-lichen Wohnung, war die Kommandantur untergebracht. Darin waren les Blancs, die Weißen, die Offiziere. Die Bubis wurden von ihnen geschlagen. Mit uns haben sie gekifft, übles Zeug, Wurzelkiff im Pfeffer-minztee. Ich war zwölf und verfiel in Träu-me. Die Bubis und wir Kinder waren eine Bande für sich.

Im nächsten Winter, ausgestattet von den Bubis, fuhr ich eine Viererkombina tion Ski bei Wettkämpfen, die es nicht mehr gibt: Langlauf, Torlauf, Abfahrtslauf und Sprin-gen. Entweder siegte ich spektakulär oder stützte in ebenso spektakulärer Weise.

Meine Kindheit ist ein unausrottbarer Traum für Abenteuer, fürchterliche An-strengungen und deren Erlösungen. Das Gespräch führte Christof Meueler

kinder erscheint als Spe-zial der Tageszeitung jun-ge Welt im Verlag 8. Mai GmbH, Torstr. 6, 10199 Berlin. Redak tion: Chri-stof Meueler (V. i. S. d. P.), Jana Frielinghaus; An-zeigen: Silke Schubert; Gestaltung: Michael Sommer

O Fortsetzung von Seite eins

Die beiden ersten Birnen-Geschichten erschienen 1970 bei Hanser, 1971 folgten bei Luchterhand die Birne-Bände »Birne kann alles« und »Birne kann noch mehr«, 1975 »Birne brennt durch« und 1996 »Birne kehrt zurück« (alle bei Luchterhand). Später gab es Taschen-buchausgaben bei Ro-wohlt

»Er hatte neben dem Bett ein altmodisches Nachttischlämpchen stehen. Es mußte so lange brennen, bis er ein-geschlafen war. Er sagte: ›Erzähl doch was ... über Birne‹. ›Und was ist mit ihr?‹, fragte ich. ›Sie muß alles können!‹«

Faust jr. ermittelt

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junge Welt Freitag, 1. Juni 2012, Nr. 126 3k i n d e r1

Sie wohnten zur Miete, in der zweiten Etage eines Mehrfami-lienhauses. Ich war bisher da-von ausgegangen, daß alle ein

eigenes Haus besäßen, in unserem Dorf schien es jedenfalls so zu sein. Hier ar-beiteten alle bei Volkswagen und zahlten bis zur Rente ihr Eigenheim ab. Ein paar Ausnahmen gab es, aber die waren nur auf der Durchreise. Wie der Junge, der kurz nach seiner Geburtstagsfeier wie-der wegzog.

Wir standen uns gar nicht so nahe. Er gehörte zu meiner Kindergartengruppe, aber er konnte nicht gut rennen, weil er etwas dicklich war, und er fing mal an zu heulen, als ich ihn beim Wettlauf um-stieß, einfach nur weil er mir im Weg stand. Aber solche Kleinigkeiten verzieh er uns schnell, weil er keine andere Wahl hatte. Auch die Sprüche über seine dik-ke Unterlippe, die aussah, als wäre sie ständig geschwollen, oder als schmollte er gewohnheitsmäßig. Einmal hörte ich, wie ihn eines der älteren Kinder als »Ne-gerlippe« beschimpfte, und wir lachten so laut, daß ihm wieder die Tränen in die Augen schossen. Er hat vermutlich oft geweint.

Aber dann überraschte er mich, als er mir eines Nachmittags eine bunte Ein-ladung in die Hand drückte, vorn drauf ein freundlich lächelnder Obelix mit dem obligatorischen Hinkelstein auf dem Rük-ken, der mich in einer Sprechblase fragte, ob ich auch käme zu seinem Geburtstag. Ich fühlte mich geadelt. Da buhlte je-mand um meine Freundschaft, und es war mir fast egal, daß dieser jemand nicht unbedingt zu den beliebtesten Kindern gehörte. Ich war gerührt. Kann man schon Rührung empfinden mit fünf?

Er lud noch ein paar andere Kinder ein, zwei Mädchen und Axel, meinen »Cousin zweiten Grades«, mit dem ich damals ständig zusammenhockte. Wir trafen uns bei dem Jungen zum Kuchenessen, und noch viel sympathischer als er – an des-sen Namen ich mich einfach nicht mehr erinnern kann – war mir sein Vater. Er bejubelte jedes Geschenk, das sein Sohn bekam, führte vor, was man damit al-les Tolles anstellen konnte, schlug einem kollegial auf die Schulter, bedankte sich, als hätte man auch ihm dieses grandiose Geschenk gemacht, und setzte sich zu uns an den geschmückten Kindertisch in der Küche, während seine Frau bei den Verwandten im Wohnzimmer blieb. Er nahm sich Zeit, und er war großartig. Er spielte mit uns Topfschlagen, Verstecken, und als sein Sohn beim Fangenspielen zu versagen drohte, flüsterte er mir zu, ob ich ihm nicht einen Gefallen tun könne, heute sei doch der Geburtstag seines Sohnes, da dürfe er doch nicht traurig sein ... Ich täuschte dann ein Stolpern vor, und der Junge fing mich, und fortan zwinkerte mir sein Vater verschwörerisch zu, wenn unsere Blicke sich trafen, so als hätten wir beide ein Geheimnis. Es war der schönste Kindergeburtstag, schöner als meine ei-genen, und als mich meine Mutter gegen sieben Uhr abends abholte, fing ich an zu weinen.

Der Junge und ich, wir wurden dann für ein paar Wochen wirklich gute Freun-de, vermutlich weil ich nicht mehr nur den Jungen sah, sondern durch ihn hindurch immer auch seinen Vater. Ein paar Wo-chen lang, bis zu den Sommerferien. Am letzten Tag verabschiedete sich der Junge, und die Erzieherinnen erklärten uns, daß er nach den Ferien nicht mehr in den Kindergarten komme, weil er mit seinen Eltern »in die Stadt« ziehe. Ich glaube, nach Hannover. Weder er noch ich waren traurig darüber, weil wir noch nicht wis-sen konnten, was es heißt, jemanden nie mehr wiederzusehen. Und ich dachte eine ziemlich lange Zeit nicht mehr an ihn.

Erst als meine Mutter die vielen Fami-lienbilder sortierte, in ein Album klebte und ihr Werk stolz herumreichte, sah ich

dieses Kindergartenbild wieder und ich erinnerte mich schon damals nicht mehr an seinen Namen. Aber ich weiß noch, daß ich nicht weiterblätterte, die ganze Zeit nur über diesem Bild grübelte und schließlich nach draußen auf den Balkon ging, um diesen Druck in der Brust loszu-werden.

2Der da hinten mit dem Fußball unter dem Arm, der so schüchtern kuckt, als würde er nicht dazugehören, als würde er am liebsten schnell aus dem Bild herauslau-fen, das ist Helge, mein Cousin. Er ist zwei Jahre jünger als mein großer Bruder und fünf Jahre älter als ich. Eine zu gro-ße Altersdifferenz. Wir konnten nichts miteinander anfangen, beziehungsweise konnten die beiden nichts mit mir anfan-gen. Sie spielten, ich stolperte hinterher, ging ihnen auf die Nerven und sah mit großen, aufmerksamen, verwunderten Augen zu.

Helge besuchte uns jedes Jahr in den Sommerferien, um den Kontakt zu uns und vor allem zu seinen Großeltern nicht zu verlieren. Er war das Kind aus der ersten Ehe meines Onkels und lebte bei seiner Mutter in Hannover. Mein Onkel zahlte, was er zahlen mußte, und küm-merte sich darüber hinaus nicht um sei-nen Sohn. Er hatte in der Zwischenzeit

wieder geheiratet, zwei weitere Kinder bekommen. Für ihn war der Fall erledigt. Nur einmal im Jahr mußte er sich daran erinnern lassen, dann kam Helge zu Be-such. Er schlief zwar bei uns in einem kleinen Abstellraum mit Bett, den meine Eltern »Fremdenzimmer« nannten, aber wir spielten manchmal im großen, alten, von vielen Obstbäumen gesäumten Gar-ten meiner Großeltern – und ebendort im zweiten Stock wohnte auch sein Vater mit seiner neuen Familie.

Mein Onkel versuchte alles, aber so ganz konnte man sich in den zwei Wo-chen, die Helge hier weilte, eben doch nicht aus dem Weg gehen. Ich war vier damals, nicht älter. Und immer wenn ich die Geschichte erzähle, es ist nicht mal eine richtige Geschichte, bezweifelt man in der Familie, daß ich mich daran noch erinnern kann. Kann ich aber.

Wir aßen bei den Großeltern, es gab Kartoffelpuffer, Helges Lieblingsmahl-zeit, eine Art Begrüßungsessen, denn er war erst heute morgen angereist. Danach ärgerten wir Katzen, bis wir uns deshalb schämten, und anschließend bolzten wir aufs Garagentor, das heißt Helge und mein Bruder bolzten, ich habe zugesehen. Mein Großvater kam auch herbei und kommentierte den einen oder anderen Schuß. Dann fuhr ein Auto vor, und mein Onkel stieg aus. Er kam offensichtlich von der Frühschicht, verabschiedete sich mit einem launigen Spruch bei seiner Fahr-gemeinschaft und schlenkerte lächelnd durch die offene Gartenpforte. Noch hatte er uns nicht gesehen. Die beiden hörten auf zu spielen. Wir warteten alle darauf, was jetzt folgen würde, und ich sah Hel-ges ängstlichen Blick.

»Na, geh mal hin zu deinem Vater«, sagte mein Opa und nickte ihm gutmütig zu, »begrüß ihn man mal.«

Und als Helge zögerte, nickte er noch einmal lächelnd. Man konnte es ihm an-sehen, wie er sich überwinden mußte, wie schwer es Helge fiel, aber schließlich ging er ihm doch mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf entgegen. Und jetzt sah mein Onkel herüber, sah uns, sah ihn.

Er stutzte kurz, ganz kurz nur, und federte weiter zur Haustür, er war immer noch bester Laune, und Helges Körper schien sich etwas zu strecken. Er machte sich gerade beim Anblick dieses freund-lichen Gesichts. Er beeilte sich jetzt, lief die letzten vier, fünf Schritte beinahe auf ihn zu, und mein Onkel blieb stehen.

»Guten Tag«, sagte Helge, jetzt doch wieder zögerlich, und gab ihm zaghaft die Hand.

»Guten Tag«, sagte mein Onkel und nahm die Hand.

Dann ließ er sie wieder los und ging mit leichten, fast beschwingten Schritten ins Haus, ohne sich noch einmal umzu-drehen. Helge blieb stehen und sah ihm nach, sein ausgestreckter Arm fiel schlaff herunter und pendelte leicht nach. Seine Haltung fiel wieder in sich zusammen, erst senkte sich der Kopf, dann schien sich sein ganzer Oberkörper zu krümmen, wie eine Katze in Not. Mein Bruder rief seinen Namen und schoß ihm jetzt den Ball zu, einfach nur, damit irgendwas pas-sierte. Der Ball sprang an seinen linken Oberschenkel und prallte lasch ab und rollte dann träge und sinnlos über die be-tonierte Einfahrt.

Ich sah zu meinem Opa auf, der hat-te sich abgewendet und auf den Zaun gestützt. Er schüttelte unmerklich den Kopf und sah gedankenverloren die leere Dorfstraße hinunter. Als er meinen Blick bemerkte, lächelte er nur traurig und hob auffordernd einen Arm, damit ich mich zu ihm stellte und er ihn mir auf die Schulter legen konnte. Aber jetzt drehte sich Helge um und starrte uns ängstlich an, wie ein Aussätziger. Und ich weiß noch, daß ihn mein Bruder rettete.

»Mann, schieß endlich«, sagte er ge-nervt. Und ich bin mir nicht sicher, ob er das nur spielte, um die Situation zu ent-schärfen, oder ob er tatsächlich verärgert war wegen der Verzögerung.

Als es Abend wurde und wir nach Hau-se mußten, nahm mein Opa Helge beiseite und steckte ihm einen Fünfzigmarkschein zu. Mein Bruder und ich beneideten ihn darum.

Väter und SöhneKleinigkeiten, die einem keine andere Wahl lassen: Zwei Geschichten aus der Vorschulzeit. Von Frank Schäfer

Helge blieb stehen und sah ihm nach, sein aus-gestreckter Arm fiel schlaff herunter und pendelte leicht nach. Sei-ne Haltung fiel wieder in sich zusammen, erst senkte sich der Kopf, dann schien sich sein ganzer Oberkörper zu krümmen, wie eine Kat-ze in Not. Mein Bruder rief seinen Namen und schoß ihm jetzt den Ball zu, einfach nur, damit ir-gendwas passierte

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Freitag, 1. Juni 2012, Nr. 126 junge Welt 4 k i n d e r

Das Ruppiner Land ist überhaupt eins von den stillen in unsrer Provinz«, schrieb Fontane Ende des 19. Jahrhunderts in seinen

»Wanderungen durch die Mark Branden-burg«. Die 19jährige Julia Buchholz (Name von der Redaktion geändert) hat hier einen Wald hinter dem Fenster ihrer Hartz-IV-Wohnung. Nach unserem ersten Gespräch Anfang Mai sucht sie im Pfennigland nach Gardinen.

Sie will eigentlich nur über das The-rapiezentrum Haasenburg im Spreewald reden, »am liebsten«, um etwas zu seiner Schließung beizutragen. Als sie mit 13 in seinen »vorübergehend engmaschig inten-sivpädagogisch-therapeutischen Bereich« gesperrt wurde, war sie schon sehr kaputt. Mit 16 sei sie noch kaputter wieder raus-gekommen, sagt sie heute: »Die Haasen-burg hat alles nur schlimmer gemacht.« Das schließt auch ihre Selbstverletzungen und Kicks ein. Z. B. inhalierte sie durch ein ge-faltetes Handtuch sechs Flaschen Deospray (und kam auf einer Intensivstation wieder zu sich), um diese stumpfen Routinen der Haasenburg zu vergessen:

»Wenn du was willst, mußt du an der Tür klopfen, deinen Namen rufen, in die Mitte des Raumes treten und auf einen Erzieher warten. Darf ich auf Toilette? Ja, darfst du. Als nächstes fragst du an der Zimmertür, ob du auf den Flur treten darfst. Auf dem Flur mußt du direkt neben dem Erzieher laufen, keinen Schritt vor oder hinter ihm, und bei den Waschräumen noch mal klop-fen: Darf ich rein? Wieder warten, ob er ja oder nein sagt. Die Toilettentür blieb dann angelehnt, anfangs. Später kam, weil ich mich ja selbst verletzt hatte, immer jemand mit aufs Klo.«

In Flashbacks rutscht Julia manchmal von einer völlig realen Szene ihrer Vergan-genheit in die nächste, kriegt Panik, keine Luft mehr, zerkratzt sich den Hals. So ist sie kaum dazu in der Lage, die Hauptschule abzuschließen, deren Aufgaben sie in der Haasenburg aufs Zimmer bekam (ihre »Be-freiung von der Pflicht zum Schulbesuch« wurde immer problemlos verlängert).

Mit Hartz IV kommt sie natürlich kaum hin. Das Geld in ihrem Portemonnaie müs-se bis Ende des Monats reichen, sagt sie, die Handyrechnung sei höher. Wir haben den siebten. »Ich bin im Arsch, aber was soll ich denn machen? Soll ich dem Assi-Amt auf die Fresse hauen und sagen: Hier, ich brauch tausend Euro für meine Rechnun-gen?«

Julia ist ohne Vater im Brandenburg der 90er aufgewachsen. Ihre sehr junge Mutter fand nur selten mal Arbeit im Imbiß oder als Reinigungskraft. »Mit mir war sie völ-lig überfordert«, sagt Julia. »Sie hat mich vernachlässigt und verprügelt, war einfach nicht die Mutter, die man sich wünscht.«

Julia war sechs, als das Jugendamt Hil-fe zu ihrer Erziehung gemäß Paragraph 32 Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) bewilligte: Betreuung in einer Tagesgrup-pe. In den übrigen Stunden, in denen die Mutter verantwortlich blieb, machte Julia erste Erfahrungen mit sexueller Gewalt. Im Jahr darauf änderte das Jugendamt die »Hilfe zur Erziehung« in »Heimerziehung« ab (»gemäß Paragraph 34 KJHG«, die bis-herige Hilfe habe »nicht im erforderlichen Maße zur Überwindung der Verhaltensauf-fälligkeiten geführt«).

Den größten Teil der folgenden acht Jah-re sollte Julia in offenen und geschlosse-nen (Übergangs-)Heimen und Psychiatrien verbringen. »Da ging es langsam los mit Selbstverletzungen, Alkohol, Drogen. Ich kam von einer Einrichtung in die nächste, zwischendurch immer wieder Psychiatrie. Keiner wußte so richtig was mit mir anzu-fangen, und überall bin ich abgehauen.«

Anfang 2006 beschloß ein Familienge-richt die »geschlossene Unterbringung« der 13jährigen. Diese Art »Freiheitsent-ziehung« der Jugendhilfe muß gerichtlich genehmigt werden, auf Antrag des »Per-sonensorgeberechtigten«. Im März 2006 kam Julia nicht auf einen Ponyhof, wie ihre

Sorgeberechtigte schwärmte, sondern in die Haasenburg. Ungefähr zehn Erzieher stan-den bei der Ankunft Spalier und ließen das erste Mal nicht mit sich reden, als sie ihre Schuhe abstreifte, ohne die Schnürsenkel zu öffnen.

Sie habe dann erst mal Monate auf dem Zimmer verbracht: »Bett, Schreibtisch, Schrank – mehr war da nicht. Und da ist keiner reingekommen.« Therapeutische Gespräch habe es »nur bei Bedarf« gege-ben, »wenn die Zeit hatten«. Wie oft sie die »Haasenburg-Regeln« abgeschrieben hat, weiß sie nicht mehr. Nur, wer sich an diese Regeln und eigene »Verhaltenspunk-

te« gehalten habe, sei in den Genuß eines Stuhls oder eigener Kleidung gekommen: »Bettwäsche, ein bißchen Lidschatten – al-les mußte man sich verdienen. Dafür gab es Holzchips in verschiedenen Farben. Und wenn der Chipverdienst nicht in Ordnung war, wurde auch ein geplanter Besuch mei-ner Mutter kurzfristig abgesagt.«

Nimmt man die »Reduktionskost« hin-zu, die Julia aufs leere Zimmer bekam – »morgens zwei Toast, mittags eine kleine Portion, nachmittags ein Stück Obst ...«, nur als ihr BMI zwischenzeitlich unter 25 lag, war sie kurz »Normalkostler« –, fühlt man sich an die Jugendfürsorge aus der Zeit Fontanes erinnert: Wasser, Brot und hartes Lager. Das sollte in den Arrestzellen zum Standard erhoben werden mit dem »Preu-ßischen Fürsorgeerziehungsgesetz« von 1900, einem »Zwangserziehungsgesetz« gegen »abweichendes Verhalten« proletari-scher Jugendlicher (den bürgerlichen waren wie heute Internate vorbehalten).

»Freiheit entziehende« Heime der Ju-gendhilfe werden mittlerweile in der Regel von freien Trägern, also teilprivatisiert, be-trieben. Das gilt auch für die Haasenburg GmbH. Das Jugendamt zahlte für Julias Unterbringung wechselnde Tagessätze. Diese werden für jeden einzelnen ständig nachverhandelt, je nach Betreuungsauf-wand. Im Falle der Haasenburg liegen sie schnell mal bei 500 Euro, wie »frontal 21« im ZDF am 24. April mit abgefilmten Akten zeigte, um den Gewinn von »3,1 Millionen Euro nach Steuern« herzuleiten, den die GmbH in den letzten fünf veröffentlichten Jahresabschlüssen verzeichnete. Ihr Chef Christian Dietz, geborener Haase, betreibe auch Fitneßstudios, Landwirtschaftsbetrie-be, Flug- und Fuhrunternehmen. Das ZDF hat am Tor seines Anwesens geklingelt.

Es ging in dem Beitrag nicht um Mäd-chen wie Julia, sondern um gewalttätige Jungs. Alle kamen nach der Haasenburg in Gefängnisse – auch wegen der Methoden des Therapiezentrums, wie die Landgerich-te Berlin und Cottbus in ihren Urteilen an-merkten. Was auch immer in diesen Jungs brodelte, in der Haasenburg kam der Dek-kel drauf. Wie alle freien Träger berichte die Einrichtung »selbst über ihre Qualität an die Jugendämter«, ergänzte eine Rechts-anwältin im ZDF, es gäbe kaum Möglich-keiten der Überprüfung. Im übrigen hätten ernsthafte psychische Erkrankungen wohl kaum festgestellt werden können »mit dem normalen Erzieherteam, was da rumlief, und zum Teil aus Tischlern, Schlossern und Fleischermeistern bestand«.

»Von einem Fleischer weiß ich nichts«,

sagt Julia. »Aber es gab unsere Handwerker und den Nachtwächter.« Bei Betreuungs-mangel, der nicht selten war, seien die ein-gesprungen – zu ihrem Glück: Eine dieser Hilfskräfte sei zur einzigen Vertrauensper-son geworden.

Drei Monate nach Julias Einweisung stellte die Haasenburg in einem »Entwick-lungsbericht« an das Jugendamt fest, daß »ohne intensivtherapeutische Behandlung der Abstieg in die Delinquenz (...) akut gegeben ist«. An ihren Qualitäten ließ die Einrichtung kaum Zweifel: »So arbeitet Ju-lia zum jetzigen Zeitpunkt im Rahmen des Token-Programmes (gemeint ist die Vertei-

lung der Holzchips, d. Red.) an den folgen-den Verhaltenspunkten: 1. Ich halte mich an die Regeln der Haasenburg. 2. Ich höre auf die Anweisungen der Erzieher. 3. Ich stelle keine Forderungen. 4. Ich achte auf meinen Ton, Mimik und Gestik.« Oder: »Sie hat seit ihrer Aufnahme ihr Gewicht um ca. 10 kg reduzieren können, ein Erfolg, den wir ihr sehr oft vor Augen führen.«

Anderthalb Jahre später, im Dezember 2007, schickte die Haasenburg wieder so ei-nen Bericht an das Amt: »Julia befindet sich nach wie vor in der Anpassungsphase rot«. Wohl deshalb haben die Verhaltenspunkte inzwischen Ausrufezeichen. »Zum jetzigen Zeitpunkt arbeitet Julia im Rahmen des Tokensystems zur Verhaltensmodifikation an folgenden Verhaltenspunkten: 1. Ich hö-re auf die Anweisungen der Erzieher und beziehe nicht alles auf mich! 2. Ich stelle keine Forderungen und übe mich in Ge-duld! (…) 4. Ich thematisiere nicht ständig das Essen!«

Anfang März wurde Julias Fall auf ei-ner Konferenz der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP) in Berlin vorgestellt. Der Psychologe Benjamin Lemke zitierte zwei weitere Haasenburg-Berichte, die im großen und ganzen und in Details über-einstimmten, »obwohl sie zum Teil aus

verschiedenen Zeiten stammen«. Ein ita-lienischstämmiger Junge sei eingewiesen worden, weil er auf einem Schrottplatz Au-to gefahren sei. »In der Rotphase wurde die Matratze aus seinem Zimmer entfernt, und als er seinen Kopf auf den Pullover legte, wurde der ihm auch weggenommen. Raus-gekommen ist er, nachdem er gedroht hatte, Schrauben zu schlucken.«

Ein Mädchen sei durch Anpassung so-weit gekommen, das Händchenhhalten auf dem Hof schriftlich zu beantragen. Es wurde mit Zeitangabe genehmigt. Bis heu-te frage dieses Mädchen unvermittelt ver-meintliche Autoritäten, ob es seine Tasche nehmen oder eine Tür öffnen dürfe. Auch diese beiden seien ohne Schulabschluß ent-lassen worden.

Das verhaltenstherapeutisch angelegte Konzept der Haasenburg sei nicht öffent-lich einsehbar, auch wenn mit ihm öffent-liche Gelder eingeworben würden, erklärte Lemke gegenüber jW. Es entspreche aber wohl dem Mainstream in der Psychothera-pie. »Für mich ist das Dressur. Die Lebens-geschichte des einzelnen wird ausgelöscht, um neue Verhaltensregeln anzutrainieren.« Konsequent würden die Heimkinder die-sem Regulationssystem ausgesetzt. Wich-tiger wäre, ihnen zuzuhören und eine ver-trauensvolle Umgebung zu bieten, lautet Lemkes »Einschätzung von außen«. Sie basiert auf Gesprächen mit einem ehema-ligen Mitarbeiter der Haasenburg und mit Psychologen, die die Einrichtung besucht haben.

Nach einem Personalwechsel im Jugend-amt und einem »Hilfeplangespräch« im Dezember 2008 wurde Julia entlassen. Sie habe es direkt nach dem Gespräch von ihrer in Tränen aufgelösten Mutter erfahren. Die wußte da schon länger, »daß die hier mit aufs Klo kommen und Dinge mit Gewalt durchsetzen«, sagt Julia. »Ja, aber ich muß mir keine Sorgen mehr machen – das war ihre Antwort. Sie wisse, wo ich sei, ich könne nicht abhauen, sie müsse sich keine Sorgen mehr machen.«

Ob es eine Höchstdauer der von Julia beschriebenen Arrestierung gab, mochte die Haasenburg in ihrer langen Antwort an die jW vom 25. Mai nicht verraten, oder nur soviel: »Gerade in der Eingewöhnungs-phase« stießen Maßnahmen »nicht durch-gehend auf Akzeptanz«. Die Jugendlichen »müssen sich zunächst an die vereinbarten Regeln gewöhnen. Nicht selten steht das Leben in der Haasenburg in einem krassen Gegensatz zu dem bisher – oft vollkommen regelfreien – Erlebten.«

Im übrigen gelinge das »Neu- und Um-lernen von Verhaltensweisen« nach dem »Tokensystem« vor allem wegen des Per-sonalschlüssels, dessen Untergrenze in der

Julia in der HaasenburgWasser, Brot und hartes Lager: Eine Jugend in einem Brandenburger Therapiezentrum. Von Alexander Reich

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junge Welt Freitag, 1. Juni 2012, Nr. 126 5k i n d e rBetriebserlaubnis des Landesjugendamtes festgelegt sei – man folge da einem Mot-to, das in der Antwort wert ist, wiederholt zu werden: »Menschen statt Mauern«. Die »engmaschige Überprüfung« der Jugend-ämter werde seit einiger Zeit ergänzt von einem »TÜV-zertifizierten Qualitätsbe-auftragten« und einer »unabhängigen Be-schwerdekommission«, deren Installierung »keineswegs branchenüblich« sei.

Was TÜV und Kommission in den letz-ten drei Jahren gebracht haben, müßte man andere fragen. Julia wären Mauern manch-mal lieber gewesen als diese ununterscheid-baren Betreuermenschen: »Vom Prinzip

her waren alle gleich drauf, grob gesagt: Die haben gemacht, was vorgeschrieben war. Mitarbeiter, die das nicht wollten, ha-ben gekündigt.« Vorgeschrieben war zum Beispiel, ihr das Nervendämpfungsmittel Risperdal, das umsatzstärkste Arzneimittel in der BRD 2007, zu verabreichen. Und wenn sie – mit ihrer als »außerfamiliärer Mißbrauch« aktenkundigen Vorgeschich-te – auf Risperdal eine bestimmte Anzahl von Kniebeugen oder Runden auf dem Hof nicht geschafft habe, »ging das über Walkie-Talkie: Wir brauchen Unterstützung auf dem Pausenhof. Da kamen zwei, drei Männlein an und haben einen gezwungen, so mit Armverdrehen, Polizeigriff.

Wenn man sich gewehrt hat, und war es nur: Lassen Sie mich los!, haben die

auf einem draufgesessen und die Beine, die Arme, den Kopf festgehalten. Und dann langsam: Wir zählen jetzt bis drei und lassen deine Arme los. Du bleibst bitte so liegen, sonst halten wir sie wie-der fest.

Schritt für Schritt mußte man sich da auf dem Boden verdienen, daß sie einen loslas-sen. Dann mußte man liegenbleiben, bis sie gesagt haben: Du darfst aufstehen. Und ei-nen Bericht schreiben über sein Verhalten: Warum bin ich nach fünf Runden auf dem Pausenhof aggressiv geworden?«

Erfolge würden »nicht spektakulär, aber Schritt für Schritt« errungen, teilte die Haa-

senburg in einer Stellungnahme zur ZDF-Sendung vom 24. April mit, und erklärte, sie sei nun einmal zuständig für »Kinder und Jugendliche, die bisher besonders we-nig erzogen wurden«. Ausgleichend viel erzogen werden sollte Julia in der Haasen-burg offenkundig zu Ordnung, Gehorsam, Disziplin – Vorstellungen, die schon den Zuchtanstalten in der Zeit Fontanes zugrun-de lagen. In dem für Julia relevanten Kin-der- und Jugendhilfegesetz sind sie nicht zu finden. Das KJHG trat 1990 in Kraft. Es zeigt an, was die 68er auf ihrem Marsch in die Institutionen an fortschrittlicher Päd-agogik retten konnten, als sich der Wind schon wieder gedreht hatte und Forderun-gen nach geschlossenen Heime für Inten-sivtäter lauter wurden.

Was Julia und die anderen in der Haasen-burg erlebten, hatte deshalb wieder viel mit dem Reichsjugendwohlfahrtgesetz von 1923 zu tun, das die Nazis als völlig kompatibel vorfanden. Bis 1990 hatte es in der BRD Bestand. Auch die DDR-Jugendhilfe, die eine Arrestzelle wie aus Preußen bereithielt, den Fuchsbau in Torgau, orientierte sich an solcher Art Fürsorge, trotz aller großartigen Ansätze in der Ostzone nach dem Krieg oder des berühmten Psychoanalytischen Kinderlaboratoriums von Vera Schmidt im Moskau der jungen Sowjetunion. Im Unter-schied zur Jugendhilfe längst vergangener Zeiten wird in der Haasenburg immerhin

keiner mehr für ein hartes Arbeitsleben ge-drillt, das die Jugendlichen ja auch nicht in Aussicht haben, sie sind schlicht überflüs-sig und sollen das mit Fassung zu tragen lernen, ohne unangenehm aufzufallen.

Im Januar hat Julia die Haasenburg an-gezeigt. Wegen Körperverletzung. Sie hofft auf einen Prozeß, in dem auch die seelische Gewalt zur Sprache kommt. Die Haasen-burg weiß laut Antwortschreiben nichts von Ermittlungen. Das sei gut möglich, erklärte die Staatsanwaltschaft Cottbus am 25. Mai gegenüber jW. Seit Ende März habe man die Anzeige auf dem Tisch, sie werde noch geprüft.

Julia mußte im Januar zweimal zur po-lizeilichen Vernehmung. Beim ersten Mal wollte »die Kripobeamtin mir was erzählen

von wegen, das sei doch normal, daß man als psychisch Kranke aufs Klo begleitet wird. Da hab’ ich gesagt: Wissen Sie, wie oft ich schon versucht hab’, mir das Leben zu nehmen, oder wie oft ich mir schon den Arm aufgeschnitten hab’? Ich wurde nie irgendwo davor oder danach aufs Klo begleitet!«

Ende April hat sie in Schwerin ihre letzte stationäre Therapie beendet. Es war wieder eine Verhaltenstherapie. Sie sollte in den elf Wochen zum Beispiel lernen, wie man dem Drang, sich zu ritzen, widersteht: durch Schnipsen eines Gummis am Handgelenk. Als sie im »Time-out-Raum« alleine über

einer Verhaltensanalyse brütete, habe sie einen ihrer Flashbacks gehabt »und nur Haasenburg gesehen überall, nur dieses leere Zimmer und die Leute, wie sie mich da angreifen«. Mit den Strafarbeiten der Haasenburg sei diese Analyse nicht ver-gleichbar gewesen, sagt sie auf Nachfrage: »Die Analyse war in Schwerin nicht darauf gerichtet, daß man Arschloch gesagt hat, sondern auf das selbstverletzende Verhal-ten.« Und das kingt, als wäre ihr tatsächlich mal geholfen worden.

Nach dieser Therapie hat Julia eine Web-site gegen geschlossene Heime erstellt: g-g-u.de.tl – sie wäre womöglich zu haben für eine Heimrevolte, wie Meinhof, Baader und Ensslin sie in den 60ern vor Gründung der RAF organisierten.

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dern von Bauer Horst entdeckt werden, ist die Aufregung groß. UFO-Fans stürmen die Stadt, der hinterlistige Erik wittert ein Geschäft und eine christliche Sekte dreht durch. Allein das Prometheus-Trio kann nun noch Licht ins Dunkel bringen! – Ein satirischer Krimi für alle unter 42.

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»Schritt für Schritt mußte man sich da auf dem Bo-den verdienen, daß sie ei-nen loslassen. Dann mußte man liegenbleiben, bis sie gesagt haben: Du darfst aufstehen. Und einen Be-richt schreiben über sein Verhalten: Warum bin ich nach fünf Runden auf dem Pausenhof aggressiv ge-worden?«

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Freitag, 1. Juni 2012, Nr. 126 junge Welt 6 k i n d e r

Niedergesunken an der Wand saß ich da schon seit Tagen. Ich aß und trank nur das Nö-tigste (eigentlich gab es auch

nicht viel mehr). Ich weiß nicht, wie lange ich so saß, denn jedes Zeitgefühl, das ich je besessen hatte war wie in Luft aufgelöst.

Die Fenster sind vergittert, die nackte Glühbirne an der Decke strahlt ein gräß-lich kaltes Licht aus.

Es ist kalt, sehr kalt im Raum, lang-sam erhebe ich mich von der Wand, nur um sofort wieder hinunterzusinken. Ich kann nicht mehr. Die Wunden an mei-nem Arm sind noch nicht ganz verheilt, und bis ich wieder zu Kräften komme, wird es dauern.

Ich erinnerte mich an das, was passiert war: Ich war noch nie einer von denen gewesen, die man die »Guten« nennt.

Es fing in der 1. oder 2. Klasse an, Jo, so einer, der immer der Boß sein wollte und es auch war, fragte mich, ob ich in seine Bande wolle. Natürlich stimmte ich zu, es gab nichts Cooleres, als in sei-ner Bande zu sein.

Nach einiger Zeit war ich sogar der Berater von Jo geworden.

Wir überfielen kleinere Kinder, denen wir Geld, Handys und so etwas abzogen. Ab und zu mußte auch mal ein größerer dran glauben. Wir waren in der Überzahl und fühlten uns bald allen überlegen.

Wir waren aber auch nicht die, die Opfer niederschlugen, wir nahmen nur Wertgegenstände an uns.

Bald kannte ich auch echte Gangster, die in Banken ein- und aus Gefängnissen ausgebrochen waren.

Irgendwann hielten wir uns (alle, die unter Jo gestellt waren) für stark genug, um unseren Plan in die Tat umzusetzen. Keiner von uns überlegte, ob es richtig war, das zu tun. Denken war nicht unsere Stärke.

Keiner dachte lange nach, und so wur-de Jo K. am 23. Juni 2004 mit einem Messer im Herz auf der Straße aufgele-sen.

Seinetwegen wurden nur wenige oder gar keine Tränen geweint.

Max und Hannes wurden schon zwei Tage später festgenommen, aber das störte uns zu dieser Zeit nicht. Jetzt und endlich sollte es passieren, so sprachen wir.

Natürlich mußte man einen Einbruch ins Kanzleramt gut planen, aber als er-stes wollten wir dem Haupthaus der DB einen Besuch abstatten und ein paar Fahrkarten mitgehen lassen.

Die Aufgabe fiel auf mich und John. Wir liefen zum Haupthaus, einem riesi-gem Glasbau, der sich mitten in Berlin in den Himmel streckte. Nach zehn bis 20 Minuten standen wir staunend davor.

»Wow«, platzte es aus John heraus. Da waren wir, jetzt mußten wir nur noch rein.

Es erwies sich als leichter, als man denkt. Der Türsteher wollte wissen, was wir in dem Gebäude wollten. Bevor ich

antworten konnte, sprach John mit seiner kleines-Kind-Stimme: »Entschuldigen Sie, aber wir wollen einen Aufsatz über die Deutsche Bahn schreiben, Herr …« – »… Karrmann, Herr Karrmann«, der Türsteher tippte auf das Namensschild, das an seinem Anzug angeheftet war.

Er wollte uns anmelden und eine Gra-tisführung buchen, und da er gerade da-mit beschäftigt war, ein paar Anrufe zu tätigen, konnten John und ich ins Ge-bäuude schlüpfen, bevor Herr Karrmann begriff, was los war.

Drinnen waren wir nun auch, also nur noch Karten finden und abhauen.

Wir rannten durch die Vorhalle, wahl-los auf eine der vielen Treppen zu.

Herr Karrmann verfolgte uns.»Vier Stockwerke nach oben und dann

sehen wir uns wieder«, flüsterte John

mir noch zu. Er rannte zum Fahrstuhl, ich zu den Treppen. Leider hatte John nicht bedacht, daß man einen Fahrstuhl einfach abschalten kann, und so habe ich ihn bis zum heutigem Tage nicht mehr gesehen.

Im vierten Stock kam schon Herr Karrmann auf mich zu. Ich weiß nicht, ob es legal war, was er tat, aber er zog seine Waffe und feuerte auf mich. Ich konnte ganz knapp mit meinem Kopf ausweichen, aber leider traf eine zweite Ladung meinen Arm, der immer noch davon schmerzt.

Irgendwie, ich weiß nicht wie, stand ich plötzlich in einem Büro und sah einen von diesen Computern, mit denen man Fahrkarten drucken kann. 300mal die Fahrt Berlin–Frankfurt und zurück.

Mit den Tickets floh ich aus dem Ge-bäude. Ich hatte es geschafft, aber einer der Besten war dabei leider verlorenge-gangen.

Scheiße!Als ich in unser Lager kam, fragten

mich die anderen sofort, wo John geblie-ben sei. Ich erzählte die ganze Geschich-te und zeigte ihnen, nicht ganz ohne Stolz, die Fahrkarten.

Der Tag des großen Einbruchs näherte sich unaufhörlich und wir wurden immer aufgeregter.

23. Juni 2005: Vor einem Jahr hatten wir Jo das Leben ausgelöscht, ich frag-te mich manchmal, ob es nicht besser gewesen wäre, ihn am Leben zu lassen, aber er war einer gewesen, der aus dem Weg geräuumt werden mußte. Denn er hatte einen Vater, der kräftig auf dem Schwarzmarkt mitmischte. Vermutlich hätte er es seinem Vater erzählt, und das durfte nicht geschehen.

Heute wartete das Kanzleramt auf uns, naja, vielleicht nicht ganz freiwillig.

Wir fuhren mit der BVG, schwarz, fast wären wir erwischt worden.

Wir zogen uns Sturmmasken über, um als junge Nachwuchsverbrecher in die Geschichte einzugehen. Ins Gebäude ka-men wir noch, aber dann wurden wir, wie immer, vom Pech verfolgt, von Poli-zisten gejagt.

Die anderen konnten entkommen, ich nicht.

Nun setze ich mich auf und gehe mit schweren Schritten zum Bett und leg mich hin.

Ich will ein anderer Mensch werden.Kann man das?Oder bleibt man immer man selbst?

Der große EinbruchEs ist nicht so einfach, ins Kanzleramt einzusteigen. Von Cyrill Callenius

Cyrill Callenius hat im Mai ein Schülerprakti-kum im Feuilleton der jungen Welt absolviert. Er geht in Berlin in die 9. Klasse und schreibt Kurzgeschichten. Diese hier ist schon etwas älter

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junge Welt Freitag, 1. Juni 2012, Nr. 126 7k i n d e r

Die klassische Oma mit Brille und silbernem Dutt hat schon seit zig Jahren Seltenheits-wert. Und Leute, die heute

Großmutter oder Großvater werden, durchleben oft genug gerade eine neue Selbstfindungsphase, setzen langgeheg-te Pläne um – sind meist vielbeschäftigt, egal, wie alt sie sind. In Ostdeutschland sind noch immer die besonders jungen Großmütter häufig anzutreffen – die, de-ren Kinder Kinder bekommen, wenn sie mit Anfang, Mitte 40 von ihrem aktuel-len Freund mit der Harley von der Arbeit abgeholt werden. Es ist nicht für alle leicht, Enkel in den eigenen Alltag zu integrieren – schon aus geographischen Gründen. Das Zusammenleben mehre-rer Generationen am gleichen Ort, gar im gleichen Haus, wird immer seltener praktiziert – häufig wegen des Flexibili-tätsdrucks im neoliberalen Kapitalismus, aber auch zwecks Vermeidung unseliger Konflikte.

Paula Lanfranconi und Ursula Markus haben sich auf den Weg gemacht und in der Schweiz verschiedene Menschen in ihrer Rolle als Oma oder Opa – und natürlich die dazugehörigen Enkel – in Wort und Bild porträtiert. Da sind die Baseler Politikerin und ihr Mann, der Chemiker, die wöchentlich ein Mittag-essen mit den drei Töchtern und deren sechs Mädchen und Jungs veranstalten. Da ist die Bauernwirtschaft, auf der die Großeltern mit dem ältesten Sohn, seiner Frau und deren fünf Kindern – insgesamt gibt es 15 Enkel – auf traditionelle Art zusammenleben. Und es gibt die türki-sche Zuwandererfamilie mit den hoch-verehrten Großeltern, hier Babaanne und Dede genannt, als Gravitationszentrum. Oder den distinguierten 80jährigen, der stets für Aufsehen sorgt, wenn er mit seiner geliebten Enkelin ins Café geht. Denn die 38jährige ist forever Punk, ge-

stiefelt und gespornt, metallstarrend und rabenschwarz gekleidet – und ganz bür-gerlich berufstätig und verheiratet. Nicht zu vergessen die 84jährige Modedesi-gnerin im 200-Quadratmeter-Loft mit roter Badewanne mitten im Raum. Sie war früher Model, und auch sie pflegt ein inniges Verhältnis zu ihrer erwachsenen Enkelin.

Die Fotos von Ursula Markus illu-

strieren eindrucksvoll die Intensität und Gelöstheit vieler Enkel-Großeltern-Beziehungen. Eine Auswahl an Bildern aus dem Buch zeigen wir mit freundli-cher Genehmigung des Zürcher Helden-Verlages in dieser Beilage. Ein beson-deres kleines Vergnügen an dem liebe-voll und hochwertig gestalteten Werk ist die schweizerische Einfärbung der Sprache in den Texten: Eine Gruppe ist

ein Grüppli, ein Koffer ein Köfferli, ei-ne Hähnchenkeule ein Pouletbeinli, ein Gspänli ein Kumpel oder eine Freundin, das Kaffeetrinken heißt »Zvieri«, das Abendbrot »Znacht«. Und die kampfer-probte Feministin, in deren Vorstellung Enkel immer »Meiteli« waren, muß nun lernen, daß ein kleiner Bub eben nichts lieber tut als Baggerfahrern bei der Ar-beit zuzuschauen.

»Die Kinderliteratur wird nicht ernst genom-men, weil die Kinder nicht ernst genommen werden.« (Christine Nöstlinger)

Sie erhielt die Hans-Christian-Andersen-Medaille, den Astrid-Lindgren-Gedächtnispreis, für ihr Lebenswerk den Corine-

Ehrenpreis, den Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch und viele weitere Auszeichnungen. Alles Anerkennungen für eine große Erzählerin und Sprach-künstlerin, die nie Schriftstellerin werden wollte und dennoch zu den bedeutend-sten, beliebtesten und produktivsten Kin-derbuchautorinnen im deutschsprachigen Raum zählt. In mehr als 40 Jahren hat sie weit über 100 Bücher für Kinder und Erwachsene geschrieben sowie Fern-sehspiele, Hörfunksendungen und »ku-bikmeterweise Zeitungsartikel« verfaßt. Ihre Werke erreichen Millionenauflagen und zählen längst zu den internationalen Klassikern dieses Genres. Ursprünglich wollte sie »eine tolle Grafikerin« wer-den, aber »mangelnde Begabung«, wie sie selbst sagt, führte zum Abbruch des Studiums. Statt dessen kam ihr die Idee, ein Bilderbuch zu kreieren, denn Zeich-nen hatte sie ja gelernt. »Dazu habe ich mir eine Geschichte geschrieben. Dann ist die Geschichte gedruckt worden und die Geschichte hat einen Preis bekommen ... Da war ich so fasziniert von diesem Zipfel Erfolg, daß ich gleich das nächste Buch geschrieben habe.« Die Rede ist von Christine Nöstlinger. Und von ihrem De-bütwerk »Die feuerrote Friederike« über ein Mädchen, das allein ihres Äußeren wegen zur Außenseiterin wird. In diesem

Buch von 1970 werden unerhörte Töne an-geschlagen; Töne, die witzig, aufmüpfig und frech sind. Keine verlogene Idylle, keine heile Kinderwelt wird geschildert, wohl aber eine Utopie: »Es gibt ein Land, dort sind alle Menschen glücklich (...) Sie gehen in schöne Schulen. Kein Kind wird ausgelacht. Alle helfen einander.« Mit diesem Roman läutete Christine Nöst-linger eine neue Zeit in der Kinder- und Jugendbuchliteratur ein, die in der Folge immer zielgerichteter einen emanzipato-rischen Ansatz verfolgte.

Als Tochter einer Kindergärtnerin und eines Uhrmachers wird die Autorin am 13. Oktober 1936 in Wien geboren und wächst im Arbeiterbezirk der Wiener Vor-stadt auf, dem Schauplatz fast aller ihrer Romane. »Damals regierten in Österreich die Austrofaschisten«, erinnert sich Nöst-linger. »Als ich zwei Jahre alt war, mar-schierte Adolf Hitler ein, als ich drei war, mußte mein Vater in Polen einmarschie-ren.« Mit »fünf, sechs, sieben Jahren« habe sie »die ganze Zeit darauf gewartet, daß der Krieg verlorengeht und daß dann alles ganz herrlich sein wird und alle Nazis weg sein werden. Ich war ein sehr politisiertes Kind.« Die Erfahrungen, die sie während dieser Zeit und in den ersten Nachkriegsjahren macht, hat sie in ihren autobiographische Züge tragenden Ge-schichten »Maikäfer, flieg« (1973) und »Zwei Wochen im Mai« (1981) themati-siert und verarbeitet. »Ich kann nur über Dinge schreiben, die ich kenne«, hat sie

einmal gesagt. So nimmt es nicht wun-der, daß die Alltagswelt in ihren Büchern authentisch gespiegelt wird und die Figu-ren so sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist: »Die sogenannten Helden meiner Kinderbücher sind ganz gewiß immer eine ganz bestimmte Sorte von Kind. Das hängt eben auch mit dem Kind zusammen, das ich selber war. (…) Ich kann Kinder beschreiben, die Außensei-ter sind, die patschert sind.«

Realistische Milieuschilderung, So zial-kritik und Phantasie werden zu Geschich-ten in einer unverwechselbaren Sprache komponiert, die von verzwickten, chaoti-schen und brüchigen Lebensverhältnissen erzählen, von Kindern, die unter der Tren-nung der Eltern, unter Schulängsten lei-den, von Frauen- und Männerrollen und von der Liebe. Ihre weiblichen wie männ-lichen Protagonisten zeichnen sich durch Mut, Renitenz und Widerstand gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit jed-weder Art aus. In ihrer Erzählung »Lum-penloretta« (2010) greift sie jugendliche Themen wie Liebe, Freundschaft und Ei-fersucht auf, verknüpft sie mit sozialen wie Verwahrlosung und Vernachlässigung und zeigt, wie Menschen bis zur bitteren Einsicht miteinander umgehen.

In ihrem Schreiben läßt sich Christi-ne Nöstlinger von »vier Komponenten« leiten: »Ich habe gewisse Vermutungen darüber, was Kinder lesen wollen, und gewisse Vermutungen, was Kinder lesen sollten. Und dann habe ich noch das drin-

gende Bedürfnis, mir gewisse Dinge von der Seele zu schreiben. Und die feste Überzeugung, daß Kinder beim Lesen gern lachen, die habe ich auch.«

Eine Kindheit frei von Sorgen, unbe-rechenbaren Schwierigkeiten, kleinen Katastrophen, von Freude und Trauer gibt es bei Nöstlinger nicht, gewiß aber Wege zur Veränderung, wie sie es am Beispiel der »Kellerlinge« in »Wir pfeifen auf den Gurkenkönig« (1972) zeigt. Mit der phantastischen Welt der »Kellerlinge« lernen Kinder, gegen ungerechte, autori-täre Strukturen in der Familie zu oppo-nieren. Und über die Identifikation mit der Hauptfigur aus »Hugo, das Kind in den besten Jahren« (1983) lernen sie, was es bedeutet, sich zu solidarisieren und zu engagieren: »Man muß einschreiten, wo man kann! Vom Träumen wird nichts!«

Daß die »Buchstabenfabrikantin«, wie sie sich selbst nennt, in ihrer Textwerk-statt neben Kinderbüchern auch Gedichte aus kindlicher Perspektive und in »Pfui-Sprache« geschrieben hat, die unter dem Titel »Iba de gaunz oaman kinda« er-schienen sind, ist nur wenigen bekannt. Ob Geschichten oder Gedichte: Für Chri-stine Nöstlinger sind sie keine Mittel zur Flucht aus der Realität, sondern zur Ver-bildlichung ihrer Kritik an gesellschaft-lichen Zuständen. Vor allem aber will sie Kinder auf ihre Rechte hinweisen, »damit sie sich »in den gegebenen gesell-schaftlichen Verhältnissen besser zurecht-finden«.

Trost für die PatschertenHundert Geschichten in 40 Jahren: Die Wiener Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger hat Witz, Sozialkritik und emanzipatorische Ansätze in das Genre eingeführt. Von Christiana Puschak

Paula Lanfranconi (Texte)/ Ursula Markus (Fotos): Durch dick und dünn. Großeltern von heute und ihre Enkel. Helden Verlag, Zürich 2011, 192 Seiten mit 105 farbigen Abbildungen, 48 Euro

Das Buch wurde her-ausgegeben von der Schweizer Großmütter-Revolution (www.gross-muetterrevolution.ch)

Grosis, Papapas, FreundinnenPaula Lanfranconi und Ursula Markus geben Einblick in die bunte Vielfalt heutiger Enkel-Großeltern-Beziehungen. Von Jana Frielinghaus

Freitag, 1. Juni 2012, Nr. 126 junge Welt 8 k i n d e r

Der Filmvater in »Billy Elli-ot – I will dance« hat Vor-behalte: »Jungs gehen zum Fußball oder zum Boxen

oder zum Ringen. Aber doch nicht zum Ballett!« Nun muß nicht jeder tanzende Junge ein Superstar werden. Aber Be-weglichkeit und Koordination werden nirgends so effektiv trainiert wie beim Ballett. Sogar das Sehvermögen wird mit Ballett gestärkt, weil die »Kopf- und Armarbeit« im klassischen Tanz auch die Augenmuskulatur trainiert. Die Kör-perkunst bringt Körper, Geist und Seele in Einklang: Ballett ist Sport, Meditati-on, Kunst. Heranwachsende mit Kraft-schüben und Aggressionen können im Ballettsaal optimale Selbstbeherrschung lernen. Und Jungen, denen es an Antrieb fehlt, werden durch Ballett »erweckt«, weil es für eine ausgeklügelte Form der Lebensfreude steht.

Für die tanzenden Teenager im Saal »Balanchine« der Schule des Hamburg Ballett ist all das nicht neu. Ihr Lehrer Christian Schön zählt nicht nur den Takt, sondern bringt ihnen auch eine bestimm-te geistige Haltung bei: sich humorvoll, aber diszipliniert zu benehmen. Zwischen 13 und 15 Jahre sind die Jungs, die im einheitlich dunkelblauen Bodysuit ziem-lich elegant aussehen. Sie üben für eine Schüleraufführung, vorher aber steht das klassische Training an. Es ist in seiner Grundstruktur überall auf der Welt gleich. Und es ist so ausgelegt, daß man jeden Tag Neues lernen und sich perfektionie-ren kann. Musikalität wird sowieso geför-dert, und der angenehme Effekt schöner Bewegungen dürfte unumstritten sein.

Wieso also schicken Eltern ihre Jungen so selten ins Ballett? »Es liegt an den Strumpfhosen«, meint der Chemnitzer Ballettdirektor Lode Devos. Aber man kann doch auch in Shorts oder Leggings trainieren. Und das »Suspi«, auch »Susi« genannt – also das Suspensorium, das unterm Trikot die Hoden schützt – ist nun wirklich mackermäßig. Dennoch: »Bal-lett gilt als unmännlich«, sagt Christian Schön. Auch sein Vater war, als Christian tanzen lernte, skeptisch: »Erst, als er mal zugucken durfte, verstand er: Das ist ja richtig harte Arbeit! Ab da hatte ich seine volle Unterstützung.« Dann ist da noch

der Glaube, alle Tänzer seien schwul. Fakt ist: Ein Drittel der Ballett-Tänzer in Deutschland ist laut Schätzungen ho-mosexuell. Toleranz und Selbsterkenntnis lernen Jungs im Ballettsaal viel eher als im Fußballclub.

»Ballett geht mehr in Richtung Frieden, nicht in Richtung Krieg«, sagt Christian Schön seinen Schülern. Trotzdem kann er auch streng sein. »Minimal besser!« ist dann bereits großes Lob. Aber was ist der Unterschied zum Tanz der Mädchen?

»Die Jungs springen mehr, brauchen mehr Muskelkraft als Mädchen«, sagt Schön. Fitneß-Übungen wie Liegestütze und Pi-lates – eine schweißtreibende Gymnastik – sowie Krafttraining ergänzen die Kör-perschulung. Die schnellen, anmutigen Sprünge klappen denn auch bei Schöns Teens schon ganz prima.

Besonders fällt der italienische Schü-ler Giacomo auf. Er ist mit soviel Spaß bei der Sache, daß sein Tanz fast anstek-kend wirkt. Die gegenseitige Motivation der Schüler, ihr Teamgeist, ist im Ballett wichtig. Und: Die Jungs üben für den Pas de deux, bei dem die Mädchen von ihren Partnern kunstvoll emporgehoben wer-den. Das ist besser als Hantel-Training. Die Geschlechter üben so wie nebenbei den unverklemmt-höflichen Umgang mit-einander. Wobei die Gentleman-Manieren

vom Ballett auch außerhalb der Tanzsze-ne gut ankommen.

Das Einstiegsalter für Jungen ist etwa zehn Jahre. Manche fangen schon mit fünf an, oft mit »Kindertanz«, andere erst in der Pubertät. Bewegungslust und Körperintelligenz sind entscheidend. Zweimal wöchentlich zu tanzen, ist vielen genug, in der Berufsausbildung wird täg-lich trainiert. Wer nicht Tänzer wird, pro-fitiert dennoch von den Fähigkeiten, die er im Ballett ausprägt. In Osteuropa und

anderen Ländern ist Tanz als Berufswahl darum hoch angesehen: »Für die Russen, Dänen und Franzosen ist Ballett normal. Nur für uns Deutsche offenbar nicht«, sagt Schön. So schicken Kinderärzte in Frankreich kleine Patienten mit Haltungs- oder Fußschäden ins Ballett, wo Fehlstel-lungen korrigiert werden.

Aber welche Schule ist die richtige? Die Ballettschule in Hamburg, von John Neumeier 1978 gegründet, gilt als beste in Deutschland, sogar als eine der besten weltweit. Auch in Stuttgart gibt es mit der John-Cranko-Schule eine gute Adresse. Städte wie München, Mannheim, Berlin, Dresden bemühen sich. Und unterschied-lich gute Privatschulen üben mit Kindern auf Laienbasis schon mal die Anfangs-schritte. Bei Begabung sollte ein Kind aber in möglichst professionelle Lehrer-hände gegeben werden, am besten in eine staatliche Schule.

Dabei gilt: »Jeder Lehrer hat seinen eigenen Stil«, wie Schön sagt. Er selbst wurde bei Neumeier ausgebildet, war Tänzer in Dortmund, Bonn und Hagen und absolvierte im kanadischen Toronto die Ausbildung zum Pädagogen. »Aber nicht jeder gute Tänzer ist ein guter Leh-rer«, weiß Schön. Und manche unterrich-ten ohne Lehrerausbildung mit großem Erfolg, während sich andere Zertifikate an die Wand nageln, die über tatsächliche Fähigkeiten kaum was aussagen. Der be-ste Leitfaden im Wirrwarr der Systeme ist das international genutzte Petersburger Lehrsystem von Agrippina Waganowa.

Die Royal Academy of Dancing (RAD), die in Deutschland für viel Geld Ballettlehrer ausbildet, schreckt hinge-gen ab. Hinter dem klingenden Namen steht ein kommerzielles Unternehmen: Kitsch statt Kunst. »Es ist traurig, wenn Kinder vortanzen, die falsch geschult sind«, sagt Schön. Eltern sollten sich darum mit den »Grundlagen des klassi-schen Tanzes« von Waganowa (erschie-nen im Berliner Henschel-Verlag, 24,90 Euro) vertraut machen. Für die leichte-ren Übungen ist man oder Mann übri-gens nie zu alt!

Sprünge mit Höflichkeit Gerade für Jungs ist Ballett eine echte Alternative zum Sport, aber auch zum Musikunterricht. Von Gisela Sonnenburg

Wieso schicken Eltern ihre Jungs so selten ins Ballett? »Es liegt an den Strumpfhosen«, meint der Chemnitzer Ballett-direktor Lode Devos

Am 18. Juni findet in der Hamburgischen Staats-oper ein Abend der Bal-lettschule des Hamburg Balletts statt: »Erste Schritte« heißt es dann ab 19 Uhr dort, und Kar-ten ab 4 Euro sowie wei-tere Infos gibt es unter www.hamburgballett.de

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