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292 | Phys. Unserer Zeit | 35. Jahrgang 2004 | Nr. 6 © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim MAGAZIN | Viskoelastisch bedeutet hier, dass der Käse elastisch bleibt, wenn er schnell gezogen wird, verflüssigt aber bei langsamen Deformationsänderungen. Der Käse verhält sich dann wie eine zähe Flüssigkeit, und aus der Schmel- ze können lange Fäden gezogen werden, die kaum abreißen. Damit diese Eigenschaften wäh- rend des sich ziehenden Genusses so bleiben und Sie keine Enttäuschung in Form von Klumpenbildung und Phasenseparation erleben, halten Sie immer Wein und Schnaps bereit. Nicht so sehr des Durstes und der Verdauung wegen, sondern um die im Fonduekächeli gleichmäßig blubbernde Käseschmelze über längere Zeit stabil zu halten. Nicht einfach, denn die beiden Hauptbestandteile des Käses, Fett und Wasser,sind sich spinnefeind und mischen sich nicht. Schon des- halb müssen die Konzentrationen von Fett und Wasser stimmen. Er sollte deshalb ein ausgewogenes Verhältnis von Eiweiß, Fett und Wasser haben, also reif, aber nicht zu trocken sein, etwa wie bei mittelal- tem Gruyère, Beaufort oder Emmen- taler. Diese drei Komponenten sind für die rheologischen Eigenschaften der Schmelze in besonderer Weise verantwortlich. Eine wichtige und willkommene Tatsache der Käseherstellung ist, dass dessen Eiweiße, besser dessen Pro- teine, noch genauer dessen Caseine nicht denaturiert sind, denn bei der Fermentierung (etwa mit Lab), wird die Milch kaum über 30 ºC erhitzt. Diese Temperatur ist viel zu niedrig, um die globularen Milcheiweiße in molekularen Fäden zu entfalten. Hartkäse bilden somit nach Reifung eine homogene amorphe und feste Emulsion aus vielen Caseinkügel- chen, die Fett und Wasser einlagern. Damit sie voneinander getrennt bleiben, müssen grenzflächenaktive Moleküle vorhanden sein. Diese steuert die Milch selbst in Form von so genannten Kappa-Caseinen bei, die einen ausgeprägten hydrophilen und hydrophoben Charakter haben und so zwischen Wasser und Fett MOL-GASTRONOMIE | Käsefondue: eine kolloidale Schmelze An Weihnachten oder zum Jahreswechsel kommt gern das Fondue- geschirr zum Einsatz, weil sich damit viele hungrige Gäste unterhalt- sam sättigen lassen. Käsefondues sind allerdings eine physikalisch anspruchsvolle Angelegenheit. Die Kunst besteht darin, die visko- elastische Käseschmelze während des Genusses homogen zu halten. Geheimnisvolles Katzenauge Diese Aufnahme des 3200 Lichtjahre entfernten Katzenaugen-Nebels gelang einem Astronomenteam unter der Leitung von Zlatan Tsvetanov (NASA) mit dem Welt- raumteleskop Hubble. Es zeigt in bislang unerreichter Auflösung und Tiefe über zehn schalenförmige Strukturen. Der Planetarische Nebel entstand, als der Zentral- stern in einer Reihe von Eruptionen Teile seiner äußeren Hülle abstieß. Das darin enthaltene Gas wird von dem Stern zum Leuchten angeregt, wodurch man die Ränder der entstandenen Blasen erkennt. Aus der Ausdehnungsgeschwindigkeit dieser Hüllen lässt sich berechnen, dass der Stern sie im Abstand von etwa 1500 Jahren abgestoßen hat. Die Ursache hierfür ist weitgehend ungeklärt. Die radialen Strahlen entstehen durch Sternlicht, dass durch Löcher in den Hüllen hindurch- scheint und entweder an Staub gestreut wird oder Gas zum Leuchten bringt. Die Seitenlänge des Bildes entspricht etwa einem Lichtjahr (Foto: NASA/ESA). PHYSIK IM BILD | vermitteln. Die Kappa-Caseine tragen eine Ladung und setzen sich an den Oberflächen der Kügelchen. Die nun geladenen Kolloide stoßen sich deshalb ab, sobald sie sich zu nahe kommen und können nicht ver- schmelzen. Auf größeren Distanzen wirken attraktive Van-der-Waals-Kräf- te, die den Käse zusammenhalten. Wird er geschmolzen, darf die Temperatur nicht zu hoch sein. Zum einen entfalten sich sonst alle Milch- proteine, so auch die Kappa-Caseine, und Wasser und Fett trennen sich sofort. Zum anderen wären thermi- sche Bewegung und kinetische Ener- gie so hoch, dass alle Caseinkügel- chen nach Stößen zusammenlagern. Die Folge: Das Fondue verklumpt, Wasser,Fett und Eiweiß trennen sich. Dabei gehen die flüssigen und zugleich elastischen Eigenschaften verloren. Die Zugabe von einem Glas Alkohol in Form von Schnaps und/ oder Wein senkt den Siedepunkt. Solange genug Alkohol im Topf ist, bleibt die Temperatur immer ausrei- chend niedrig. Die Eiweiße dena- turieren nicht, die Schmelze bleibt homogen. Den experimentellen Beweis liefert übrigens das Käse- fondue selbst: Am Rand des heißen Topfs verdampft der Alkohol schnel- ler, und sofort bilden sich dort die unerwünschten Klumpen. Thomas A.Vilgis, Max-Planck- Institut für Polymerforschung

Käsefondue: eine kolloidale Schmelze

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Page 1: Käsefondue: eine kolloidale Schmelze

292 | Phys. Unserer Zeit | 35. Jahrgang 2004| Nr. 6 © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

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Viskoelastisch bedeutet hier, dass derKäse elastisch bleibt, wenn er schnellgezogen wird, verflüssigt aber beilangsamen Deformationsänderungen.Der Käse verhält sich dann wie einezähe Flüssigkeit, und aus der Schmel-ze können lange Fäden gezogenwerden, die kaum abreißen.

Damit diese Eigenschaften wäh-rend des sich ziehenden Genusses sobleiben und Sie keine Enttäuschungin Form von Klumpenbildung undPhasenseparation erleben, halten Sieimmer Wein und Schnaps bereit.Nicht so sehr des Durstes und derVerdauung wegen, sondern um die im Fonduekächeli gleichmäßigblubbernde Käseschmelze überlängere Zeit stabil zu halten.

Nicht einfach, denn die beidenHauptbestandteile des Käses, Fettund Wasser, sind sich spinnefeindund mischen sich nicht. Schon des-halb müssen die Konzentrationenvon Fett und Wasser stimmen.Er sollte deshalb ein ausgewogenesVerhältnis von Eiweiß, Fett undWasser haben, also reif, aber nicht zu

trocken sein, etwa wie bei mittelal-tem Gruyère, Beaufort oder Emmen-taler. Diese drei Komponenten sindfür die rheologischen Eigenschaftender Schmelze in besonderer Weiseverantwortlich.

Eine wichtige und willkommeneTatsache der Käseherstellung ist, dassdessen Eiweiße, besser dessen Pro-teine, noch genauer dessen Caseinenicht denaturiert sind, denn bei derFermentierung (etwa mit Lab), wirddie Milch kaum über 30 ºC erhitzt.Diese Temperatur ist viel zu niedrig,um die globularen Milcheiweiße in molekularen Fäden zu entfalten.Hartkäse bilden somit nach Reifungeine homogene amorphe und festeEmulsion aus vielen Caseinkügel-chen, die Fett und Wasser einlagern.

Damit sie voneinander getrenntbleiben, müssen grenzflächenaktiveMoleküle vorhanden sein. Diesesteuert die Milch selbst in Form vonso genannten Kappa-Caseinen bei,die einen ausgeprägten hydrophilenund hydrophoben Charakter habenund so zwischen Wasser und Fett

M O L- G A S T RO N O M I E |Käsefondue: eine kolloidale SchmelzeAn Weihnachten oder zum Jahreswechsel kommt gern das Fondue-geschirr zum Einsatz, weil sich damit viele hungrige Gäste unterhalt-sam sättigen lassen. Käsefondues sind allerdings eine physikalischanspruchsvolle Angelegenheit. Die Kunst besteht darin, die visko-elastische Käseschmelze während des Genusses homogen zu halten.

Geheimnisvolles Katzenauge Diese Aufnahme des 3200 Lichtjahre entfernten Katzenaugen-Nebels gelang einemAstronomenteam unter der Leitung von Zlatan Tsvetanov (NASA) mit dem Welt-raumteleskop Hubble. Es zeigt in bislang unerreichter Auflösung und Tiefe überzehn schalenförmige Strukturen. Der Planetarische Nebel entstand, als der Zentral-stern in einer Reihe von Eruptionen Teile seiner äußeren Hülle abstieß. Das darinenthaltene Gas wird von dem Stern zum Leuchten angeregt, wodurch man dieRänder der entstandenen Blasen erkennt. Aus der Ausdehnungsgeschwindigkeitdieser Hüllen lässt sich berechnen, dass der Stern sie im Abstand von etwa 1500Jahren abgestoßen hat. Die Ursache hierfür ist weitgehend ungeklärt. Die radialenStrahlen entstehen durch Sternlicht, dass durch Löcher in den Hüllen hindurch-scheint und entweder an Staub gestreut wird oder Gas zum Leuchten bringt. DieSeitenlänge des Bildes entspricht etwa einem Lichtjahr (Foto: NASA/ESA).

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vermitteln. Die Kappa-Caseine trageneine Ladung und setzen sich an denOberflächen der Kügelchen. Die nungeladenen Kolloide stoßen sichdeshalb ab, sobald sie sich zu nahekommen und können nicht ver-schmelzen. Auf größeren Distanzenwirken attraktive Van-der-Waals-Kräf-te, die den Käse zusammenhalten.

Wird er geschmolzen, darf dieTemperatur nicht zu hoch sein. Zumeinen entfalten sich sonst alle Milch-proteine, so auch die Kappa-Caseine,und Wasser und Fett trennen sichsofort. Zum anderen wären thermi-sche Bewegung und kinetische Ener-gie so hoch, dass alle Caseinkügel-chen nach Stößen zusammenlagern.Die Folge: Das Fondue verklumpt,Wasser, Fett und Eiweiß trennen sich.Dabei gehen die flüssigen undzugleich elastischen Eigenschaftenverloren.

Die Zugabe von einem GlasAlkohol in Form von Schnaps und/oder Wein senkt den Siedepunkt.Solange genug Alkohol im Topf ist,bleibt die Temperatur immer ausrei-chend niedrig. Die Eiweiße dena-turieren nicht, die Schmelze bleibthomogen. Den experimentellenBeweis liefert übrigens das Käse-fondue selbst: Am Rand des heißenTopfs verdampft der Alkohol schnel-ler, und sofort bilden sich dort dieunerwünschten Klumpen.

Thomas A.Vilgis, Max-Planck-Institut für Polymerforschung