Kai Jerzö Der Weg Bildnerisches Gestalten Vertiefungsprojekt Herbstsemester 2018

DokumentationStudierender: Kai Jerzö Mentorin: Elisabeth NembriniPädagogische Hochschule St. Gallen Erstellt im Dezember 2018

Die in dieser Dokumentation abgebildeten Arbeiten entstanden in Zusammenhang mit dem Unterricht ‹Vertiefungsprojekte Bildnerisches Gestalten Sek I, 7. Semester› bei Elisabeth Nembrini an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen.

www.illustration.world/thepath

StudierenderKai Jerzö

TitelDer Weg

Objekte 1 Papierrolle mit Tuschezeichnungen, Format 69 x 1200cm 1 Skizzenbuch im Format 21 x 29,7cm2 Skizzenbücher im Format 14,8 x 21cm 1 Arbeitsheft aus dem Unterricht im Format 20,5 x 23,5cm1 Film im Format AAC-Codec/mp4, 1920 x 1080px, Länge: 18min 29s, abrufbar unter: www.illustration.world/thepath1 iPad2 als Abspielstation, 1 Kopfhörer

Material Chinapapier 30g/m2 Talens ChinatuscheLascaux Acrylfarbe Titanweiss

WerkzeugChinesische Ziegenhaarpinsel AcrylmalpinselTuschestifte Rotring Tikky GraphicDampfbügeleisen zum Glätten

MusikArchive – Lights (vom Album ‚Lights‘, 2006)Dieses Musikstück habe ich während des Arbeitens an der Bildrolle gehört. Diese Musik verwende ich auch als Filmsoundtrack.

Präsentation Ausstellung Gruppenausstellung im Schulhaus Hadwig der Pädagogischen Hochschule St. Gallen, vom 20. Dezember 2018 bis April 2019.

php?id=1226Materialien Tusche, Pinsel und Papier Tusche Als Tusche verwende ich die tiefschwarze und stark konzentrierte ‹Indian Ink› von Ta-lens, die mit viel Wasser verdünnt ein schönes warmes (gelbliches) Grau ergibt. Nach vollständigem Durchtrocknen ist die Tusche absolut wasserfest.

Pinsel Zum ersten Mal verwende ich traditionelle japanische und chinesische Ziegenhaarpin-sel in verschiedenen Grössen. Daneben experimentiere ich mit runden Acrylhaarpin-seln und mit Flachpinseln aus Schweineborsten.

Papiere Die in der japanischen und chinesischen Tuschemalerei und Kalligrafie verwendeten Papiere sind trotz ihres geringen Papiergewichts und -volumens sehr widerstandsfähig und halten nassen Bedingungen stand. Ich verwende in meiner Vertiefungsarbeit ein Wenzhou-Chinapapier mit einem Gewicht von 30 g/m2, das ich in Rollen mit einer Papierlänge von jeweils zehn Metern im Fachhandel bei Boesner Künstlerbedarf kaufe.

Japanpapier‚Washi‘ bedeutet ‚Japanisches Papier‘: ‚Wa‘ heisst Japanisch und ‚Shi‘ heisst Papier. Washi wird aus Rindenfasern verschiedener Seidelbastgewächse, des Gampi-Baums, des Mitsumata-Strauchs und des Maulbeerbaums hergestellt. Es kann aber auch aus Bambus, Hanf, Reis oder Weizen gemacht werden. Japanpapiere werden meist hand-geschöpft. Die Papierfasern werden beim Klopfen nicht vollständig zerkleinert, deshalb sind die Papiere trotz des geringen Gewichs von 50 bis 100 g/m2 etwas spröde und sehr widerstandsfähig.

ChinapapierChinapapier ist ein saugfähiges, gelblichweisses Papier, das hauptsächlich für Tief-drucktechniken verwendet wird. Das für die Tuschmalerei verwendete Papier heisst Xuan-Papier. Es wird aus den Fasern von Reisstroh und des Papiermaulbeerbaumes hergestellt. Chinapapier hat ein Papiergewicht von 30 bis 50 g/m2.

Wenzhou-ChinapapierChina hat eine der ältesten Traditionen in der Papierherstellung. Das von mir verwen-dete Wenzhou-Chinapapier ist benannt nach der gleichnamigen Stadt im Südosten Chinas, wo sich noch heute zahlreiche Papiermühlen und -fabriken befinden. Es ist ein säurefreies, weiches, ungeleimtes, sehr saugfähiges Naturfaserpapier aus maschineller Fertigung. Wie das handgeschöpfte Xuan-Papier wird Wenzhou zu 100% aus dem langfaserigen Rindenbast von Maulbeerbaumzweigen hergestellt. Die langen Fasern verleihen ihm eine ausserordentliche Stabilität. Der Rindenbast muss gekocht und zu einem Faserbrei weich geklopft werden. Durch Abfiltern der Fasersuspension wird auf einem umlaufenden Siebband eine nasse Papierbahn erzeugt. Diese durchläuft die Press- und Trockenpartie der Maschine und wird am Ende aufgerollt.

Quellen: kunst-malerei.info/aquarell/japanpapier.html ; materialarchiv.ch/materialarchiv/ws/helper/specsheet.

画道 Der Weg des Bildes Meine Verbindung zur TuschemalereiSeit vielen Jahren interessiere ich mich für japanische und chinesische Tuschemalerei. Ich habe ganze Tage in Museen von Zürich über Paris, Amsterdam, Hamburg bis Lon-don und in Tempeln von Kyoto bis Tokyo verbracht, um mir Tuschemalereien von Land-schaften anzuschauen. Sie faszinieren, beruhigen und beflügeln mich. Nur selber habe ich mich noch nicht an eine Tuschemalerei mit klassischen Materialien und Werkzeu-gen gewagt. Und so nehme ich dieses Vertiefungssemester als Gelegenheit, eine Reise in diese mir einerseits bekannte und andererseits unerforschte Welt zu unternehmen.

Der Weg von Tusche und PinselDas ‹Dao der Tuschemalerei› (‹Dao› bedeutet auf chinesisch ‹Weg›) heisst in Japan ‹Sumi-e› und ist eng mit dem Zen-Buddhismus verbunden. Die Haltung während des Malens des Bildes ist meditativ. Die Meditation ist ein Weg in die Verbundenheit mit dem Universum, in die Vollkommenheit der Stille, in die Leere, zur Lebenskraft ‹Qi›. Bei ‹Gadô› – 画道 –, dem Weg des Bildes, geht es um Achtsamkeit und Hingabe, um das Sein im Hier und Jetzt. Das hauchdünne Papier ist leerer Träger, der mit Tusche voll-gesaugte Pinsel ist Schöpfer, die Tusche ist Körper, Spur, Weg.

Malen als MeditationDas Vorbereiten des Arbeitsplatzes, das Ausbreiten des Papiers, das Bereitlegen der Materialien ist der erste Schritt. Der Weg des Malens, der Prozess, der Fokus auf At-mung und das Sein im Hier und Jetzt ist genau so wichtig wie das Bild. Dasselbe bei der Betrachtung: Die Kontemplation, der Prozess des versunkenen Betrachtens und die innere Zugewandtheit sind wichtiger als die Inhalte des Bildes. Das Bild wird durch den Maler ein erstes Mal geboren und durch den Betrachter ein zweites Mal. Das äussere Bild ist der Weg zum inneren Bild. Während des Malens durchwandere ich innere und äussere Landschaften und bringe sie mit der Bewegung meines Körpers und der Kraft von Pinsel und Tusche auf das Papier. So entstehen aus Farbtupfern, aus energievoll gesetzten Linien ein Birkenwald, ein Strom aus Partikeln, eine Milchstrasse, Geistwesen, eine Verschmelzung von Samenzelle und Ei. Bei jedem Mal malen lege ich auf zwei weitere Meter unberührtes Papier eine Spur. Die Papierrolle wird zur Geschichte, ver-selbständigt sich zum lebendigen Gegenüber. Das Arbeiten am Bild ist ein Weg zu mir.

Musik als BegleiterUm mich in der Schulsituation von meinen Mitstudierenden nicht zu sehr ablenken zu lassen, arbeite ich mit Musik. Dabei höre ich durchgängig das Musikstück ‹Lights› von Archive. Das 18 Minuten lange Lied rührt mich tief und schickt mich auf eine innere Reise. Manchmal ist Schmerz so gross, dass nur Musik hilft. Und einer der schönsten Begleiter und Heiler ist dieses einzigartige Stück Musik von Archive.

It hurts to feel / It hurts to hear / It hurts to face it / It hurts to hide / It hurts to touch / It hurts to wake up / It hurts to remember / It hurts to hold / Turn my head / The hurt’s relentless / The hurt of emptiness / The hurt of wanting / The hurt of going on / The hurt of missing / The hurt is killing me / Turn my head / Off / Forever / Turn it off / Forever / Off forever / Turn it off forever

Ein Tanz im JetztIch versuche, mich vom Stil der ersten Zeichnungen aus den Skizzenbüchern zu lösen, entferne mich auch von den ersten Ideen, arbeite aus der Bewegung und aus der Far-be heraus, experimentiere mit verschiedenen Pinseln, benutze auch mal meine Hände, um Tusche auf das Bild aufzutragen, stemple mit meinen Fingerspitzen ganze Fingerab-druckwolken. Ich beobachte das Fliessverhalten der Tusche im stark saugenden Papier, setze wilde ungeordnete Tropfen, ein Sternenuniversum an Tropfen, verliere mich in der Bewegung, studiere Wahrnehmung, Körpergefühl, schaffe mit weisser Acrylfarbe neue gewellte Texturen, betaste die verschiedenen Oberflächen, begrüsse alle Zufälle und Missgeschicke als Teil des Weges. Es ist ein steter Tanz aus Machen, Innehalten und Reflexion, der letztlich zu meiner Bildergeschichte führt.

Die Tuschemalereien von ‹Rosetsu›Im Museum Rietberg gehe ich am 4. November die grosse Einzelausstellung der Tu-schemalereien des japanischen Künstlers Rosetsu anschauen. Ich verbringe Stunden mit den wunderbaren riesigen Paravents und Bildrollen und skizziere einige der Bilder als schnelle Zeichnungen mit Bleistift ins Skizzenbuch. Es ist sehr inspirierend. Im Anschluss zeichne ich eine weitere Stunde im neuen Schaulager. Zuhause überarbeite ich dann während drei Tagen die Skizzen aus der Erinnerung heraus mit Tusche und Pinsel.

HerausforderungenIm Gegensatz zur Aquarellmalerei und zum Arbeiten in den Skizzenbüchern saugt bei der Tuschemalerei das Papier die Farbe sofort ein. Das sorgt für Überraschungen und es fordert mich. Auf dem Weg treffe ich auf Situationen und Herausforderungen, denen ich malend so bisher nicht begegnet bin. Die Tusche klebt das dünne Papier auf den darunterliegenden Untergrund, es muss immer wieder sehr sorgfältig vom Untergrund weggehoben werden. Denn das durchnässte Papier reisst leicht. Das Bild ist wegen des hauchdünnen Papiers nach dem Trocknen sehr stark gewellt. Und so verbringe ich zwei ganze Tage mit Dampfbügeln, um es immer wieder aufs Neue glatt zu kriegen.

Rollbilder – BildrollenEin Vorteil von Bildrollen ist ihre Leichtigkeit und Kompaktheit: Sie lassen sich auf engem Raum in Schachteln aufbewahren. In Japan gibt es in den Wohnungen tradi-tionellerweise ein Tokonoma, eine Wandnische, die mit einer bemalten Hängerolle geschmückt werden kann. Das Auswechseln der Bilder ermöglicht Abwechslung, die Bilder können der Situation angepasst werden und es entspricht dem Leben auf engem Raum, wie das in Japan meist der Fall ist. Veredeln zum RollbildUrsprünglich wollte ich die Bilderrolle auf Stoff aufziehen. Damit sich der Betrachter Stück für Stück durch die Geschichte rollen kann. Doch dazu müsste das zarte Papier auf ein stabileres Grundpapier gespannt und neu verleimt werden, um dann auf Stoff aufgezogen werden zu können. Obwohl ich viel Erfahrung im Leimen von Papieren habe, habe ich weder Zeit noch die Räumlichkeiten, um eine Arbeit von über zehn Metern Länge aufzuziehen. Dies würde Wochen an Trocknungszeit benötigen und ist eine Kunst für sich. In Europa findet man kaum mehr Fachleute, die so was können. In Japan und China hingegen ist das Aufziehen von Tuschebildern und die Verarbeitung von Bildrollen ein angesehenes Kunsthandwerk.

Traditionelle Herstellung eines Rollbildes In einem Film des British Museum zeigt die Konservatorin Jin Xian Qiu die Montage ei-ner chinesischen Hängerolle: youtube.com/watch?v=t8_jZtq-p5Q . Der Prozess dauert ein Jahr, allein das Aufspannen und Trocknen nimmt neun Monate in Anspruch.

Warum ich das Rollbild nicht aufziehe Stefan Müller von Müllers Aufziehservice in Zürich winkt lachend ab, als ich mit meiner bemalten Papierrolle bei ihm vorbeigehe. Mit seiner Vakuumpresse kann er Bilder in Maximalgrössen von zwei Metern Länge auf Trägermaterialien aufziehen. Er schickt mich zur Schreinerei Hobel, die eine riesige Furnierpresse von mehreren Metern Län-ge besitzt. Da gehe ich mit meinem Anliegen vorbei. Doch die kurze Zeitspanne bis zur Ausstellung, die ausgelastete Schreinerei und meine Angst, dass die Arbeit beim Leimen kaputtgehen könnte, bewegen mich dazu, das Bild im Ursprungszustand zu be-lassen. Mittlerweile gefällt mir das gut: Insbesondere die Rückseite des Papiers verrät vieles über den Entstehungsprozess des Bildes. Diese Rückseite wäre nach einer Monta-ge nicht mehr sichtbar. Nun lässt sich auf ihr die Entstehung des Bildes nachvollziehen.

Präsentation Ich stehe vor der Herausforderung, die Bildrolle in der Ausstellung so zu zeigen, dass man einerseits die ganze Geschichte lesen kann und andererseits zum Erlebnis kommt, das man beim stetigen Durchrollen der Bildrolle hat, wo man die Geschichte Stück für Stück entrollt und entdeckt und so seinen Weg durch die Malerei, die Landschaft und die Geschichte nimmt, ohne dabei die zarte Originalarbeit zu zerreissen.

Meditativer Film Und so produziere ich einen Film, wo man als Betrachter langsam durch die Geschich-te geführt wird, zu Musik von Archive. Wenn man sich ganz auf die Musik, die Male-rei und die Langsamkeit des Films einlässt, wird man einer Meditation gleich auf einem inneren Weg geführt: Aus der Zivilisation zu einem Startplatz in der Natur, durch einen Wald von Gedanken in einen klaren Geist, Vereinigung, Tiefe, Verbindung mit dem Universum, Zerstückelung in Partikel, Lebendigkeit, Einssein, Geborgenheit, Geburt.

Fotografie als Basis Um den Film zu machen, muss ich die zwölf Meter lange Bildrolle erst einmal Stück für Stück bei gleichbleibenden Lichtverhältnissen fotografieren und die einzelnen Bildteile am Computer zusammensetzen. Ein weiterer sehr aufwändiger Arbeitsschritt.

Ausstellungsgestaltung Um alles präsentieren zu können, drucke ich die Arbeit in halber Grösse aus und klebe die Farbkopien von Hand zu einer Rolle. Für die Präsentation des Films suche ich nach Möglichkeiten für Videoinstallationen, die sich nach einem Stromunterbruch selbst starten und den Film in einem Loop abspielen. Da ich nur drei Tage Zeit habe bis zur Ausstellung, präpariere ich ein iPad, baue um das iPad einen Sockel und lackiere ihn.

Katalog Für die Scans der Skizzenbücher, die Aufbereitung der Dateien für den Druck, das Erstellen der Texte und die Produktion der Dokumentation als Bildschirmversion und als gedruckten Katalog brauche ich drei weitere Tage. Insgesamt habe ich mit meiner Vertiefungsarbeit rund 120 Stunden Zeit verbracht.

Anhang Vorarbeiten und Skizzen Arbeitsheft Wie alle Studierenden habe ich ein Arbeitsheft mit Materialexperimenten und Notizen zu den Unterrichtseinheiten geführt.

Skizzenbücher Dazu habe ich in der Zeit von Oktober bis Dezember 2018 in drei weitere persönliche Skizzenbücher gearbeitet, zwei davon im Format DIN A5 und eins im Format DIN A4.

Einige Auszüge aus diesen Skizzenbüchern finden sich auf den vorhergehenden und den folgenden Bildseiten. Die ersten elf nachfolgenden Doppelseiten sind Ideenskizzen aus dem grossformatigen Skizzenbuch, die ich zu Beginn des Vertiefungssemesters an einem Tag zeichnete. Es war ein bewusster Start ins eigengestalterische Projekt. Es sind Bildideen und Wege zu einer möglichen Geschichte: Ich wollte einen spirituellen Weg, eine eigentliche Menschwerdung zeigen: vom Erwachen des Geistes und seiner Mani-festation in einem Körper, durch das Leben, bis hin zur Zerstückelung in Partikel nach dem Tod.

Darauf folgen drei zufällig ausgewählte Gesichter aus den kleinformatigen Skizzenbü-chern und zum Schluss fünf Doppelseiten, die direkt nach dem Besuch des Museums Rietberg enstanden sind: Rosetsus Bilder, aus der Erinnerung nachgezeichnet.

Das Motiv des Fischs auf der letzten Seite stammt von einer Keramik aus dem Schaula-ger des Rietberg-Museums.

Kai Jerzö, 4. Januar 2019

Film und Dokumentation: www.illustration.world/thepath