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Immanuel Kant und Adolf Reinach: Zwei Linien des Widerstandes im Vergleich 351 Immanuel Kant und Adolf Reinach: Zwei Linien des Widerstandes im Vergleich Daniela Falcioni, Cosenza I. Kant und Reinach: Zwei unterschiedliche Wege, um über das Recht zu sprechen. Obwohl eine zeitliche Distanz sie trennt, zeigen die beiden Rechtslehren überra- schende Punkte der Übereinstimmung. Die Rechtslehre des Philosophen von Kö- nigsberg ist u. a. konzipiert als eine Antwort auf Juristen, die, indem sie nur das po- sitive Recht und den positiven Gesetzgeber im Blick haben, irrtümlicherweise annehmen, daß der Staat das ganze Recht in sich absorbieren könne. Kant antwor- tet denjenigen, die eine Rechtstheorie aus der Erfahrung 1  favorisieren, mit einer Doktrin, die von Prinzipien a priori ausgeht. Zwei entgegengesetzte und unverein- bare Fronten, wie Kant selber in einem Brief schreibt, indem er von einem „unend- lichen Abstand des Rationalism vom Empirism der Rechtsbegriffe“ 2  spricht. Auch in den Apriorischen Grundlagen des Bürgerlichen Rechts, dem Hauptwerk von Reinach, sind die Gegner von Beginn an präsent. Auch hier muß man sie vor allem unter den Juristen suchen, die die Rechtsordnung des positiven Rechts favori- sieren und die sich für eine möglichst effiziente Ver waltungstechnik aussprech en; in dieser Richtung sind nur die Normen, die ausschließlich auf der Basis ökonomischer Notwendigkeiten und anderer Faktoren ausgewählt sind, geeignet, Recht hervorzu- bringen. Für sie hat es keinen Sinn, von vorstaatlichen Regeln zu sprechen innerhalb eines Rechts, in dem nur positive Gesetze ein Bürgerrecht beanspruchen können. Das Werk von Reinach entwickelt sich als Widerstandslinie gegen diese Tendenz, 1 Der Ausdruck „Theorie aus Erfahrung“ findet sich in Über das Verhältnis der Theorie zur Praxis von August Wilhelm Rehberg . Am Ende des 18. Jahrhunderts waren Reh berg und Gentz die Protagonisten einer lebhaften Debatte über das Verhäl tnis von Theorie und Pra- xis; indem sie sich von Kant entfernten, näherten sie sich immer mehr einer empiristischen Konzeption der praktischen Philosophie an. Für die Schriften von Gentz und Rehberg s. Kant, Gentz und Rehberg, Über Theorie und Praxis. Hrsg. von Dieter Henrich, Frankfurt 1967. 2 Die Werke von Kant werden nach der Ausgabe der Akademie der Wissenschaften von Berlin (Kants gesammelte Schriften) hrsg. von der Königlich Preußischen (deutschen) Akademie der Wissenschaften Ber lin), Berlin und Leipzig (1900 ff.) angegeben. In den Fußnoten folgt auf die Angabe des Titels der Kantischen Schriften die Bandangabe mit römischer Ziffer, sodann in arabischen Ziffern die Seiten der Akademie-Ausgabe. Die zitierte Passage findet sich im Br ief von Ka nt an J. E. Biest er vom 10 . April 17 94, s. Briefwechsel , XI 496–497, 30–31. Kant-Studien 93. Jahrg., S. 351–370 © Walter de Gruyter 2002 ISSN 0022-8877

Kant und Reinach

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Kat und Reinach

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  • Immanuel Kant und Adolf Reinach: Zwei Linien des Widerstandes im Vergleich 351

    Immanuel Kant und Adolf Reinach:Zwei Linien des Widerstandes im Vergleich

    Daniela Falcioni, Cosenza

    I.

    Kant und Reinach: Zwei unterschiedliche Wege, um ber das Recht zu sprechen.Obwohl eine zeitliche Distanz sie trennt, zeigen die beiden Rechtslehren berra-schende Punkte der bereinstimmung. Die Rechtslehre des Philosophen von K-nigsberg ist u. a. konzipiert als eine Antwort auf Juristen, die, indem sie nur das po-sitive Recht und den positiven Gesetzgeber im Blick haben, irrtmlicherweiseannehmen, da der Staat das ganze Recht in sich absorbieren knne. Kant antwor-tet denjenigen, die eine Rechtstheorie aus der Erfahrung1 favorisieren, mit einerDoktrin, die von Prinzipien a priori ausgeht. Zwei entgegengesetzte und unverein-bare Fronten, wie Kant selber in einem Brief schreibt, indem er von einem unend-lichen Abstand des Rationalism vom Empirism der Rechtsbegriffe2 spricht.

    Auch in den Apriorischen Grundlagen des Brgerlichen Rechts, dem Hauptwerkvon Reinach, sind die Gegner von Beginn an prsent. Auch hier mu man sie vorallem unter den Juristen suchen, die die Rechtsordnung des positiven Rechts favori-sieren und die sich fr eine mglichst effiziente Verwaltungstechnik aussprechen; indieser Richtung sind nur die Normen, die ausschlielich auf der Basis konomischerNotwendigkeiten und anderer Faktoren ausgewhlt sind, geeignet, Recht hervorzu-bringen. Fr sie hat es keinen Sinn, von vorstaatlichen Regeln zu sprechen innerhalbeines Rechts, in dem nur positive Gesetze ein Brgerrecht beanspruchen knnen.Das Werk von Reinach entwickelt sich als Widerstandslinie gegen diese Tendenz,

    1 Der Ausdruck Theorie aus Erfahrung findet sich in ber das Verhltnis der Theorie zurPraxis von August Wilhelm Rehberg. Am Ende des 18. Jahrhunderts waren Rehberg undGentz die Protagonisten einer lebhaften Debatte ber das Verhltnis von Theorie und Pra-xis; indem sie sich von Kant entfernten, nherten sie sich immer mehr einer empiristischenKonzeption der praktischen Philosophie an. Fr die Schriften von Gentz und Rehberg s.Kant, Gentz und Rehberg, ber Theorie und Praxis. Hrsg. von Dieter Henrich, Frankfurt1967.

    2 Die Werke von Kant werden nach der Ausgabe der Akademie der Wissenschaften von Berlin(Kants gesammelte Schriften) hrsg. von der Kniglich Preuischen (deutschen) Akademieder Wissenschaften Berlin), Berlin und Leipzig (1900 ff.) angegeben. In den Funoten folgtauf die Angabe des Titels der Kantischen Schriften die Bandangabe mit rmischer Ziffer,sodann in arabischen Ziffern die Seiten der Akademie-Ausgabe. Die zitierte Passage findetsich im Brief von Kant an J. E. Biester vom 10. April 1794, s. Briefwechsel, XI 496497,3031.

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    die vom Rechtspositivismus reprsentiert wird und die so das Erbe des Empirismusantritt: der juridische Positivismus, schreibt Reinach, der nichts kennt als diewillkrlichen Setzungen des positiven Rechtes, und der von Geltungszusammenhn-gen, die unabhngig von dieser Setzung bestehen, nichts wissen will.3 Der Rechts-lehre von 1797, die rigoros a priori fundiert ist, korrespondiert bei Reinach eine Su-che nach apriorischen Gesetzen, die die Basis und die Mauern des juridischenGebudes ausmachen knnen.

    Wer die jeweiligen theoretischen Gesamtansichten kennt, der wei, da die Kon-zeptionen des jeweiligen Apriori unserer Autoren unterschiedlich sind, obwohl sieeiner gemeinsamen Wiege, nmlich der philosophischen Tradition, die mit Platonbeginnt, entstammen. Dieser Aufsatz wird sich nicht mit der theoretischen Diskus-sion im Hinblick auf die Methode befassen, sondern anders vorgehen. Die berzeu-gung der Konvergenz der beiden rechtsphilosophischen Werke erwchst durch dasStudium bestimmter Flle, die in den jeweiligen Werken thematisiert werden; dieseUntersuchung ermglicht es, die Fruchtbarkeit eines Apriori im Rechtsbereich zu te-sten und zu verifizieren. In den zentralen Teilen dieses Aufsatzes (III, IV) befasse ichmich mit einem analytischen Vergleich eben solcher Flle; wir werden Identitt undDifferenz der jeweiligen Antwort beobachten knnen. Wir werden des weiteren ent-decken, da die beiden Rechtskonzeptionen, die sich auf unterschiedliche Theoriendes Apriori4 sttzen, doch analoge Lsungen bieten. Ich denke, dieses Vorgehen istlegitim schon dadurch, da das Recht zur praktischen Philosophie gehrt: seineAufgabe erschpft sich nicht in der Formulierung eines theoretischen Systems, son-dern beinhaltet auch przise Angaben ber die Formen ihrer Realisierung.

    Ich will mit einem Abschnitt von Kant beginnen: Die Frage ist also hier nichtblo: was ist an sich recht, wie nmlich hierber ein jeder Mensch fr sich zu urthei-len habe, sondern: was ist vor einem Gerichtshofe recht, d. i. was ist Rechtens?5

    Dieser Text aus dem ersten Teil der Metaphysik der Sitten der die Metaphysi-schen Anfangsgrnde der Rechtslehre behandelt bezieht sich auf die Frage, dieKant im 3. Kapitel der Privatrechtslehre behandelt, eine schwierige Frage, die derPhilosoph aus Knigsberg durch den Rekurs auf vier Flle zu klren versucht: denSchenkungsvertrag, den Leihvertrag, die Wiedererlangung einer verlorenen Sacheund den Eid. Bevor wir in die Einzelheiten dieses nicht immer besonders anziehen-den Textes eintreten, ist es ntzlich, sich die zwei verschiedenen, beiderseits wah-

    3 In unserem Aufsatz werden die Schriften von Reinach gem der kritischen Edition zitiert:Smtliche Werke. Hrsg. von K. Schumann und W. Smith, Mnchen 1989 (im folgenden mitder Abkrzung SW zitiert). Der zitierte Text findet sich in SW, 268.

    4 Hierzu schreibt Reinach: Zwei Vorwrfe mssen wir vor allem erheben: den der Subjekti-vierung des Apriori und den seiner willkrlichen Einschrnkung auf wenige Gebiete, dadoch sein Herrschaftsbereich sich auf schlechthin alle erstreckt. (SW, 543). Nach Reinachgehrt besonders Kant zu denen, die verantwortlich sind fr eine Verarmung des Apriori, daer die Untersuchung davon auf die Mathematik und die reine Physik begrenzt hat. Ichglaube dagegen, da das Werk, das ich in diesem Aufsatz untersuchen will, Die Metaphysikder Sitten, das beste Dokument einer apriorischen Rechtsuntersuchung von Kant darstellt.

    5 Kant: Die Metaphysik der Sitten VI 297, 1113.

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    ren Gesichtspunkte6, die zu der Problematik fhren, zu vergegenwrtigen. Sie kor-respondieren den folgenden zwei Prinzipien. Das erste Prinzip bezieht sich auf dieVernunft eines jeden Menschen7, mit ihm wird die objektive Gerechtigkeit ange-sprochen die kommutative Gerechtigkeit die das Leitprinzip des Erwerbs ue-rer Sachen bildet, ein Recht, das sich an die Vernunftregeln der Gerechtigkeit hlt.Das zweite Prinzip dagegen, das ebenfalls zur rechtlich-gesetzgebenden Vernunft8

    gehrt, bezieht sich auf die distributive Gerechtigkeit9. Dieses zweite Prinzip nuntritt im Fall eines Konfliktes in Wirksamkeit. Das Distributivprinzip interessiert sichnicht dafr, die jeweiligen Grnde der konfligierenden Parteien zu rekonstruieren,sondern im Gegenteil die Gewiheit des Rechts herbeizufhren. Hier wird das Rechtzur Gerichtsbarkeit und entscheidet darber, was vor einem Gerichtshofe recht[ist].10 Das Recht wird zum ffentlich-allgemeinen Willen, der gegenber derStimme der einzelnen taub ist. Der Gesichtspunkt des Gerichtshofes uert sich ineinem Rechtspruch sui generis, ein Gerichtsspruch, der von dem abstrahiert, was ge-recht an sich ist, und das aufzwingt, was rechtens ist.

    Mehr als ein Jahrhundert nach Kant schlgt Adolf Reinach11 ein Phnomeno-loge der ersten Stunde und als solcher grundstzlich in dem Gravitationsfeld einer

    6 Kant VI 297, 1516.7 Kant VI 296, 17.8 Kant VI 302, 24.9 Die komplexe Theorie der Gerechtigkeit und besonders der distributiven Gerechtigkeit fin-

    det sich bei Aristoteles in der Nikomachischen Ethik Buch E, 1129 a ff., besonders1131 a10 ff.

    10 Kant VI 297, 1213.11 Adolf Reinach gehrt zu den Phnomenologen, die in der letzten Zeit eine strkere Beach-

    tung gefunden haben; seine Wiederentdeckung verdankt sich besonders dem wichtigenWerk von Michael Theunissen, das dieser in der Mitte der sechziger Jahre unter dem TitelDer Andere. Studien zur Sozialontologie der Gegenwart (Berlin 1965) publiziert hat. Trotz-dem halte ich es fr ntig, eine kurze Anmerkung zu Reinach im allgemeinen zu machen.Reinach beginnt seine Forschungsttigkeit in Mnchen im Akademischen Verein fr Psy-chologie, einer Institution, die von Theodor Lipps geleitet wurde. Dank der Lektre derLogischen Untersuchungen von Husserl wchst Reinachs Loslsung von Lipps Psychologis-mus. Er siedelt nach Gttingen ber, wo er sich bei Husserl habilitiert mit einer Untersu-chung ber Wesen und Systematik des Urteils. Am Anfang dieses Jahrhunderts bilden dieLogischen Untersuchungen fr Reinach, und nicht nur fr ihn, eine wirkliche Entdeckung,die dazu befhigt, sich einer neuen Untersuchungsmethode zu vergewissern. Um dieses Werkund seinen Autor, Edmund Husserl, versammelt sich der Kern der ersten Generation vonPhnomenologen. Aus dieser intensiven philosophischen Arbeit erwchst die Idee, eine Zeit-schrift zu publizieren, die phnomenologisch orientiert ist; 1913 erscheint die erste Nummerdes Jahrbuchs fr Philosophie und phnomenologische Forschung, dessen HerausgeberHusserl zusammen mit Geiger, Scheler, Pfnder und Adolf Reinach war. In eben diesem Bandpubliziert Reinach Die apriorischen Grundlagen des brgerlichen Rechtes. Eine Bibliogra-phie der Arbeiten von und ber Reinach, neuerdings besorgt von Barry Smith, ist in demBand Speachact and Sachverhalt. Reinach and the Foundations of Realist Phenomenology.Hrsg. von K. Mulligan. Dordrecht 1987. Eine erneuerte Bibliographie bis zum Jahr 1991findet sich im Anhang meines Buches Le regole della relazionalit. Una interpretazione dellafenomenologia di Adolf Reinach. Milano 1991.

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    andern philosophischen Unternehmung in seinen Apriorischen Grundlagen desbrgerlichen Rechts zwei Prinzipien vor, die an die kantische Errterung erinnern,zwei Prinzipien, die man entsprechend den zwei Forschungswegen12 aufdeckenkann, die in seinem Werk prsentiert werden. Als wesentliche Aufgabe seiner aprio-rischen Rechtsdoktrin stellt sich fr Reinach die Untersuchung sozialer Akte dar(Versprechen, Verzicht, Widerrufung, bertragung, etc.), um die Aufmerksamkeitauf die Gesetze zu richten, die ihnen eingeschrieben sind, um sodann darzulegen,da in ihren reinen Ideen sichere und unwandelbare Gesetze [grnden].13 DieseUntersuchung des An-sich des Rechtes sieht fr ihr Gelingen die vllige Abstraktionvon jeder Betrachtung des positiven Rechtes vor. Neben diesem apriorischen Prinziprumt Reinach jedoch einem davon unterschiedenen Prinzip die zweite Stelle ein,das von teleologischer Natur ist und das eine breitgefcherte Zweckmigkeit insich enthlt, worunter die erwhnten Betrachtungen der Konvenienz, des Nutzens,der ethischen Motivation, der Gerechtigkeitsgrnde, der konomischen Transfor-mationen etc. fallen.

    Ohne Zweifel sind diese beiden Prinzipien, die jeweils den zwei Rechtsgebietenvoranstehen, nmlich erstens, die reine Rechtswissenschaft, die [] aus strengapriorischen und synthetischen Stzen14 besteht, und zweitens das Prinzip, das zurStatuierung des positiven Rechts fhrt, unterschiedlich und scheinen auch zu einerradikalen Differenz der Welt der Ideen15, die uns Gesetze mit unbedingter Gel-tung in den reinen rechtlichen Grundbegriffen16 offenbart, und andererseits derrealen Welt, in der sich positive Gesetze finden, zu fhren. Sieht man genau hin, soist diese Unterscheidung kein Hinweis, wie es scheinen knnte, auf widersprch-liche Stze; die Antinomie, die sie auf den ersten Blick enthalten, ist, untersucht mansie nher, nur eine scheinbare. Auch bei Reinach stoen wir in diesem Fall auf eineAntinomie zweier verschiedener Gesichtspunkte17, die nebeneinander existierenknnen und sogar mssen. Bei der nheren Untersuchung wird klar, da Reinachder Bestimmung, die in der Taxonomie der sozialen Akte enthalten ist, die Funktionoffenhlt, die apriorischen Gesetze und die positiven Gesetze zu einer Interaktion zufhren.

    Der soziale Akt und seine Bestimmung, den man in der apriorischen Sphre desRechts findet, filtert seine Inhalte heraus, indem er dem schon erwhnten teleologi-

    12 Reinach SW 238. Eine Untersuchung der Differenz der Prinzipien und ihrer unterschied-lichen epistemologischen Bezge bringt A. Burkhardt: Verpflichtung und Verbindlichkeit.Ethische Aspekte in der Rechtsphilosophie Adolf Reinachs. In: Speachact. Hrsg. von Mulli-gan, 168 ff.

    13 Reinach SW 174.14 Reinach SW 145146. Hufig erklrt Reinach, da die Urteile der apriorischen Rechtslehre

    synthetische Stze a priori im Sinne Kants sind. Vgl. die Seiten, die in dieser Anmerkung zi-tiert werden.

    15 Reinach SW 189.16 Reinach SW 238.17 Reinach SW 248.

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    schen Prinzip folgt, das, ohne sich um das apriorische Gesetz zu kmmern, die Not-wendigkeiten eines andern Typs zur Geltung bringt, nmlich wie etwas sein mu(dieses mssen ist nicht mit einer moralischen Notwendigkeit zu verwechseln)18.Diese letzteren fhren zu den Gesetzen des Zusammenlebens. Die Bestimmung istderart in der Grenzzone anzusiedeln, in der die apriorische Rechtslehre das positiveRecht berhrt, obwohl sie von ihm getrennt bleibt.19

    In den Metaphysischen Anfangsgrnden der Rechtslehre, um zum Philosophenvon Knigsberg zurckzukehren, reguliert die kommutative Gerechtigkeit die Bezie-hungen zwischen Vertragspartnern auf der Basis eines formalen Begriffs des gemein-samen Willens, eines Willens, der, betrachtet man die tatschlichen Umstnde,strittig werden kann. Genau hier, wo die kommutative Gerechtigkeit sich als faden-scheinig erweist, unfhig, sicheres Recht zu sprechen, interveniert das Prinzip derdistributiven Gerechtigkeit. Wie ich im dritten Teil meiner Ausfhrungen zu zeigenversuche, kann das Prinzip der kommutativen Gerechtigkeit im Erwerb uererDinge, da es die Relationen zwischen den Vertragspartnern auf der Willensgrund-lage regelt, zu Widersprchen fhren, wenn man die tatschlichen Vertragssituatio-nen im Auge behlt. Das bedeutet aber, da das Auftreten einer neuen Instanz, diedazu in der Lage ist, Gewiheit in das Recht zu bringen und also das Ungengen derprivatrechtlichen Regulierungen zu kompensieren, da dieses Auftreten nicht inner-halb eines vllig leeren Gebietes geschieht, das juridische Leben also nicht in einerWste beginnt, sondern auf einem Gebiet, das schon bevlkert ist, aber nach juri-dischen Regeln, die dem positiv statuierten Recht vorangehen; es handelt sich, wiesich zeigen wird, beim Privatrecht um ein Vernunftrecht, das schon a priori das u-ere Mein und Dein fixiert. Also nur auf der Grundlage eines derartigen Rechts, dasfr keinen Staatsherrscher20 zur Disposition steht, also nur auf der Grundlage einesjuridischen Baues, der schon seine tragenden Mauern aufweist, nur hier zeigt sichdie Notwendigkeit, die Sicherheit eines juridisch politischen Gebudes des ffent-lichen Rechts zu gewinnen, in dem dann die Regeln der Distributivgerechtigkeit ihre

    18 Zum Unterschied von moralischer Notwendigkeit und der Notwendigkeit, die den Bestim-mungsakten eigentmlich ist, vgl. Reinach SW 241.

    19 Burkhardt weist der Bestimmung die Funktion zu, die apriorische Rechtslehre und das po-sitive Recht zu verbinden; ich meine jedoch, da die Bestimmung eher als eine Grenze auf-zufassen ist, die zwar auf der einen Seite verbindet, aber auf der anderen Seite auch trennt;hiermit reicht sie tatschlich hinber zum positiven Recht, das jedoch mit seinem neuen ei-genen Prinzip, sich vom apriorischen Recht trennt; vgl. Burkhardts schon zitierten AufatzVerpflichtung und Verbindlichkeit, 168f.

    20 Das dritte Kapitel der Metaphysischen Anfangsgrnde der Rechtslehre, nimmt man es inseiner Ganzheit [und folglich nicht nur in dem Teil, der die ratio der Interaktion des Privat-rechts darstellt, sondern auch in dem Teil, der das Urteil zum Thema macht, das das staat-liche Gericht ausspricht, dessen Urteile ja apriorisch verankert sind ( 39; 303)], trgt dazubei klarzustellen, da in der kantischen Rechtsphilosophie der Staat nicht zur Dispositionfr irgendeine Macht steht. Kant zeigt hier seine groe Distanz zu Hobbes, der dem Sou-vern das Interpretationsmonopol des Gesetzes zubilligt; vgl. Leviathan. Introduction byA. B. Lindsay. London 1962, Kap. XXVI, 140154.

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    Kraft gewinnen.21 Mit derselben Gedankenbewegung fordert auch in ReinachsApriorische Grundlagen des brgerlichen Rechtes die Begegnung von positivemRecht und dem Recht apriori nicht, da das letztere geopfert wird, denn die Statu-ierungen, die in den Gesetzgebungen enthalten sind, sind nichts anderes als Bestim-mungen, Sozialakte von einem bestimmten Typ, die sich gerade auf der Basis der un-bedingten Gesetze entfalten, die die Rechtslehre a priori uns zu erkennen gibt.

    II.

    Obwohl sich Reinach von einer bestimmten Interpretation des Naturrechts ab-setzt, so sieht man unter historischem Gesichtspunkt doch, da seine Rechtslehrebei einigen Theoretikern des Naturrechts ihre Verbndeten findet; am Ende desgreren Werks findet sich ein ausdrcklicher Hinweis auf Pufendorf, Hobbes,Rousseau, Fichte und auch auf Kant. Als Schler von Husserl erkannte er wie dieserin Kants tiefsinniger Doktrin der Synthesis22 das wahre Erbe Kants, und er sah inder Fundamentalfunktion der synthetischen Stze a priori das, was niemals aufge-geben werden darf.23 Daher ist es nicht verwunderlich, da sich in den WerkenReinachs eine permanente Bezugnahme auf die Wichtigkeit der synthetischen Urteilea priori findet. Schwieriger ist es dagegen, die evtl. Einflsse der kantischen Rechts-lehre auf Die Apriorischen Grundlagen des brgerlichen Rechts zu rekonstruieren.Ist Kant angesichts des gewaltigen theoretischen Unterfangens mit Gewiheit imDenken Reinachs prsent, so bleibt seine Rechtsphilosophie (in den verschiedenenPhasen, die in den Metaphyischen Anfangsgrnden der Rechtslehre von 1797kulminieren) offenbar unbercksichtigt. Was besonders erstaunlich ist, ist nicht sosehr die Abwesenheit von literarischen Verweisen, sondern die ausdrckliche Ver-

    21 Der dritte Abschnitt der Metaphysischen Anfangsgrnde der Rechtslehre erlaubt mit sei-ner Unterscheidung des Privatrechtes und des ffentlichen Rechtes zu verstehen, warumman Kant immer als einen Theoretiker des liberalen Gedankens aufgefat hat, der vor dasjuridisch-politische Recht vorstaatliche Rechte setzt, die nicht zur Disposition des Souve-rns stehen. Vgl. zu der Differenz von liberaler und radikaler Demokratie bei Kant, Rein-hard Brandt: Radikaldemokratie in Knigsberg. In: Rechtshistorisches Journal, 12 (1993),207.

    22 E. Husserl: Kant und die Idee der transzendentalen Philosophie. In: Husserliana, VII. Hrsg.von R. Boehm. Den Haag 1956, 237.

    23 Innerhalb des Hauptwerkes von Reinach gibt es unzhlige Hinweise auf die Wichtigkeit dersynthetischen Urteile a priori, und sie sind auch wohlbekannt; ich mchte daher nur auf ei-nen Passus in seiner Einleitung in die Philosophie (1913) hinweisen: [Doch] ist [auch]Kants Frage [synthetische Urteile, D. F.] noch zulssig [und] eine wichtige Frage der Phno-menologie, SW 441. Ich kann nicht mit absoluter Gewiheit sagen, da es in den SchriftenReinachs keinen Hinweis auf die Metaphysischen Anfangsgrnde der Rechtslehre gibt,sondern kann nur sagen, da ich keine derartige Bezugnahme entdeckt habe; darin liegt viel-leicht der Grund, da die kritische Betrachtung der Reinachschen Philosophie bislang nichtdie Mglichkeit in Betracht gezogen hat, da es in seiner Rechtsphilosophie eine geheimeErbschaft der kantischen Rechtslehre gibt.

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    neinung einer kantischen Reflexion ber das Apriori im Recht. Diese Kritik ist we-nig konsistent und leicht zu widerlegen: Die kritische Philosophie Kants findet ihrenAusdruck gerade im Werk von 179724, in dem die Resultate einer Reflexion, die vielfrher einsetzt, zusammengefhrt werden. Mit einer vergleichenden Analyse, dieden Hauptteil dieses Artikels ausmachen wird, mchte ich zeigen, da das Verhlt-nis zwischen der Rechtstheorie von Reinach und der von Kant dargestellt werdenkann als die Geschichte einer uneingestandenen Schuld, die innerhalb des philoso-phischen Denkens sicher keinen isolierten Fall darstellt. Aus bisheriger historischerSicht stellen Die Apriorischen Grundlagen des Brgerlichen Rechts dagegen dasErbe des rmischen Rechts dar. Der gegenwrtige Artikel wird sich jedoch nicht mitder Frage beschftigen, in welchem Mae die Lehre von den sozialen Akten eine

    24 Ein erster Hinweis von Reinachs Kant-Kritik findet sich in der Einleitung (SW 145), aberum die Grnde seines Zweifels abwgen zu knnen, mu man bis zum Ende des Werks (SW270) warten, Grnde, die wegen ihrer Nhe zu der Kant-Kritik der neokantianischen Schulein Marburg (besonders Hermann Cohen) berraschen. Nachdem er beobachtet hat, da dieUrteile seiner eigenen Rechtslehre synthetische Urteile a priori im Sinne Kants sind, kritisiertReinach die Deduktion eben dieser Urteile, die er selbst fr unhaltbar hlt: Die Mglich-keit dieser Urteile suchte Kant zu erweisen durch die Darlegung, da nur durch sie sich Er-fahrung und Erfahrungswissenschaft konstituieren knnen. Es ist seitdem zu einem festenGrundsatz des Kantianismus geworden, da alles Apriorische seine letzte Rechtfertigungnur finden kann, insofern es sich als das aufweisen lt, was gewisse Fakten objektiver Kul-tur, wie Wissenschaft oder wohl auch Sittlichkeit, Kunst, Religion, allererst mglichmacht. (SW 270). Als Exempel der Unmglichkeit dieser vermeintlichen Deduktion vonKant verweist Reinach auf die Urteile a priori seiner eigenen Rechtslehre und findet sichdort nun paradoxerweise in vlliger bereinstimmung mit dem kantischen Gedanken: Woist die Wissenschaft, wo das kulturelle Faktum, durch deren Ermglichung sie erst ihre Gl-tigkeit ausweisen sollen? Auf das positive Recht und die positive Rechtswissenschaft darfman sich hier nicht berufen. (SW 270). Ich glaube, da die Verfehltheit, die Reinach dertranszendentalen Deduktion zumit, mehr mit den gedanklichen berlegungen ber Kant,die damals in Marburg gehegt wurden, zu tun hat, als mit den Werken des Knigsberger Phi-losophen (in diesen Jahren zollten die Philosophen von Gttingen und jene aus Marburgsich wechselseitig Beachtung, die bezeugt wird durch einen Vortrag, den Reinach 1914 mitdem Titel ber Phnomenologie in Marburg hielt, SW 531550). Nach Cohen, demGrnder jener Schule, besteht die transzendentale Methode darin, zu bestimmten Fakten zu-rckzuschreiten, die den Status einer objektiven Erkenntnis gewonnen haben, und von dortdann die Bedingung ihrer Mglichkeit zu erforschen. Eine derartige Kant-Interpetationmute als Textbasis das Werk von Kant von 1783 whlen, die Prolegomena zu einer jedenknftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten knnen. Mit seiner Methode warCohen wesentlich orientiert am Faktum der mathematischen Wissenschaft und unter-schtzte so die Schwierigkeit, analoge Fakten fr die historischen und die Humanwissen-schaften zu finden. Im Fall der Ethik mute das Faktum, das sie darstellen sollte, im Rechtvorliegen. Cohen wirft Kant vor, da ihm diese Deduktion nicht gelungen ist, ein Milingen,das dann zur Betrachtung des Rechts als einer Naturwissenschaft fhren mute. Diese Po-sition zeigt nicht nur, da Cohen die Bedeutung eines so bedeutenden Werkes wie Die Me-taphysik der Sitten verkannt hat, sondern auch, da er den zentralen Gedanken des einzi-gen Faktums der reinen Vernunft (V 31,33) nicht richtig erfat hat: da der kategorischeImperativ als Leitfaden und Norm der Ethik und des Rechts fungiert. S. Hermann Cohen:Die kantische Begrndung der Ethik. Berlin 1877.

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    Lehre, mit der sich Reinach als Wegbereiter der Theorie der Sprechakte erweist25 rckfhrbar auf das Zivilrecht ist; was uns hier mehr interessiert, ist die Tatsache,da in einigen Diskussionen des rmischen Rechts vorpositive Elemente liegen, diejeder Positivierung vorangehen.26

    III.

    Aus der komplexen Errterung der Grundlagen und den vielfachen Exemplifizie-rungen, die Reinach liefert, werde ich nur die Flle herausgreifen, die zum Vergleichmit dem dritten Kapitel der Metaphysischen Anfangsgrnde der Rechtslehre ge-eignet sind, ein Vergleich, der dadurch erleichtert wird, da der Akt des Verspre-chens sowohl bei Kant wie auch bei Reinach eine zentrale Stellung einnimmt.

    In der kantischen Rechtslehre ist die Errterung des Versprechens verknpftmit der des Kontraktes bzw. Vertrages gem einer Tradition, die wenigstens bisGrotius zurckgeht.27 Der Vertrag besteht objektiv aus zwei Akten, dem Verspre-chen und der Annahme; entsprechend stellt Kant den gemeinsamen Willen der Kon-trahierenden oder besser die Idee des gemeinsamen Willens in den Vordergrund.Kant fhrt eine transzendentale Deduktion des Begriffs des Erwerbs durch Vertrag.Die Deduktion vergewissert uns des rechtlichen Charakters des zu Erwerbendenund stellt sich zunchst dar als das Recht, die Willkr des Vertragspartners (des Ur-hebers des Versprechens) im Hinblick auf die Herausgabe des zu Erwerbenden zubestimmen, ein Recht, das Kant als persnliches bezeichnet.28

    Reinach widmet seine Aufmerksamkeit dem Versprechen innerhalb des grerenKomplexes der sozialen Akte.29 Neben den Akten, aus denen sich das alltgliche Le-ben zusammensetzt wie der Frage und der Antwort, dem Befehl und der Bitte,nimmt die detaillierte Taxonomie von Reinach besonders Rcksicht auf diejenigenAkte, die eine unmittelbare juridische Relevanz haben wie die bertragung vonRechten, der Verzicht und der Widerruf. Mit vielfltigen Distinktionen isoliert Rei-

    25 A. Burkhardt: Il filosofo del diritto Adolf Reinach, lo sconosciuto fondatore della teoria de-gli atti linguistici. In: Teoria, 2 (1986); von demselben Verfasser: Soziale Akte, Sprechakteund Textillocutionen: Reinachs Rechtsphilosophie und die moderne Linguistik. Tbingen1986.

    26 Verschiedene Untersuchungen dokumentieren die Aufmerksamkeit, die Reinach der klassi-schen juridischen Kultur widmete, eine Aufmerksamkeit, die schon in den Jahren seiner Uni-versittsbildung entstand; vgl. W. Waldstein: Vorpositive Ordnungselemente im rmischenRecht, Salzburger Universittsreden, Heft 19. Salzburg 1967. Neuerlich sind seine juridi-schen Kenntnisse, insbesondere vom rmischen Recht besttigt worden im Kommentar derApriorischen Grundlagen des brgerlichen Rechts, SW 669 ff.

    27 Wolfgang Kersting: Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphiloso-phie. Berlin/New York 1984, 175183.

    28 Kant VI 271. Der 2. Abschnitt ( 1821) enthlt die Behandlung vom persnlichenRecht.

    29 Reinach SW 158169.

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    nach diese Klasse sozialer Handlungen. Vor allem handelt es sich um spontane Akte,Akte, an denen das Subjekt aktiv teilnimmt und sich nicht passiv hingibt wie etwabeim Schmerz; es handelt sich um intentionale Akte, die sich auf eine andere Personbeziehen. Neben der Fremdpersonalitt30 spielt in dieser Klasse der Handlungen dieIdee der Sozialitt eine besondere Rolle. Ich verspreche bedeutet ich versprechedir: Es ist nicht nur notwendig, da die andere Person das Versprechen wahr-nimmt, sondern sie mu auch einbezogen werden in dem Sinn, da sie die Empfn-gerin der Wirkungen des Rechtsaktes, d. h. Besitzerin des Anspruches im Hinblickauf den Urheber des Versprechens wird. Darin zeigt sich eine Eigentmlichkeit vonbesonderer Bedeutung: die sozialen Akte realisieren sich bei dem Sprechen selber. Esgibt nicht zunchst die Absicht, etwas im Hinblick auf das Interesse eines andern zutun, und dann den linguistischen Ausdruck: Ich verspreche dir, da . Mit demAkt des Versprechens haben wir die Einheit der Absicht im Inneren und der uerenManifestation; es entsteht eine neue Situation: Der Autor des Versprechens ber-nimmt eine Verpflichtung im Hinblick auf den Adressaten, und dieser wird seiner-seits der Besitzer eines Anspruches. Mit diesem Argument betritt Reinach die Bhneder Theorie der linguistischen Akte. Diese Entdeckung blieb David Hume verschlos-sen, der, weil er das verpflichtende Band nicht erklren konnte, das aus dem Ver-sprechen erwchst, von einem unverstehbaren und mysterisen Faktum spricht.31

    [] er, [Hume] sieht nicht, da es neben diesen inneren Erlebnissen auch Ttig-keiten des Geistes gibt, die nicht in Worten und dergleichen ihren zuflligen, nach-trglichen Ausdruck finden, sondern die im Sprechen selbst sich vollziehen und de-nen es eigentmlich ist, vermittels dieser oder analoger Erscheinungsformen sicheinem anderen kundzugeben. Wie die allgemeine Tatsache sozialer Akte berhaupt,so mu ihm daher auch im speziellen das Vorkommen eigenartiger Akte des Ver-

    30 Die Relevanz der Fremdpersonalitt in einer Handlung, wie der des Versprechens impliziertnotwendig die Beziehung auf ein anderes Subjekt. Es gibt soziale Akte wie der Verzicht undder Widerruf die, so sagt Reinach, diese Eigentmlichkeit nicht haben. Wie ich schon in denanfnglichen Betrachtungen dieses Aufsatzes dargelegt habe, ist auch die Bestimmung, ob-wohl sie ein sozialer Akt ist, frei von der Beziehung der Interpersonalitt. Wenn man eineBestimmung wie Die Rechtsfhigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Ge-burt betrachtet, so wird klar, da sie sich nicht auf das Verhalten bezieht, das von einer be-stimmten Person verlangt wird; mit ihr legt der Gesetzgeber fest, da ganz allgemein irgendetwas sein soll (SW 242). Gegen Reinach ist Michael Theunissen (op. cit.) der Meinung,da der soziale Akt des Verzichtes nicht ohne Interpersonalitt denkbar ist, da die Verzicht-leistung auf etwas nur im Hinblick auf eine bestimmte Person realisierbar sei. Es ist ohneZweifel so, da der Verzicht sich auf ein bestimmtes Subjekt beziehen kann, das als Emp-fnger gilt, aber dies ist nicht notwendig so. So wie es eine Bestimmung im allgemeinen gibt,so kann man auch auf etwas verzichten, und auch Theunissen mu dies zugeben. Auch dasitalienische Recht sieht vor, da es einen Verzicht ohne eine bestimmte Referenzperson gibt,vgl. D. Falcioni: Le regole della relazionalit, op. cit. 2526.

    31 David Hume gehrt ganz sicher zu denjenigen Autoren, denen die Schwierigkeit, das kom-plexe Phnomen des Versprechens (speziell wie aus ihm eine Verbindlichkeit entspringenkann) nicht verborgen blieb; er schreibt im Hinblick darauf: []tis one of the most myste-rious and incomprehensible operations that can possibly be imagind, and may even be com-pard to transsubstantiation []., in: A Treatise of Human Nature. Oxford 1978, 524.

  • 360 Daniela Falcioni

    sprechens verborgen bleiben.32 Hume sucht eine Lsung dieses Rtsels in seinerallgemeinen philosophischen Theorie. Innerhalb des strikten Nominalismus wirddas Versprechen zu einer Handlung, mit der die Menschen, die als radikal egoistischeingestuft werden, den interessierten Wechsel von Gtern regulieren, der auf dieseWeise von einem nicht interessierten menschlichen Verkehr unterschieden wird. Mitdem Versprechen verpflichtet sich jeder Mensch im Hinblick auf den Adressatenund willigt in eine Sanktion ein in dem Fall, da er seiner Verpflichtung nicht nach-kommt. Das Versprechen ist somit nur ein Name, mit dem Staat und Gesellschaftdort Ordnung zu stiften versuchen, wo sich zwei beteiligte Parteien im Konflikt be-finden.

    Mit der Entdeckung der sozialen Akte wird die Theorie von David Hume, abernicht nur sie33, fadenscheinig; eben dies ist die Meinung von Reinach. Die WrterIch verspreche Dir34 sind nicht ein zuflliger, nachtrglicher Ausdruck, undauch nicht eine besonders glckliche Erfindung eines besonders brillanten Tiereswie des Menschen, sie stellen keine knstliche Schpfung fr eine bessere Erhaltungder Spezies homo sapiens dar, sondern sie drcken einen sozialen Akt aus, ge-grndet in der Sphre der absolut rein rechtlichen Gegenstndlichkeiten35, ausdenen Bindungen und Gesetze entspringen, die jeder Positivierung des Rechts vor-ausliegen.

    Es ist unmglich, hier alle Modifikationen des komplexen Aktes des Versprechenszu diskutieren; notwendig ist jedoch eine kurze Errterung einer dieser Modifika-tionen, nmlich die des bedingten Versprechens, das Reinach ausdrcklich als diefundamentale Struktur des Vertrages bezeichnet.36 Die sozialen Akte haben nebenden einfachen Akten37 noch eine Reihe weiterer Modifikationen [..] aufzuwei-sen. Wir unterscheiden zunchst die Unbedingtheit und die Bedingtheit sozialerAkte.38. Das aber bedeutet, da es neben dem Versprechen an sich auch ein Ver-sprechen im Falle, da gibt, d. h., da in diesem zweiten Fall die Wirksamkeit desVersprechens bedingt ist und gebunden an etwas spter Eintretendes.39

    Um hier ein Ergebnis der folgenden Errterungen vorwegzunehmen: Der Schen-kende, der im 37 der Kantischen Rechtslehre in Aktion tritt, wei nicht, da eseine Logik des Versprechens gibt und auch einen Unterschied zwischen einem un-bedingten und einem bedingten Versprechen; er kommt in groe Bedrngnis, weil

    32 Reinach SW 177.33 Die Phnomenologie des Versprechens ist ausgestattet mit einer intensiven Analyse von drei

    Theorien des Versprechens, jeweils gefolgt von einer kritischen Diskussion. Auer der Hu-meschen diskutiert Reinach die psychologische Theorie von Lipps und die utilitaristischevon Schuppe; s. SW 175189.

    34 Reinach SW 177.35 Reinach SW 277.36 Reinach SW 171.37 Reinach SW 162.38 Reinach SW 163.39 Reinach SW 163.

  • Immanuel Kant und Adolf Reinach: Zwei Linien des Widerstandes im Vergleich 361

    sein Versprechen einer Schenkung, wie sich im folgenden zeigen wird, konfus ist.Gem der juridischen Grammatik von Reinach htte dieser unsichere Schenkendeeinen bedingten Vertrag abschlieen mssen, in dem er seine Vorbehalte formulierthtte. Whrend die eiserne Grammatik von Reinach dem nicht verzeiht, der schlechtdenkt, so ist auch die Rechtslehre Kants nicht zu Scherzen aufgelegt und bringt denSchenkenden vor einen Gerichtshof, der, wie wir sehen werden, kurzen Prozemacht und ihn verurteilt.

    Aus unserer kurzen Rekonstruktion wird klar, da die Zusammenstimmung derWillensbildungen, die den Vertrag charakterisiert, sich in dem Werk von Reinachdurch den Begriff der sozialen Akte aufklrt und da im besonderen eine Einigung,welche sich in gegenseitigen sozialen Akten konstituiert40, notwendig ist.

    1.

    Ich habe schon auf den Schenkungsvertrag hingewiesen, dem Kant den 37 derRechtslehre widmet. Wie man sich aus der Konstellation der Begriffe, die in diesemText wiederholt vorkommen, klarmachen kann, handelt es sich vor allem um einenVertrag; der Fall mu also innerhalb der Theorie des Vertrages geklrt werden. Im 18 bezieht sich Kant auf den Erwerb uerer Objekte innerhalb des Privatrechts,und hierbei unterstreicht er, da der Erwerb sich durch bertragung vollzieht underklrt: Die bertragung seines Eigenthums an einen Anderen ist die Veruerung.Der Act der vereinigten Willkr zweier Personen, wodurch berhaupt das Seine desEinen auf den Anderen bergeht, ist der Vertrag.41 Im 31 erklrt er dann im Hin-blick auf den Vertrag: Aller Vertrag besteht an sich, d. i. objectiv betrachtet, auszwei rechtlichen Acten: dem Versprechen und der Annehmung desselben42. Mit derbertragung und der Annahme den beiden Akten, die den gemeinsamen Willenmanifestieren entsteht bei demjenigen, der annimmt, ein persnliches Recht. Daspersnliche Recht ist in diesem Fall konkret das Recht an einem Objekt, ein Recht,das sich zunchst darstellt als das Recht, den Willen des anderen Vertragspartners(des Promittenten) zu bestimmen, das versprochene Objekt (eine Sache oder aucheine auszufhrende Handlung) zu bergeben.

    Auch die Schenkung vollzieht sich in zwei Akten: einem Versprechen desjenigen,der ohne irgendeine Entschdigung etwas, was sein ist, schenken will und der An-nahme des Geschenks. Wie wir schon sahen, verstreicht zwischen dem Versprechenund seiner Erfllung eine gewisse Zeit. In diesem Zeitraum konstruiert Kant denFall, den er als erstes Beispiel fr das Gegebensein zweier unterschiedlicher, aberkompatibler Gesichtspunkte beibringt. Tatschlich knnen in diesem Zeitintervallneue Tatsachen auftreten, die den Autor der Schenkung dazu veranlassen, sein Ver-

    40 Reinach SW 171.41 Kant VI 271, 3134.42 Kant VI 284, 1718.

  • 362 Daniela Falcioni

    sprechen zurckzuziehen; nach dem Privatrecht nun, wie man es im 37 findet,kann der Autor des Versprechens unter den genannten Umstnden nicht gezwungenwerden, sein Versprechen zu erfllen. Diese Postition steht im klaren Kontrast zuder allgemeineren These, die Kant in der Einleitung in die Metaphysik der Sittenbringt und die ein fundamentales Prinzip enthlt, nmlich sein vertragsmigesVersprechen zu halten43. Im Lichte dieser Aussage erscheint nun der Text von 37ein wenig konfus; vielleicht argumentiert Kant unter dem Aspekt des spezifischenSchenkungsvertrags, der ein besonderes Versprechen enthlt, nmlich etwas ohnejede Entschdigung zu geben. Aber eine vllige Klarheit findet sich auf der anderenSeite dort, wo der zweite Gesichtspunkt nach einem ffentlichen Recht ins Spielkommt. Beim Versuch, dasjenige, was rechtens ist, zu etablieren, orientiert sich dieffentliche Gesetzgebung nicht an der Rekonstruktion und der Gesinnungsnde-rung dessen, der etwas schenkt, sondern an dem eigenen Prinzip. Es zwingt den Au-tor des Versprechens, sein Versprechen aufrechtzuerhalten, zumal er sich in demVertrag nicht die Mglichkeit eingerumt hat, von seinem Vorhaben zurckzutre-ten. Die ffentliche Gerichtsbarkeit kann sich nur an das halten was gewi ist44.

    Im Hinblick auf unklare Versprechungen prsentiert Reinach einen Fall, in demdie Interaktion der beiden Gesichtspunkte wesentlich berzeugender ist, wenn mansie im Licht der Apriorischen Grundlagen des brgerlichen Rechts rekonstruiert: Eshandelt sich um ein leichtsinniges Versprechen.

    So sinnlos es wre, zu sagen, der Anspruch, der aus einem Versprechen wesens-notwendig erwchst, solle aus ihm nicht erwachsen, so sinnvoll kann andererseitsder Satz sein, da es nicht recht sei und nicht sein solle, da der Leichtsinn oder dieUnerfahrenheit eines jungen Menschen durch andere ausgentzt wird. Das unbe-dachte Versprechen soll nicht sein und darum auch nicht die notwendig daraus er-wachsenden Ansprche und Verbindlichkeiten.45 Wenn der Versprechung als sol-cher notwendig eine Verpflichtung bei ihrem Urheber und ein Anspruch beimAdressaten entspringt, so wird verstndlich, da der Leichtsinn und die Unerfahren-

    43 Kant VI 220, 22.44 Kant VI 298, 13.45 Reinach SW 248. Das leichtsinnige Versprechen ist ein exemplarischer Fall, den Reinach

    nennt, um zu zeigen, da die apriorischen Gesetze im Hinblick auf ihre Geltung immer da-durch bedingt sind, da sich bestimmte Fakten ergeben (im untersuchten Fall die Leichtsin-nigkeit und Unerfahrenheit eines Kindes). Diese bedingte Geltung darf jedoch nicht ver-mengt werden mit der Gltigkeit, die keine Ausnahmen zult. Im Hinblick hierauf schreibtReinach: Es wird hier deutlich, wie genau man zwischen Ausnahmelosigkeit und unbeding-ter Gltigkeit unterscheiden mu. Kein Wesensgesetz lt natrlich als solches Ausnahmenzu. Wohl aber kann seine Geltung eine bedingte [im angegebenen Sinne] sein. (Reinach SW251, Funote). Im Hinblick auf die Unterscheidung der beiden Gesetzestypen schreibtH. Spiegelberg: According to Reinach, such essential connections occur not only amongthe formal structures of logic and general ontology but also in the structures of concretematerial phenomena, for instance among colors in their similarities and relative positions.They are of two basic types: essential necessities and essential possibilities, in: The pheno-menological Movement. A historical introduction. The Hage 1960, vol. I 198.

  • Immanuel Kant und Adolf Reinach: Zwei Linien des Widerstandes im Vergleich 363

    heit eines Kindes nicht ausgenutzt werden: Sein leichtsinniges Versprechen sollnicht sein und so auch nicht der Anspruch und die Verpflichtung, die daraus ent-springen knnten. Allgemeiner gesagt, die Ansprche und die Verpflichtungen, dieaus sozialen Akten entspringen, sind der Mglichkeit untergeordnet, da es bestim-mende andere Grnde gibt, wie der Nutzen, die Gerechtigkeit etc.. Sie fhren dannzur Aufhebung der unbedingten Gesetze.

    Reinach prsentiert auf diese Weise einen gut konstruierten Fall, in dem die Ge-setze an sich des Rechtes den juridisch positiven Bestimmungen begegnen. Mit demleichtsinnigen Versprechen treffen wir auf ein Beispiel, das wohl gelungen ist inner-halb der drei Modalitten, innerhalb derer die apriorische Rechtslehre auf das po-sitive Recht stt: leges contra leges. Im dritten Kapitel der Grundlagen, Die aprio-rische Rechtslehre und das positive Recht, schreibt Reinach im Hinblick auf dieeigentmliche Fhigkeit des Rechtes, Aufhebung des apriorischen Gesetzes zu insti-tutionalisieren, des apriorischen Gesetzes, das seinerseits als Fundament des juridi-schen Gebudes fungiert: Positive Rechtsbestimmungen knnen secundum le-ges, praeter leges und contra leges sein46. Die dritte Mglichkeit scheint zueinem Exze der Rechtsfreiheit zu fhren, der schon auf Willkr hinausluft. Schonder Ausdruck leges contra leges scheint einen Widerspruch anzukndigen; Rei-nach jedoch zeigt, da er das Problem nicht beiseite schieben will, wenn er schreibt:Wir verzichten auf die Anfhrung weiterer Flle: es gibt kaum einen der Stze, diewir als Wesensgesetz in Anspruch genommen haben, dem wir nicht einen abwei-chenden Satz aus dem positiven Rechte gegenberstellen knnten.47 Bedeutet dies,da die Behauptungen kontradiktorisch sind? Der Widerspruch erweist sich als einnur scheinbarer, wenn sich herausstellt, da die beiden Untersuchungsebenen inzwei unterschiedlichen Rechtsbereichen liegen. Stze der apriorischen Rechtslehre,wie z. B. aus einem Versprechen erwchst eine Verbindlichkeit und ein Anspruch,verhalten sich wie logische Gesetze oder mathematische Relationen. Auch da2x2=4 ist, ist ein apriorischer Satz. Behauptet jemand, 2x2 sei gleich 5, so sagt ereben damit etwas Unwahres.48 Es ist in gleicher Weise falsch zu behaupten, da auseinem Versprechen keine Verpflichtung und kein Anspruch erwachsen, denn eswrde negiert, da es eine notwendige Konkordanz zwischen unserem Urteil unddem Sachverhalt gibt (dem Entstehen einer Verbindlichkeit und eines Anspruchesaus einem Versprechen). Die Stze der apriorischen Rechtslehre sind Urteile und, sofgt Reinach hinzu, Urteile im Sinne der synthetischen apriorischen Urteile vonKant. berprft man dagegen einen Satz des positiven Rechts wie Die Rechtsf-higkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt, bemerkt man, dawir hier nicht die Setzung eines Seins haben, welche, je nachdem dieses Sein be-stnde oder nicht bestnde, als wahr oder falsch beurteilt werden knnte, sondernwir haben eine Bestimmung, welche jenseits des Gegensatzes von wahr und falsch

    46 Reinach SW 261.47 Reinach SW 239.48 Reinach SW 240.

  • 364 Daniela Falcioni

    steht.49 Es handelt sich nicht um ein Urteil, sondern um die Norm, mit der der Ge-setzgeber etwas als ein Sollen bestimmt hat: A soll B sein, wo das, was als Normausgesprochen wird, nicht aus einem moralischen Urteil entspringt, sondern einfachaus der Wertung, die auf ein individuelles oder kollektives Subjekt zurckgefhrtwerden kann, ja sogar auf eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort.

    2.

    Wir kommen jetzt zu dem zweiten von Kant untersuchten Fall, dem Leihvertrag.Gem der kommutativen Gerechtigkeit erlaubt derjenige, der etwas verleiht, einemanderen den Gebrauch einer Sache, die ihm, dem Verleiher, gehrt. Der Adressat desLeihvertrages stimmt seinerseits zu, das Objekt nach dem Gebrauch zurckzugeben.Was aber sieht dieses Prinzip der kommutativen Gerechtigkeit vor, wenn die gelie-hene Sache einen Schaden erleidet oder gestohlen wird? Die Antwort ist einfach: denSchaden trgt der, der die Leihgabe empfangen hat. Gem Kant bercksichtigt derVertrag des commodatum Flle dieser Art nicht, auch wenn es den beiden Vertrags-partnern nicht verboten ist, nhere Bestimmungen im Hinblick hierauf einzufgen.Im Falle der Unsicherheit (pactum incertum) sieht die kantische Theorie der zweiGesichtspunkte eine Trennung vor, in denen die Regeln der distributiven Gerechtig-keit die Gegenposition einnehmen: Den Schaden trgt der Leihgeber. Auch hier ur-teilt die ffentliche Gerichtsbarkeit nur gem der ihr eigenen eigentmlichen Logikund nimmt nur auf das, was gewi ist, Rcksicht: Der Titel des Eigentums und dieergnzenden Bestimmungen im Fall, in dem die Vertragspartner ausdrcklich zu ih-rem Schutz Vorsichtsmanahmen im Vertrag bercksichtigt haben.

    Auch im Fall des Leihvertrages fhrt Reinach seine Untersuchung mit Sicherheitund Entschiedenheit.50 In der Exposition seiner Ansichten, die inhaltlich weit vonden Vorschriften des Brgerlichen Gesetzbuches in Deutschland abweichen, zielt dieargumentative Strategie darauf zu zeigen, da die vorgesehene Abweichung vomVertragstext, die von den positiven Gesetzen im Hinblick auf das apriorische Rechtvorgesehen ist, nicht verstndlich ist ohne jenes vorausgesetzte Netz von Interaktio-nen, die innerhalb der apriorischen Rechtslehre errtert werden.

    Die Absicht dessen, der eine Sache verleiht, ist identisch mit dem Willen, ihm dasRecht des Gebrauches der Sache zuzugestehen. Der Blick des Phnomenologen er-fat das Wesentliche: Derjenige, der etwas verleiht, realisiert eine bergabe auchsie gehrt in die Klasse der sozialen Akte , die als Konsequenz fr den Adressatendas Recht beinhaltet, die Sache zu gebrauchen, oder mit anderen Worten, er wirdBesitzer des absoluten Rechts, die Sache zu gebrauchen. Zur berlassung, so erklrtReinach, kann auch noch ein untergeordnetes Versprechen des Leihgebers zugefgt

    49 Reinach SW 240.50 Zur phnomenologischen Analyse des Leihvertrages s. Reinach SW 256 ff.

  • Immanuel Kant und Adolf Reinach: Zwei Linien des Widerstandes im Vergleich 365

    werden, mit dem der Gebrauch nicht nur zugelassen wird, sondern auch positiv ga-rantiert wird.

    Anders betrachten die 537 und 598 des BGB den Leihvertrag als ein Verspre-chen. Mit diesem Versprechen ist der Leihgeber verpflichtet, den Gebrauch der Sa-che zu erlauben und zu garantieren; der Adressat hat einen verpflichtenden An-spruch gegenber demjenigen, der die Sache verleiht. Diese Paragraphen sind nun betrachtet man sie im Lichte der apriorischen Lehre vom Recht unbefriedigend.Denn aus den Vorschriften des Gesetzes leitet sich tatschlich das Recht, die gelie-hene Sache zu gebrauchen, nicht ab, ein Recht, das sich jedoch der Leihempfngernormalerweise zumit, ohne deswegen bestraft zu werden. So kommt es, da daspositive Recht ein absolutes Gebrauchsrecht anerkennt, aber es nicht schtzt und essogar durch obligatorische Rechte ersetzt. Reflektiert man ber den Text dieser Pa-ragraphen, so entdeckt man eine implizite Voraussetzung: Es ist ja kein beliebigesVerhalten, auf welches nach Gesetzesvorschrift der Entleiher Anspruch hat, keinVerhalten, welches ganz und gar auer Zusammenhang stnde mit seinem natr-licherweise sich ergebenden absoluten Rechte; vielmehr erscheint uns die Anerken-nung des ersten nicht mglich zu sein, ohne sinngem zugleich die Anerkennungdes zweiten zu implizieren.51. Sieht man genau hin, dann sind der verpflichtendeAnspruch und die Anerkennung, die das positive Recht ihm zubilligt, nicht mglich,ohne da das Gebrauchsrecht impliziert wre. Wie knnte man auch anders denHinweis auf die Erlaubnis, die in jenen Paragraphen enthalten ist, erklren? DasBGB erkennt zunchst nur einen Anspruch auf Gestattung an. Insofern es aber da-mit bestimmt, da auf Grund des Leihvertrages ein Gestatten des Gebrauches statt-finden soll, ist die notwendige Folge dieses Gestattens die Gebrauchsberechtigungdes Entleihers von der Bestimmung sinngem mitumfat, ganz analog wie jedesWollen die notwendigen Folgen des Gewollten sinngem mitumspannt.52 Die Be-stimmungen des BGB disziplinieren dann die Modalitten der von ihnen zugestan-denen Gestattung. Der 603 sieht vor, da man die entliehene Sache nicht nachWillkr gebrauchen kann, sondern da das Gebrauchsrecht ausgebt werden mugem dem Vertrag. Die Schadensfrage nun wird kaum berhrt; der kurze Verweis53

    und die allgemeine Auffassung des Leihvertrages die Verleihung impliziert das ab-solute Recht des Gebrauches fhren zu der Annahme, da ein evtl. Schaden, dendie Sache nimmt, von dem Leihnehmer zu tragen ist, es sei denn, da der Vertragfestlegt, da es der Urheber des Schadens oder jemand anders ist, der dann die Ver-antwortung bernimmt.

    Die Perspektive der apriorischen Rechtslehre ist dazu in der Lage, in den Geset-zestexten mehr zu entdecken, als sie selber explizit kundtun; in diesen Texten ist dieGestattung des Gebrauches desjenigen vorgesehen, der das Leihgut empfngt. Auchin diesem Fall ist es so, da Reinach ber die Unterscheidung der beiden Gesichts-

    51 Reinach SW 257.52 Reinach SW 257258.53 Reinach SW 258259.

  • 366 Daniela Falcioni

    punkte hinaus gezeigt hat, da die Gesetze a priori die Grundlage dessen sind, wasseinerseits nicht apriorisch gegeben ist: Neben reiner Mathematik und reiner Na-turwissenschaft gibt es auch eine reine Rechtswissenschaft, wie jene zusammenge-fgt aus streng apriorischen und synthetischen Stzen, und als Grundlage dienendfr nichtapriorische, ja sogar auerhalb des Gegensatzes von Apriorischem und Em-pirischem stehende Disziplinen.54

    3.

    Der dritte Fall, den Kant untersucht, thematisiert eine Frage, die im Hinblick aufden Erwerb uerer Sachen und die Regeln des Austausches zentral ist.

    Unter dem Gesichtspunkt der kommutativen Gerechtigkeit ist es nicht ausrei-chend, da der Erwerb der Form nach legal ist, sondern da derjenige, der etwas er-wirbt durchaus nthig habe, noch nachzuforschen, ob die Sache, die er erwerbenwill, nicht schon einem Anderen angehre55. Man wei tatschlich, da jeder Er-werb, der von einem nicht legitimierten Eigentmer stammt, nichtig ist. Demjeni-gen, der die Sache erworben hat, bleibt in einem milichen Fall wie diesem nur b-rig, sich mit dem kurzfristigen Genu des Gutes zufriedenzustellen gem dempersnlichen Recht an der Sache, da er im guten Glauben im Hinblick auf den Be-sitzer, der sich zu solchem erklrte, erworben hat bis zur Entdeckung des wahrenEigentmers.

    Die Ansprche dieses Prinzips erweisen sich als nur schwer praktikabel; es istnicht leicht, den wahren Eigentmer der Sache aufzufinden, der nicht notwendiger-weise mit dem Vorbesitzer identisch ist. Die Folgerung ist unausweichlich: so kannkein Verkehr mit ueren Sachen, so gut er auch mit den formalen Bedingungen die-ser Art von Gerechtigkeit (iustitia commutativa) bereinstimmen mchte, einen si-cheren Erwerb gewhren.56. Wie in den ersten beiden Fllen, operiert das kantischeRecht mit einer Lsung, die unterschieden ist von der, die die Vernunft als objektivevorsieht, einer Lsung, die neben dem Tribunal des Himmels auch ein irdisches Tri-bunal vorsieht57.

    Hier tritt nun wiederum die rechtlich-gesetzgebende Vernunft mit dem Grund-satz der distributiven Gerechtigkeit ein, die Rechtmigkeit des Besitzes, nicht wie

    54 Reinach SW 145146.55 Kant VI 302, 68.56 Kant VI 302, 2023.57 Eine Antizipation der Theorie der Gerechtigkeit so, wie sie sich im 3. Kapitel ber das Pri-

    vatrecht abzeichnet, befindet sich in dem Anhang zur Einleitung in die Rechtslehre, indem die zwei anderen Flle von hchstem Interesse untersucht werden: die Billigkeit und dasNotrecht. VI 233,30 ff. Zur Behandlung dieser Fragen, siehe meinen Artikel Fragen derGerechtigkeit bei Kant: Was ist an sich recht? Was ist Rechtens, in: Aufklrung und Inter-pretation. Studien zu Kants Philosophie und ihrem Umkreis. Hrsg. von H. Klemme, B. Lud-wig, M. Pauen, W. Stark. Wrzburg 1999.

  • Immanuel Kant und Adolf Reinach: Zwei Linien des Widerstandes im Vergleich 367

    sie an sich in Beziehung auf den Privatwillen eines jeden (im natrlichen Zustande),sondern nur wie sie vor einem Gerichtshofe in einem durch den allgemein-vereinig-ten Willen entstandenen Zustande (in einem brgerlichen) abgeurtheilt werdenwrde, zur Richtschnur anzunehmen58.

    Wenn beim Akt des Kaufens und Verkaufens die Regeln formal beachtet wurden,dann hat der Erwerbende nicht nur ein persnliches Recht, weil dieses Recht als einSachenrecht gilt. Mit dem Erwerb erhlt man tatschlich ein exklusives Recht an derSache, ein Eigentum, das alle anderen Ansprche in absoluter Weise ausschliet. ImHinblick auf eine der wichtigsten Gefahren beim Akt des Kaufens und Verkaufens legtder Staat als souverner Wille fest, da die Einhaltung der formalen Bedingungen desErwerbs ausreichen, um vlliger Eigentmer zu werden. Dies ist ein hartes Prinzip frden wahren Eigentmer, der sieht, da das, was ihm gehrt, entwendet wurde und derjetzt den materialen Anspruch der Rckgabe erhebt. Der Richter jedoch rekurriert aufdas Prinzip der distributiven Gerechtigkeit als den Ausdruck des ffentlichen Willensund weist diesen Anspruch zurck; fr ihn ist die Legalitt des Erwerbs ausreichend,um die materialen Grnde (welche die Ableitung von dem Seinen eines vorhergehen-den prtendierenden Eigentmers begrnden) zu ersetzen.59

    Das Problem kehrt wieder in Reinachs Apriorischen Grundlagen des Brger-lichen Rechts, in denen die gleiche Auffassung vorgeschlagen wird, sogar die gleicheLsung wie bei Kant. Auch in diesem Fall wird die Freiheit des positiven Rechtswirksam, indem sie sich von den Wesensgesetze entfernt, um an bestimmte sozialeAkte diejenigen Folgen zu knpfen, welche um der Gerechtigkeit oder Verkehrs-sicherheit oder einer anderen rechtlich in Betracht kommenden Zweckmigkeitwillen geboten scheinen60. Die Analyse der Phnomenologie des Eigentums pla-ziert im zweiten Kapitel reicht aus, um folgendes festzuhalten: Es ist wesens-gesetzlich ausgeschlossen, da jemand eine ihm nicht gehrige Sache einem anderenins Eigentum bertrgt.61 Bercksichtigt man jedoch die Sicherheit der Rechtsbe-ziehung nimmt man also diesen besonderen Gesichtspunkt in Betracht , dannkann man es andererseits als im Interesse der Verkehrssicherheit liegend bezeich-nen, da derjenige, der sich im guten Glauben, der Besitzer einer beweglichen Sachesei gleichzeitig ihr Eigentmer, sie sich von ihm bertragen lt, in seinem Vertrauennicht getuscht werde.62 Der Erwerbende mu also Eigentmer werden.

    IV.

    Diese vergleichende Analyse einiger Rechtsflle hat uns gezeigt, da Kant undReinach einander sehr nahe stehen in der Verteidigung einer Rechtsbetrachtung,

    58 Kant VI 302, 2530.59 Kant VI 302, 3233.60 Reinach SW 255.61 Reinach SW 248.62 Reinach SW 248.

  • 368 Daniela Falcioni

    dieden Mut hat, sich den Problemen der Koexistenz von Menschen zuzuwenden unddifferenzierte Antworten zu geben. Kants Rechtstheorie etabliert neben den Regelndes Privatrechts die des ffentlichen Rechts, das die ersteren zwar aufhebt, jedochnicht vernichtet. Derart vermeidet Kant eine Konfusion der Juristen, die irrtm-licherweise annahmen, da das vom Staat etablierte Recht alles das darstellt, wasdas Recht berhaupt ist. Diese Konfusion reicht nach dem Verlauf von 200 Jahrenbis zu den Interpreten von Kant, die das dritte Kapitel so interpretieren, als stelle esdie berwindung des Privatrechts im ffentlichen Recht dar; so interpretiert Deg-gau und, schon vor ihm, Philonenko. Im Unterschied zu ihren Interpretationenmeine ich, da man nicht von einer berwindung des Privatrechts im ffentlichenRecht sprechen kann.63 Die klare Trennung zweier Gesichtspunkte darf nicht, wieDeggau und die brigen Interpreten mchten, so aufgelst werden, da nur das f-fentliche Recht brig bleibt. Die Darlegungen der Rechtslehre insgesamt zeigenklar, da Kant nicht mehr die Rechtsauffassung vertritt, die in der Mitte der 70 igerJahre in einem Text dokumentiert wird, der nicht selten von den Interpreten ange-fhrt wird, um das dritte Kapitel des Privatrechts aufzuklren.64

    Diese Lesart scheitert in der Interpretation einer der schwierigsten und elaborier-testen Gelenkstellen der kantischen Rechtsphilosophie, eine Schwierigkeit, die zueiner groen Verzgerung der Publikation der Metaphysik der Sitten fhrte.65 Dies

    63 Die These, da bei Kant das Privatrecht im ffentlichen Recht berwunden wird, wird vonH. G. Deggau in: Die Aporien der Rechtslehre, Stuttgart 1983, 229239, dargelegt; er ana-lysiert hier die 36 ff. der Metaphysik der Sitten und schreibt: Das Privatrecht treibt da-her ber sich ins ffentliche Recht hinaus. Ohne dieses bleibt es ein Gedankending. An-merkung (234).

    64 Es handelt sich um die Reflexion 7084 (XIX 245), die in die zweite Hlfte der 70 iger Jahrezu verlegen ist, in der Kant schreibt: Das ganze Recht der Natur ist ohne brgerliche Ord-nung eine bloe Tugendlehre und hat den Namen eines Rechtes blo als Plan zu uerenmglichen Zwangsgesetzen, mithin der brgerlichen Ordnung []. Das Recht des Natur-zustandes ist identisch mit der Ordnung, in der die Beziehungen zwischen den Menschendurch das Privatrecht geregelt werden, Beziehungen, die eben deswegen gekennzeichnetsind durch die Unsicherheit, und die Flle, die in den 3640 untersucht werden, erwei-sen sich ich rekonstruiere so die Strategie von Deggau als ntzlich eben deswegen, weilsie die Notwendigkeit zeigen, in das ffentliche Recht einzutreten und den Naturzustandfr den Zivilzustand einzutauschen, ohne den das Recht der Natur eine bloe Tugend-lehre ist. Deggau, der unermdlich ist im Aufdecken vermeintlicher kantischer Aporien,benutzte diese Reflexion, die in den fernen 70 iger Jahren geschrieben und von Kant nichtpubliziert wurde; vgl. Aporien der Rechtslehre Kants, 235 ff. In der folgenden Funote willich die Aufmerksamkeit auf die mhselige Entwicklung der kantischen Rechtslehre rich-ten, um zu zeigen, da Kant etwas Neues im Hinblick auf die Reflexion 7084 entdeckthat, was ihm ermglicht, das Privatrecht nicht mehr als ein Objekt des Gedankens zufassen, sondern als eine Regel, die Comparativ fr einen rechtlichen Zustand gilt (VI257,1819).

    65 Ich beziehe mich auf die Schwierigkeit, das Privatrecht als ein reales Recht zu betrachten,wo es doch notwendig ist, da das Recht ber eine Zwangsgewalt verfgt. Dies ist eines derProbleme, mit denen sich die kantische Rechtslehre lange konfrontiert sah und das dazu bei-trug, die Publikation mehr als zwanzig Jahre zu verzgern. Verfolgt man die komplexen Ent-wicklungen der Rechtslehre, besonders in den Phasen, die durch die Entdeckung des Kriti-

  • Immanuel Kant und Adolf Reinach: Zwei Linien des Widerstandes im Vergleich 369

    nun ist Wasser auf ihre Mhlen: Das ffentliche Recht wre demnach der Ort, andem sich das Privatrecht bewhrt und bewahrheitet. [] le droit naturel, schreibtPhilonenko, doit trouver son Aufhebung dans le droit politique66, als ob es hiernoch ntig wre, die hegelsche Vaterschaft dieser Lesart offenzulegen. Ohne denStaat ist das Privatrecht nach Philonenko une simple fiction rationnelle67.

    Es ist entscheidend zu sehen, da Kant nicht die Unterscheidung von Privatrechtund Staatsrecht mindern will, sondern da er gerade die Autonomie des ersterengegenber dem ffentlichen Recht festzuhalten sucht und dadurch zu einer Art De-potenzierung der Staatsmacht gelangt. Gegen Lesarten, die der betrgerischen Faszi-nation des Gedankens des einen erliegen, glaube ich, da die kantische Rechtsphilo-sophie, betrachtet man sie in ihrer Entwicklung, von der Notwendigkeit geprgt ist,die Beziehungen innerhalb des Privatrechtes neben denen des ffentlichen Rechtes zuerhalten und damit auch gefhrliche Konsequenzen zu vermeiden. Das bedeutet, daes neben dem Recht, wie es vor einem Gerichtshof innerhalb eines Staates ausgespro-chen wird, ein der Vernunft zugngliches Recht an sich gibt, das der kommutativenGerechtigkeit entspringt und das keineswegs mit dem Eintritt in den Staat eliminiertwird. Das Vernunftrecht ist zwar nicht in der Lage, als Statut verwirklicht zu werden,aber es wird durch das Recht in der Erscheinung nicht zerstrt.

    Die Apriorischen Grundlagen des Brgerlichen Rechts von Reinach zeichnen mitsicherer Hand die Grundlage des juridischen Baues, ohne damit den Anspruch zuerheben, ein phnomenologisch geprgtes Tribunal zu errichten, vor dem sich daspositive Recht zu prsentieren und zu rechtfertigen htte; mit dem Konzept der Be-

    zismus charakterisiert sind, dann wird es klar, da das gesamte Recht der Natur um denAnfang der Reflexion 7084 zu zitieren (fr den Text s. die vorhergehende Funote) nicht alsProjekt und Plan anzusehen ist, der auf den Staat zur Realisierung wartet und da diesesRecht nicht mit der Tugendlehre zusammenfllt, sondern da es dank des Erlaubnisgeset-zes ich beziehe mich hiermit auf das Postulat der rechtlich-praktischen Vernunft, das im 10 als ein Eckstein der Metaphysischen Anfangsgrnde der Rechtslehre definiert wird das Naturrecht betrachtet werden mu als ein wirklich effektives Recht. Die Rechtslehre im1797 publizierten Text schlgt uns einen neuen Weg vor; nmlich vom Rechtsbegriff zu demRecht an uerem Mein und Dein, ein Schritt, den man problemlos gerade im Postulat derrechtlich-praktischen Vernunft finden kann: Man kann dieses Postulat ein Erlaubnige-setz (lex permissiva) der praktischen Vernunft nennen, was uns die Befugni giebt, die wiraus bloen Begriffen vom Rechte berhaupt nicht herausbringen knnten: nmlich allen an-dern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht htten, sich des Gebrauchs gewisserGegenstnde unserer Willkr zu enthalten, weil wir zuerst sie in unseren Besitz genommenhaben. (VI 247, 16) Zur nheren Klrung verweise ich auf die Arbeit von Werner Busch,die das Verdienst hat, die Entwicklung der Rechtslehre in ihren verschiedenen Phasen (vier)der Entwicklung dargestellt zu haben. Nach Busch verfolgt Kant mit der Entdeckung derkritischen Philosophie das Ziel, zwischen Privatrecht und Staatsrecht zu unterscheiden undauch die Autonomie des ersteren im Hinblick auf die souverne Staatsgewalt zu sichern; vgl.Die Entstehung der kritischen Rechtsphilosophie Kants. Berlin 1979, 159 ff.

    66 A. Philonenko: Introduction. In: I. Kant Mtaphysique des murs. Premire partie: Doc-trine du droit. Prface par M. Villey. Introduction et traduction par A. Philonenko. Paris19884, 45.

    67 Philonenko, op. cit., 59.

  • 370 Daniela Falcioni

    stimmung fhrt er in diesem Gebude selbst die Mglichkeit ein, von den apriori-schen Gesetzen abzuweichen. Diese Bestimmung operiert als Grenze, die trennt undzugleich verbindet. Der Gesichtspunkt der apriorischen Rechtslehre schliet nichtaus, sondern im Gegenteil, er schliet durch eine interne Notwendigkeit den des po-sitiven Rechts ein, und sie mu tatschlich a priori die Mglichkeit antizipieren, daes Abweichungen von den unbedingten Gesetzen gibt: Diesem Ziel dient der Akt derBestimmung. Die juridisch-positiven Bestimmungen, mit denen Rechtsfiguren, wiez. B. der Schiedsrichter, der Gesetzgeber ich beziehe mich auf einige von Reinacherwhnte Quellen in der Konkretheit des sozialen Lebens in bereinstimmung mitden jeweiligen sittlichen Anschauungen, oder mit den wirtschaftlichen Bedrfnis-sen, u. dgl. intervenieren, sind nur denkbar als Abweichungen von den unbedingtenGesetzen, was Reinach mit einer ungewhnlichen Akribie aufgezeigt hat. Die Be-stimmungen gehren zur Klasse der sozialen Akte freie Handlungen des Men-schen zu denen die Spontaneitt, Intentionalitt und besonders die Sozialitt ge-hren, nicht jedoch die auch wiederum wichtige Interpersonalitt.

    Obwohl Kant und Reinach zwei unterschiedlichen philosophischen Richtungenangehren, sind sie jedoch im Hinblick auf das Recht als eines Werkes von freienMenschen fr freie Menschen einer Auffassung. Ihre jeweilige Philosophie stellt sichdar als eine Widerstandslinie im Hinblick auf Positionen, die die Menschen auf ver-wirrte Zuschauer des Rechts reduzieren, die in ein bloes prozedurales Geschehenverwickelt sind, ohne jedoch zu Protagonisten zu werden.