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A. Anfȩnge Botanik, 5. Auflage. U. Lȱttge, M. Kluge, G. Bauer Copyright c 2005 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim ISBN 3-527-31179-3

kapitel 01 1. - bilder.buecher.de · 1 Die Evolution bis zu den einfachsten Pflanzen: Progenoten – Prokaryonten – Eukaryonten 1.1 Einleitung Die Biologie, und natrlich auch ein

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A.Anf�nge

Botanik, 5. Auflage. U. L�ttge, M. Kluge, G. BauerCopyright c 2005 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, WeinheimISBN 3-527-31179-3

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1Die Evolution bis zu den einfachsten Pflanzen:Progenoten – Prokaryonten – Eukaryonten

1.1Einleitung

Die Biologie, und nat�rlich auch ein so großesTeilgebiet der Biologie wie die Botanik, konfron-tiert den Neuling mit einer zun�chst un�berseh-baren F�lle von Formen und Erscheinungen. Er hatzwei verschiedene M�glichkeiten des Eindrin-gens. Einmal kann man in der Natur schonohne besondere Vorkenntnisse und Ausr�stungsehr viele Beobachtungen machen; man kann be-ginnen, mehr oder weniger ersch�pfende Erkl�-rungen zu erarbeiten, langsam zu schwierigerenFragestellungen vordringen und schließlich ver-suchen, allgemeine Gesetzm�ßigkeiten zu verste-hen. Ein anderer Weg f�ngt bei der Betrachtungder einfachsten heute lebenden (rezenten) Ein-zeller an und schreitet zu immer h�her organisier-ten Pflanzen fort, so wie die Evolution der Orga-nismen (Kompakt 1-1) vor 4 p 109 Jahren von ganzeinfachen Urzellen ausgegangen ist und nun zuhoch komplizierten Lebewesen, wie etwa denBl�tenpflanzen, gef�hrt hat. Der bekannte Evolu-tionsforscher Theodosius Dobzhansky (1900–1975) hat gesagt: „Erst Evolution gibt der Biologie

ihren Sinn.“ Wir wollen deshalb in diesem Kapitelden zweiten Weg beschreiten. Es ist der Weg, denauch die biologische Systematik geht, z. B. diePflanzensystematik, die versucht, ein nat�rlichesSystem der Pflanzen zu erarbeiten, in dem dieetwa eine halbe Million bisher bekannten leben-den Pflanzenarten m�glichst nach ihren nat�r-lichen Verwandtschaftsbeziehungen, d. h. nachihrem „Stammbaum“, geordnet werden.

1.2Die ersten Schritte der Evolution von Lebewesen

Die heute am weitesten akzeptierte naturwissen-schaftliche Kosmologie beginnt mit dem Urknall(big bang) und den gewaltigen Umsetzungen vonMaterie und Energie, die schließlich auch zurEntstehung unseres Planetensystems und derErde gef�hrt haben. Kompakt 1-2 fasst die wich-tigsten Daten zusammen.F�r das Verst�ndnis der Entstehung von Lebe-

wesen ist es wichtig zu wissen, dass in der Urat-mosph�re der Sauerstoff fehlte, der heute 21%unserer Atmosph�re ausmacht. Durch Urgewit-

Kompakt 1-1 Evolution

x Evolution ist der Angelpunkt f�r die Erkl�rung der Vielfalt des Lebens (G. L. Stebbins).x Evolution bedeutet, dass sich verschiedene Formen des Lebens auseinander entwickelt haben (Bioge-nese nach R. W. Kaplan).

Botanik, 5. Auflage. U. L�ttge, M. Kluge, G. BauerCopyright c 2005 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, WeinheimISBN 3-527-31179-3

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ter konnten auf der sich abk�hlenden Erdoberfl�-che die Urmeere entstehen. Verschiedene, mehroder weniger reduzierte Gasmolek�le in der At-mosph�re dienten dann als Substrate f�r die che-mische Evolution. Die Energie von Blitzentladun-gen erm�glichte die Synthese einfacher organi-scher Molek�le, und aus den ersten Reaktions-produkten entstanden in Milliarden Jahren dieMonomeren und schließlich die Oligo- und Poly-meren biologisch wichtiger Molek�le.Zur Entwicklung dieser Modellvorstellungen

zur pr�biotischen Synthese von Biopolymerentrugen die von dem 22 Jahre alten Chemiestu-denten Stanley Miller 1953 in Chicago durch-gef�hrten Versuche entscheidend bei. Er stelltein einem Glaskolben ein Gemisch aus Methan

(CH4), Ammoniak (NH3) und Wasser (H2O) alsModell einer Uratmosph�re her und simulierteGewitterblitze durch starke elektrische Funken-entladungen. Nach 24 Stunden fand er in demKolben eine ganze Reihe verschiedener Verbin-dungen, u. a. die wichtigen Aminos�uren Glycin,Alanin und Asparagins�ure. Stanley Miller hatsein Interesse an abiotischen Synthesen organi-scher Molek�le zeitlebens nicht verloren.Andere einfache Molek�le von großer Bedeu-

tung waren stickstoffhaltige organische Basen,Zucker, wie z. B. Pentosen (C5-Zucker), und Phos-phors�ure sowie Fette und Lipide. Fette und Lipidesetzen sich aus Fetts�uren und Glycerin zusam-men (Kompakt 1-3). Aus organischen Basen,Pentosen (C5-Zucker) und Phosphors�ure bilden

4 1 Die Evolution bis zu den einfachsten Pflanzen: Progenoten – Prokaryonten – Eukaryonten

Kompakt 1-2 Zeittafel wichtiger Ereignisse der Evolution

Zeitpunkt inMilliarden (109)Jahren in derVergangenheit Ereignisse und Zust�nde

15–14 Urknall

6–5 Entstehung unseres Planetensystems

5 Verfestigung der Erdkruste, H2 (Wasserstoff) Hauptbestandteil der Erdatmosph�re

5–4 Entstehung der Urozeane

4–3 Chemische Evolution und Entstehung der ersten Urzellen

3 Erste Ans�tze zur Photosynthese

3–2 Giftwirkung der photosynthetischen Sauerstoff (O2)-Anreicherung in der Atmosph�re

2 Abtrennung des Reiches Pilze

2,0–1,5 Photosynthese voll entwickelt, 0,2% O2 in der Atmosph�re, Evolution der Atmung

1,8 Trennung der Reiche Animalia und Plantae

1,0–0,5 Entstehung h�her entwickelter mariner Lebewesen

0,5–0,4 Fr�hes Silur (Ordovizium), alle großen Algengruppen voll entwickelt, viele der heutebekannten großen Tierst�mme existent, �bergang der Organismen zum Landleben:die ersten Sprosspflanzen als Landpflanzen, 2% O2 in der Atmosph�re

0,2–0,1 Auftreten der ersten Angiospermen (Unter-Kreide)

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51.2 Die ersten Schritte der Evolution von Lebewesen

Kompakt 1-3 Fette und Lipide

C

O

OH CH2

HC

H O

O H

CH2H O

CH2

H2C

CH2

H2C

CH2

H2C

CH2

H2C

CH2

H2C

CH2

H2C

CH2

H2C

H3C

C

O

OHCH2

H2C

CH2

H2C

CH2

H2C

CH2

H2C

CH2

H2C

CH2

H2C

CH2

H2C

CH2

H2C

H3C

C

O

HOCH2

H2C

CH2

H2C

CH2

H2C

CH2

HC

HC

CH2

H2C

CH2

H2C

CH2

H2C

CH2

CH3

Palmitinsäure

Stearinsäure

Ölsäure

Glycerin

CO

O CH2

HC O

CH2

CO

OCO

CH2

HC O

H2C

C

O

O C

H2C

H2C

O H

N

CH3H3C CH3

Cholin

Phosphor-säure

P

O

O

HO OH

O

H O

CH2

HC O

H2C

C

O

O C

H2C

H2C

N

CH3H3C CH3

P

O

O

O

O

O

hydrophil hydrophob

Es entstehen Lipide mit einem hydrophilen Pol oder Kopfund den Kohlenwasserstoffketten der Fettsäuren alshydrophobe Molekülschwänze:

Durch Esterbildung über die Carboxylgruppe (�COOH) von Fettsäuren (wie Palmitinsäure,Stearinsäure, Ölsäure, u.a.) und die alkoholische Hydroxyl- (�OH) Gruppe von Glycerinentstehen Fette:

Kleine polare oder hydrophile Moleküle können beteiligt sein:

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sich Nucleotide (Kompakt 1-4). Aminos�uren la-gern sich �ber die Peptidbindung zu Peptiden,mit steigender Zahl der Bausteine zu Oligopepti-den und schließlich zu Proteinen zusammen(Kompakt 1-5, Kap. 11-2). Die drei Stoffgruppenerm�glichten die grundlegenden Ereignisse, dief�r die Entstehung der ersten einfachen Vorstu-fen des Lebens, der Urzellen oder Progenoten,ausschlaggebend waren:x Abgrenzung. Durch ihren hydrophilen „Kopf“und ihre hydrophoben oder lipophilen

„Schw�nze“ sind Lipidmolek�le amphipolar(Kompakt 1-3). Sie k�nnen im w�ssrigenMilieu Doppelfilme bilden und dadurch kleineTr�pfchen von der L�sungsphase abgrenzen(Abb.1-1). In denDoppelfilmen sind die lipophi-len Kohlenwasserstoff-Ketten gegen�berliegen-der Molek�le aufeinander zu gerichtet und bil-den den lipophilen Bereich der Lipiddoppelmem-bran. Die hydrophilen Pole grenzen an zweiw�ssrige Phasen an, die Außenphase und dieInnenphase des Tr�pfchens. Die Tr�pfchen k�n-

6 1 Die Evolution bis zu den einfachsten Pflanzen: Progenoten – Prokaryonten – Eukaryonten

Kompakt 1-4 Nucleoside und Nucleotide

Organische Basen und C5-Zucker vereinigen sichzu Nucleosiden. Nucleoside und Phosphors�ure-reste bilden Nucleotide. Mit der Pentose Ribose

entstehen Polynucleotide der Ribonucleins�ure(RNA); tritt an ihre Stelle die Desoxyribose, bildetsich Desoxyribonucleins�ure (DNA)

C

C C

C

O

H

CH2

H

5

41

2 3

H H

H O

O

HO

H

H

HN

CN

C

CC

H

O

PO

O

O

H

O

PO

O

O

H

H

H

C

C C

C

O

H

CH2

H

5

41

2 3

H H

H O

O

HO

H

H

O

PO

O

O

H

H

N

CN

C

CC

NC

N

H

HH

H

HH

HH

H

H

Pyrimidin-base

Purin-base

Desoxyribose

Desoxyribose

Nucleosid

PhosphorsäureNucleotid

Über Phosphor-säurebrückenam C-3 undC-5-Atom derC5-ZuckerentstehenOligo- undPolynucleotide.

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nen Einschl�sse enthalten; solche Koazervatek�nnten in der Ursuppe entstanden sein.W�rde ein Koazervat durch seine Membran vonder Umgebung hermetisch abgeschlossen, w�rejede weitere Entwicklung ausgeschlossen. Alsomusste f�r die Entstehung lebender Zellen dieMembranbarriere von Anfang an eine Doppel-

funktion haben. Sie musste Abgrenzung undzugleich Kommunikation durch kontrolliertenStoffaustausch gew�hrleisten. Enthielt ein Koa-zervat nach seiner zuf�lligen Bildung zun�chstandere Konzentrationen an gel�sten Stoffen alsdie Ursuppe selbst, konnten die Konzentrati-onsunterschiede zu einem Transport durch Dif-

71.2 Die ersten Schritte der Evolution von Lebewesen

Kompakt 1-5 Die Peptidbindung

O

CCO

H

H

H

NH

H

O

CCO

H

H

C

NH

H

H

H

H

O

CCO

H

H

C

NH

H

H H

COO

H

Glycin Alanin Asparaginsäure

Zwischen Aminogruppe und Carboxylgruppe

entsteht die Peptidbindung.

N

H

H

C

O

H

O

O

CCO

H

H

H

NC

H

C

OH

C

NC

H

C

O

N

C

HH

H

H

H

H H

CO OH

H

Durch Kettenverlängerung am Amino-Ende (-NH2) und am Carboxyl-

Ende (-COOH) (Pfeile!) entstehen höhere Oligopeptide, Polypeptide, Proteine.

O

CCO

H

HN

C

H

C

OH

NC

H

C

O

N

H

C

O

CH

NH

H

C

O

CN

HH

C

O

C

HN

H

H

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fusion durch die Membran f�hren. Aber mitdem Ausgleich der Konzentrationsunterschiedemusste das Tr�pfcheninnere wieder identischmit dem Hauptteil der Ursuppe werden, undauch damit w�re keine weitere Entwicklungmehr m�glich gewesen.

x Emanzipation von der Umgebung. Entwick-lungsm�glichkeiten konnten sich erst ergeben,wenn das koazervate Tr�pfchen durch Zufall

einen makromolekularen Katalysator mit einge-fangen hatte. Durch Oberfl�cheneffekte beider Anlagerung kleinerer Molek�le k�nnenPolymere die kleinen Substratmolek�le reakti-onsbereiter machen; sie wirken katalytisch.Wenn auf diese Weise eine chemische ReaktionA p B im Tr�pfcheninneren sehr viel rascherablief als im Hauptteil der Ursuppe, so konntesich das Tr�pfchen wirklich von der Ursuppe

8 1 Die Evolution bis zu den einfachsten Pflanzen: Progenoten – Prokaryonten – Eukaryonten

Abb. 1-1 Koazervate Tr�pfchen und die Substanzfl�ssean ihren Membranen. Die Substanzfl�sse, J, sind Diffusi-onsprozesse (vgl. Kap. 4.2); sie sind durch Pfeile und dieReihenfolge der Indizes a (außen) und i (innen) sowie dieBuchstaben A bzw. B f�r die diffundierenden Teilchen ge-kennzeichnet. (A)p(B): Die Konzentration der Substanz A(A: rot) ist zun�chst außen (a) gr�ßer als innen (i):[A]a i [A]i. Der Influx J

Aapi ist gr�ßer als der Efflux JAipa.

Mit der Zeit gleicht sich der Konzentrationsunterschiedaus, [A]a = [A]i und JAapi = JAipa. (C)p(D): Die Aus-gangssituation (C) entspricht der von (A): [A]a i [A]i. Aberdas Tr�pfchen hat einen makromolekularen Katalysator (K)eingeschlossen, der die Reaktion ApB (B: blau) kataly-siert; im Inneren des Tr�pfchens wird die Substanz B ge-bildet. Dadurch bleiben [A]a i [A]i, [B]i i [B]a, J

Aapi i JAipa,

JBipa i JBapi. Das Tr�pfchen ist ein offenes System.

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emanzipieren. Nun w�re im Inneren die Kon-zentration von A immer kleiner und die vonB immer gr�ßer als außen gewesen. Die Kon-zentrationsunterschiede von A und B w�renmit der Zeit nicht mehr verschwunden, son-dern h�tten f�r eine dauernde Nettoaufnahmevon A und Nettoabgabe von B gesorgt. Auchdiese Systeme hat man sich nicht nur aus-gedacht, sondern im Experiment nachgebaut(Abb. 1-1).Hier zeigt sich eine grundlegende Eigenschaftaller Organismen:

Alle Organismen sind offene Systeme, durchdie ein st�ndiger Fluss von Materie undEnergie erfolgt, und deren Zusammen-setzung und Gestalt im Zustand einesFließgleichgewichts (Kap. 2.1) von der Zeitunabh�ngig sein kann.

x Speicherung und Weitergabe der Information �berdie erreichte Organisationsstufe. Zur Weitergabevon Information ist das Leben an Autokatalysegebunden. Dazu sind Polypeptide (Kom-pakt 1-5) nicht bef�higt, wohl aber Polynucleo-tide (Kompakt 1-4, Kap. 16.4.2). Erste hypothe-tische makromolekulare Katalysatoren warendaher zun�chst wahrscheinlich chemischeStrukturen, die der RNA (Kompakt 1-4) �hnel-ten. Aus einer solchen pr�RNA-Welt ent-wickelte sich dann eine RNA-Welt, wo dieRNA sowohl chemische Umsetzungen kataly-sierte als auch Information speicherte und inautokatalytischer RNA-Replikation weitergab.Die Information wird in Form der Reihenfolge

verschiedener organischer Basen an den Poly-nucleotidstr�ngen festgehalten. Damit besch�f-tigt sich die molekulare Genetik. (Zur Defini-tion des Begriffs Gen vgl. Kompakt 1-6.) Diemolekularen Prozesse der Proteinsynthesesind so komplex, dass sich der Gang der Evolu-tion der Proteinbiosynthese schwer vorstellenl�sst. Aus der RNA-Welt entwickelte sich sp�terdie heutige DNA-Welt. Die Bildung der Ribosewar am Anfang unter den Bedingungen derprimitiven Erde viel einfacher als die der Des-oxyribose. Selbstreplizierende Molek�le unter-liegen der nat�rlichen Selektion, und dieDNA erwies sich dann als stabiler und einerReparatur von Fehlern bei der Replikationleichter zug�nglich als die RNA.

1.3Die Ern�hrungsweise

Eine ganz andere Frage ist, wie die urspr�ngli-chen (primordialen) Zellen den Energiebedarff�r den Aufbau und Erhalt ihrer Strukturenund ihren Stoffwechsel bestritten haben. Hierzugibt es zwei hypothetische Erkl�rungen. Die Vor-stellung von der Ursuppe sagt, dass sie hetero-troph (Kompakt 1-7) waren und sich durch dieAufnahme organischer Molek�le aus der Ur-suppe ern�hrten. Eine andere Hypothese nimmtgeothermische und geochemische Umsetzungenan, sodass die ersten Organismen chemo-auto-troph (oder chemo-lithotroph) waren (Kompakt1-7), wie heute noch viele Archaebakterien

91.3 Die Ern�hrungsweise

Kompakt 1-6 Das Gen (Die Erbeinheit)

x Die kleinste Funktionseinheit eines DNA-Makromolek�ls, die jeweils eine funktionsf�hige Proteinkettecodiert (D. von Denffer).

x Ein Sequenzabschnitt der DNA, der die gesamte genetische Information f�r die Erzeugung einesbestimmten Genprodukts – RNA, Protein – umfasst (P. Sitte).

x Der Musterabschnitt der DNA, der f�r eine Proteinkette verantwortlich ist (C. Bresch). (s. auchKompakt 16-3)

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(s. Kap. 8.2.2.1). Begrenzte Lebensgemeinschaf-ten k�nnen z. B. auf dem tiefen Grund der Ozea-ne allein von der Assimilation anorganischerAusgangsverbindungen durch extrem hitzeange-passte thermophile chemo-autotrophe Archae-bakterien existieren, wobei vulkanische W�rmeletztlich als Energiequelle dient.Die Begrenzung und Ersch�pfung von Res-

sourcen muss aber allm�hlich zur ersten Ern�h-rungs- und Energiekrise gef�hrt haben. EinenAusweg aus dieser Krise bot die Ausnutzungder Sonnenenergie durch die Lebewesen. Dasf�hrte zur Evolution der Photosynthese. Gr�nechlorophyllhaltige Zellen wurden unabh�ngigvon den Energieumsetzungen im Urmeer, vonorganischen Substanzen in dem sie umgebendenMilieu oder von geochemischen Reaktionen. Siekonnten die Energie absorbierter Lichtquantenf�r die Assimilation anorganischer Substanzenals Bau- und Betriebsstoffe f�r ihren Stoffwechselausnutzen. Damit erwarben sie einen außer-

ordentlichen Vorteil. Sie waren photo-autotrophoder photo-lithotroph (Kompakt 1-7). Wenn wirdie ern�hrungsphysiologische Gliederung der Or-ganismenreiche (s. Abb. 1-11) ein wenig strapa-zieren, k�nnten wir sagen, dass es die ersten„Pflanzen“ waren.Wir grenzen die Pflanzen von den �brigen Le-

bewesen n�mlich durch die ern�hrungsphysiolo-gische Charakterisierung als autotrophe Organis-men ab (Kompakt 1-7), die alle Bau- und Be-triebsmaterialien aus einfachen anorganischenAusgangsverbindungen der unbelebten Umweltaufbauen k�nnen. Dies gilt f�r die Kohlenstoff-ger�ste, die in der Photosynthese aus Kohlen-dioxid (CO2) und Wasser (H2O) gebildet werden.Es gilt auch f�r den Einbau von Stickstoff aus Ni-trat-Ionen (NO3

–), Nitrit-Ionen (NO2–), Ammoni-

ak (NH3) und von Schwefel aus Sulfat-Ionen(SO4

2–) und Sulfid-Ionen (S2–) in organische Ver-bindungen. In der �kologie der Stoffkreisl�ufebezeichnet man die autotrophen Pflanzen als

10 1 Die Evolution bis zu den einfachsten Pflanzen: Progenoten – Prokaryonten – Eukaryonten

Kompakt 1-7 Begriffe zur Ern�hrungsweise

Begriff Ern�hrungsweise

heterotroph Aufnahme von organischen Molek�len aus der Umgebung (Saprophyten),von autotrophen Pflanzen (Herbivoren) oder von anderen heterotrophenOrganismen (Carnivoren).

auxotroph Notwendigkeit der Aufnahme spezieller organischer Verbindungen,z. B. Vitamine u. a. Wirkstoffe.

photo-organotroph Licht liefert Energie; einfache organische Molek�le aus der Umgebung liefernReduktions�quivalente.

autotroph Ausschließlich anorganische Molek�le aus der Umgebung werden f�r denBau- und Betriebsstoffwechsel ben�tigt.

chemo-autotroph(chemo-lithotroph)

Die Oxidation reduzierter anorganischer Molek�le liefert Energie undReduktions�quivalente.

photo-autotroph(photo-lithotroph)

Licht liefert Energie; reduzierte anorganische Molek�le liefern Reduktions-�quivalente.

mixotroph Gleichzeitiges Ausn�tzen verschiedener M�glichkeiten der Ern�hrungsweise.

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Prim�rproduzenten, als die ersten Glieder vonNahrungsketten.Die Photosynthese der ersten Prim�rproduzen-

ten war noch nicht mit der Freisetzung von Sau-erstoff (O2) aus dem Wasser verbunden. Dies ent-wickelte sich in der Evolution der Photosyntheseerst schrittweise aus Vorstufen, wo das CO2

durch Reduktions�quivalente [2H] aus anderenMolek�len als dem H2O reduziert wurde(Kap. 2.6.3). Mit der photosynthetischen Spaltungdes Wassers zu Reduktions�quivalenten [2H] undO2 (Kap. 2.6.4) war die Anreicherung des O2 inder urspr�nglich mehr reduzierenden Uratmo-sph�re bis zur heutigen Konzentration von 21%O2 verbunden, und die Evolution der an O2 gebun-denen Atmung folgte auf die Evolution der Photo-synthese (Kap. 2.6.5).

1.4Die Prokaryonten

Die Diskussion der Fr�hstadien der Evolution hatgezeigt, welche Ausstattung lebende Zellen min-destens haben m�ssen:x Membranen zur Abgrenzung und zum kontrol-lierten Kontakt mit der Umgebung;

x Makromolek�le zur Informationsspeicherungund -weitergabe (DNA, RNA);

x Makromolek�le zur Oberfl�chenbildung undKatalyse (Proteine, Enzyme);

x membrangebundene Redoxsysteme zur Ener-gie�bertragung (Kap. 7.2.3, Kap. 8.2.1).

Eine Betrachtung der einfachsten rezenten Or-ganismen, der prokaryotischen Einzeller (Abb.1-2), zeigt, wie diese Erfordernisse strukturellgel�st sind.Der Ausdruck prokaryotisch bezeichnet eine

bestimmte Organisationsstufe des Lebens. Er be-zieht sich vor allem darauf, dass die DNA nochnicht in Chromosomen in einem Zellkern orga-nisiert ist. Aber auch in anderer Hinsicht sinddiese Zellen noch wenig gegliedert; z. B. sinddie Redoxketten der Atmung und Photosynthesenoch nicht in besonderen Organellen enthalten,die von einer eigenen Membran umgeben sind.Prokaryotische Zellen bilden dazu lediglichmehr oder weniger komplizierte Einfaltungender das Cytoplasma nach außen begrenzendenMembran, der Plasmamembran oder des Plasma-lemmas, gegen das Innere der Zellen.In 3 bis 4 p 109 Jahre alten Ablagerungen und

Gesteinen findet man Einschl�sse, die man mitmehr oder weniger großer Sicherheit als Mikro-fossilien deuten kann. Sie sind kugelig oder h�ufigauch f�dig und �hneln den rezenten Prokaryon-ten.Die rezenten Prokaryonten zerfallen in zwei

Gruppen, die sich bez�glich der �ußeren H�llevor allem aber auch molekularbiologisch sostark unterscheiden, dass sie sich in der Evoluti-on g�nzlich unabh�ngig aus hypothetischen Ur-formen (Progenoten) entwickelt haben m�ssen.Daf�r wurde die taxonomische Kategorie der Do-m�nen geschaffen, der die Kategorie der Reicheals n�chste untergeordnet ist (Kap. 1.6).

1.4.1Archaebakterien

Archaebakterien haben keine Zellwand, die auchden Progenoten noch fehlte. VerschiedenartigeH�llen k�nnen aber vorhanden sein.

111.4 Die Prokaryonten

Abb. 1-2 Schema einer Bakterienzelle.

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Wir finden unter den Archaebakterien Spezia-listen mit Anpassungen an extremste Standorte.Hierzu geh�ren die Halobakterien (Kap. 2.6.1),Methan bildende Bakterien und thermophile For-men, die unter geologisch bedingtem hohemDruck noch bei �ber 100 hC lebensf�hig sindund sogar ihr Wachstumsoptimum finden. Ar-chaebakterien sind chemo-autotroph (Kap. 8.2.2.1)oder heterotroph.

1.4.2Eubakterien

Verschiedene Formen rezenter Bakterien sind inKompakt 1-8 dargestellt. Die kleinsten Bakterienhaben einen Durchmesser von etwa 2 p 10–4 mm.Die mechanische Stabilisierung der Zellform

wird durch eine Zellwand gew�hrleistet, diegleichzeitig der Zelle einen �ußeren Schutz bietet(Abb. 1-2). Bei den Eubakterien entwickeln sichverschiedene Typen der Zellwand. Die morpholo-gische und chemische Struktur der Zellwand istsogar ein wichtiges allgemeines Merkmal f�rdie Systematik der Dom�nen und Reiche(Kap. 1.6, Abb. 1-11). Man kann die Eubakterien-zellwand als ein makromolekulares Netz von Mu-ropeptiden aus Aminozuckern und Aminos�urenansehen (Mureinsacculus), in das die Zelle einge-h�llt ist. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmalbietet die Gramsche F�rbung. Einschichtige (mo-nomolekulare) Sacculi sind gram-negativ; derFarbstoff wird leicht wieder ausgewaschen. Viel-schichtige Sacculi sind gram-positiv.Auf die Zellwand der Bakterien (Abb. 1-2) folgt

nach innen die �ußere Plasmabegrenzung, diePlasmamembran. In ihr sind die Systeme des kon-trollierten Stoffaustauschs mit dem umgebendenMilieu (Carrier oder Tr�ger; Permeasen; Ionen-kan�le, Kap. 4.4, Kap. 4.5) lokalisiert. Sie tr�gtdie Redoxsysteme der Atmungskette (Kap. 7.2.3).Dazu k�nnen zur Oberfl�chenvergr�ßerung auchMembraneinst�lpungen in das Innere der Zellengebildet werden (Mesosomen). Bei den photo-autotrophen Bakterien bilden andere Einst�l-pungen der Plasmamembran die Thylakoid-stapel. Unter Thylakoiden versteht man die

durch diese Membranen abgegrenzten R�umeinnerhalb des Cytoplasmas. Die Thylakoidmem-branen tragen das Chlorophyll und die Redoxsys-teme der photosynthetischen Elektronentrans-portkette (Kap. 8.2.1).Die DNA der Bakterien liegt in Form eines

ringf�rmig in sich geschlossenen Doppelstrangsvor, der bei einer Zelle des DarmbakteriumsEscherichia coli 1,4 mm lang und 5 p 10–5 mmdick ist. Die E. coli-Zelle selbst ist etwa2 p 10–3 mm lang und 10–3 mm dick. Der DNA-Doppelstrang liegt zusammengekn�ult im zentra-len Cytoplasma der Zelle und erscheint als f�di-

12 1 Die Evolution bis zu den einfachsten Pflanzen: Progenoten – Prokaryonten – Eukaryonten

Kompakt 1-8 Formen rezenterBakterien

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ges Netzwerk des sog. Kern�quivalents. Zus�tzlichfinden wir in Bakterienzellen noch kleinere DNA-Ringe, die Plasmide.Besonders erw�hnenswert sind noch die Gei-

ßeln, mit denen viele Bakterien gerichtete, aktiveSchwimmbewegungen im Substrat durchf�hrenk�nnen (z. B. bei bestimmten Bazillen mit einerGeschwindigkeit von 200 mm s–1). Eine Bakterien-geißel besteht aus spiralig angeordneten globul�-ren Proteinmolek�len (Flagellin). Die Geißel istan Proteinringen in der Bakterienh�lle befestigt,die mit der Geißel rotieren, was durch Statorpro-teine stabilisiert wird (Abb. 1-3). Der Antrieb istein von einer Protonenpumpe in der Membran(Kap. 4.3) aufgebauter Protonengradient und dasGanze ein molekularer Motor vergleichbar denATP-synthetisierenden ATPasen der Mitochon-drien (Kap. 7.2.5) und Chloroplasten (Kap. 8.2.1.6,Abb. 8-10).Unter den heterotrophen Bakterien findet man

M�glichkeiten der Verwertung einer unglaub-lichen Vielfalt von Substraten. Dies erkl�rt dasbreite Spektrum �kologischer Bedingungen,unter denen Bakterien existieren k�nnen. EinigeBakterien sind autotroph und betreiben Chemo-synthese (Kompakt. 8.6) oder Photosynthese

(Kap. 8.2, Kap. 2.6.3). Ihre Kleinheit und Leichtig-keit sichert den Bakterien eine weite Verbreitung.Zur �berdauerung ung�nstiger Bedingungenwerden Sporen als widerstandsf�hige Dauersta-dien gebildet.

1.4.3Besondere Eubakterien: Die Cyanobakterien alsprokaryotische Algen

Die Cyanobakterien hat man traditionell immerder Botanik zugeordnet. Sie sind photo-autotrophmit zwei Photosystemen und O2-Entwicklung(Kap. 2.6.4) wie alle Pflanzen. Man kann sie pro-karyotische Algen nennen. Sie geh�ren aber zuden gram-negativen Bakterien.Die innerste Schicht der Cyanobakterienzell-

wand entspricht dem monomolekularen Murein-sacculus gram-negativer Bakterien. Durch �ußereLagen von Pectinen und Hemicellulosen kann sieleicht zu einer Gallerte verschleimen (Abb. 1-4).Die DNA liegt wie bei den Bakterien frei als

Kern�quivalent im Cytoplasma. Die von der Cyto-plasmamembran eingest�lpten Thylakoide durch-ziehen die Zellen in mehr oder weniger regel-m�ßiger Anordnung (Abb. 1-4). Ihnen sitzen

131.4 Die Prokaryonten

Abb. 1-3 Molekularer Motor der Bakteriengeißel, angetrieben durch eine Protonenpumpe mit Rotor- undStatorproteinen (A) (in Anlehnung an Alberts, B. et al.: Molekularbiologie der Zelle, 4. Aufl., Wiley-VCH, Weinheim 2004)und den globul�ren Flagellinmolek�len der Geißel (B).

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die Phycobilisomen auf. Es handelt sich dabei umKomplexe aus gef�rbten Proteiden (Chromopro-teide, Kap. 11.3). Die farbgebenden prostheti-schen Gruppen der Phycobiline werden vondem blauen Pigment Phycocyan und bei man-chen Arten dem roten Pigment Phycoerythrin ge-bildet. Diese Farbstoffe bestehen aus einem offe-nen Tetrapyrrolsystem, wie die Gallenfarbstoffeund das Phytochrom (Kap. 12.5, Tab. 12-2). Das

blaue Pigment hat der ganzen Gruppe denNamen gegeben, die fr�her auch vielfach alsBlaualgen bezeichnet wurde.Die Cyanobakterien vermehren sich vegetativ

(ungeschlechtlich) durch einfache Zellteilungen.Die neuen Zellw�nde werden irisblendenartigvom Rand der Zelle aus gebildet (Abb. 1-4).Jede Tochterzelle erh�lt eine Kopie der DNA desKern�quivalents. Durch die verschleimendenZellw�nde k�nnen die Tochterzellen nach derTeilung zusammenbleiben, sodass Kolonien (Coe-nobien) entstehen. So bilden die kugeligen Zellender Chroococcales (Kompakt 26-1) oft gallertige�berz�ge auf dem Untergrund. Bei den Hormo-gonales entstehen Zellf�den (Abb. 1-5). Zwischenden einzelnen Zellen dieser F�den k�nnen durchunvollst�ndige Zellwandbildung bei der Zelltei-lung Plasmabr�cken erhalten bleiben.Bestimmte Fadenzellen verlieren die Pigmente

und bilden eine dickere Zellwand aus. Diese sog.Heterocyten haben besondere stoffwechselphysio-logische Funktionen. Durch den Verlust der F�-higkeit zur Photosynthese und O2-Bildung undwegen der diffusionshemmenden Wirkung derdicken Zellwand k�nnen im Inneren dieser Zel-len niedrige Sauerstoffkonzentrationen aufrecht-erhalten werden. Dies schafft die Voraussetzungf�r die Aktivit�t des Enzymkomplexes der Nitro-genase, mit dem viele Cyanobakterien zur Stick-stoffern�hrung Luftstickstoff (N2) zu Ammoniak(NH3) reduzieren k�nnen (Kap. 13.3.2).Durch Schleimabscheidung k�nnen Cyanobak-

terien langsame Kriechbewegungen durchf�hren(bis zu 4 mm s–1) oder eigenartige Schwingungenvollziehen (z. B. die Gattung Oscillatoria). Geißelnbesitzen Cyanobakterien nie.Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen sind

Cyanobakterien photo-autotroph. Die etwa 2000bekannten Arten besiedeln sehr verschiedeneStandorte; Gew�sser, haupts�chlich S�ßwasser(in heißen Thermen bis zu 75 hC), B�den, Baum-rinden, Felsen (z. B. werden die bekannten „Tin-tenstriche“ an den Felsw�nden der Dolomitenvon Cyanobakterien gebildet und finden sichauch an Sichtbetonbauten). Dunkle �berz�gean Tont�pfen in Gew�chsh�usern oder in Gieß-

14 1 Die Evolution bis zu den einfachsten Pflanzen: Progenoten – Prokaryonten – Eukaryonten

Abb. 1-4 Cyanobakterienzellen (elektronenmikroskopi-sche Aufnahmen von E. Stengl). (A) L�ngsschnitt durcheinen Oscillatoria-Faden mit irisblendenartiger Ausbildungneuer Querw�nde (Pfeile). (B) Nostoc-Zelle; endosym-biontisch (Kap. 25.1) in Wurzelzellen der AngiospermeGunnera. (C) Nostoc-Zelle mit nach außen verschleimen-der Zellwand. GW, Gunnera-Zellwand; Pl, Plasmalemma(Außenmembran) der Cyanobakterien; Th, Thylakoid-membranen mit perlschnurartig aufsitzenden Phycobili-somen; W, Cyanobakterienzellwand.

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kannen im Wohnraum sind meistens Cyanobak-terienkolonien. Cyanobakterien leben auch sym-biotisch mit anderen Pflanzen, Tieren und Pilzenzusammen. Die bedeutendste Form dieser Sym-biosen findet sich bei den Flechten. Flechten stel-len Exosymbiosen zwischen Cyanobakterien- undGr�nalgenzellen und Pilzf�den (Hyphen) dar(vgl. Kap. 25.2.2.2). Bei Exosymbiosen bleibendie Zellen der Partner frei. Dagegen werden beiEndosymbiosen Zellen des einen Partners in dasCytoplasma des anderen Partners aufgenommen.Die Beobachtung von Cyanobakterien als Endo-symbionten spielt bei der Deutung der Evolutionvon eukaryotischen Zellen eine große Rolle(vgl. Abb. 1-4, Abb. 25-7).

Die ersten Cyanobakterien haben schon imPr�kambrium vor 109 Jahren gelebt. Dichte Mat-ten von Cyanobakterien k�nnen durch Kalk-abscheidungen (s. auch Kap. 17.1.5) Krusten,sog. Stromatolithen, bilden. Solche Stromatolithensind als Fossilien aus der pr�kambrischen Zeitbekannt. Cyanobakterienmatten bedecken auchheute z. B. in den feuchten Tropen fast jede vege-tationsfreie Fl�che, wie Felsen und offene B�den(Abb. 1-6).

1.5Die eukaryotischen Zellen

1.5.1Organisation: Euglena

Einfache Lebensformen eukaryotischer Einzellersind freibewegliche Flagellaten. Besonders inte-ressant ist die Gattung Euglena, z. B. Euglena gra-cilis, die nach der ern�hrungsphysiologischenDefinition zwischen Pflanze und Tier steht. BeiAnzucht im Licht bilden sich gr�ne, autotropheIndividuen (also „Pflanzen“), bei Anzucht imDunkeln und mit organischen N�hrstoffen (Glu-cose oder Acetat) im Medium aber nichtgr�ne,heterotrophe Individuen (also „Tiere“).Hier sind nun erstmals bestimmte Zellfunktio-

nen in besonderen Organellen lokalisiert, diedurch Membranen vom sog. Grundplasma (Cyto-sol) abgegrenzt sind (Abb. 1-7). Das heißt, die

151.5 Die eukaryotischen Zellen

A B C DAbb. 1-5 Cyanobakterien. (A) Chroococcales-Coenobium. (B)–(D) Hormogonales: (B) Nostoc mit Heterocyten,(C) Rivularia, (D) Oscillatoria.

Abb. 1-6 Cyanobakterienmatten zwischen Grashorstenin einer Savanne in Venezuela. (Die Matten zerreißen beiTrockenheit in einzelne St�cke, die sich an den R�nderneinrollen.)

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eukaryotischen Zellen sind kompartimentiert. DieDNA ist in Form der Chromosomen organisiert,die im Zellkern lokalisiert sind, der von der Kern-membran umgeben ist. Als Besonderheit sind beiden Euglenen auch im Interphasekern kontra-hierte Chromosomen sichtbar (vgl. Kap. 15.3).Die Enzyme und Redoxsysteme der Atmung be-finden sich in den Mitochondrien. Die entspre-chende Ausr�stung zur Photosynthese liegt inden Chloroplasten. Mitochondrien und Chloro-plasten sind bei den typischen Eukaryontenzellenvom Cytosol durch doppelte Membranh�llen ab-gegrenzt. Als weitere Besonderheit haben Eugle-nen eine dreischichtige Chloroplastenh�lle (vgl.Kap. 1.5.2 und 1.5.3, Abb. 17-30).Die �ußere Begrenzung bildet bei Euglena

keine feste Zellwand, sondern eine einfache,haupts�chlich aus Proteinen bestehende flexibleH�lle (Pellicula), die den Zellen einen gewissenGestaltswechsel erlaubt. Andere Flagellaten besit-

zen aber starre Zellw�nde aus Pectinen, Hemicel-lulosen und Cellulose.Der Name der Flagellaten beruht auf ihrer Be-

geißelung (Flagellum: Geißel). Euglena hat einelange und eine kurze Geißel. Beide Geißelnsind mit je einem Basalk�rper am Grunde einerGeißelkammer im Cytoplasma verankert. Diekurze Geißel verschmilzt mit der langen Geißelnoch im Inneren der Geißelkammer. Hier befin-det sich eine lichtempfindliche Stelle (Photo-rezeptor). Dar�ber liegt ein rot gef�rbter „Augen-fleck“ aus Carotinen, der den Photorezeptor beibestimmten Stellungen der Zelle durch Licht-absorption beschattet, sodass die Zelle beim He-rumschwimmen die Lichtrichtung wahrnehmenkann. Die lange Geißel wirkt als Zuggeißel. DieEuglena-Zelle kann sich damit in der Sekundeum das Zwei- bis Dreifache ihrer K�rperl�ngefortbewegen.Sehr charakteristisch ist der Feinbau der Gei-

ßeln. Einzellige bewegliche Formen mit einer,mehreren oder vielen Geißeln treten nicht nurbei den Flagellaten auf. In bestimmten vegetati-ven oder generativen Entwicklungsstadien findensie sich noch bei den meisten h�her entwickeltenOrganismen; als m�nnliche Gameten (Spermato-zoiden) im Tierreich bis hin zu den Wirbeltiereneinschließlich der Hominiden und im Pflanzen-reich bis zu den Gymnospermen (Nacktsamernwie Cycadeen, Ginkgo-Baum). Erst bei den Coni-feren und Angiospermen (Bedecktsamern) istdieses frei bewegliche, „monadale“ Stadium derOrganisation ganz aus dem Entwicklungszyklusverschwunden.Bau und Funktion der Geißeln sind in allen

diesen F�llen die gleichen. Es handelt sich beidiesen Geißeln um einen Grundbaustein derEukaryontenzelle. Durch die im Cytoplasma ver-ankerten Basalk�rper, von denen die Bildungder Geißeln ausgeht, sind sie auf fundamentaleintrazellul�re Strukturen der Eukaryontenzellezur�ckzuf�hren.Die Geißel besteht aus neun peripheren und

zwei zentralen Proteintubuli (Abb. 1-8). Die zen-tralen Tubuli sind spiralig umeinander gewunden.Sie haben eine stabilisierende und richtung-

16 1 Die Evolution bis zu den einfachsten Pflanzen: Progenoten – Prokaryonten – Eukaryonten

Abb. 1-7 Organisation der Euglena-Zelle.

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gebende Funktion, eine Geißelkr�mmung kannnur senkrecht zu ihrer Verbindungsebene erfol-gen. Der eigentliche Bewegungsmechanismusliegt in den peripheren Doppeltubuli aus A- undB-Tubulus. Diese bestehen im Wesentlichen ausdem Tubulin. Die Arme des A-Tubulus bestehendagegen aus Dynein. Wie bei der Muskelbewe-gung verk�rzen und strecken sich die einzelnenbeteiligten Proteine nicht selbst, sondern gleitenaneinander vorbei. Wellenf�rmig laufen Ver-k�rzungen und Verl�ngerungen an der Geißelentlang. Den Dyneinarmen kommt dabei einebesondere Bedeutung zu. Sie haben ATP spal-tende Funktion (ATPase-Funktion) und vermit-teln dadurch die Koppelung der Bewegung mit

der Stoffwechselenergie. Außerdem spielen siedurch Bilden und L�sen von Bindungen mitdem B-Tubulus bei der Kraft�bertragung eineRolle (Abb. 1-8, gerasterte Sektoren). Die Geißel-bewegung gleicht damit der Muskelbewegung.Zur Osmoregulation besitzt die Euglena-Zelle

eine pulsierende Vakuole. Wegen der hohen Kon-zentration osmotisch wirksamer Substanzen imInneren der Zelle unterliegt die im S�ßwasserlebende Euglena einem fortw�hrenden Einstromvon Wasser (Kap. 5.2). Da eine starre Zellwandfehlt, an der sich ein hydrostatischer Gegendruck(Turgordruck) aufbauen k�nnte, wird das Wasserin einer Vakuole gesammelt und in bestimmtenAbst�nden nach außen entleert. Diese pulsierendeVakuole schrumpft, w�chst und schrumpft inrhythmischen Abst�nden.

1.5.2Schema der Eukaryontenzelle

Wenn man sich eine eukaryotische Zelle im elek-tronenmikroskopischen Schnittbild ansieht, be-gegnet man auf den ersten Blick einer verwirren-den F�lle von Kompartimenten und Membran-systemen. Neben den im vorangegangenen Ab-schnitt erw�hnten Organellen (Zellkern, Chloro-plasten, Mitochondrien) durchzieht die Zellenoch ein Endomembransystem, das Endoplasma-tische Reticulum (ER). Durch den Fluss kleinerVesikel, die sich von ihm abschn�ren oder mitihm verschmelzen, steht es mit der �ußeren Plas-mamembran, dem Plasmalemma in Verbindung.Auf diese Weise bildet es auch weitere Organel-len, z. B. die Dictyosomen und die Zellvakuolen.Das ER legt sich als Kernh�lle um den Zellkern(Nucleus) herum.Mit einer einfachen Deutung der Membran-

grenzen in diesem System gewinnen wir nachE. Schnepf schlagartig einen �berblick und er-schließen uns das Verst�ndnis der Evolution dereukaryotischen Zelle (Abb. 1-9): Jede Membrantrennt eine w�ssrige Phase von einer plasmatischenPhase. W�ssrige Phasen sind dabei das Außen-medium, die vom ER abgegrenzten R�ume oderZisternen und Vesikel und die Zellvakuolen.

171.5 Die eukaryotischen Zellen

Abb. 1-8 Aufbau der Eukaryontengeißel aus 9 peripherenund 2 zentralen Tubuli.

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W�ssrige Phasen befinden sich auch zwischenden �ußeren und inneren Membranen der Chlo-roplasten und Mitochondrien und in den Chloro-plastenthylakoiden. Plasmatische Phasen sinddas Cytosol, das Kernplasma, das Stroma derChloroplasten und die Matrix der Mitochondrien.In der aktiven, lebenden Zelle ist das Mem-

bransystem in st�ndiger Bewegung. Mitochon-drien und Chloroplasten k�nnen sich teilen.Dabei bleibt ihr Plasma aber immer f�r sichund verschmilzt nie mit dem Grundplasma derZelle. Die �brigen Kompartimente k�nnen Teileabschn�ren oder mit anderen Kompartimentenverschmelzen. Dabei findet ein Membranfluss in-nerhalb der Zellen statt. Wir unterscheiden alsoneben der w�ssrigen Phase drei plasmatischePhasen, die nucleocytoplasmatische Mischphase(Cytosol und Kernplasma), das Mitoplasma (Mito-chondrien) und das Plastoplasma (Chloroplasten).

1.5.3Endosymbiontentheorie der Evolutioneukaryotischer Zellen

Unter den heterotrophen Einzellern gibt es vieleFormen, die ihre Nahrung durch Phagocytose auf-nehmen. Nahrungspartikel werden vom Cyto-plasma umflossen und in eine membranumge-bene Nahrungsvakuole eingeschlossen, in dersie schließlich verdaut werden (Abb. 1-10).Auf �hnliche Weise haben die eukaryotischen

Zellen in den Fr�hstadien ihrer Evolution die

18 1 Die Evolution bis zu den einfachsten Pflanzen: Progenoten – Prokaryonten – Eukaryonten

Abb. 1-9 Kompartimentierungsschema der Eukaryon-tenzelle nach E. Schnepf mit w�ssrigen Phasen und dreiplasmatischen Phasen: nucleocytoplasmatische Misch-phase, Mitoplasma (= „Matrix“ der Mitochondrien) undPlastoplasma (= „Stroma“ der Chloroplasten).Ch, Chloroplast; D, Dictyosom; ER, EndoplasmatischesReticulum; M, Mitochondrium; N, Zellkern (Nucleus);V, Vakuole.

Abb. 1-10 Phagocytose.

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Organellen Chloroplasten und Mitochondrienerworben. Eine heterotrophe, allein von reduzier-ten organischen Substanzen des Außenmediumslebende prokaryotische Zelle konnte einen gro-ßen Selektionsvorteil dadurch gewinnen, phago-cytotisch aufgenommene, zur Atmung oder zurPhotosynthese bef�higte prokaryotische Zellennicht zu verdauen, sondern sie als Endosymbion-ten in ihrem Cytoplasma zu behalten und sichihrer speziellen F�higkeiten zu bedienen.Viele Eigenschaften des Systems der eukaryoti-

schen Zelle sprechen f�r diese urspr�nglich 1883von A. F. W. Schimper formulierte Hypothese,die sich vor allem Dank der modernen Moleku-larbiologie zu einer fundierten Theorie entwickelthat:x Die Doppelmembranen von Mitochondrien undChloroplasten: Die �ußeren Membranen dieserOrganellen entsprechen den Membranen derPhagocytosevakuolen, die inneren Membranenden Plasmamembranen der phagocytiertenprokaryotischen Zellen. Bei Chloroplasten miteiner drei- oder gar vierschichtigen H�lle, wiewir sie bei bestimmten Algen finden (z. B.dreifache H�lle bei Euglena, s. Kap. 1.5.1,Abb. 17-30), denkt man daran, dass es nichtProkaryonten waren, die phagocytotisch ge-schluckt wurden, sondern bereits Chloroplas-ten von Eukaryonten (doppelte Chloroplasten-membran + Phagocytosemembran p dreifacheH�lle) oder gar ganze Eukaryontenzellen, vondenen dann Teile abgebaut wurden (doppelteChloroplastenmembran + Plasmamembran +Phagocytosemembran p vierfache H�lle).

x Die Chloroplasten der eukaryotischen Zellenmit ihren Thylakoiden entsprechen rezenten pro-karyotischen Cyanobakterienzellen.

x Mitochondrien und Chloroplasten sind selbstst�n-dig teilungsf�hig.

x Mitochondrien und Chloroplasten enthalten ihreeigene DNA, die in ihrer f�digen Form den ring-artigen DNA-Molek�len der rezenten Prokary-onten entspricht. Die DNA-gesteuerte Protein-biosynthese l�uft an den aus Proteinen undRibonucleins�ure aufgebauten Ribosomen ab(Kap. 16.4.4). Nach dem Bau der Ribosomen

und der Zusammensetzung der ribosomalenRNA stehen die Mitochondrien und Chloro-plasten den Prokaryonten n�her als den euka-ryotischen Zellen. Die Erbinformation derDNA der Mitochondrien (Chondriom) undChloroplasten (Plastom) codiert aber bei wei-tem nicht f�r alle Komponenten dieser Orga-nellen. Zur Ausbildung aller ihrer Funktionenist ein kompliziertes Zusammenwirken vonChondriom oder Plastom und Genom erforder-lich. Zum Beispiel besteht die Ribulose-bisphosphat-Carboxylase (Kap. 8.2.2.1) auszwei Untereinheiten, von denen eine vom Plas-tom und die andere vom Kerngenom codiertwird (Kap. 8.2.2.1). Dies kann aber heutenicht mehr als Gegenargument gegen dieEndosymbiontentheorie verwendet werden.Die Molekularbiologie hat einen umfangrei-chen intrazellul�ren Gentransfer zwischenEndosymbionten und Zellkern und auch zwi-schen verschiedenen Endosymbionten (Mito-chondrien und Chloroplasten) und damit einegewaltige Restrukturierung des genetischenMaterials w�hrend der weiteren gemeinsamenEvolution der Ur-Wirtszellen und der Endo-symbionten einwandfrei nachgewiesen, diedieses Zusammenwirken erkl�rt.

x Es gibt zahlreiche Beispiele rezenter Endosym-biosen, bei denen der Symbiont in das Cyto-plasma des Wirtes aufgenommen wird:– Eukaryotische einzellige Algen in Hydrozoen(z. B. in der S�ßwasserhydra und in Korallen,Pocilopora) und Meermuscheln (Tridacna).

– Prokaryotische Rhizobien (Kn�llchenbakte-rien), die Luftstickstoff fixierende Symbiosenbilden, wobei ebenfalls bestimmte moleku-lare Funktionseinheiten vom Kerngenomdes Wirtes und vom Bakteriengenom desSymbionten gemeinsam gesteuert werden(Kap. 25.2.1).

– Prokaryotische Cyanobakterienzellen in Zel-len von Pilzen oder h�heren Pflanzen(Abb. 1-4, Abb. 25-7).

– Chloroplasten aus eukaryotischen Algenzel-len in den Zellen von Ciliaten oder Schne-cken. Die Zellbestandteile außer den Chloro-

191.5 Die eukaryotischen Zellen

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plasten werden verdaut; die Chloroplastengelangen phagocytotisch in die Zellen derVerdauungsdr�se des Wirtes, wo sie sechsWochen bis drei Monate photosynthetischaktiv bleiben, aber nicht mehr teilungsf�higsind und dann ersetzt werden m�ssen.

x Cyanome (Wirt und Cyanelle, d. h. blaugr�nerEndosymbiont), die taxonomisch dadurch auf-fallen, dass sie keiner der bekannten großensystematischen Gruppen zuzuordnen sind,und die m�glicherweise Relikte der Evolutiondarstellen. Hier sind die Endosymbiontenaußerhalb ihrer Wirtszellen nicht mehr lebens-f�hig und haben funktionell bereits den Cha-rakter eines Zellorganells angenommen.

Die vielf�ltigen Beispiele rezenter Endosymbio-sen legen schon nahe, dass organellenhaltige Eu-karyontenzellen vielfach oder polyphyletisch ent-

standen sein k�nnen, wie es auch in Abb. 1-11dargestellt ist. Eine prim�re eukaryotische Urzel-le ist vielleicht monophyletisch durch einmaligesEinwandern von zwei prokaryotischen Zellen alssp�tere Mitochondrien und Chloroplasten ent-standen. Neben diesen prim�ren kennt manheute aber auch sekund�re und terti�re Endo-symbiosen, wo Plastiden oder ganze eukaryoti-sche Zellen in eine Wirtszelle eingewandertsind, deren photosynthetische Organellen dannnicht nur zwei, sondern drei bzw. vier H�llmem-branen haben (Abb. 17-30).

1.6Die Dom�nen und Reiche der Organismen

Die Evolution und die Gliederung der Organis-men in Dom�nen und Reiche sind in Abb. 1-11zusammengefasst. Die entscheidenden Merkma-le f�r diese Gliederung sind ern�hrungsphysiologi-sche Charakteristika (Kompakt 1-7), Zellwandstruk-turen und molekulare Charakteristika. Die wich-tigste Arbeitsweise der Phylogenetik war immerder Vergleich abgestufter �hnlichkeiten bei re-zenten Organismen. Dies erstreckt sich heutevon der morphologisch-anatomischen Ebene bishin zur molekularen Ebene. Auf der molekularenEbene vergleicht man Basensequenzen von Poly-nucleotiden (DNA, RNA) und Aminos�urese-quenzen von Proteinen von ubiquit�r vorkom-menden Makromolek�len bei verschiedenen Or-ganismen. Der �hnlichkeitsgrad (Sequenzhomo-logie) sagt etwas �ber die Verwandtschaft derbetreffenden Organismen aus. Man hat auch Vor-stellungen dar�ber, wie viel Zeit im Durchschnittverstreicht, bis etwa eine Aminos�ure oder eineBase ausgetauscht wird. Daraus gewinnt manAnhaltspunkte dar�ber, wann sich Organismenoder Organismengruppen in der Evolution von-einander getrennt haben (phylogenetische Uhr).Die Genomik, die vollst�ndige Genome sequen-ziert, erlaubt zunehmend auch Vergleiche aufder Ebene ganzer Organismen (Kap. 16.4.5,32.3.1.3). Damit entwickelt sich die Evolutionsfor-schung vom Errichten logischer, aber spekulati-

20 1 Die Evolution bis zu den einfachsten Pflanzen: Progenoten – Prokaryonten – Eukaryonten

Abb. 1-11 Dom�nen (ARCHAEA, BACTERIA, EUCARYA)und Reiche (z. B. Plantae, Fungi, Animalia) der Organis-men.

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ver Gedankengeb�ude immer mehr hin zu einerempirischen Wissenschaft.Solche Untersuchungen zeigen, dass die Kluft

zwischen den Archaebakterien und Eubakterienebenso groß ist, wie zwischen jeder dieser beidenprokaryotischen Gruppen und den Eukaryonten.In mancher Hinsicht stehen die Archaebakterienden Eukaryonten sogar n�her als den Eubakte-rien. So muss man schließen, dass aus gemein-samen Vorfahren (Progenoten) drei Dom�nen ent-standen sind, die Archaebakterien (oder Archaea),die Eubakterien (oder Bacteria), und �ber verschie-dene Endosymbiosen die Eukaryonten (oder Euca-rya). Daraus entwickelten sich dann Reiche. �bereinzellige Eukaryonten (Protista) kam es durch er-n�hrungsphysiologische Differenzierung zu Rei-chen, zu den autotrophen Pflanzen (Plantae),den Pilzen (Fungi) als Zersetzern von Biomasse(Saprophyten) und den Tieren (Animalia) alsKonsumenten mit verdauender Ern�hrungs-weise. Das Reich der Fungi hat sich vor2,0 p 109 Jahren abgegliedert, und die Reiche derPlantae und Animalia wurden vor 1,8 p 109 Jahrengetrennt.

Zusammenfassung

Pr�biotische Synthesen einfacher organischerMolek�le im Urmeer erlaubten die Entstehungerster Urzellen (Progenoten), und es entwickeltesich eine Ribonucleins�ure-Welt mit Katalysen,Speicherung und Weitergabe von Informationdurch RNA nach Abgrenzung und Emanzipationvon der Umgebung. Dann entstand die Desoxyribo-nucleins�ure-Welt mit komplexer Synthese vonProteinen als Katalysatoren (Enzyme). Der Ver-brauch der Ressourcen organischer Verbindun-

gen im Urmeer f�hrte zur ersten Ern�hrungs-und Energiekrise, aus der die Ausnutzung derEnergie des Sonnenlichts mit der Evolution derPhotosynthese herausf�hrte. Die grundlegend not-wendige strukturelle und funktionelle Ausstat-tung lebender Zellen realisierte sich erst auf derOrganisationsstufe der Prokaryonten und danndurch Endosymbiose solcher Zellen auf der Orga-nisationsstufe der Eukaryonten. Der Vergleich ab-gestufter �hnlichkeiten der Organismen von dermorphologisch-anatomischen bis zur molekula-ren Ebene f�hrt zur stammesgeschichtlichenGliederung in drei Dom�nen, die prokaryotischenArchaea und Bacteria und die eukaryotischenEucarya mit den drei Reichen Plantae, Fungi undAnimalia der Eucarya.

Weiterf�hrende Literatur

Alberts, B., Johnson, A., Lewis, J., Raff, M., Keith, R.,

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211.6 Die Dom�nen und Reiche der Organismen

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