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Version vom 10.12.2018 Makroökonomik Prof. Dr. rer. pol. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Wintersemester 2018/19 Inhaltsverzeichnis: 12. Analyse von Nachfrageschwankungen: Das Einkommen-Ausgaben-Modell (E-A-Modell) 3 12.1.Merkmale von Wirtschaftsschwankungen 3 12.2.Messung der wirtschaftlichen Aktivität 5 12.2.1. Bruttoinlandsprodukt 5 12.2.2. Auslastungsgrad des Produktionspotentials 5 12.3.Der Unterschied zwischen kurzfristiger und langfristiger Entwicklung 6 12.4.Die Definitionsgleichung als Ausgangspunkt 7 12.4.1. Die Konsumfunktion 8 12.4.2. Gleichgewicht auf dem Gütermarkt 9 12.4.3. Ein numerisches Beispiel: 10 12.4.4. Stabilität des Gleichgewichts auf dem Gütermarkt 11 12.4.5. Der Einkommensmultiplikator 11 12.5.Wirkung der Fiskalpolitik auf die aggregierte Nachfrage 14 12.5.1. Die Instrumente der Fiskalpolitik 14 12.5.2. Auswirkungen veränderter Staatsausgaben für den Kauf von Konsum- und Investitionsgütern 15 12.5.3. Veränderungen der Steuern 15 12.5.4. Die Wirkungen von Transferzahlungen 17 12.5.5. Das Haavelmo Theorem 18 12.5.6. Der Multiplikator einer einkommensabhängigen Steuer 19 12.6.Politische Eingriffe zur Stabilisierung der Volkswirtschaft: Pro und Contra 19 12.6.1. Pro: Aktive Stabilisierungspolitik 19 12.6.2. Contra: Gegen eine aktive Stabilisierungspolitik 20 12.6.3. Automatische Stabilisatoren 21 12.7.Hat die Staatsverschuldung negative Wirkungen? 22 12.7.1. Begrifflichkeiten 22 12.7.2. Zinsen, Steuern, Staatsausgaben 24 12.7.3. Linke Tasche, rechte Tasche 26 12.7.4. Negative Effekte der Staatsverschuldung auf das Wachstum 26 12.8.Wiederholungsfragen 28

Kapitel 12 Das E-A Modell Kapitel 13 Das IS-MP-Modell · in diesem Konzept auch Werte über 100 % Auslastung möglich. Abbildung 12.3: Produktionspotenzial, Bruttoinlandsprodukt und

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    Makroökonomik Prof. Dr. rer. pol. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede

    Wintersemester 2018/19

    Inhaltsverzeichnis:

    12.  Analyse von Nachfrageschwankungen: Das Einkommen-Ausgaben-Modell (E-A-Modell) 3 12.1. Merkmale von Wirtschaftsschwankungen 3 

    12.2. Messung der wirtschaftlichen Aktivität 5 

    12.2.1.  Bruttoinlandsprodukt 5 

    12.2.2.  Auslastungsgrad des Produktionspotentials 5 

    12.3. Der Unterschied zwischen kurzfristiger und langfristiger Entwicklung 6 

    12.4. Die Definitionsgleichung als Ausgangspunkt 7 

    12.4.1.  Die Konsumfunktion 8 

    12.4.2.  Gleichgewicht auf dem Gütermarkt 9 

    12.4.3.  Ein numerisches Beispiel: 10 

    12.4.4.  Stabilität des Gleichgewichts auf dem Gütermarkt 11 

    12.4.5.  Der Einkommensmultiplikator 11 

    12.5. Wirkung der Fiskalpolitik auf die aggregierte Nachfrage 14 

    12.5.1.  Die Instrumente der Fiskalpolitik 14 

    12.5.2.  Auswirkungen veränderter Staatsausgaben für den Kauf von Konsum- und Investitionsgütern 15 

    12.5.3.  Veränderungen der Steuern 15 

    12.5.4.  Die Wirkungen von Transferzahlungen 17 

    12.5.5.  Das Haavelmo Theorem 18 

    12.5.6.  Der Multiplikator einer einkommensabhängigen Steuer 19 

    12.6. Politische Eingriffe zur Stabilisierung der Volkswirtschaft: Pro und Contra 19 

    12.6.1.  Pro: Aktive Stabilisierungspolitik 19 

    12.6.2.  Contra: Gegen eine aktive Stabilisierungspolitik 20 

    12.6.3.  Automatische Stabilisatoren 21 

    12.7. Hat die Staatsverschuldung negative Wirkungen? 22 

    12.7.1.  Begrifflichkeiten 22 

    12.7.2.  Zinsen, Steuern, Staatsausgaben 24 

    12.7.3.  Linke Tasche, rechte Tasche 26 

    12.7.4.  Negative Effekte der Staatsverschuldung auf das Wachstum 26 

    12.8. Wiederholungsfragen 28 

  • Makroökonomik Wintersemester 2018/19 2 / 65 Kapitel 12 & 13 © 2016-2018 Prof. Dr. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Version vom 10.12.2018

    13.  Ansatzpunkte für die Konjunkturpolitik: Das IS-MP Modell 29 13.1. Die Herleitung der IS-Kurve 29 

    13.1.1.  Die Investitionsfunktion 29 

    13.1.2.  Die Wirkung einer höheren Staatsnachfrage 33 

    13.2. Geldpolitik und MP-Kurve 35 

    13.2.1.  Die MP-Kurve als Ausdruck der Zielsetzungen der Zentralbank 35 

    13.2.2.  Die Taylor-Regel 36 

    13.3. Das IS-MP Modell zur Analyse politischer Maßnahmen 39 

    13.3.1.  Eine Zunahme der Staatsausgaben 40 

    13.3.2.  Der Übergang zu einer restriktiveren Geldpolitik 41 

    13.3.3.  Policy Mix: Gemeinsame Geld- und Finanzpolitik 41 

    13.3.4.  Eintrübung des Konsumentenvertrauens 43 

    13.4. Der Notenbankzinssatz und der Kreditzinssatz 44 

    13.4.1.  Die Risikoprämie der Banken 44 

    13.4.2.  Änderungen der Risikoprämie für Kredite 45 

    13.4.3.  Der Transmissionsmechanismus der Geldpolitik 46 

    13.5. Die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 – 2010 (Die große Rezession) 50 

    13.5.1.  Warum der Finanzsektor eine Regulierung braucht 50 

    13.5.2.  Asset Backed Securities 51 

    13.5.3.  Von der Immobilien- zur Finanzkrise 54 

    13.5.4.  Sind Finanzkrisen vermeidbar? 55 

    13.5.5.  Die Finanzkrise als Beispiel für Minskys Krisentheorie 57 

    13.6. Wiederholungsfragen 59 

    Symbolverzeichnis 60 

    Literatur/Quellen 63   

  • Makroökonomik Wintersemester 2018/19 3 / 65 Kapitel 12 & 13 © 2016-2018 Prof. Dr. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Version vom 10.12.2018

    12. Analyse von Nachfrageschwankungen: Das Einkommen-Ausgaben-Modell (E-A-Modell)

    12.1. Merkmale von Wirtschaftsschwankungen

    In den ersten Kapiteln dieses Studienbuchs wurde dargelegt, wie sehr sich der wirtschaftliche Wohlstand in den letzten Jahrzehnten erhöht hat. Diese Entwicklung ist aber nicht kontinuierlich verlaufen, sondern hat sich in Wellen entwickelt. Auch wenn die Wirtschaft insgesamt gewach-sen ist, so schwankt doch die wirtschaftliche Aktivität von Jahr zu Jahr, sinkt manchmal sogar: In Deutschland ist das Sozialprodukt nur in den Jahren 1967, 1975, 1982, 1993, 2003 und 2009 geschrumpft. Die Wellenbewegungen und den Rückgang des Sozialprodukts kann man am besten erkennen, wenn man die relativen Veränderungen betrachtet, also die Wachstumsrate des BIP.

    -5 %

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    7 %

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    500

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    1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015

    Reales

    Wachstumsrate

     Abbildung 12.1: Die Schwankungen des BIP-Wachstums in Deutschland 1960 – 2017

    Ein Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität stellt für Politik und Gesellschaft immer wieder eine große Herausforderung dar, da er u. a. mit einer Zunahme der Arbeitslosigkeit verbunden ist. Die Auswirkungen führten in Deutschland durchaus schon zu einem Regierungswechsel.

    Diese wiederkehrenden, wellenförmigen Veränderungen der wirtschaftlichen Aktivität werden als Konjunktur bezeichnet.

    Ein Konjunkturzyklus setzt sich aus einem Aufschwung und einem Abschwung zusammen. Bei einem Aufschwung nehmen die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts zu, während sie bei einem Abschwung zurückgehen.

    Es ist üblich, den Konjunkturzyklus in vier Konjunkturphasen einzuteilen, wobei mit der Erho-lung begonnen wird:

  • Makroökonomik Wintersemester 2018/19 4 / 65 Kapitel 12 & 13 © 2016-2018 Prof. Dr. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Version vom 10.12.2018

    In der Erholungsphase kommt es am Anfang zu einer mäßigen Zunahme der Produktion, die Arbeitslosigkeit sinkt, Preise und Löhne steigen allmählich. In der Folge nimmt die Konsum-nachfrage zu, vermehrte Investitionen und steigende Gewinne sind weitere Folgen.

    In der Hochkonjunkturphase wird annähernd Vollbeschäftigung erreicht, die Produktion erreicht die maximale Höhe, die Löhne und Gehälter steigen stärker. Am höchsten Punkt der Konjunk-tur, im Boom, übersteigt die Nachfrage das Angebot, die Wachstumsraten liegen über dem mit-telfristigen Durchschnitt. Dadurch steigen die Preise immer rascher, so dass es zu sinkenden Reallöhnen kommt. Hohe Gewinne kennzeichnen diese eher kurze Phase. Die volkswirtschaft-lichen Kapazitäten werden vollständig genutzt. Der Arbeitsmarkt ist leergefegt und es kann so-gar zu Überbeschäftigung kommen.

    Ein beginnender Abschwung kündigt sich durch wirtschaftliche Verzögerungen an: Die Ein-kommen hören auf zu steigen und auch die Gewinne nehmen nicht mehr zu. Zwar ist das Kon-sumverhalten noch unverändert und stützt weiterhin die Nachfrage, aber die Investitionsdyna-mik lässt merklich nach: Die Wirtschaft „stagniert“. In der anschließenden Rezession kommt es zunehmend zu Unterbeschäftigung, zu sinkender Nachfrage und zu sinkendem Volkseinkom-men. Insbesondere der Rückgang bei den Investitionen verschärft die Abwärtsbewegungen, die schließlich in die wirtschaftliche Krise (Depression) führen.

    Abbildung 12.2: Die Phasen des Konjunkturzyklus

    Die Depression ist geprägt von einem starken Produktionsrückgang und einer hohen Arbeitslo-sigkeit (in Extremfällen, wie zur Zeit der Weltwirtschaftskrise in den Dreißiger Jahren, erreichte die Arbeitslosenquote in Deutschland Werte von über 40 %). Ein absoluter Rückgang der Inves-titionen gekoppelt mit einem rapiden Preisverfall gefährdet die gesellschaftliche und wirtschaftli-che Existenz. Die Nachfrage stagniert und beschränkt sich auf geringsten Konsum. Konkurse sind an der Tagesordnung. Gelingt es nicht, die pessimistischen Erwartungen abzubauen, blei-ben Investitionen trotz niedrigstem Zinsniveau aus.

    Aufgrund der verschiedenen Erfahrungen mit konjunkturellen Zyklen haben sich Ökonomen immer wieder die Fragen gestellt, wo die Ursachen dieser Schwankungen liegen und was man dagegen machen kann. Zu welchem Schluss gelangten sie nun?

    Auffällig: Die Lehrmeinungen unterscheiden sich erheblich bei ihren diversen Erklärungsversu-chen dieser kurzfristigen Schwankungen. Diese Erklärungen, die auch durch die Medien ver-breitet werden, lassen gerne den Eindruck entstehen, die Ökonomen seien ein einziger zerstrit-tener Haufen, weil sich gerade bei diesem Thema die Geister scheiden.

  • Makroökonomik Wintersemester 2018/19 5 / 65 Kapitel 12 & 13 © 2016-2018 Prof. Dr. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Version vom 10.12.2018

    Um dennoch eine einigermaßen befriedigende Antwort auf diese Fragen geben zu können, wurde ein grundlegendes Modell der aggregierten Nachfrage und des aggregierten Angebots entwickelt. Dabei handelt es sich um das Standardmodell der Makroökonomik.

    Zusammengefasst gibt es drei wichtige Befunde zu den konjunkturellen Schwankungen:

    Befund 1: Wirtschaftliche Schwankungen wiederholen sich. Sie sind zwar regelmäßig und las-sen sich aber gleichwohl nicht exakt prognostizieren (siehe Abbildung 12.1).

    Befund 2: Die meisten makroökonomischen Variablen schwanken gleichzeitig und in Abhängig-keit voneinander. Betrachtet werden meist die Schwankungen des Bruttoinlandsprodukts. Aber auch die anderen Variablen wie Investitionen, Auftragseingänge, Produktion und Gewinne ver-halten sich ähnlich.

    Befund 3: Mit dem Rückgang des Produktionswachstums ist ein Anstieg der Arbeitslosigkeit verknüpft.

    12.2. Messung der wirtschaftlichen Aktivität Die wirtschaftliche Aktivität wird durch Messgrößen wie das Volkseinkommen oder den Auslas-tungsgrad gemessen. Im weiteren Verlauf wird die wirtschaftliche Aktivität als Messgröße näher erläutert.

    12.2.1. Bruttoinlandsprodukt Das Einkommensmaß des Bruttoinlandsprodukts ist eine häufig verwendete Näherung zur Be-stimmung der gesamtwirtschaftlichen Aktivität. Da die Veränderung des BIP durch Preissteige-rungen für die Messung der gesamtwirtschaftlichen Aktivität keine Relevanz besitzt, wird das reale BIP verwendet.

    Zu beachten ist auch, dass das Bruttoinlandsprodukt das im Inland erwirtschaftete Einkommen misst, nicht jedoch, wie viel von diesem Einkommen auch tatsächlich an die Einwohner des Landes fließt. Zum einen erhalten Inländer Faktoreinkommen aus dem Ausland und zum ande-ren fließt ein Teil des BIP an Kapitaleigentümer im Ausland oder an ausländische Arbeitnehmer, die im Inland arbeiten. Soll die Produktion der Inländer gemessen werden, also die Produktion all derjenigen, die dauerhaft in einem Land wohnen, dann spricht man vom Sozialprodukt.

    Die Verwendung des BIP ist insofern nicht voll befriedigend, als dass es gar keine große Schwankungen aufweist (vgl. Abbildung 11.1). Daher werden meist die Wachstumsraten ver-wendet. Dadurch entsteht das Problem, dass sich die Konjunkturphasen verschieben. Denn in seinem Maximum hat eine Zeitreihe bekanntlich eine Steigung von Null. Besser ist daher aus theoretischer Sicht der Auslastungsrad geeignet.

    12.2.2. Auslastungsgrad des Produktionspotentials Die Konjunkturtheorie versucht zu erklären, warum es keine gleichbleibend hohe Auslastung der Produktionsfaktoren gibt.1 Daher kann die Konjunkturbeobachtung zum einen an der Aus-lastung der Arbeit ansetzen und zum anderen an der Auslastung des Kapitals (oder Produkti-onspotentials), oder schließlich an der Auslastung beider Faktoren in dem über eine Produkti-onsfunktion ein potentielles BIP geschätzt wird. Der Auslastungsgrad wird als Quotient aus tat-sächlicher Produktion und potentieller Produktion definiert und kann so als Indikator der Über- bzw. Unterauslastung der Produktionskapazitäten einer Volkswirtschaft im Konjunkturverlauf angesehen werden:

    Auslastungsgrad (ALG) = Ytat / Ypot

    1 Vgl. Gerold Blümle, Wolfgang Patzig: Grundzüge der Makroökonomie, 4. Auflage, Freiburg 1999, S. 508.

  • Makroökonomik Wintersemester 2018/19 6 / 65 Kapitel 12 & 13 © 2016-2018 Prof. Dr. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Version vom 10.12.2018

    Alternativ wird häufig auch die Produktionslücke verwendet. Sie kann einmal als absolute Diffe-renz zwischen dem tatsächlichen und dem potenziellen Produktionsniveau definiert werden:

    Absolute Produktionslücke = Ytat – Ypot

    Alternativ kann man die Produktionslücke auch in Prozent messen:

    Relative Produktionslücke = tat pot

    potY Y

    Y

    Das potentielle BIP ist eine rein theoretische Größe. Sie gibt an, welches Einkommen eine Wirt-schaft erzielen könnte, wenn alle Produktionsfaktoren voll beschäftigt werden. Es entspricht einem Punkt auf der Produktionsmöglichkeitskurve. In Deutschland wird diese Methode von der Deutschen Bundesbank angewendet. Sie verwendet dazu eine Cobb-Douglas-Produktions-funktion. Da nur für den Faktor Arbeit Daten über aktuellen Einsatz (Beschäftigung) und Poten-tial (Arbeitslosigkeit) vorliegen, müssen für den Faktor Kapital diese beiden Größen geschätzt werden. Da die Bundesbank den durchschnittlichen Auslastungsgrad mit 100 % normiert, sind in diesem Konzept auch Werte über 100 % Auslastung möglich.

    Abbildung 12.3: Produktionspotenzial, Bruttoinlandsprodukt und Kapazitätsauslastung 1995 –

    2013

    Quelle: Jahresgutachten des Sachverständigenrates 2012/13, S. 11.

    Im Unterschied zur Bundesbank berücksichtigt der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ lediglich die Auslastung des Kapitals und legt dabei eine höchstmögliche Auslastung zugrunde. Daher kann der Auslastungsgrad in diesem Konzept nicht über 100 % betragen.  

    12.3. Der Unterschied zwischen kurzfristiger und langfristiger Entwicklung

    Der wesentliche Unterschied zwischen der kurzfristigen und der langfristigen Entwicklung be-steht darin, dass kurzfristig die klassische Dichotomie nicht gilt. Diese Tatsache hat weit rei-chende Konsequenzen.

    Kurzfristig, das heißt für eine Zeitdauer von 1 – 2 Jahren, ist Geld nicht neutral und Verände-rungen der Geldmenge wirken nicht nur auf das Preisniveau. Wenn man die Veränderungen der Volkswirtschaft von Jahr zu Jahr untersucht, dann sind die nominalen Größen und die rea-len Größen stark miteinander verflochten.

  • Makroökonomik Wintersemester 2018/19 7 / 65 Kapitel 12 & 13 © 2016-2018 Prof. Dr. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Version vom 10.12.2018

    Kurzfristig wird ein neues Modell benötigt, das diese Verflechtungen berücksichtigt. Dabei gel-ten einige Faktoren, die in den zurückliegenden Kapiteln bereits erarbeitet wurden. Nicht ange-wandt werden kann dagegen die klassische Dichotomie.

    langfristige Betrachtung kurzfristige Betrachtung

    Die klassische Dichotomie trifft zu. Das monetäre Gleichgewicht:

    VMYP

    MV

    YPL

    Die klassische Dichotomie nicht trifft zu. Das monetäre Gleichgewicht:

    Y,ifL

    L f i,Y M

    Wirkung der Geldmenge PM

    Wirkung der Geldmenge NEYiIiM

    Die Geldmenge bestimmt ledig-lich das Preisniveau: Geld ist neutral Die Kosten spielen keine Rolle Völlige Preisflexibilität: Alle Preise haben sich angepasst

    Die Geldmenge beeinflusst den Realzins, der Realzins wirkt auf die Investitionspläne und die Investitionen verän-dern die Nachfrage: Geld ist nicht neutral Die Kosten sind wichtig Starre Preise: Preise haben sich (noch) nicht vollständig angepasst

    Bedeutung der Symbole: L = Geldnachfrage i = Realzins M = Geldangebot V = Umlaufgeschwindigkeit P = Preisniveau Y = (Volks-)Einkommen I = Investitionen YNE = Gesamtwirtschaftliche Nachfrage

    Tabelle 12.1: Vergleich von kurz- und langfristiger Analyse

    12.4. Die Definitionsgleichung als Ausgangspunkt Um die kurzfristigen Schwankungen zu untersuchen, beschränken wir uns auf die Nachfrage-seite. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage besteht aus dem Konsum der privaten Haushalte C, der Investitionen der Unternehmen und des Staates2 I, dem Staatsverbrauch G und den Netto-exporten NX3.

    YNE = C + I + G + NX

    Um aus dieser Definitionsgleichung eine Theorie zu machen, werden im nächsten Schritt diese vier Nachfragekomponenten durch Verhaltensannahmen beschrieben.

    2 In der VGR sind in den Investitionen auch die privaten Wohnungsbauten enthalten. Von dieser Besonderheit

    wird im Weiteren aber abgesehen.

    3 Die Nettoexporte sind der Saldo aus Exporten minus Importen

  • Makroökonomik Wintersemester 2018/19 8 / 65 Kapitel 12 & 13 © 2016-2018 Prof. Dr. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Version vom 10.12.2018

    12.4.1. Die Konsumfunktion Der Konsum hängt auch gesamtwirtschaftlich vom Einkommen ab. Die einfachste Form einer Konsumfunktion lautet:

    C = C0 + c Y

    Das heißt, es gibt einen Teil des Konsums, der nicht vom Einkommen abhängig ist (C0), den sog. autonomen Konsum. Der autonome Konsum C0 ist der Konsum, der auch bestehen bleibt, wenn das Einkommen Null ist. Daher wird er häufig aus didaktischen Gründen als Existenzmi-nimum bezeichnet. Diese Interpretation ist allerdings bei einer makroökonomischen Betrach-tung nicht sonderlich überzeugend, da es einer Volkswirtschaft als Ganzes nicht möglich ist, ohne jedes Einkommen den Konsum über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten. Denn wenn eine Volkswirtschaft kein Einkommen erzeugt, kann sie auch nicht konsumieren.

    Die zweite Komponente, von der der Konsum abhängt, ist c Y. Sie beschreibt den einkom-mensabhängigen Teil der Konsumnachfrage. Das ist der weitaus größte Teil des Konsums und er wird nach Maßgabe der marginalen Konsumneigung c vom Einkommen bestimmt. Die mar-ginale Konsumneigung gibt an, welcher Teil des Einkommens bei einer Einkommenssteigerung zusätzlich konsumiert wird und liegt zwischen 0 und 1, d. h. 0 < c < 1. Ein c von 0,75 bedeutet, dass von einem zusätzlichen Einkommen in Höhe von 10 Einheiten 7,5 Einheiten in den Kon-sum fließen. Die übrigen 2,5 Einheiten werden gespart4.

    Wichtig ist die Unterscheidung zwischen der marginalen Konsumneigung und der durchschnitt-lichen Konsumquote:

    Die Konsumneigung gibt an, welcher Anteil des zusätzlichen Einkommens konsumiert wird.

    Die Konsumquote ist dagegen ein Durchschnittswert. Er gibt an, welcher Anteil des Ein-kommens insgesamt konsumiert wird.

    In der Regel sind Konsumneigung und Konsumquote nicht gleich groß.

    Sowohl eine nach rechts gekrümmte Kurve als auch eine Gerade mit einem positiven Achsen-abschnitt als Konsumfunktion erfüllen das sog. fundamental-psychologischen Gesetz von Key-nes. Nach dieser Konsumhypothese nimmt der Konsum mit steigendem Einkommen zwar ab-solut zu, aber relativ sinkt er. Daraus ergibt sich ein mit steigendem Einkommen sinkender Durchschnittskonsum.

    Veranschaulicht wird diese Tatsache in der untenstehenden Zeichnung, in der der Durch-schnittskonsum als Tangens (tan ) des Ursprungfahrstrahls veranschaulicht werden kann. Je höher das Einkommen, desto kleiner wird der Winkel und desto kleiner wird der tan . Ergo wird auch der Durchschnittskonsum geringer. Steigt das Einkommen von Y1 auf Y2, so sinkt der Winkel und auch der Durchschnittskonsum.

    4 Man kann daher auch eine marginale Sparneigung s als: s = 1 – c definieren: Zusätzlich gespart wird, was nicht

    zusätzlich konsumiert wird.

  • Makroökonomik Wintersemester 2018/19 9 / 65 Kapitel 12 & 13 © 2016-2018 Prof. Dr. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Version vom 10.12.2018

    Abbildung 12.4: Die Konsumfunktion

    12.4.2. Gleichgewicht auf dem Gütermarkt Der Einfachheit halber soll zunächst davon ausgegangen werden, dass die übrigen Nachfrage-komponenten Investitionen, Staatsausgaben und Nettoexporte nicht vom Einkommen abhän-gen, sondern autonom sind.

    Das heißt:

    I = I0

    G = G0

    NX = NX0

    Die autonomen Investitionen heißen I0, die autonomen Staatsausgaben G0 und die autonomen Nettoexporte NX0. Wir nehmen an, dass sie zunächst konstant sind.

    Für das gesamtwirtschaftliche Angebot YAT gilt, dass die gesamte Produktion Y angeboten wird.

    YAT = Y

    Der Gütermarkt sei geräumt, das heißt, Angebot und Nachfrage sind gleich groß bzw. auf dem Gütermarkt herrscht Gleichgewicht. Diesen Zustand beschreibt die folgende Gleichgewichtsbe-dingung:

    YAT = YNE

    Solange die Gleichgewichtsbedingung nicht erfüllt ist, treten ungeplante Größen in Form von ungeplanten Veränderungen der Lagerbestände bzw. ungeplanten Investitionen auf. Stellen die Unternehmen fest, dass sich die Lager stärker füllen als geplant, drosseln sie die Produktion. Umgekehrt erhöhen sie die Produktion, falls sich die Lager stärker als geplant leeren.

    Damit haben wir das Modell komplett. Es soll nun dadurch vereinfacht werden, dass sämtliche die Bestimmungsgleichungen in die Nachfragegleichung eingesetzt werden. Dann ergibt sich für die Nachfrage:

    YNE = C0 + c Y + I0 + G0 + NX0

  • Makroökonomik Wintersemester 2018/19 10 / 65 Kapitel 12 & 13 © 2016-2018 Prof. Dr. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Version vom 10.12.2018

    Unter Verwendung dieser Gleichgewichtsbedingung, wird der Punkt gesucht, an dem sich An-gebots- und Nachfragekurve schneiden. Das Aus YAT = Y und YAT = YNE ergibt sich YNE = Y, wobei das Gleichgewichtseinkommen mit einem Sternchen * markiert wird.

    Y* = C0 + c Y* + I0 + G0 + NX0

    Gesucht wird das Einkommen, das gerade so hoch ist wie die Nachfrage. Dabei wird impliziert, dass sich das Angebot der Nachfrage anpasst. Die Gleichung kann nach Y* aufgelöst werden:

    (1 – c) Y* = C0 + I0 + G0 + NX0

    0 0 0 01Y* C I G NX1 c Das Gleichgewichtseinkommen Y* ergibt sich aus der Multiplikation von 1/(1 – c) mit der Sum-me der autonomen Komponenten. Die nachfolgende Grafik zeigt die grafische Lösung: Das gleichgewichtige Einkommen ergibt sich aus dem Schnittpunkt von makroökonomischem Ange-bot und makroökonomischer Nachfrage.

    Abbildung 12.5: Gleichgewicht auf dem Gütermarkt

    12.4.3. Ein numerisches Beispiel:

    Für die einzelnen Größen werden folgende Werte angenommen:

    C = C0 + c Y = 40 + 0,75 Y

    I = I0 = 50

    G = G0 = 20

    NX = NX0 = 25

    In die Nachfragegleichung eingesetzt, erhält man:

    YNE1 = 40 + 0,75 Y + 50 + 20 + 25

  • Makroökonomik Wintersemester 2018/19 11 / 65 Kapitel 12 & 13 © 2016-2018 Prof. Dr. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Version vom 10.12.2018

    Und unter Berücksichtigung der Gleichgewichtsbedingung kann man nach Y* auflösen

    11Y * 40 50 20 25 4 135 540

    1 0,75

    Das Gleichgewichtseinkommen Y*1 beträgt 540 Geldeinheiten.

    12.4.4. Stabilität des Gleichgewichts auf dem Gütermarkt Bei einem Einkommen, das kleiner als das Gleichgewichtseinkommen ist, übersteigt die Nach-frage das Angebot. Die Unternehmer könnten also mehr verkaufen als sie ursprünglich geplant haben. Nun kann man davon ausgehen, dass die Unternehmen auf diese Auftragslage so rea-gieren, dass sie ihre Produktion ausdehnen, um die höhere Nachfrage zu befriedigen. Sie möchten zusätzliche Gewinne erzielen, aber dazu werden sie zusätzliche Arbeit nachfragen müssen. Im günstigsten Fall werden die Unternehmen weitere Arbeiter einstellen, aber das ist nicht zwangsläufig notwendig. Sie können auch durch längere Arbeitszeiten (Überstunden) mehr Arbeit einsetzen. In beiden Fällen steigen die Einkommen aus Arbeit und Profit. Dieser Prozess setzt sich solange fort, bis das Gleichgewicht erreicht ist. Das sehen wir auch im nächsten Abschnitt, in dem der Multiplikatorprozess erläutert wird.

    Abbildung 12.6: Stabilität des Gütermarktgleichgewichts

    Ist dagegen das Einkommen größer als das Gleichgewichtseinkommen, so übersteigt das An-gebot die Nachfrage und die Unternehmen können ihre Produktion nicht absetzen. Sie werden darauf mit einer Drosselung der Produktion reagieren. Dazu müssen sie weniger Arbeit einset-zen, das Einkommen sinkt.

    12.4.5. Der Einkommensmultiplikator Angenommen, durch die guten wirtschaftlichen Aussichten investieren die Unternehmen € 30 Mrd. mehr als im letzten Jahr. Diese Aufträge gehen an die großen deutschen Anlagenbauer5. Dieser erste Ausgabenimpuls erhöht das Volkseinkommen um € 30 Mrd. und führt gleichzeitig

    5 Vom Ausland haben wir aus Vereinfachungsgründen abgesehen.

  • Makroökonomik Wintersemester 2018/19 12 / 65 Kapitel 12 & 13 © 2016-2018 Prof. Dr. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Version vom 10.12.2018

    zu Beschäftigungssteigerungen, zusätzlichen Lohnzahlungen und Gewinnen. Die Leute, die dieses Geld erhalten, werden natürlich ihrerseits zusätzlich Waren und Dienstleistungen nach Maßgabe ihrer marginalen Konsumneigung c nachfragen, so dass es zu einer zweiten Runde kommt. Und auch hier erhalten Menschen wieder Geld, von dem sie einen Großteil wieder aus-geben usw.

    Dieses Gleichgewichtseinkommen sei der Startwert Y1*. Wenn nun die Investitionen um I stei-gen, dann erhöht sich auch das Gleichgewichtseinkommen Y* um:

    *2 0 0 0 01Y C I I G NX

    1 c

    * * *2 11Y Y Y I

    1 c

    Der Ausdruck c1

    1 heißt Ausgabenmultiplikator und gibt an, um wie viel das Gleichgewichtsein-

    kommen steigt, wenn die Investitionen erhöht werden.

    Mit den Zahlenwerten:

    Y*2 = 40 + 0,75 Y* + 50 + 20 + 30 + 25

    21Y * 40 50 2 300 25 4 165 660

    1 0,75

    Zur Erinnerung: Der Parameter c in diesem Ausdruck ist die sogenannte marginale Konsumnei-gung. Im Beispiel oben wurde c = 0,75 verwendet. Der Ausgabenmultiplikator beträgt dann 1/0,25 oder 4. Steigen die Investitionen beispielsweise um € 30 Mrd., so würde sich die ge-samtwirtschaftliche Nachfrage auf das Vierfache, also € 120 Mrd., erhöhen. Wie ist dieser Effekt zu erklären?

    In unserem obigen Beispiel wollen die Unternehmen für diesen Betrag neue Produktionsanla-gen errichten. Daher ordern sie bei den Anlagenbauern Waren und Dienstleistungen im Wert von € 30 Mrd. Die Nachfrage steigt unmittelbar um diesen Betrag. Das ist der Erstrundeneffekt. Diese Ausgaben der Unternehmen sind gleichzeitig auch Einnahmen der Anlagenbauer, die davon beispielsweise ihre Arbeitnehmerinnen entlohnen. Deren Einkommen steigt dadurch an und von diesem Zuwachs werden sie annahmegemäß 75 % für Konsumgüter ausgeben. Bei den Herstellern von Konsumgütern steigt folglich die Nachfrage nach ihren Produkten um 0,75 · € 30 = € 22,5 Mrd. Diese Mehrnachfrage wird daher auch zu einer Einkommenssteigerung, in der Konsumgüterindustrie führen. Auch deren Arbeiter geben davon 75 % aus, die Nachfrage steigt noch einmal um 0,75€ 22,5 = € 16,88 Mrd. Alles in allem summieren sich alle diese Fol-geeffekte auf € 90 Mrd. die zum Primäreffekt von € 30 Mrd. dazukommen:

    Zunahme der Investitionsausgaben = € 30 Mrd. = € 30,00 Mrd.

    + Zweitrundeneffekt Zunahme der Konsumausgaben = c · € 30 Mrd. = € 22,50 Mrd.

    + Drittrundeneffekt Zunahme der Konsumausgaben = c2 · € 30 Mrd. = € 16,88 Mrd.

    + Viertrundeneffekt Zunahme der Konsumausgaben = c3 · € 30 Mrd. = € 12,66 Mrd.

    Anstieg der Nachfrage insgesamt = (1 + c + c2+ c3 ...) · € 30 Mrd.

    Grafisch lässt sich der Multiplikatoreffekt als Zickzack-Linie zwischen der neuen Nachfragekur-ve und der Angebotsfunktion darstellen:

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    Abbildung 12.7: Der Multiplikatoreffekt

    Die Erhöhung der Investitionsausgaben um ursprünglich € 30 Mrd. löst in der Wirtschaft eine Kettenreaktion aus. Der Gesamteffekt dieser Kettenreaktion erhöht das Bruttoinlandsprodukt um ein Vielfaches der ursprünglichen Größe: Deshalb spricht man in diesem Zusammenhang von einem Multiplikatoreffekt oder Multiplikatorprozess. Der Grenzwert der Summe (1 + c + c2 + c3 ...) lässt sich berechnen, wenn c kleiner als 1 ist:

    Multiplikator 2 3 11 c c c 1 c Die € 30 Mrd. zusätzlichen Investitionsausgaben bewirken somit, dass sich die gesamtwirt-schaftliche Nachfrage um das Vierfache, also € 120 Mrd., erhöht. Die Nachfragekurve ver-schiebt sich entsprechend.

    Es gilt: Je größer die marginale Konsumneigung ist, desto größer ist auch der Multiplikator. Wä-re c beispielsweise 0,9, dann wäre der Ausgabenmultiplikator 10.

    In der Realität ist der Multiplikator kleiner als 10, da eine Reihe weiterer Einflüsse wie Steuern und das Ausland berücksichtigt werden müssen. Im Allgemeinen wird eine solche Maßnahme als erfolgreich betrachtet, wenn der Multiplikator in der Nähe von 2 ist. Das heißt, die gesamt-wirtschaftliche Nachfrage würde sich bei Investitionen von € 30 Mrd. um ca. € 60 Mrd. erhöhen.

    Der Multiplikatoreffekt tritt auch bei einer Veränderung anderer autonomer Komponenten der Nachfrage auf, nicht nur bei einer Erhöhung der Investitionsausgaben. Er lässt sich auf jede Ausgabenänderung anwenden, die eine Komponente des BIP betrifft: Investitionen, Staats-verbrauch, Nettoexporte und autonomen Konsum.

    0

    0

    0

    0

    1Y* G1 c

    1Y* I1 c

    1Y* NX1 c

    1Y* C1 c

    Im oben dargestellten Beispiel hat eine Welle des Optimismus die Unternehmer erfasst und einen Investitionsschub ausgelöst, Von einer derartigen Welle des Optimismus können auch die

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    privaten Haushalte erfasst werden: So hatte man 2006 den Eindruck, dass das „Sommermär-chen“ der Fußball-WM in Deutschland auch die Konsumfreude erhöht hat. Es könnten aber auch Vorzieheffekte aufgrund der angekündigten Mehrwertsteuererhöhung 2007 gewesen sein, die zu mehr Konsumausgaben geführt haben.

    Anstelle der Investitionen der Privatwirtschaft kann der Staat seine Güternachfrage erhöhen, etwa um einen konjunkturellen Einbruch abzumildern. Auch dies löst einen Multiplikatoreffekt aus. So geschehen 2009, als die Bundesregierung ihr Konjunkturpaket II auflegte. Darin enthal-ten waren u. a. rund 10 Milliarden Euro für Investitionen der Kommunen und Länder und 4 Milli-arden für Bundesinvestitionen.

    Schließlich können auch Einflüsse des Auslands, beispielsweise ein Aufschwung in China, im Inland einen Multiplikatoreffekt auslösen: Wenn die Chinesen mehr deutsche Maschinen kaufen und dadurch die Nettoexporte zunehmen.

    Was passiert bei einem gegenteiligen Impuls? Der Multiplikatoreffekt tritt auch dann auf, wenn die Nachfrage sinkt. Schauen die Haushalte mit Sorge in die Zukunft, werden sie wahrschein-lich für schlechte Zeiten vorsorgen wollen und verstärkt sparen. Dadurch geht der Konsum zu-rück. Auch dieser Nachfragerückgang wird durch den Multiplikator verstärkt und beschleunigt.

    Dieses Modell erklärt somit, wie Schwankungen der Nachfrage über den Multiplikatoreffekt zu Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Aktivität werden. Die keynesianische Konjunkturthe-orie sieht vor allem die Nachfrage als Auslöser der konjunkturellen Schwankungen. Im folgen-den Abschnitt geht es nun darum, mit welchen Mitteln der Staat eingreifen kann, um die Ent-wicklung zu stabilisieren.

    12.5. Wirkung der Fiskalpolitik auf die aggregierte Nachfrage

    12.5.1. Die Instrumente der Fiskalpolitik Unter Fiskalpolitik werden sämtliche Maßnahmen zusammengefasst, die entweder die Einnah-men oder die Ausgaben des Staates verändern. Zur Einnahmeseite eines Staates gehören Steuern und die jeweiligen Steuersätze genauso wie die Kreditaufnahme des Staates. Auf der Ausgabenseite spielt die Verwendung der Gelder eine große Rolle: Investiert der Staat in Stra-ßen und Infrastruktur, verwendet er die Mittel konsumtiv (Abgeordneten-Diäten) oder werden damit Transferzahlungen wie Sozialhilfe, Subventionen etc. geleistet. Verantwortlich für die Fis-kalpolitik sind die jeweiligen Regierungen und Parlamente.

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    Expansive Fiskalpolitik Restriktive Fiskalpolitik

    Mittel (Instrumente)

    Erhöhung der Staatsausgaben(z. B. mehr Lehrer, höhere Gehälter für Professoren, mehr Raketen, mehr Auto-bahnen)

    Senkung der Steuern (z. B. Senkung der Mehrwert-steuer, höhere Freibeträge)

    In der Regel: Höhere Netto-neuverschuldung

    Senkung der Staatsausgaben (z. B. weniger Lehrer, geringe-re Gehälter für Professoren, weniger Autobahnen)

    Erhöhung der Steuern (z. B. Erhöhung der Mehrwert-steuer, niedrigere Freibeträge)

    In der Regel: Geringere Net-toneuverschuldung

    Folgen Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen steigt an

    Produktion steigt (Arbeitslosigkeit nimmt ab)

    Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen geht zurück

    Produktion sinkt (Arbeitslosigkeit nimmt zu)

    Beispiele Konjunkturprogramme der Großen Koalition 2005 und 2008, Abwrackprämie

    Sparprogramm der Agenda 2010

    Tabelle 12.2: Übersicht Fiskalpolitik

    12.5.2. Auswirkungen veränderter Staatsausgaben für den Kauf von Konsum- und Inves-titionsgütern

    Wenn der Staat seine Ausgaben für Waren und Dienstleistungen erhöht, steigt dadurch sofort und unmittelbar die gesamtwirtschaftliche Nachfrage.

    Ein Beispiel: Die neue Bundesregierung plant ein Konjunkturprogramm über € 10 Mrd., wobei die Gelder zur Verbesserung der Infrastruktur eingesetzt werden sollen. Wenn das Geld nun komplett im laufenden Jahr ausgegeben würde, um wie viel stiege dann die Nachfrage bei einer marginalen Konsumneigung von 0,6?

    Der Multiplikator sagt es uns:

    01 1Y* G 10 25

    1 c 1 0,6

    Nach der bisherigen Analyse wissen wir, dass sich die Nachfrage gemäß des Multiplikatoref-fekts um das 1/(1 – c)-fache erhöht, im Beispiel um das 2,5-fache.

    12.5.3. Veränderungen der Steuern Ein zweiter Anknüpfungspunkt für die Fiskalpolitik ist die Einnahmeseite, und da vor allem die Steuerpolitik. Mit Steuersenkungen vergrößert die Politik das verfügbare Einkommen Yverf. Die-ses ergibt sich aus dem Einkommen, das nach Abzug der Steuern T übrig bleibt:

    Yverf = Y – T.

    Von dem zusätzlich verfügbaren Einkommen einer Steuersenkung werden die Haushalte si-cherlich einen Teil sparen, aber der überwiegende Teil wird in zusätzlichen Konsum fließen.

    Geht man davon aus, dass der Konsum vom verfügbaren Einkommen abhängt, erhält man die Konsumfunktion:

    C = C0 + c Yverf

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    Um die Analyse zunächst möglichst einfach zu halten, geht man von der Annahme aus, dass die Steuer pauschal erhoben wird. Jeder Bürger muss einen festen Betrag als Steuer entrich-ten. Man spricht in diesem Fall von einer „Kopfsteuer“6. Die Steuerfunktion lautet dann:

    T = T0

    Und die Konsumfunktion erhält folgendes Aussehen:

    C = C0 + c (Y – T0)

    Diese Konsumfunktion wird in die Nachfragegleichung

    YNE = C + I + G + NX

    für C eingesetzt. Zusammen mit den anderen Gleichungen für Investitionen, Staatsausgaben und Nettoexporten und der Angebotsfunktion

    I = I0

    G = G0

    NX = NX0

    YAT = Y

    erhält man:

    YNE = C0 + c (Y – T0) + I0 + G0 + NX0

    Unter Berücksichtigung der Gleichgewichtsbedingung YAT = YNE kann man für YNE auch Y schreiben und die Gleichung etwas umstellen. Da wiederum das Gleichgewichtseinkommen untersucht wird (wir haben die Gleichgewichtsbedingung YAT = YNE jetzt verwendet), erhält das Einkommen ein Sternchen:

    (1 – c) Y* = C0 – c T0+ I0 + G0 + NX0

    Damit ergibt sich als Gleichgewichtseinkommen

    0 0 0 001Y* C N

    cc XT I G

    1

    Gegenüber dem Gleichgewichtseinkommen ohne Steuer ist dieses um c T0 / (1 – c) niedriger. Die Steuern dämpfen also die Nachfrage und damit auch das Gleichgewichtseinkommen. Die Einkommensänderung aufgrund einer Steueränderung lautet:

    0cY* T

    1 c

    Der Ausdruck c

    c

    1 heißt Steuermultiplikator einer Kopfsteuer und gibt an, um wie viel das

    Gleichgewichtseinkommen Y* sinkt, wenn die Steuern erhöht werden. Er ist dem Betrage nach kleiner als der Ausgabenmultiplikator. Bei einer marginalen Konsumneigung von c = 0,6 ergibt sich ein Multiplikator -0,6 / (1 – 0,6) = -1,5. Der Unterschied ergibt sich daraus, dass bei einer Erhöhung der Staatsausgaben bereits der Primäreffekt nachfragewirksam ist, weil der Staat für das Geld selbst Waren und Dienstleistungen kauft. Stellt man sich die Ausgabenerhöhung als

    6 Eine Kopfsteuer ist sehr einfach zu erheben. Allerdings gilt sie als ungerecht, weil große Familien mehr Steuern

    bezahlen müssen als kleine Familien. Außerdem müssen die Reichen prozentual weniger zum Allgemeinwohl beitragen als Arme. Auf den ersten Blick scheinen Kopfsteuern aus in modernen Volkswirtschaften verschwun-den zu sein. Manche Ökonomen sehen allerdings in den Rundfunkgebühren, die zum 1. 1. 2013 eingeführt wurden, eine Kopfsteuer. Sie werden pro Haushalt erhoben.

  • Makroökonomik Wintersemester 2018/19 17 / 65 Kapitel 12 & 13 © 2016-2018 Prof. Dr. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Version vom 10.12.2018

    eine Steuererstattung vor, so hätten diese Ausgaben keine direkten Wirkungen auf die Nach-frage. Denn erst als Erhöhung des laufenden Einkommens führen sie zu einer Steigerung der Konsumnachfrage nach Maßgabe der marginalen Konsumneigung.

    Eine andere Möglichkeit, sich diesen Zusammenhang zu verdeutlichen, besteht darin, dass zu-nächst die Änderung der Konsumausgaben C aufgrund der Steueränderung bestimmt wird. Diese Änderung beträgt – c · T0. Setzt man diese Größe für C in den Ausgabenmultiplikator ein, erhält man genau den Steuermultiplikator:

    0

    00

    C c Tc T1 cY C T

    1 c 1 c 1 c

    Wenn nun die Steuern um – T0 gesenkt (!) werden, dann erhöht sich das Gleichgewichtsein-kommen Y* um

    0 0c cY ( T ) T

    1 c 1 c

    Auch beim Einsatz der Steuern als Instrument der Fiskalpolitik sind die Folgewirkungen auf den Zinssatz zu beachten. Wie bei einer expansiven fiskalpolitischen Maßnahme kann das steigen-de Einkommen eine höhere Kassennachfrage bewirken, so dass es zu Zinssteigerungen kommt. Diese Zinssteigerungen lassen die Investitionen sinken. Auch hier kann ein Verdrän-gungseffekt auftreten und der expansiven Wirkung der Steuersenkung entgegenwirken.

    Besondere Beachtung verdient noch ein weiterer Aspekt einer Steuersenkung. Das Ausmaß der Nachfrageänderung hängt auch davon ab, ob die Menschen davon überzeugt sind, dass die Steuersenkung dauerhaft ist, oder ob sie sie nur für eine vorübergehende halten. Dahinter ver-birgt sich die Erfahrung, dass vorübergehende Änderungen des Einkommens nur geringen Ein-fluss auf die Konsumgewohnheiten haben. Wer zu seinem Geburtstag € 100 bekommt, wird sich kaum langfristig darauf einstellen und seinen Lebenswandel grundlegend ändern. Erst wenn die Haushaltsmitglieder überzeugt sind, dass die Steuersenkung andauern wird, werden sie ihre Konsumgewohnheiten den neuen Möglichkeiten anpassen und ihre Ausgaben erhöhen.

    Gehen sie dagegen davon aus, dass die Steuersenkungen einmalig oder nur vorübergehend sind, so werden sie ihre Konsumgewohnheiten nicht grundlegend anpassen, sondern ihre Aus-gaben nur wenig erhöhen. Ein temporärer Steuernachlass hat daher eine viel bescheidenere Auswirkung auf die aggregierte Nachfrage als eine dauerhafte Steuersenkung.

    12.5.4. Die Wirkungen von Transferzahlungen Eine weitere Ausgabenkategorie des Staates sind die Transferzahlungen (Tr) an die privaten Haushalte. Dazu zählen solche Leistungen wie Kindergeld, Arbeitslosenunterstützung, Arbeit-nehmersparzulage, Grundsicherung usw. Diese Zahlungen erhöhen das verfügbare Einkom-men:

    Yverf = Y – T + Tr

    Der Multiplikator dieser Ausgaben hat die gleiche Höhe wie der Steuermultiplikator, nur mit ei-nem anderen Vorzeichen:

    C c Tr1 c Tr cY C Tr

    1 c 1 c 1 c

    Will der Staat die Konjunktur ankurbeln, macht es daher schon einen Unterschied, ob er die Gelder für den Staatsverbrauch oder für Transferzahlungen ausgibt.

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    12.5.5. Das Haavelmo Theorem In diesem Abschnitt wollen wir der Frage nachgehen, was passiert, wenn die Regierung be-schließt, die Steuern zu erhöhen, um damit zusätzliche Staatsausgaben zu finanzieren. Auf den ersten Blick würde man sagen, dass davon keine Wirkung ausgehen dürfte: Das, was der Staat den Bürgern aus der linken Tasche zieht, steckt er ihnen wieder in die rechte hinein. Dem ist aber nicht so.

    Wir untersuchen die Wirkung einer steuerfinanzierten Erhöhung der Staatsausgaben. Somit gilt:

    G0 = T0

    Die Änderung der Staatsausgaben entspricht der Änderung der Steuern. In den vorangegange-nen Abschnitten wurden bereits beide Effekte hergeleitet. Durch die Erhöhung der Staatsaus-gaben steigt das Einkommen um

    1 01Y * G

    1 c

    .

    Durch die Erhöhung der Steuern sinkt das Einkommen um

    2 0cY * T

    1 c

    .

    Der Gesamteffekt ergibt sich durch die Addition der beiden Einzelwirkungen:

    Ges 1 2Y * Y * Y *

    Wir setzen ein und berücksichtigen die Bedingung G = T:

    Ges 0 0 0 0 0 01 c 1 c 1 cY * G T G G G G

    1 c 1 c 1 c 1 c 1 c

    Es zeigt sich: Der Multiplikator einer steuerfinanzierten Erhöhung der Staatsausgaben ist Eins. Die Wirkungen heben sich nicht gegeneinander auf, sondern das Einkommen steigt an! – Das ist das sog. Haavelmo-Theorem7.

    Das heißt im Kern: Zusätzliche staatliche Leistungen kosten die Volkswirtschaft nichts, wenn sie über Steuern finanziert werden. Da drängen sich zwei Fragen auf:

    Erstens: Ist das nicht Voodoo-Ökonomie: Zusätzliches Einkommen entsteht einfach so aus dem Nichts?

    Zweitens: Wenn das so einfach ist, warum wird das dann nicht (in größerem Umfang) durchge-führt? Wenn zusätzliche Kindergärten und bessere Schulen nichts kosten, warum werden sie dann nicht einfach eingerichtet?

    Die Antwort auf die erste Frage ist einfach: Wenn die Nachfrage die Produktion bestimmt und wenn die Gesellschaft eigentlich mehr produzieren könnte (weil Produktionsfaktoren ungenutzt bleiben, wie dies bei Arbeitslosigkeit der Fall ist), dann kostet zusätzlicher Output in der Tat die Gesellschaft als Ganzes nichts. Sie verzichtet nicht auf andere Güter, sondern lediglich auf Ar-beitslosigkeit.

    Die Antwort auf die Frage zwei beruht auf dem Unterschied zwischen einzel- und gesamtwirt-schaftlicher Betrachtungsweise. Die Gesellschaft als Ganzes kostet der zusätzliche Output in der Tat nichts. Den einzelnen Steuerzahler aber schon: Durch die Steuern wird sein Einkom-men umverteilt: Die Nettoeinkommen der Steuerzahler sinken und die Einkommen der bisher

    7 Benannt nach Trygve Haavelmo (* 13. Dezember 1911; † 28. Juli 1999), norwegischer Ökonom, Nobelpreis

    1989. Vgl. Trygve Haavelmo: Multiplier Effects of a Balanced Budget, in: Econometrica 13, 311 - 318, 1945.

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    arbeitslosen Kindergärtnerinnen steigen. Es entstehen zwar zusätzliche öffentliche Leistungen (bessere Kinderbetreuung) und diese machen das zusätzliche Einkommen aus, aber dies ist dem einzelnen Steuerzahler egal. Beispielweise weil er gar keine Kinder hat, seine Kinder be-reits einen Kindergartenplatz haben oder aus dem Kindergartenalter schon raus sind.8

    12.5.6. Der Multiplikator einer einkommensabhängigen Steuer Anstelle einer Kopfsteuer wäre eine einkommensabhängige Steuer realistischer, schließlich hängen nicht nur die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer vom Einkommen ab, son-dern auch die Mehrwertsteuer.

    Wir nehmen also an, dass die Steuern als Anteil vom Einkommen erhoben werden. Dann erhält die Steuerfunktion folgendes Aussehen:

    T = t Y

    Darin ist t der Anteilssatz der Steuern vom Einkommen.

    Und die Konsumfunktion ist:

    C = C0 + c (Y – t Y)

    Mit anderen bekannten Verhaltensgleichungen können wir wieder das Gleichgewichtseinkom-men herleiten:

    Y*– c Y* + c t Y* = C0 + I0 + G0 + NX0

    Damit ergibt sich als Gleichgewichtseinkommen

    0 0 0 01Y* C I G NX

    1 c 1 t

    Die Nachfragekurve verläuft flacher, der Multiplikator wird kleiner. Er lautet:

    01Y G

    1 c 1 t

    Wir kommen auf diesen Effekt zurück, wenn wir die eingebauten Stabilisatoren besprechen.

    12.6. Politische Eingriffe zur Stabilisierung der Volkswirtschaft: Pro und Contra

    12.6.1. Pro: Aktive Stabilisierungspolitik Wenn der Staat wirklich einen derart starken Einfluss auf die Wirtschaft nehmen kann, taucht die Frage auf, ob dieser Einfluss nicht für eine Stabilisierung der Wirtschaft eingesetzt werden sollte: Dämpfung der Schwankungen nach unten und nach oben, Verringerung der nachfrage-bedingten Unterbeschäftigung, die Vermeidung von Depressionen oder Überhitzungsphasen könnten dann wirtschaftspolitische Zielsetzungen sein.

    Es gibt eine ganze Reihe von Ökonomen, die für eine aktive, staatliche Stabilisierungspolitik plädieren. Schlittert die Wirtschaft in eine Rezession hinein, so ist nach deren Vorstellungen die Politik gefordert: Staatliche Ausgabenprogramme (z. B. Ausbau von Glasfasernetzen) ersetzen gewissermaßen die private Nachfrage und bringen die Volkswirtschaft zur Vollbeschäftigung zurück. Da damit jedoch gleichzeitig die Gefahr eines zinsbedingten Crowding-out steigt, sollte

    8 Bei der Marktlösung ist dem Nachfrager der Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung unmittelbar

    einsichtig. Er bezahlt einen Preis für den Kindergartenplatz. Bei einer öffentlich angebotenen Kinderbetreuung hat der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz aber nichts mit der Höhe der Steuerzahlung zu tun. so dass dieser Zusammenhang in der Wahrnehmung der Steuerzahler zerschnitten ist. Dadurch entsteht ein An-reiz zum Trittbrettfahrer Verhalten: Den Vorteil nimmt man gerne mit, aber zahlen sollen die Anderen.

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    die Geldpolitik die Fiskalpolitik alimentieren. Zinssteigerungen, die zu einer Verdrängung der privaten Nachfrage führen würden, könnte durch eine expansive Geldpolitik entgegengewirkt werden. In Deutschland ist diese Denkweise in den sechziger Jahren in zwei wichtige Gesetze eingeflossen, die für eine Globalsteuerung der Wirtschaft konzipiert waren: Zum einen das „Ge-setz zur Bildung des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Ent-wicklung vom 14.8.1963“ und zum anderen das „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8.6.1967“, das auch als „Stabilitätsgesetz“ in die Literatur ein-gegangen ist.

    Aber selbst wenn es nicht gelingen kann, die Wirtschaft dauerhaft auf Vollbeschäftigungsniveau zu halten, so gibt es gleichwohl einen etwas bescheideneren Grundgedanken: Der Staat sollte wenigstens nicht zum Verursacher von Konjunkturschwankungen werden. Folglich wenden sich die Ökonomen gegen heftige und plötzliche Änderungen der Geld- und Fiskalpolitik, da diese sehr leicht zum Ausgangspunkt von Konjunkturschwankungen werden können.

    Einen Grund für die Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivität sehen die Verfechter dieses Ansatzes in mehr oder weniger rationalen Wellen des Optimismus und Pessimismus („animal spirits“), welche die Wirtschaft und ihre Akteure erfassen. Überwiegt der Pessimismus, so schränken die Haushalte ihre Ausgaben für Konsumgüter ein und die Unternehmen investieren nicht genug. Die aggregierte Nachfrage geht zurück (die Nachfragekurve verschiebt sich nach unten), die Produktion sinkt und es kommt in der Folge zu höherer Arbeitslosigkeit, die nachfra-gebedingt ist. Würden die Preise sehr rasch reagieren, käme die Wirtschaft leicht aus der Re-zession heraus, weil dadurch der Reallohn entsprechend sänke. Da sich die Preise aber nur langsam anpassen, ist der Reallohn zu hoch und es kommt zu Verlusten und Insolvenzen. Das, was anfangs nur erwartet wurde, tritt tatsächlich ein, was die trüben Aussichten noch verstärkt, so dass die Wirtschaft noch weiter in die Rezession abrutschen kann.

    Umgekehrt werden die Haushalte und Unternehmen bei einem einsetzenden Optimismus ihre Ausgaben für Konsum- und Investitionsgüter ausweiten. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zieht an und ruft eine steigende Produktion hervor. Eine höhere Produktion ist meistens nur mit zusätzlichem Personal zu realisieren, so dass die Arbeitslosigkeit sinkt. Dieser Aufschwung enthält häufig auch inflationäre Tendenzen, da die Preise stärker als erwartet steigen, die Ge-winne sprudeln und die Unternehmen höheren Lohn- und Gehaltszuwächsen zustimmen. So-wohl Optimismus als auch Pessimismus haben den Charakter der sich selbst bestätigenden Prognosen (Self-fulfilling prophecy) und neigen zur Selbstverstärkung.

    12.6.2. Contra: Gegen eine aktive Stabilisierungspolitik Demgegenüber gibt es wahrscheinlich die gleiche Anzahl an Ökonomen, die darauf bestehen, dass sich der Staat aus der Stabilisierung heraushalten solle. Wenn überhaupt, soll der Staat sein Instrumentarium zur Erreichung bestimmter langfristiger Ziele einsetzen, wie etwa einer Förderung des Wirtschaftswachstums oder der Gewährleistung einer niedrigen Inflationsrate. Bei den kurzfristigen Schwankungen vertrauen sie auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft, die insgesamt zur Stabilität neigt und Ungleichgewichte mit der Zeit („in the long run“) von allei-ne beseitigt. Auch wenn diese Ökonomen die Wirksamkeit der Maßnahmen einräumen, so ra-ten sie gleichwohl von einem praktischen Einsatz ab, da ein zielgenauer Einsatz unmöglich sei.

    Die Hauptargumente gegen eine aktive antizyklische Geld- und Fiskalpolitik setzen bei den er-heblichen Wirkungsverzögerungen (Wirkungs-lags) der Maßnahmen an. Angenommen, der Staat legt ein Infrastrukturprogramm zur Versorgung des ländlichen Raums mit schnellem Inter-net auf. Nur wenige Kommunen dürften dafür aber ausgereifte Investitionspläne in der Schubla-de haben, die sie bei Bedarf nur herausholen müssen. Stattdessen dauert es eine gewisse Zeit, bis die Planungen abgeschlossen sind und mit dem Ausheben der Kabelkanäle begonnen wer-den kann. Nun könnte es gut sein, dass sich die Wirtschaft, wenn diese Maßnahmen schließlich greifen, bereits wieder im Aufschwung befindet. Dann würde die expansive Fiskalpolitik genau in die falsche Richtung wirken. Statt die konjunkturellen Ausschläge zu glätten, würden die poli-tischen Maßnahmen Wirtschaftsschwankungen eher noch verstärken oder gar zu deren Auslö-sern werden.

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    12.6.3. Automatische Stabilisatoren Automatische Stabilisatoren (engl. built-in flexibility) sind Mechanismen bei den staatlichen Ein-nahmen oder Ausgaben, die bei konjunkturellen Schwankungen automatisch dafür sorgen, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stabilisiert wird. Ihre Wirkung beruht darauf, dass sowohl Teile der staatlichen Einnahmen als auch der Ausgaben mit der Konjunktur schwanken.

    Auf der Einnahmenseite ist es vor allem die progressive Ausgestaltung der Einkommensteuer, die für eine automatische Stabilisierung sorgt. Dadurch geht das Steueraufkommen in einer Rezession stärker zurück als das Bruttoinlandsprodukt (vgl. Abschnitt 12.5.6 Der Multiplikator einer einkommensabhängigen Steuer). Das bedeutet, dass auch die verfügbaren Einkommen und damit die Konsumausgaben weniger stark sinken. Umgekehrt steigen die Steuereinnahmen im Aufschwung überproportional an, das verfügbare Einkommen wächst weniger als das BIP, so dass sie die zusätzliche Konsumnachfrage dämpfen.

    Das kann an einem Beispiel verdeutlicht werden. Angenommen der Steuersatz t würde einheit-lich 20 % des Einkommens betragen, wobei ein Grundfreibetrag von 200 Euro steuerfrei blie-be.9

    Dann beträgt die Steuer bei einem Einkommen von 1.000 Euro genau 160 Euro, nämlich 20 % aus 800 (1.000 minus 200) Euro. Der Durchschnittssatz der Steuer liegt bei 16 %. Sinkt das Einkommen um 10 % auf 900, dann sind 20 % von 700 Euro als Steuer fällig, also 140 Euro. Nun liegt der Durchschnittssteuersatz bei 15,56%. Die Steuer ist um 12,5 % gefallen, also stär-ker als das Einkommen.

    Eine progressive Einkommensteuer beeinflusst auch den Einkommensmultiplikator. Der Ein-kommensmultiplikator 1/[1 – c · (1 - t)] wird umso kleiner, je größer t ist. Da durch die Progressi-on der Steuersatz t im Aufschwung steigt, dämpft dies die Multiplikatorwirkung, und zwar umso mehr, je höher das Einkommen bereits ist10.

    Bei den Ausgaben wirken die Sozialausgaben der Arbeitslosenversicherung stabilisierend, da deren Umfang in rezessiven Phasen zu und im Aufschwung abnimmt. Auch hierdurch können Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Aktivität verringert werden.

    In der Finanzkrise hat sich gezeigt, dass auch Kurzarbeit11 und Arbeitszeitkonten12 zu den au-tomatischen Stabilisatoren gehören. Durch diese beiden Maßnahmen sinken die Arbeitsein-kommen im Abschwung unterproportional und verhindern so ein stärkeres Einbrechen der Kon-sumausgaben. Hinzu kommt vermutlich auch eine gewisse psychologische Wirkung, die eine Zunahme des Angstsparens deckelt.

    Unter Ökonomen besteht eine ziemlich große Übereinstimmung, dass die automatischen Stabi-lisatoren ein sinnvolles Instrument zur Konjunkturstabilisierung darstellen.

    Damit die automatischen Stabilisatoren ihre Wirkung voll entfalten können, muss sicher gestellt sein, dass die jeweils andere Seite der staatlichen Aktivität nicht prozyklisch wirkt. Das heißt:

    Im Aufschwung müssen die zusätzlichen Steuereinnahmen stillgelegt werden (Budget-überschüsse).

    9 Obwohl ein Steuersatz von 20 % eigentlich ein proportionaler Steuersatz ist, führt der Freibetrag dazu, dass ein

    progressiver Einkommensteuertarif entsteht, wie das nachfolgende Beispiel im Text zeigt.

    10 Ein Grundfreibetrag würde auch den Einkommensmultiplikator verändern, er ändert aber nichts an der grund-sätzlichen Aussage.

    11 Bei Kurzarbeit übernimmt die Bundesagentur für Arbeit unter bestimmten Bedingungen einen Teil der Lohnzah-lungen in Form von Kurzarbeitergeld.

    12 Auf Arbeitszeitkonten können Überstunden in Zeiten der Überauslastung „angespart“ werden. Bei Unterauslas-tung können diese Überstunden als Freizeit genommen werden.

  • Makroökonomik Wintersemester 2018/19 22 / 65 Kapitel 12 & 13 © 2016-2018 Prof. Dr. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Version vom 10.12.2018

    Im Abschwung kommt es dagegen durch die Steuermindereinnahmen zu Defiziten.

    Die Beiträge der Arbeitslosenversicherung dürfen nicht nach Kassenlage variiert wer-den, also keine Erhöhung in der Rezession und keine Senkung im Boom.

    Der Staat darf die Gehälter seiner Bediensteten nicht prozyklisch anpassen.

    Anders ausgedrückt: Die Wirkung der automatischen Stabilisatoren geht verloren, wenn der Staat beispielsweise zu einem ausgeglichenen Budget gezwungen wird. Damit würden die Kon-junktur stabilisierenden Wirkungen neutralisiert. Vielmehr muss die Möglichkeit zu kon-junkturbedingten Defiziten für den Staat gegeben sein: Wenn im Abschwung die Ausgaben stei-gen und die Einnahmen zurückgehen, kommt es zwangsläufig zu Haushaltsdefiziten.

    Fallstudie: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU und die eingebauten Stabilisato-ren Auf dem EU-Gipfel in Amsterdam am 17.6.1997 trafen die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten die Übereinkunft, den im Maastrichter Vertrag geregelte Überwachungs- und Sank-tionsmechanismus bei Staatsdefiziten beizubehalten. Erreicht das Budgetdefizit bei einem Mit-gliedstaat die Grenze von 3 % des BIP, setzt ein kompliziertes Abstimmungsverfahren zwischen der EU-Kommission und dem Wirtschafts- und Finanzausschuss ein, das schlussendlich zu Sanktionen in Form einer hohen Geldbuße führen kann.

    Zwar wird damit kein ausgeglichener Haushalt gefordert, aber der Spielraum der Neuverschul-dung des Staates wird erheblich eingeschränkt und damit auch die Wirksamkeit der eingebau-ten Stabilisatoren.

    Als Deutschland im Jahr 2003 tief in der Rezession steckte, drohte die EU mit Sanktionen. Der Finanzminister versuchte, den Stabilitätspakt mit einem Sparprogramm einzuhalten und verrin-gerte die Staatsausgaben. Daraus resultierte ein negativer Multiplikatoreffekt, der die Rezession verstärkte und die Budgetdefizite weiter erhöhte. Erst 2006 verbesserten sich Konjunktur und Staatsfinanzen.

    12.7. Hat die Staatsverschuldung negative Wirkungen?13

    12.7.1. Begrifflichkeiten Eine antizyklische Fiskalpolitik verursacht in der Regel auch eine Verschuldung des Staates. Häufig findet man in der öffentlichen Diskussion den Einwand, dass diese Schulden von kom-menden Generationen getilgt werden müssten und daher für diese eine Belastung darstellen würden. So einleuchtend diese Überlegung für einen Privathaushalt sein mag, vor allem wenn man sie mit dem Bild der „Schwäbischen Hausfrau“14 illustriert, so falsch ist sie, wenn man sie auf den Staat bezieht. Dazu muss man sich verdeutlichen, wie die Staatsverschuldung tech-nisch abläuft: Der Staat verschuldet sich bei seinen Bürgern, indem er ihnen Wertpapiere ver-kauft. Schuldentilgung bedeutet daher, dass er diese Wertpapiere bedienen, d. h. zurückkaufen muss. Neben den Schulden werden der nachfolgenden Generation aber auch die Forderungen in Form eben dieser Wertpapiere vererbt. Die zukünftige Generation hat nicht nur die Verbind-lichkeiten, sondern auch die Forderungen in gleicher Höhe, beides hebt sich gegeneinander

    13 Das folgende Kapitel orientiert sich an Karl Betz: Staatsschulden: Worin besteht das Problem und wie kann

    man es angehen? - Erschienen in: Berliner Initiative Initial, 2/2011, Sonderheft: Staatsschulden.

    14 Das tat die Bundeskanzlerin Merkel am 1. 12. 2008 in ihrer Rede auf dem Parteitag der CDU in Stuttgart.

  • Makroökonomik Wintersemester 2018/19 23 / 65 Kapitel 12 & 13 © 2016-2018 Prof. Dr. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Version vom 10.12.2018

    auf. Eine Lastverschiebung ist gesamtwirtschaftlich nicht möglich15. Die Frage, ob Staatsschul-den positiv oder negativ sind, ist also nicht so einfach zu beantworten.

    Als erstes wollen wir einige Begrifflichkeiten klären: Zum einen gibt es das Budgetdefizit (BuD) oder die Nettoneuverschuldung16. Das ist die jährliche zusätzliche Schuldenaufnahme, wenn die Staatsausgaben größer als die Steuereinnahmen sind. Diese summieren sich über die Zeit zum Schuldenstand bzw. den Staatsschulden.

    Es gilt:

    Budgetdefizit: BuD = G – T

    Schuldenstand: Sst = tt 0

    BuD

    Beim Defizit können das strukturelle und das konjunkturbedingte Defizit unterschieden werden. Dabei ist das strukturelle Defizit das um konjunkturbedingte Mindereinnahmen und Mehrausga-ben bereinigte Defizit. Die weiteren Ausführungen beziehen sich vornehmlich auf das strukturel-le Defizit, insbesondere wenn auf die langfristigen Implikationen abgestellt wird.

    Als nächstes ist festzuhalten, dass bei den Schulden nicht die absolute Höhe ausschlaggebend ist: Um die Schulden beurteilen zu können, muss die Höhe des Schuldenstands auf die Kapital-dienstfähigkeit eines Landes bezogen werden, also auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Ob die Schuldenhöhe ein Problem ist oder nicht, hängt von der Höhe des Einkommens in dem jeweiligen Land ab. So würde ein Land wie Malta unter den deutschen Staatsschulden zusam-menbrechen, während für die USA das Schuldenproblem mit einem Schuldenstand in Höhe der deutschen Staatsverschuldung gelöst wäre.

    Da die Steuersätze vom Gesetzgeber geändert werden können, ist es sinnvoll, die Größen nicht auf die jährlich anfallenden Steuereinnahmen, sondern auf die Steuerbasis, das BIP (Y), zu beziehen. Da Budgetdefizit und Staatsschulden in Geldeinheiten gemessen werden, muss auch das Volkseinkommen, auf das sie bezogen werden, in laufenden Preisen gemessen werden. Bei der Analyse in diesem Abschnitt verwenden wir daher das nominale BIP (P·Y).

    Somit sind die wirklich wichtigen Größen zur Beantwortung der Frage, ob Schulden ein Problem sind oder nicht, die Budgetdefizitquote (bud, Neuverschuldung in % des BIP) und die Staats-schuldenquote (sst).

    Budgetdefizitquote: bud = BuDP Y

    Staatsschuldenquote: sst = SstP Y

    Bei beiden Quoten kann man sehen, dass sie nicht nur fallen können, wenn der Staat weniger Schulden macht oder diese gar zurückzahlt (wenn also der Zähler kleiner wird), sondern auch dann, wenn bei gleichbleibendem Zähler der Nenner wächst - wenn also das reale Volksein-kommen wächst und/oder das Preisniveau steigt.

    15 Anders fällt die Antwort aus, wenn sich der Staat im Ausland verschuldet oder wenn Verteilungseffekte berück-

    sichtigt werden. Weder das eine noch das andere haben allerdings liberale und konservative Politiker im Sinn, wenn sie mit der Lastverschiebung argumentieren.

    16 Die Nettoneuverschuldung ist die gesamte Schuldenaufnahme abzüglich der geleisteten Prolongationen. Die Schulden, die aufgenommen werden, um alte Schulden zu begleichen, werden also herausgerechnet.

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    Man kann nun zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen der Budgetdefizitquote und der Staatsschuldenquote gibt17. Langfristig konvergiert die Staatsschuldenquote gegen den Quo-tienten aus Defizitquote und der Summe aus Inflationsrate () und realer Wachstumsrate (gY):

    t Y Y

    BuDbudP Ylim sst

    g g

    Defizit in % des BIPLangfristige Schuldenquote Inflationsrate Wachstumsrate

    Beispiel:

    Die Defizitquote eines Landes betrage jährlich 3,5 %. Das Sozialprodukt wachse mit einer Rate von 1,5 % und die Inflationsrate liege bei 2 %. Werden diese Relationen eine gewisse Zeit über beibehalten, dann wird dieses Land eine Staatsschuldenquote von

    Y

    bud 3,5%sst 100%g 2,0% 1,5%

    ausweisen.

    Dieser Zusammenhang liefert die Basis für die Kriterien des Maastricht-Vertrags von 1992, die für eine Beteiligung an der Europäischen Währungsunion eingehalten werden mussten. Der Vertrag legte u. a. einen maximalen Wert für die Budgetdefizitquote von 3 % und für die Staats-schuldenquote von 60 % fest. Die Budgetdefizitquote ergab sich aus dem Mittel über alle EU-Staaten im Jahr 1991. Beim Nenner rechnete man mit einer Inflationsrate von 3 %, das war z. B. die Zielgröße der Deutschen Bundesbank, und einem realen Wachstum von durchschnittlich 2 %, - ein durchaus realistischer Wert für die 80er Jahre. Nach obiger Formel errechnet sich daraus eine langfristige Staatsschuldenquote von 60 %. Die Werte, die zur Festlegung der „Maastricht-Kriterien“ benutzt wurden, entstammen eher historischen Momentaufnahmen und nicht ökonomischen Modellen.

    Später wurden die Maastricht Kriterien im Stabilitätspakt dauerhaft für alle EU-Mitgliedsländer festgeschrieben. Allerdings scheint die Politik vergessen zu haben, wie die Werte zustande ge-kommen sind. Denn zwischenzeitlich verfolgt die Zentralbank ein Inflationsziel von nur noch 2 %. Um zu einer Staatschuldenquote von 60 % zu kommen, würde man nun eine durchschnittli-che reale Wachstumsrate von 3 % benötigen. Dabei lag die durchschnittliche Wachstumsrate in den 1990ern nur noch bei 1,9 % und in der ersten Dekade des 21. Jh. bei unter einem Pro-zent18. Selbst wenn die EU-Länder den Stabilitätspakt einhalten, bewegt sich der Schul-denstand damit auf Werte über 100 % - 150 % zu.

    12.7.2. Zinsen, Steuern, Staatsausgaben Eine wichtige Größe, um die langfristigen Wirkungen der Budgetpolitik abschätzen zu können, ist der sog. Primärsaldo (PS). Mit dem Primärsaldo bezeichnen wir die Differenz zwischen den Staatsausgaben ohne Zinszahlungen und den Steuern. Sind die Staatsausgaben (ohne Zinsen) größer als die Einnahmen, haben wir es mit einem Primärdefizit (PD) zu tun, andernfalls mit

    17 Dieser Zusammenhang wurde erstmals 1944 von Evsey D. Doma dargestellt, vgl. Evsey D. Doma: The "Burden

    of the Debt" and the National Income, in: The American Economic Review, Vol. 34, No. 4 (Dec., 1944), pp. 798-827. Eine mathematische Herleitung findet sich auch z. B. in Julio Escolano, A Practical Guide to Public Debt Dynamics, Fiscal Sustainability, and Cyclical Adjustment of Budgetary Aggregates, IMF Technical Notes and Manuals 10/2002.

    18 Gerechnet als geometrisches Mittel der Wachstumsraten 1990 bis 1999 und 2000 bis 2009, vgl. Tabelle 1.3.

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    einem Primärüberschuss (PÜ)19. Mit Hilfe des Primärsaldo kann man analysieren, wie die Höhe der Zinsen etwaige Konsolidierungsbemühungen bei den Staatsschulden beeinflusst.

    Formal können wir den Primärsaldo wie folgt herleiten:

    Die Ausgaben des Staates G setzen sich aus dem Staatskonsum CG, den Investitionen des Staates IG, den Transferausgaben Tr und den Zinsen Z für die Staatsschuld zusammen:

    G = CG+ IG + Tr + Z

    Für das Defizit des Staates kann man schreiben:

    BuD = CG+ IG + Tr – T + Z

    G G

    Pr imärsaldo (PS)

    BuD C I Tr T Z

    PS = BuD – Z

    Dann kann man zeigen, dass für die Veränderung der Staatsschuldenquote gelten muss:

    YPSsst i g sst

    P Y

    Damit sich die Staatsschuldenquote nicht mehr verändert, muss gelten:

    YPSsst 0 bzw. g i sst

    P Y

    Diese Gleichung zeigt: Ist die Wachstumsrate des nominalen BIP größer als der Zinssatz, so ist kein Primärüberschuss nötig, um die Schuldenstandsquote zu verringern. Das ist der günstige Fall.

    Die Gleichung zeigt aber auch, dass im anderen Fall (bei gY + < i) eine Konsolidierung umso schwieriger wird, je höher die Schuldenquote sst ist. Weiter gilt: Ist der Wert in der Klammer negativ, so muss bereits zur Stabilisierung der Schuldenquote ein Primärüberschuss (= PS

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    oder besser gesagt einen Primärüberschuss von 4,5 % des BIP. Wenn wir davon ausgehen, dass die Steuerquote bei 25 % des BIP liegt, muss Troja einen Primärüberschuss von 18 % des Staatshaushalts erreichen. Gelingt dies nicht, steigt die Staatsschuldenquote weiter an, wo-durch die Finanzmärkte noch höhere Zinsen fordern werden, so dass eine Verringerung der Staatsschuldenquote immer schwieriger wird.

    Hier wird nun eine echte Problematik von Staatsschulden deutlich: Die Zinszahlungen schrän-ken den fiskalpolitischen Spielraum ein. Wenn die Finanzmärkte das Vertrauen verlieren, kann dies einen Teufelskreis von steigenden Risikoprämien und zunehmender Staatsschuldenquote auslösen, an dessen Ende der Staatsbankrott droht.

    Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Staatsverschuldung auf das Zinsniveau wirkt. Die Staatsanleihen müssen von den Bürgern und Unternehmen gehalten werden. Gibt der Staat zusätzliche Wertpapiere heraus, so muss deren Anteil am Vermögen steigen. Deswegen müs-sen sie im Vergleich zu anderen Anlageformen attraktiver werden und etwas höher verzinst werden. Für den zinsabhängigen Teil der Konsum- und/oder Investitionsnachfrage bedeutet dies, dass sich ein die Nachfrage dämpfender Effekt einstellt (Crowding-out).

    12.7.3. Linke Tasche, rechte Tasche Welche Folgen hätte eine Schuldentilgung des Staates? - Erinnern wir uns daran, dass jeder Schuld immer auch eine Forderung als Gegenbuchung gegenüber steht. Eine Schuldentilgung ist daher immer mit einem Rückgang an Forderungen verbunden.

    Man kann jede Volkswirtschaft in vier Sektoren einteilen: Haushalte, Unternehmen, Staat und Ausland. Baut eine dieser Gruppen ihre Schulden ab, so müssen notwendigerweise die Geld-vermögen (Forderungen) einer oder mehrerer anderer Gruppen sinken. Dabei ist zu beachten, dass der Unternehmenssektor in der Regel Nettoschuldner ist, während der Haushaltssektor Nettogläubiger ist.

    Für einen Abbau der Staatsverschuldung gibt es also folgende Möglichkeiten für eine „Gegen-buchung“:

    Die Geldvermögen der Haushalte sinken

    Die Unternehmen verschulden sich höher

    Erhöhung der Forderungen gegenüber dem Ausland durch Exportüberschüsse (das Ausland baut Forderungen ab)

    12.7.4. Negative Effekte der Staatsverschuldung auf das Wachstum Sowohl aus neoklassischer (liberaler) als auch keynesianischer Sicht können nachteilige Wir-kungen der Staatsverschuldung auf das Einkommen abgeleitet werden.

    Die neoklassische Sicht: In einer neoklassischen Welt sind alle Produktionsfaktoren vollbeschäftigt. Wenn eine Baufirma den Auftrag bekommt, eine neue Turnhalle zu bauen, dann kann sie daher nicht in der gleichen Zeit auch noch eine Fabrikhalle bauen. Die Ressourcen, die für staatliche Investitionen oder Staatskonsum verwandt werden, stehen nicht für Investitionen der Unternehmen oder den Kon-sum der Haushalte zur Verfügung. Die Staatsnachfrage verdrängt daher die privaten Verwendun-gen der Ressourcen. Dieser Vorgang wird mit dem Begriff „Crowding-out“ bezeichnet. Das Crowding-out kann ganz oder teilweise stattfinden.

  • Makroökonomik Wintersemester 2018/19 27 / 65 Kapitel 12 & 13 © 2016-2018 Prof. Dr. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Version vom 10.12.2018

    Im Extremfall könnte die schuldenfinanzierte Staatsnachfrage der Vergangenheit zu 100 % In-vestitionsnachfrage verdrängt haben. Man kann überschlägig ermitteln, welchen Effekt das Crowding-out in diesem Fall gehabt hätte20.

    Da die Staatsschuld in Deutschland ca. 80 % des BIP beträgt, könnte der Kapitalbestand heute um 80 % des BIP höher sein, wenn der Staatshaushalt seit 1950 im Durchschnitt immer ausge-glichen gewesen wäre. Um einschätzen zu können, was das für das Einkommen von heute be-deuten würde, muss man diese fiktionale Erhöhung des Kapitalbestandes mit der Grenzproduk-tivität des Kapitals multiplizieren (also mit dem, was eine weitere Einheit Kapital an Einkommen hervorbringen könnte). Da - neoklassisch - die Produktionsfaktoren mit ihren Grenzprodukten entlohnt werden, kann man diese Angabe direkt dem Börsenteil der Wirtschaftspresse entneh-men - das Grenzprodukt des Kapitals muss gleich dem (realen) Zinssatz auf sichere Industrie-anleihen sein. Der liegt etwas über dem Zins für Bundesanleihen und daher im Durchschnitt der letzten 10 Jahre bei 3 – 4 %. Eine Staatsverschuldung von 80% würde nach dieser Rechnung das jährliche BIP um 80 % · 4 % = 3,2 % senken, was ungefähr dem durchschnittlichen Wachs-tum von zwei Jahren entspricht. Das ist jedenfalls weniger, als die letzte Bankenkrise bewirkt hat, und dies ist zugleich eine Obergrenze. Diese Obergrenze wird nur dann erreicht, wenn

    erstens die Staatsausgaben überhaupt keine produktive Wirkung entfaltet hätten (für vie-le Staatsausgaben trifft dies eher nicht zu, so kann man beispielsweise den Ausgaben für Bildung oder Infrastruktur eine produktivitätssteigernde Wirkung nicht absprechen),

    zweitens nur Investitions- und keine Konsumnachfrage verdrängt worden wäre und wenn

    drittens durchgängig Vollbeschäftigung geherrscht hätte, wenn also die Baufirma aus dem Eingangsbeispiel nicht einfach weitere Maurerinnen hätte einstellen können, um neben der Turnhalle auch noch die Fabrikhalle hochzuziehen.

    Sind diese Annahmen nicht oder nur zum Teil erfüllt, wäre die Schätzung von 3,2 % entspre-chend nach unten zu korrigieren.

    Die keynesianische Sicht: Die keynesianische Sicht geht von einem Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung aus. Herrscht Arbeitslosigkeit, dann wirkt eine zusätzliche Staatsnachfrage expansiv, denn sie erlaubt die Be-schäftigung von Ressourcen, die andernfalls mangels Nachfrage arbeitslos geblieben wären. Es wird daher nicht etwas anderes produziert, sondern es wird mehr produziert, als ohne die Staatsnachfrage hergestellt worden wäre.

    Es bleibt aber das Problem, dass die schuldenfinanzierte Staatsnachfrage einzig in dem Jahr eine Wirkung zeitigt, in dem sie getätigt wird. Was dagegen als Effekt dauerhaft bleibt, sind die höheren Schulden. Höhere Schulden wirken jedoch kontraktiv. Wie oben gezeigt, erfordern hö-here Schulden einen größeren Primärüberschuss zur Stabilisierung der Schuldenquote. In der Zukunft müssen also entweder die primären Staatsausgaben reduziert oder die Steuern erhöht werden, um die Zinsen aufzubringen. Unterstellt man einen Zinssatz von beispielsweise 5 %, dann werden bei 80 % Staatsverschuldung 0,8 5 % = 4 % des BIP in Richtung der Staatsgläu-biger umverteilt. Da das Vermögen in der Regel in den oberen Einkommensgruppen konzent-riert ist, und diese einen hohen Anteil des zusätzlichen Einkommens sparen, bedeutet diese Einkommensumverteilung, dass die Staatsnachfrage (und daher, beim oben unterstellten Multi-plikator: das BIP) ebenfalls um rund 4 % niedriger ist als bei einer Schuldenquote von Null.

    20 Diese Berechnung beruht auf der Schuldenfee von Lawrence Ball und Nikolas G. Mankiw: So wie die Zahnfee

    einen Milchzahn unter dem Kopfkissen gegen eine Süßigkeit austauscht, so kommt auch die Schuldenfee eines Nachts und tauscht die gesamten Staatsschulden gegen Ausrüstungen und Anlagen aus. vgl. Lawrence Ball, Nikolas G. Mankiw: What Do Budget Deficits Do? in: Federal Reserve Bank of Kansas City (Hrsg.): 1995 Sym-posium Proceedings: Budget Deficits and Debt: Issues and Options, Kansas City, pp. 95 – 119.

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    Um nicht falsch verstanden zu werden: Diese Überlegungen sprechen nicht gegen ein Deficit spending in der Krise: Eine schnelle Reaktion ist erforderlich und formal denkbare Alternativen bräuchten u. a. vermutlich zu viel Zeit. Aber dem Deficit spending in der Krise muss notwendi-ger der Budgetüberschuss nach der Krise als Ausgleich gegenüberstehen.

    12.8. Wiederholungsfragen 1) Erläutern Sie die eine mögliche Interpretation für den autonomen Konsum.

    2) Erläutern Sie, warum das Gleichgewicht auf dem Gütermarkt im Einkommen-Ausgaben-Modell stabil ist.

    3) Erläutern Sie, wie es zum Multiplikatoreffekt kommt.

    4) Nennen Sie drei Maßnahmen, die zur restriktiven Fiskalpolitik gezählt werden.

    5) Welcher Multiplikator ist dem Betrag nach größer: Der Steuermultiplikator oder der Staatsausgabenmultiplikator? Erläutern Sie, warum das so ist.

    6) Was besagt das Haavelmo-Theorem?

    7) Was sind die „animal spirits“?

    8) Wovon ist die Wirkung der „automatischen Stabilisatoren“ abhängig?

    9) Von welchen Größen hängt die Staatsschuldenquote langfristig ab?

    10) Was versteht man unter dem Primärsaldo?

    11) Erläutern Sie die negativen Wirkungen der Staatsverschuldung mit Hilfe der Schulden-Fee.

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    13. Ansatzpunkte für die Konjunkturpolitik: Das IS-MP Modell Nachdem wir bisher ausgiebig die Instrumente und Wirkungen der Fiskalpolitik analysiert ha-ben, gilt es nun auch die Geldpolitik mit in die Untersuchung mit einzubeziehen. Dazu wird das E-A-Modell zum IS-MP Modell21 weiter entwickelt.

    13.1. Die Herleitung der IS-Kurve

    13.1.1. Die Investitionsfunktion Zur Erinnerung: Investitionen sind Güter, die zur Erhaltung, Erweiterung oder Verbesserung des Kapitalstocks bzw. des Produktionspotentials dienen.

    Bei der Wirkung von Investitionen können zwei unterschiedliche Perspektiven betrachtet wer-den. Zum einen erhöhen Investitionen den Kapitalstock. Das ist Gegenstand der Wachstums-theorie. Zum andern sind Investitionen Bestandteil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und lösen dadurch einen Multiplikatoreffekt aus.

    Abbildung 13.1: Die Wirkungen von Investitionen

    Bisher galt die Annahme, dass die Investitionen exogen vorgegeben waren. Wir haben uns also keine Gedanken gemacht, warum die Unternehmen in welcher Höhe investieren wollen. Ob Investitionen durchgeführt werden oder nicht, hängt maßgeblich davon ab, ob sie sich lohnen. Diese Frage beantwortet die Investitionstheorie.

    Eine Möglichkeit, um die Rentabilität eines Investitionsvorhabens zu ermitteln, ist die Kapital-wertmethode.22 Bei der Kapitalwertmethode werden die zukünftigen, diskontierten Einnahme-überschüsse den Investitionsausgaben gegenübergestellt. Übersteigen die Einnahmeüber-schüsse die Investitionsausgaben, so ist der Kapitalwert positiv, und die Investition ist rentabel.

    Formal:

    1 1 1 2 2 2 N N N

    0 0 2 N1 2 N

    x p Ko x p Ko x p KoK I1 r 1 r 1 r

    Auf dem Bruchstrich stehen die Einnahmeüberschüsse (EÜ) als erzielter Umsatz (xi pi) abzüg-lich aufgewandter Kosten Koi der jeweiligen Periode i. Dafür kann man auch kurz EÜi schreiben. Hierbei ist außerdem zu beachten, dass die Preise, Mengen und Kosten von der Konjunktur

    21 In fast allen anderen Lehrbüchern werden Sie an dieser Stelle ein anderes Modell finden, das IS-LM-Modell.

    Dieses hat mit dem IS-MP-Modell (wie die Namen schon sagen) die IS-Kurve, also die zinselastische Nachfra-ge, gemein. Es arbeitet aber mit einer exogen vorgegebenen Geldmenge, in der Realität geben aber die Zent-ralbanken den Zinssatz vor. Daher wird hier dem Vorschlag von David Romer (David Romer: Short-Run Fluctu-ations, University of California, Berkeley, First version: August 1999) gefolgt, den Zinssatz zu bestimmen und die Geldmenge sich endogen anpassen zu lassen. Ein weiterer Vorteil des IS-MP-Modells gegenüber dem IS-LM-Modell besteht darin, dass sowohl die Geldpolitik (MP-Kurve) als auch die IS-Kurve den realen Zinssatz als Argument haben. Im IS-LM-Modell ist demgegenüber für die IS-Kurve der reale und für die LM-Kurve der nominale Zinssatz wichtig, so dass das Modell eigentlich nur unter der Zusatzannahme funktioniert, dass die Inflationsrate Null ist.

    22 Vgl. z.B. Beate Burgfeld-Schächer: Investition und Finanzierung, Studienbuch, Iserlohn 2012, S. 111 – 116.

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    und der Konkurrenz abhängig sind. Unter dem Bruchstrich steht der Diskontfaktor ri. Er setzt sich aus dem risikolosen Zinssatz und einer Risikoprämie zusammen.

    Die Rentabilität einer Investition hängt also von mehreren Faktoren ab:

    den Zinssätzen,

    den Risikoprämien

    den Preisen,

    den Mengen

    den Kosten. und

    der Lebensdauer des Produktes,

    Verkürzt kann man daher schreiben:

    Ni

    0 0ii 1 i

    EÜK I1 r

    Die Investitionen sind also insgesamt abhängig von den Zinsen und den Einnahmeüberschüs-sen.

    I = I(r, EÜ)

    Mit Zinsen sind hierbei die Realzinsen gemeint, denn die Investoren achten bei ihrer Kalkulation nicht nur auf die nominalen Zinsen, sondern auch auf mögliche Preissteigerungen ihrer Produk-te.

    Steigen die Zinsen, so erhöhen sich die Refinanzierungskosten23 der Investition. Dadurch sinkt die Rentabilität und die Unternehmen führen weniger Investitionen durch. Die Investitionsnach-frage sinkt. Wenn die Zinsen dagegen fallen, so wird die Refinanzierung günstiger und die Un-ternehmen dehnen ihre Investitionen aus.

    Die nachfolgende Grafik zeigt, was mit der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und dem Einkom-men passiert, wenn die Zinsen sinken. Angenommen, die Zinsen sinken von r1 auf r2. Dadurch steigen die Investitionen um einen bestimmten Betrag, der mit I bezeichnet werden soll. Die höhere Investitionsnachfrage erhöht die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Deren Kurve ver-schiebt sich nach oben von YNE1 auf YNE2. Durch den Multiplikatorprozess (Kapitel 12.4.4) steigt auch das Gleichgewichtseinkommen von Y1* auf Y2*. Das kann auf der Abszisse abgelesen werden. Es gilt:

    Y = Y2* – Y1* = 1/(1 – c) I von Y1* auf Y2*.

    23 Bei einer Finanzierung mit Hilfe eines Bankkredits, steigen die Kreditkosten, bei einer Eigenkapitalfinanzierung

    steigen die kalkulatorischen Eigenkapitalzinsen (Opportunitätskosten).

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    Abbildung 13.2: Die grafische Herleitung der IS-Kurve

    Zu jedem Zins gibt es folglich ein entsprechendes Gleichgewichtseinkommen. Werden nun die-se Ergebnisse in ein Zins-Einkommen Diagramm (unterer Teil der Abbildung 13.1) übertragen, so kann man alle Kombinationen von Zins und Einkommen dort eintragen und erhält eine fal-lende Kurve. Diese Kurve wird IS-Kurve genannt. Der Name rührt daher, das die Bedingung „Investition gleich Sparen“ ein Gleichgewicht auf dem Gütermarkt bedeutet.

    Man kann zeigen, dass die Verwendung der Gleichgewichtsbedingung YNE = YAT in einer ge-schlossenen Volkswirtschaft ohne Staat dazu führt, dass Investieren gleich Sparen ist, also

    I = S.

    Die IS-Kurve ist daher der geometrische Ort aller Gleichgewichte auf dem Gütermarkt, die sich bei unterschiedlichen Realzinsen ergeben. Das darf man nicht mit einem funktionalen Zusam-menhang verwechseln. Ein steigendes Einkommen führt nicht zu einem sinkenden Zinssatz, sondern ein hohes Einkommen ist nur mit einem geringen Zins und einem Gleichgewicht auf

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    dem Gütermarkt vereinbar. Die IS-Kurve hat einen fallenden Verlauf, weil ein höherer Zins mit einem geringeren Volkseinkommen verbunden ist.

    Da die IS-Kurve aus den Werten des Einkommen-Ausgaben-Modells abgeleitet wurde, bleibt alles, was über das Einkommen-Ausgaben-Modell gesagt wurde, erhalten. Insbesondere ändert sich auch nichts an den Multiplikatoren. Die einzige Änderung gegenüber dem Einkommen-Ausgaben-Modell besteht darin, dass diese Multiplikatoren jetzt nicht mehr direkt das Einkom-men liefern, sondern nur die Lage (bzw. die Verschiebung) der IS-Kurve bestimmen.

    Um die IS-Kurve zu erhalten muss algebraisch nicht mehr gemacht werden, als das Einkom-men-Ausgaben-Modell um eine zinselastische Investitionsnachfrage zu ergänzen.

    Bisheriges Einkommen-Ausgaben-Modell (bei Kopfsteuern und exogenen Nettoexporten):

    YNE = C + I + G + NX

    C = C0 + c Yverf

    Yverf = Y – T.

    T = T0

    I = I0

    G = G0

    NX = NX0

    YAT = Y

    YAT = YNE

    Was jetzt neu hinzukommt, ist, dass die Annahme exogener Investitionen durch eine zinsab-hängige Investitionsnachfrage ersetzt wird:

    I = I0 – b · r

    Die Investitionen hängen also ab von einem unerklärten Teil (in dem könnten z.B. Ersatzinvesti-tionen stecken oder die erwartete Absatzentwicklung) und dem Realzinssatz - wobei ein höhe-rer Realzinssatz eine geringere Investitionsnachfrage hervorruft.

    Setzt man nun die einzelnen Größen in die Nachfragegleichung ein, erhält man:

    YNE = C0 + c (Y – T0) + I0 – b · r + G0 + NX0

    und unter Berücksichtigung der Gleichgewichtsbedingung die IS-Kurve

    0 0 0 0 01IS : Y* C c 1 bT I G NX

    1r

    1c c

    In der wirklichen Welt ist nicht nur die Investitionsnachfrage zinsabhängig – wenn man sich vor Augen hält, wie viele Firmen in der letzten Krise mit günstigen Finanzierungsbedingungen ge-worben haben (Autowerbung, 0%-Finanzierung bei Metro ...), dann sollte man vermuten, dass sie auch die Konsumnachfrage für zinsabhängig gehalten haben. Das könnte man zwar be-rücksichtigen (in der Konsumgleichung), aber warum noch einen weiteren Buchstaben in die IS-Kurve einführen, wenn der Effekt schon über die zinsabhängige Investitionsnachfrage einge-fangen ist?

    Die Konstante I0 ist zunächst einfach mal wieder der Tatsache geschuldet, dass aus Vereinfa-chungsgründen mit linearen Funktionen gearbeitet wird. Die Auswirkung einer Zinsänderung auf das Einkommen ist folglich: dY Multiplikator ( b)drdY Multiplikator ( b) dr

  • Makroökonomik Wintersemester 2018/19 33 / 65 Kapitel 12 & 13 © 2016-2018 Prof. Dr. Martin Ehret Fachhochschule Südwestfalen, Standort Meschede Version vom 10.12.2018

    Andererseits könnte man I0 aber auch eine inhaltliche Interpretationen geben, indem man es als Investitionsbereitschaft interpretiert (bei Joan Robinson und Kaldor: "animal spirits" genannt): Ein höheres Vertrauen in die zukünftige Konjunkturentwicklung (und damit die zukünftigen Ab-satzchancen für die eigenen Produkte) erhöht die Bereitschaft zur Investition. Dadurch erhöht sich die Investitionsnachfrage bei jedem gegebenen Zinssatz. Es gibt zwar keinen Investitions-klimaindex, aber einen Index der Auftragseingänge oder z.B. den Ifo-Geschäftsklimaindex.

    Eine Veränderung von I0 würde dann im Modell durch eine Verschiebung der IS-Kurve widerge-spiegelt - nach links, wenn die Bereitschaft gesunken ist, nach rechts, wenn sie gestiegen ist. Diese Verschiebung wird im nächsten Abschnitt genauer analysiert, allerdings am Beispiel einer Veränderung der Staatsnachfrage.

    13.1.2. Die Wirkung einer höheren Staatsnachfrage In diesem Abschnitt soll untersucht werden, wie sich eine Änderung der Staatsausgaben auf die IS-Kurve auswirkt.

    Die blauen und die roten Kurven unterscheiden sich nur dadurch, dass die Staatsausgeben bei den roten Kurven niedriger sind, als bei den blauen Kurven. Dadurch verläuft die rote Nachfrage YNEA1 unter der blauen Nachfrage YNEB1.

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    Abbildung 13.3: Verschiebung der IS-Kurve durch eine Erhöhung d