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Kapitel 3 Gemischtfunktionale Hochhäuser 23 Gemischtfunktionale Hochhäuser 3.1. Definition 3.2. Amerikanische Tradition – der Prototyp gemischtfunktionaler Hochhäuser 3.3. Wichtige Faktoren für die Planung der Hochhauskomplexe mit Mischnutzung 3.4. Funktionsbildung 3.5. Innere Erschließung 3.5.1. Komponenten des Erschließungssystems 3.5.2. Entwurf des Erschließungssystems 3.6. Bauliche Typologie 3.6.1. Typus 1: monofunktionaler Turm mit multifunktionalem Sockel. Beispiel: Shanghai Lianyi Building, Architekten: ECADI, 1984 3.6.2. Typus 2: multifunktionaler Turm und Sockel. Beispiel: New World Center, Architekten: B+H Architects International Inc., Shanghai Institute of Architectural Design & Research, 2000 3.6.3. Typus 3: mehrere durch den Sockelbereich mit einander verbundene Türme mit jeweils eigener Funktion. Beispiel: Shanghai Commercial City, 1988, Architekten: John Portmann & Associates, USA, SIADR 3.6.4. Zusammenfassung 3.7. Das Wohnen in gemischtfunktionalen Hochhäusern 3.7.1. Typus 1 und Typus 3 3.7.2. Typus 2 3.7.2.1. Torre Velasca: Mischnutzung ohne große Aufwand? 3.7.2.2. Rui-Jin Mansion: eine bessere Lösung? 3.7.2.3. SOHO Newtown, nur ein Wortspiel? 3.7.2.4. Eurotheum: kann die neue Technik weiter helfen? Kapitel 3

Kapitel 3 Gemischtfunktionale Hochhäusertuprints.ulb.tu-darmstadt.de/335/2/Kapitel_3_01.pdf · sentanten der Chicagoer Schule (siehe Abbildung 3.1 und 3.2). Sowohl das Guaranty-Gebäude

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Kapitel 3 Gemischtfunktionale Hochhäuser 23

GemischtfunktionaleHochhäuser

3.1. Definition3.2. Amerikanische Tradition – der Prototyp

gemischtfunktionaler Hochhäuser3.3. Wichtige Faktoren für die Planung der

Hochhauskomplexe mit Mischnutzung3.4. Funktionsbildung3.5. Innere Erschließung

3.5.1. Komponenten desErschließungssystems

3.5.2. Entwurf des Erschließungssystems

3.6. Bauliche Typologie3.6.1. Typus 1: monofunktionaler Turm mit

multifunktionalem Sockel. Beispiel:Shanghai Lianyi Building,Architekten: ECADI, 1984

3.6.2. Typus 2: multifunktionaler Turm undSockel. Beispiel: New World Center,Architekten: B+H ArchitectsInternational Inc., Shanghai Instituteof Architectural Design & Research,2000

3.6.3. Typus 3: mehrere durch denSockelbereich mit einanderverbundene Türme mit jeweilseigener Funktion. Beispiel:Shanghai Commercial City, 1988,Architekten: John Portmann &Associates, USA, SIADR

3.6.4. Zusammenfassung

3.7. Das Wohnen in gemischtfunktionalenHochhäusern

3.7.1. Typus 1 und Typus 33.7.2. Typus 2

3.7.2.1. Torre Velasca: Mischnutzungohne große Aufwand?

3.7.2.2. Rui-Jin Mansion: eine bessereLösung?

3.7.2.3. SOHO Newtown, nur einWortspiel?

3.7.2.4. Eurotheum: kann die neueTechnik weiter helfen?

Kapitel 3

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Kapitel 3 Gemischtfunktionale Hochhäuser24

3.1. Definition

Das gemischtfunktionale Hochhaus ist ein hybrider Bautyp, in dem man vielen verschie-denen Lebensaktivitäten nachgehen kann. Es wird mit zwei oder mehr verschiedenenFunktionen wie Arbeiten, Wohnen, Einkaufen, Freizeit, Dienstleistung usw. in einem Hoch-hausgebäude oder Hochhauskomplex, der aus mehreren miteinander verbundenen Hoch-hausgebäuden besteht, eingerichtet.

Bei der Unterscheidung von mono- oder multifunktionalen Strukturen und deren Auswir-kungen handelt es sich zunächst um die Art der Nutzung. Während das Stapeln von gleich-artigen Nutzungen die Struktur der monofunktionalen Hochhäuser bildet, haben gemischt-funktionale Hochhäuser mehrere Nutzungszwecke und besitzen deswegen oft eine rela-tiv große Nutzflächenkapazität. Die Aktivität verschiedener Nutzergruppen, die aufeinanderin die Höhe gestapelt sind, konzentriert sich auf dem gleichen Grundstück, das im Ver-gleich zu der Baugeschossfläche verhältnismäßig klein ist. Die Konzentration und die Viel-seitigkeit gehören zu den Besonderheiten der gemischtgenutzten Hochhäuser, die bei derAuswahl des Grundstücks maßgebend sind, und welches den städtebaulichen Ansprü-chen genügen soll. Ebenso ist es die architektonische Gestaltungskonzeption, welche dieStadtbilder stark beeinträchtigt und die planerische Komposition, welche die Außen- undInnen, Vertikal- und Horizontalerschließungs- und Sicherheitsprobleme lösen soll.

In den folgenden Abschnitten dieses Kapitels wird erklärt, wie sich die unterschiedlichenFunktionen in solchen Hochhäusern schichten.

3.2. Amerikanische Tradition – der Prototyp gemischtfunktionaler Hochhäuser

Bevor auf Details der Bautypologie eingegangen wird, werfen wir einen kurzen Blick aufden Prototyp des gemischtfunktionalen Hochhauses.

Abb. 3.1 (links):Wainright-Gebäude,Architekten: Adler &Sullivan,St.Louis, Mo.,1890.

Abb. 3.2 (rechts):Guaranty-Gebäude,Architekten: Adler &Sullivan, Buffalo, New York,1895.

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Kapitel 3 Gemischtfunktionale Hochhäuser 25

Gemischtgenutzte Hochhäuser sind keine neue Erfindung. Der frühe Typus gemischtge-nutzter Hochhäuser befindet sich in den USA, wo die Idee des Hochhauses geboren wur-de. Wir werfen zuerst einen Blick auf die realisierten Meisterwerke des amerikanischenArchitekten Louis Sullivan (1855-1924), eines der Hochhausavantgardisten und Reprä-sentanten der Chicagoer Schule (siehe Abbildung 3.1 und 3.2).

Sowohl das Guaranty-Gebäude (New York, 1895) als auch das Wainright-Gebäude (NewYork, 1890) haben eine starke Ähnlichkeit im Konzept des Grundrisses sowie im Fassa-denaufbau. Die Grundrisse sind U-förmig um einen Lichthof zweihüftig angelegt, mit einerzentralen Anordnung von vier Aufzügen und dem Treppenaufgang (Balzer, 1973, S.124.Siehe Abbildung 3.3). In seinem Buch »The Tall Office Building Artistically Considered«hat der Architekt seine Prinzipien des Bürohochhauskonzeptes erklärt:

1. Ein Untergeschoss zur Aufnahme von Boilern, Maschinen der verschie-denen Art, z. B. der Anlage für Strom, Heizung, Beleuchtung;

2. Ein Erdgeschoss für Läden, Banken oder andere Unternehmen, die einegroße Fläche, viel Raum und viel Licht erfordern und leicht zugänglichsein müssen;

3. Eine zweite Etage, die leicht über Treppen zu erreichen ist – im allge-meinen mit großen Unterleitungen, entsprechend weitläufig angelegterStruktur, ausgedehnten Glasflächen und breiten Fensteröffnungen;

4. Darüber eine unbestimmte Anzahl aufeinandergeschichteter Büroge-schosse, eine Etage wie die andere, ein Büro wie das andere...

5. Ein letztes auf alle dieser vorgenannten Etagen aufgesetztes Stock-werk, das in Bezug auf organische Zweckmäßigkeit der Struktur reinphysiologischer Art ist: Das Dachgeschoss..., das ergänzend zum Un-tergeschoss technische Einrichtungen aufnimmt (Sullivan, Louis H.S.403, 404).

Abb. 3.3:Erdgeschoss desGuaranty-Gebäudes,Architekten: Adler &Sullivan, Buffalo,New York, 1895.

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Kapitel 3 Gemischtfunktionale Hochhäuser26

Nach Sullivans Theorie sollte ein Bürohochhaus so errichtet werden, dass mindestensdas Erdgeschoss für die Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Dieser Prototyp der frühzeiti-gen Bürohochhäuser, zuerst aus ökonomischen Gründen ausgedacht, ist an die alte Stadt-struktur angelehnt; er ist ähnlich wie die alten mehrgeschossigen Häuser in den europäi-schen Städten des 17. und 18. Jahrhunderts, nur höher und statt bewohnt zu sein, wurdendie oberen Geschosse als Büros genutzt. Die in der gleichen Zeit entstandenen Apparte-menthäuser mit Läden oder anderen Dienstleistungen im Stadtzentrum unterlagen dengleichen Prinzipien. Sie entsprachen dem neu aufkeimenden Nutzungsbedarf, dessen nochbescheidene Kapazität die Stadt wenig negativ beeinträchtigt hat. Im Erdgeschoss befan-den sich wie in den alten Stadtstrukturen die Läden und die Restaurants oder andereöffentliche Nutzungsarten. Aus städtebaulicher Sicht sind sie keine Fremdelemente ge-wesen.

Mit der Entwicklung der Hochhäuser wurde die Mischnutzung immer vielfältiger. Z. B. derDowntown Athletic Club, 1931 von Starret & Van Vleck, zusammen mit Duncan Hunter inNew York errichtet: auf 38 übereinander geschichteten Plattformen befinden sich nebenSquash-Courts, Billardsalons, Box-Übungsräumen mit angeschlossenen Bars auchWellness-Programme wie Massage und Solarium nebst einigen geschossfüllenden Funk-tionen wie beispielsweise ein Schwimmbad und ein Hallen-Golfplatz. Der mittlere Teil desHochhauses bietet Räume für Essen, Entspannung und Geselligkeit wie Restaurants, Sa-lons und eine Bibliothek, während der obere Teil gänzlich mit Gästezimmern gefüllt ist.

Das Bestreben der kommerziellen Gesellschaft, immer neue Höherekorde aufzustellenund mehr Rendite zu erzielen, ließ die Hochhäuser, die sich auf die Nutzungsart durchBüros konzentrieren, nach oben wachsen und sich in die Breite ausdehnen. Bald hattensie nicht nur das gesamte Stadtbild durch ihr gigantisches Äußeres verändert, sondern

Abb. 3.4 :John HankockCenter, Chicago,1965-1970. Architek-ten: Skidmore,Owings & Merrill.Quelle: Xu und Ai,1997, S.341.

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Abb. 3.5 :John Hankock Cen-ter, Chicago, 1965-1970. Architekten:Skidmore, Owings &Merrill, Schnitt mitVerteilung derunterschiedlichenNutzungen.Quelle: Ökologi-sche..., 1995, S.82.

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Kapitel 3 Gemischtfunktionale Hochhäuser28

auch durch die große gleichartige Nutzerkapazität und hohen Energie- und Versorgungs-bedarf das Leben im Stadtzentrum auf tieferen Ebenen beeinträchtigt. Eine monofunktio-nale Bauweise führt beispielsweise zu der Verkehrsproblematik, die durch das Pendelnder vielen Büroarbeiter zwischen ihren Wohnorten und Arbeitsplätzen verursacht wird so-wie zur Verödung des Stadtzentrums am Abend und am Wochenende, wenn sie die Stadtnach der Arbeit wieder verlassen haben.

Angesicht dieses Problems wurde in mehreren Orten der Welt, wo die Hochhäuser imMittelpunkt des Interesses stehen, versucht, die Wohnfunktion in die Bürohochhäuser ein-zubeziehen, in der Hoffnung, die durch die Hochbauaktivitäten verursachten städtebauli-chen Mängel einigermaßen zu beheben. Das sich im Zentrum von Chicago befindendeJohn Hancock Center ist ein solches Pionierbeispiel, die Wohn- und Arbeitsfunktion ineiner Rekordhöhe aufeinander zu stapeln. Es beinhaltet 700 Appartements verschiedenerGröße auf den oberen 47 Stockwerken und knapp 80.000 m2 Bürofläche auf den 29 Eta-gen. Dazwischen befinden sich Equipment- und Serviceetagen sowie einemehrgeschossige Hochgarage für PKW (Abbildung 3.4 und 3.5) .

Nachdem der große Baukomplex Rockefeller Center in New York fertig errichtet wordenwar, hat sich die Mischnutzung der Hochhäuser mit einem Maßstabsprung auf eine ande-re Ausmaßebene ausgedehnt. Nun handelt es sich nicht mehr um ein einziges Hochhaus,sondern einen Komplex, welcher aus mehreren miteinander verbundenen Hochhäusernbesteht. Das erste Civic Center, das zwischen 1931 und 1939 erbaut wurde, bestand erstaus einer Gruppe von vierzehn Bauten im Stadtkern Manhattans, dessen Spitze von demRCA (Radio-Corporation of America) Building mit seinen siebzig Stockwerken undinsgesamt 259 Metern Höhe dominiert wurde. Sein Areal umfasste ungefähr 5 ha. Nach

Abb. 3.6 :Rockefeller Center,New York, 1931-1939, Gesamtüber-sicht. Architekten:Hood and Fouihoux.Quelle: Giedion,1996, S.499.

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und nach kamen noch verschiedene Bauten hinzu, unter anderem das neue Time Building(1960). Alle Bauten sind in einer neuen Weise angeordnet, die zum erstenmal den großenMaßstab in die Stadt einführte (Abbildung 3.6) .

Das Rockefeller Center umfasst viele verschiedene Funktionen. Erholung und Unterhal-tung, die das ursprüngliche Motiv des Center bildeten, werden in der Radio City geboten,in ihrer Musikhalle, in ihren Theatern, Rundfunkstudios und vielen Nachtlokalen; das in-ternationale Hotel ist in den Auslandsgebäuden beherbergt, die Presse im Hauptquartierder Associated Press, in den Büros von zwei Zeitschriften und im Time and Life Building.Dazu kommt noch eine Vielzahl an Büros und Geschäften, die mehr oder weniger imZusammenhang mit diesem Bereich stehen; ein unterirdisches Einkaufszentrum und einsechsstöckiges Parkhaus, von dem drei Geschosse unterirdisch sind.

Es ist nun nicht mehr nur die Aufgabe, die verschiedenen Funktionen reibungslos in denaufeinander gestapelten Geschossen eines Hochhausturms unterzubringen, was ohnehindurch die sich mit der Höhe immer mehr ausdehnende Kapazität mehr Probleme auslöst,sondern sie sollen auch miteinander effizient verbunden werden können. Die Mischnut-zung hat sich auf einer Stadtquartierebene verbreitet, welche eigene Straßen, Plätze undein Energieversorgungssystem besitzt, jedoch nicht für die Stadt verschlossen sein soll.

Es hat sich gezeigt, wie eng die verschiedenen Funktionen des Stadtlebens zusammen-hängen, und wie die Stadtstruktur dadurch verbessert werden kann. Einerseits wird durchdiesen Hochbautypus ausreichender Wohnraum für die zunehmende Stadtbevölkerungzur Verfügung gestellt, andererseits werden diese Baukomplexe auch als Arbeitsstättenund andere Dienstleistungsräume genutzt. So ist es auf der einen Seite möglich, die Ver-kehrsproblematik zu entschärfen, auf der andere Seite wird auch dem Problem der Verö-dung der Innenstädte durch dicht bebaute monofunktionale Hochhäuser entgegengewirkt.

3.3. Wichtige Faktoren für die Planung der Hochhauskomplexe mitMischnutzung

Hochhauskomplexe mit Mischnutzung besitzen meistens große Bauvolumen, hoch kon-zentrierte Personal- und Fahrzeugsverkehrskapazität. Sie haben Auswirkung direkt undunvermeidlich auf die städtebauliche Umgebung, die manche Funktionen gemischtgenutzterHochhäuser auch beschränkt. Der enge Zusammenhang gemischtfunktionaler Hochhäu-ser mit der städtebaulichen Umgebung bringt eine Reihe wichtiger Faktoren mit sich, diebei der Planung eines Hochhauskomplexes mit Mischnutzung besonders abzuwägen sind.Manche von ihnen haben allgemeine Bedeutung für jede Bauplanung, während die ande-ren Besonderheiten von gemischtgenutzten Hochhäusern sind. Nachfolgend werden dieFaktoren, die für das Konzipieren gemischtfunktionaler Hochhäuser wichtig sind, zusam-mengefasst gegliedert.

1. Regionale Faktoren

Klima, geographische Lage, Grundwasser und geologische Beschaffenheit desGrundstücks sind bei der Planung der gemischtfunktionalen Hochhäuser zu

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Kapitel 3 Gemischtfunktionale Hochhäuser30

berücksichtigen. Ebenso wichtig bei der Planung sind auch Sitten und Gebräuche derRegion.

2. Städtebauliche Faktoren

Die Entwicklungsstrategie der Stadt und besonders des Stadtzentrums, darunter dieBegrenzung der Funktionen innerhalb der Region, die Kontrolle der Bauvolumen undder Bebauungsdichte sowie der Traufhöhe, die Beschränkung des Schattenwurfs aufdie Nachbargebäude, das Festsetzen der Geschossflächenzahl und der Grundflä-chenzahl sowie Ein- und Ausfahrt der Privatstraßen sind die maßgeblichen Faktorenfür die Planung der gemischtfunktionalen Hochhäuser.

Das neu gebaute Hochhaus sollte auf die historischen denkmalgeschützten Bautenund die vorhandene Maßstäblichkeit Rücksicht nehmen bzw. die umgebendenBebauungen nicht abwerten. Da die Gestaltung eines Hochhauses meistens einesymbolische Bedeutung für die Stadt hat, bekommt die äußere Form manchmal Vor-rang vor der inneren Funktion.

3. Verkehrsfaktoren

Die Verkehrsbedingungen außerhalb des Baugeländes, die innere und äußere Erschließungsowie die Organisation der Vertikal- und Horizontalerschließung sind obligatorische Faktorenbei der Planung. Da das Gebäude mit den öffentlichen Personennahverkehrsmitteln, PKW,Fahrrädern oder durch Fußgängerwege praktisch erreichbar sein muss, soll derHochhauskomplex eine gute Anbindung an das städtischen Verkehrssystem (wieKraftfahrzeugstraßen, Fußgängerwege, unterirdische Passagen, Fußgängerbrücken,Durchgänge zu Nachbargebäuden und manchmal eine U-Bahnstation) haben. Bei derPlanung der inneren Erschließung sind effektive Horizontal- undVertikalerschließungssysteme zu entwickeln und eine Kreuzung des Verkehrs zu denverschiedenen Funktionszonen ist zu vermeiden. Anders als bei anderen Gebäudetypenkönnen hier die Verbindungen mit den möglichen Innen- und Außenverkehrsanlagen beiden großen Hochhauskomplexen sehr kompliziert sein (siehe Abbildung 3.7).

Abb. 3.7:Ein möglichesVerkehrssystem derHochhauskomplexe.Skizze derVerfasserin.

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4. Innenräumliche Faktoren

Die dem innenräumlichen Nutzungsbedarf folgende Grundrissplanung wird den ge-samten Hochhauskomplex charakterisieren. Die unterschiedlichen Nutzergruppen wieBüronutzer, Hotelgäste, Appartementbewohner oder Geschäftskunden haben verschie-dene Ansprüche bezüglich der jeweiligen Geschosshöhe, Position im Gebäude undder innenräumlichen Form, die durch die Tätigkeitscharakteristika der Nutzer definiertwerden.

5. Sicherheitsfaktoren

Da Funktionen Hochhäuser mit Mischnutzung sehr kompliziert sind und sich eine gro-ße Benutzerkapazität auf dem Grundstück konzentriert, ist die Planung des Sicher-heitssystems besonders wichtig. Man muss dabei genau überlegen, wie jeder Teil desGebäudes bei einem Notfall noch sicher und zuverlässig funktioniert und die Perso-nenevakuierung beim Notfall organisiert und reibungslos gewährleistet werden kann.Nicht nur Rettungswege und Fluchtwege müssen rationell und effektiv organisiert wer-den; die Erschließung verschiedener Funktionszonen muss auch dem Sicherheitsbe-darf sowohl des Gesamtgebäudes als auch des eigenen Teils entsprechend konzi-piert werden.

6. Gestalterischer Faktor

Verschiedene Typen der Baukonstruktion und Baumaterialien beeinträchtigen die ar-chitektonische Form und Planung. Die passende Wahl der Baukonstruktion und derBaumaterialien ist besonders wichtig bei Hochhauskomplexen mit Mischnutzung.

7. Wirtschaftlicher Faktor

Einer der wichtigsten Faktoren bei der Entscheidung der Planung und der Abwägungaller obengenannten Faktoren ist der Wirtschaftsfaktor. Sorgfältig abgewogene Pla-nung eines Hochhauskomplexes mit Mischnutzung auf einem passenden Grundstücksoll nicht nur dem gesamten Quartier und Stadtgebiet Vorteile bringen, sondern vorallem die Investition rentabel machen.

8. Terminierte Entwicklung

Das Investitionsausmaß bei großen Hochhauskomplexen ist enorm, die Bautätigkeitnimmt einen langen Zeitraum in Anspruch und das Bauergebnis übt für eine langeZeit seine Wirkung auf das städtebauliche Umfeld aus. Deswegen wird Anpassungs-fähigkeit bei gemischtgenutzten Hochhäusern gefordert, verbunden mit den Fakto-ren, die sich mit der Zeit verändern. Man plant ein solches Projekt; gebaut und ge-nutzt wird es erst in mehreren Jahren. Um in der Zukunft unter anderen gesellschaft-lichen Bedingungen rentabel sein zu können, muss auf der einen Seite eine umfang-

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Kapitel 3 Gemischtfunktionale Hochhäuser32

reiche Marktanalyse vorgenommen werden, auf der anderen Seite lohnt es sich, an-passungsfähige, flexible und variable Bauformen zu entwickeln.

3.4. Funktionsbildung

Gemischtfunktionale Hochhäuser beinhalten normalerweise die Funktionen wie Büronutzung(Büros und Büronebenanlage), Wohnnutzung (Hotel, Wohnappartements sowieBusinessappartements) kommerzielle Nutzung (Einkaufzentrum, Einzelhandel, Restaurants,usw.), sowie kulturelle Nutzung (Unterhaltungsanlage, Theater oder Sportanlage). DasSchema 3.1 zeigt die möglichen Funktionen bei gemischtfunktionalen Hochhäusern.

Bei den Arten von Nutzungen geht es im wesentlichen um die Wohnfunktion und die Ar-beitsfunktion, hier speziell im tertiären Sektor. Da die Arbeitsfunktion in der Produktion(sekundärer Sektor) in der Gegenwart bei vertikal gestapelten Nutzungen nur eine unter-geordnete Rolle spielt, wird im folgenden Text mit Arbeitsfunktion die Büronutzung ge-meint.

Schema. 3.1:FunktionsbildunggemischtgenutzterHochhäuser.Darstellung derVerfasserin.

Die Verbindlichkeit und die Kombination zwischen den verschiedenen Funktionen in Hoch-hauskomplexen haben kein bestimmtes Format. Ihre „zufällige“ Kombination wird durchdas universale Marktsystem, die Stadtplanungsordnung und entsprechende städtebauli-che Gesetze bestimmt. So wie Hochhäuser von der unmittelbaren Nachbarschaft einesQuartiers profitieren, welches andere Aufenthaltsqualitäten und Dienstleistungen bietetals der Hochhausstandort, kann eine Funktion auch durch die Ergänzung der anderenunterstützt werden. Die Unterstützungsfähigkeit einer Funktion für die anderen kann durchTabelle 3.1 gezeigt werden.

Das Eindringen und die Einmischung der verschiedenen Funktionen in die Hochhaus-komplexe verursacht die Komplikation der Umgebungsbedingungen, die den Planungs-prozess besonders erschwert. Ein Hochhauskomplex hat normalerweise seine Hauptfunk-tion, wonach er klassifiziert werden kann. Folgendes ist der Versuch, anhand der unter-

GemischtfunktionaleHochhäuser

BüroBüronebenanlage

HotelWohnappartementsBusinessappartements

Läden, EinzelhandelEinkaufzentrumGastronomie

Büronutzung

Wohnnutzung

kommerzielle Nutzung

kulturelle NutzungUnterhaltungsanlageTheaterSportanlege

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Kapitel 3 Gemischtfunktionale Hochhäuser 33

suchten Bauprojekte die Funktionsbildung möglicherweise unter einigen Gruppen, in de-nen eine bestimmte oder mehrere Nutzungsarten unterstrichen sind, zusammenzufas-sen. Die als Beispiele gezeigten Projekte sind aus Shanghai, falls keine zusätzliche Erklä-rung gegeben wird.

Form 1: Büronutzung als Hauptfunktion

Bei Bürokomplexen entsprechen die Fassadengestaltung und das baukörperliche Volu-men einem Bürohauscharakter. Neben der allgemeinen Büronutzung sind die anderenFunktionen wie Wohn- oder Geschäftsnutzung untergeordnet als Funktionsergänzung,die hauptsächlich den Büronutzern dient. Die Unterbringung von Restaurants in vermiete-ten Bürokomplexen, in denen meist keine betriebseigene Kantine vorhanden ist, kann zueiner Verringerung des Fußgängerverkehrs während der Mittagspause führen.

Ob die Nebennutzungen auch für die fremden Nutzer offen sind, wird unterschiedlich ge-handhabt. Je größer das Projekt ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass dessen zugehöri-ge Dienstleistung auch für die Stadt öffentlich sein wird. Die passiven Dienstleistungs-funktionen wie Läden, Einzelhandel, Gastronomie, Unterhaltungsanlagen etc. werdenmeistens im Sockelbereich oder niedrigen Geschossen untergebracht. Dieser Bereich istdas für die Umgebung lebhafteste Element.

Die Abbildung 3.8 zeigt einen der marktüblichsten Hochhaustypen. Das 1995 fertigge-stellte East Ocean Center besitzt den typischen Büroturmcharakter. Der einzige Unter-schied zwischen ihm und monofunktionalen Hochhäusern ist, dass im vergrößerten So-ckelbereich ein Einkaufzentrum und mehrere Restaurants sowie ein Bowlingclub nebenden Büronutzern auch für die Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.

Da die Büronutzfläche die höchste Miete erzielen kann, ist dieser Bautyp bei den Investo-ren sehr beliebt, insbesondere im Stadtzentrum oder in den Subzentren, wo die Grund-stückspreise sehr hoch sind.

HauptfunktionBeistehende Funktion

Geschäft Büro Hotel Wohnen Andere Funktionen

Geschäft 2 2 1-2 3

Büro 1 1 1-2 2

Hotel 1 3 3 2

Wohnen 1 3 3 2

Andere Funktionen 2 2 2 3

Tabelle 3.1: Unterstützungsbeziehungen zwischen verschiedenen Funktionen im Hochhaus mitMischnutzung.

1 :stark 2 : mittel stark 3 : schwach

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Kapitel 3 Gemischtfunktionale Hochhäuser34

Form 2: Wohnnutzung als Hauptfunktion

Bei dieser Form unterscheiden wir zwei Wohnformen, nämlich „normales“ Wohnen, des-sen Form Wohnappartements sind und „temporäres“ Wohnen, dessen Form Hotels sind.Bei Wohnappartementkomplexen entsprechen die Fassadengestaltung und das baukör-perliche Volumen dem Wohnhochhauscharakter. Neben der allgemeinen Wohnnutzungsind die anderen Funktionen wie Büro- oder Geschäftsnutzung untergeordnet als Funkti-onsergänzungen, die hauptsächlich von den Bewohnern in Anspruch genommen werden.

Ähnlich wie in den Bürokomplexen werden die Nebennutzungen im Sockelbereich oderniedrigen Geschossen des Wohnkomplexes untergebracht.

Ob die Nebennutzungen auch für die fremden Nutzer offen sind hängt davon ab, ob es inder Umgebung genügend Fremdnutzer gibt. Die Lage des Hauses spielt dabei eine we-sentliche Rolle. Inzwischen können luxuriöse Wohnappartements mit Mischnutzungen imSockelbereich auch im Stadtzentrum gefunden werden. Dieser Bautyp ist jedoch mehr fürSubzentren oder die Zonen zwischen Zentrum und Subzentren geeignet, weil die höchsteGrenze der Wohnungsmiete bei hohen Investitionskosten im Zentrum schnell erreicht wird.Unwirtschaftlich ist es, reine Wohnnutzung auf dem teuersten Grundstück im Zentrum zuerrichten. Dieser Wohnhochhaustyp wird häufig mit einem Hotel kombiniert oder besitztein hotelähnliches Management, welches dem hohen Mietniveau entspricht. Die Bewoh-ner, die sich eine solch hohe Miete leisten können, sind meistens die Managementschich-ten der Finanz- oder Dienstleistungsbranchen oder Selbstständige.

Das 1993 errichtete Golden Bridge Building (Abbildung 3.9) ist eines jener Hochhäuser inder Hongqiao Wirtschaftsentwicklungszone, einem Subzentrum von Shanghai, das sichseit Ende der 80er Jahre zu einem der neuen Business Center entwickelte. Der Wohn-turm besitzt einen leicht vergrößerten Sockel und einen angebauten vierstöckigen Ne-benbau, in dem Büroräume, Gastronomie sowie andere Dienstleistungen enthalten sind.Der zylinderförmige Turm ist so errichtet, dass jedes Appartement eine entsprechendeLoggia besitzt. Mit seinen 36 Stockwerken und knapp 100 Metern Höhe ist dies technischnoch zu realisieren.

Abb.3.8:East Ocean Center,1995, Shanghai.Architekten: Instituteof ArchitecturalDesign & Research.Büroturm mitMischnutzung imSockel. Aufnahmeder Verfasserin.

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Kapitel 3 Gemischtfunktionale Hochhäuser 35

Da ein Hotelhochhaus in der Regel außer dem „temporärem Wohnen“ noch weitere ver-schiedene Dienstleistungsfunktionen sowie Unterhaltungs- und Gesundheitsanlagen be-inhaltet, kann es generell als hybrider Hochhaustyp betrachtet werden. Die Nebennutzun-gen wie Gastronomie, Kaufhaus und Unterhaltungsanlage, die normalerweise im Sockel-bereich untergebracht werden, können im Grunde genommen auch von Nicht-Hotelgäs-ten genutzt werden.

Im Zentrum gelegene Hotelhochhäuser besitzen meist nur eine relativ kleine Grundstücks-fläche. Sie können baulich nur so errichtet werden, dass der Sockelbereich straßenrand-nah bebaut wird. Ein gutes Beispiel ist das Hailun Hotel, das an der Nanjing-Straße, einerFußgängerzone liegt (Abbildung 3.10). Da auf beiden Seiten der Nanjing-Straße Kauf-häuser fast ununterbrochen nebeneinander stehen, verschmilzt der Sockelbereich desGebäudes mit der Mischnutzung in der gemeinsamen Straßenfassade.

Form 3: Geschäftsnutzung als Hauptfunktion

Große Einkaufszentren (Shopping Malls), die meistens in zentraler Lage angesiedelt odermit öffentlichen Verkehrsmitteln leicht zu erreichen sind, können inzwischen mit ihremenormen Baumaß als Hochhäuser betrachtet werden. Eine Durchmischung mit fast allenmöglichen Funktionen ist bei dieser Bauform denkbar. Selten hingegen sind solche Bau-komplexe mit Wohnnutzung.

Shanghai Nextage Shopping Center (Architekten: Shimizu Corporation, SIADR, 1995.Abbildung 3.11) im Finanzzentrum des Pudong-Neuareals ist eines der großen Einkaufs-zentren. Der Hochhauskomplex, dessen Gesamtbruttobaufläche 144.000 m² beträgt, stehtan der Kreuzung zweier Verkehrsadern. Der 11stöckige Geschossbau beinhaltet Geschäfte,Restaurants, einen Spielsalon, Unterhaltungsanlagen sowie Büros. Zu dem Baukomplexgehört ein benachbarter 22stöckiger Büroturm.

Form 4: Büro- und Wohnnutzungen sind gleichgewichtig

Bei manchen besonders hohen Hochhausbauten – Super-High-Rises oder Hochhaus-komplexen, die aus zwei oder mehreren gleichgroßen nebeneinander stehenden und durch

Abb. 3.9 (Links):Golden BridgeBuilding, 1993,Shanghai. Architek-ten: ED2 InternationalDesign. Wohnturmmit Mischnutzung imSockel. Aufnahmeder Verfasserin.

Abb. 3.10 (Rechts):Hailun Hotel, 1993,Shanghai. Architek-ten: ECADI.Hotelturm mitMischnutzung imSockel. Aufnahmeder Verfasserin.

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Kapitel 3 Gemischtfunktionale Hochhäuser36

Abb. 3.11:Shanghai NextageShopping Center,1994, Shanghai.Architekten: ShimizuCorporation, SIADR.Aufnahme derVerfasserin.

Abb. 3.12 :Jin Mao Building,1998, Shanghai.Architekten:Skidmore, Owing &Merill, Chicago.Aufnahme derVerfasserin.

einen Sockelbau miteinander verbundenen Türmen bestehen – sind die Funktionen wieBüro, Wohnappartements und Hotel fast als gleichgewichtig zu bezeichnen. Die verschie-denen Funktionen verteilen sich in Super-High-Rises vertikal – in der Höhe aufeinandergestapelt, in Hochhauskomplexen horizontal, also nebeneinander – jeder einzelne Turmbesitzt nur eine einzige Funktion.

Das 1998 fertiggestellte Jin Mao Building mit seinen 420 m Höhe und 287.359 m² Brutto-baufläche ist eines von solchen hybriden Super-High-Rises. Über seinem Podium – demSockelbereich, wo Servicefunktionen des Hotels, Konferenzräume und Ausstellungshal-len sowie ein Kino, Clubs und eine viergeschossige Shopping Mall untergebracht werden– ragt der Turm mit 50 Geschossen Büros und darüber 36 Geschossen Hotel mit einemdurch alle Hotelgeschosse hindurch führenden Atrium. Das 88. Obergeschoss ist eineAussichtsplattform für Touristen (Abbildung 3.12).

Im Shanghai Bund Financial Center, das im Jahr 2001 fertiggebaut wurde, sind die Wohn-und Arbeitsfunktionen in drei Türmen verteilt: ein 50stöckiger Büroturm in der Mitte, ein27stöckiger Appartementturm auf der nördlichen Seite und ein gleichgroßer Hotelturm aufder südlichen Seite des Grundstücks. Drei Türme sind durch eine unterirdische,viergeschossige Basis und einen viergeschossigen Sockelbau verbunden. Er beinhaltetdie Empfangslobby, Ballrooms, mehrere funktion rooms und einen Glasspavillon sowieein chinesisches Restaurant (Abbildung 3.13 und 3.14) .

3.5. Innere Erschließung

Entsprechend der außergewöhnlich großen Gesamtbruttogeschossfläche und der Mengeder Nutzerkapazität ist die Planung für ein Hochhaus besonders kompliziert und dieBesonderheit bei gemischtfunktionalen Hochhäusern ist, dass die innere Erschließung durchdie Komplexität verschiedener Nutzungsbereiche noch erschwert wird. Das passendeErschließungssystem gewährleistet die Leistungsfähigkeit und Sicherheit dergemischtfunktionalen Hochhäuser, woraus die räumliche Planung abgeleitet werden kann;in gewissem Masse sogar das architektonische Konzept. Bevor der Entwurf einesErschließungssystems beginnt, muss eine ausführliche Untersuchung sowie ein Vorstudiumdurchgeführt werden.

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Abb. 3.13:Shanghai BundFinancial Center,2001. Architekten:John Portman &Associates. Westan-sicht. Quelle: JohnPortman &Associates.

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Das Vorstudium der Erschließungsplanung erfordert eine Reihe umfangreicherUntersuchungen. Zuerst muss man den Umfang der Verkehrsmenge ermitteln, die sich mitden Funktionen des Gebäudes vernetzt. Beeinflussend sind auch die Funktionen derNachbargebäude, Bauvolumen und die damit verbundene Verkehrsmenge sowie derenEntwicklungspotenzial. Um das Erschließungssystem der Nutzertätigkeit entsprechend zu

Abb. 3.14:Shanghai BundFinancial Center,2001. Architekten:John Portman &Associates. 7. OG.Quelle: JohnPortman &Associates.

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entwerfen, sind die Charakteristika der Mischnutzung – nicht zuletzt die Charakteristika derBenutzertätigkeit – sowie die mögliche Verbindung mit Nachbargebäuden zu analysieren.Durch die Ergebnisse der Verkehrsuntersuchung soll nicht nur die Verkehrsmenge aufgezeigtwerden, sondern auch der Bestand der Nutzer.

Nehmen wir einen relativ komplizierten Hochhauskomplex, welcher die Büro-, Wohn (Ap-partements oder Hotel)- und Geschäftsnutzung (möglicherweise auch mit Unterhaltungs-anlagen) gleichzeitig beinhaltet, als Beispiel. Für den Teil, der als Büro genutzt wird, gibtes normalerweise nur zwei großen Nutzergruppen: die Büronutzer und die Bürobesucher.Diese Nutzungsart besitzt die größte Personalkapazität und stellt daher die größte Belas-tung des Erschließungssystems dar. Dabei ist der Rhythmus der Verkehrsbewegung ganzdeutlich: dreimal am Tag Hauptverkehrszeit, morgens von unten nach oben; mittags vonoben nach unten und dann umgekehrt; abends von oben nach unten. Im Laufe des Tageswird die Verkehrsmenge meistens von den Besuchern gebildet, deren Anteil im Vergleichmit den Büroangestellten im Verhältnis etwa 1 zu 3 steht (Nach einer Untersuchung vonECADI, vgl. Tabelle 3.1).

Für das Einkaufszentrum, die Gastronomie und die Unterhaltungsanlage sind die KundenHauptnutzer. Die Zahl der Mitarbeiter und des Verwaltungspersonals des Geschäfts ent-spricht nur einem Zehntel der Gesamtnutzer. Die Geschäfte öffnen normalerweise späterals die Büros und vor der Öffnung steht der Zustrom des Personals und der Verwaltung.Im Laufe des Tages wird der Hauptverkehr von den Kunden gebildet, die sich je nach Zielihres Besuchs wie Schema 2 in verschiedene Gruppen aufteilen lassen:

zum Shopping

zur Gastronomie

zur Unterhaltung

Gezieltes ShoppingGelegentliches ShoppingEinkaufsbummelTouristen-Shopping

StammgästeGelegentliche Gäste beim ShoppingGelegentliche Gäste der UnterhaltungBüronutzer als GästePersonal

Gezielte UnterhaltungGelegentliche Unterhaltung beim ShoppingGelegentliche Unterhaltung beim Bummel

Schema. 3.2:Zielgruppen derNutzer für dasEinkaufszentrum, dieGastronomie und dieUnterhaltungsanlage.Darstellung derVerfasserin.

Die Aktivitäten dieser Gruppe befinden sich normalerweise in den unteren Geschossendes Baukomplexes, die ein eigenes Erschließungssystem besitzen. Wann die Verkehrs-menge bei dieser Gruppe am höchsten ist, ist von den Regionen, Ländern und konkretenUmständen der Bauumgebung abhängig.

Bei der Hotelnutzung hat die Verkehrssituation gewisse Ähnlichkeit mit jener der Büronut-zung; die Verkehrsmenge und der Unterschied der Verkehrsmengen zwischen Haupt-und Nebenverkehrszeit ist jedoch wesentlich kleiner. Die Tätigkeit der Hotelnutzer ist mehr

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individuell und unregelmäßiger als die der Büronutzer. Dabei muss die Lage der Lobbyauffällig und die Verbindung zu den Bedienungsräumen günstig und schnell sein.

Mehr Ähnlichkeit mit der Büronutzung weist die Verkehrssituation von Appartements auf;sie erzeugt mit einer deutlich kleineren Verkehrsmenge einen mit der Büronutzung ver-gleichbaren Unterschied zwischen Haupt- und Nebenverkehrszeit. Im Vergleich zu derVerkehrssituation bei einer Büronutzung ist die Verkehrsrichtung hier umgekehrt und dieHauptverkehrszeit am Tag nur zweimalig bzw. morgens früher und abends später als beider Büronutzung.

3.5.1. Komponenten des Erschließungssystems

Das Erschließungssystem besteht aus allen Anlagen und Bauteilen innerhalb des Bau-grundstücks, die sich auf die Verkehrsfunktion beziehen. Durch verschiedene Kombinati-onen verbinden sich alle beteiligten Bauteile, damit die Nutzer ihre unterschiedlichen Zie-le erreichen können. Nach der Form der Verbindung der Bestandteile können sie in zweiSysteme unterteilt werden: das horizontale Erschließungssystem und das vertikale Er-schließungssystem. Hier werden sie in der Tabelle 3.2 zusammengefasst.

Erschließungs-system

HorizontalesErschließungssystem

Außen

Kfz-Straßen

Radwege

Gehwege

Fußgängerbrücken

Parkplätze im Freien

Drop Off (Anlieferungen)

Plätze, Eingangsbereich

Güterhöfe

Innen

Eingangshallen, Lobbies

Aufzuglwarteräume

Luftlobbies, Atrien

Durchgänge (Durchgangshallen)

Flure, Frachtflure

Parkplätze im Raum

Güterhöfe im Raum

VertikalesErschließungssystem

Außen

Außentreppen, Stufen

Rampen

Rolltreppen

Innen

Treppen

Rampen

Rolltreppen

Aufzüge

Tabelle. 3.2:Komponenten desErschließungssys-tems. Darstellung derVerfasserin.

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Je nach den Funktionszonen in einem kompliziertem Hochhaus mit Mischnutzung kanndas vollständige Erschließungssystem in mehrere voneinander unabhängige Suberschlie-ßungssysteme unterteilt werden, von denen die drei wichtigsten und häufigsten die fol-genden sind: Büro-Subsystem, Geschäfts-Subsystem, Wohn-Subsystem. Die integrieren-den Suberschließungssysteme gewährleisten die normale Funktion des Gebäudes undhaben eigene horizontale und vertikale Verkehrsanlagen. Sie sind eigenständige Syste-me, die sich in gewissen Erschließungspunkten oder -bereichen miteinander in Verbin-dung setzen.

Die Aufgabe der verschiedenen Suberschließungssysteme ist keine andere, als die ver-schiedenen Nutzergruppen effektiv zu ihrem Ziel zu bringen. Dabei sind die Sicherheit,Schnelligkeit und Störungsfreiheit anderer Nutzergruppen sowie Nutzungsbereiche diewichtigsten Faktoren, durch die das gesamte Erschließungssystem bewertet werden soll.

3.5.2. Entwurf des Erschließungssystems

Das Erschließungssystem besteht aus mehreren Suberschließungssystemen, die eigeneCharakteristika haben. Von den drei üblichen Suberschließungssystemen (vgl. 3.5.1) istdas Büro-Subsystem das komplexeste. Ein Bürohochhaus bietet große Nutzfläche (einVorteil), wird von den Nutzern gleichzeitig genutzt und verlassen und sein Erschließungs-system muss größte Belastungen überstehen. Aus diesem Grund wird es als Beispielgenommen um zu erläutern, wie ein Suberschließungssystem prinzipiell funktioniert.

Die typische Bewegungsroute eines Büronutzers innerhalb des Ortes ist folgende:

Morgens: zum Büro

Außenverkehrsanlage (Straßen, Busse, U-Bahn, Fußgängerwege, Radwege, Platz,Parkplätze, ...) Eingangshalle, Lobby, AufzugvorraumLuftlobby Aufzug Aufzugvorraum, Flure Büro;

Mittags: vom Büro zum Essen und danach wieder zurück

Büro Flur, Aufzugvorraum Aufzug Eingangshalle, Lobby oderRestaurant- oder Kantinenetage Restaurant oder Kantine, und dannumgekehrt;

Abends: vom Büro nach....

Die Route ist jetzt gegenläufig, das Ziel ist jedoch nicht festzustellen, es hängt davon ab,ob der Nutzer den Ort direkt nach der Arbeit verlassen oder noch in anderen Teilen desGebäudes (Restaurant, Cafe, Unterhaltungsanlage, Shopping etc.) verbleiben wird.

Die oben genannte Route lässt sich unterdrei Gruppen unterordnen (Schema 3.3):

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a. Unterer Horizontalerschließungsbereich

Der operative Prozess eines Erschließungssystems beginnt im Außenbereich. Durch dieInnenstraßen, Fußgängerwege, Außentreppen, den Platz oder Anlieferungsplatz, den Ein-gang und die Eingangshalle erreicht der Nutzer seine Aufzuggruppe. In diesem Bereichist die Eingangshalle der Schwerpunkt der Planung, da diese meistens von mehrere Nutz-ergruppen genutzt wird, welche von hier aus weiter zu den eigenen Aufzugvorräumengelangen. Besonders bei einem Notfall muss die Mehrheit der Nutzer möglich schnell vonder Eingangshalle ins Freie evakuiert werden. Eine auffällige Lage, eindeutige Eingangs-zeichen, gut organisierte Verkehrsführung, günstige Zugänglichkeit und genügendes Bau-volumen kommen dem Eingangsbereich zugute. Eine der Nutzeranzahl entsprechendeGröße und Höhe der Eingangshalle sind erforderlich.

b. Vertikalerschließungsbereich

Wartehallen, Aufzüge und Aufzugschächte, Treppen und Rolltreppen gehören zum Verti-kalerschließungsbereich. Sie liegen meistens in einem oder mehreren Kernbereichen jenachdem, wie viele Nutzergruppen es im Gebäude gibt. Die Aufzüge sind gruppenweiseunterteilt nach der jeweils bedienten Nutzergruppe oder den unterschiedlichen Höhenbe-reichen. Ob der Nutzer im Vertikalerschließungsbereich umsteigen muss ist von der Höheund Nutzungsart abhängig. Bei den Super-High-Rises gibt es noch zusätzlich Zubringer-aufzüge, die die Nutzer direkt vom Erdgeschoss bis zur Luftlobby bringen. Feuerwehrauf-züge und Fluchttreppen sind in jedem Gebäude erforderlich und müssen von jeder Etageerreichbar sein.

c. Oberer Horizontalerschließungsbereich

Der Bereich vom Aufzug oder Treppenhaus bis zu Arbeitsplatz oder der Wohnungstürgehört zum oberen Horizontalerschließungsbereich. Dieser ist nach der Funktion zu orga-nisieren und bei jedem Haustyp ähnlich, unbeeinflusst von einer Mischnutzung. Daherwird eine genauere Darstellung des oberen Horizontalerschließungsbereichs in dieser Arbeitnicht erfolgen.

Schema. 3.3:Erschließungssys-tem. Darstellung derVerfasserin.

ObererHorizontalerschließungsbereich

ObererHorizontalerschließungsbereich

UntererHorizontalerschließungsbereich

ObererHorizontalerschließungsbereich

Ve

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