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Kapitel 4 Metrische R ¨ aume und Stetigkeit 4.1 Metrische und normierte R¨ aume 4.2 Folgen in metrischen R¨ aumen 4.3 Offene und abgeschlossene Mengen 4.4 Stetige Funktionen 4.5 Grenzwerte von Funktionen 4.6 Kompakte Mengen 4.7 Der Approximationssatz von Weierstraß 4.1 Metrische und normierte R¨ aume Wir beginnen mit der Definition eines metrischen Raumes, der in diesem Kapitel von zentraler Bedeutung ist. Definition 4.1 Seien X eine nichtleere Menge und d : X × X R eine Abbildung mit den folgenden Eigenschaften: (a) d(x, y )=0 ⇐⇒ x = y ; (b) d(x, y ) 0 x, y X ; (c) d(x, y )= d(y,x) x, y X (Symmetrie); (d) d(x, z) d(x, y )+ d(y,z) x, y, z X (Dreiecksungleichung). Dann heißt d Metrik auf X , und (X, d) wird als metrischer Raum bezeichnet. In einem metrischen Raum (X, d) ist die Gr¨ oße d(x, y ) ein Maß f¨ ur den Abstand (d = Distanz) zwischen zwei Punkten x, y X . Dass dieser Abstandsbegriff allerdings recht allgemein sein kann, wird aus den nachfolgenden Beispielen klar. 99

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Kapitel 4

Metrische Raume und Stetigkeit

4.1 Metrische und normierte Raume4.2 Folgen in metrischen Raumen4.3 Offene und abgeschlossene Mengen4.4 Stetige Funktionen4.5 Grenzwerte von Funktionen4.6 Kompakte Mengen4.7 Der Approximationssatz von Weierstraß

4.1 Metrische und normierte Raume

Wir beginnen mit der Definition eines metrischen Raumes, der in diesem Kapitel vonzentraler Bedeutung ist.

Definition 4.1 Seien X eine nichtleere Menge und d : X × X → R eine Abbildung mitden folgenden Eigenschaften:

(a) d(x, y) = 0 ⇐⇒ x = y;

(b) d(x, y) ≥ 0 ∀x, y ∈ X;

(c) d(x, y) = d(y, x) ∀x, y ∈ X (Symmetrie);

(d) d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z) ∀x, y, z ∈ X (Dreiecksungleichung).

Dann heißt d Metrik auf X, und (X, d) wird als metrischer Raum bezeichnet.

In einem metrischen Raum (X, d) ist die Große d(x, y) ein Maß fur den Abstand (d =Distanz) zwischen zwei Punkten x, y ∈ X. Dass dieser Abstandsbegriff allerdings rechtallgemein sein kann, wird aus den nachfolgenden Beispielen klar.

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100 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

Beispiel 4.2 (a) Seien X eine nichtleere Menge und

d(x, y) :=

{0, falls x = y,1, falls x 6= y.

Dann ist d eine Metrik auf X, die so genannte diskrete Metrik ; der metrische Raum(X, d) heißt auch diskreter Raum.

(b) (X, d) mit X = K (K = R oder K = C) und dem ublichen Abstand d(x, y) :=|x − y| ist ein metrischer Raum. Dies folgt unmittelbar aus den Eigenschaften derBetragsfunktion.

(c) Ist (X, d) ein metrischer Raum und Y ⊆ X eine beliebige Teilmenge, so wird auchY zu einem metrischen Raum durch die von X induzierte Metrik dY (x, y) := d(x, y)fur x, y ∈ Y . Teilmengen von metrischen Raumen seien im Folgenden stets mit derinduzierten Metrik versehen (sofern nicht explizit etwas anderes gesagt wird).

(d) In der Codierungstheorie versteht man unter einem n-stelligen Binarwort ein Tupelx = (x1, . . . , xn) mit xi ∈ {0, 1} fur alle i = 1, . . . , n, wobei man z.B. statt x =(1, 0, 1, 1) meist nur x = 1011 schreibt. Die so genannte Hamming–Distanz

d(x, y) :=∣∣{i | xi 6= yi}

∣∣,

fur zwei Binarworter x = (x1, . . . , xn), y = (y1, . . . , yn) zahlt also die Anzahl derKomponenten, in denen sich x und y unterscheiden. Man verifiziert sehr leicht, dasshierdurch eine Metrik definiert ist. 3

Zahlreiche weitere Beispiele von (sehr wichtigen) metrischen Raumen werden wir in dennachsten Kapiteln noch kennen lernen.

Wir notieren als Nachstes eine einfache Konsequenz aus der Definition eines metrischenRaumes, die uns spater noch als technisches Hilfsmittel von Nutzen sein wird.

Lemma 4.3 ( Vierecksungleichung )Sei (X, d) ein metrischer Raum. Dann gilt

∣∣d(x, y) − d(u, v)

∣∣ ≤ d(x, u) + d(y, v)

fur alle x, y, u, v ∈ X.

Beweis: Seien x, y, u, v ∈ X. Aus der Dreiecksungleichung fur metrische Raume folgtdann

d(u, v) ≤ d(u, x) + d(x, y) + d(y, v)

und daherd(u, v) − d(x, y) ≤ d(x, u) + d(y, v).

Entsprechend zeigt man die Ungleichung

d(x, y) − d(u, v) ≤ d(x, u) + d(y, v).

Christian Kanzow, Universitat Wurzburg, WS 2010/11

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4.1. METRISCHE UND NORMIERTE RAUME 101

Zusammen folgt die Behauptung. 2

Spezielle metrische Raume erhalt man mittels der so genannten normierten Raume. Diesewollen wir als Nachstes einfuhren. Dafur benotigen wir allerdings den Begriff eines Vektor-raumes.

Definition 4.4 Sei K ein beliebiger Korper. Dann heißt eine nichtleere Menge V einK–Vektorraum (oder Vektorraum uber K), wenn es eine Verknupfung + (als Additionbezeichnet) und eine Verknupfung · (als Skalarmultiplikation bezeichnet) gibt derart, dassdie folgenden Eigenschaften erfullt sind:

(A) Axiome der Addition:

(A1) Fur alle v, w ∈ V ist v + w ∈ V (Abgeschlossenheit der Addition).

(A2) Fur alle v, w ∈ V ist v + w = w + v (Kommutativgesetz).

(A3) Fur alle u, v, w ∈ V ist u + (v + w) = (u + v) + w (Assoziativgesetz).

(A4) Es gibt ein Element 0 ∈ V mit 0 + v = v fur alle v ∈ V (Existenz einesNullelements).

(A5) Fur alle v ∈ V existiert ein Element −v ∈ V mit v + (−v) = 0 (Existenz einesinversen Elements).

(S) Axiome der Skalarmultiplikation:

(S1) Fur alle λ ∈ K und alle v ∈ V ist λ · v ∈ V (Abgeschlossenheit der Skalarmul-tiplikation).

(S2) Es gilt λ · (v + w) = λ · v + λ · w fur alle λ ∈ K und alle v, w ∈ V .

(S3) Es gilt (λ + µ) · v = λ · v + µ · v fur alle λ, µ ∈ K und alle v ∈ V .

(S4) Es gilt (λµ) · v = λ · (µ · v) fur alle λ, µ ∈ K und alle v ∈ V .

(S5) Es gilt 1 · v = v fur alle v ∈ V , wobei 1 das Einselement in dem Korper Kbezeichnet.

Wir werden meist nur Vektorraume uber dem Korper K = K betrachten, wobei K wiederals Abkurzung fur den Korper der reellen Zahlen R oder den Korper der komplexen ZahlenC steht. Sofern der jeweilige Korper aus dem Zusammenhang klar ist, sprechen wir auchnur von einem Vektorraum statt von einem K–Vektorraum.

Ist nun V ein K–Vektorraum und U ⊆ V eine Teilmenge, so nennen wir U einen Un-terraum (oder Untervektorraum oder Teilraum) von V , wenn U mit der durch V vererbtenAddition + und Skalarmultiplikation · selbst ein Vektorraum ist.

Nach diesen Vorbereitungen kommen wir nun zu dem Begriff eines normierten Raumes.

Definition 4.5 Seien X ein K–Vektorraum und ‖ · ‖ : X → R eine Abbildung mit denfolgenden Eigenschaften:

Christian Kanzow, Universitat Wurzburg, WS 2010/11

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102 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

(a) ‖x‖ = 0 ⇐⇒ x = 0;

(b) ‖x‖ ≥ 0 fur alle x ∈ X;

(c) ‖αx‖ = |α| ‖x‖ fur alle α ∈ K und alle x ∈ X (Homogenitat);

(d) ‖x + y‖ ≤ ‖x‖ + ‖y‖ fur alle x, y ∈ X (Dreiecksungleichung).

Dann heißt ‖ · ‖ eine Norm auf X, und (X, ‖ · ‖) wird als normierter Raum bezeichnet.Genugt ‖ · ‖ nur den Eigenschaften (b)–(d), so spricht man von einer Halbnorm auf X.

Aus der Dreiecksungleichung in der Definition 4.5 (d) erhalt man induktiv sofort die Gultig-keit der verallgemeinerten Dreieicksungleichung

‖x1 + . . . + xn‖ ≤ ‖x1‖ + . . . + ‖xn‖

fur je endlich viele Elemente x1, . . . , xn eines normierten Raumes (X, ‖ · ‖). Außerdem giltin einem normierten Raum (X, ‖ · ‖) auch die inverse Dreiecksungleichung

∣∣‖x‖ − ‖y‖

∣∣ ≤ ‖x − y‖ ∀x, y ∈ X, (4.1)

denn aus der Dreiecksungleichung folgt einerseits

‖x‖ ≤ ‖x − y‖ + ‖y‖ =⇒ ‖x‖ − ‖y‖ ≤ ‖x − y‖,

und andererseits gilt

‖y‖ ≤ ‖y − x‖ + ‖x‖ =⇒ ‖y‖ − ‖x‖ ≤ ‖y − x‖.

Beide Ungleichungen zusammen ergeben gerade (4.1).Ist (X, ‖ · ‖) ein normierter Raum und setzen wir

d(x, y) := ‖x − y‖ fur x, y ∈ X, (4.2)

so genugt die Abbildung d : X × X → R offenbar allen Eigenschaften einer Metrik.Jeder normierte Raum wird mittels der obigen Zuordnung somit zu einem metrischenRaum. Sofern wir einen normierten Raum vorliegen haben, fassen wir diesen stets vermogeder Vorschrift (4.2) als einen metrischen Raum auf. Daher gelten alle Aussagen in einemmetrischen Raum automatisch auch in normierten Raumen. Die Vierecksungleichung ausdem Lemma 4.3 lautet in einem normierten Raum X beispielsweise wie folgt:

∣∣‖x − y‖ − ‖u − v‖

∣∣ ≤ ‖x − u‖ + ‖y − v‖

fur alle x, y, u, v ∈ X.Wir geben als Nachstes einige Beispiele von Vektorraumen und normierten Raumen an.

Weitere (sehr wichtige) Beispiele werden spater noch folgen.

Christian Kanzow, Universitat Wurzburg, WS 2010/11

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4.1. METRISCHE UND NORMIERTE RAUME 103

Beispiel 4.6 (a) Der Korper K ist ein normierter (und daher auch metrischer) Raumuber K mit der ublichen Addition und der ublichen Multiplikation in K als Skalar-multiplikation, wenn man als Norm den Betrag wahlt, also ‖x‖ := |x| fur alle x ∈ K

setzt.

(b) Die Menge

Kn := K × · · · × K :={x∣∣ x = (x1, . . . , xn) mit xi ∈ K fur alle i = 1, . . . , n

}

wird mit der komponentenweisen Addition

x + y := (x1 + y1, . . . , xn + yn) fur alle x = (x1, . . . , xn), y = (y1, . . . , yn) ∈ Kn

und der komponentenweisen Skalarmultiplikation

λx := (λx1, . . . , λxn) fur alle λ ∈ K und alle x = (x1, . . . , xn) ∈ Kn

offenbar zu einem K–Vektorraum. Dieser lasst sich auf verschiedene Weisen zu einemnormierten (und daher auch metrischen) Raum machen. Beliebt ist beispielsweise dieso genannte Euklidische Norm

‖x‖ := ‖x‖2 :=√

|x1|2 + . . . + |xn|2 fur x ∈ Kn,

wobei wir erst spater zeigen werden, dass es sich hierbei tatsachlich um eine Normhandelt.

(c) Auf dem gerade eingefuhrten Vektorraum Kn konnen auch andere Normen definiertwerden. Beispielsweise verifiziert man relativ leicht, dass die so genannte Maximum-norm

‖x‖ := ‖x‖∞ := max{|x1|, . . . , |xn|

}

ebenfalls eine Norm auf dem Raum Kn definiert. Diese ist von der Euklidischen Normoffenbar verschieden, allerdings gilt

‖x‖∞ ≤ ‖x‖2 ≤√

n‖x‖∞

fur alle x ∈ Kn, wie man sofort einsieht.

(d) Die Menge aller konvergenten Folgen in K bildet ebenfalls einen (allerdings unendlich–dimensionalen) K–Vektorraum, wenn man die Addition und die Skalarmultiplikationwieder komponentenweise definiert, also

{xn} + {yn} := {xn + yn} und λ{xn} := {λxn}

fur alle Folgen {xn}, {yn} in K und alle λ ∈ K. Dieser Vektorraum lasst sich auchzu einem normierten Raum machen, worauf wir an dieser Stelle aber nicht weitereingehen wollen.

Christian Kanzow, Universitat Wurzburg, WS 2010/11

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104 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

(e) Die wohl wichtigsten Beispiele von normierten und metrischen Raumen sind so ge-nannte Funktionenraume, beispielsweise die Menge aller stetigen Abbildungen f :[a, b] → R, die Menge aller differenzierbaren Abbildungen f : [a, b] → R oder dieMenge aller integrierbaren Abbildungen f : [a, b] → Rn. Da wir die hierzu notigenBegriffe noch nicht zur Verfugung haben, gehen wir an dieser Stelle nicht weiter dar-auf ein. Es sei allerdings erwahnt, dass diese Funktionenraume spater noch eine großeRolle spielen werden. 3

4.2 Folgen in metrischen Raumen

Wir verallgemeinern in diesem Abschnitt den Begriff einer Folge und beweisen einige Aus-sagen aus dem Kapitel 3 in beliebigen metrischen Raumen statt nur im Raum K.

Zunachst erinnern wir daran, dass bislang jede Abbildung der Gestalt f : N → K alseine Folge (in K) bezeichnet wurde und hierfur statt f(n) stets an geschrieben wurde.Allgemeiner bezeichnen wir von nun an jede Funktion f : N → X mit einer beliebigenMenge X als eine Folge (in X) und schreiben weiterhin an statt f(n). Die Folgengliederan = f(n) sind also nicht mehr notwendig irgendwelche Zahlen in K, sondern konnenbeliebige andere Objekte sein. Wir betrachten kurz zwei Beispiele.

Beispiel 4.7 (a) Betrachte die Abbildung die Abbildung f(n) := xn fur n ∈ N. Hierwird jeder naturlichen Zahl n ∈ N die Funktion xn zugeordnet, die einzelnen Folgen-glieder an = f(n) = xn sind also Funktionen.

(b) Durch die Abbildung f(n) := {x ∈ R | x ∈ [−n, +n]} wird jeder naturlichen Zahln ∈ N ein Intervall in R zugeordnet. 3

Sei nun f : N → X eine beliebige Folge in X, wofur wir wieder {an} oder {a1, a2, a3, . . .}schreiben mit an := f(n). Bezeichnet {nk} dann eine streng monoton steigende Folgenaturlicher Zahlen, so nennen wir die durch k 7→ ank

definierte Folge {ank} wieder eine

Teilfolge von {an}. Beispielsweise ist die Folge der Funktionen 1, x2, x4, x6, . . . eine Teilfolgeder im Beispiel 4.7 (a) angegebenen Folge.

Wir betrachten nun Folgen in einem metrischen Raum X. Dann steht uns ein Ab-standsbegriff zur Verfugung, so dass wir konvergente Folgen, Cauchy–Folgen etc. auch inbeliebigen metrischen Raumen definieren konnen.

Definition 4.8 Seien (X, d) ein metrischer Raum und {xn} ⊆ X eine gegebene Folge.

(a) {xn} heißt Cauchy–Folge in X, wenn fur alle ε > 0 ein N ∈ N existiert mitd(xm, xn) ≤ ε fur alle m, n ∈ N mit m, n ≥ N .

(b) {xn} heißt konvergent gegen einen Grenzwert x ∈ X, wenn fur alle ε > 0 ein N ∈ N

existiert mit d(xn, x) ≤ ε fur alle n ≥ N ; Schreibweisen: {xn} → x, xn → x, limn→∞

xn =

x oder lim xn = x.

Christian Kanzow, Universitat Wurzburg, WS 2010/11

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4.2. FOLGEN IN METRISCHEN RAUMEN 105

(c) Ein Punkt x ∈ X heißt Haufungspunkt der Folge {xn}, wenn es eine Teilfolge {xnk}

von {xn} gibt mit limk→∞

xnk= x.

Gemaß Definition ist eine Folge {xn} in einem metrischen Raum (X, d) also genau dannkonvergent bzw. eine Cauchy–Folge, wenn die Folge der reellen Zahlen {d(x, xn)} konver-giert bzw. die Folge der reellen Zahlen {d(xm, xn)} eine Cauchy–Folge ist. Speziell in demmetrischen Raum X := K mit der durch den Betrag induzierten Metrik stimmen die in derDefinition 4.8 eingefuhrten Begriffe mit den bislang bekannten Definitionen in K offenbaruberein.

Wir werden im Folgenden einige der uns bereits in K bekannten Aussagen uber Folgenauf allgemeine metrische Raume verallgemeinern. Dabei nennen wir eine Folge {xn} ineinem metrischen Raum (X, d) beschrankt , wenn ein x ∈ X und eine Konstante r > 0existieren mit d(xn, x) < r fur alle n ∈ N, also alle xn in einer hinreichend großen Kugelvom Radius r > 0 um einen Punkt x ∈ X liegen.

Satz 4.9 ( Eigenschaften von konvergenten Folgen )Sei (X, d) ein metrischer Raum. Dann gelten:

(a) Der Grenzwert einer konvergenten Folge ist eindeutig bestimmt.

(b) Jede konvergente Folge ist eine Cauchy–Folge.

(c) Jede konvergente Folge ist beschrankt.

(d) Jede Teilfolge einer konvergenten Folge ist konvergent und besitzt denselben Grenz-wert.

(e) Besitzt eine Cauchy–Folge einen Haufungspunkt, so konvergiert bereits die gesamteFolge gegen diesen Haufungspunkt.

Beweis: Der Beweis verlauft im Prinzip analog zu denen der entsprechenden Aussagenin K. Um den Umgang mit metrischen Raumen etwas einzuuben, wollen wir dennoch dieBeweise komplett durchfuhren.

(a) Seien {xn} → x und {xn} → x′ fur zwei Grenzwerte x, x′ ∈ X. Angenommen, diese sindverschieden. Dann ist ε := d(x, x′) > 0. Aus der vorausgesetzten Konvergenz gegen x bzw.x′ folgt außerdem die Existenz von gewissen Zahlen N1, N2 ∈ N mit d(xn, x) < ε fur allen ≥ N1 sowie d(xn, x

′) < ε fur alle n ≥ N2. Damit ergibt sich aus der Dreiecksungleichungunmittelbar

0 < d(x, x′) ≤ d(x, xn) + d(xn, x′) < 2ε = d(x, x′)

fur alle n ≥ N := max{N1, N2}, was naturlich nicht sein kann.

(b) Nach Voraussetzung existiert ein x ∈ X mit xn → x fur n → ∞. Also gibt es zu jedemε > 0 ein N ∈ N mit d(xn, x) < ε

2fur alle n ≥ N . Dies impliziert

d(xn, xm) ≤ d(xn, x) + d(x, xm) <ε

2+

ε

2= ε fur alle n, m ≥ N.

Christian Kanzow, Universitat Wurzburg, WS 2010/11

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106 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

Folglich ist {xn} eine Cauchy–Folge.

(c) Sei {xn} → x fur ein x ∈ X. Zu ε = 1 existiert dann ein N ∈ N mit d(xn, x) < ε = 1fur alle n ≥ N . Hieraus folgt

d(xn, x) ≤ r := max{1, d(x1, x), . . . , d(xN−1, x)} fur alle n ∈ N

und damit die Beschranktheit von {xn}.(d) Diese Aussage ergibt sich unmittelbar aus der Definition einer Teilfolge.

(e) Sei ε > 0 beliebig gegeben. Da {xn} eine Cauchy–Folge ist, gibt es ein N1 ∈ N mit

d(xn, xm) <ε

2fur alle n, m ≥ N1.

Ferner existiert nach Voraussetzung ein Haufungspunkt x ∈ X von {xn}. Also gibt es einN2 ∈ N und eine Teilfolge {xnk

} mit

d(xnk, x) <

ε

2fur alle k ≥ N2.

Fur alle n ≥ N := max{N1, N2} folgt dann wegen nk ≥ k die Abschatzung

d(xn, x) ≤ d(xn, xnk) + d(xnk

, x) <ε

2+

ε

2= ε

und damit die Konvergenz der gesamten Folge {xn} gegen x. 2

Wegen Satz 4.9 ist jede konvergente Folge in einem metrischen Raum eine Cauchy–Folge.Die Umkehrung dieser Aussage ist im Allgemeinen nicht richtig (Gegenbeispiel: X =(0, 1), d(x, y) = |x − y| und xn := 1

n+1fur n ∈ N) und gibt Anlass zu der folgenden

Definition.

Definition 4.10 Ein metrischer Raum (X, d) heißt vollstandig, wenn jede Cauchy–Folgein X konvergiert. Ein vollstandiger normierter Raum heißt auch Banach–Raum.

Der Begriff der Vollstandigkeit taucht hier bereits zum zweiten Mal auf: In der Definition1.31 wurde ein angeordneter Korper als vollstandig bezeichnet, wenn er die Supremumsei-genschaft besitzt. Hier hingegen wird ein metrischer Raum als vollstandig bezeichnet, wennjede Cauchy–Folge bereits konvergiert. Nun bildet die Menge der reellen Zahlen R aber so-wohl einen angeordneten Korper (siehe Satz 1.32 als auch einen metrischen Raum (sieheBeipiel 4.6 (a)). Daher ist die Vollstandigkeit von R doppelt definiert. Die Ausfuhrungenam Ende des Abschnitts 3.2 zeigen aber, dass die Supremumseigenschaft in einem (ar-chimedisch) geordneten Korper aquivalent war zur Konvergenz von Cauchy–Folgen. Ausdiesem Grunde stimmen beide Definitionen der Vollstandigkeit fur R uberein.

Wir wollen als Nachstes die Vollstandigkeit des Raumes Kn beweisen. Dazu ist dasnachstehende Resultat recht nutzlich.

Christian Kanzow, Universitat Wurzburg, WS 2010/11

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4.2. FOLGEN IN METRISCHEN RAUMEN 107

Satz 4.11 ( Charakterisierung konvergenter Folgen im Kn )Betrachte den normierten Raum Kn, versehen mit der Maximumnorm aus dem Beispiel4.6 (c). Dann ist eine Folge {xk} ⊆ Kn genau dann konvergent gegen einen Grenzwertx = (x1, . . . , xn) ∈ Kn, wenn alle Komponentenfolgen {xk,i} gegen xi konvergieren (i =1, . . . , n). Dabei haben wir xk = (xk,1, . . . , xk,n) ∈ Kn geschrieben.

Beweis: Es gelte zunachst limk→∞ xk = x. Dann existiert zu jedem ε > 0 ein N ∈ N mit‖xk − x‖∞ < ε fur alle k ≥ N . Aus der Definition der Maximumnorm folgt dann fur alleKomponenten i = 1, . . . , n die Ungleichung

|xk,i − xi| ≤ ‖xk − x‖∞ < ε fur alle k ≥ N.

Somit gilt xk,i → xi fur alle i = 1, . . . , n.Sei umgekehrt xk,i → xi fur alle i = 1, . . . , n vorausgesetzt. Zu beliebigem ε > 0

existieren dann gewisse Zahlen Ni ∈ N mit

|xk,i − xi| < ε fur alle k ≥ Ni

und fur alle i = 1, . . . , n. Setzen wir N := max{N1, . . . , Nn} so folgt hieraus unmittelbar

‖xk − x‖∞ = maxi=1,...,n

|xk,i − xi| < ε fur alle k ≥ N.

Also gilt limk→∞ xk = x. 2

Als Konsequenz des Satzes 4.11 erhalten wir nun ein sehr wichtiges Beispiel fur einenBanach–Raum.

Satz 4.12 ( Vollstandigkeit des Kn )Der normierte Raum Kn, versehen mit der Maximumnorm aus dem Beispiel 4.6 (c), istein Banach–Raum.

Beweis: Sei {xk} eine Cauchy–Folge in Kn. Schreiben wir fur das k-te Folgenglied wiederxk = (xk,1, . . . , xk,n) ∈ Kn, so folgt aus der Definition der Maximumnorm sofort

|xk,i − xm,i| ≤ ‖xk − xm‖∞ fur alle k, m ∈ N

und fur alle i = 1, . . . , n. Also sind alle Komponentenfolgen {xk,i} Cauchy–Folgen in K.Wegen Satz 3.22 sind alle Komponentenfolgen {xk,i} dann bereits konvergent. Wegen Satz4.11 ist die Folge {xk} somit konvergent in Kn. Also ist Kn ein Banach–Raum. 2

Als weitere Konsequenz des Satzes 4.11 erhalten wir die nachstehende Verallgemeinerungdes Satzes von Bolzano–Weierstraß.

Satz 4.13 ( Satz von Bolzano–Weierstraß — Version 3 )In dem normierten Raum Kn, versehen mit der Maximumnorm aus dem Beispiel 4.6 (c),besitzt jede beschrankte Folge eine konvergente Teilfolge.

Christian Kanzow, Universitat Wurzburg, WS 2010/11

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108 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

Beweis: Sei {xk} eine beschrankte Folge in Kn. Der Beweis geschieht wieder durch Zuruck-fuhrung auf die einzelnen Komponentenfolgen {xk,i}, wobei wir erneut xk = (xk,1, . . . , xk,n) ∈Kn schreiben. Wegen |xk,i| ≤ ‖xk‖∞ sind mit {xk} auch alle Komponentenfolgen {xk,1}, . . . , {xk,n}beschrankt in K. Insbesondere ist also {xk,1} beschrankt und besitzt nach dem Satz 3.20 vonBolzano–Weierstraß damit eine konvergente Teilfolge. Dann ist auch die zugehorige Teil-folge von {xk,2} beschrankt und besitzt damit ebenfalls eine konvergente (Teil–) Teilfolge.Auf dieser neuen Teilfolge betrachten wir jetzt {xk,3}, fahren mit unserer Argumentation sofort und erhalten schließlich eine Teilfolge von {xk,n} die ebenfalls konvergiert. Auf dieserletzten Teilfolge sind nun aber alle Komponentenfolgen {xk,i} konvergent. Wegen Satz 4.11konvergiert dann auch die entsprechende Teilfolge von {xk}. 2

In den drei vorhergehenden Satzen haben wir den Kn stets mit der Maximumnorm verse-hen. Es wird sich allerdings recht bald herausstellen, dass die Aussagen dieser Satze auchdann richtig sind, wenn wir den Kn mit irgendeiner anderen Norm versehen (zum Beispielder Euklidischen Norm). Dies folgt letztlich aus der Tatsache, dass im Kn alle Normenaquivalent sind, siehe Satz 4.53 und die anschließenden Ausfuhrungen.

Wir beweisen zum Abschluss dieses Abschnittes noch einige elementare Eigenschaftenvon normierten Raumen.

Lemma 4.14 ( Rechenregeln fur konvergente Folgen )Sei (X, ‖ · ‖) ein normierter Raum. Dann gelten:

(a) Aus xn → x und yn → y folgt xn + yn → x + y.

(b) Aus αn → α in K und xn → x folgt αnxn → αx.

(c) Aus xn → x folgt ‖xn‖ → ‖x‖.

Beweis: Die Behauptung (a) folgt aus der Dreiecksungleichung wegen

‖(xn + yn) − (x + y)‖ ≤ ‖xn − x‖ + ‖yn − y‖ → 0

fur n → ∞. Die Aussage (b) folgt aus

‖αnxn − αx‖ ≤ ‖αnxn − αnx‖ + ‖αnx − αx‖= |αn| ‖xn − x‖ + |αn − α| ‖x‖→ 0

fur n → ∞, da {αn} (als konvergente Folge) beschrankt ist. Schließlich ergibt sich dieBehauptung (c) aus

∣∣‖xn‖ − ‖x‖

∣∣ ≤ ‖xn − x‖ → 0

fur n → ∞, wobei wir die inverse Dreiecksungleichung (4.1) benutzt haben. 2

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4.3. OFFENE UND ABGESCHLOSSENE MENGEN 109

4.3 Offene und abgeschlossene Mengen

Wir fuhren als Nachstes die offenen und abgeschlossenen Kugeln in einem metrischen Raumein. Die Namensgebung wird dadurch gerechtfertigt, dass es sich im Spezialfall des euklidi-schen Raumes (vergleiche das Beispiel 4.6 (b)) anschaulich tatsachlich um Kugeln handelt.

Definition 4.15 Seien (X, d) ein metrischer Raum, x ∈ X und ε > 0.

(a) Die MengeKε(x) := {y ∈ X | d(x, y) < ε}

heißt offene Kugel um x mit dem Radius ε > 0.

(b) Die MengeKε(x) := {y ∈ X | d(x, y) ≤ ε}

heißt abgeschlossene Kugel um x mit dem Radius ε > 0.

Will man den zu Grunde liegenden metrischen Raum hervorheben (der aus dem jeweiligenZusammenhang aber meist klar ist), so spricht man auch von offenen bzw. abgeschlossenenKugeln in X statt nur von offenen bzw. abgeschlossenen Kugeln.

Mit Hilfe der offenen Kugeln fuhren wir jetzt die zentralen Begriffe der offenen undabgeschlossenen Mengen ein.

Definition 4.16 Seien (X, d) ein metrischer Raum und M ⊆ X eine gegebene Teilmenge.

(a) Ein x ∈ M heißt innerer Punkt von M (und M Umgebung von x), wenn es eineoffene Kugel Kε(x) gibt mit Kε(x) ⊆ M .

(b) M heißt offen, wenn alle x ∈ M innere Punkte von M sind.

(c) M heißt abgeschlossen, wenn das Komplement X \ M offen ist.

Man verifiziert sehr leicht, dass eine offene Kugel Kε(x) tatsachlich eine offene Menge imSinne der Definition 4.16 (b) ist; ebenso zeigt man ohne großere Probleme, dass es sich beieiner abgeschlossenen Kugel Kε(x) um eine abgeschlossene Menge im Sinne der Definition4.16 (c) handelt.

Abgeschlossene Mengen werden haufig aber auch anders definiert, weshalb wir hier dienachstehende Charakterisierung abgeschlossener Mengen angeben.

Lemma 4.17 ( Charakterisierung abgeschlossener Mengen )Seien (X, d) ein metrischer Raum und M ⊆ X eine gegebene Teilmenge. Dann sind aqui-valent:

(a) M ist abgeschlossen.

(b) M enthalt alle Haufungspunkte von Folgen in M , d.h.,

M = {x ∈ X | ∃{xn} ⊆ M : limn→∞

d(xn, x) = 0}.

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110 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

Beweis: (a) =⇒ (b): Sei M abgeschlossen. Gemaß Definition ist das Komplement X \Mdann offen. Sei nun x ∈ X ein Haufungspunkt von M . Dann existiert eine Folge {xn} ⊆ Mmit limn→∞ d(xn, x) = 0. Also ist Kε(x)∩M 6= ∅ fur alle ε > 0. Somit kann x kein innererPunkt von X \M sein. Da X \M aber offen ist und damit alle Elemente von X \M innerePunkte sind, gehort x dann nicht zur Menge X \ M . Folglich ist x ∈ M .

(b) =⇒ (a): Die Menge M enthalte alle Haufungspunkte von Folgen aus M . Wir zeigen,dass X \ M eine offene Menge ist. Sei dazu x ∈ X \ M beliebig gegeben. Nach Vorausset-zung ist x dann kein Haufungspunkt von M . Also existiert ein ε > 0 mit Kε(x) ∩ M = ∅.Dies impliziert Kε(x) ⊆ X \ M . Daher ist X \ M offen, also M selbst abgeschlossen. 2

Weiterhin gelten die folgenden beiden Resultate uber offene und abgeschlossene Mengen,die bereits aus der Grundvorlesung Analysis bekannt sein sollten.

Satz 4.18 Sei (X, d) ein metrischer Raum. Dann gelten:

(a) ∅ und X sind offen.

(b) Der Durchschnitt endlich vieler offener Mengen ist offen.

(c) Die Vereinigung beliebig vieler offener Mengen ist offen.

Beweis: (a) Der gesamte Raum X ist offen, da X Umgebung eines jeden Punktes x ∈ Xist. Die leere Menge ∅ ist offen, da es keinen Punkt x ∈ ∅ gibt, zu dem es eine KugelKε(x) ⊆ ∅ geben musste.

(b) Seien O1, . . . , On endlich viele offene Mengen und O :=⋂n

i=1 Oi deren Durchschnitt.Sei x ∈ O beliebig. Dann ist x ∈ Oi fur alle i = 1, . . . , n. Da die Oi nach Voraussetzungoffen sind, existieren εi > 0 mit Kεi

(x) ⊆ Oi fur alle i = 1, . . . , n. Fur ε := min{ε1, . . . , εn}gilt dann Kε(x) ⊆ Kεi

(x) ⊆ Oi fur alle i = 1, . . . , n und daher auch Kε(x) ⊆ O. Also ist Oeine offene Menge.

(c) Seien Oi (i ∈ I) offene Mengen und O :=⋃

i∈I Oi deren Vereinigung. Sei x ∈ O beliebiggegeben. Dann ist x ∈ Oi fur (mindestens) ein i ∈ I. Da Oi nach Voraussetzung offen ist,existiert per Definition ein ε > 0 mit Kε(x) ⊆ Oi. Dann ist erst recht Kε(x) ⊆ O und Osomit offen. 2

Die im Satz 4.18 genannten Eigenschaften (a), (b) und (c) werden haufig zur Definitioneiner Topologie bzw. eines topologischen Raumes benutzt. Wir werden im Rahmen diesesSkriptes aber nicht weiter auf diese Begriffe eingehen.

Man beachte ubrigens, dass der Durchschnitt von beliebig vielen offenen Mengen nichtmehr offen zu sein braucht. Beispielsweise besteht der Durchschnitt der offenen Intervalle(−1/n, 1 + 1/n) fur n ∈ N gerade aus dem abgeschlossenen Intervall [0, 1].

Durch Komplementbildung erhalt man aus dem Satz 4.18 das folgende Resultat.

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4.3. OFFENE UND ABGESCHLOSSENE MENGEN 111

Satz 4.19 Sei (X, d) ein metrischer Raum. Dann gelten:

(a) ∅ und X sind abgeschlossen.

(b) Die Vereinigung endlich vieler abgeschlossener Mengen ist abgeschlossen.

(c) Der Durchschnitt beliebig vieler abgeschlossener Mengen ist abgeschlossen.

Beweis: (a) Wegen X \X = ∅ und X \∅ = X ergibt sich die Behauptung (a) unmittelbaraus der Definition einer abgeschlossenen Menge sowie Satz 4.18 (a).

(b) Seien A1, . . . , An endlich viele abgeschlossene Mengen und A :=⋃n

i=1 Ai deren Verei-nigung. Da die Komplemente X \ Ai offen sind, ist aufgrund des Satzes 4.18 (b) auch dieSchnittmenge

n⋂

i=1

(X \ Ai

)

offen. Nach der Regel von De Morgan gilt aber

X \( n⋃

i=1

Ai

)

=n⋂

i=1

X \ Ai,

so dass X \(⋃n

i=1 Ai

)

offen und daher A :=⋃n

i=1 Ai abgeschlossen ist.

(c) Seien Ai (i ∈ I) beliebig viele abgeschlossene Mengen und A :=⋂

i∈I Ai deren Durch-schnitt. Da alle Komplemente X \Ai dann offen sind, ist auch deren Vereinigung eine offeneMenge. Nach der Regel von De Morgan ist dann auch

X \(⋂

i∈I

Ai

)

=⋃

i∈I

(X \ Ai

)

eine offene Menge und somit A :=⋂

i∈I Ai abgeschlossen. 2

Man beachte auch hier, dass die Vereinigung beliebig vieler abgeschlossener Mengen nichtnotwendig abgeschlossen ist. Beispielsweise besteht die Vereinigung der abgeschlossenenMengen [1/n, +∞) uber alle n ∈ N gerade aus dem offenen Intervall (0, +∞). – Die Satze4.18 und 4.19 rechtfertigen insbesondere die folgende Definition.

Definition 4.20 Seien (X, d) ein metrischer Raum und M ⊆ X eine gegebene Teilmenge.

(a) Die Menge

cl(M) := M :=⋂

{A |A abgeschlossen mit M ⊆ A}

heißt Abschluss (engl.: closure) von M .

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112 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

(b) Die Menge

int(M) := M :=⋃

{O |O offen mit O ⊆ M}heißt Inneres (engl.: interior) von M .

(c) Die Menge

bd(M) := ∂M

:= {x ∈ X | ∀ε > 0 : Kε(x) ∩ M 6= ∅ und Kε(x) ∩(X \ M

)6= ∅}

heißt Rand (engl.: boundary) von M .

(d) Ein Element x ∈ X heißt Haufungspunkt der Menge M , wenn es eine Folge {xn} ⊆M gibt mit limn→∞ xn = x und xn 6= x fur alle n ∈ N.

Der Abschluss einer Menge M besteht also gerade aus dem Durchschnitt aller abgeschlos-senen Mengen, die M enthalten. Das Innere einer Menge M hingegen ist die Vereinigungaller offenen Mengen, die in M enthalten sind. Wegen Satz 4.19 (c) ist der Abschluss Mvon M tatsachlich eine abgeschlossene Menge. Es ist offenbar die kleinste abgeschlosseneMenge, die M enthalt. Analog ist das Innere M von M wegen Satz 4.18 (c) eine offeneMenge; es handelt sich um die großte offene Teilmenge von M . Der Abschluss M lasst sichauch wie folgt beschreiben.

Lemma 4.21 Seien (X, d) ein metrischer Raum, M ⊆ X eine gegebene Teilmenge undx ∈ X gegeben. Dann sind aquivalent:

(a) x ∈ M .

(b) Es gibt eine Folge {xn} ⊆ M mit limn→∞ d(xn, x) = 0.

Beweis: Da M eine abgeschlossene Menge ist, gilt

{x ∈ X | ∃{xn} ⊆ M : lim

n→∞d(xn, x) = 0

}

⊆{x ∈ X | ∃{xn} ⊆ M : lim

n→∞d(xn, x) = 0

}

= M,

wobei sich die letzte Gleichheit aus dem Lemma 4.17 ergibt.Zum Nachweis der anderen Inklusion sei {xn} ⊆ M mit xn → x gegeben. Gemaß

Definition des Abschlusses M existiert zu jedem n ∈ N dann ein yn ∈ M mit d(xn, yn) ≤ 1n.

Aus der Dreiecksungleichung folgt daher

d(x, yn) ≤ d(x, xn) + d(xn, yn) → 0

fur n → ∞. Also ist auch {yn} ⊆ M eine gegen x konvergente Folge. Mit Lemma 4.17 folgtdie Behauptung. 2

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4.3. OFFENE UND ABGESCHLOSSENE MENGEN 113

Fur die Mengen M, M und M gelten trivialerweise die Inklusionen

M ⊆ M ⊆ M.

Daruber hinaus sind die folgenden Eigenschaften erfullt.

Lemma 4.22 Seien (X, d) ein metrischer Raum und M ⊆ X eine gegebene Teilmenge.Dann gelten:

(a) M ist genau dann offen, wenn M = M gilt.

(b) M ist genau dann abgeschlossen, wenn M = M gilt.

(c) ∂M ist stets abgeschlossen, und es gilt die Beziehung

∂M = M\M.

Beweis: (a) Ist M offen und x ∈ M , so existiert ein ε > 0 mit Kε(x) ⊆ M . Also ist xein innerer Punkt von M , d.h. x ∈ M . Somit gilt M ⊆ M fur jede offene Menge M . Dieumgekehrte Inklusion ist aufgrund der Vorbetrachtungen aber klar, so dass insgesamt M =M folgt. – Gilt umgekehrt M = M , so ist M offen, da das Innere M gemaß Vorbemerkungstets eine offene Menge ist.

(b) Per Definition ist M die kleinste abgeschlossene Menge, die M enthalt. Ist M selbstabgeschlossen, so gilt dann naturlich M = M . Umgekehrt folgt aus M = M unmittelbar,dass M abgeschlossen ist, da der Abschluss M gemaß Vorbetrachtung eine abgeschlosseneMenge ist.

(c) Wir zeigen zunachst die Gultigkeit von ∂M = M\M .Sei dazu x ∈ ∂M gegeben. Dann ist Kε(x) ∩ M 6= ∅ und Kε(x) ∩ (X \ M) 6= ∅ fur alle

ε > 0. Insbesondere gilt K1/n(x)∩M 6= ∅ fur alle n ∈ N. Also existiert eine Folge {xn} ⊆ M

mit limn→∞ d(xn, x) = 0. Wegen Lemma 4.17 ist dann x ∈ M . Andererseits ist x 6∈ M , dennsonst gabe es ein ε > 0 mit Kε(x) ⊆ M im Widerspruch zu Kε(x) ∩ (X \ M) 6= ∅ fur alleε > 0. Also ist x ∈ M \ M . Da x ∈ ∂M beliebig gewahlt war, folgt hieraus ∂M ⊆ M \ M .

Zum Nachweis der umgekehrten Inklusion sei x ∈ M \ M beliebig gegeben. Wegenx 6∈ M ist x kein innerer Punkt von M , also gilt Kε(x) ∩ (X \ M) 6= ∅ fur alle ε > 0.Andererseits ist x ∈ M . Gemaß Lemma 4.21 existiert daher eine Folge {xn} ⊆ M mitlimn→∞ d(xn, x) = 0, so dass auch Kε(x) ∩ M 6= ∅ fur alle ε > 0 ist. Zusammen zeigt diesx ∈ ∂M und damit die Beziehung M \ M ⊆ ∂M .

Wegen ∂M = M \ M = M ∩(X \ M

)folgt mit Satz 4.19 dann auch die Abgeschlos-

senheit von ∂M , denn M ist per Definition abgeschlossen und X \ M ist abgeschlossen alsKomplement einer offenen Menge. 2

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114 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

Wir beenden diesen Abschnitt noch mit einer Warnung: In einem metrischen Raum ist derAbschluss Kε(x) der offenen Kugel Kε(x) im Allgemeinen nicht gleich der abgeschlossenenKugel Kε(x). Zwar gilt stets die Inklusion Kε(x) ⊆ Kε(x) (denn Kε(x) ist ja die kleinsteabgeschlossene Menge, die Kε(x) enthalt), jedoch kann diese Inklusion durchaus echt sein.Um dies einzusehen, betrachten wir noch einmal den diskreten Raum (X, d) aus demBeispiel 4.2 (a): Fur x ∈ X und ε = 1 gilt dort

K1(x) = {y ∈ X | d(x, y) < 1} = {x}

und daher auch K1(x) = {x}. Fur die abgeschlossene Kugel hingegen folgt

K1(x) = {y ∈ X | d(x, y) ≤ 1} = X,

und dies unterscheidet sich offenbar von K1(x) = {x}, sobald die Menge X mindestenszwei Elemente enthalt.

4.4 Stetige Funktionen

Zwecks Definition einer stetigen Funktion beginnen wir mit dem folgenden Resultat.

Satz 4.23 Seien (X1, d1) und (X2, d2) metrische Raume, f : X1 → X2 eine gegebeneAbbildung sowie x ∈ X1. Dann sind die folgenden Aussagen aquivalent:

(a) Fur jede Folge {xn} ⊆ X1 mit {xn} → x gilt f(xn) → f(x).

(b) Zu jedem ε > 0 existiert ein δ > 0 mit d2 (f(y), f(x)) < ε fur alle y ∈ X1 mitd1(y, x) < δ.

Beweis: (a) =⇒ (b): Es gelte f(xn) → f(x) fur jede Folge {xn} ⊆ X1 mit xn → x.Angenommen, die Aussage (b) sei nicht erfullt. Dann existiert ein spezielles ε > 0, sodass es fur jedes δ > 0 ein y ∈ X1 gibt mit d1(x, y) < δ und d2(f(x), f(y)) ≥ ε. Furδ = 1/n mit n ∈ N erhalten wir auf diese Weise eine Folge {xn} mit d1(x, xn) < 1/n undd2(f(x), f(xn)) ≥ ε fur alle n ∈ N. Die Folge {xn} konvergiert also gegen x, ohne dass diesfur die zugehorigen Funktionswerte gilt, was im Widerspruch zur Voraussetzung (a) steht.

(b) =⇒ (a): Es gelte jetzt die Eigenschaft (b). Sei {xn} ⊆ X1 eine beliebige Folge mit xn →x. Zu beliebigem ε > 0 existiert nach Voraussetzung (b) ein δ > 0 mit d2(f(x), f(xn)) < εfur alle xn mit d1(x, xn) < δ. Wegen xn → x gilt aber d1(x, xn) < δ fur alle n ≥ N miteinem hinreichend großen N ∈ N. Also ist d2(f(x), f(xn)) < ε fur alle n ≥ N . Da ε > 0beliebig gewahlt war, folgt hieraus limn→∞ f(xn) = f(x). 2

Die beiden (aquivalenten) Aussagen des vorigen Satzes sollen durch die nachstehendenAbbildungen 4.1 und 4.2 geometrisch erlautert werden. Als metrischer Raum tritt hier derRaum R2 (versehen mit der euklidischen Norm) auf, der Definitionsbereich der betrachteten

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4.4. STETIGE FUNKTIONEN 115

Funktion f wird mit D(f) bezeichnet, das im Satz 4.23 (b) auftretende δ hat den Namenδε, da es im Allgemeinen von dem gegebenen ε abhangt, und Uδε

(x0) bezeichnet eineKugelumgebung um den Punkt x0 mit dem Radius δε.

X

x0

f

f(x0)

f(xn)

xn

Uδε(x0)

(f(x0)

)

YD(f)

Abbildung 4.1: Geometrische Interpretation von Satz 4.23 (a)

f(Uδε

(x0) ∩ D(f))

f(x0)

Xf

Y

Uδε(x0) ∩ D(f)

D(f) Uε

(f(x0)

)

x0

Abbildung 4.2: Geometrische Interpretation von Satz 4.23 (b)

Der Satz 4.23 ist Grundlage fur die nachfolgende Definition einer stetigen Abbildung.

Definition 4.24 Seien (X1, d1) und (X2, d2) metrische Raume sowie f : X1 → X2 einegegebene Abbildung.

(a) f heißt stetig im Punkte x ∈ X1, wenn eine der aquivalenten Bedingungen (a) oder(b) des Satzes 4.23 erfullt ist.

(b) f heißt stetig in X1, wenn f in jedem Punkt dieser Menge stetig ist.

Die Bedingungen (a) und (b) aus dem Satz 4.23 werden auch als Folgen–Kriterium bzw.ε–δ–Kriterium fur die Stetigkeit bezeichnet. Letzteres wird in der Abbildung 4.3 veran-schaulicht. Es soll an dieser Stelle explizit hervorgehoben werden, dass die Wahl von δin dem ε–δ–Kriterium im Allgemeinen sowohl von dem gegebenen ε als auch von dembetrachteten Punkt x abhangt, weshalb manchmal auch δ = δ(ε, x) geschrieben wird.

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116 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

x0 x0 + δεx0 − δε

f(x)

f(x0) + ε

f(x0) − ε

2ε–Streifen um f(x0)

2δε–Streifen um x0

x

f(x0)

Abbildung 4.3: Veranschaulichung des ε–δ–Kriteriums der Stetigkeit

Mittels der Quantor–Schreibweise lasst sich die Stetigkeit von f in einem Punkt xwieder sehr kurz definieren. Das Folgen–Kriterium lautet dann:

f stetig in x ∈ X1 :⇐⇒(∀{xn} ⊆ X1 : xn → x =⇒ f(xn) → f(x)

).

Das ε–δ–Kriterium hingegen lasst sich wie folgt schreiben:

f stetig in x ∈ X1 :⇐⇒(∀ε > 0∃δ > 0 : d1(x, y) < δ =⇒ d2

(f(x), f(y)

)< ε).

Dem Leser sei dringend empfohlen, sich beide Formulierungen der Stetigkeit zu verinner-lichen.

Das Folgen–Kriterium lasst sich sehr einpragsam offenbar auch wie folgt formulieren:Eine Funktion f ist genau dann stetig in einem Punkt x ∈ X1, wenn fur alle gegen xkonvergenten Folgen {xn} ⊆ X1 gilt:

limn→∞

f(xn) = f( limn→∞

xn).

Die Stetigkeit einer Funktion besagt also, dass man den Limes mit der Funktion vertauschendarf.

Fur das ε–δ–Kriterium der Stetigkeit wollen wir hier noch kurz die Formulierung furden Spezialfall des Raumes K (versehen mit dem ublichen Absolutbetrag) angeben. Seialso f : D → K eine gegebene Funktion mit dem Definitionsbereich D ⊆ K. Dann heißt fstetig in x ∈ K, wenn es fur alle ε > 0 ein (im Allgemeinen sowohl von x als auch von εabhangiges) δ > 0 gibt derart, dass

∣∣f(y)−f(x)

∣∣ < ε fur alle y ∈ D mit |x−y| < δ gilt (ε–δ–

Kriterium). Diese Definition wird durch die Abbildung 4.4 veranschaulicht. Die Abbildung4.5 zeigt hingegen eine unstetige Funktion, welche das ε–δ–Kriterium nicht erfullt.

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4.4. STETIGE FUNKTIONEN 117

δ δx0

f

x

ε

εf(x0)

Abbildung 4.4: Beispiel einer stetigen Funktion

x

f

εε

x0

f(x0)

Abbildung 4.5: Beispiel einer unstetigen Funktion

Wir geben als Nachstes einige Beispiele von stetigen Funktionen an.

Beispiel 4.25 (a) Die Funktion f(x) = c fur eine Konstante c ∈ K ist auf ganz K

stetig. Wir verifizieren diese Aussage mittels des Folgen–Kriteriums. Sei dazu x ∈K ein beliebiger Punkt und {xn} irgendeine gegen x konvergente Folge. Dann giltf(xn) = c → c = f(x) fur n → ∞. Also ist f stetig in x.

(b) Wir betrachten die Funktion f(x) := x. Diese ist ebenfalls stetig auf ganz K. Diessoll nun mittels des ε–δ–Kriteriums verifiziert werden. Seien dazu x ∈ K und ε > 0beliebig gegeben. Setze dann δ := ε > 0. Dann gilt fur alle y ∈ K mit |x− y| < δ dieUngleichung

∣∣f(x) − f(y)

∣∣ = |x − y| < δ = ε,

was zu zeigen war. (In diesem Fall hangt δ also nicht von dem speziellen Punkt x,

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118 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

wohl aber von ε ab).

(c) Die Funktion f(x) := x2 ist ebenfalls auf ganz K stetig. Um dies einzusehen, benutzenwir wieder das ε–δ–Kriterium. Seien dazu x ∈ K und ε > 0 beliebig gegeben. Wirhaben nun ein geeignetes δ > 0 zu finden, so dass die Implikation

|x − y| < δ =⇒ |x2 − y2| =∣∣f(x) − f(y)

∣∣ < ε (4.3)

gilt. Nun ist|x2 − y2| = |x + y| · |x − y| < ε

fur alle jene y ∈ K, die den beiden Ungleichungen

|x + y| ≤ |x − y| + 2|x| < 2|x| + 1 und |x − y| <ε

2|x| + 1

genugen. Setzen wir daher

δ := min

{

1,ε

2|x| + 1

}

,

so ist (4.3) offenbar erfullt und f somit stetig in x. Da x beliebig gewahlt war, folgthieraus die Stetigkeit von f auf ganz K. (In diesem Fall hangt die Wahl von δ > 0also sowohl von dem betrachteten Punkt x als auch von dem gewahlten ε ab.)

(d) Die Funktion f : R → R mit

f(x) :=

{1 fur x ∈ Q,0 fur x /∈ Q

ist in keinem Punkt des Definitionsbereiches D = R stetig. Sei namlich x ∈ R

beliebig gewahlt. Dann gibt es wegen Satz 1.34 in jeder noch so kleinen Umgebungvon x sowohl rationale als auch irrationale Zahlen. Insbesondere existiert stets einy ∈ R mit |f(x)− f(y)| = 1. Somit gibt es beispielsweise zu ε = 1

2kein δ > 0 derart,

dass die Forderung der Stetigkeit von f in x erfullt ware.

(e) Seien (X, ‖ · ‖) ein normierter Raum und f : X → R gegeben durch f(x) := ‖x‖.Dann ist f stetig in jedem Punkt x ∈ X. Dies folgt sofort aus dem Folgen–Kriteriumder Stetigkeit und dem Lemma 4.14 (c). 3

Die Stetigkeit einer Funktion f : X1 → X2 kann naturlich auch auf Teilmengen M ⊆ X1

definiert werden, indem man M selbst als metrischen Raum betrachtet gemaß Beispiel 4.2(c). Auch das nachfolgende Stetigkeitskriterium ließe sich auf diese Weise fur Teilmengenmetrischer Raume formulieren.

Satz 4.26 ( Charakterisierung der Stetigkeit )Seien (X1, d1) und (X2, d2) metrische Raume und f : X1 → X2 eine gegebene Abbildung.Dann sind aquivalent:

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4.4. STETIGE FUNKTIONEN 119

(a) f ist stetig auf X1.

(b) Fur alle offenen O ⊆ X2 ist das Urbild f−1(O) offen in X1.

(c) Fur alle abgeschlossenen A ⊆ X2 ist das Urbild f−1(A) abgeschlossen in X1.

Beweis: (a) =⇒ (b): Sei f stetig auf X1 und O ⊆ X2 eine offene Menge. Wir haben zuzeigen, dass jedes Element von f−1(O) ein innerer Punkt ist. Sei dazu x ∈ f−1(O) beliebiggegeben. Dann ist f(x) ∈ O. Da O offen ist, existiert ein ε > 0 mit Kε(f(x)) ⊆ O, alsoy ∈ O fur alle y mit d2(f(x), y) < ε. Aus der vorausgesetzten Stetigkeit von f in x ergibtsich die Existenz eines δ > 0 mit d2(f(x), f(z)) < ε fur alle z mit d1(x, z) < δ. Also giltf(z) ∈ O und somit z ∈ f−1(O) fur alle z mit d1(x, z) < δ. Folglich ist Kδ(x) ⊆ f−1(O)und f−1(O) somit eine offene Menge.

(b) =⇒ (a): Sei x ∈ X1 beliebig gegeben. Wir zeigen die Stetigkeit von f in x unterVerwendung des ε–δ–Kriteriums aus dem Satz 4.23 (b). Sei dazu ε > 0 und betrachtedie offene Kugel Kε(f(x)). Nach Voraussetzung (b) ist das Urbild f−1(Kε(f(x))) danneine offene Menge in X1. Wegen x ∈ f−1(Kε(f(x))) existiert daher ein δ > 0 mit Kδ(x) ⊆f−1(Kε(f(x))). Dies impliziert f

(Kδ(x)

)⊆ Kε(f(x)). Mit anderen Worten: Fur alle y ∈ X1

mit d1(x, y) < δ gilt d2(f(x), f(y)) < ε. Somit ist f stetig in x. Da x ∈ X1 beliebig gewahltwar, folgt die Behauptung (a).

(b) =⇒ (c): Sei A ⊆ X2 eine abgeschlossene Menge. Dann ist X2 \A offen. Wegen Teil (b)ist auch das Urbild f−1(X2 \ A) offen. Aufgrund der leicht nachprufbaren Identitat

f−1(X2 \ A) = X1 \ f−1(A)

ist dann auch X1 \ f−1(A) offen. Also ist f−1(A) abgeschlossen in X1.

(c) =⇒ (b): Sei O ⊆ X2 eine offene Menge. Dann ist X2 \ O abgeschlossen. Nach Voraus-setzung (c) ist dar Urbild f−1(X2 \ O) ebenfalls abgeschlossen. Aus der Identitat

f−1(X2 \ O) = X1 \ f−1(O)

folgt die Abgeschlossenheit von X1 \ f−1(O). Also ist f−1(O) selbst eine offene Menge inX1. 2

Ganze Klassen stetiger Funktionen erhalt man aus dem folgenden Resultat.

Satz 4.27 ( Summe, Produkt etc. stetiger Funktionen sind stetig )Seien (X, d) ein metrischer Raum, λ ∈ K, sowie f, g : X → K zwei in einem Punkt x ∈ Xstetige Funktionen. Dann sind auch die Funktionen

f + g : X → K, λf : X → K und f · g : X → K

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120 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

stetig in x. Gilt uberdies g(x) 6= 0, so ist

f

g: X ′ → K mit X ′ := {y ∈ X | g(y) 6= 0}

ebenfalls stetig in x.

Beweis: Wir verwenden das Folgen–Kriterium der Stetigkeit. Sei {xn} ⊆ X dazu einebeliebige gegen x konvergente Folge. Dann haben wir zu zeigen:

limn→∞

(f + g)(xn) = (f + g)(x),

limn→∞

(λf)(xn) = (λf)(x),

limn→∞

(f · g)(xn) = (f · g)(x),

limn→∞

(f

g

)

(xn) =

(f

g

)

(x).

Nach Voraussetzung ist aber limn→∞ f(xn) = f(x) und limn→∞ g(xn) = g(x). Die Behaup-tung folgt daher aus den entsprechenden Rechenregeln fur Folgen, vergleiche Satz 3.7. 2

Da die konstanten Funktionen f : D → K, f(x) = c (c ∈ K) sowie die Identitat f : D →K, f(x) = x stetig sind, folgt durch wiederholte Anwendung des Satzes 4.27 sofort dieStetigkeit aller Polynome und aller rationalen Funktionen (auf ihrem Definitionsbereich).

Satz 4.28 ( Kompositum stetiger Funktionen ist stetig )Seien (Xi, di) fur i = 1, 2, 3 metrische Raume, f : X1 → X2 stetig in einem Punkt x ∈ X1

und g : X2 → X3 stetig in y := f(x). Dann ist das Kompositum g ◦ f : X1 → X3 stetig inx.

Beweis: Zum Beweis benutzen wir erneut das Folgen–Kriterium der Stetigkeit. Sei also{xn} ⊆ X1 eine beliebige gegen x konvergente Folge. Nach Voraussetzung ist f in x stetig,also gilt f(xn) → f(x). Damit ist yn := f(xn) eine gegen y = f(x) konvergente Folge inX2. Nun ist g aber stetig in y, so dass g(yn) → g(y) in X3 gilt. Insgesamt haben wir daher(g ◦ f)(xn) = g

(f(xn)

)= g(yn) → g(y) = g

(f(x)

)= (g ◦ f)(x), was die Stetigkeit von g ◦ f

in x beweist. 2

Offenbar sind die auf einer Teilmenge D ⊆ K definierten Funktionen

¯ : D → K, x 7→ x,

| · | : D → K, x 7→ |x|,Re : D → K, x 7→ Re(x),

Im : D → K, x 7→ Im(x)

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4.4. STETIGE FUNKTIONEN 121

allesamt stetig, denn bezeichnet g eine dieser Funktionen, so gilt∣∣g(xn) − g(x)

∣∣ ≤ |xn − x| → 0

fur jede gegen ein x ∈ D konvergente Folge {xn} ⊆ D. Also sind wegen Satz 4.28 auch dieAbbildungen

f : D → K, x 7→ f(x),

|f | : D → R, x 7→ |f(x)|,Ref : D → R, x 7→ Re(f(x)),

Imf : D → R, x 7→ Im(f(x))

stetig auf ihrem jeweiligen Definitionsbereich.Der nachstehende Satz ist von zentraler Bedeutung in der Analysis. Er gilt ausschließlich

fur reellwertige Funktionen auf Intervallen der Gestalt

[a, b] := {x ∈ R | a ≤ x ≤ b}mit gegebenen a, b ∈ R.

Satz 4.29 ( Zwischenwertsatz )Sei f : [a, b] → R stetig. Dann existiert zu jedem Wert γ zwischen f(a) und f(b) mindestensein c ∈ [a, b] mit f(c) = γ.

Beweis: Fur γ = f(a) bzw. γ = f(b) braucht man nur c = a bzw. c = b zu wahlen. Wirbehandeln im Folgenden daher nur den Fall f(a) < γ < f(b) (analog fur f(b) < γ < f(a)).Die Menge

M := {x ∈ [a, b] | f(x) ≤ γ}ist nichtleer und nach oben beschrankt. Sie besitzt daher ein Supremum c aufgrund derVollstandigkeit von R. Wir zeigen nun, dass f(c) = γ gilt.

Da c die kleinste obere Schranke von M ist, existiert eine Folge von Punkten xn ∈ Mmit xn → c. Wegen f(xn) ≤ γ impliziert das Folgen–Kriterium der Stetigkeit daher

f(c) = limn→∞

f(xn) ≤ γ.

Dies liefert insbesondere c 6= b, also c < b. Folglich gibt es eine Folge {yn} von Punktenyn ∈ [c, b] mit yn → c. Wegen f(yn) ≥ γ erhalten wir aus dem Satz 4.23 somit

f(c) = limn→∞

f(yn) ≥ γ.

Zusammen ergibt sich gerade f(c) = γ. 2

Der Zwischenwertsatz ist fur unstetige Funktionen im Allgemeinen nicht richtig. Ebensomuss er selbst fur stetige Abbildungen nicht richtig sein, wenn der Definitionsbereich keinIntervall ist. Der Leser mag sich hierfur selbst geeignete Gegenbeispiele konstruieren. ZurIllustration des Zwischenwertsatzes verweisen wir ansonsten auf die Abbildung 4.6.

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122 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

f(b)

f(a)

a cx

f

γ

b

Abbildung 4.6: Veranschaulichung des Zwischenwertsatzes

4.5 Grenzwerte von Funktionen

Fur Funktionen f und Punkte x soll in diesem Abschnitt die Bedeutung des Grenzwerteslimy→x f(x) erklart werden. Dabei wird nicht verlangt, dass x zum Definitonsbereich von fgehort. Sollte dies doch der Fall sein, so ist der Funktionswert f(x) vollig irrelevant fur denfraglichen Grenzwert. Vielmehr sind nur die Werte f(y) fur y in der Nahe von x ausschlag-gebend. Dazu muss es solche Punkte naturlich geben, also x zumindest ein Haufungspunktdes Definitionsbereichs von f sein. Die formale Definition fur den Grenzwert einer Funktionlautet daher wie folgt.

Definition 4.30 Seien X1 und X2 metrische Raume, D ⊆ X1, f : D → X2 und x ∈ X1

ein Haufungspunkt von D. Dann schreiben wir

limy→x

f(y) = b oder f(y) → b fur y → x

und nennen b den Grenzwert von f fur y → x, wenn es zu jedem ε > 0 ein δ > 0 gibt mitd2

(f(y), b

)< ε fur alle y ∈ D mit y 6= x und d1(x, y) < δ.

Eine Charakterisierung des gerade eingefuhrten Begriffs ist in dem folgenden Resultatenthalten.

Satz 4.31 ( Charakterisierung von Grenzwerten )Seien X1 und X2 metrische Raume, D ⊆ X1, f : D → X2 und x ∈ X1 ein Haufungspunktvon D. Dann gilt limy→x f(y) = b genau dann, wenn limn→∞ f(xn) = b fur alle Folgen{xn} ⊆ X1 mit limn→∞ xn = x und xn 6= x fur alle n ∈ N ist.

Beweis: Der Beweis ist vollig analog zu dem des Satzes 4.23, mit dem die Stetigkeit einerFunktion definiert wurde. Unsere Definition des Grenzwertes limy→x f(y) entspricht dabeider ε–δ–Definition der Stetigkeit, wahrend die hier angegebene Charakterisierung letztlichdem Folgen–Kriterium der Stetigkeit entspricht. 2

Wir betrachten als Nachstes einige Beispiele.

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4.5. GRENZWERTE VON FUNKTIONEN 123

Beispiel 4.32 (a) Betrachte die Funktion f : [−1, +1] → R mit

f(x) :=

{0, falls x 6= 0,1, falls x = 0

und hier speziell den Punkt x = 0, der offenbar zum Definitionsbereich D := [−1, +1]von f gehort. Dann ist limy→0 f(y) = 0, insbesondere ist dieser Grenzwert verschiedenvon dem Funktionswert f(0) = 1.

(b) Betrachte die Funktion f : D → R mit

f(x) :=x2 − 1

x − 1und dem Definitionsbereich D := {x ∈ R | x 6= 1}.

Wegen x2 − 1 = (x + 1)(x− 1) ist dann limy→1 f(y) = limy→1(y + 1) = 2. Der Punktx = 1 liegt in diesem Beispiel zwar nicht in dem Definitionsbereich von f , jedochlasst sich f durch die Festsetzung f(1) := 2 stetig in x = 1 erganzen.

(c) Betrachte die Signum–Funktion f : R → R mit

f(x) := sgn(x) :=

+1, falls x > 0,0, falls x = 0,−1, falls x < 0.

In x = 0 existiert der Grenzwert limy→0 f(y) nicht, denn fur eine beliebige Nullfolge{xn} ⊆ (0, +∞) gilt limn→∞ f(xn) = 1, wahrend wir fur jede Nullfolge {xn} ⊆(−∞, 0) den hiervon verschiedenen Grenzwert limn→∞ f(xn) = −1 erhalten. 3

Der Zusammenhang zwischen dem Grenzwert einer Funktion und der Stetigkeit dieserFunktion wird durch das nachste Resultat geklart. Da dieses vollig offensichtlich ist, ver-zichten wir an dieser Stelle auf einen formalen Beweis.

Satz 4.33 Seien X1 und X2 metrische Raume, D ⊆ X1, f : D → X2 und x ∈ D einHaufungspunkt von D. Dann ist f genau dann stetig in x, wenn limy→x f(y) = f(x) gilt.

Man beachte, dass wir im Satz 4.33 (im Gegensatz zur Definition 4.30 und dem Satz 4.31)voraussetzen, dass der betrachtete Punkt x zum Definitionsbereich D von f gehort. Diesist naturlich notig, da wir anderenfalls nicht von der Stetigkeit der Funktion f in diesemPunkt sprechen konnten.

Fur reelle Funktionen geben wir als Nachstes noch die Definition von einseitigen (links–oder rechtsseitigen) Grenzwerten.

Definition 4.34 Seien X ein metrischer Raum, D ⊆ R, f : D → X und x ∈ D einHaufungspunkt von D. Dann schreiben wir

limy→x+

f(y) = b oder f(y) → b fur y → x+

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124 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

und nennen b den rechtsseitigen Grenzwert von f fur y → x+, wenn es zu jedem ε > 0 einδ > 0 gibt mit d

(f(y), b

)< ε fur alle y ∈ D mit y ∈ (x, x + δ) (insbesondere sollen solche

y existieren). Entsprechend schreiben wir

limy→x−

f(y) = b oder f(y) → b fur y → x−

und nennen b den linksseitigen Grenzwert von f fur y → x−, wenn es zu jedem ε > 0 einδ > 0 gibt mit d

(f(y), b

)< ε fur alle y ∈ D mit y ∈ (x − δ, x) (insbesondere sollen solche

y wieder existieren).

Die beiden gerade eingefuhrten einseitigen Grenzwerte lassen sich wieder durch geeigneteFolgen–Kriteria charakterisieren. Beispielsweise gilt

limy→x+

f(y) = b

genau dann, wenn limn→∞ f(xn) = b fur alle Folgen {xn} ⊆ D mit limn→∞ xn = x undxn > x fur alle n ∈ N ist (insbesondere sollen derartige Folgen existieren).

Wir betrachten wieder einige Beispiele.

Beispiel 4.35 (a) Existiert der Grenzwert limy→x f(y), so existieren auch die beideneinseitigen Grenzwerte limy→x+ f(y) und limy→x− f(y), und es gilt die Beziehunglimy→x+ f(y) = limy→x f(y) = limy→x− f(y).

(b) Die Umkehrung von (a) gilt ebenfalls: Existieren die beiden einseitigen Grenzwer-te limy→x+ f(y) und limy→x− f(y) und gilt dabei limy→x+ f(y) = limy→x− f(y), soexistiert auch der Grenzwert limy→x f(y), und fur diesen gelten die Gleichheitenlimy→x f(y) = limy→x+ f(y) = limy→x− f(y).

(c) Die Aussage (b) wird falsch, wenn zwar die beiden einseitigen Grenzwerte limy→x+ f(y)und limy→x− f(y) existieren, ihre Werte jedoch verschieden sind. Betrachte hierzudie Signum–Funktion aus dem Beispiel 4.32 (c). Hier gilt limy→0+ f(y) = 1 undlimy→0− f(y) = −1, der Grenzwert limy→x f(y) existierte jedoch nicht.

(d) Man bestatigt sehr leicht die Gultigkeit der einseitigen Grenzwerte

limx→0+

1

xn= +∞ fur ungerade n ∈ N,

limx→0−

1

xn= −∞ fur ungerade n ∈ N,

wobei hier”unendliche“ Grenzwerte auftreten, die wir formal erst gleich einfuhren

werden. 3

In Verallgemeinerung des letzten Beispiels und der bisherigen Definitionen lassen sich auchdie uneigentlichen Grenzwerte

limy→+∞

f(y) und limy→−∞

f(y)

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4.5. GRENZWERTE VON FUNKTIONEN 125

einfuhren. Wir tun dies im Folgenden nur fur den Fall y → +∞, denn fur y → −∞ kannalles analog erfolgen.

Definition 4.36 Seien X ein metrischer Raum und f : [a, +∞) → X eine gegebeneFunktion. Dann schreiben wir

limy→+∞

f(y) = b oder f(y) → b fur y → +∞

und nennen b den (uneigentlichen) Grenzwert von f fur y → +∞, wenn es zu jedem ε > 0ein ξ ∈ [a, +∞) gibt mit d

(f(y), b

)< ε fur alle y ≥ ξ.

Anschaulich besagt die obige Definition, dass limy→+∞ f(y) = b genau dann gilt, wennder Funktionswert f(y) fur alle hinreichend großen y sich um nicht mehr als ε von demGrenzwert b unterscheidet. Unter Verwendung von Folgen lasst sich die Definition 4.36auch wie folgt formulieren: Es gilt limy→+∞ f(y) = b genau dann, wenn limn→+∞ f(xn) = bfur alle Folgen {xn} ⊆ [a, +∞) mit limn→∞ xn = +∞ erfullt ist. Daher ist auch nicht ver-wunderlich, dass das folgende Cauchy–Kriterium gilt, dessen Beweis dem Leser als Ubunguberlassen bleibt.

Satz 4.37 ( Cauchy–Kriterium fur uneigentliche Grenzwerte )Sei f : [a, +∞) → R eine gegebene Funktion. Dann existiert limy→+∞ f(y) genau dann,wenn es zu jedem ε > 0 ein ξ ∈ [a, +∞) gibt mit |f(x) − f(y)| < ε fur alle x, y ≥ ξ.

Die Verallgemeinerung der Definition 4.36 auf Ausdrucke der Gestalt

limy→−∞

f(y) = b, limy→+∞

f(y) = ±∞ und limy→−∞

f(y) = ±∞

sollte klar sein. Als kleine Anwendung hiervon betrachten wir das folgende Beispiel.

Beispiel 4.38 Sei p : R → R ein Polynom

p(x) = anxn + . . . + a1x + a0

ungeraden Grades mit an > 0. Fur x → ±∞ dominiert die hochste Potenz offenbar dasGrenzwertverhalten von p. Wegen n ungerade haben wir somit

limx→+∞

p(x) = +∞ und limx→−∞

p(x) = −∞.

Also existieren a, b ⊆ R mit a < b und p(a) < 0 < p(b). Da p stetig ist, besitzt das Polynomp aufgrund des Zwischenwertsatzes 4.29 daher eine Nullstelle ξ ∈ (a, b). Analog verifiziertman diese Aussage auch im Fall an < 0. Wir haben also gezeigt, dass jedes reelle Polynom(also ak ∈ R) ungeraden Grades mindestens eine Nullstelle in R besitzt. 3

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126 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

4.6 Kompakte Mengen

Wir beschaftigen uns in diesem Abschnitt mit den so genannten kompakten Mengen einesmetrischen Raumes. Zu diesem Zweck beginnen wir mit der Definition von verschiede-nen Kompaktheitsbegriffen, deren Verhaltnis zueinander in den nachfolgenden Resultatendiskutiert wird.

Definition 4.39 Eine Teilmenge M eines metrischen Raumes (X, d) heißt

(a) uberdeckungskompakt, wenn jede offene Uberdeckung von M eine endliche Teiluber-deckung enthalt, d.h.,

M ⊆⋃

i∈I

Oi, Oi ⊆ X offen =⇒ ∃i1, . . . , ik ∈ I : M ⊆k⋃

j=1

Oij ;

(b) folgenkompakt, wenn jede Folge in M eine in M konvergente Teilfolge besitzt, d.h.,

{xn} ⊆ M =⇒ ∃ Teilfolge {xnk} ∃x ∈ M : lim

k→∞xnk

= x;

(c) prakompakt, wenn M fur jedes ε > 0 eine endliche Uberdeckung mit ε–Kugeln besitzt,d.h.,

∀ε > 0 ∃x1, . . . , xm ∈ M : M ⊆m⋃

i=1

Kε(xi);

die Zahl m hangt hierbei im Allgemeinen von dem gegebenen ε ab.

Wir werden in unserem nachfolgenden Resultat sehen, dass es in einem metrischen Raumkeinen Unterschied zwischen einer uberdeckungskompakten und einer folgenkompaktenTeilmenge gibt. Hingegen ist das offene Intervall (0, 1) beispielsweise prakompakt in demmetrischen Raum (R, | · |), nicht jedoch uberdeckungs– oder folgenkompakt (da beispiels-weise nicht abgeschlossen, vergleiche Lemma 4.43 weiter unten).

Satz 4.40 Fur eine Teilmenge M eines metrischen Raumes (X, d) sind die folgenden Aus-sagen aquivalent:

(a) M ist uberdeckungskompakt.

(b) M ist folgenkompakt.

(c) M ist prakompakt und vollstandig (bezuglich der induzierten Metrik d).

Beweis: (a) =⇒ (b): Sei M uberdeckungskompakt. Angenommen, M ist nicht folgen-kompakt. Dann existiert eine Folge {xn} ⊆ M , die keinen Haufungspunkt in M besitzt.Zu jedem y ∈ M gibt es dann ein εy > 0, so dass die Menge

Ny := {n ∈ N | xn ∈ Kεy(y)}

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4.6. KOMPAKTE MENGEN 127

endlich ist. Da die Kugeln Kεy(y) fur y ∈ M eine offene Uberdeckung von M bilden, gibt

es aufgrund der Voraussetzung (a) endlich viele Punkte y1, . . . , yk ∈ M mit

M ⊆k⋃

i=1

Kεyi(yi).

Dann ware aber N =⋃k

i=1 Nyieine endliche Menge, was den gewunschten Widerspruch

liefert.

(b) =⇒ (c): Wir verifizieren zunachst die Vollstandigkeit des metrischen Raumes (M, d): Sei{xn} dazu eine Cauchy–Folge in M . Nach Voraussetzung (b) besitzt diese einen Haufungs-punkt x ∈ M . Wegen Satz 4.9 (e) konvergiert dann bereits die gesamte Folge {xn} gegenx. Also ist (M, d) vollstandig.

Als Nachstes beweisen wir, dass M prakompakt ist. Angenommen, dies ist nicht derFall. Dann existiert ein ε > 0, so dass M keine endliche Uberdeckung mit ε–Kugeln besitzt.Induktiv findet man daher eine Folge {xn} ⊆ M mit xn+1 ∈ M \ ⋃n

i=1 Kε(xi) fur allen ∈ N. Die so konstruierte Folge {xn} besitzt offenbar keinen Haufungspunkt in M , imWiderspruch zur vorausgesetzten Folgenkompaktheit von M .

(c) =⇒ (a): Sei M ⊆ ⋃

i∈I Oi eine Uberdeckung von M mit offenen Mengen Oi ⊆ X.Angenommen, M lasst sich nicht durch endlich viele der Oi uberdecken. Nun ist M aberprakompakt. Zu ε = 1

2gibt es daher endlich viele Punkte x

(1)1 , x

(1)2 , . . . , x

(1)m1 ∈ M derart,

dass die zugehorigen Kugeln K 1

2

(x(1)i )(i = 1, . . . , m1) die Menge M uberdecken. Mindestens

eine dieser Kugeln kann dann nicht durch endlich viele der Oi uberdeckt werden, da wirsonst schon eine endliche Auswahl der Oi gefunden hatten, die ganz M uberdecken wurden.Diese eine Kugel sei K 1

2

(x(1)i ) fur ein i ∈ {1, . . . , m1}. Wir bezeichnen den zugehorigen

Mittelpunkt x(1)i von nun an einfach mit x1.

Da M prakompakt ist, gibt es aber auch zu ε = (12)2 endlich viele Punkte x

(2)1 , x

(2)2 , . . . , x

(2)m2 ∈

M , so dass

M ⊆m2⋃

i=1

K( 1

2)2(x

(2)i )

gilt. Fur mindestens einen dieser Punkte, nennen wir ihn x2, ist dann

K( 1

2)2(x2) ∩ K( 1

2)1(x1) 6= ∅,

und K( 1

2)2(x2) wird nicht durch endlich viele der Oi uberdeckt (wurden namlich alle diese

Kugeln, die einen nichtleeren Schnitt mit K 1

2

(x1) haben, durch endlich viele Oi uberdeckt

werden, so wurde dies auch fur K 1

2

(x1) selbst gelten). Induktiv konstruiert man auf diese

Weise eine Folge {xn} ⊆ M mit

K( 1

2)n+1(xn+1) ∩ K( 1

2)n(xn) 6= ∅, (4.4)

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128 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

so dass keine der Kugeln K( 1

2)n(xn) durch endlich viele der offenen Mengen Oi uberdeckt

wird. Sei xn ein nach (4.4) existierender Punkt aus der Schnittmenge K( 1

2)n+1(xn+1) ∩

K( 1

2)n(xn). Dann ist

d(xn+1, xn) ≤ d(xn+1, xn) + d(xn, xn)

≤(

1

2

)n+1

+

(1

2

)n

≤(

1

2

)n−1

fur alle n ∈ N und daher∞∑

n=1

d(xn+1, xn) < +∞

aufgrund der Konvergenz der geometrischen Reihe. Hieraus folgt aber unmittelbar, dass essich bei {xn} um eine Cauchy–Folge handelt (die Reihenreste werden beliebig klein).

Nun ist M nach Voraussetzung aber auch vollstandig. Daher konvergiert die Folge {xn}gegen ein x∗ ∈ M . Wegen M ⊆ ⋃

i∈I Oi existiert ein Index i0 ∈ I mit x∗ ∈ Oi0 . Da Oi0

offen ist, gibt es ein r > 0 mit K2r(x∗) ⊆ Oi0 . Andererseits ist aber d(xn, x∗) < r fur allen ∈ N hinreichend groß und somit

K( 1

2)n(xn) ⊆ K2r(x∗) ⊆ Oi0

fur alle diese n ∈ N, sofern noch (12)n ≤ r gilt, denn aus der Dreiecksungleichung folgt

dann fur alle x ∈ K( 1

2)n(xn) sofort

d(x, x∗) ≤ d(x, xn) + d(xn, x∗) <

(1

2

)n

+ r ≤ r + r = 2r

und daher x ∈ K2r(x∗). Die Inklusion K( 1

2)n(xn) ⊆ Oi0 steht jedoch im Widerspruch dazu,

dass K( 1

2)n(xn) per Konstruktion nicht durch endlich viele der Oi uberdeckt wird. 2

Das vorstehende Resultat motiviert die folgende Definition.

Definition 4.41 Eine Teilmenge M ⊆ X eines metrischen Raumes (X, d) heißt kompakt,wenn M eine der drei aquivalenten Bedingungen (a), (b) oder (c) aus dem Satz 4.40 genugt.

Wir beweisen im Folgenden einige wichtige Eigenschaften kompakter Mengen. Dazu begin-nen wir mit dem folgenden Resultat, wonach abgeschlossene Teilmengen von kompaktenMengen in jedem metrischen Raum wieder kompakt sind.

Lemma 4.42 ( Abgeschlossene Teilmengen kompakter Mengen sind kompakt )Seien (X, d) ein metrischer Raum, M ⊆ X eine kompakte Menge und A ⊆ M abgeschlos-sen. Dann ist A bereits kompakt.

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4.6. KOMPAKTE MENGEN 129

Beweis: Wir beweisen die Folgen–Kompaktheit von A. Sei also {xn} eine beliebige Folgein A. Dann ist {xn} insbesondere eine Folge in der kompakten Menge M und besitzt dahereine in M konvergente Teilfolge {xnk

} → x fur ein x ∈ M . Nun ist A nach Voraussetzungaber abgeschlossen und daher bereits x ∈ A wegen Lemma 4.17. Also ist A kompakt. 2

Zur Formulierung der nachsten Eigenschaft nennen wir eine Teilmenge M ⊆ X einesmetrischen Raumes (X, d) beschrankt , wenn es ein x ∈ X und eine Konstante r > 0 gibt mitd(x, y) < r fur alle y ∈ M , d.h., wenn M ⊆ Kr(x) gilt, also M in einer hinreichend großenKugel enthalten ist. Diese Definition ist offenbar konsistent mit jener einer beschranktenFolge (siehe die Ausfuhrungen vor dem Satz 4.9), wenn man eine solche Folge als Teilmengeeines metrischen Raumes auffasst.

Lemma 4.43 ( Kompakte Mengen sind beschrankt und abgeschlossen )Seien (X, d) ein metrischer Raum und M ⊆ X eine kompakte Teilmenge. Dann ist Mbeschrankt und abgeschlossen.

Beweis: Ware die Menge M nicht abgeschlossen, so gabe es wegen Lemma 4.17 eineFolge {xn} ⊆ M mit xn → x fur ein x ∈ X \ M . Dann wurde aber auch jede Teilfolgevon {xn} gegen x konvergieren. Wegen Satz 4.40 (b) musste dann aber x ∈ M gelten imWiderspruch zu unserer Annahme.

Ware die Menge M unbeschrankt, so gabe es ein x ∈ X sowie eine Folge {xn} ⊆ Mmit d(x, xn) → ∞. Dann gilt auch d(xn, y) → ∞ fur alle y ∈ X wegen

d(xn, y) ≥ d(xn, x) − d(y, x).

Also besitzt {xn} keine konvergente Teilfolge, im Widerspruch zur vorausgesetzten Kom-paktheit von M . 2

Im Kn gilt auch die Umkehrung des Lemmas 4.43.

Satz 4.44 ( Heine–Borel )Sei M eine Teilmenge des (mit der Maximumnorm versehenen) Raumes Kn. Dann sinddie beiden folgenden Aussagen aquivalent:

(a) M ist kompakt.

(b) M ist beschrankt und abgeschlossen.

Beweis: Die Implikation (a) =⇒ (b) gilt aufgrund des Lemmas 4.43. Zum Beweis der Um-kehrung sei {xn} ⊆ M eine beliebige Folge. Da M ⊆ Kn beschrankt ist, besitzt die Folge{xn} aufgrund eines Satzes 4.13 von Bolzano–Weierstraß eine konvergente Teilfolge. DerGrenzwert dieser konvergenten Teilfolge liegt wegen der vorausgesetzten Abgeschlossenheitvon M dann wieder in der Menge M , vergleiche Lemma 4.17. Nach dem Folgen–Kriteriumaus dem Satz 4.40 (b) ist M daher kompakt. 2

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130 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

Man beachte, dass das im Beweis des Satzes 4.44 benutzte Resultat von Bolzano–Weierstraßlediglich im Kn (bzw. in allen endlich–dimensionalen Vektorraumen) gilt, nicht jedoch inunendlich–dimensionalen Raumen. Ferner sei an dieser Stelle auch erwahnt, dass es imPrinzip keine Rolle spielt, dass wir den Raum Kn mit der Maximumnorm versehen haben.Aber auch dies werden wir erst etwas spater einsehen, siehe den Satz 4.53.

Mittels des Satzes 4.44 von Heine–Borel sind wir jetzt auch in der Lage, bequem einigeBeispiele von kompakten und nicht kompakten Mengen angeben zu konnen.

Beispiel 4.45 (a) Jedes Intervall [a, b] ist eine abgeschlossene und beschrankte Mengein R. Nach dem Satz von Heine–Borel ist daher jedes solche Intervall kompakt.

(b) In dem metrischen Raum Kn, versehen mit der durch die (z.B.) Maximumnorm in-duzierten Metrik d∞(x, y) := ‖x − y‖∞, sind die abgeschlossenen Kugeln

Kε(x) := {y ∈ X | d∞(x, y) ≤ ε}

kompakt, denn es handelt sich hierbei (wie schon vorher bemerkt) um abgeschlosseneMengen, die per Konstruktion auch beschrankt sind. Die Behauptung folgt daheraus dem Satz 4.44 von Heine–Borel. — Als Warnung sei allerdings erwahnt, dassdie abgeschlossenen Kugeln Kε(x) in einem beliebigen metrischen Raum (X, d) zwarabgeschlossen und beschrankt sind, aber nicht notwendig kompakt, da der Satz 4.44von Heine–Borel nicht in beliebigen metrischen Raumen gilt.

(c) Seien (X, d) ein metrischer Raum und M ⊆ X eine kompakte Menge. Dann ist derRand ∂M von M ebenfalls eine kompakte Teilmenge von X, denn wegen Lemma4.22 ist ∂M = M\M ⊆ M = M eine abgeschlossene Teilmenge von M und daherkompakt wegen Lemma 4.42.

Wir beschaftigen uns als Nachstes mit stetigen Funktionen auf kompakten Mengen. Unsererstes derartiges Resultat besagt, dass stetige Bilder kompakter Mengen wieder kompaktsind.

Satz 4.46 ( Stetige Bilder kompakter Mengen sind kompakt )Seien (X1, d1), (X2, d2) metrische Raume, M ⊆ X1 kompakt und f : M → X2 stetig. Dannist die Bildmenge f(M) ebenfalls kompakt in X2.

Beweis: Sei {yn} eine beliebige Folge in f(M). Dann existiert eine Folge {xn} ⊆ M mityn = f(xn) fur alle n ∈ N. Da M nach Voraussetzung kompakt ist, besitzt {xn} eine in Mkonvergente Teilfolge {xnk

}. Es existiert also ein x ∈ M mit limk→∞ xnk= x. Da f auf M

stetig ist, erhalten wir hieraus

limk→∞

ynk= lim

k→∞f(xnk

) = f(x).

Also besitzt die Folge {yn} eine Teilfolge {ynk}, die gegen das Element y := f(x) aus f(M)

konvergiert. Folglich ist f(M) kompakt. 2

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4.6. KOMPAKTE MENGEN 131

Als Konsequenz aus dem obigen Resultat erhalten wir den nachstehenden Satz, wonach einereellwertige stetige Funktion auf einer kompakten Menge stets ihr Minimum und Maximumannimmt.

Satz 4.47 Seien (X, d) ein metrischer Raum, M ⊆ X eine nichtleere kompakte Teilmengeund f : M → R stetig. Dann existieren x∗ ∈ M und x∗ ∈ M mit

f(x∗) = infx∈M

f(x) und f(x∗) = supx∈M

f(x),

d.h., f nimmt auf M sein Infimum und sein Supremum an.

Beweis: Wegen Satz 4.46 ist f(M) eine kompakte Teilmenge von R. Daher ist f(M) nachLemma 4.43 beschrankt und abgeschlossen.

Wir beweisen jetzt die Aussage uber das Infimum (die uber das Supremum kann analogverifiziert werden). Als beschrankte Teilmenge von R ist f∗ := infx∈M f(x) endlich. GemaßDefinition des Infimums existiert außerdem eine Folge {xn} ⊆ M mit f(xn) → f∗. Da Mkompakt ist, gibt es eine Teilfolge {xnk

} ⊆ M und ein x∗ ∈ M mit limk→∞ xnk= x∗. Dann

ist naturlich auch f(xnk) → f∗. Andererseits ist f stetig, also f(xnk

) → f(x∗) fur k → ∞.Aus der Eindeutigkeit des Grenzwertes folgt sofort f(x∗) = f∗, womit die Behauptung furdas Infimum bewiesen ist. 2

Wir fuhren als Nachstes noch den Begriff einer gleichmaßig stetigen Funktion ein.

Definition 4.48 Seien (X1, d1) und (X2, d2) metrische Raume. Eine auf einer TeilmengeM ⊆ X1 definierte Funktion f : M → X2 heißt gleichmaßig stetig auf M , wenn es zujedem ε > 0 ein δ > 0 gibt mit d2(f(x), f(y)) < ε fur alle x, y ∈ M mit d1(x, y) < δ.

In der Kurzschreibweise mittels des All– und Existenzquantors lasst sich die Definition 4.48auch wie folgt schreiben:

f ist gleichmaßig stetig auf M :⇐⇒(∀ε > 0∃δ > 0 : d1(x, y) < δ =⇒ d2

(f(x), f(y)

)< ε).

Handelt es sich bei den metrischen Raumen (X1, d1) und (X2, d2) speziell um den Raum(K, | · |), so lautet die zugehorige Definition offenbar:

f ist gleichmaßig stetig auf M :⇐⇒(∀ε > 0∃δ > 0 : |x − y| < δ =⇒

∣∣f(x) − f(y)

∣∣ < ε

).

Wir betrachten zunachst ein einfaches Beispiel.

Beispiel 4.49 Betrachte die Funktion

f : [a, b] → R, f(x) := x2.

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132 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

Wir wollen mittels der Definition 4.48 einsehen, dass es sich hierbei um eine gleichmaßigstetige Funktion handelt. Sei dazu ε > 0 beliebig gegeben. Wir suchen dann ein (gege-benenfalls von ε > 0, nicht jedoch von x, y abhangiges) δ > 0 derart, dass die folgendeImplikation gilt:

|x − y| < δ fur x, y ∈ [a, b] =⇒∣∣f(x) − f(y)

∣∣ < ε.

Um eine Idee fur eine geeignete Wahl von δ > 0 zu bekommen, schreiben wir

∣∣f(x) − f(y)

∣∣ = |x2 − y2| = |x + y| · |x − y|.

Wir mussen also nur den Term |x + y| klein bekommen. Nun gilt

|x| ≤ max{|a|, |b|} =: M fur alle x ∈ [a, b],

also|x + y| ≤ |x| + |y| ≤ 2M fur alle x, y ∈ [a, b].

Wahlen wir daherδ :=

ε

2M,

so gilt fur alle x, y ∈ [a, b] mit |x − y| < δ die gewunschte Abschatzung

∣∣f(x) − f(y)

∣∣ ≤ 2M · |x − y| < 2M · δ = ε.

Also ist f in der Tat gleichmaßig stetig auf dem Intervall [a, b]. Man beachte allerdings,dass die obige Argumentation zusammenbricht, wenn man als Definitionsbereich von f einuneigentliches Intervall zugelassen hatte. Tatsachlich ist f zwar stetig in allen Punktenx ∈ R, aber nicht gleichmaßig stetig auf beispielsweise der gesamten reellen Achse R. 3

Im Gegensatz zur Definition einer stetigen Funktion hangt die Wahl des δ > 0 bei einergleichmaßig stetigen Funktion zwar von der Große ε > 0 ab, nicht jedoch von dem betref-fenden Punkt x. Damit ist jede gleichmaßig stetige Funktion insbesondere stetig, wahrenddie Umkehrung im Allgemeinen nicht gilt. Jedoch lasst sich das folgende Kriterium alsVerallgemeinerung des Beispiels 4.49 beweisen.

Satz 4.50 ( Kriterium fur gleichmaßige Stetigkeit )Seien (X1, d1) und (X2, d2) metrische Raume, M ⊆ X1 eine kompakte Teilmenge undf : M → X2 eine stetige Funktion. Dann ist f gleichmaßig stetig auf M .

Beweis: Angenommen, f ist nicht gleichmaßig stetig auf M . Dann existiert ein ε > 0,so dass fur alle δ > 0 stets zwei (von δ abhangige) Punkte x, y ∈ M existieren mitd1(x, y) < δ und d2(f(x), f(y)) ≥ ε. Insbesondere gibt es zu jedem δ = 1/n Punktexn, yn ∈ M mit d1(xn, yn) < 1/n und d2(f(xn), f(yn) ≥ ε fur alle n ∈ N. Da M nachVoraussetzung kompakt ist, besitzt die Folge {xn} ⊆ M eine konvergente Teilfolge, etwa{xnk

} → x fur ein x ∈ M . Wegen d1(xn, yn) → 0 fur n → ∞ konvergiert dann auch diezugehorige Teilfolge {ynk

} von {yn} gegen den Punkt x. Aus der Stetigkeit von f folgt

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4.6. KOMPAKTE MENGEN 133

daher sowohl f(xnk) → f(x) als auch f(ynk

) → f(x) fur k → ∞ im Widerspruch zud2(f(xnk

), f(ynk)) ≥ ε fur alle k ∈ N. 2

Der Satz 4.50 besagt also, dass eine auf einer kompakten Menge stetige Funktion dortautomatisch gleichmaßig stetig ist.

Wir beschaftigen uns als Nachstes mit der Stetigkeit von Umkehrfunktionen.

Satz 4.51 ( Stetigkeit der Umkehrfunktion )Seien (X, dX) und (Y, dY ) metrische Raume, M ⊆ X eine kompakte Teilmenge und f :M → Y eine stetige und injektive Abbildung. Dann ist die auf dem Bildbereich f(M) :={y | ∃x ∈ X : y = f(x)} definierte Umkehrfunktion f−1 : f(M) → X ebenfalls stetig.

Beweis: Sei {yn} ⊆ f(M) eine beliebige gegen ein y ∈ f(M) konvergente Folge. Setzeg := f−1 und xn := g(yn), x := g(y). Nach dem Folgen–Kriterium der Stetigkeit haben wirdann xn → x in X zu zeigen. Angenommen, dies ist nicht der Fall. Wegen {xn} ⊆ M undM kompakt existiert dann eine Teilfolge {xnk

} und ein Element x 6= x mit {xnk} → x fur

k → ∞. Da f nach Voraussetzung stetig ist, impliziert dies ynk:= f(xnk

) → f(x). Nun istf aber auch injektiv, so dass aus x 6= x auch

f(x) 6= f(x) = f(g(y)

)= y

folgt. Damit besitzt die Teilfolge {ynk} von {yn} die beiden verschiedenen Grenzwerte y

und f(x), was wegen Satz 4.9 nicht sein kann. 2

In einem spater noch wichtig werdenden Spezialfall konnen wir im Satz 4.51 auf die Kom-paktheitsvoraussetzung verzichten.

Satz 4.52 Sei f : I → R eine auf einem (eigentlichen oder uneigentlichen) Intervall I ⊆ R

definierte Funktion, die stetig und streng monoton (fallend oder wachsend) sei. Dann istdie Umkehrfunktion f−1 : f(I) → R ebenfalls stetig und streng monoton (fallend oderwachsend).

Beweis: Die strenge Monotonie der Umkehrfunktion g := f−1 folgt sofort aus dem Satz2.10. Zu zeigen bleibt somit nur noch die Aussage uber die Stetigkeit. Setze dazu I∗ := f(I).Wegen des Zwischenwertatzes ist I∗ ein (eventuell uneigentliches) Intervall, das alle Punktezwischen

ξ := inf{f(x) | x ∈ I} und η := sup{f(x) | x ∈ I}umfasst. Die strenge Monotonie von f impliziert hierbei ξ < η. Also konnen wir zweiFolgen von Punkten αj, βj ∈ I∗ mit ξ < αj < βj < η und αj → ξ, βj → η finden.Setzen wir f von nun an ohne Einschrankung als monoton wachsend voraus (der Beweisverlauft analog im Falle einer monoton fallenden Funktion), so gibt es Punkte aj, bj ∈ Imit aj < bj , αj = f(aj) und βj = f(bj). Jedes Intervall [α, β] in I∗ ist bijektives Bild einesIntervalles [a, b] in I unter f . Wegen Satz 4.51 ist die Abbildung f−1|[α,β] stetig. Also ist

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134 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

f−1 in jedem Punkt x ∈ I∗ stetig, denn wir konnen aufgrund der obigen Ausfuhrungenstets ein kompaktes Intervall [α, β] ⊆ I∗ finden mit x ∈ [α, β], so dass f−1 sogar auf demgesamten Intervall [α, β], insbesondere also in dem Punkt x, stetig ist. 2

Im Beispiel 4.6 haben wir bereits gesehen, dass man den Vektorraum Kn (mindestens) mitzwei verschiedenen Normen versehen kann, und zwar haben wir dort die euklidische Norm

‖x‖2 :=√

|x1|2 + . . . + |xn|2 fur x ∈ Kn,

und die Maximumnorm

‖x‖ := ‖x‖∞ := max{|x1|, . . . , |xn|

}

definiert. Im Abschnitt 6.6 werden wir noch beliebig viele weitere Normen im Kn einfuhren.Nun ware es naturlich denkbar, dass eine Folge {xn} bezuglich der einen Norm konvergiertund bezuglich der anderen nicht. Tatsachlich kann so ein Fall auftreten, wenn wir in einemunendlich–dimensionalen Vektorraum sind. In dem endlich–dimensionalen Raum Kn istdies aber nicht moglich, wie wir als Nachstes zeigen wollen.

Sei dazu X ein beliebiger K–Vektorraum. Sind dann ‖ · ‖a, ‖ · ‖b: X → R zwei ver-schiedene Normen, so heißen diese aquivalent , wenn es zwei Konstanten c2 ≥ c1 > 0 gibtmit

c1‖x‖a ≤ ‖x‖b ≤ c2‖x‖a ∀x ∈ X.

Die beiden Konstanten c1 und c2 durfen dabei naturlich von der Wahl der Normen ‖ · ‖a

und ‖ · ‖b abhangen, nicht jedoch von dem Vektor x ∈ X. Sind zwei Normen aquivalent,so ist eine bezuglich ‖ · ‖a konvergente Folge offenbar auch bezuglich ‖ · ‖b konvergent undumgekehrt. Damit stimmen auch die Begriffe der offenen und abgeschlossenen Mengenbezuglich zweier aquivalenter Normen uberein.

Wir betrachten jetzt den Raum X := Kn und zeigen, dass jede Norm auf diesen Raumaquivalent ist zur Maximumnorm.

Satz 4.53 ( Aquivalenz aller Normen im Kn )Sei ‖ · ‖ eine beliebige Norm auf dem Kn und ‖ · ‖∞ die Maximumnorm auf dem Kn. Dannsind ‖ · ‖ und ‖ · ‖∞ aquivalent.

Beweis: Die Menge S := {x ∈ Kn | ‖x‖∞ = 1} ist wegen Beispiel 4.45 (c), (d) kompakt.Da jede Norm insbesondere eine stetige Abbildung ist (dies folgt beispielsweise aus derinversen Dreiecksungleichung), existieren wegen Satz 4.47 daher die Konstanten

c1 := minx∈S

‖x‖ > 0 und c2 := maxx∈S

‖x‖ > 0.

Fur beliebiges x 6= 0 ist dann y := x‖x‖∞

ein Element von S und daher

c1 ≤ ‖y‖ ≤ c2 ⇐⇒ c1‖x‖∞ ≤ ‖x‖ ≤ c2‖x‖∞,

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4.7. DER APPROXIMATIONSSATZ VON WEIERSTRASS 135

woraus die Behauptung folgt. 2

Aus dem Satz 4.53 ergibt sich sofort, dass je zwei Normen im Kn aquivalent sind. DieseAussage gilt allgemeiner in jedem endlich–dimensionalen Vektorraum X.

Als unmittelbare Konsequenz des Satzes 4.53 notieren wir noch das folgende Resultat.

Korollar 4.54 Sei {xk} ⊆ Rn eine gegebene Folge. Dann konvergiert diese Folge genaudann gegen ein x∗ ∈ Rn, wenn jede Komponentenfolge {xk

i } ⊆ R gegen x∗i konvergiert

(i = 1, . . . , n).

Beweis: Sei zunachst vorausgesetzt, dass die Folge der Vektoren {xk} gegen x∗ konvergiert.Wegen des Satzes 4.53 ist dabei egal, bezuglich welcher Norm wir hierbei die Konvergenzbetrachten. Wahlen wir etwa die Maximumnorm ‖ · ‖∞, so gilt

|xki − x∗

i | ≤ ‖xk − x∗‖∞ → 0 fur k → ∞.

Also konvergiert jede Folge {xki } gegen x∗

i (i = 1, . . . , n).Gilt umgekehrt |xk

i −x∗i | → 0 fur k → ∞ und alle Komponenten i ∈ {1, . . . , n}, so folgt

unmittelbar

‖xk − x∗‖∞ = maxi=1,...,n

|xki − x∗

i | → 0 fur k → ∞

und damit auch die Konvergenz der Folge von Vektoren {xk} gegen x∗. 2

4.7 Der Approximationssatz von Weierstraß

Wir beginnen zunachst mit einer grundlegenden Definition.

Definition 4.55 Sei (X, d) ein metrischer Raum.

(a) Eine Teilmenge M ⊆ X liegt dicht in X, wenn M = X gilt.

(b) Der metrische Raum X heißt separabel, wenn es eine hochstens abzahlbare TeilmengeM ⊆ X gibt mit M = X.

Ein metrischer Raum (X, d) ist also separabel, wenn es hochstens abzahlbar viele Elementex1, x2, x3, . . . ∈ X gibt, die bezuglich der Metrik d dicht in X liegen. Wir erwahnen an dieserStelle einige einfache Beispiele.

Beispiel 4.56 (a) Die Menge der rationalen Zahlen Q liegt bekanntlich dicht in demmetrischen Raum (R, | · |). Da Q abzahlbar ist, handelt es sich bei (R, | · |) um einenseparablen Raum. Ebenso ist auch der euklidische Raum Rn separabel, denn Qn liegtdicht in Rn und ist ebenfalls abzahlbar.

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136 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

(b) Die Menge der Zahlen Q + iQ := {x + iy | x, y ∈ Q} ist abzahlbar und liegt dicht inC, also ist (C, | · |) separabel. Aus ahnlichem Grund folgt auch die Separabilitat vonCn.

(c) Seien (X, d) ein metrischer Raum sowie M ⊆ N ⊆ X Teilmengen derart, dass Mdicht in N und N dicht in X liegen. Dann liegt M auch dicht in X, denn nach

Voraussetzung gelten M = N und N = X und somit M = M = N = X.

(d) Betrachte die Menge

C([a, b]) :={f : [a, b] → R

∣∣ f stetig

}

aller stetigen Funktionen auf dem Intervall [a, b], versehen mit der Metrik

d∞(f, g) := ‖f − g‖∞ := maxx∈[a,b]

∣∣f(x) − g(x)

∣∣ fur f, g,∈ C([a, b])

(dass es sich hierbei um eine Metrik handelt, sieht man sofort ein). Nach dem Appro-ximationssatz von Weierstraß, fur den wir gleich einen Beweis liefern werden, liegt dieMenge aller Polynome dicht in C([a, b]). Andererseits ist die Menge aller Polynomemit rationalen Koeffizienten dicht in der Menge aller Polynome. Da die Menge allerPolynome mit rationalen Koeffizienten abzahlbar ist, folgt aus dem Beispiel (c) dieSeparabilitat von C([a, b]). 3

Als Nachtrag zum Beispiel 4.56 (d) wollen wir an dieser Stelle den dort benutzten Appro-ximationssatz von Weierstraß beweisen. Hierzu benotigen wir einige einfache Identitaten,die wir deshalb gesondert in dem folgenden Hilfsresultat zur Verfugung stellen. In dessenBeweis gehen wir ausnahmsweise mal davon aus, dass die elementaren Rechenregeln zurAbleitung von Polynomen bekannt sind, formal wird der Ableitungsbegriff (auch Differen-tiation genannt) erst im Kapitel 6 eingefuhrt werden.

Lemma 4.57 Seien n ∈ N und

bk(x) :=

(n

k

)

xk(1 − x)n−k fur k = 0, 1, . . . , n und x ∈ R.

Dann gelten die beiden folgenden Gleichungen fur alle n ∈ N und alle x ∈ R:

(a)∑n

k=0 bk(x) = 1.

(b)∑n

k=0 bk(x)(nx − k)2 = nx(1 − x).

Beweis: Aufgrund des binomischen Lehrsatzes gilt bekanntlich

(x + y)n =n∑

k=0

(n

k

)

xkyn−k ∀x, y ∈ R, (4.5)

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4.7. DER APPROXIMATIONSSATZ VON WEIERSTRASS 137

woraus man speziell fur y = 1 − x die Formel

n∑

k=0

bk(x) = 1 (4.6)

erhalt, so dass die Aussage (a) hiermit bereits bewiesen ist. Differentiation von (4.5) nachx und anschließende Multiplikation mit x liefert

nx(x + y)n−1 =n∑

k=0

(n

k

)

kxkyn−k ∀x, y ∈ R.

Differenziert man (4.5) hingegen zweimal nach x und multipliziert das Ergebnis dann mitx2, so ergibt sich

n(n − 1)x2(x + y)n−2 =n∑

k=0

(n

k

)

k(k − 1)xkyn−k ∀x, y ∈ R.

Speziell fur y = 1 − x lauten die letzten beiden Formeln wie folgt:

nx =n∑

k=0

bk(x)k und (4.7)

n(n − 1)x2 =n∑

k=0

bk(x)k(k − 1) ∀x ∈ R.

Summation dieser beiden Gleichungen liefert

nx + n(n − 1)x2 =n∑

k=0

bk(x)k2. (4.8)

Unter Verwendung von (4.6), (4.7) und (4.8) ergibt sich wegen Teil (a) nun

n∑

k=0

bk(x)(nx − k)2

=

n∑

k=0

bk(x)(n2x2 − 2nkx + k2)

= n2x2

n∑

k=0

bk(x)

︸ ︷︷ ︸

=1

−2nxn∑

k=0

bk(x)k

︸ ︷︷ ︸

=nx

+n∑

k=0

bk(x)k2

︸ ︷︷ ︸

=nx+n(n−1)x2

= nx(1 − x),

(4.9)

womit auch die Formel (b) bewiesen ist. 2

Mit Hilfe des Lemmas 4.57 konnen wir jetzt einen relativ kurzen Beweis des Approximati-onssatzes von Weierstraß angeben.

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138 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

Satz 4.58 ( Approximationssatz von Weierstraß )Sei C([a, b]) der Raum der stetigen Funktionen auf dem kompakten Intervall [a, b], versehenmit der Metrik d = d∞ aus dem Beispiel 4.56 (d). Dann liegt die Menge aller Polynome(mit reellen Koeffizienten) dicht in C([a, b]).

Beweis: Wir beweisen die Aussage nur fur den Spezialfall [a, b] = [0, 1]. Der allgemeine Fallkann hierauf mittels der Transformation x = a + t(b − a) zuruckgefuhrt werden (beachte,dass diese Transformation das Intervall [0, 1] bijektiv auf [a, b] abbildet).

Seien f ∈ C([a, b]) und ε > 0 beliebig gegeben. Wir werden zeigen, dass es ein Polynom pmit d(f, p) ≤ 2ε gibt, woraus dann die Behauptung folgt. Der Beweis ist dabei konstruktiv,da wir das Polynom p im Prinzip explizit angeben werden. Definiere zu diesem Zweck das(von f abhangige) so genannte n-te Bernstein–Polynom durch

Bn(x) :=n∑

k=0

f(k

n

)

bk(x) (n ∈ N),

wobei bk(x) wie im Lemma 4.57 definiert sei. Mit (4.6) folgt dann

∣∣f(x) − Bn(x)

∣∣ =

∣∣∣∣∣

n∑

k=0

(

f(x) − f

(k

n

))

bk(x)

∣∣∣∣∣

≤n∑

k=0

∣∣∣∣f(x) − f

(k

n

)∣∣∣∣bk(x),

da bk(x) fur alle x ∈ [0, 1] sowieso nichtnegativ ist. Da f auf dem kompakten Intervall [0, 1]nach Satz 4.50 sogar gleichmaßig stetig ist, existiert ein δ > 0 mit

∣∣∣∣f(x) − f

(k

n

)∣∣∣∣≤ ε fur alle x ∈ [0, 1] mit

∣∣∣∣x − k

n

∣∣∣∣< δ.

Fur jedes x ∈ [0, 1] mit |x − kn| ≥ δ hingegen gilt mit der Konstanten

c := maxt∈[a,b]

∣∣f(t)

∣∣

stets ∣∣∣∣f(x) − f

(k

n

)∣∣∣∣≤ 2c ≤ 2c

(

x − k

n

)2/

δ2.

Fur beliebige x ∈ [0, 1] gilt somit die Abschatzung

∣∣∣∣f(x) − f

(k

n

)∣∣∣∣≤ ε + 2c

(

x − k

n

)2/

δ2.

Zusammen mit Lemma 4.57 folgt daher

∣∣f(x) − Bn(x)

∣∣ ≤

n∑

k=0

(

ε + 2c

(

x − k

n

)2/

δ2

)

bk(x)

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4.7. DER APPROXIMATIONSSATZ VON WEIERSTRASS 139

= ε

n∑

k=0

bk(x) +2c

δ2

n∑

k=0

(

x − k

n

)2

bk(x)

= ε +2c

δ2n2

n∑

k=0

(nx − k

)2bk(x)

= ε + 2cx(1 − x)/(δ2n).

Nun ist 2cx(1− x)/(δ2n) ≤ ε fur alle x ∈ [0, 1] und alle n ∈ N hinreichend groß und daher

d(f, Bn) ≤ 2ε

fur alle diese n ∈ N. 2

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140 KAPITEL 4. METRISCHE RAUME UND STETIGKEIT

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