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Karfunkel - Das Vermaechtnis der Steine

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Stefan Karchs neuer, spannender Kinder- und Jugendfantasyroman

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Stefan Karch

Karfunkel

Stefan Karch

Das Vermächtnis der Steine

www.ggverlag.at

ISBN 978-3-7074-1456-1

In der aktuell gültigen Rechtschreibung

1. Auflage 2012

Lektorat: Karin Ballauff

Umschlagillustration: Claudia Engelen

Innenillustrationen: Stefan Karch

Gesamtherstellung: Imprint, Ljubljana

© 2012 G&G Verlagsgesellschaft mbH, Wien

Alle Rechte vorbehalten. Jede Art der Vervielfältigung, auch die des

auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe sowie

der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme, gesetzlich

verboten. Aus Umweltschutzgründen wurde dieses Buch auf chlorfrei

gebleichtem Papier gedruckt.

Von Stefan Karch unter anderem im G&G Verlag erschienen:

„Ich und Opa Wolf“, ISBN 978-3-7074-1383-0

„Meine liebsten Knuddelgeschichten – Kuschelst du mit mir?“, ISBN 978-3-7074-1059-4

„Nicht schon wieder Hubert!“, Lesezug Vor- und Mitlesen, ISBN 978-3-7074-0338-1

„Emil und die Monster“, G&G PISAbibliothek 2. Klasse, ISBN 978-3-7074-1400-4„Verknallt im All“, G&G PISAbibliothek 3. Klasse, ISBN 978-3-7074-1404-2

„Eddie Reihe – Knochenhart – Butterzart“, ISBN 978-3-7074-1187-4„Eddie Reihe – Gruselzitter – Liebesritter“, ISBN 978-3-7074-1392-2

„Draußen wartet das Abenteuer – Im Land der Frösche“, ISBN 978-3-7074-1286-4„Draußen wartet das Abenteuer – Im Tal der Dachse“, ISBN 978-3-7074-1285-7„Draußen wartet das Abenteuer – In der Schlucht der Wölfe“, ISBN 978-3-7074-1454-7

„Robin und Scarlet – Die Bücher der Magier“, ISBN 978-3-7074-1142-3„Robin und Scarlet – Die Stimmen der Geister“, ISBN 978-3-7074-1239-0„Robin und Scarlet – Die Vögel der Nacht“, ISBN 978-3-7074-1345-8

Inhalt

Der Zauberer 11

Miss Drisko 16

Staubige Steine und alte Fotos 18

Der gelbe Salon 21

Die Rattenburg 23

Eine Blume aus Holz 29

Familienchronik 33

Wundersame Begegnung 38

Eine andere Welt 42

Der Mann am Fenster 50

Unheilvoller Besuch 54

Verzweifelte Suche 57

Enttäuschte Hoffnungen 62

Das Tagebuch 67

Das Verhör 70

Geisterhand 73

Drachenherz 81

Eine neue Sprache 83

In die Falle getappt 87

Abygal 92

Der Zirkuswagon 95

Die Botschaft 101

Prinzen und Drachenreiter 106

Die Party 108

Doumond 113

Licht und Schatten 120

Die Zuflucht 126

Die Versammlung 138

Das Wiedersehen 149

Der Abschied 153

Schwaden von Pfeifenrauch stehen in der Luft.

Im Sessel sitzt ein alter Mann und schläft. Sein Oberkörper

ist ein wenig nach vorn gesackt. Sein Gesicht ist faltig,

er sieht fast aus wie eine Mumie.

Dünnes weißes Flaumhaar steht kerzengerade von seinem

Schädel ab, als hätte er die Zunge in eine Steckdose gesteckt.

Dann öffnen sich seine wässrigen Augen langsam wie die

Augen einer Katze, die aus einem tiefen Traum erwacht.

Aus einer halb offenen Schublade stürzt ein kleiner Drache.

Unbeholfen rollt er über den Boden, breitet seine pergamen-

tenen Flügel aus und bläst sich den Staub aus den Schuppen.

Es ist geschehen. Das lang erwartete Ereignis ist eingetroffen.

Der alte Mann ist erleichtert. Doch er ist auch besorgt.

„Flieg schon, flieg“, ermuntert er den Drachen, „flieg,

bevor etwas Schlimmes passiert!“

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Der Zauberer

Ich heiße Luca. Meine Freunde nennen mich auch „Zaube-

rer“. Meine Zaubertricks haben natürlich nichts mit echter

Magie zu tun. Ich habe ein bisschen Fingerfertigkeit, ein

gutes Gedächtnis und das mit regelmäßigem hartem Trai-

ning kombiniert.

Manchmal schaffe ich es, meine Freunde echt zu verblüf-

fen. Doch oft frage ich mich, ob ich nicht nur krampfhaft

versuche, etwas Besonderes zu sein. Dabei ist jeder Mensch

für sich etwas Besonderes, behauptet zumindest unser Re-

ligionslehrer. Dafür muss man nicht zaubern können. Es

gibt Leute, die heben sich von allen anderen ab, weil sie

zum Beispiel einfach nur toll aussehen. So wie Vanessa.

Vanessa sitzt schräg vor mir. Sie geht erst seit ein paar

Wochen in unsere Klasse. Ich könnte sie stundenlang an-

starren. Ein Blick von ihr genügt, und ich habe Schmetter-

linge im Bauch. Das ist auch der Grund, warum ich es bis

heute nicht geschafft habe, sie anzusprechen. Ich würde

bestimmt vergessen, Luft zu holen und mein Herz würde

stillstehen. Vielleicht fehlt mir bei ihr ja einfach der Mut.

Na, ganz sicher fehlt mir bei ihr der Mut.

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Auf dem Heimweg schlendere ich an den Geschäften vor-

bei, bleibe kurz vor einer Pizzeria stehen, atme den Geruch

ein. Ich habe es heute überhaupt nicht eilig. Morgen be-

ginnen die Osterferien. Meine Eltern gönnen sich eine Wo-

che Urlaub zu zweit, also ohne mich. Für mich haben sie

vorgesorgt. Sie bringen mich bei Onkel Albert unter. Der

ist steinreich und wohnt mit Tante Henrietta in einem rie-

sigen Haus mit Garten und Pool. Allerdings wird es noch

nicht warm genug sein für den Pool.

Albert ist der Stiefbruder meines Vaters, deshalb heißt die

Familie mit Nachnamen Larosch und nicht wie wir Mon-

tana. Die Laroschs haben eine Tochter, Emma, meine Cou-

sine sozusagen. Sie ist ungefähr so alt wie ich. Das letzte

Mal habe ich sie gesehen, als ich fünf war. Da hat sie mir

ihr Eis aufs Hemd gedrückt, weil ich nicht schnell genug

die Schaukel für sie geräumt habe. Meine Begeisterung, die

Ferien bei den Laroschs zu verbringen, ist auf einer Skala

von eins bis zehn unter null.

Ich angle mein Handy aus der Hosentasche und überlege,

ob ich Vanessas Nummer wählen soll. Ich zögere, tue es

dann doch nicht. Allein der Gedanke an Vanessa beschleu-

nigt meinen Puls. Ich bin so aufgeregt wie im Kino, wenn

ich wie gebannt auf die Leinwand starre und darüber mein

Popcorn vergesse.

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Die Schule wird mir kein bisschen fehlen, aber

die Aussicht darauf, Vanessa so lange nicht zu sehen,

schlägt mir schon jetzt auf den Magen.

Zu Hause angekommen, finde ich meine Eltern in Hoch-

stimmung vor. Auf dem Küchentisch stapeln sich Reise-

prospekte. Während des Essens werfen sie einander viel-

sagende Blicke zu. Mein Vater greift sogar nach der Hand

meiner Mutter und zieht sie zu sich heran, um sie – vor

meinen Augen! – auf den Mund zu küssen. So etwas habe

ich noch nie erlebt. Ich bin beinahe schockiert.

Nach dem Essen packen sie ihre Koffer. Ich verbringe den

Nachmittag mit Computerspielen und raffe mich schließ-

lich auch auf zu packen. Hätte ich Weihnachten wenigs-

tens einen Laptop bekommen, dann hätte ich ihn jetzt mit-

nehmen können!

Während ich packe, kommt mir die geniale Idee, Vanessa

einfach ein SMS zu schicken, um ihr schöne Ferien zu

wünschen. Vanessa antwortet nicht.

Vor dem Abendessen kommt meine Mutter plötzlich in

mein Zimmer gestürmt, ohne jede Voranmeldung. Und was

noch schlimmer ist: Sie kontrolliert allen Ernstes, was ich

eingepackt habe.

„Wozu nimmst du einen Plüschhasen mit?“, will sie wis-

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sen. „Und wo sind die restlichen Unterhosen? Du wirst

doch nicht eine Woche mit zwei Unterhosen auskommen!“

Ich habe keine Lust, wegen der Unterhosen mit ihr zu strei-

ten. Den Hasen brauche ich für ein Zauberkunststück, an

dem ich gerade arbeite. Aber das muss sie nicht wissen.

„Vergiss deine Zahnbürste nicht, und pack genug warme

Pullover ein, es kann noch schneien“, fügt sie hinzu, dann

stürmt sie wieder hinaus.

Mein Handy vibriert. Ich bin wie elektrisiert. Meine Hände

zittern, als ich es aus meiner Hosentasche fische.

Vanessa! Sie hat mir tatsächlich geantwortet. Ich zögere,

spüre das Ziehen im Bauch und warte noch einen Augen-

blick, um die Vorfreude auszukosten. Dann öffne ich die

Nachricht. Sie raubt mir den Atem.

„Lass mich in Frieden und starr mich gefälligst nicht dau-

ernd an, das nervt!“, schreibt sie.

Mehr nicht. Das genügt. Es ist ein Schlag in die Magen-

grube, ein Haken von unten gegen das Kinn und dann die

Krönung, ein Hieb auf die Nase. Der Zauberer taumelt und

geht in die Knie.

Mir kommen die Tränen.

Ich bin ein Kämpfer. Mike, der Boxer, war lange Zeit mein

bester Freund. Er hat jetzt eine Freundin, deshalb sehen

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wir uns nicht mehr so oft wie früher. Er ist einen

Kopf größer als ich und zwei Jahre älter. Mike träumt

davon, Profiboxer zu werden. Ich war einer seiner

Trainingspartner. Und ich war immer der Verlierer.

„Duck dich nicht wie ein Feigling! Komm, schlag zu!“,

feuerte er mich an. Ich schlug zu wie ein Verrückter. Mike

wich meinen Schlägen aus und lachte. Das machte mich

wütend. Die Wut trieb mir Tränen in die Augen. Mike

nahm mich in den Schwitzkasten.

„Du darfst nicht wütend werden. Du darfst nichts persön-

lich nehmen. Sonst bist du geliefert!“, sagte er, und seine

Worte schrieben sich in die Windungen meines Gehirns

ein.

„Vanessa, du tust mir echt leid. Ich bin ein Zauberer, deine

Worte können mich nicht treffen. Ich werde keines von ih-

nen persönlich nehmen. Ich bin unverwundbar“, rede ich

mir ein. Doch es funktioniert nicht. Am liebsten würde ich

Vanessa für immer aus meinen Gedanken verbannen, doch

ich weiß nicht wie, ich kenne den Zauberspruch nicht, der

dafür der richtige wäre.

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Miss Drisko

„Bist du bereit?“, erkundigt sich mein Vater am nächsten

Morgen. Er steckt seinen Kopf in mein Zimmer und grinst

so breit, dass ich ihn kaum wiedererkenne.

Ich bin bereit.

Bereit, meine Freunde, meinen Computer und ein Mädchen

zurückzulassen, dessen Namen ich nie mehr erwähnen

werde. Es tut noch weh, aber zugleich fühle ich mich auch

irgendwie in einem guten Sinne leer, offen für etwas Neu-

es. Das rede ich mir zumindest ein.

Meine Eltern sind immer noch bester Laune. Sie benehmen

sich so, als würden sie in die Flitterwochen fahren.

Im Auto stöpsle ich mir die Ohren zu und höre Musik. Die

Landschaft rauscht an mir vorbei, das sattere Grün der

Wiesen und das glitzernde, noch zarte Grün der Blätter an

den Bäumen. Es ist kalt draußen, noch liegt Schnee auf den

Berghängen, aber die Sonne ist schon viel wärmer gewor-

den und kündigt den nahen Frühling an.

Die Laroschs wohnen nur zwei Stunden mit dem Auto ent-

fernt in dem Nobelviertel einer Stadt.

Schließlich halten wir vor einem schmiedeeisernen Tor,

und ich bekomme eine Vorstellung davon, wie nobel es

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wirklich ist. Ein Kiesweg führt durch einen Park

bis vor das Haus.

Als ich das Haus zum ersten Mal vor mir sehe, komme ich

mir plötzlich vor wie in einem Horrorfilm, in dem alles

ganz harmlos beginnt und nur die Musik verrät, dass

irgendetwas nicht in Ordnung ist. „Es ist alles okay“,

beruhige ich mich. Der Abschied von meinen Eltern ist

kurz und schmerzlos. Als meine Mutter sich bückt, um

wieder ins Auto einzusteigen, gibt mein Vater ihr einen

Klaps auf den Po. Ich verdrehe die Augen, winke ihnen

nach und trete ins Haus ein.

Miss Drisko, die Haushälterin der Laroschs, nimmt mich

in Empfang. Die graublauen Augen der älteren Dame mus-

tern mich streng. In der Eingangshalle werde ich vom

Glanz des blitzsauberen Marmorbodens und dem Funkeln

der Kristallkronleuchter geblendet. Meine Turnschuhe

quietschen unangenehm laut auf dem glatten Boden. Die

Haushälterin geht schweigend vor mir her eine breite Trep-

pe hinauf in den ersten Stock. Ich folge ihr über einen Flur,

bis sie vor einer offenen Tür stehen bleibt. Sie zeigt mir

mein Zimmer. Es ist riesig, fast wie ein Saal, und unter der

Decke hängt ein gewaltiger Kronleuchter. Ich hoffe, dass

dieses glitzernde Ungeheuer nicht herunterkracht, vor al-

lem nicht auf mich. Das Badezimmer nebenan hat die

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Größe unseres Wohnzimmers. Ungefähr so luxuriös stelle

ich es mir in einem Nobelhotel vor.

„Gegessen wird Punkt zwölf im gelben Salon. Da werden

auch die Herrschaften anwesend sein“, informiert Miss

Drisko mich knapp.

Sie rückt ihre Schürze zurecht. So gebügelt wie ihre Schür-

ze wirkt auch ihr Gesicht. Ohne ein weiteres Wort verlässt

sie das Zimmer.

Ich hätte mir einen herzlicheren Empfang gewünscht, aber

offenbar ist das hier nicht so üblich.

Staubige Steine und alte Fotos

Im Zimmer riecht es ein wenig muffig. Es wirkt zwar alt-

modisch, aber es ist gemütlich. Die großen antiken Möbel

mit ihren Schnörkeln und Schnitzereien erinnern mich

an schlafende Tiere. Den Inhalt meiner Tasche habe ich

schnell in einem Kasten verstaut.

Bis zum Mittagessen habe ich Zeit, mich ein wenig umzu-

sehen. Ich gehe auf den Flur hinaus und öffne die erstbeste

Tür. Ich gelange in die Bibliothek. Meterlange Regale er-

strecken sich vom Boden bis zur Decke und beherbergen

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eine unüberschaubare Menge an Büchern. Einige

sind in Leder gebunden und wahrscheinlich uralt.

Ich entdecke Zeitschriften und großformatige Bildbände

über Schmuck und Edelsteine.

Das wundert mich nicht, denn dieses Haus war einst im

Besitz der Hilingers, einer Familie, die sich über Generatio-

nen auf die Herstellung von Schmuck spezialisiert hatte.

„Vincent Hilinger“, erzählte mir mein Vater am Abend

vor der Abreise, „war das letzte Oberhaupt der Familie. Er

hatte keine Nachkommen. Deshalb bestimmte er seinen

Geschäftsführer zum Erben des Imperiums, und so bekam

Onkel Albert die Firma und das Haus.“

In einer kleineren Vitrine neben einem der Fenster ent-

decke ich eine Schmucksteinsammlung. Die winzigen

Steine sind so staubverklebt, dass sie nicht mehr funkeln.

Bei jedem Steinchen liegt eine kleine Karte, auf der in ver-

schnörkelter Schrift der jeweilige Name steht, Smaragd,

Amethyst, Rubin … und daneben immer dieselbe Jahres-

zahl: 1912.

An der Wand über der Vitrine hängen alte gerahmte

Schwarzweißfotos. Alle Fotos zeigen drei Kinder, zwei

Buben und ein Mädchen. Beim Betrachten der Bilder über-

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kommt mich plötzlich ein eigenartiges Gefühl. Ich reiße

mich von dem Anblick los und weiche einen Schritt zu-

rück. Dabei wäre ich fast über ein Bärenfell gestolpert.

Der wuchtige Ohrensessel in einer Ecke des Raumes lädt

zum Sitzen ein. Ich platziere meine Füße auf einen Glas-

tisch, nehme ein Whiskyglas aus einem Teewagen neben

dem Sessel und stelle mir vor, ich würde in der anderen

Hand eine fette Zigarre halten. Das ist cool …

Plötzlich steht Miss Drisko im Raum. Weiß der Teufel, wie

die so unbemerkt hereingekommen ist!

„Ich wüsste nicht, was du hier zu suchen hast!“, blafft sie

mich an. „Der gelbe Salon befindet sich einen Stock tiefer.“

Ihre Augen sprühen Funken. Ich fühle mich wie festgena-

gelt. Um ihrem Blick zu entkommen, verdrücke ich mich

so schnell wie möglich in den Flur.

Ich habe eigentlich keine Ahnung, warum es ein Verbre-

chen sein sollte, in die Bibliothek zu gehen. Aber ich kom-

me mir vor wie ein Verbrecher.