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Karies – Folge einer Vernachlässigung? Karies – eine Kindeswohlgefährung? Fachtag Frühe Hilfen, Fachforum 6 Dr. Andrea Thumeyer 25.05.2019 Zahnärztin in Kriftel und Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege in Hessen (LAGH) Hiermit erkläre ich, dass zu den Inhalten der Veranstaltung kein Interessenkonflikt besteht. 1

Karies –Folge einer Vernachlässigung? Karies –eine ... · Karies ist die häufigste chronische Erkrankung im Kleinkind-und Kindergartenalter In Hessen ist jedes 6. Kind (circa

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Karies – Folge einer Vernachlässigung? Karies – eine Kindeswohlgefährung?

Fachtag Frühe Hilfen, Fachforum 6

Dr. Andrea Thumeyer

25.05.2019

Zahnärztin in Kriftel und Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege in Hessen (LAGH)

Hiermit erkläre ich, dass zu den Inhalten der Veranstaltung kein Interessenkonflikt besteht. 1

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Karies ist die häufigste chronische Erkrankung im

Kleinkind- und Kindergartenalter

In Hessen ist jedes 6. Kind (circa 15%) unter 3 Jahren(U3) von der der schweren Form der FrühenMilchzahnkaries (Early Childhood Caries = ECC)betroffen. Diese Kinder haben zwischen 4 und 20kariöse Läsionen (von 20 Milchzähne) und müssenunter Narkose saniert werden.

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Karies

Bei Schuleintritt hat etwa jedes zweite Kind in HessenKaries. Zu den Formen der Frühen Milchzahnkaries(ECC) kommen kariöse Läsionen im Bereich derKontaktpunkte der Milchmolaren im Oberkiefer undUnterkiefer hinzu.

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Wann?Milchzahnkaries kann entstehen, sobald der Zahn in der Mundhöhle erscheint (ab etwa 6. Lebensmonat = im Säuglingsalter!).

+ Eltern putzen die Zähne ihres Kindes nicht sauber: keine oder zeitweise fehlende oder unzureichende Plaquebeseitigung, insbesondere am Zahnfleischrand und interdental

9 Monate 1,5 Jahre 2,5 Jahre

+ Eltern überlassen ihrem Säugling/Kleinkind zu häufig die Säuglingsflasche/Trinklernbecher o.ä. mit einem zuckerhaltigenInhalt (Milch, zuckerhaltige Tees, Säfte usw.) zum Dauernuckeln (nachts!), Ü3 zu häufig und zu viel freie Zucker beim Trinken und Essen

+ kein (frühzeitiger) Besuch einer Zahnarztpraxis zur Vorsorge

Wodurch?

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Die Rolle der Zahnärzte in ihrer Praxis und als Patenschaftszahnärzte in der Gruppenprophylaxe (Kita)

Untersuchung der kindlichen Mundhöhle bei Verdacht auf Kindesmisshandlung, -missbrauch und/oder -vernachlässigung im Rahmen eines diagnostischen Prozesses

und

Anzeichen dentaler Vernachlässigung erkennen, wennKinder mit ihren Eltern die Zahnarztpraxis aufsuchen oderwenn Jugendzahnärzte Reihenuntersuchungendurchführen und/oder Patenschaftszahnärzte Kinder-tageseinrichtungen besuchen (Gruppenprophylaxe).

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Der White Spot (= initiale Karies) kann bereits im Zahndurchbruch entstehen!

Durch eine entsprechende Behandlung der Zähne, durch Aufklärung und Unterstützung der Eltern sind weitere Schäden abwendbar, da die 1. Stufe der Karies reversibel ist, d.h. wieder ausheilen (=wiederverkalken) kann.

Die 1. Stufe der Karies ist ein kreideweißer, matter Fleck (=White Spot=initiale Karies=Entkalkung unter der intakten Schmelzoberfläche) auf Milchzähnen.

Initiale Karies

Die Ampel für Hessen (seit 2013)

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Zahnärzte, JZÄ, Kinderärzte, Hausärzte, Hebammen und d alle weiteren Betreuungspersonen (Kooperationspartner gemäß § 2, § 3 KKG und BEP)

•leisten Präventionsarbeit,

•schicken alle Eltern ab Geburt mit ihrem Kind zur Zahnvorsorge (Kinderärzte

nutzen dafür das bestehende Verweissystem, Zahnärzte und

Kooperationspartner teilen das Zahnärztliche Kinderuntersuchungsheft an die

Eltern aus),

•geben Eltern die Verantwortung für saubere gesunde Zähne und geben Eltern

Hilfestellung bei der Veralltäglichung der Pflegehandlung im Kindermund,

•empfehlen, dass Kinder von Anfang an ausschließlich Wasser aus einem

offenen Becher zum Durstlöschen trinken sollen,

•informieren über die Bedeutung kauaktiver, naturbelassener Lebensmittel ohne

zugesetzten Zucker im Sinne des Konzeptes 5 Sterne für gesunde Zähne.

Ansprechpartner sind:

Prophylaxeorientierte, kinderfreundliche Zahnarztpraxen vor Ort

Jugendzahnärzte der Gesundheitsämter

Multiplikatoren der Gruppenprophylaxe (www.lagh.de)

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Ab der zweiten Stufe (Loch im Zahn) hat das Kind Zahnschmerzen...

... beim Essen und Trinken:kann/will nicht (mehr) kauenUnterernährung, Untergewicht,

Wachstumsverzögerung... nachts beim Einschlafen und

Schlafen: Schlafmangel, Erschöpfungdas Lernen und die Teilnahmeam täglichen Leben ist beeinträchtigt

... beim Zähneputzen verweigert die ZahnpflegeTeufelskreis!

Das Kind ist körperlich und seelisch beeinträchtigt. Es muss der zahnärztlichen Behandlung zugeführt werden!

A.Treuner_Greifswald

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Zahnärzte, JZÄ, Kinderärzte, Hausärzte, Hebammen und alle weiterenBetreuungspersonen (Kooperationspartner gemäß § 2, § 3 KKG und BEP)

•sprechen die Eltern auf den schlechten Mundgesundheitszustand des Kindes

an und klären sie über die Folgen auf,

•bieten Hilfen und Unterstützung an,

•empfehlen den Eltern geeignete Zahnarztpraxen,

•schicken die Eltern zum Zahnarzt und lassen sich bei Zweifel an der

Compliance der Eltern eine Bescheinigung vorlegen (gemäß § 4 Abs.2 KKG),

•nehmen Kontakt zu den Kooperationspartnern des Netzwerkes Frühe Hilfen

(§ 3 KKG) auf zur Gefährdungseinschätzung und Bewertung des Einzelfalles.

Ansprechpartner sind:

Insofern erfahrene Fachkraft der öffentlichen Jugendhilfe: Hier besteht ein

Anspruch auf Beratung gemäß §4 Abs. 2 KKG.

Prophylaxeorientierte, kinderfreundliche Zahnarztpraxis vor Ort

Jugendzahnärzte der Gesundheitsämter

Multiplikatoren der Gruppenprophylaxe (www.lagh.de)

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In der letzten Stufe sterben die Zähne langsam ab, es kommt unter massiven Schmerzen zur Abszess-Bildung.

... Chronischer Entzündungsprozess imKörper:

erhöhte InfektionsanfälligkeitStreuung der Bakterien über die Blutbahn Fieber

…Massive Zahnfehlstellungen mit eingeschränktem Kieferwachstum

falsche Entwicklung der Gesichtsknochen(ästhetisch und funktionell)falsche Zungenlage mit der Folge Mundatmung, reduzierte Sauerstoffversorgung, Haltungsschäden usw.

... Kein Kauen mehr möglich: Unterernährung / WachstumsverzögerungSprech- und Sprachentwicklungsstörungen und deren soziale Folgen

A.Treuner_Greifswald

Das Kind ist stark körperlich und seelisch beeinträchtigt. Es besteht ein akuter (Be)Handlungsbedarf.

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Zahnärzte, JZÄ, Kinderärzte, Hausärzte, Hebammen und alle weiteren Betreuungspersonen (Kooperationspartner gemäß § 2, § 3 KKG und BEP)

- nehmen Kontakt mit dem Jugendamt auf,

- benennen den Eltern den Verdacht der Kindeswohlgefährdung und

die Kontaktaufnahme mit dem Jugendamt (gemäß §4 Abs. 2 KKG:

Beratung und Übermittlung von Informationen).

Ansprechpartner sind: Jugendhilfe / Jugendamt Jugendarzt und Jugendzahnarzt des Gesundheitsamtes

Vernachlässigung beginnt ab dem Zeitpunkt, ab demsorgeberechtigte Personen auf die ihnen bekanntenzahnmedizinischen Probleme ihres Kindes nichtangemessen reagieren, d.h. trotz Gesprächen undHilfestellung zur Beseitigung der Ursachen und trotzhäufiger Aufforderung gehen die Eltern nicht mit ihremKind zum Zahnarzt oder verweigern die notwendigezahnärztliche Behandlung.

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Frage: Wann beginnt die Vernachlässigung?

Zitat Familienrichter Michael Grabow, Berlin, 2014:„Dentale Vernachlässigung“ sollte keinenfalls rechtsmedizinische Einzelfälle dramatisieren. Das „überdurchschnittliche Vorhandensein“frühkindlicher Karies sollte als Kindeswohl-gefährdung gesehen werden, in erster Linie deshalb, weil die ECC einen Schaden darstellt, der die Gesundheit des Kindesin die Zukunft hinein gefährden kann.

ECC ist ein Indikator für Vernachlässigung!

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