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BÜCHER ÜBER DEN ISLAM Alexandra Senfft Anfang oder Ende des gewalttätigen Islamismus? Bücher zur arabisch-islamischen Welt und zum Westen nach dem 11. September 2001 Die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben die Welt verändert, meinen die einen. Sie haben die bestehenden politischen Systeme nur weiter gefestigt, sagen die anderen. Kaum einer würde jedoch bestrei- ten, dass die schockierenden Ereignisse einschnei- dende Folgen hatten: der Afghanistankrieg, die Ver- schärfung der Sicherheitsgesetze, der beschleunigte Zusammenbruch der Weltwirtschaft und eine zu- nehmende Polarisierung im Nord-Süd-Konflikt als sichtbares Äußeres. Was sich indes im Inneren, unter der Oberfläche zusammenbraut, lässt sich bislang nur ahnen. Gleichwohl hat die grausame Tat der kriminellen Islamisten auch eine positive Dynamik in Gang ge- setzt: Der Eindruck, dass da etwas faul sei im globa- len Dorf, hat Fragen nach einem gesellschaftspoliti- schen Umdenken in den Vordergrund gerückt und für ein merklich gewachsenes Interesse am Islam ge- sorgt. Davon zeugen nicht zuletzt eine Reihe vorzüg- licher Bücher, die den Ursachen der Schieflage in der arabisch-islamischen Welt und der Wechselbeziehung zum Westen nachgehen. Vier dieser Bücher sollen hier vorgestellt werden. Diskussionsstoff bietet insbesondere das kom- plexe, atemberaubende Werk des renommierten fran- zösischen Islamwissenschaftlers, Soziologen und Politologen Gilles Kepel. Seine These: Der radikale Islamismus habe seinen Zenit schon längst über- schritten, der Terror sei ein Indiz für sein politisches Versagen, ja für die Schwäche der Bewegung. Die Ra- Gilles Kepel, Das Schwarzbuch des Dschihad. Aufstieg und Niedergang des Islamismus, Piper, München 2002, 532 Seiten, 29,90 Euro. 112 KAS-AI 10/02, S. 112–122

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  • BCHER BER DEN ISLAM

    Alexandra Senfft

    Anfang oder Endedes gewaltttigenIslamismus?Bcher zur arabisch-islamischen Weltund zum Westen nach dem 11. September 2001

    Die Terroranschlge vom 11. September 2001 habendie Welt verndert, meinen die einen. Sie haben diebestehenden politischen Systeme nur weiter gefestigt,sagen die anderen. Kaum einer wrde jedoch bestrei-ten, dass die schockierenden Ereignisse einschnei-dende Folgen hatten: der Afghanistankrieg, die Ver-schrfung der Sicherheitsgesetze, der beschleunigteZusammenbruch der Weltwirtschaft und eine zu-nehmende Polarisierung im Nord-Sd-Konflikt alssichtbares ueres. Was sich indes im Inneren, unterder Oberflche zusammenbraut, lsst sich bislang nurahnen.

    Gleichwohl hat die grausame Tat der kriminellenIslamisten auch eine positive Dynamik in Gang ge-setzt: Der Eindruck, dass da etwas faul sei im globa-len Dorf, hat Fragen nach einem gesellschaftspoliti-schen Umdenken in den Vordergrund gerckt undfr ein merklich gewachsenes Interesse am Islam ge-sorgt. Davon zeugen nicht zuletzt eine Reihe vorzg-licher Bcher, die den Ursachen der Schieflage in derarabisch-islamischen Welt und der Wechselbeziehungzum Westen nachgehen. Vier dieser Bcher sollenhier vorgestellt werden.

    Diskussionsstoff bietet insbesondere das kom-plexe, atemberaubende Werk des renommierten fran-zsischen Islamwissenschaftlers, Soziologen undPolitologen Gilles Kepel. Seine These: Der radikaleIslamismus habe seinen Zenit schon lngst ber-schritten, der Terror sei ein Indiz fr sein politischesVersagen, ja fr die Schwche der Bewegung. Die Ra-

    Gilles Kepel, DasSchwarzbuch des Dschihad.Aufstieg und Niedergang desIslamismus, Piper, Mnchen2002, 532 Seiten, 29,90 Euro.

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    dikalen, zum Beispiel in Palstina, beherrschten zwardie Straen und die Schlagzeilen, ihre Versprechenknnten sie aber nicht einlsen. Die Palstinenserwrden es bald leid sein, den hohen Preis fr dieSelbstmordanschlge auf Israelis zu zahlen.

    Kepel beschreibt die Entwicklung des Islamismusund seiner Ideologen seit der Grndung der Muslim-brder in gypten, 1928. Im Widerstreit mit Nassersnationalistischem Projekt konnten die Muslimbrderab 1967 auftrumpfen: Die Araber hatten den Krieggegen Israel verloren, der arabische Nationalismuswar als Ideologie gescheitert. Auch die Linken ver-mochten es nicht, die Massen fr sich zu gewinnen,und wurden von den herrschenden Regimen mitHilfe der Religisen in Schach gehalten: Der Isla-mismus verdankte seinen Erfolg einem paradoxenGemisch aus den ngsten der einen und den ent-tuschten Erwartungen der anderen. Dies, so Kepel,war die erste Phase.

    Die zweite begann mit dem Yom Kippur-Krieg1973: Mit ihrem lembargo gegen die westlichenVerbndeten Israels konnten die arabischen Erdl-frderlnder als Sieger aus der damaligen Nahost-Krise hervorgehen. Vor allem das finanzstarke Saudi-Arabien konnte von nun an seinen politischenEinfluss auf die islamische Welt geltend machen mitPetrodollars war der extrem konservative, wahhabiti-sche Islam unter den Sunniten leicht zu exportieren.Einen weiteren entscheidenden Impuls zur Auswei-tung des Islamismus gab die iranische Revolution1979. Am eklatanten Beispiel Iran zeigt Kepel, unterwelchen Umstnden der Islamismus stets besonderserfolgreich war wenn Intelligenzija, fromme Mittel-schicht und mittellose stdtische Jugend dieselben In-teressen verfolgten. Nicht viel anders verhielt es sichzu Beginn der ersten Intifada 1987.

    1989 erreichte der Islamismus seinen Hhepunkt:Es etablierte sich ein islamistisches Regime im Sudan,in Algerien feierten die Religisen groe Erfolge, undin Palstina war die islamistische Bewegung Hamasmeist populrer als die PLO. Mit dem Zusammen-bruch der UdSSR verbreitete sich der Islamismusber Bosnien, Tschetschenien bis nach Zentralasien.In Afghanistan zog die Rote Armee ab, und Khomei-nis Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdiekonnte gar Muslime in Europa begeistern.

  • Doch je grer der Erfolg der Bewegung, umsokrasser wurden ihre Widersprche. Mit dem Golf-krieg 1991 begannen der Abstieg und die dritte, vonKepel beschriebene, Phase. Ausgerechnet SaddamHussein fr seinen religisen Eifer nicht gerade be-kannt trug zur Spaltung bei, indem er mit religisgefrbten Parolen gegen die Saudis wetterte, weildiese die Stationierung alliierter Truppen auf musli-mischem Boden gestattet hatten. Die lscheichsmussten nun erfahren, dass ihr finanzieller Einflussseine Grenzen hat: Die islamische Doktrin konnte diesozialen Spannungen nicht mehr dmpfen. JeneGruppierungen, die die Bewegung zusammengekittethatte, entfremdeten sich zusehends. Der Mittelstandhoffte wieder auf die Marktwirtschaft. Die mittel-losen Jugendlichen, viele von ihnen ausgebildet inradikal-islamischen, pakistanischen Medresen, ver-sprengt in Afghanistan, entzogen sich jeglicher staat-licher Kontrolle und rutschten immer mehr ins kri-minelle Milieu ab. Das Ergebnis: Terroranschlge inder arabischen Welt und in Europa, 1993 der ersteAnschlag auf das World Trade Center. Von der Ge-walt fhlte sich bald vor allem der Mittelstand be-droht die Herrschaft der Taliban als abschreckendesBeispiel , und die einfache Bevlkerung litt vielen-orts unter den Gegenmanahmen der Herrschenden.Das islamistische Experiment war in der Sackgasse,sprach die Massen nicht mehr an, denn es fhrte po-litisch zu nichts, nirgendwo.

    Die Solidarisierung vieler Muslime mit Osama BinLaden hlt Kepel fr eine unmittelbar emotionale,die einen punktuellen Enthusiasmus bewirke, aberebenso schnell verpuffe und schon gar keinen nach-haltigen Mobilisierungseffekt erzeugen knne. DasProjekt Islam als tragende Ideologie fr die Massensieht er als erschpft. Moderate Islamisten suchen imBestreben, eine muslimische Demokratisierung in dieWege zu leiten, derweil schon den Schulterschluss mitder skularen Opposition. Ohne politische Reformenin der arabisch-islamischen Welt geht jedoch nichtsvoran, die Region wrde hoffnungslos im Chaos ver-sinken. Kepels bestechende These vom Niedergangdes Islamismus ist in Expertenkreisen durchaus um-stritten. berzeugend widerlegen konnte sie bislangjedoch noch keiner.

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    Der Schriftsteller, Journalist und Filmemacher Ta-riq Ali betrachtet den Nahen und Mittleren Osten auseinem anderen Blickwinkel, kommt jedoch zu hnli-chen Ergebnissen wie Kepel. 1943 in Lahore geboren die Stadt war damals noch indisch und unter briti-scher Kolonialherrschaft, bis sie Pakistan zugeschla-gen wurde wuchs Ali in einer alten muslimischenAdelsfamilie auf, beide Eltern aktive Kommunisten.20-jhrig emigrierte er nach England und studiertePhilosophie und Politik an der Oxford University,wo er bald zum ersten pakistanischen Vorsitzendender Studentenvereinigung avancierte. Wegen seinesWiderstands gegen die Militrdiktatur in Pakistankonnte Ali nicht zurckkehren, er blieb im LondonerExil. Was er als Mitglied der Bertrand-Russel-Frie-densstiftung 1966 in den vom Krieg verwsteten Ln-dern Vietnam, Laos und Kambodscha sah, schrftesein politisches Denken weiter. Zwei Jahre spterzhlte Ali zu den herausragenden Wortfhrern undVordenkern der internationalen Studentenbewegung.

    Die Lebenserfahrungen des pakistanischen Eng-lnders, seine Begegnungen mit herausragenden In-tellektuellen (etwa Bertrand Russel, Isaac Deutscher),Knstlern, Politikern oder auch pakistanischen Mi-litrs, ebenso wie seine Gesprche mit einfachen Leu-ten wie etwa dem Latino-Taxifahrer im New Yorkpost 11. September, weben sich in seinen Text. DieseMosaiksteine, gepaart mit Alis trockenem Humor,machen die geballten Informationen zu einer hchstanregenden Lektre und, wie zu erwarten war, zueiner provokanten Streitschrift.

    Die These des Mitherausgebers der Londoner NewLeft Review: Es gibt keinen Zusammenprall derKulturen, wie von Samuel Huntington postuliert,sondern einen Zusammenprall der Fundamenta-lismen. In unserer Welt stehen sich zwei fundamen-talistische Strmungen gegenber. Einerseits derreligise, andererseits der imperialistische Funda-mentalismus. Ich zeichne den amerikanischen Impe-rialismus vom 19. Jahrhundert bis heute nach. Dazeigt sich, dass die USA in der Verfolgung ihrerEigeninteressen ebenso fundamentalistisch und fana-tisch sind wie die islamistischen Fhrer.

    Ali beschreibt die Einmischung der Gromacht inder Region, deren Ziel es ist, ihren Zugang zum Erdlzu sichern. Um das zu erreichen, untersttzt die US-

    Tariq Ali, Fundamen-talismus im Kampf um dieWeltordnung. Die Krisen-herde unserer Zeit und ihrehistorischen Wurzeln, Hein-rich Hugendubel Verlag,Mnchen 2002, 416 Seiten,23 Euro.

  • Regierung je nach Interessenlage skrupellos die an-sssigen reaktionren, diktatorischen Regime, allenvoran Saudi-Arabien, und zugleich radikal-islamisti-sche Gruppen wie die Taliban in Afghanistan oderdie islamische Widerstandsbewegung Hamas in Pa-lstina. Demokratisierungsprozesse waren in diesemKonzept nicht vorgesehen. Die Entwicklungen in Af-ghanistan betrachtet Ali hchst skeptisch: Es sei vl-lig illusorisch zu glauben, die gegenwrtige Regie-rung knne lange halten. In Pakistan, Saudi-Arabienund gypten erwartet er einen Blowback, der dieWeltordnung auf unvorhersehbare Weise destabilisie-ren knnte. Anlass zur Sorge bereiten ihm nicht zu-letzt die Spannungen zwischen Indien und Pakistansowie die Lage in Kaschmir Lnder, auf deren hi-storisch-politischen Entwicklungen er mit viel De-tailwissen eingeht.

    Beispiel Irak: Einst ein enger Verbndeter Was-hingtons, wurde Saddam Hussein zum Erzfeind. DieBesetzung Kuwaits, wo zwei Fnftel der weltweitenlreserven lagern, war nicht im amerikanischem In-teresse ganz im Gegensatz zu Palstina, dessen fort-dauernde Besatzung die USA dulden, indem sie Israelmilitrisch, finanziell und politisch frdern. Seit zehnJahren bombardieren amerikanisch-britische Flug-zeuge immer wieder den Irak: 6000 Luftschlge,Bomben bis zum letzten Auenabort, wie ein ame-rikanischer Regierungsbeamter sagte. Die hauptsch-liche Verwstung des Landes entsteht indes durch dieSanktionen. Laut UNICEF starben schon eine halbeMillion Kinder an dem Versorgungsengpass; mancheExperten schtzen eine Million Tote insgesamt. Esgilt das Prinzip: die Verbrechen der Feinde bestrafen,die der Freunde belohnen, sagt Ali. Und zitiert TonyBlairs persnlichen Assistenten Robert Cooper: Wirmssen uns an den Gedanken unterschiedlicher Ma-stbe gewhnen. Auch die britische Regierung ent-geht Alis scharfem Urteil nicht.

    Der mgliche Eindruck jedoch, der Autor bedienesich antiamerikanischer Klischees, fasst entschiedenzu kurz. Ali ein bekennender Atheist, der die Wert-vorstellungen der Aufklrung vertritt verabscheutjede Form menschenverachtender Dogmen und Be-wegungen. Deshalb ist auch seine Kritik am moder-nen Islam nicht gerade zimperlich: rckstndig seier und dringend reformbedrftig. Stellte Ali in den

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    ersten Kapiteln Ursprung und Entwicklung des Islamund sein groes Kulturerbe dar, so schliet er seinBuch mit einem fiktiven Brief an einen Muslim. DieMuslime, sagt er, sollten aus ihrer Apathie emportau-chen, aufhren, sich selbst zu bemitleiden und anderefr ihre Misere verantwortlich zu machen. Die Weltdes Islam msse sich neuen, fortschrittlichen Ideenffnen, Staat und Religion gehrten getrennt. Wennder Westen der Region jedoch helfen wolle, msse erendlich aufhren, sich einzumischen.

    Eine kritische Bilanz ber den Zustand der ara-bisch-islamischen Welt ziehen auch die meistenAutoren in dem Sammelband zum 11. September,herausgegeben von dem Verleger Georg Stein unddem Kairo-Korrespondenten des Spiegel, VolkhardWindfuhr. Mit 26 Beitrgen wollen die Herausgeberden Hintergrnden und Folgen des Terroranschlagsauf den Grund gehen sowie Perspektiven aufzeigen.Interessant sind in diesem Zusammenhang vor allemdie Anmerkungen der arabischen Intellektuellen. Soetwa zieht der namhafte syrische Philosoph und So-ziologe Sadik Jalal al-Azm einen Vergleich zwischenden islamistischen Gewaltaktionen und dem europ-ischen Linksterrorismus der siebziger Jahre: Dereuropische Linksterrorismus sei ein verzweifelterAusbruchsversuch aus der historischen Sackgasseund strukturbedingten Endkrise des Kommunismus,der radikalen Arbeiterbewegung, der Dritte-Welt-Bewegung und der revolutionren Strmungen rundum den Erdball gewesen. Nicht viel anders sei das is-lamistische action directe-Programm ein verzweifel-ter Versuch einiger Extremisten, die historische Aus-weglosigkeit und die strukturbedingte Endkrise zuberwinden, in die der weltweite Islamismus in derzweiten Hlfte des 20. Jahrhunderts geraten war. Al-Azm folgert wie Kepel, dass diese Anschlge dieAuflsung und den Niedergang des militanten Isla-mismus im allgemeinen einluten knnten.

    Er ermahnt die Muslime, nicht mehr der gloriosenVergangenheit, der Bltezeit des Islam, hinterher zutrauern. Stattdessen sollten sie ihr Selbstbild korrigie-ren: Tief in unserem Innern glauben wir immernoch, dass wir in der Geschichte Subjekt und nichtObjekt, Beweger und nicht Bewegte sind. Wir habenuns nie wirklich damit abgefunden, dass wir in dermodernen Geschichte eine Nebenrolle spielen und

    Georg Stein/VolkhardWindfuhr (Hg.), Ein Tag imSeptember 11.9.2001. Hin-tergrnde. Folgen. Perspek-tiven, Vorwort ButrosButros-Ghali, PalmyraVerlag, Heidelberg 2002,399 Seiten, 26 Euro.

  • eher reagieren als agieren. Fort mit der Vorstellung,letztendlich werde sich ja doch alles wieder einren-ken, sagt al-Azm, der in Damaskus und Princetonlehrt. Wenn die Araber und Muslime eine Zukunfthaben wollten, mssten sie den Gegensatz zwischenAnspruch und Realitt berwinden. Denn der Zu-sammenprall des bersteigerten Selbstbilds mit derTrostlosigkeit des Alltags erzeuge hochfliegendeIllusionen sowie massive Minderwertigkeitskom-plexe und mnde im Terror. Der syrische Vorden-ker kritisiert Samuel Huntingtons These vom Kampfder Kulturen: Huntington reduziert Zivilisation aufKultur, Kultur auf Religion und Religion auf eine ar-chetypische Konstante. So schaffe er einen Homo is-lamicus und einen Homo oeconomicus und be-schrnke sich darauf, den Islam und den Westen alszwei unvereinbare, verdinglichte Ideologien gegen-berzustellen. Nicht anders hielten es die Islamisten.Zu einem wirklichen Zusammenprall der Kulturenknne es aber schon deshalb nicht kommen, weil derIslam viel zu schwach sei, um eine Herausforderungoder Gefahr fr den Westen darzustellen. Der heu-tige Islam ist noch nicht einmal eine echte Zivilisa-tion, wenn man darunter etwas Aktives, Selbstbe-stimmtes und Effizientes versteht.

    Der palstinensische Kulturkritiker Edward Saidund Adonis dieser gilt als bedeutendster zeitgens-sischer arabischer Dichter weisen darauf hin, dassKulturen eine innere Dynamik und Vielfalt besitzen.ber die Jahrhunderte hinweg htten sie sich nichtnur bekmpft, sondern vor allem auch gegenseitig be-fruchtet. Von Anfang an sei der Islam Teil des Westensgewesen, sagt Said, und Adonis betont, dass die Ara-ber bis auf die Knochen vom anderen durchdrun-gen seien. Benutzen doch selbst die Al-Qaida-Kmpfer Waffen, die nicht sie, sondern die anderenerfunden htten. Es gibt mehr Gemeinsamkeitenzwischen scheinbar gegenstzlichen Kulturen, als diemeisten von uns wahrhaben wollen, so Said. Adonisgeht weiter und fordert eine kulturelle Renaissance fr Europa und fr die Menschen auf der ganzenWelt.

    Ohne Kritik kommt freilich auch die Nahostpoli-tik des Westens nicht davon. Die Autoren des Buches,bekannte deutsche Journalisten, Islamwissenschaftlerund Nahostexperten, untersuchen die geostrategi-

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    schen Interessen der USA und das Versagen der ame-rikanischen Geheimdienste (Wilhelm Dietl). Der ira-nische Politikwissenschaftler Mohssen Massarat (UniOsnabrck) weist ebenso wie Tariq Ali darauf hin,dass die USA 1991 ber Saddam Husseins Plne, Ku-wait zu besetzen, informiert gewesen seien, ihn abernicht daran gehindert htten. Fakt sei, dass ohne dieBesetzung Kuwaits die direkte militrische Prsenzder USA in Dhahran und Riad (Saudi-Arabien) sowiein Kuwait, das heit in unmittelbarer Reichweite dergrten Erdllagersttten der Welt, genauso unwahr-scheinlich gewesen wre wie die Errichtung neuerUS-Militrsttzpunkte in Zentralasien (Usbekistan,Kirgisistan) und entlang der l- und Gastransport-routen in der Region des Kaspischen Meers ohneOsama Bin Laden und den 11. September. Der ehe-malige Nahostkorrespondent der Sddeutschen Zei-tung, Rudolph Chimelli, beleuchtet die Solisten-rolle der USA im Kampf gegen den Terror. EineKoalition im Bombenangriff gegen Afghanistanhabe es aus rein politischer Kosmetik gegeben. Dabeihtten die USA 98 Prozent der Lufteinstze und dieBriten lediglich zwei Prozent ausgefhrt. Die Macht-losigkeit der Europer sei noch nie zuvor so offen-sichtlich geworden. Im Palstina-Konflikt wsstenalle Beteiligten, dass nur die Amerikaner die Israeliszum Einlenken bewegen knnen. Die Israelis wissenes, die Palstinenser wissen es, und jeder wei es vomanderen, dass er es wei. Die bedingungslose Unter-sttzung Israels durch die USA sei jedoch die Achil-lesferse der amerikanischen Nahostpolitik: So langedieses Leiden nicht geheilt ist, wird in der Region per-manente Krise herrschen, so Chimelli.

    Michael Lders, Publizist und Politikberater derFriedrich-Ebert-Stiftung, glaubt ebenfalls nicht aneinen dauerhaften Demokratisierungsprozess in Af-ghanistan. Letztlich seien die Taliban nicht berwie-gend wegen der Bomben in die Knie gezwungen wor-den, sondern wegen der Kuflichkeit der anderenKriegsherren. Sobald die Terrorallianz sich auf ein an-deres Land konzentrieren werde, komme die Stundeder Wahrheit: Ob die gegenwrtige Regierung dannnoch halten werde? Absurd sei es auch zu glauben,die afghanischen Frauen seien nun befreit. Die Tali-ban htten die Entrechtung der Frau zwar in denRang einer Ideologie erhoben, nicht jedoch erfun-

  • den. Spektakulre Gesten hlfen da nicht weiter: Esbrauche lange, Stammestraditionen zu berwinden.

    Bezglich ihrer Politik der uneingeschrnktenSolidaritt mit den USA erntet die rot-grne Regie-rung bei mehreren Autoren unverblmte Kritik. DerErziehungswissenschaftler Micha Brumlik, der bisvor einem Jahr Mitglied der Grnen war und frhersogar dem Frankfurter Stadtrat angehrte, geht gar soweit, konservativen Kommentatoren recht zu geben,die der Bundesregierung vorgehalten hatten, sichaus Eigeninteresse militrisch weltweit sehen lassenzu wollen. Bei der Untersttzung des Militreinsat-zes sei es Bundeskanzler Schrder wohl weniger umein moralisches Bndnis als vielmehr um die Wahr-nehmung unserer eigenen Interessen gegangen sprich: die lquellen.

    Kondensierte Informationen und eine Flle vonDenkansten machen dieses Buch sehr lesenswert.Getrbt wird das positive Gesamtbild durch einenBeitrag von Jrgen Mllemann, dessen Vorschlag freine Konferenz ber Sicherheit und Zusammenarbeitim Nahen Osten ebenso konstruktiv wie berholt ist.Wie allenthalben bekannt, hatten Mllemanns ue-rungen zum Palstina-Konflikt willentlich oder un-willentlich antisemitische Vorurteile genhrt und imSommer zu einem greren ffentlichen Eklat ge-fhrt; nach Einschtzung des VerfassungsschutzesNRW hat das rechtsextreme Lager durch die scharfeIsrael-Kritik des FDP-Politikers merklich Auftriebbekommen. Bedauerlich ist ferner, dass LudwigWatzal, Lehrbeauftragter an der Universitt Bonnund Publizist, zum israelisch-palstinensischen Kon-flikt das Wort ergreifen darf. Gewiss, seine Vorwrfegegen die israelische Regierung sind zum groen Teildurchaus berechtigt, schieen in ihrer Distanzlosig-keit zur palstinensischen Seite jedoch ber das Zielhinaus. Glaubwrdiger und authentischer wre hieranstelle des aufgeregten Deutschen Watzal ein pal-stinensischer oder israelischer Autor gewesen.

    Fr einen schnellen, aber serisen berblick berdie Region nach dem 11. September sei zuletzt nochdas Buch des Publizisten und langjhrigen frherenZeit-Redakteurs Michael Lders empfohlen. Lders heute Politikberater der Friedrich-Ebert Stiftung inBerlin nimmt seine Leser mit zu einer Tour dhori-zon quer durch die Krisenregion des Nahen und

    Michael Lders, Wirhungern nach dem Tode:Woher kommt die Gewaltim Dschihad-Islam?, ArcheVerlag, Zrich/Hamburg2001, 120 Seiten, 10 Euro.

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    Mittleren Ostens: Basisinformation, Erlebnisberichtund Analyse wechseln sich ab. Dabei untersucht ereinige der Wurzeln von Terror und Gewalt. Der is-lamische Fundamentalismus ist kein Modell zurberwindung der gesellschaftlichen und politischenKrisen der islamischen Welt, sagt Lders, er ist,ganz im Gegenteil, ein Krisensymptom, ein ideologi-sches und identittsstiftendes Modell vor allem frsozial Deklassierte. Der Autor unterscheidet zwi-schen der islamischen Orthodoxie, dem Volksislamund dem traditionalistischen Islam, der seit dem7. Jahrhundert vorherrscht und heute von rund1,3 Milliarden Muslimen gelebt wird. Die gewalt-ttige Form des Islam nennt Lders den Dschihad-Is-lam.

    Diese Form des radikalen Islamismus sei gewis-sermaen eine islamistische Internationale. Ihre Ur-sprnge liegen in Saudi-Arabien, dessen herrschendeElite ihn ideologisch und finanziell nhrt, und in Pa-kistan mit seiner verarmten Bevlkerung, wo die ver-sprengten Deklassierten ausgebildet werden. DieTaliban, sagt Lders, seien anfangs keineswegs anti-amerikanisch oder gar anti-westlich eingestellt gewe-sen. Htte die Clinton-Administration ihnen 1998 einGeschft vorgeschlagen, htten sie Osama Bin Ladenvermutlich ausgeliefert. Stattdessen lie Clinton des-sen Ausbildungslager in Afghanistan zerstren, alsVergeltung fr die Anschlge auf die US-Botschaftenin Kenia und Tansania. Es sei ein aus der Lewinsky-Affre geborener Aktionismus, der dem Dschihad-Islam den Ritterschlag verlieh. Die Fronten warennun geklrt, Bin Laden hatte freie Hand, den 11. Sep-tember vorzubereiten.

    Auch wenn Lders brigens ebenso wenig wiedie anderen Autoren der vorgestellten Bcher keineAntwort darauf gibt, wie dem Terror unmittelbar zubegegnen sei, hat er Recht, wenn er zum Afghanis-tankrieg sagt, es sei nicht Aufgabe der Amerikaner,Regime zu strzen. Der Feldzug in Afghanistan habedas Land nur weiter destabilisiert und die Rahmen-bedingungen fr den Terrorismus verstrkt. Die isla-mischen Gesellschaften mssten mit dem Extremis-mus in ihrer Mitte selber fertig werden.

    Ebenso richtig ist sein Pldoyer fr einen Dialogmit der islamischen Welt. Dabei sei es wichtig, dieseals gleichberechtigten Partner und nicht als strategi-

  • sche Verfgungsmasse zu behandeln. Der Westensollte die Maximalisten isolieren, indem er vor allemdie Vertreter der Zivilgesellschaft, die demokratischeOpposition, strke. Selbstgeflligkeiten und Siegerat-titden hlfen hier nicht weiter, sondern gefhrdetendie offene Gesellschaft und das westliche Freiheitsan-gebot fast ebenso wie der Terrorismus selbst. LdersResmee: Die Erneuerung der arabisch-islamischenWelt konstruktiv zu begleiten ist eine der grten,wenn nicht die grte Herausforderung westlicherPolitik.

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