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2. Grundstrukturen des Rechts
1
Kathrin Becker-Schwarze
Grundstrukturen des Rechts
Fulda, 2011
Modul 14: Einführung Recht
2. Grundstrukturen des Rechts
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2. Grundstrukturen des Rechts ...................................................................................................................................... 4
2.1. Rechtsgebiete ...................................................................................................................................................... 4
2.1.1. Rechtsgebiete – allgemein ............................................................................................................................ 5
2.1.2. Rechtsgebiete – systematisch ....................................................................................................................... 6
2.2. Rechtsquellen ...................................................................................................................................................... 8
2.2.1. Recht und Rechtsnormen – allgemein .......................................................................................................... 9
2.2.2. Rangordnung der Rechtsnormen ................................................................................................................ 10
2.2.2.1. Supranationales Recht ......................................................................................................................... 11
2.2.2.2. Grundgesetz (GG) und Landesverfassungen ........................................................................................ 11
2.2.2.3. Bundes-‐ und Landesgesetze ................................................................................................................. 11
2.2.2.4. Bundesrechtsverordnung/Landesrechtsverordnung ........................................................................... 12
2.2.2.5. Satzungen ............................................................................................................................................. 13
2.2.2.6. Verwaltungsvorschriften ...................................................................................................................... 13
2.3. Verfassungsrechtliche Grundlagen .................................................................................................................... 15
2.3.1. Demokratieprinzip ...................................................................................................................................... 16
2.3.2. Sozialstaatsprinzip ...................................................................................................................................... 16
2.3.3. Rechtsstaatsprinzip ..................................................................................................................................... 17
2.3.3.1. Gesetzmäßigkeit des staatlichen Handelns .......................................................................................... 18
Studien(teil)brief 2 Rechtliche Grundlagen
2. Grundstrukturen des Rechts
Dozentin: Prof. Dr. Kathrin Becker-‐Schwarze E-‐Mail: becker-‐[email protected] Telefon: 0421 327640
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2.3.3.2. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ..................................................................................................... 20
2.3.3.3. Grundsatz des Vertrauensschutzes ...................................................................................................... 21
2.3.4. Grundrechte ................................................................................................................................................ 21
2.4. Rechtsschutz und Gerichte ................................................................................................................................ 25
2. Grundstrukturen des Rechts
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2. Grundstrukturen des Rechts
2.1. Rechtsgebiete
Ausgangsfall
Frau Meyer ist Leiterin einer Kindestageseinrichtung in Berlin. Dort werden verschiedene Gruppen betreut. Aus der Gruppe „Rasselbande“ wird ihr von den ErzieherInnen berichtet, dass der dreijährige Max J. seit einiger Zeit ge-‐wisse Vernachlässigungserscheinungen aufweist. Der Junge kommt häufig ohne Frühstück in die Gruppe, trägt defekte und dreckige Kleidung, die auch nach den Witterungsbedingungen unzureichend sind. Es ist bekannt, dass die Eltern des Max nicht nur ökonomische Schwierigkeiten haben, sondern auch in schweren Beziehungsproblemen stecken. Der Vater des Max ist von zu Hause ausgezogen und lebt mit einer neuen Partnerin zusammen. Die Mutter ist dadurch in eine schwere Krise gestürzt. Die ErzieherInnen haben bereits das Gespräch mit den Eltern gesucht. Dies hat aber bisher wenig gebracht. Die Freundin des Vaters hat Max gegen den Willen seiner Mutter von der Kinderta-‐geseinrichtung abgeholt.
In der Gruppe „Schneckenpost“ ist es zu einem Unfall gekommen. Die ErzieherInnen waren mit ihrer Gruppe auf einem benachbarten Spielplatz. Die-‐ser Spielplatz ist in einem sehr maroden Zustand. Die ErzieherInnen hatten den Kindern verboten, auf das Klettergerüst zu steigen, weil die Sprossen morsch waren. Die fünfjährige Luisa, ein ziemlich agiles Kind, ist dennoch unbeobachtet von den ErzieherInnen auf das Gerüst geklettert. Dabei ist die Sprosse gebro-‐chen und Luisa aus 2 m Höhe in den Sand gefallen und hat sich dabei den Arm gebrochen. Die Eltern sind empört und wollen das Kind aus der Einrichtung nehmen und überlegen rechtliche Schritte. In der gleichen Gruppe ist auch Mitja, der mit seinen Eltern illegal nach Deutschland eingereist ist.
Die dritte Gruppe „Bärentatze“ hat einen anerkannten Schwerpunkt in der Montessori-‐Pädagogik. Familie Klug hat ihren fünfjährigen Sohn in dieser Gruppe und möchte gerne, dass die dreijährige Tochter Johanna, die geistig behindert ist, ebenfalls in dieser Gruppe aufgenommen wird.
Aufgabe 1
Lesen Sie sich den Fall noch einmal gründlich durch.
Versuchen Sie die möglichen Rechtsprobleme zu benen-‐nen
Zwischen wem werden die Rechtsbeziehungen herge-‐stellt?
2. Grundstrukturen des Rechts
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Lernziel
Die hier geschilderten Probleme werden den meisten von Ihnen aus Ihrer Pra-‐xis bekannt sein. Ziel dieser Einheit ist es (noch) nicht, die rechtlichen Fragen konkret zu lösen, sondern im ersten Schritt geht es um eine Strukturierung der Rechtsfragen. Sie werden es anders als wir JuristInnen immer mit komplexen Lebenslagen zu tun haben. Dabei werden Sie die vielfaltigen Fragen, mit denen Sie konfrontiert werden, zunächst einmal sondieren müssen. Sie müssen sich also immer die Frage stellen, um was für ein Rechtsproblem es denn im Einzel-‐nen geht.
2.1.1. Rechtsgebiete – allgemein
Sehen wir uns nun die Rechtsbeziehungen im Einzelnen an:
Wenn die Eltern des Max um das Aufenthaltsbestimmungsrecht ihres Sohnes streiten, dann streiten sich Mutter und Vater als Privatpersonen, weil es – um es ein bisschen lax auszudrücken – die Familie zunächst eine „Privatveranstal-‐tung“ ist. Wir befinden uns also im Privatrecht. Wollen wir klären, wie es mit der elterliche Sorge bzw. dem Aufenthaltsbestimmungsrecht steht, müssen wir in einem Gesetz suchen, das die Rechtsbeziehungen zwischen Privatpersonen regelt. Die elterliche Sorge gehört – wie Sie sicher wissen – zum Familienrecht. Und das Familienrecht ist im BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) geregelt.
Liegt bei Max eine starke Vernachlässigung vor, stellt sich für die ErzieherIn-‐nen/Leitung die Frage des Schutzauftrages dergestalt, ob der Träger der öffentlichen Jugendhilfe eingreifen wollte, z. B. durch eine Inobhutnahme. Es greift also der Staat hoheitlich in die Privatsphäre der Eltern ein. Es geht hier also um eine Rechtsbeziehung zwischen Eltern und Staat und damit sind wir im Öffentlichen Recht. Unter welchen Voraussetzungen der Staat eingreifen darf und welche Pflichten für Träger daraus entstehen, finden Sie also in öffentlich-‐rechtlichen Gesetzen, hier: §§ 8a, 42 SGB VIII.
Bei dem Sturz von Luisa geht es um mögliche Schadensersatzansprüche, die die Eltern gegenüber den Aufsicht führenden ErzieherInnen/demTräger gelten machen können. Die Eltern lassen ihre Tochter in der Kindertageseinrichtung betreuen. Sie schließen also einen Betreuungsvertrag ab. Es ist keine Behörde beteiligt. Wir sind also im Privatrecht.
Lösung
Betrügen Sie sich nicht selbst und sehen Sie erst nach, nachdem Sie sich selbst
Gedanken gemacht haben!
Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG
„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“
Aufgabe 2
Sehen Sie sich einmal das Inhaltsverzeichnis des BGB an und schauen sich an, wie es aufgebaut ist. Wo ist Familienrecht geregelt?
2. Grundstrukturen des Rechts
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Der Sturz von Luisa hat aber möglicherweise nicht nur Schadensersatzansprü-‐che zu Folge, sondern die aufgebrachten Eltern können auch Anzeige bei der Polizei erstatten. In einem solchen Fall prüft die Ermittlungsbehörde, ob der Tatbestand der (fahrlässigen) Körperverletzung vorliegt. Damit sind wir im Strafrecht. Und das zentrale Gesetz für das Strafrecht ist das Strafgesetzbuch (StGB). Dort wird genau festgelegt, welche Handlungen nicht toleriert werden und unter Strafe (Freiheitsstrafe oder Geldstrafe) gestellt sind.
2.1.2. Rechtsgebiete – systematisch
Und jetzt noch einmal systematisch! Sie haben also erfahren, dass folgende Rechtsgebiete zu unterscheiden sind:
• Privatrecht, • Öffentliches Recht und • Strafrecht
Diese Unterscheidung ist nicht akademischer Natur, sondern daran sind weitreichende Folgen geknüpft. Zum einen gibt es unterschiedlich zu beach-‐tende Dogmatiken. Um es einmal lax auszudrücken: das Öffentliche Recht tickt ganz anders als das Privatrecht und das Strafrecht. Ferner ist diese Unterschei-‐dung wichtig für die Rechtswege. Mit Rechtswegen sind die unterschiedlichen Gerichtszweige (Verfassungsgerichte, Verwaltungsgerichte, Sozialgerichte, Strafgerichte, Arbeitsgerichte, Finanzgerichte) gemeint.
Das Privatrecht regelt die Beziehungen zwischen privaten Akteuren. Kennzei-‐chen des Privatrechts ist – zumindest war das die Idee der Gründer des BGB –, dass die Akteure gleichberechtigt, sozusagen auf Augenhöhe, Rechtsbeziehun-‐gen eingehen. Und das zentrale Instrument für die Begründung von Rechtsverhältnissen ist der Vertrag. Wenn Sie morgens Ihre Brötchen beim Bäcker kaufen, schließen Sie mit dem Bäcker einen Kaufvertrag. Bezahlen Sie die Brötchen nicht, hat der Bäcker einen Anspruch auf Bezahlung des Kaufprei-‐ses. Nun werden Rechtsverhältnisse zwischen Privaten nicht nur durch einen Vertrag (z. B. Kaufvertrag, Mietvertrag, Betreuungsvertrag usw.) begründet, sondern das BGB regelt auch Ausgleichsverhältnisse. Kommt jemand durch das Verhalten eines anderen zu Schaden, z. B. durch eine Aufsichtspflichtverlet-‐zung, berechtigt dieses Verhalten unter Umständen zu Schadensersatzansprü-‐chen. Zum Privatrecht zählt auch das Arbeitsrecht, gleichwohl handelt es sich
§ 229 StGB fahrlässige Kör-‐perverletzung
Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geld-‐strafe bestraft
Aufgabe 3
Wie sieht es jetzt mit der Meldepflicht und dem An-‐spruch auf einen Kindergar-‐tenplatz aus? Zu welchen Rechtsgebieten ?
Materialien
Falterbaum, Rechtli-‐che Grundlagen der Sozialen Arbeit, 2007, S. 46-‐51 (le-‐sen!)
Stahlmann, Studiengang BASS, Studienbrief O 2, Blitz-‐licht: Rechtsgebiete in 5 Minuten (lesen!)
Anspruch bedeutet, dass je-‐mand von einem anderen rechtlich etwas verlan-‐gen/fordern kann.
2. Grundstrukturen des Rechts
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um ein eigenständiges Rechtsgebiet.
Das Strafrecht stellt bestimmte gesellschaftlich nicht akzeptierte Verhaltensweisen, die die Gemeinschaft beeinträchtigen, unter Strafe. Der Staat hat gegenüber dem Bürger das Strafmonopol. Das Strafrecht ist auch für den Bereich der Sozialen Arbeit von Bedeutung, insbesondere dann, wenn Sie eine Garantenstellung gegenüber einer Familie haben. Liegen Ihnen beispiels-‐weise eindeutige Zeichen einer Kindeswohlgefährdung vor und unternehmen Sie nichts zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung und kommt es zum Tode oder zur schweren Schädigung, kann es sein, dass Sie für Ihr Untätigbleiben strafrechtlich belangt werden können.
Das Öffentliche Recht regelt die Rechtsbeziehungen zwischen Staat und dem Bürger, aber auch die Beziehungen zwischen staatlichen Einrichtungen. Für unseren Kontext kommt es auf das Verhältnis Staat – Bürger an. Traditionell heißt es immer, dass für das Öffentliche Recht das Über-‐ und Unterordnungsverhältnis zwischen Staat und Bürger kennzeichnend war. Damit ist gemeint, dass der Staat (Verwaltung) hoheitlich in die Rechte von Bürgern eingreift. Man spricht dann auch von der Eingriffsverwaltung oder Ordnungsverwaltung. Wenn der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ein Kind wegen des Verdachts auf Kindeswohlgefährdung Inobhut nimmt, greift der Staat in die Sphäre der Eltern ein. Diese Funktion der Über-‐ und Unterordnung tritt im modernen Sozialstaat immer mehr in den Hintergrund. Das staatliche Handeln ist immer mehr auf die Sicherung der Daseinsvorsorge und der Förde-‐rung der sozialen Gerechtigkeit ausgelegt. Wir haben es also verstärkt mit einer Leistungsverwaltung zu tun.
Aufgaben 4
Unten finden Sie ein Raster, mit dem Sie arbeiten kön-‐nen. Ordnen Sie die Rechtsfragen, die im Bereich der frühkindlichen Bildung relevant sein können den Rechtsgebieten zu.
Schaubild Rechtsgebiete
2. Grundstrukturen des Rechts
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2.2. Rechtsquellen
Ausgangsfall
Der 2004 geborene Paul wohnt in Nordrhein-‐Westfalen und wurde vom zuständigen Schulamt der Förderschule mit dem Förderungsschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung zugewiesen. Die Eltern von Paul klagen gegen den Bescheid des Schulamtes. Sie wollen einen Wechsel ihres Sohnes zur Hauptschule (allgemeine Schule) bei Fortbestehen der sonderpädagogischen Förderung gemäß § 15 Abs. 2 der Verordnung über sonderpädagogische Förde-‐rung, Hausunterricht und die Schule für Kranke, (AO-‐SF). Dieser Antrag auf Wechsel zur Hauptschule wurde abgelehnt. Die Eltern haben dagegen von dem Verwaltungsgericht geklagt.
Das VG Arnsberg v. 17.8.2010 (AZ:10 L 397/10) führt dazu aus:
„Abgesehen davon, dass den Antragstellern aus dem Erziehungsrecht der El-‐tern gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG), Art. 8 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Landes Nordrhein-‐Westfalen (LV NRW) sowie ihrem Sohn G. aus dem Grundrecht des Schülers auf Erziehung und Bildung gemäß Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 Satz 1 LV NRW i. V. m. einfachem Recht (§§ 19 Abs. 2, 20 Abs. 1, 2, 4 und 7 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-‐Westfalen -‐ SchulG -‐ i. V. m. §§ 1 Abs. 2 und 3, 13 Abs. 1 Ziffer 3, 15 Abs. 1 und 2, 19 Abs. 1, 26 Abs. 1, 30 Abs. 2 und 3, 37 Abs. 1 und 2 AO-‐SF) ein Anspruch auf die begehrte vorläufige Teilnahme am (zielgleichen) Gemeinsamen Unterricht einer allgemeinen Schule nicht zusteht, können sie sich auch nicht mit Erfolg auf Art. 24 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Men-‐schen mit Behinderungen (UN-‐BRK) vom 13. Dezember 2006, in Kraft getreten in Deutschland 30 Tage nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde des Bundespräsidenten am 26. März 2009, nachdem der Bundestag dem Übereinkommen mit Vertragsgesetz vom 21. Dezember 2008 (BGBl. II, 1919 ff.) zugestimmt hatte, berufen.“ (juris-‐VG Arnsberg v. 17.8.2010)
AO-‐SF
SchulG NRW
Grundrechte
Artikel 8 LV NRW
(1) Jedes Kind hat Anspruch auf Erziehung und Bildung. Das natürliche Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder zu be-‐stimmen, bildet die Grund-‐lage des Erziehungs-‐ und Schulwesens.
Aufgaben 5
Lesen Sie sich den Fall gut durch und seien Sie nicht gleich frustriert, wenn Sie diese Rechtssprache auf Anhieb nicht verstehen.
Welche Normen werden in dem Fall verwendet? Überle-‐gen Sie schon einmal, wodurch sich diese unter-‐scheiden!
2. Grundstrukturen des Rechts
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Lernziel
Es geht in diesem Abschnitt nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung um den Fall, sondern Sie sollen einen Eindruck erhalten, wie komplex die unterschiedlichen Rechtsebenen sind, was man schlicht unter Rechtnormen versteht, und mit welchen Normqualitäten wir es im Recht zu tun haben.
2.2.1. Recht und Rechtsnormen – allgemein
Nun will ich nicht bei Adam und Eva anfangen und der Frage nachgehen, woher das Recht kommt, wie es sich historisch entwickelt hat oder etwa welche Funk-‐tion dem Recht gesellschaftlich zukommt. Alles sicherlich interessante Fragen, sie würden aber den Rahmen dieses Moduls sprengen.
Was wird nun unter „dem Recht“ verstanden?
Hier ein Zitat aus einem Lehrbuch von Trenczek/Tammen/Behlert:
„Recht ist ein Gefüge sozialer Normen, die allen Mitgliedern der Gesellschaft ein bestimmtes Verhalten verbindlich vorschreiben und deren Einhaltung durch staatliche Instanzen notfalls auch mit Zwang garantiert wird. Der moderne Rechtsstaat setzt dabei auf das geschriebene Recht. Ein Rechtssatz oder eine Rechtsnorm ist ein verbindliches Gebot oder Verbot, welches die folgenden fünf Wesensmerkmale ausweisen muss:
Rechtsnormen gelten für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen (abs-‐trakte Regelung). Um möglichst alle zukünftigen Konfliktsituationen zu regeln, sind Normtexte so abstrakt wie möglich formuliert, worunter andererseits die Verständlichkeit für den „Normal-‐Bürger“ leidet.
Rechtsnormen richten sich grundsätzlich an eine unbestimmte, bei ih-‐rem Erlass nicht feststehende Vielzahl von Personen (generelle Rege-‐lung). Zwar mag ein einzelner Fall Anlass zu einer gesetzlichen Rege-‐lung geben, ein Einzelfallgesetz (welches nur einen konkreten Fall oder einen ganz bestimmten Adressaten betrifft) ist allerdings verfas-‐sungswidrig (Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG)
Rechtsnormen werden von dem (verfassungsrechtlich) zur Rechtset-‐zung befugten Organ in einem bestimmten, formell festgelegten Verfahren erlassen und
Bedürfen zur ihrer Wirksamkeit der amtlichen Publikation in bestimm-‐ten Verkündungsorganen (z. B. dem Bundesgesetzblatt oder den Mitteilungsorganen der Länder und Kommunen).
Für Rechtsnormen ist ferner charakteristisch, dass sie unmittelbar kraft
Materialien
Wer aber dazu Lust hat, kann hier weiterlesen!
Trenczek/Tammen/Behlert, Grundzüge des Rechts – Studienbuch für Soziale Be-‐rufe, 2011, S. 30-‐39
Art. 19 Abs.1 S. 1 GG
Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes einge-‐schränkt werden kann, muss das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten.
2. Grundstrukturen des Rechts
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staatlichen Geltungswillen verbindlich sind und zu ihrer Durchsetzung notfalls staatlicher Zwang angewendet werden kann. Insbesondere hierin unterscheidet sich das Recht von anderen gesellschaftlichen Konventionen, von Sitten und Gebräuchen.“ (Grundzüge des Rechts – Studienbuch für Soziale Berufe, 2011, S. 39)
Nach diesem sicherlich abstrakten Zitat können wir zunächst festhalten, dass unser Rechtssystem auf Rechtsnormen als Oberbegriff beruht und diese Rechtsnormen durch die beschriebenen Wesensmerkmale gekennzeichnet sind. Das allein hilft aber noch nicht weiter, wenn wir uns in dem Wust der Rechtsnormen zu Recht finden wollen. Kommen wir auf den Ausgangsfall zu-‐rück. Welche Rechtsnormen haben Sie gefunden?
• Art. 6, Art. 2 Grundgesetz > (Bundes)Verfassung • Art. 8 LV NRW > Landesverfassung • Schulgesetz NRW > Landesrecht • AO-‐SF > Landes(rechts)verordnung • UN BRK > Internationales Recht
Allein schon an dieser kurzen Auflistung erkennen Sie das Problem, dass wir es mit ganz unterschiedlichen Normen zu tun haben, die wir nun im Folgenden systematisch ordnen wollen.
2.2.2. Rangordnung der Rechtsnormen
Die Rangordnung einer Norm gibt Auskunft darüber, welche Rechtsnorm Vor-‐rang hat.
Als Grundsatz gilt: rangniedrigere Rechtsnormen dürfen nicht gegen ranghö-‐here Rechtsnormen verstoßen. Kommt es zur Kollision zwischen rangniedrige-‐ren und ranghöheren Rechtsnormen, geht immer das höherrangige Recht vor.
Aufgabe 6
Versuchen Sie, die aus dem Fall herausgearbeiteten Rechtsnormen in das Schau-‐bild einzuordnen, nachdem Sie die Erklärungen dazu vorher durchgelesen haben.
45
Rangordnung
Supranationales Recht
Grundgesetz
Bundesgesetz
Bundesrechtsverordnung
Landesverfassung
Landesgesetz
Landesrechtsverordnung
autonomes Recht
Bundesrecht
Landesrecht
2. Grundstrukturen des Rechts
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2.2.2.1. Supranationales Recht
Wir unterscheiden zum einen das Europäische Gemeinschaftsrecht (EU-‐Recht) und das Völkerrecht.
Das Europäische Gemeinschaftsrecht soll hier nicht weiter vertieft werden, weil es für Ihren Bereich nicht von so großer Relevanz ist. Vielleicht nur soviel: es handelt sich hier um das Recht der Europäischen Mitgliedsstaaten und ist ge-‐genüber dem deutschen Recht vorrangig anzuwenden.
Völkerrechtliche Abkommen bezeichnet man als internationales Recht. Dieses geht anders als das Europäische Gemeinschaftsrecht dem deutschen Recht (nationales Recht) nicht unbedingt vor. In der Regel handelt es sich hierbei um internationale Abkommen (sog. Staatsverträge). Die Bundesrepublik Deutsch-‐land tritt einem solchen Abkommen in einem ersten Schritt bei. Dann muss es ratifiziert werden, d. h. es muss durch ein Parlamentsgesetz umgesetzt werden. Solche Abkommen haben im Familienrecht Bedeutung. Man denke etwa an das sog. Haager Minderjährigenschutzabkommen. Ein weiteres wichtiges Abkom-‐men ist die Europäische Menschenrechtskonvention. Für Ihrem Kontext ist die UN-‐Kinderrechtskonvention (UN-‐KRK) und die UN-‐Behindertenrechtskonven-‐tion (UN-‐BRK) von Bedeutung.
2.2.2.2. Grundgesetz (GG) und Landesverfassungen
Neben dem Grundgesetz (Bundesverfassung) haben die Bundesländer aufgrund ihrer Eigenstaatlichkeit eigene Landesverfassungen, die aber gegenüber dem Grundgesetz keine wesentliche Bedeutung erlangen. Das Grundgesetz ist in der Bundesrepublik Deutschland die höchste Rechtsquelle, hat diesen Status gegenüber dem EU-‐Recht eingebüßt.
2.2.2.3. Bundes-‐ und Landesgesetze
Hierbei handelt es sich um die wesentlichen Rechtsquellen, mit denen wir in der Praxis arbeiten. Was sind die Kennzeichen sowohl von Bundes-‐ wie von Landesgesetzen? Zunächst einmal sind es formelle Gesetze, d. h. diese Rechtsnormen werden von den verfassungsrechtlich vorgesehenen Gesetzgebungsorganen (Bundestag/Bundesrat-‐Landtag) im Gesetzgebungsverfahren erlassen. Zugleich sind fast alle auch Gesetze im materiellen Sinn. Ein Gesetz ist immer dann ein materielles Gesetz, wenn es unmittelbar Rechtswirkungen nach außen, d. h. an den Bürger, entfaltet. Fast
2. Grundstrukturen des Rechts
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alle Gesetze sind zugleich formelle und materielle Gesetze.
Wie kommt es nun überhaupt, dass wir die Aufteilung in Bundes-‐ und Landesgesetze haben und wie weiß ich, wann ein Bundesgesetz und wann ein Landesgesetz zur Anwendung kommt?
Ich hatte Ihnen ja schon etwas zum Rangverhältnis zwischen Bundesrecht und Landesrecht geschrieben. Nach Art. 31 GG bricht Bundesrecht das Landesrecht. Dieser Grundsatz gilt aber nur dann, wenn dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zusteht. Und damit sind wir gerade für den Bereich der frühkindlichen Bildung bei einer sehr wichtigen Frage, nämlich wie die Gesetzgebungszuständigkeit zwischen Bund und Ländern verteilt ist. Wir leben ja in einem föderalen Bundesstaat. Und im GG ist genau festgelegt, in welche Bereichen der Bund und welchen Bereichen die Bundesländer bestimmte Lebensbereiche gesetzlich regeln dürfen.
Art 30 GG „Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt.“
Art. 70 Abs. 1 GG „Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit die-‐ses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.“
Daraus folgt eine Negativprüfung: Hat der Bund ein Gesetz erlassen, muss posi-‐tiv festgestellt werden, dass dem Bund das Grundgesetz hierfür die Gesetzgebungskompetenz zuweist. Hat ein Bundesland ein Landesgesetz erlas-‐sen, muss negativ geprüft werden, ob eine Bundeskompetenz dem entgegen-‐steht.
Für den hier relevanten Zusammenhang soll es ausreichen, Ihnen das Prinzip der konkurrierenden Gesetzgebung zu erklären. Nach Artt. 72, 74 GG hat das Land im Prinzip die Gesetzgebungskompetenz, aber wenn der Bund in den Bereichen, die in Art. 74 GG aufgezählt sind, gesetzgeberisch tätig wird, dürfen die Länder nicht mehr regeln.
2.2.2.4. Bundesrechtsverordnung/Landesrechtsverordnung
Bei den Rechtsverordnungen des Bundes oder des Landes handelt es sich auch um Rechtsnormen. Sie sind damit verbindlich, weil sie für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen gegenüber einer unbestimmten Anzahl von Personen gel-‐ten. Sie sind aber keine Gesetze, weil Rechtsverordnungen nicht in einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden. Sie stehen deshalb unterhalb des Gesetzes. Rechtsverordnungen werden von der Exekutive erlas-‐sen und dienen in der Regel der Durchführung und Ausführung von Gesetzen. Da man nicht alles ins Gesetz schreiben kann, hat man dieses Instrument der Rechtsverordnung geschaffen. Detail-‐ und Auslegungsfragen eines Gesetzes
Art. 74 GG
2. Grundstrukturen des Rechts
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werden oftmals in Rechtsverordnungen geregelt. Nun haben wir gesehen, dass Rechtsverordnungen kein förmliches Gesetzgebungsverfahren durchlaufen, sprich sie werden nicht vom Bundestag/Landtag verabschiedet. Damit haben wir ein Legitimationsproblem, wenn man es einfach der Exekutive überlässt, Rechtsnormen zu schaffen. Dieses Problem versucht man jetzt dadurch zu lö-‐sen, dass im Gesetz selbst festgelegt wird, in welchen Bereichen die Exekutive ermächtigt wird, Rechtsverordnungen zu erlassen. In Rechtsverordnungen steht immer ganz oben, auf welcher gesetzlichen Grundlage die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen beruht.
2.2.2.5. Satzungen
Hier müsste man wieder richtigerweise zwischen Bundes-‐ und Ländersatzungen unterscheiden. Öffentlich-‐rechtliche Satzungen sind ganz eigene Rechtsnor-‐men, die von einer vom Staat zugelassenen juristischen Person des öffentlichen Rechts im Rahmen der ihr gesetzlich verliehenen Autonomie mit Wirkung für die ihr angehörenden und unterworfenen Personen erlassen werden. Buhh! Ist eigentlich ganz einfach: vergessen Sie für einen Moment den Begriff der juristi-‐schen Person, darauf kommen wir an anderer Stelle wieder zu sprechen.
Gemeinden, Landkreise, staatlichen Universitäten und Hochschulen, Ärztekam-‐mern, Krankenkassen usw. haben ein sogenanntes Selbstverwaltungsrecht, d. h. für ihre Mitglieder können diese Satzungen erlassen. Beispiel: Gebührensatzungen, universitäre Prüfungsordnungen, Krankenkassenbeiträge.
2.2.2.6. Verwaltungsvorschriften
Ganz wichtig !! Verwaltungsvorschriften sind keine Rechtsnormen, sondere interne Anweisungen der Verwaltung gegenüber ihren Bediensteten. Diese werden in der Regel von der übergeordneten Behörde oder Dienstvorgesetzten für die unterstellten Bediensteten erlassen.
Kommen wir jetzt wieder auf den Ausgangsfall zurück:
Fangen wir mit der UN-‐BRK an: wie gelernt, handelt es sich hier um Völker-‐recht, das erst durch ein nationales Gesetz umgesetzt werden muss. Erst dann können konkrete Ansprüche daraus hergeleitet werden. Insofern hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass Bürger nicht direkt aus der UN-‐BRK einen Anspruch auf die Teilnahme an einer Regelschule herleiten können. Inhaltlich greifen wir das Thema UN-‐BRK im Modul 16 wieder auf.
Dann haben wir Artt. 2, 6 GG und Art. 8 LV-‐NRW. Das sind verfassungsrechtli-‐che Normen, wobei die landesverfassungsrechtliche Vorschrift nur eine
Materialien
Wer das noch mal vertiefen will:
Trenczek/Tammen/Behlert, Grundzüge des Rechts – Studienbuch für Soziale Be-‐rufe, 2011, S. 39-‐52
2. Grundstrukturen des Rechts
14
Konkretisierung des Grundgesetzes ist. Wir werden uns mit dem Verfassungs-‐recht noch beschäftigen.
Dann haben wir das Schulgesetz NRW. Hierbei handelt es sich um ein Landesgesetz und es stellt sich die Frage, warum die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern liegt. Die Frage können Sie sich vielleicht selbst beantworten. Das Bildungswesen ist im Katalog des Art. 74 GG nicht aufgezählt mit der Folge, dass der Bund in diesem Bereich keine Kompetenz hat. Es bleibt dann bei dem allgemeinen Verfassungsgrundsatz, dass die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern liegt.
Und die AO-‐SF ist eine Landesrechtsverordnung, weil sie auf der Grundlage des Schulgesetzes NRW erlassen wurde. In der Rechtsverordnung steht gleich am Anfang, aufgrund welcher Vorschriften nach dem SchulG diese Rechtsverord-‐nung erlassen wurde. Das ist die sogenannte gesetzliche Ermächtigungsgrund-‐lage. Nur damit Sie nicht verwirrt sind, ich habe Ihnen die neueste Fassung des SchulG NRW (2011) verlinkt. Die AO-‐SF verweist auf das Schulgesetz in einer älteren Fassung. Insofern stimmen die in der Rechtverordnung genannten Vorschriften des SchulG nicht mit der neuesten Fassung überein.
Das soll fürs erste reichen.
Aufgabe 7
In § 24 SGB VIII (KJHG) ist der Rechtsanspruch auf den Besuch einer Tageseinrich-‐tung festgeschrieben. § 26 SGB VIII legt fest, dass das Nähere über Inhalt und Um-‐fang durch Landesrecht gere-‐gelt wird.
Wenn in Hessen ein Kind einen Anspruch auf den Besuch einer Kindestagesein-‐richtung geltend machen will, kann es dies nur auf der Grundlage des hessischen „Kindergartengesetzes“.
1.Versuchen Sie zu erklären, warum der grundsätzliche Anspruch im SGB VIII gere-‐gelt ist, der konkrete Rechts-‐anspruch sich aber aus dem Landesrecht ergibt?
2. Wie müsste man argumentieren, wenn man den Kinderta-‐gesbetreuungsbereich aus-‐schließlich den Ländern übertragen würde? Gibt es dafür gute Argumente?
2. Grundstrukturen des Rechts
15
2.3. Verfassungsrechtliche Grundlagen
Nun haben wir ja schon einige verfassungsrechtliche Probleme zumindest angesprochen, wenn wir uns die Frage nach der Gesetzgebungszuständigkeit oder nach Art. 6 GG gestellt haben. In diesem Abschnitt soll ein kurzer systematischer Überblick über die verfassungsrechtlichen Grundlagen gegeben werden.
Wenn Sie sich den Art. 20 GG gründlich durchgelesen haben, ist das Kennzei-‐chen für den demokratischen und sozialen Rechtsstaat die Gewaltenteilung.
Aus Art. 20 GG können Sie schon die wesentlichen Prinzipien erkennen, näm-‐lich das
• Demokratieprinzip • Sozialstaatsprinzip • Rechtsstaatsprinzip
Lesen Sie einmal Art. 20 GG:
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Ab-‐stimmungen und durch be-‐sondere Organe der Gesetzgebung, der vollzie-‐henden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ord-‐nung, die vollziehende Ge-‐walt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Aufgabe 8
Versuchen Sie einmal zu erklären, was unter Gewaltenteilung zu verste-‐hen ist. Lesen Sie dazu den Text von:
Trenczek/Tammen/Behlert, Grundzüge des Rechts – Studienbuch für Soziale Be-‐rufe, 2011, S. 85-‐86
Staat
Legislative
Organe:
Bundestag/Bundesrat
Landesparlamente
Exekutive
Organe:
Behörden
Bundesregierung
Landesregierung
Judikative
Organe:
Richter/Gerichte
2. Grundstrukturen des Rechts
16
2.3.1. Demokratieprinzip
Das Grundgesetz geht von einer parlamentarischen repräsentativen Demokra-‐tie aus, gleichwohl gibt es auch Elemente der unmittelbaren Demokratie?
parlamentarisch > das Parlament (Bundestag auf Bundesebene/Landtage auf Länderebene) kontrolliert als unmittelbar demokratisch legitimiertes Staats-‐organ die anderen Staatsorgane
repräsentativ > die Staatsgewalt geht vom Volk nicht unmittelbar aus, sondern nur mittelbar über die vom Volk gewählten RepräsentantInnen
Konkretisiert wird das Demokratieprinzip durch die verfassungsrechtliche Festlegung auf ein Parteiendemokratie und das allgemeine Wahlrecht:
Parteiendemokratie > Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG
Gebot allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahlen, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG.
2.3.2. Sozialstaatsprinzip
Das Sozialstaatsprinzip wird im Grundgesetz nicht weiter definiert, sondern wird nur in Art. 20, Art. 28 GG genannt. Hierbei handelt es sich um eine Grundentscheidung der Verfassung, die nicht geändert werden darf. Bei der Verpflichtung zum Sozialstaat handelt es sich um eine sogenannte Staatszielbe-‐stimmung. Damit ist gemeint, dass der Staat in seinen Aktivitäten diesem Prin-‐zip verpflichtet ist, aber der Bürger kann aus diesem allgemeinen und unbestimmten Prinzip keine einklagbaren Ansprüche ableiten.
Stahlmann fasst die Diskussion um die Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips folgendermaßen zusammen:
„Das Bundesverfassungsgericht versteht den Sozialstaat eher als Resultat oder
Materialien
Trenczek/Tammen/Behlert, Grundzüge des Rechts – Studienbuch für Soziale Be-‐rufe, 2011, S. 84-‐101
Aufgabe 9
Was könnten Elemente der unmittelbaren Demokratie sein?
Artikel 21 GG
(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbil-‐dung des Volkes mit. Art 38 GG
(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, glei-‐cher und geheimer Wahl gewählt.
2. Grundstrukturen des Rechts
17
Resultante anderer Vorschriften des GG, indem es Klagen über Unzulänglichkei-‐ten des Sozialstaats misst am:
• Gleichbehandlungsgrundsatz (Art.3) • Schutz von Ehe, Familie und Kindern (Art. 6 GG) • Eigentumsschutz (Art.14 GG) • Vertrauensschutz • Verhältnismäßigkeitsprinzip
Bedarfsdeckungsprinzip in seiner Ausgestaltung als Mindestsicherung für Men-‐schenwürde (Art.1 GG) und freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art.2 GG).
Die ebengenannten Vorschriften und Rechtsgedanken weisen eine besondere Nähe zu Vorstellungen über soziale Gerechtigkeit auf. Der Sozialstaat erfährt durch sie eine konkretere Ausfüllung, bleibt aber als eigenständiger Begriff juristisch farb-‐ und folgenlos. Folgerichtig wird jedenfalls von der ganz herrschenden Meinung in der Rechtswissenschaft und Entscheidungspraxis prinzipiell die Offenheit des Sozialstaatsprinzips betont. Dem Gesetzgeber ob-‐liege es, die angemessenen Mittel und Wege zur Realisierung sozialer Gerech-‐tigkeit zu bestimmen, nicht der Justiz. Aus dem Sozialstaatgebot direkt können daher keine Rechtsansprüche und soziale Leistungsnormen abgeleitet werden. Nicht das Verfassungsrecht gibt das Sozialrecht vor, genannte Vorschriften und Rechtsgedanken weisen eine besondere Nähe zu, sondern das Sozialrecht moduliert den sozialen Raum der Verfassung. Prägnanter formuliert diese Be-‐funde Igl: „Sozialrecht ist im sozialen Rechtsstaat das Instrument zur Realisie-‐rung des Sozialstaatsprinzip. Dass dieses Sozialstaatsprinzip in einer merkwür-‐dig abflachenden Spannung zwischen unbestritten hoher Leitidee, immer noch unbestritten hohem faktischen Realisierungsniveau und verhältnismäßig gerin-‐ger eigenständiger Durchsetzungskraft in concretis steht, gehört zu den Besonderheiten unserer Verfassungswirklichkeit.“ (Stahlmann, Studiengang BASS, Studienbrief O 2),
2.3.3. Rechtsstaatsprinzip
Sehr viel konkreter und für die Praxis relevant sind die Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips. Das Bundesverfassungsgericht knüpft an Art. 20 Abs. 3 GG an, wenn es vom Rechtsstaatsprinzip spricht. Das Rechtsstaatsprinzip ist aber viel umfassender zu verstehen. Wir wollen uns einige verfassungsrechtli-‐che Grundsätze dazu ansehen.
2. Grundstrukturen des Rechts
18
Mit der Normenhierarchie und dem Prinzip der Gewaltenteilung haben wir uns ja bereits beschäftigt. Sehen wir uns die anderen Elemente des Rechtsstaatsprinzips an.
2.3.3.1. Gesetzmäßigkeit des staatlichen Handelns
Mit diesem Grundsatz ist zweierlei gemeint:
Vorrang des Gesetzes > Die Verwaltung/Exekutive muss so handeln, wie die Ge-‐setze es vorschreiben und die Verwaltung/Exekutive darf bei ihrem Handeln nicht gegen Gesetze verstoßen
Vorbehalt des Gesetzes > Grundsatz: die Exekutive darf nicht ohne gesetzliche Grundlage handeln oder anders: der Gesetzgeber hat alle wesentlichen Fragen, die die BürgerInnen betreffen, selbst zu treffen und darf die Entscheidung nicht der Exekutive überlassen
Das gilt insbesondere dann, wenn der Staat in die Rechte von BürgerInnen ein-‐greift.
Aufgabe 10
Lesen Sie den Art. 6 GG. (Dieses Grundrecht sollten Sie sich merken, wir werden es im Laufe der Veranstal-‐tung und insbesondere im Modul 16 noch eingehender behandeln.)
Lesen Sie danach § 1666 BGB und § 42 SGB VIII (es reicht, wenn Sie die §§ überfliegen) und erklären daran mit eige-‐nen Worten den Grundsatz des Gesetzesvorbehalt.
Rec
hts
staa
tspri
nzi
p
Rechtsquellensystem/Normenhierarchie
Gewaltenteilung
Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns
Verhaltnismäßigkeitsprinzip
Vertrauensschutz
Rechtsschutzgarantie
2. Grundstrukturen des Rechts
19
Aber auch bei Leistungsentscheidungen der Exekutive, die die Handlungs-‐ und Gestaltungsfreiheit der BürgerInnen betreffen, gilt der Gesetzesvorbehalt.
Im Bereich der Sozialverwaltung stehen alle Entscheidungen über Sozialleistun-‐gen unter einem Gesetzesvorbehalt.
Art. 6 GG
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ord-‐nung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemein-‐schaft. (3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Fami-‐lie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. (4) Jede Mutter hat An-‐spruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemein-‐schaft. (5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stel-‐lung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
§ 1666 BGB
§ 42 SGB VIII
Beispiel: § 31 SGB I:
Recht und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs dürfen nur begründet werden, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt.
2. Grundstrukturen des Rechts
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2.3.3.2. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Sowohl Gesetze und Normen, wenn Sie die Sphäre der BürgerInnen berühren, müssen verhältnismäßig sein. Aber auch die Verwaltung ist bei Anwendung der Gesetze, wenn ihr ein Ermessensspielraum eingeräumt wurde, an den Grund-‐satz der Verhältnismäßigkeit gebunden.
Was heißt nun „verhältnismäßig“?
Die staatliche Entscheidung oder Maßnahme muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Diese drei Kriterien müssen geprüft werden.
• Geeignetheit: Maßnahme/Leistung ist dann geeignet, wenn damit der vom Gesetz angestrebte Zweck erreicht wird. „Ungeeignet und daher rechtswidrig ist etwa eine Leistungskürzung wegen Ablehnung einer Arbeitsvermittlung, wenn der Betroffene nicht arbeitsfähig ist. Das sieht auch schon das Gesetz so, denn es bestimmt in § 10 Abs.1 Ziff.1 SGB II, eine Arbeit sei unzumutbar, wenn der Be-‐troffene „zu der bestimmten Arbeit körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage ist“. Das ist gewissermaßen ein gesetzlicher Fall der Ungeeignetheit.“ (Stahlmann, Studiengang BASS, Studienbrief O 2)
• Erforderlichkeit: wenn kein milderes Mittel gleicher Eignung zur Verfü-‐gung steht. „Beispielsweise darf die Polizei nicht den sofortigen Abbruch einer Musikveranstaltung in einem Jugendheim verlangen, wenn es zur Vermeidung der Lärmbelästigung der Nachbarn ausreicht, die Fenster des Veranstaltungsraumes zu schließen. Sind in einer Heimeinrichtung im Hinblick auf die von ihr betreuten Kinder Mängel aufgetreten, so soll die Einrichtung zunächst beraten werden, wie die Mängel abgestellt werden können. Reicht das nicht aus, um die Mängel abzustellen, kön-‐nen und müssen zunächst (geeignete) Auflagen erteilt werden, bevor die Betriebserlaubnis widerrufen und das Heim geschlossen werden darf (vgl. § 45 Abs. 2 und 3 SGB VIII).“ (Trenczek/Tammen/Behlert, Grundzüge des Rechts, 2011, S. 91)
• Angemessenheit: wenn eine Maßnahme geeignet und erforderlich ist, darf sie nicht erkennbar im Missverhältnis zu dem angestrebten Erfolg stehen. „An dieser Stelle ist eine Abwägung sämtlicher Vor-‐ und Nachteile der Maßnahme vorzunehmen. Dabei sind vor allem verfassungsrechtliche Vorgaben, insbesondere Grundrechte zu berücksichtigen. Geht es der Polizei darum, einen beim Diebstahl einer Tafel Schokolade ertappten Minderjährigen an einer möglichen Flucht zu hindern, wäre es unangemessen, ihn deshalb durch einen Schuss schwer zu verletzen.
2. Grundstrukturen des Rechts
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Die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs bei geringfügigen Straftaten muss gegen die Folgen für das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und Leben (Art. 2 Abs. 2 GG) abgewogen werden.“ (Stahlmann, Studiengang BASS, Studienbrief O 2)
2.3.3.3. Grundsatz des Vertrauensschutzes
Die BürgerInnen müssen auf die bestehende Rechtsordnung und Rechtspraxis dergestalt vertrauen dürfen, dass ihre Dispositionen nicht durch nachträgliche Änderungen der Rechtslage entwertet werden.
Rechtsschutzgarantie
Nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG steht jedem/jeder der Rechtsweg zu einem Gericht zu, wenn er/sie durch die öffentliche Gewalt in seinen/ihren Rechten verletzt wurde. Damit wird verfassungsrechtlich garantiert, dass staatliche Maßnah-‐men, die BürgerInnen in ihren Rechten beeinträchtigen, gerichtlich überprüft werden können. Wie der Rechtsschutz im Einzelnen aussieht und welche Ge-‐richte für welche Rechtsfragen zuständig sind, klären wir später noch.
Damit schließen wir das Thema „Rechtsstaatlichkeit“ ab und wenden uns den Grundrechten zu.
2.3.4. Grundrechte
Allgemein kann man sagen, dass Grundrechte die Rechte der BürgerInnen ge-‐gen den Staat sind. Mit Grundrechten sind die Artt. 1-‐19 GG gemeint. Wir spre-‐chen dann von Bundesgrundrechten. Wie wir ja gelernt haben, gibt es neben dem Grundgesetz die Verfassungen der Bundesländer und daher gibt es auch Landesgrundrechte. In unserem Kontext soll es aber nur um die Grundrechte nach dem GG gehen.
Neben diesem Grundrechtskatalog (Artt. 1-‐19 GG) gibt es darüber hinaus sog. grundrechtsgleiche Rechte, d. h. der Staat ist daran wie die Grundrechte gebunden:
• das Recht auf Widerstand, Art. 20 Abs. 4 GG • das Recht auf Zugang zu öffentlichen Ämtern, Art. 33 GG • das Wahlrecht, Art. 38 GG • die sog. Justizgrundrechte, Art. 101, 103, 104 GG
Beachtet der Staat diese Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte nicht, können BürgerInnen im Wege der Verfassungsbeschwerde nach § 94 Abs.1 Nr. 4a GG die Einhaltung der Grundrechte beim Bundesverfassungsgericht prüfen lassen.
2. Grundstrukturen des Rechts
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Nun könnte man ja dem Wortlaut des § 94 Abs. 1 Nur. 4a GG entnehmen, dass BürgerInnen, die sich durch eine staatliche Maßnahme ungerecht behandelt fühlen, sofort zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe „rennen“ können. Wenn also die Eltern eines geistig behinderten Kindes ihr Kind gerne in der Regelschule beschulen lassen wollen, aber die Schulbehörde diesen Wunsch ablehnt und das Kind einer Förderschule zuweist, könnten die Eltern sich auf Art. 2 Abs. 3 S. 2 GG berufen, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Dem ist aber nicht so! Man kann sich gut vorstellen, dass das Bundesverfassungsgericht mit Verfassungsbeschwerden geradezu überschwemmt werden würde. Deshalb hat der Gesetzgeber sehr enge Voraussetzungen an die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gestellt. Es würde in unserem Zusammenhang zu weit führen, auf die Voraussetzungen einer Verfassungsbeschwerde einzugehen. Hier soll es genügen, Sie darauf hin zuweisen, dass zunächst alle Gerichtsinstanzen ausgeschöpft werden müssen, bevor der Rechtsstreit zum Bundesverfassungsgericht gelangt.
Aber zurück zu den Grundrechten! Was ist dann die Funktion von Grundrech-‐ten?
Historisch gesehen lag die primäre Funktion der Grundrechte darin, Eingriffe des Staates in die bürgerliche Privatsphäre abzuwehren. Es wird insofern von der Abwehrfunktion von Grundrechten gesprochen. Will der Staat in diese Grundrechte eingreifen oder den Schutzbereich des Grundrechts beschränken, darf das nur geschehen, wenn das Grundrecht selbst den Gesetzgeber dazu ermächtigt. Wir sprechen hier von einem Grundrechtsvorbehalt.
„Auch Grundrechte, die keinen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt kennen, unterliegen Schranken. Diese Schranken wohnen den Grundrechten selbst inne. Man nennt sie deshalb auch immanente Grundrechtsschranken. Wenn das Hauptfreiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG jedem das Recht auf freie Entfal-‐tung seiner Persönlichkeit gewährt, dann ergibt sich das Problem, dass der Freiheitsanspruch des einen mit dem Freiheitsanspruch des anderen kollidieren kann. Die einen möchten demonstrieren, die anderen möglichst schnell nach Feierabend nach Hause kommen. Die einen feiern im Garten, die anderen möchten schlafen, um am nächsten Morgen der Vorlesung "Einführung in das Recht" mit der gebotenen Aufmerksamkeit folgen zu können. Deshalb findet jedes Grundrecht seine Grenze an den Rechten anderer, und es ist in seiner Ausübung an die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz gebunden (Art. 2 Abs. 1 GG). Im Einzelfall kann es hier zu schwierigen Abwägungsent-‐scheidungen kommen, deren Ergebnis durch die Regelungen des Grundgeset-‐zes nicht vorgezeichnet ist.“ (Rüßmann http://ruesmann.jura.sb-‐
Videos zum Bundesverfas-‐sungsgericht (lohnen sich!) 60 Jahre Bundesverfassungsgericht -‐ Die heimliche Macht -‐ HD 720p -‐ Doku
Teil 1 www.youtube.com/watch?v=06VnjnViay0
Teil 2 www.youtube.com/watch?v=ZB0C2SgY5SQ
Teil 3 www.youtube.com/watch?v=wTyqDeL63ek
Materialien
Stahlmann, Studiengang BASS, Studien-‐brief O 2, Abschnitt B I 2
Sehen Sie sich dazu noch ein-‐mal Art. 6 III GG an!
2. Grundstrukturen des Rechts
23
uni.de/rw20/wiwieinf/wvic4.htm#a)
Nun lassen sich die Grundrechte nicht auf reine Abwehrrechte beschränken, sondern die Grundrechte sollen auch als Ausprägung des Sozialstaats Teilhaber-‐echte und Leistungsrechte garantieren. Sehen wir uns das Grundgesetz und die Grundrechte einmal an, so finden wir u. a. folgende Leistungsrechte:
• Art. 6 IV GG • Art. 12 I 1 GG • Art. 16a GG (Asylrecht) • Art. 17 GG • Art. 19 IV 1 GG • Art. 103 I GG • Art. 3 I GG • Art. 3 III 2 GG • Art. 1 GG (Schutz der Menschwürde, Menschenrechte, Grundrechtsbin-‐
dung) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip > Hartz-‐IV-‐Entschei-‐dung des Bundesverfassungsgericht
In der Regel können BürgerInnen unter Berufung auf diese Grundrechte keine unmittelbaren Leistungsansprüche gerichtlich durchsetzen. Diese beschränken sich auf eine angemessene und gleichberechtigte Teilhabe an den vorhandenen staatlichen Ressourcen und Einrichtungen. Und damit sind bei einem für Sie wichtigen Thema angekommen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte sich in einer Entscheidungen aus dem Jahre 1997 mit der Frage zu befassen, ob Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG eine gemein-‐same Erziehung und Unterrichtung von schulpflichtigen behinderten und nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen an allgemeinen öffentlichen Schu-‐len (sogenannte integrative Beschulung) verlangt. Und im Jahre 2006 entschied das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerde. Es ging um die Nichtaufnahme in einen Integrationskindergarten.
Grundrechte
Artikel 103 GG
(1) Vor Gericht hat jeder-‐mann Anspruch auf rechtli-‐ches Gehör.
Aufgabe 11
Lesen Sie bitte die beiden Entscheidungen des Bundes-‐verfassungsgerichts. Lesen Sie zunächst die Entschei-‐dung aus dem Jahre 1997 unter folgenden Fragen:
Wer hat eigentlich die Verfassungsbeschwerde eingelegt?
Haben sich die Beschwerdeführer gleich an das BVerfG gewendet? Wa-‐rum war die Verfassungsbe-‐schwerde zulässig?
Was prüft das BVerfG inhalt-‐
2. Grundstrukturen des Rechts
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Bevor wir jetzt die Grundrechte abschließen, vielleicht noch ein Wort zu der Frage, wer denn überhaupt danach dem Grundgesetz grundrechtsberechtigt ist. Was ist damit gemeint? Es wird auch von Grundrechtsfähigkeit gesprochen. Damit ist das Recht oder die Fähigkeit gemeint, sich auf Grundrechte berufen zu können.
Grundrechtsberechtigt sind alle natürlichen Personen, also Menschen.
Lassen Sie uns hier etwas grundlegender sein. Generell stellt sich im Recht allgemein die Frage, wer Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Wer kann also rechtlich verpflichtet sein und wer kann Rechte einfordern? Oder anders gestellt: wer ist überhaupt rechtsfähig? Rechtsfähig sind natürliche Personen. In § 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist festgeschrieben:
„ Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt.“
Weil das Rechtsleben schlecht funktionieren würde, wenn man ausschließlich Menschen für rechtsfähig erklärt, hat man mit der „juristischen Person“ eine Art Zweckgebilde (Kunstgebilde) geschaffen, der man Rechtsfähigkeit verleiht. Es wird dabei unterschieden zwischen juristischen Personen des Privatrechts und des Öffentlichen Rechts.
Wir waren ja bei der Frage stehen geblieben, wer grundrechtsberechtigt ist. Und hier stellt sich dann die Frage, ob neben der natürlichen Person auch die juristische Person grundrechtsberechtigt ist. Und die Antwort lautet jein.
lich? Versuchen die inhaltli-‐chen Prüfschritte sauber her-‐auszuarbeiten.
BVerfG v. 8.10.1997 www.bverfg.de/entscheidungen/rs19971008_1bvr000997.html
Jetzt dürfte Ihnen das Lesen der zweiten Entscheidung leichter fallen! BVerfG v. 10.2.2006 www.bverfg.de/entscheidungen/rk20060210_1bvr009106.html
Aufgabe 12
Sehen Sie sich das noch ein-‐mal genau in dem Schaubild an.
2. Grundstrukturen des Rechts
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Grundrechtsberechtigt sind juristische Personen des Privatrechts. Auf juristi-‐sche Personen des Öffentlichen Rechts sind die Grundrechte nicht anwendbar, d. h. sie sind grundrechtsunfähig, weil sie in den Staatsaufbau eingegliedert sind. Sie sind sozusagen Träger der öffentlichen Gewalt und sind insofern grundrechtsverpflichtet.
Damit soll der Abschnitt „Verfassungsrechtliche Grundlagen“ zunächst abgeschlossen werden.
2.4. Rechtsschutz und Gerichte
Wir haben ja im verfassungsrechtlichen Teil gesehen, dass im Grundgesetz eine Rechtsweggarantie festgeschrieben ist, d. h. Rechtsstreitigkeiten durch die Gerichte kontrolliert und entschieden werden. Es geht also immer um die Frage, wie ich meine Rechtsposition durchsetzen kann. Ein bisschen haben wir ja schon erfahren als wir die Verfassungsbeschwerde behandelt haben.
Aber welche Rechtsfragen kommen zu welchen Gerichten?
Entsprechend der Rechtsgebiete sortiert sich auch der Gerichtsaufbau.
Oberstes Gericht ist das Bundesverfassungsgericht, wenn es um verfassungsrechtliche Streitigkeiten geht.
In der Praxis relevanter ist die ordentliche Gerichtsbarkeit, die sich wiederum untergliedert in Strafsachen und Zivilsachen, und die Verwaltungsgerichtsbar-‐keit. Bei Verwaltungsgerichtsbarkeit unterscheidet man die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit und Sozialgerichtsbarkeit.
Auch müssen die einzelnen Gerichtsinstanzen berücksichtigt werden. Die 1. Instanz ist in der Regel die Eingangsinstanz für das Gerichtsverfahren. Die Entscheidung der höheren Instanz ist für die Gerichte der niedrigeren Instanz verbindlich. Liegen zu bestimmten Rechtsfragen Entscheidungen der 3. Instanz vor, so kommt diesen fast so etwas wie ein Gesetzesrang zu. Wenn Sie sich also mit einem Rechtsproblem befassen, finden Sie die Lösung Ihres Problems oftmals nicht allein in dem Gesetzeswortlaut, sondern müssen auch die Auffassungen der Gerichte berücksichtigen, d. h. sie müssen immer die aktuelle Rechtsprechung im Blick haben. Wir greifen dieses Thema noch gesondert auf, wenn es um die juristische Anwendung von Rechtsnormen geht.
Für´s Erste soll das genügen.
Aufgabe 13
Sehen Sie sich die Skizze Ge-‐richtsaufbau an!
2. Grundstrukturen des Rechts
26
Ich möchte aber noch einmal auf die Verwaltungsgerichte zurückkommen und zwar im Hinblick auf die Sozialgerichte. Man könnte meinen, dass sämtliche Fragen des Sozialrechts bei den Sozialgerichten angesiedelt ist. Dem ist aber nicht so. In § 51 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wird genau aufgelistet, welche Rechtsgebiete dort verhandelt werden.
Die Sozialgerichte sind im Einzelnen insbesondere für folgende Streitigkeiten zuständig:
• Angelegenheiten der Sozialversicherung (gesetzlichen Renten-‐, Kran-‐ken-‐ Pflege-‐ und Unfallversicherung, nicht jedoch Streitigkeiten mit entsprechenden privaten Versicherungsträgern, Ausnahme: private Pflegeversicherung, hierfür sind die Sozialgerichte zuständig)
• Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung einschließlich der sonstigen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit
• Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchend • Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgeset-‐
zes • Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechtes (u.a. Kriegsopfer-‐
versorgung mit Ausnahme der Kriegsopferfürsorge, Opferentschädi-‐gung, Soldatenversorgung, Gesundheitsschäden aufgrund SED-‐Unrech-‐tes)
• Streitigkeiten über den Grad einer Behinderung sowie über zusätzliche Nachteilsausgleiche
• Streitigkeiten nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz, dem Bundesel-‐terngeldgesetz und dem Bundeskindergeldgesetz
Nicht aufgeführt ist der Bereich des Kinder-‐ und Jugendhilferecht nach dem SGB VIII, d. h. für diese Fragen sind die Verwaltungsgerichte zuständig, obwohl das Kinder-‐ und Jugendhilferecht ein klassisches Gebiet des Sozialrechts ist.
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Verwendete Literatur
Falterbaum, Rechtliche Grundlagen der Sozialen Arbeit, 2007, S. 46-‐51
Stahlmann, Studiengang BASS, Studienbrief O 2, Blitzlicht: Rechtsgebiete in 5 Minuten
Trenczek/Tammen/Behlert, Grundzüge des Rechts – Studienbuch für Soziale Berufe, 2011, S. 30-‐39
Rüßmann http://ruesmann.jura.sb-‐uni.de/rw20/wiwieinf/wvic4.htm#a)