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Kausalitäts- und Zurechnungsprobleme im Umweltstrafrecht* Von Professor Dr. Erich Samson, Kiel A. Das Problem L Im Umweltstrafrecht existieren natürlich keine speziellen Kau- salitäts- und Zurechnungsprobleme in dem Sinne, daß sie nur hier und an keiner anderen Stelle des besonderen Strafrechts auftreten könnten. In demselben Maße, in dem die Lehren von der Kausalität und der objektiven Zurechnung allgemeine Lehren sind, treten im Umweltstrafrecht Probleme der Zurechnung auch nur im Sinne von Anwendungsschwierigkeiten auf. Aber selbst dort, wo sich Fragen der Zurechnung als Fragen der Erfolgsdefinition entpuppen, sind auch sie allgemeine Fragen in dem Sinne, daß sie bei allen Tatbestän- den des Besonderen Teils auftauchen, deren Erfolgsdefinition von derselben Art ist wie die Erfolgsdefinitionen des Umweltstrafrechts. Daher können die folgenden Überlegungen nur fragmentarischer Natur sein. Unternähme man den Versuch, auch nur die wesentlichen in neuerer Zeit diskutierten allgemeinen Zurechnungsprobleme zu behandeln, so käme das Umweltstrafrecht zu kurz. Würde dagegen versucht, auch nur einen Teil der von Zurechnungsproblemen berühr- ten Merkmale der Umweltstraftatbestände abschließend zu behan- deln, dann gelangte die Untersuchung über diese für die Zurech- mmgsproblematik vorgelagerten Fragen der Erfolgsdefinition nicht hinaus und die Zurechnungsprobleme selbst blieben unbehandelt. In dieser schwierigen Lage soll eine zweifache Beschränkung vorgenommen werden. Einmal wird sich die Untersuchung auf ein bisher wenig behandeltes, gleichwohl als für das Umweltstrafrecht brennend empfundenes Einzelproblem der Zurechnungslehre be- schränken 1 . Zum anderen kann eine bis ins Detail ausgearbeitete Lösung des allgemeinen Zurechnungsproblems nicht geliefert wer- den. Vielmehr soll hier nur der Versuch unternommen werden, die * Um Anmerkungen erweiterter Text des Referats, das der Verfasser im Mai 1987 bei der Strafrechtslehrertagung in Salzburg gehalten hat. i So Möhrenschlager, Kausalitätsprobleme im Umweltstrafrecht des Strafgesetzbuchs, WiVerw 1984,47,62,· Lackner, StGB, 17. Aufl. 1987, vor § 324 Anm. l b cc. ZStW99(1987)Heft4 Brought to you by | Dip Matematica e Applicazioni Se Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 10/1/13 8:57 PM

Kausalitäts- und Zurechnungsprobleme im Umweltstrafrecht

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Page 1: Kausalitäts- und Zurechnungsprobleme im Umweltstrafrecht

Kausalitäts- und Zurechnungsprobleme im Umweltstrafrecht*Von Professor Dr. Erich Samson, Kiel

A. Das ProblemL Im Umweltstrafrecht existieren natürlich keine speziellen Kau-

salitäts- und Zurechnungsprobleme in dem Sinne, daß sie nur hierund an keiner anderen Stelle des besonderen Strafrechts auftretenkönnten. In demselben Maße, in dem die Lehren von der Kausalitätund der objektiven Zurechnung allgemeine Lehren sind, treten imUmweltstrafrecht Probleme der Zurechnung auch nur im Sinne vonAnwendungsschwierigkeiten auf. Aber selbst dort, wo sich Fragender Zurechnung als Fragen der Erfolgsdefinition entpuppen, sindauch sie allgemeine Fragen in dem Sinne, daß sie bei allen Tatbestän-den des Besonderen Teils auftauchen, deren Erfolgsdefinition vonderselben Art ist wie die Erfolgsdefinitionen des Umweltstrafrechts.

Daher können die folgenden Überlegungen nur fragmentarischerNatur sein. Unternähme man den Versuch, auch nur die wesentlichenin neuerer Zeit diskutierten allgemeinen Zurechnungsprobleme zubehandeln, so käme das Umweltstrafrecht zu kurz. Würde dagegenversucht, auch nur einen Teil der von Zurechnungsproblemen berühr-ten Merkmale der Umweltstraftatbestände abschließend zu behan-deln, dann gelangte die Untersuchung über diese für die Zurech-mmgsproblematik vorgelagerten Fragen der Erfolgsdefinition nichthinaus und die Zurechnungsprobleme selbst blieben unbehandelt.

In dieser schwierigen Lage soll eine zweifache Beschränkungvorgenommen werden. Einmal wird sich die Untersuchung auf einbisher wenig behandeltes, gleichwohl als für das Umweltstrafrechtbrennend empfundenes Einzelproblem der Zurechnungslehre be-schränken1. Zum anderen kann eine bis ins Detail ausgearbeiteteLösung des allgemeinen Zurechnungsproblems nicht geliefert wer-den. Vielmehr soll hier nur der Versuch unternommen werden, die

* Um Anmerkungen erweiterter Text des Referats, das der Verfasser im Mai 1987 beider Strafrechtslehrertagung in Salzburg gehalten hat.

i So Möhrenschlager, Kausalitätsprobleme im Umweltstrafrecht des Strafgesetzbuchs,WiVerw 1984,47,62,· Lackner, StGB, 17. Aufl. 1987, vor § 324 Anm. l b cc.

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Strukturen des Problems zu analysieren und den tragenden Lösungs-gesichtspunkt zu benennen.

II. In der Literatur scheint Einigkeit darüber zu bestehen, daß imUmweltrecht die objektive Zurechnung deshalb besondere Schwie-rigkeiten bereitet, weil Beeinträchtigungen der Umwelt im ganzenebenso wie einzelner Umweltmedien bzw. der sie repräsentierendeneinzelnen Tatobjekte vielfach nicht auf dem Verhalten einzelner Tä-ter, sondern regelmäßig auf Handlungen einer großen Zahl von Perso-nen beruhen. Die von diesen ausgelösten Kausalverläufe treffen inder konkreten Ausprägung des Umweltmediums in schwer durch-schaubarer Weise aufeinander, verstärken oder hemmen sich gegen-seitig und erzeugen auf diese Weise Kumulations-, Summations- odersynergetische Effekte2. Darin wird nicht nur der Grund für häufigeBeweisschwierigkeiten gesehen3. Vielmehr ergäben sich aus diesertatsächlichen Besonderheit der Umweltdelikte auch besondere recht-liche Probleme bei der Anwendung der herkömmlichen Zurech-nungslehren4. Ausführliche Erörterungen des Problems sind freilichselten. Überwiegend begnügt sich die Literatur mit bloßen Hinweisenauf das Problem; auch die wenigen speziellen Untersuchungen stehennoch ganz am Anfang, vertiefende Analysen fehlen völlig.

III. Besondere Schwierigkeiten sieht die Literatur dort, wo derauch schwerwiegende tatbestandsmäßige Erfolg im Umweltmediumauf eine Vielzahl von Handlungen verschiedener Personen zurückzu-führen ist, deren Einzelwirkungen jedoch die Tatbestandsgrenze nochnicht überschreiten5.

Leiten viele Personen unabhängig voneinander in ein GewässerSubstanzen ein, die nach Art und Menge je für sich im Gewässer nochnicht die Grenze der Geringfügigkeit und damit des tatbestandsmäßi-gen Erfolges überschreiten, dann stellt sich die Frage, ob dem einzel-nen nur der von ihm bewirkte Teilerfolg oder der von allen summativherbeigeführte Gesamterfolg zugerechnet werden soll. Dieselbe Pro-blemstruktur läßt sich bei vielen anderen Tatbeständen des Umwelts-trafrechts aufdecken. Sie tritt z. B. beim Tatbestand der Luftverunrei-

2 Lackner, vor § 324 Anm. l b cc,· Möhrenschlager, WiVerw 1984,47, m. w. N.,· Wegschei-der, Kausalitätsfragen im Umweltstrafrecht, ÖJZ 1983,90,91 ff.

3 Hümbs-Krusche/Krusche, Die strafrechtliche Erfassung von Umweltbelastungen,1982, S. 212; Möhrenschlager, WiVerw 1984,48, m. w. N.

4 Möhrenschlager.WiVerw 1984,52ff., Wegscheider,ÖJZ 1983,91 ff.5 Lackner, vor § 324 Anm. l b cc? Laufhütte/Möhrenschlager, Umweltstrafrecht in neuer

Gestalt, ZStW 92 (1980), S. 912, 939; Salzwedel, Zum Begriff der schädlichen Verun-reinigung in § 38 WHG, ZfW 1972,149,153.

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nigung dann auf, wenn die Emission des einen Täters für sich genom-men das in § 325 StGB vorausgesetzte Maß an Gefährlichkeit nochnicht erreicht, kombiniert mit der an sich ebenfalls ungefährlichenEmission des zweiten Täters diese Grenze aber überschreitet6. § 326Abs. 5 StGB erklärt die unerlaubte Ablagerung von Abfall dann fürstraflos, wenn schädliche Einwirkungen auf die Umwelt wegen dergeringen Menge der Abfälle offensichtlich ausgeschlossen sind. Obdie Klausel auch den begünstigt, der zwei Taschenlampenbatterien aneiner Stelle im Wald wegwirft, von der er weiß, daß hier viele ihrenAbfall ablagern, ist gänzlich ungeklärt.

Die im Umweltstrafrecht vorgeschlagenen Lösungen differierenin beträchtlichem Maße von denjenigen Lösungen, die sich aus denallgemeinen Zurechnungslehren ergeben.

Wegscheider7 und Möhrenschlagei* behaupten, aus den allge-meinen Zurechnungslehren ergäben sich keine Schwierigkeiten, demeinzelnen Täter den Gesamterfolg zuzurechnen. Möhrenschlagermeint darüber hinaus, das Ergebnis sei wegen der besonderen Struk-tur der typischen Umweltdelikte auch in der Wertung zufriedenstel-lend9.

Demgegenüber scheint bei denjenigen Autoren, die sich mit demallgemeinen Problem der Zurechnung bei kumulativer Kausalität be-fassen, Einigkeit darüber zu bestehen, daß eine Zurechnung nur desTeilerfolges in Betracht komme. Da sich hier aber die Kausalitätsfragemit dem Problem des Regreßverbots verschränkt, wird immer wiederdarauf hingewiesen, daß Einzelheiten (insbesondere bei quantifizier-baren Erfolgen) ungeklärt10 und die Aufgabe noch nicht befriedigendgelöst sei, die Verantwortungsbereiche mehrerer am Kausalgesche-hen beteiligter Personen voneinander abzugrenzen u.

Da Zurechnungsprobleme stets auch Probleme dei ETiolgsdeiim-tion sein können, soll die kumulative Erfolgsbewirkung im folgendenin zwei Schritten untersucht werden. In einem ersten Teil der Überle-gungen werden zunächst diejenigen Erfolgsdefinitionen ermittelt undgenauer analysiert, bei denen Kumulationsprobleme auftauchen kön-nen. Erst danach wird in einem zweiten Teil nach Lösungsmöglichkei-

6 So der von Wegscheider, ÖJZ 1983,91, dargestellte Hausbrandfall.7 ÖJZ 1983,95.8 WiVerwl984,63.9 WiVerwl984,63.

10 Jakobs, Allg.Teil, 1983,7/17.1 Rudolphi, in: SK, vor § l Rdn. 72.

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ten auf der Ebene der allgemeinen Zurechnungslehre wie auch derbesonderen Erfolgsdefinition gesucht werden.

B. Kumulationseffekte im UmweltstrafrechtL Die beschriebenen Kumulationseffekte stellen kein Problem

sämtlicher Tatbestände des Umweltstrafrechts dar. überall dort, woder Tatbestand von der Auswirkung der Tathandlung auf das Umwelt-medium absieht, entstehen keine Probleme. Das gilt jedenfalls fürdiejenigen Tatbestände, die die schlichte Vornahme genehmigungs-pflichtiger Handlungen mit Strafe bedrohen. Wer eine nach dem Bun-desimmissionsschutzgesetz oder dem Abfallbeseitigungsgesetz er-laubnispflichtige Anlage ohne Erlaubnis betreibt, erfüllt den Tatbe-stand in § 327 Abs. 2 StGB bereits dann vollständig, wenn er die An-lage in Betrieb nimmt. Ob dieser Vorgang überhaupt Auswirkungenauf die Luft oder den Boden hat, ist gänzlich unerheblich. Dasselbegilt für den Betrieb einer Kernkraftanlage, den Umgang mit Kern-brennstoffen und die Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete. Auch indiesen Vorschriften kommt es auf die Auswirkung der verbotenenHandlung nicht an, mit ihrer schlichten Vornahme ist das Deliktvollendet12.

Anders ist die Situation überall dort, wo das Gesetz Auswirkun-gen der Handlung zum tatbestandsmäßigen Erfolg macht. Die Pro-bleme der Zurechnung treten freilich nicht nur bei dem als Verlet-zungsdelikt ausgestalteten Tatbestand der Gewässerverunreinigung,sondern auch bei den konkreten Gefährdungsdelikten des § 330 StGBund dem abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikt in § 325 StGB ebensoauf wie bei der Geringfügigkeitsklausel in § 326 Abs. 5 StGB.

II. Nach § 324 StGB wird derjenige mit Strafe bedroht, der „einGewässer verunreinigt oder sonst dessen Eigenschaften nachteiligverändert". Dabei ist klar, daß die nachteilige Eigenschaftsverände-rung die allgemeine Erfolgsdefinition darstellt und die Verunreini-gung nur ein Anwendungsfall des allgemeinen Begriffs ist13. Für die

12 Hörn, in: SK, § 327 Rdn. 1; Cramer, in: Schönke/Schröder, StGB, 22. Aufl. 1985, § 327Rdn. 1.

13 OLG Karlsruhe ZfW 1982, 385, 396; OLG Hamburg ZfW 1983, 112, 113; Cramer, in:Schönke/Schröder, § 324 Rdn. 9? Sack, Umweltschutzstrafrecht, § 324 Rdn. 26; ders.,Urteilsanmerkung NJW 1977,1407,· Wernicke, Das neue Wasserstrafrecht, NJW 1977,1662, 1665; Czychowski, Das neue Wasserstrafrecht im Gesetz zur Bekämpfung derUmweltkriminalität, ZfW 1980, 205, 207; Möhrenschlager, Urteilsanmerkung NStZ1981, 267; Papier, Gewässerverunreinigung, Grenzwertfestsetzung und Strafbarkeit,1984, S. 6.

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folgenden Überlegungen wird deshalb ausschließlich vom allgemei-nen Begriff der „nachteiligen Eigenschaftsveränderung" ausgegangen.Betrachtet man die Palette der zu diesem Begriff vertretenen Auffas-sungen im Überblick und sieht von Unterschieden ab, die zum Teilnur das Detail, zum Teil die Formulierung betreffen, dann lassen sichim wesentlichen drei Grundpositionen unterscheiden.

Eine erste extreme Position ergibt sich aus einer Entscheidungdes OLG Stuttgart, das meint, es komme allein darauf an, „daß schad-stoffhaltige Abwässer eingeleitet werden" und „ob die eingeleitetenFlüssigkeiten schon aufgrund ihrer chemischen Zusammensetzungden Wasserhaushalt beeinflussen können, ganz ungeachtet ihrerMenge"14. Mit einer solchen Erfolgsdefinition, die in Wahrheit auf dienach dem Wortlaut des Gesetzes erforderliche nachteilige Wirkungauf das Gewässer verzichtet, sind naturgemäß die spezifischen Zu-rechnungsprobleme gelöst15. Wo keine Veränderung des Gewässerserforderlich ist, entstehen auch keine Probleme der Zurechnung ei-ner Gewässerveränderung zur Täterhandlung.

Daß eine solche Interpretation die Wortlautgrenze überschreitet,dürfte ebenso evident sein wie die Tatsache, daß sie die Systematikdes Gesetzes verletzt16. Die Anforderungen an den Erfolg von § 324StGB werden hier noch unter diejenige Grenze reduziert, die derGesetzgeber für das abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikt in §325StGB gezogen hat.

Alle anderen zu § 324 StGB vertretenen Auffassungen verlangeneine tatsächliche Veränderung der Gewässerqualität in chemischeroder physikalischer Hinsicht, die darüber hinaus nachteilig sein muß.Allein über den Begriff des Nachteils wird gestritten.

Während nach ganz überwiegend vertretener Ansicht die Verän-derung schon, dann nachteilig sein soll, wenn die chemische odeiphysikalische Ist-Beschaffenheit des konkreten Gewässers vom Na-turzustand überhaupt oder bei schon vorbelasteten Gewässern nochweiter entfernt wird (sogenannte ökologische Betrachtungsweise)17,

14 OLG Stuttgart ZfW 1977,177,179.15 Möhrenschlager, WiVerw 1984, 59; Tiedemann, Die Neuordnung des Umweltstraf-

rechts, 1980, S. 30.16 Möhrenschlager,WiVeTvr 1984,60.17 LG Kleve NStZ 1981, 266; OLG Karlsruhe ZfW 1982, 385, 387; OLG Hamburg ZfW

1983, 112, 113; Cramer, in: Schönke/Schröder, §324 Rdn.8f Dreher/Tröndle, StGB,43. Aufl. 1986, §324 Rdn.5f.? Hörn, in: SK, §324 Rdn.4? ders., Umweltschutz-Straf-recht: eine After Disziplin?, UPR 1983, 362, 364; Lackner, § 324 Anm. 3a; Sack, Um-weltschutz-Straf recht, § 324 Rdn. 27 f f.; ders., Urteilsanmerkung NJW 1977,1407; Lauf-

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wollen andere von nachteiliger Veränderung erst dann sprechen,wenn der von der Wasserbehörde festgelegte Bewirtschaftungsgraddes Gewässers oder Gewässerabschnitts überschritten oder irgend-welche Nutzungsmöglichkeiten des Gewässers beeinträchtigt wer-den (sogenannte wasserwirtschaftliche Betrachtungsweise)18. Diestrukturellen Unterschiede zwischen diesen Auffassungen, soweit siefür die objektive Zurechnung von Bedeutung werden können, sindgering.

Die wasserwirtschaftliche Betrachtungsweise muß eine be-stimmte Gewässerqualität angeben, deren Unterschreitung erst dentatbestandsmäßigen Erfolg eintreten läßt. Maßgeblich wird dieseGrenze von der Wasserbehörde durch Bewirtschaftungspläne nach§ 36 b WHG oder durch die Summe der von ihr erteilten Einleite-Er-laubnisse festgelegt19. Legt die Wasserbehörde z. B. den noch zulässi-gen ph-Wert für ein Gewässer oder einen Gewässerabschnitt zwi-schen 8,0 und 6,0 fest, dann erfüllt den Tatbestand nur, wer bewirkt,daß der ph-Wert in diesem Gewässerabschnitt unter 6,0 fällt oderüber 8,0 steigt. Sämtliche Veränderungen des vom Täter vorgefunde-nen ph-Wertes innerhalb dieses von der Behörde festgelegten Werte-korridors zwischen 6,0 und 8,0 sind nicht tatbestandsmäßig im Sinnevon § 324 StGB. Sie können freilich den Ordnungswidrigkeitentatbe-stand in § 41 WHG erfüllen.

Die in Literatur und Rechtsprechung überwiegend vertreteneökologische Betrachtungsweise weicht von dieser Grundstruktur derwasserwirtschaftlichen Betrachtung nur scheinbar ab. Bewirkt derTäter z. B., daß der im vorbelasteten Gewässer vorgefundene ph-Wertdurch seine Einleitung verändert wird, dann steht damit nur die Ver-änderung selbst, nicht aber deren Nachteiligkeit fest. Die h. M. mußnoch die Richtung der Veränderung bewerten. Die Anhebung einesph-Wertes z. B. von 6,0 auf 6,5 kann ja durchaus auch vorteilhafteVeränderung sein. Sie ist es z. B. dann, wenn das Gewässer einennatürlichen ph-Wert von 7,0 hätte, sofern andere Einleiter den Wertnicht schon vorher auf 6,0 abgesenkt hätten. In einem solchen Falle

hütte/Möhrenschlager, ZStW 92 (1980), S. 930; einschränkend Rudolphi, Schutzgutund Rechtfertigungsprobleme der Gewässerverunreinigung i. S. d. § 324 StGB, ZfW1982,197, und ders., Primat des Strafrechts im Umweltschutz?, NStZ 1984,193,194.

18 Papier (Anm. 13), S. 6ff. ; ders., Zur Disharmonie zwischen verwaltungs- und straf-rechtlichen Bewertungsmaßstäben im Gewässerstrafrecht, Natur + Recht 1986, 5 f.?Salzwedel, Diskussionsbeitrag, ZfW 1980, 211, 212,· Wernicke, Das neue Wasserstraf-recht, NJW 1977,1662,1666.

19 Papier(Anm. 13), S. 6,· ders., Natur + Recht 1986,2 f.

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führt die vom Täter bewirkte Anhebung des ph-Wertes diesen inRichtung auf den natürlichen Wert zurück, der Täter bewirkt einevorteilhafte und keine nachteilige Veränderung. Erst wenn die Einlei-tung den Wert noch weiter — nämlich über 7,0 — anhebt, entsteht,soweit diese Grenze überschritten wird, eine nachteilige Verände-*rung.

Daß die Bestimmung der für die ökologische Betrachtungsweisebegriffsnotwendigen Soll-Grenze im Einzelfall zu beträchtlichen, bis-her noch gar nicht erkannten Problemen führen kann, dürfte auf derHand liegen. Die Schwierigkeiten beruhen nicht nur darauf, daß dieGewässer sich in der Regel nicht mehr im Naturzustand befinden undes allein schon deshalb nicht leicht fallen dürfte, die Naturgrenzenüberhaupt zu ermitteln20. Der Naturzustand der Gewässer unterliegtdarüber hinaus nicht selten beträchtlichen natürlichen Schwankun-gen in der Zeit, die beim Ansatz der ökologischen Betrachtung rekon-struiert und zum rechtlich relevanten Maßstab der Beurteilung ge-macht werden müssen21.

Aber wie auch immer diese Probleme zu lösen sein mögen, fürden hier interessierenden Zusammenhang muß festgehalten werden,daß auch für die ökologische Betrachtung neben dem Ist-Wert desGewässers vor und nach der Einleitung noch ein Soll-Wert festgelegtwerden muß, der den Maßstab für den Eintritt des tatbestandsmäßi-gen Erfolges abgibt. Lediglich bei gänzlich unbelasteten Gewässernfallen der Soll-Wert und der Ist-Wert vor der Tat zusammen. Ledig-lich hier stellt jegliche Einleitung — sieht man einmal vom später zuerörternden minima-Problem ab — eine nachteilige Eigenschaftsver-änderung dar.

Die strukturellen Gemeinsamkeiten beider Betrachtungsweisenreichen aber noch weiter. Wenn die Vertreter der ökologischen Be-trachtungsweise als einen Vorteil ihrer Erfolgsdefinition hervorhe-ben, daß bei ihr auch ein bereits verunreinigtes Gewässer noch weiterverunreinigt werden kann22, dann besteht in Wahrheit auch in dieserHinsicht kein Unterschied zur wasserwirtschaftlichen Betrachtungs-

20 Gassier, Diskussionsbeitrag, ZfW 1980, 217, 218; Triffterer/Schmoller, Urteilsanmer-kung JR 1983,341,342.

21 Vgl. Papier (Anm. 13), S. 10 f.,· ders., Natur-h Recht 1986, 2; kritisch auch Lackner, § 324Anm. 3cm. w. N.

22 BT-Drucks. 8/2382, S. 14,· OLG Stuttgart ZfW 1977, 177,179; LG Bremen ZfW 1982,254;OLG Hamburg ZfW 1983,112,113; Czychowski, ZfW 1980,207; Dreher/Tröndle, § 324Rdn. 5; Horn, in: SK, § 324 Rdn. 5; Maurach/Schroeder, Bes. Teil, Bd. 2, 6. Aufl. 1981,S. 50; Sack, Urteilsanmerkung NJW 1977,1407; Tiedemann (Anm. 15), S. 32.

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weise. Für diese kann nämlich den Tatbestand auch erfüllen, werStoffe in ein Gewässer einleitet, dessen tatsächliche Belastung vor derEinleitung schon oberhalb des von der Wasserbehörde festgesetztenBewirtschaftungsgrades lag. Die weitere Einleitung erfüllt den Tatbe-stand dann, wenn sie bewirkt, daß die Gewässerqualität sich nochweiter von der von der Behörde festgelegten Grenze entfernt.

Damit erweist sich zwischen beiden Betrachtungsweisen einevollständige strukturelle Übereinstimmung. Den Tatbestand erfülltderjenige Einleiter, der den vor der Tat vorhandenen Ist-Wert durchseine Einleitung entweder unter den maßgeblichen Soll-Wert ab-senkt oder bei schon vor der Tat vorhandener Soll-Wert-Unterschrei-tung durch die Tat weiter vom Soll-Wert entfernt. Lediglich in derinhaltlichen Bestimmung des Soll-Wertes bestehen Unterschiedezwischen ökologischer und wasserwirtschaftlicher Betrachtungs-weise.

III. Für beide Erfolgsdefinitionen entsteht — ebenfalls gemein-sam — das minima-Problem.

Für die ökologische Betrachtungsweise ist es seit je ein Problem,daß nach ihrer Erfolgsdefinition auch ganz geringfügige Eigenschafts-veränderungen den Tatbestand erfüllen, sofern sie nur nachteiligsind. Bereits in den Anhörungen des Bundestages wurde die Fragegestellt, ob denn den Tatbestand auch erfüllen solle, wer auf einerBrücke mit einer Kanne Milch stolpere oder sich zunächst mitSonnenöl einreihe und dann in einem natürlichen Gewässer bade23.Seit diesen Einwänden gehört zum Standard jeder Erfolgsdefinitionder Hinweis darauf, daß ganz geringfügige Verschlechterungen derGewässerqualität den Tatbestand nicht erfüllen können24.

Der weitere Hinweis, daß es sich hier um keine Besonderheit desUmweltstrairechts, sondern nur um das allgemeine minima-Problemhandele, das bei jedem Tatbestand mit quantifizierbarem Erfolg auf-trete, dürfte freilich voreilig sein. Das minima-Problem des Gewässer-strafrechts weist nämlich neben der allgemeinen Dimension nocheine weitere intrikate Teilproblematik auf, die deutlich macht, daß dieErfolgsdefinition beträchtliche Mängel enthält. Wenn etwa behauptetwird, den tatbestandsmäßigen Erfolg des § 324 StGB führe nicht her-

23 So der B DI in der schriftlichen Stellungnahme zur Anhörung vor dem BT-Rechtsaus-schuß am 25.6.1979? Maurach/Schroeder, Bes. Teil, Bd. 2, S. 50.

24 BT-Drucks. 8/2382, S. 14; LG Kleve NStZ 1981, 266, 267, mit Anm. Möhrenschlager,OLG Hamburg ZfW 1983,112,113f Czychowski, ZfW 1980,207? Dreher/Tröndle, § 324Rdn. 5,· Maurach/Schroeder, Bes. Teil, Bd. 2, S. 50.

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bei, wer eine Flasche mit einem Erfrischungsgetränk in einen Flußentleere25, dann wird dabei verschwiegen, daß das Ergebnis keines-wegs selbstverständlich ist. Geht man von der ökologischen Erfolgs-definition aus, nach der jegliche Entfernung der chemischen oderphysikalischen Eigenschaften vom Naturzustand den Tatbestand er-füllt, sofern diese nicht ganz geringfügig ist, dann hilft dieser minima-Zusatz im Beispielsfall in Wahrheit nicht weiter.

Die Antwort auf die Frage, ob die Entleerung des Flascheninhaltsin das Gewässer die chemischen oder physikalischen Eigenschaftennur ganz geringfügig verändert, hängt nämlich davon ab, ob die Ver-änderung im ganzen Gewässer oder nur in Teilen von ihm eingetre-ten sein muß und wie groß diese Teile denn geschnitten werdenmüssen26. In der unmittelbaren Umgebung des Entleerungsortes istdie Gewässerveränderung erheblich. Von unerheblich geringfügigerVeränderung kann man nur dann sprechen, wenn man den in dieBetrachtung einzubeziehenden Gewässerabschnitt so groß zieht, daßsich daraus eine beträchtliche Verdünnung ergibt. Allgemein läßtsich feststellen, daß bei jeder Einleitung an sich schädlicher Stoffe dieminima-Grenze in nahezu beliebiger Weise durch die Verkleinerungoder Vergrößerung des betrachteten Gewässerabschnitts manipuliertwerden kann.

Es handelt sich dabei auch nicht um ein nur theoretisches Pro-blem. Seine praktische Relevanz erweist sich sofort, wenn man an dieVerklappung von Schadstoffen in die Weltmeere oder an die Parallel-Problematik bei der Luftverunreinigung nach § 325 StGB denkt. Imunmittelbaren Umkreis des verklappenden Schiffes ist die Gewässer-güte erheblich reduziert, bereits in geringer Entfernung ist die Verän-derung nicht mehr meßbar. Werden gesundheitsschädliche Gase auseiner Anlage abgelassen und endet das Abgasrohr außerhalb derAnlage, dann ist völlig offen, ob die Eignung zur Gesundheitsbeschä-digung im Sinne von § 325 StGB unmittelbar um den Rohrausgangherum oder in einem Abstand von 10 cm oder 10m oder dazwischenzu bestimmen ist.

IV. Sieht man von diesen ungelösten Problemen der ökologi-schen Betrachtungsweise ab und unterstellt man für die weitere Un-tersuchung, die Definition des Soll-Zustandes sei ebenso geleistet wiedie Bestimmung des für die Geringfügigkeitsgrenze maßgeblichen

25 Maurach/Schroeder, Bes. Teil Bd. 2, S. 50.26 Vgl. Horn, in: SK, § 324 Rdn. 3; BT-Drucks. 8/2382, S. 14.

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Gewässerabschnitts, dann kann für § 324 StGB die folgende Erfolgs-struktur festgehalten werden:

Verändert der Täter den Ist-Zustand des Gewässers, dann kanndie Nachteiligkeit dieser Veränderung nur dann bestimmt werden,wenn man sich zugleich einen — wie auch immer definierten —Soll-Zustand denkt. Entfernt der Täter durch seinen Beitrag den Ist-Zustand vom Soll-Zustand, dann durchschreitet er zunächst den straf -rechtsfreien Raum bis zur Geringfügigkeitsgrenze. Erst wenn er dieseüberschreitet, tritt der tatbestandsmäßige Erfolg ein. Im umgekehrtenFall, in dem der Täter den Ist-Zustand in Richtung auf den Soll-Zu-stand hin verändert, durchläuft er zunächst die tatbestandsfreie Zoneder vorteilhaften Veränderung. Bei Überschreitung des Soll-Zustan-des beginnt dann zunächst wieder der Geringfügigkeitsbereich. Erstwenn dieser verlassen wird, beginnt der Bereich des tatbestandsmäßi-gen Erfolges. Nach jeder Überschreitung der Grenze zum tatbestands-mäßigen Erfolg hin kann dieser vertieft werden. Der Tatbestand er-faßt steigerbares, quantifizierbares Unrecht.

V. Von ganz ähnlicher Struktur sind die übrigen erfolgsbezoge-nen Tatbestände des Umweltstrafrechts.

Die von § 325 StGB erfaßte Emission muß geeignet sein, die Ge-sundheit eines anderen, Tiere, Pflanzen oder andere Sachen von be-deutendem Wert zu schädigen, der verursachte Lärm muß die Eig-nung zur Gesundheitsbeschädigung aufweisen. Sieht man von derSchwierigkeit ab, die vorausgesetzte Eignung von der konkreten Ge-fahr des § 330 StGB zu unterscheiden, dann ist die hier interessie-rende Struktur der Eignung leicht zu bestimmen. Das Schädigungspo-tential der Emission ist quantifizierbar, erst von einer — wie auchimmer zu definierenden — Grenze an erfüllt es den Tatbestand. Da esals Gefahr als das Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Scha-densgröße zu definieren ist, tritt die Quantifizierbarkeit zweidimen-sional auf. Sowohl die Schadenswahrscheinlichkeit wie auch dieSchadensgröße können in unrechtsrelevanter Weise erhöht werden.Exakt dasselbe gilt für die konkrete Gefahr in § 330 Abs. l StGB. Auchsie ist quantifizierbar.

C. Kausalität und ErfolgszurechnungL Nach diesen Vorüberlegungen zum tatbestandsmäßigen Erfolg

der erfolgsbezogenen Umweltdelikte kann zur genaueren Untersu-chung der spezifischen Kausalitäts- und Zurechnungsprobleme über-gegangen werden. Sie treten im Umweltstrafrecht nicht nur beson-

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Kausalitäts- und Zurechnungsprobleme 627

ders häufig, sondern auch in der Form einer besonderen Konstella-tion immer dann auf, wenn der Erfolg erst durch das Zusammenwir-ken mehrerer zustande kommt. Dieses Zusammenwirken soll im fol-genden ausschließlich in der Fallgestaltung erörtert werden, in derMittäterschaft und mittelbare Täterschaft ausgeschlossen sind, weilbei diesen Beteiligungsformen entweder überhaupt keine oder an-dere mit dem Thema nicht zusammenhängende Zurechnungsfragenauftreten. Es wird hier also stets unterstellt, daß von den mehrerenHandelnden kein gemeinsamer Tatentschluß gefaßt wurde und daßder Kenntnisstand aller identisch ist, so daß Mittäterschaft und mit-telbare Täterschaft (kraft überlegenen Wissens) ausscheiden.

Sodann soll für die weitere Überlegung zunächst weiter unter-stellt werden, daß die Wirkungen der mehreren Handlungen im Um-weltmedium zeitlich nacheinander eintreten. Es ergibt sich dann fürden kritischen Kumulationsfall folgende Sachverhaltskonstellation:

A, B und C handeln nacheinander und unabhängig voneinander.Die Einzelwirkung der Handlung des A bestehe darin, daß er denvorhandenen ph-Wert eines Gewässers von 6,0 auf 6,5 anhebt, wobeivorausgesetzt wird, daß es sich dabei um eine vorteilhafte Verände-rung handelt, weil der Soll-Wert 7,0 betragen soll. Die Wirkung derEinleitung durch B bestehe dann in einer weiteren Anhebung desph-Wertes von 6,5 auf 7,1 und C schließlich erhöhe den Wert nochweiter auf 7,3.

Unproblematisch ist bei dieser Fallkonstellation zunächst dieFeststellung, daß B eine tatbestandsmäßige Gewässerverunreinigungjedenfalls dann verursacht hat, wenn die Überschreitung des Soll-Wertes um 0,1 auch schon die Geringfügigkeitsgrenze überschreitet.Auch die Einordnung des von C verursachten Erfolges bereitet inso-fern keine Schwierigkeiten, als die weitere Verschlechterung desGewässerzustandes um 0,2 ebenfalls einen tatbestandsmäßigen Erfolgdarstellt. Schwieriger ist dagegen die Frage nach der Zurechnung zuder Handlung des A zu beantworten.

Das was er allein verursacht hat, erfüllt das Tatbestandsmerkmalnicht, weil dieser Effekt eine vorteilhafte und keine nachteilige Ge-wässerveränderung darstellt. Müßte ihm jedoch der Endzustand desGewässers mit einem ph-Wert von 7,3 deshalb zugerechnet werden,weil die Einleitungen von B und C in ihren Wirkungen auf dem Erfolgder Handlung des A sozusagen aufbauen, dann hätte auch er denTatbestand erfüllt.ZStW99(1987)Heft4

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628 Erich Samson

Das Beispiel läßt sich verallgemeinern: Wenn die tatbestandsmä-ßigen Erfolge aller erfolgsbezogenen Umweltdelikte dieselbe Struk-tur aufweisen, jede Veränderung des Ist-Zustandes stets zunächsteine tatbestandsfreie Zone durchläuft — und sei es auch nur die Zoneder Geringfügigkeit —, dann sind stets aufeinander aufbauende Ein-zeleffekte vorstellbar und stets gibt es drei voneinander zu unter-scheidende Erfolgsarten: Der vom Täter unmittelbar bewirkte Erfolgkann entweder selbst den Tatbestand noch nicht erfüllen, obwohl erdurch das Handeln anderer komplettiert wird, oder er kann dieGrenze zum Tatbestand eben gerade überschreiten, oder er kannschließlich den bereits eingetretenen tatbestandsmäßigen Erfolg ver-tiefen. Stets aber ist die allgemeine Frage zu klären, ob dem Täter nurder von ihm selbst und unmittelbar verursachte Teilerfolg oder derungeteilte Gesamterfolg zuzurechnen ist.

II. Die Frage, ob eine Teilerfolgszurechnung in diesem Sinne odereine Zurechnung des Gesamterfolges geboten ist, läßt sich für denLetzthandelnden am einfachsten und mit Aussicht auf allgemeinenKonsens beantworten.

Wenn im Beispiel C den nachteiligen Gewässerzustand von 7,1vorfindet und ihn dann weiter auf 7,3 verschlechtert, dann kann ihmdie Gesamtabweichung vom Soll-Zustand in Höhe von 0,3 schon des-halb nicht zugerechnet werden, weil er die Basisabweichung vomSoll-Wert in Höhe von 0,1 nicht verursacht hat. Das bedarf keinerweiteren Begründung, weil es sich ohne weiteres sowohl aus der naivverstandenen conditio-sine-qua-non-Formel wie auch aus der Lehrevon der gesetzmäßigen Bedingung ergibt.

Die beim zuletzt Handelnden allein schon aus Kausalitätsgrün-den erforderliche Teilerfolgszurechnung ist nicht nur im Hinblick aufdie Strafzumessung von Bedeutung. Wenn die von ihm verursachteVerschlechterung des Umweltmediums die Geringfügigkeitsgrenzenoch nicht überschreitet, dann führt die notwendige Zurechnung al-lem des Teilerfolgs in einem solchen Falle zur Straflösigkeit.

III. Erhebliche Probleme entstehen aber bei demjenigen, dessenallein von ihm verursachter Teilerfolg die tatbestandsfreie Zone nochnicht überschreitet.

1. Die Versuchung ist groß, das Problem kurzerhand mit derAnwendung der Äquivalenztheorie zu lösen und auch die Handlungdes zuerst Handelnden deshalb für den Gesamterfolg für kausal zuhalten, weil ohne seinen Beitrag die Handlung des zweiten den Erfolg

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Kausalitäts- und Zurechnungsprobleme 629

nicht verursacht hätte27. Die Parallele zu den üblichen Schulfällen derTötung durch Gift drängt sich geradezu auf. Beträgt die tödliche Dosiseines bestimmten Giftes 1000 mg und mischen A und B unabhängigvoneinander je 500 mg in dasselbe Getränk, dann ist auch der zuersthandelnde A für den Tod des Trinkenden ursächlich, obwohl seineDosis allein für die Tötung nicht ausgereicht hätte.

Die Parallele zu diesem Schulfall ist aber schon auf der Kausali-tätsebene höchst problematisch. In den Normalfällen kumulativerKausalität vereinigen sich zwei Kausalketten in der Weise, daß siedurch Zusammenwirken der in ihnen enthaltenen dynamischenKräfte einen identischen einheitlichen Erfolg herbeiführen28. Wenndagegen der tatbestandsmäßige Erfolg der Gewässerverunreinigungim Beispielsfall als das Vorhandensein eines ph-Wertes von wenig-stens 7,1 definiert wird, dann bedeutet dies nichts anderes, als daßsich in einer Mengeneinheit des Gewässers eine bestimmte absoluteZahl von — den laugenartigen Charakter des Gewässers ausmachen-den — Sauerstoff-Wasserstoff-Ionen befindet

Dann lassen sich die Situation und ihre Veränderung durch dieHandelnden aber auch mit den absoluten Zahlen der vorhandenenIonen ausdrücken. A hätte dann in einer Gewässereinheit 600 Ionenvorgefunden und 50 hinzugefügt, B hätte 650 Ionen vorgefunden undweitere 60 hinzugefügt Ob bei einer solchen Betrachtungsweise nochdavon gesprochen werden kann, A habe die Existenz von 710 Ionenmitverursacht, ist in hohem Maße zweifelhaft.

Was hier als einheitlicher Erfolg aufgefaßt wird, ist nämlich inWahrheit das gleichzeitige Vorhandensein mehrerer Einzelerfolge.In diesem Sinne bekommt die Rede vom Summationseffekt einenSinn, der den Unterschied zu den üblicherweise im Strafrecht behan-delten Erfolgen ausdrückt die durch das Zusammenwirken mehrererKausalketten entstehen und deshalb die Bezeichnung „synergetischeEffekte" verdienen. Der Summationseffekt in diesem Sinne zeichnetsich gegenüber dem synergetischen Effekt dadurch aus, daß nicht eineinzelnes Ereignis Gegenstand des Begriffes ist, sondern daß derSummationseffekt eine bestimmte Zahl von Einzelereignissen begriff-lich zusammenfaßt. Dann muß bei ihm aber zwischen der Verursa-chung der Einzelereignisse einerseits und der vom Ereignis abgelö-sten Ermöglichung des vom Tatbestand vorausgesetzten Zählurteilsandererseits unterschieden werden.27 So Wegscheider,ÖJZ 1983,94.28 Lenckner,m:Schönke/Schröder,voT§§ 13ff.Rdn.83.

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630 Erich Samson

Da das Zählurteil nichts anderes als ein Subsumtionsergebnis,ein Urteil also über die Beziehung zwischen den konkret vorhande-nen Einzelereignissen einerseits und den Regeln über das Zählenandererseits ist und da Subsumtionsurteile im Sinne der Kausalitäts-lehre nicht verursacht werden können, besteht keine Möglichkeit,denjenigen, der einen Teil der Einzelereignisse bewirkt hat, als Verur-sacher der Gesamtzahl aller Ereignisse zu bezeichnen.

Wenn A zunächst 50 Ionen und sodann B 60 Ionen in die Gewäs-sereinheit eingebracht haben, dann kann mit der Kausalitätslehrelediglich festgestellt werden, daß jeder das Vorhandensein jedes ein-zelnen von ihm eingeleiteten Ions verursacht hat, nicht aber die Ein-leitung von 50 Ionen das Vorhandensein von 60 Ionen mitverursacht.Durch die Einleitung von 50 Ionen hat A lediglich ermöglicht, daßnach der Einleitung von 60 weiteren Ionen durch B das Zählurteilabgegeben werden kann, es seien nunmehr 110 Ionen vorhanden. Dasaber ist keine Verursachung.

2. Mit der Erkenntnis, daß Summationserfolge nicht als solcheverursacht werden können, ist jedoch die Entscheidung über das Zu-rechnungsproblem noch keineswegs gefallen.

Daß der Umfang der Zurechnung nicht von der Kausalitätstheo-rie entschieden wird, sondern durch Modifizierungen der Erfolgsdefi-nition reguliert werden kann, ist eine Erkenntnis, die sich spätestensin den letzten 20 Jahren der Zurechnungsdiskussion zum allgemei-nen Konsens verdichtet hat29. In diesem Sinne muß nach Feststellungder besonderen Struktur von Summationseffekten nun nach den mög-lichen Variationen der Erfolgsdefinition gefragt werden. Dabei stelltsich dann sehr schnell heraus, daß nicht die logische Struktur, son-dern allein die Wertung das Ergebnis bestimmt.

Bedient sich das Gesetz bei der Erfolgsbeschreibung der beson-deren Begriffsstruktur des Summationseffektes, dann knüpft es diestrafrechtliche Haftung stets an die Überschreitung eines Grenz- oderbesser Schwellenwertes in folgendem Sinne an: Vorausgesetzt wirdstets eine Mehrzahl von Einzelereignissen. Bewirkt der Täter einEinzelereignis, das im Verein mit den bereits vorher eingetretenenEreignissen das Urteil ermöglicht, daß nunmehr die im Tatbestandbestimmte Zahl von Ereignissen vorhanden ist, dann ist der tatbe-standsmäßige Erfolg eingetreten. Daraus folgt nun freilich nicht not-

29 Siehe etwa Puppe, Der Erfolg und seine kausale Erklärung im Strafrecht, ZStW 92(1980), S. 863,873 f.

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Kausalitäts- und Zurechnungsprobleme 631

wendig, daß stets nur diejenige Handlung verboten ist, die das schwel-lenüberschreitende Einzelereignis verursacht.

Die Norm kann das tun, sie ist aber darauf nicht beschränkt. Siekann lauten: „Verursache kein schwellenüberschreitendes Einzeler-eignis!"; sie kann aber auch sehr wohl den Inhalt haben: „Verursachekein Einzelereignis, wenn andere entschlossen sind, gleiche Einzeler-eignisse zu verursachen, und die Summe aus den von dir verursachtenund den von den anderen geplanten Einzelereignissen den Schwel-lenwert überschreitet!" Diese zweite Normformulierung löst das Kau-salitätsproblem dadurch, daß sie die Erfolgsdefinition auf den vomTäter verursachten Teilerfolg beschränkt und die Entschlossenheitanderer Täter, den Teilerfolg des ersten Täters zum von der Normeigentlich gemeinten Gesamterfolg zu komplettieren, zur Vorausset-zung der Normentstehung macht.

3. Die Wahl zwischen den beiden möglichen Normformulierun-gen kann auf unterschiedlich hohem Abstraktionsniveau diskutiertwerden.

Wenn für das Umweltstrafrecht für die Tatbestandsmäßigkeitauch der erst in der Summation tatbestandlich relevanten Einzeler-eignisse mit dem Hinweis auf die besondere Situation der Umweltplädiert wird30, dann betrifft diese Argumentation die Stufe des be-sonderen Tatbestandes. Bevor eine derartige Problemkonkretisierungvorgenommen wird, muß aber die Frage untersucht werden, ob dieeine oder die andere Art der Normformulierung ganz generell für denFall der mittelbaren Verursachung vorzuziehen ist.

Um die Verallgemeinerungsfähigkeit des Problems plausibel zumachen, soll im folgenden ein Fallbeispiel erörtert werden, in demeine Norm verhindern will, daß über eine Brücke gleichzeitig mehrals vier Fahrzeuge fahren, weil sonst Lagerschäden an der Brücke zubefürchten sind. Auch hier muß sich der einzelne Fahrer fragen, ob erdie Brücke schon dann befahren darf, wenn sich vor ihm auf derBrücke nicht mehr als drei Fahrzeuge befinden, oder ob ihm dieAuffahrt auf die Brücke auch dann untersagt ist, wenn die hinter ihmfahrenden Fahrer entschlossen sind, so dicht hintereinander zu fah-ren, daß sich — sein Fahrzeug eingeschlossen — mehr als vier Fahr-zeuge auf der Brücke befinden werden.

Es geht hier stets um die allgemeine Frage, ob an sich erlaubteHandlungen schon dann verboten sein sollen, wenn andere entschlös-

se Möhrenschlager,WiVeTwl984,63.ZStW99(1987)Heft4

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632 Erich Samson

sen sind, den durch die Ersthandlung bewirkten rechtmäßigen Zu-stand zur Herbeiführung verbotener Erfolge zu mißbrauchen.

Noch allgemeiner geht es um die Zuteilung von Handlungsfrei-heit bei begrenztem tatsächlichen Handlungsraum. Das der Rechts-ordnung primär zugrundeliegende Prinzip besteht darin, daß bei feh-lender spezieller Zuteilung von Freiheit der zuerst Handelnde denFreiraum nutzen darf und die später Kommenden die bereits erfolgteAusnutzung des Freiraums zu respektieren haben. Wenn dagegenbereits die Entschlossenheit des später Handelnden den früher Han-delnden in seiner Handlungsfreiheit begrenzt, dann wird das Prinzipdes ersten Zugriffs auf den begrenzten Handlungsraum durch einanderes in höchstem Maße bedenkliches Prinzip ersetzt. Über dieZurechnung des vom Zweiten verursachten deliktischen Erfolges zuran sich erlaubten Handlung des Ersten wird diesem — so er rechts-treu sein will — der Handlungsspielraum durch denjenigen genom-men, der entschlossen ist, notfalls deliktisch zu handeln.

Will man eine derartige den rechtstreuen Bürger einschrän-kende handlungsleitende Funktion deliktischer Entschlüsse anderernicht zum allgemeinen Prinzip machen, dann bedarf die Zurechnungeiner Einschränkung.

Das hier formulierte Problem tritt aber nicht nur bei Delikten mitSummationseffekten auf, sondern ebenso dort, wo der Tatbestandeinen einheitlichen Erfolg definiert. Wer im Brückenbeispiel den imgedachten Tatbestand formulierten Erfolg (vier Fahrzeuge befindensich auf der Brücke) dem Ersthandelnden nicht zurechnen will, weildiesen die deliktische Entschlossenheit der anderen nicht einschrän-ken soll, der muß die Zurechnung auch zum synergetischen Erfolg derSachbeschädigung verneinen, so an der Brücke tatsächlich Lagerschä-den entstehen. Damit erweist sich dann, daß die Analyse des Summa-tionseffektes zu einem allgemeinen Problem zurückführt, das in der-selben Weise auch bei synergetischen Erfolgen auftritt und das in derZurechnungslehre unter dem Stichwort „Regreßverbot" in neuererZeit zunehmend diskutiert wird.

Dabei besteht weithin Einigkeit, daß jedenfalls nicht jegliche mit-telbare Verursachung die Zurechnung zum Ersthandelnden zu be-gründen vermag31. Die dafür gegebenen Begründungen und Differen-zierungsgesichtspunkte decken eine relativ weite Palette ab. Sie wol-len die Haftung des Ersthandelnden unter dem Gesichtspunkt der3l Siehe nur Lenckner, in: Schönke/Schröder, vor §§ 13ff. Rdn. 101; Rudolphi, in: SK, vor

§lRdn.72,jeweilsm.w.N.

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Kausalitäts- und Zurechnungsprobleme 633

Sozialadäquanz, fehlender Steuerbarkeit, begrenzter Verantwor-tungsbereiche oder möglicher Distanzierung des Ersthandelnden vonden Folgen seines Verhaltens regulieren. Sieht man genau hin, danngehören hierher auch Vorschläge, die die Haftung wegen Beihilfe aufdie Fälle der Solidarisierung mit dem Haupttäter begrenzen wollen32.

Die Einzelausgestaltung dieser Problemlösungsansätze weichtfreilich in zweierlei Hinsicht von der hier vertretenen Position ab. Dadie bisher vorliegenden Regreßverbotslehren im Gewand der Lehrevon der objektiven Zurechnung auftreten und damit den Blick wegvom Handlungs- und hin zum Erfolgsunrecht wenden, entgeht ihnender hier für entscheidend gehaltene Aspekt der sinnvollen Normfor-mulierung. Es geht bei der Entscheidung der Grundsatzfrage nichterst darum, wieweit Kausalketten per Zurechnung zurückverfolgtwerden müssen, damit der Konflikt in normstabilisierender Weiseerklärt werden kann33, sondern um den Inhalt der Norm selbst. DieLösung des Regreßverbotsproblems — wie immer sie aussehen mag— verteilt normativ Handlungsfreiheit bei faktisch beschränkterHandlungsmöglichkeit.

Wenn nach der hier favorisierten Lösung die Handlungsfreiheitnicht durch die Entschlossenheit anderer beschränkt werden kann,auf den Folgen der Ersthandlung in notfalls deliktischer Weise aufzu-bauen, dann findet die Freistellung des Ersthandelnden dort ihreGrenze, wo dessen schutzwürdige Freiheit nicht mehr betroffen ist.Das ist immer dort der Fall, wo die Ersthandlung vom deliktischenZiel der Zweithandlung erst ihren Sinn bekommt. In einem solchenFall beschränkt der deliktische Plan des Zweiten die Freiheit de.sErsten deshalb nicht, weil dieser bei fehlendem deliktischen Plan desZweiten den Entschluß zur ersten Handlung erst gar nicht gefaßthätte. Damit erweist sich aber auch hier die Berechtigung des vonArmin Kaufmann gegen die Lehre von der objektiven Zurechnunggenerell geltend gemachten Einwandes, daß die Inhalte dieser Lehreobjektiv nicht wirklich formuliert werden können, die Würfel viel-mehr im subjektiven Tatbestand fallen34.32 Siehe etwa Jakobs, Regreßverbot beim Erfolgsdelikt, ZStW 89 (1977), S. l, 4f., und

ders., Allg. Teil, 24/15? Lenckner, in: Schönke/Schröder, vor §§ 13ff., Rdn. 101 a?Naucke, über das Regreßverbot im Strafrecht, ZStW 76 (1964), S. 409, 426? Otto,Kausaldiagnose und Erfolgszurechnung im Strafrecht, Festschrift für Maurach, 1972,S. 91, 99? Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbst-verantwortung der Anderen, 1986.

33 So aber Jakobs, ZStW 89 (1977), S. 19.34 Armin Kaufmann, „Objektive Zurechnung" beim Vorsatzdelikt?, Festschrift für Je-

scheck, 1985, S. 251,258ff.

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634 Erich Samson

Die Einzelausgestaltung dieser Lösung ist hier aber weder nötignoch möglich. Jedenfalls scheidet nach den allgemeinen Zurech-nungsregeln die unbegrenzte Zurechnung mittelbar verursachter Er-folge aus. Da in den als problematisch empfundenen Fällen kumulati-ver Kausalität aber weitere Gesichtspunkte fehlen, die die Zurech-nung nach den — wie auch immer verstandenen — Regeln des Re-greßverbotes tragen, kommt eine Lösung des Problems auf der Zu-rechnungsebene nicht in Betracht.

IV. Es ist freilich noch die Frage zu untersuchen, ob in Abwei-chung von den allgemeinen Regeln jedenfalls für die Umweltschutz-tatbestände — sozusagen aus Gründen des Besonderen Teils — eineZurechnung begründet werden kann.

In der Literatur wird gelegentlich darauf hingewiesen, die Zu-rechnung des Gesamterfolges zur einzelnen Handlung sei auch dannerforderlich, wenn der von ihr unmittelbar verursachte Teilerfolg denTatbestand noch nicht erfülle, weil gerade im Umweltstrafrecht sol-che Konstellationen in einer Häufigkeit vorkämen, die die Umwelt-medien ernsthaft bedrohten35.

Die Struktur der erfolgsbezogenen Umweltdelikte verbietet je-doch eine derartige Lösung. Hält man die hier vertretene Analyse für"richtig, dann beseitigt die Zurechnung des Gesamterfolges die an sichgewährte Handlungsfreiheit im tatbestandslosen Raum allein des-halb, weil andere entschlossen sind, die Schwelle zum Delikt zu über-schreiten. Da aber nach der Begründung, die die Gesamterfolgslösungselbst anführt, diese Entschlossenheit der später Handelnden die Re-gel ist, wird über die Zurechnungserweiterung praktisch die Maßgeb-lichkeitsgrenze vollständig aufgegeben.

Wenn ich mein Verhalten generell daran orientieren muß, daßder von mir beseitigte ganz geringfügige Abfall von anderen zu be-denklichen Mengen komplettiert werden kann, dann ist die Geringfü-gigkeitsklausel in § 326 Abs. 5 StGB praktisch außer Kraft gesetzt.Wenn ich stets damit zu rechnen habe, daß die von meinem Betriebausgehende und keineswegs gefährliche Emission durch andere zueiner Gesamtemission mit der vom Tatbestand vorausgesetzten Eig-nung ergänzt werden kann, dann ist die Eignungsklausel in § 325StGB praktisch gestrichen.

Bei § 324 StGB führte ein solches Zurechnungsverfahren sogarstets zu einer Beseitigung des Geringfügigkeitsmerkmals, da zeitlich

35 Möhrenschlager.WiVeTw 1984,62f.

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Kausalitäts- und Zurechnungsprobleme 635

nach der Einleitung von Stoffen, die als solche das Gewässer nurgeringfügig belasten, stets weitere Einleitungen erfolgen. Wird demTäter all das zugerechnet, was zeitlich nach ihm dem Fluß in einer aufseinem Beitrag aufbauenden Weise angetan wird, dann entstehengeradezu groteske Konsequenzen. Wer in einen Fluß kurz vor demEinleitungsrohr eines Chemiewerks einen Liter Salzsäure kippt, demwürde nach der Gesamterfolgslösung nicht nur die geringfügige Ge-wässerveränderung durch einen Liter Salzsäure, sondern auch dieSäureeinleitung des Chemiewerks im Ganzen zugerechnet.

Die Beispiele mögen genügen. Denkt man die Folgen der Ge-samterfolgszurechnung zu Ende, dann wird hinreichend deutlich, daßdie Vernunft der allgemeinen Zurechnungseinschränkung für ihreBeibehaltung auch in den besonderen Tatbeständen des Umweltstraf-rechts spricht.

Es bleibt der Praxis freilich auch bei der Teilerfolgszurechnungnoch ein Weg, die kumulativ bedenklichen Einleitungen zu erfassen,und er wird auch bereits beschritten. Wenn es einerseits unvermeid-lich ist, die Zurechnung auf den vom Täter unmittelbar verwirklichtenTeilerfolg zu beschränken, und andererseits die sich kumulierendengeringfügigen Gewässerverunreinigungen große Gesamtschäden be-wirken, dann besteht für die Praxis naturgemäß die Versuchung, denEffekt der Gesamterfolgszurechnung wenigstens teilweise durch im-mer weitere Reduzierung der Geringfügigkeitsgrenzen zu erzielen.Bei diesem Vorgang wird dann der dem Täter nicht zurechenbareGesamterfolg zum Motiv des Richters dafür, daß er den zurechenba-ren Teilerfolg trotz seiner Geringfügigkeit schon als tatbestandsmä-ßig ansieht und in der Strafzumessung schwerer gewichtet. Dem ent-sprechen dann flankierende Bemühungen der Wissenschaft, diesesVerfahren durch die Findung eines neuen Deliktstyps zu rechtferti-gen.

Das Argument, das dort für die tatbestandsmäßige Erfassungauch geringfügigster Veränderungen des Umweltmediums vorgetra-gen wird, die Behauptung vor allem, das Problem der großen Zahlerlaube dem Gesetzgeber die Schaffung von Kumulationsdelikten36,stellt nichts anderes dar als den Versuch, die notwendige Lösung desZurechnungsproblems durch Veränderung der Erfolgsdefinition wie-der rückgängig zu machen. Ob eine solche Strategie legitim ist, ob

36 Kuhlen, Der Handlungserfolg der strafbaren Gewässerverunreinigung, GA 1986,389,401.

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636 Erich Samson

insbesondere die Kriminalisierung der Bagatelle auch dort, wo dietatsächlich bedenkliche Kumulation im Umweltmedium im Einzelfallausgeblieben ist, die generalpräventive Wirkung der Umwelttatbe-stände nicht zerstört, soll hier nicht mehr untersucht werden.

Der ganze Vorgang bestätigt aber die Ausgangsthese, daß esspezielle Zurechnungsprobleme im Umweltrecht nicht gibt, daß abersehr wohl die Ergebnisse der allgemeinen Zurechnungslehren durchManipulationen am Erfolgsbegriff in nahezu beliebiger Weise korri-giert werden können.

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