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KBV KLARTEXT KLAR TEXT Das Magazin der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dezember 2014 Zerreißprobe Der Gesetzentwurf zum GKV-VSG beinhaltet eine Ungleichbehandlung von Klinikärzten und Niedergelassenen. Eine harte Probe für die Balance von stationärer und ambulanter Versorgung. Peer Review und Peer Visit Qualitätsinitiativen von niedergelassenen Ärzten Interview mit FAZ-Redakteur Andreas Mihm „Es geht immer um die Behauptung, dass Mittel zu knapp seien“ Grundversorger gestärkt Konkrete Details zum Honorarabschluss für 2015

KBV KLAR KLARTEXTTEXT · handlung von stationären und ambu-lanten Versorgungsstrukturen. Als weiteres Argument für solche Ab-sichten der Bundesregierung führt die KBV in ihrer

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KBV KL A R T E X TKL AR T E X TDas Magazin der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dezember 2014

ZerreißprobeDer Gesetzentwurf zum GKV-VSG beinhaltet eine Ungleichbehandlung von Klinikärzten und

Niedergelassenen. Eine harte Probe für die Balance von stationärer und ambulanter Versorgung.

Peer Review und Peer VisitQualitätsinitiativen von niedergelassenen Ärzten

Interview mit FAZ-Redakteur Andreas Mihm„Es geht immer um die Behauptung, dass Mittel zu knapp seien“

Grundversorger gestärktKonkrete Details zum Honorarabschluss für 2015

INHALT

STANDPUNKT

Seltsam und paradox – so lässt sichder Referentenentwurf zum Versor-gungsstärkungsgesetz am besten be-schreiben. Auf der einen Seite beklagtdie Politik vermeintlich zu lange War-tezeiten, auf der anderen Seite will sieArztsitze in überversorgten Regionenaufkaufen. Auch die Öffnung derKrankenhäuser ist keine Lösung, denndie suchen selbst händeringend Ärzte.Zudem ist das nächste Krankenhausauf dem Land meist auch kilometer-weit entfernt. Ein spezialisierter Fach-arzt in einem 800-Seelen-Dorf könntekaum überleben. Deshalb behandelnÄrzte in den angeblich überversorgtenGebieten die Patienten aus den be-nachbarten Regionen in der Regel mit.Sie bieten ihnen die qualitätsgesicher-te und vertrauensvolle Behandlung,die nur ein niedergelassener Arzt oderPsychotherapeut garantieren kann. DerReferentenentwurf? Seltsam und para-dox! Meike Ackermann

IMPRESSUM

KBV KLARTEXTDas Magazin der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Herausgeber:Kassenärztliche BundesvereinigungDr. Andreas Gassen (Vorstandsvorsitzender der KBV, V.i.S.d.P.)

Redaktion:Meike Ackermann, Sten Beneke, Alexandra Bukowski, Marscha Edmonds, Ticia Schiffner,Corina Glorius, Filip Lassahn

Redaktionsbeirat:Dr. Roland Stahl

Satz: rheinschrift Christel Morische, Bad Herrenalb

Druck: Druckerei Humburg, Zimbelstr. 26, 13127 Berlin

Erscheinungsweise: vierteljährlich

Redaktionsanschrift:Kassenärztliche BundesvereinigungRedaktion KLARTEXTHerbert-Lewin-Platz 2, 10623 BerlinE-Mail: [email protected]. 030 4005-2260Fax 030 4005-2290

Titelthema

Referentenentwurf zum GKV-VSG Seite 4

Politik

Details zu den Honorarverhandlungen für 2015 Seite 6

X-Ray – die Vorstandskolumne Seite 7

Kampagne der KBV Seite 8

Themen in Brüssel: Neue Kommission nimmt Arbeit auf Seite 10

Vertreterversammlung der KBV Seite 10

Versorgung

KBV stellt Konzept für Peer-Review-Verfahren vor Seite 14

Peer Visit: Vier Augen sehen mehr Seite 15

Interviews

Im Gespräch mit … Andreas Mihm Seite 12

Zehn Fragen an … Prof. Gerd Glaeske Seite 19

Service

Hinter den Kulissen von KV-on Seite 16

Angeklickt und aufgeblättert Seite 18

Meldungen

Bundesnachrichten Seite 11

Aus den Kassenärztlichen Vereinigungen Seite 17

KBV KLARTEXT ist kostenfrei zu abonnieren unter www.kbv.de.

Foto Titelseite: Hemera Technologies/AbleStock/thinkstock

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THEMENAUSWAHL

Widersinniger GesetzentwurfDer Referentenentwurf zum Gesetzzur Stärkung der Versorgung in dergesetzlichen Krankenversicherung(GKV-VSG) wird seitens der KBV alswidersprüchlich bezeichnet. Auf dereinen Seite verlangt die Bundesregie-rung – bestehend aus CDU/CSU undSPD – Arztsitze in überversorgtenGebieten aufzukaufen, was zu einerSchließung von bis zu 25.000 Praxen

führen würde. Auf der anderen Seitewerden Hochschulambulanzen inStädten geöffnet, in denen häufigÜberversorgung herrscht. Außerdemordnet die Politik eine Vier-Wochen-Termingarantie an, da angeblich zuhohe Wartezeiten auf einen Facharzt-termin herrschen. Der KBV ist nichtklar, in welchem Maße das zusam-menpassen soll. Seiten 4, 5 und 7

Grundversorger im FokusBei den Honorarverhandlungen fürdas Jahr 2015 haben sich die KBVund der Spitzenverband der gesetzli-chen Krankenversicherung auf einHonorarplus von über 800 MillionenEuro geeinigt. Dabei gehen 264 Mil-lionen Euro an die grundversorgendenHaus- und Fachärzte. Damit soll die

ambulante medizinische Versorgungvor dem Hintergrund des Ärzteman-gels sichergestellt werden. Zu glei-chen Teilen werden jeweils extrabud-getär Fachärzte mit einem Zuschlagzur PFG und Hausärzte mit der Förde-rung von nichtärztlichen Praxisassis-tenten unterstützt. Seite 6

Peer Review und Peer VisitÄrzte lernen von Ärzten, indem sie sich in der Praxis besuchen, beobachten undbewerten. Hinterher sprechen sie konstruktiv in einem Vier-Augen-Gesprächüber die Beobachtungen sowie mögliche Verbesserungsmöglichkeiten. Das istdie Idee von Peer Review. Ein Anästhesienetz in Berlin hat mit Peer Visit eineigenes Konzept des gegenseitigen Lernens entwickelt. Seiten 14 und 15

Mihm: „Es gibt wichtigere Probleme“Er sieht die Entwicklung der deutschen Gesundheitspolitik vor allem durch ei-ne wirtschaftspolitische Brille: Andreas Mihm, Wirtschaftsredakteur bei derFrankfurter Allgemeinen Zeitung. Im Interview spricht er über den Referenten-entwurf zum Versorgungsstärkungsgesetz als „Fall des ganz normalen gesund-heitspolitischen Irrsinns, den man keinem Menschen erklären kann“. BevorPraxen geschlossen werden, müsse geklärt sein, welches Versorgungsnetz manin Deutschland habe wolle, so Mihm. ab Seite 12

(Foto: Edmonds)

(Foto: ghekko/iStockphoto, Montage: Edmonds)

(Foto: Bonatz)

(Foto: Bukowski)

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GKV-VSG

Gesetzentwurf schwächt ambulante VersorgungMit dem Referentenentwurf zum GKV-VSG wurden viele gesundheitspolitische Aspekte aus dem Koalitions-vertrag eins zu eins umgesetzt. Dennoch ist in der Ärzteschaft das Unverständnis für einige Vorhaben derBundesregierung groß. Die Niederlassung wird unattraktiver und der stationäre Sektor immer weiter ge-stärkt. Marscha Edmonds erklärt die Auswirkungen des Entwurfs.

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Nach der Bundestagswahl stellte dieschwarz-rote Bundesregierung vorungefähr einem Jahr ihren Koalitions-vertrag vor. Viele der darin festge-setzten Passagen zu gesundheitspoliti-schen Themen stießen bei der KBVauf großes Unverständnis – allen voran die Paritätspläne zu den Vertre-terversammlungen der KBV und derKassenärztlichen Vereinigungen(KVen). Hausärzte sollten über reinhausärztliche Belange entscheidenund Fachärzte über rein fachärztlicheBelange. Neben vielen weiteren Punkten findetsich genau dieser Passus im Referen-tenentwurf zum Gesetz zur Stärkungder Versorgung in der gesetzlichenKrankenversicherung (GKV-VSG)wieder. Den geplanten Paragrafen 79Absatz 3a lehnt die Vertragsärzte-schaft grundsätzlich ab. „Diese ge-setzliche Regelung zur Vertreterver-sammlung sieht einen starken Eingriffin die Strukturen der Selbstverwal-tung vor“, erklärt Dr. Andreas Gas-sen, Vorstandsvorsitzender der KBV.„Die Einheit der Vertragsärzteschaftmuss für die Sicherstellung und Ge-währleistung der freiberuflichen ver-tragsärztlichen und -psychotherapeu-tischen Versorgung erhalten bleiben.“Aufgrund dessen hatte die KBV be-reits in einem Satzungsausschuss vom18. und 19. September 2014 einenKoordinierungsausschuss für aus-schließlich hausärztliche und fach-ärztliche Angelegenheiten etabliert.„Eine gesetzliche Regelung dieser Sache ist also überflüssig“, sagt Gas-sen weiter. Die bereits im Koalitionsvertrag fest-gelegte Einrichtung eines beratendenFachausschusses für angestellte Ärztein der Vertreterversammlung begrüßtdie KBV hingegen.

Selbst wenn für ein solches Szenarioweitere Bedingungen erfüllt sein müs-sen, lehnt die KBV diese Neurege-lung ausdrücklich ab. Vor allem siehtsie in dem Fakt, dass ausschließlichselbstständig tätige Ärzte und Psy-chotherapeuten betroffen sind, einenAngriff auf die Freiberuflichkeit, dieim Koalitionsvertrag noch hochgehal-ten wurde. Angestellte Ärzte oderMedizinische Versorgungszentren(MVZ) sind von dieser Abbau-Rege-lung ausgenommen. „Wir erkennendarin die Absicht, unabhängige undselbstständige Arztpraxen zugunstenvon MVZ mit angestellten Ärzten inabhängiger Stellung abzuschaffen undsehen darin einen Angriff auf dieFreiberuflichkeit der ärztlichen Be-rufsausübung“, stellt Gassen klar.Niederlassungswillige Ärzte würdendurch eine solche Regelung abge-schreckt. Praxen würden somit ihreFunktion der Altersversorgung verlie-ren. Des Weiteren müsste aus Sicht

Aufkauf von ArztpraxenEin in der Vertragsärzteschaft äußerstumstrittener Punkt des Referentenent-wurfs ist der geplante Ankauf vonArztpraxen in überversorgten Gebie-ten. Nach dem Gesetzentwurf wirddie bisherige Formulierung zum Ab-bau von Überversorgung durch denAnkauf von Arztpraxen von einer„Kann“- in eine „Soll“-Regelungüberführt. Ärzte, die in einem ge-sperrten Gebiet ruhestandsbedingt ih-re Zulassung abgeben möchten, müs-sen befürchten, ihre Praxis nicht mehran einen interessierten Nachfolgerverkaufen zu können. Denn in überversorgten Gebieten sollder Antrag auf Nachbesetzung vomZulassungsausschuss abgelehnt wer-den, wenn eine Versorgungsnotwen-digkeit für die Weiterführung der Praxis nicht festgestellt werden kann.In diesem Fall ist die KV verpflichtet,den ausscheidenden Arzt zu entschä-digen.

Auf der einen Seite bemängelt die Politik volle Arztpraxen und lange Wartezeiten, …

(Foto: Catherine Yeulet/istock/thinkstock)

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der KBV die wirkliche Ver-sorgungssituation berück-sichtigt werden. Dazu zäh-len Mitversorgereffekte vonPatienten aus dem Umlandoder die Existenz von Son-derbedarfszulassungen.Als weiteren wichtigenPunkt, der geändert werdenmuss, nennt die KBV einegerechte und rechtssicherausgestaltete Entschädi-gungsregelung für den auf-gekauften Arztsitz in Bezugauf Artikel 12 und 14 imGrundgesetz.Nach den Berechnungen derKBV werden in den kom-menden fünf Jahren etwa25.000 Arztpraxen ruhe-standsbedingt von dieserRegelung betroffen sein.„Im Hinblick auf den bereits beste-henden Ärztemangel ist der Plan derBundesregierung fatal“, erläutert Gas-sen.

Vier-Wochen-Termingarantie

Einen großen Widerspruch zu demgeplanten Aufkauf von Arztpraxensieht Gassen in dem Plan, Terminser-vicestellen zu errichten, um Patienteneinen Facharzttermin innerhalb vonvier Wochen zu garantieren. DerGrund von CDU/CSU und SPD dafür:die hohen Wartezeiten in Deutsch-land. Jedoch hat die repräsentativeVersichertenbefragung der KBV ausdem Jahr 2014 ergeben, dass 62 Pro-zent der befragten Versicherten sofortoder innerhalb von drei Tagen einenTermin bei einem Arzt erhalten ha-ben. Dementsprechend sieht die KBVderzeit keinen Bedarf darin, Termin-servicestellen zu errichten. Außerdemsei eine zentral gesteuerte Terminver-gabe für die Patienten auch de factoeine Abschaffung der freien Arztwahl,erklärt Gassen. „Patienten könnendann nicht mehr zu ihrem Wunsch-arzt. Außerdem müssen sie gegebe-nenfalls weitere Anfahrtsstrecken inKauf nehmen.“Die Definition, wie groß eine zumut-bare Entfernung ist, sollen die Partner

des Bundesmantelvertrages, also dieKBV und der Spitzenverband der ge-setzlichen Krankenversicherung, ver-einbaren. „Dass eine zumutbare Ent-fernung jedoch stark infrastrukturellund wohnortabhängig ist, wird einegenerelle Definition nicht beachten“,befürchtet Gassen.Eine Erklärung für mögliche auftre-tende Wartezeiten könnten der Ärzte-mangel oder eine fehlende Patienten-steuerung sein. Zur letzteren hatte dieKBV bereits ein mehrstufiges Modellvorgestellt.

Krankenhäuser pauschal öffnen

Das Thema Ärztemangel beschäftigtauch den stationären Sektor. Hier gibtes ebenfalls Nachwuchssorgen. AusSicht der KBV ist auch nicht nach-vollziehbar, dass die Krankenhäuserin unterversorgten Gebieten für dieambulante Versorgung geöffnet wer-den sollen. In Krankenhäusern gibt eskaum Hausärzte und grundversorgen-de Fachärzte. Ebenfalls nicht nachvollziehbar istdie geplante Öffnung der Hochschul-ambulanzen für die ambulante Versor-gung. „Gerade in den meist überver-sorgten Universitätsstädten sollenauch noch Hochschulambulanzen Pa-tienten ambulant versorgen. Der Sinn

dahinter erschließt sich mir keines-falls“, betont Gassen. Im Hinblick aufden geplanten Aufkauf von Arztpra-xen an solchen Standorten sieht Gas-sen erneut eine große Ungleichbe-handlung von stationären und ambu-lanten Versorgungsstrukturen.Als weiteres Argument für solche Ab-sichten der Bundesregierung führt dieKBV in ihrer 50-seitigen Stellungnah-me die geplante Möglichkeit fürKommunen an, MVZ zu errichten. ImGesetzentwurf sieht die Bundesregie-rung derzeit vor, Paragraf 95 Ab-satz 1a mit folgenden Sätzen zu er-gänzen: „Kommunen können medizi-nische Versorgungszentren auch inder öffentlich rechtlichen Rechtsformeines Eigen- oder Regiebetriebs grün-den.“ Ebenfalls erläutert wird dort, dass –anders als bisher – dafür künftig kei-ne Absprache mit der KV vor Ort nö-tig ist. Insbesondere vor dem Hintergrunddes Praxisaufkaufs im Gegensatz zurGründungsmöglichkeit von MVZdurch Kommunen sogar in überver-sorgten Gebieten sieht die KBV „eineklatantes Beispiel einer Politik ge-gen die selbstständige, freiberuflicheNiederlassung zugunsten staatlicherVersorgungsstrukturen.“

Titelthema

… auf der anderen Seite riskiert sie mit dem Zwangsaufkauf die Schließung von 25.000 Arzt-praxen. (Foto: ArTo/Fotolia.com)

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Die Delegation ärztlicher Leistungen erfolgt extrabudgetär.

(Foto: Alexander Raths/Fotolia.com)

Honorar 2015

Stärkung der GrundversorgungBei den Honorarverhandlungen haben sich KBV und GKV-Spitzenverband auf die Stärkung der grundversor-genden Haus- und Fachärzte geeinigt. Mit jeweils 132 Millionen Euro wollen sie beide Bereiche fördern. SeitNovember steht fest, wie genau das Geld verteilt wird und wer die Förderung erhält. Mehr Details von Mar-scha Edmonds.

Die Sicherstellung der ambulantenmedizinischen Versorgung vor demHintergrund des zunehmenden Ärzte-mangels bestimmte auch die diesjähri-gen Honorarverhandlungen. Die KBVund der Spitzenverband der gesetzli-chen Krankenversicherung (GKV) ei-nigten sich schließlich auf zusätzliche264 Millionen Euro für die haus- undfachärztliche Grundversorgung derrund 70 Millionen gesetzlich Kran-kenversicherten in Deutschland. Wo-für das Geld genau verwendet wird,steht seit November fest.Größere Hausarztpraxen können dem-nach einen nichtärztlichen Praxisas-sistenten beschäftigen, der sie bei derVersorgung der Patienten unterstütztund entlastet. Bislang wurde der Ein-satz von VERAH, EVA, Mopra & Co.vor allem in unterversorgten oder vonUnterversorgung bedrohten Gebietenfinanziert. Ab Januar 2015 ist dies füralle Hausarztpraxen möglich. Voraus-setzung dafür ist, dass die Praxis min-destens 860 Fälle pro Arzt im Quartalbetreut oder mindestens 160 Patienten,die älter als 75 Jahre sind, behandelt.Künftig gibt es zum Aufbau der Struk-turen für einen nichtärztlichen Praxis-assistenten eine Förderung von bis zu1.320 Euro im Quartal. Mit dieser För-derung sollen vor allem die Kosten fürdie Ausbildung und Ausstattung desMitarbeiters, zum Beispiel ein Autooder ein Mobiltelefon, gedeckt werden.Darüber hinaus werden Haus- undPflegeheimbesuche der Praxisassisten-ten vergütet. Eine Voraussetzung fürdie Förderung ist, dass der Praxisassis-tent für 20 Stunden und mehr pro Wo-che in der Praxis angestellt ist und eineZusatzausbildung absolviert hat. „Mitdieser Maßnahme helfen wir vor allemHausärzten mit vielen Patienten, arzt-entlastende Strukturen aufzubauen

und Leistungen zu delegieren“, sagtDipl.-Med. Regina Feldmann, Vorstandder KBV. Ärzte können die neuen Leis-tungen bereits ab Beginn der Ausbil-dung des Mitarbeiters zum nichtärzt-lichen Praxisassistenten abrechnen.Die Ausbildung muss bis zum 30. Ju-ni 2016 abgeschlossen sein. Die Ver-gütung erfolgt jeweils extrabudgetär.14 Millionen Euro fließen außerdemin die Versorgung von Kindern undJugendlichen. Anfang des kommendenJahres können Kinder- und Jugend-ärzte, die eine weiterführende sozial-pädiatrische Versorgung anbieten,diese Leistung auch abrechnen. Damitsoll der erhöhte Aufwand bei der Be-treuung von Kindern und Jugendli-chen mit motorischen, kognitivenoder emotionalen Auffälligkeiten undErkrankungen oder einer Behinderungbesser berücksichtigt werden. Kinder-und Jugendärzte benötigen eine spe-zielle Qualifikation, um eine Abrech-nungsgenehmigung ihrer Kassenärzt-lichen Vereinigung zu erhalten.

Facharztpauschale steigt ab Januar

Nach den Beschlüssen von KBV undGKV-Spitzenverband steigt ab Januar2015 die Pauschale zur Förderung der

fachärztlichen Grundversorgung(PFG). Fachärzte erhalten dann einenfesten Zuschlag zur PFG. Die Höheliegt bei 26,7 Prozent der jeweiligenPauschale. Bei HNO-Ärzten bedeutetdas beispielsweise einen Zuschlagvon 0,72 Cent, da die PFG der Fach-gruppe 2,77 Euro beträgt (bewertetmit 27 Punkten). Abrechnen könnenFachärzte die Pauschale und den neu-en Zuschlag nur dann, wenn sie beieinem Patienten ausschließlich Leis-tungen der Grundversorgung durch-führen. Bei einer ambulanten Operati-on beispielsweise erhalten sie diesePauschale nicht. Damit soll dieGrundversorgung der Patienten ge-stärkt werden.Neu ab Januar ist zudem, dass künftigauch Internisten mit Schwerpunkt diePauschale nebst Zuschlag erhalten.Dieser wird für jeden PFG-Fall gezahlt– extrabudgetär und zum vereinbartenPreis. „Mit der Vereinbarung extra-budgetärer Leistungen werden nichtnur die grundversorgenden Haus- undFachärzte gestärkt. Dieses Ergebnisist auch ein Einstieg in unsere Forde-rung nach festen und kostendecken-den Preisen“, erklärt Dr. Andreas Gas-sen, Vorstandsvorsitzender der KBV.

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Ein Versorgungsstärkungsgesetz lässtder Referentenentwurf zum Gesetzzur Stärkung der Versorgung in dergesetzlichen Krankenversicherung(GKV-VSG) nicht erwarten. Andersals das zuvor getätigte Bekenntnis zurFreiberuflichkeit im Koalitionsvertragzeugt der Grundduktus des Gesetzent-wurfs nicht von einer Stärkung derFreiberuflichkeit, sondern von einergravierenden Einschränkung. Zu-gleich offenbart sich ein Widerspruchin den Plänen der Bundesregierung.Auf der einen Seite möchte die Poli-tik mit der Einrichtung von Termin-servicestellen die angeblich viel zulangen Wartezeiten verkürzen. Aufder anderen Seite will sie Praxissitzevon Ärzten und Psychotherapeutenaufkaufen lassen, sobald eine Pla-nungsgrenze von 110 Prozent über-schritten wird. Eine angebliche Über-versorgung soll auf diese Weise abge-baut werden. Doch hier stellt sich die Frage: Wasist Überversorgung? Häufig versorgendie Ärzte und Psychotherapeuten inden Städten die Patienten aus dem Um-land mit. Wir haben einmal zusam-mengestellt, wie viele Praxen theore-tisch betroffen wären – im Maximal-falle immerhin 25.000 an der Zahl.Hier die Daten in einem Dokument:www.kbv.de/html/418_12152.php.Das ist alles andere als ein Beitrag zurStärkung der ambulanten Versorgung,sondern ein massiver Eingriff in dieFreiberuflichkeit der Niedergelassenen.Zudem sendet die Politik ein völlig

falsches Signal an Medizinstudentenund Nachwuchsärzte. Denn die eigenePraxis, in die Ärzte viel Geld, Zeitund Arbeit investiert haben, verliertdurch einen drohenden Zwangsauf-kauf ihre Rolle als Altersversorgung.Junge Mediziner werden davor zu-rückschrecken, Investitionen in ho-hem Umfang in eine eigene Praxis zutätigen, wenn sie hinterher lediglicheine nicht definierte Entschädigungs-zahlung dafür bekommen.Vor diesem Hintergrund ist es auchnicht nachvollziehbar, dass die Bun-desregierung plant, die Krankenhäu-ser für die ambulante Behandlung vonPatienten zu öffnen, sowie Kommunenzu erlauben, Medizinische Versor-gungszentren zu errichten. Kritisch sehen wir diese Pläne nichtnur im Hinblick auf die Ungleichbe-handlung zwischen ambulantem undstationärem Sektor, sondern auch vordem Hintergrund, dass auch die Kran-kenhäuser keine Kapazitäten haben,die ambulante Versorgung der Patien-ten mitzutragen. „In vielen Häusernfehlt heute schon Personal. DieseHäuser können nicht auch noch zu-sätzliche ambulante Leistungen über-nehmen“, sagte der Vorsitzende desMarburger Bundes, Rudolf Henke,Mitte November.Dem gegenüber steht der äußerst wi-dersinnige und populistische Plan derBundesregierung, Terminservicestel-len zu errichten. Diese sollen einenFacharzttermin nach Vorliegen einerÜberweisung innerhalb von vier Wo-chen vermitteln. Dazu gibt es keineNotwendigkeit, da wir in Deutschlandmit die kürzesten Wartezeiten im in-

ternationalen Vergleich haben. Sollten wir durch das Gesetz gezwun-gen werden, diese Terminservicestel-len einzurichten, muss jedem klarsein, dass damit die freie Arztwahlabgeschafft wird. Und diese ist denPatienten ein hohes Gut. Unsere re-präsentative Versichertenbefragungaus diesem Jahr hat ergeben, dass 72Prozent der Befragten nicht zu ir-gendeinem, sondern zu ihremWunscharzt möchten. Eine zentraleTerminservicestelle kann solche Wün-sche jedoch nicht berücksichtigen.Zudem hat die Befragung ergeben,dass viele die Errichtung der Termin-servicestellen begrüßen, sich jedochnicht viel davon erhoffen.Die Kritik an dem GKV-VSG-Ent-wurf, die unisono von fast allen Kas-senärztlichen Vereinigungen und Be-rufsverbänden kommt, zeigt, dass derGesetzentwurf die Freiberuflichkeitdirekt einschränkt und keine wirklichenLösungen zu den drängenden Proble-men im Gesundheitswesen enthält.Selbst positiv anmutende Änderun-gen, wie die Neuregelung der Richt-größenprüfung bei Arznei- und Heil-mitteln, werden nicht greifen, wenndie geplante regionale Ausgestaltungder Wirtschaftlichkeitsprüfungennoch schärfere Regelungen zur Folgehat. Wir fordern, dass der Grundsatz„Beratung vor Regress“ weiter konse-quent durchgezogen wird. Insgesamtlässt sich sagen, dass die Politik zurStärkung der Versorgung einiges indem Gesetzentwurf ändern muss –sonst ist das Signal an die freiberuf-lichen Ärzte und Psychotherapeutenfatal.

VersorgungsschwächungsgesetzDer Referentenentwurf zum GKV-VSG greift massiv in die Freiberuf-lichkeit der selbstständig tätigen niedergelassenen Ärzte und Psycho-therapeuten ein. Vor allem die Pläne zu den Terminservicestellen unddem Zwangsaufkauf von Praxen schwächen die ambulante Versorgungin Deutschland. Die weiteren Details zum Gesetzentwurf erklärt KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen.

X-RAY – der Durchblick von Dr. Andreas Gassen

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Kampagne

In der Praxis: Hier behandelt Sie der Chef persönlich Jeder fünfte Bundesbürger hat sie schon wahrgenommen: Die gemeinsame Kampagne „Wir arbeiten für IhrLeben gern.“ von KBV und KVen geht nun in ihr drittes Jahr. Die Leistungen der Haus-, Fachärzte und Psy-chotherapeuten stehen im Vordergrund. Sie beschäftigen rund 550.000 Angestellte und behandeln persön-lich über 80 Millionen Patienten. Alexandra Bukowski berichtet.

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Im Mittelpunkt des bevorstehendenKampagnenjahres 2015 wird die Wirt-schaftskraft der Praxen stehen. Haus-,Fachärzte und Psychotherapeuten be-schäftigen rund 550.000 Angestellte.Damit zählen sie zu den wichtigstenArbeitgebern Deutschlands. Dies wirdeine der Botschaften der großen KBV-Kampagne „Wir arbeiten für Ihr Le-ben gern.“ im kommenden Jahr sein.

Neue Plakatwelle 2015

Niedergelassene Ärzte werden wiederFlagge zeigen und mit neuen Plakatenfür die Wertschätzung ihrer Arbeitwerben. Im Fokus stehen dann auchdie Praxisteams und die Verbunden-heit mit den Patienten. Das Konzeptder vergangenen beiden Jahre wirdsich auch in der dritten Runde derKampagne fortsetzen. Wieder sind esdie niedergelassenen Ärzte und Psy-chotherapeuten selbst, die mit ihrenBotschaften auf den neuen Plakatenzu sehen sein werden. Interessierte

können sich als neues Kampagnenge-sicht noch bis zum 15. Januar 2015bewerben. Am 27. und 28. Februarfinden dann die Fotoshootings inFrankfurt am Main und Umgebungstatt. Doch nicht nur auf den Plakat-wänden der Großstädte werden dieBotschaften präsent sein, sondernauch in der Onlinewelt. Die Internet-seite www.ihre-aerzte.de bleibt Herz-stück der Kampagne und wird auchzukünftig mit neuen Themen erwei-tert. Materialien für die Praxis, Flyerund Plakate können weiterhin vondort heruntergeladen werden.

Infotag „Fit für die Praxis?“

Fortgesetzt wird auch die „Kampagnein der Kampagne“, also die Anspra-che der Medizinstudierenden und jun-gen Ärzte unter dem Slogan „Lassdich nieder!“. Sie informiert und be-rät seit vergangenem Jahr rund umdas Thema Niederlassung. Neben derInternetseite www.lass-dich-nieder.de

gingen KBV und Kassenärztliche Ver-einigungen (KVen) direkt an die Uni-versitäten. An 36 medizinischen Fa-kultäten verteilten Promotionteamsmit Informationsmaterialien gefüllteStoffbeutel, bedruckt mit dem Slogan„Lass mich durch. Ich werde Arzt.“.Um auch in Kontakt mit Nachwuchs-medizinern zu kommen, fand AnfangNovember erstmalig ein Infotag „Fitfür die Praxis?“ auf dem Campus derBerliner Charité statt. Auch hier ginges um das Thema Niederlassung. Dasdirekte Gespräch mit Medizinstudie-renden und jungen Ärzten zu suchen,war Ziel der Veranstaltung. Beraterund Vertragsärzte waren an Informati-onsständen auf dem Universitätsge-lände vor Ort. Dort gab es neben ei-nem Infomarkt auch Diskussions- undFragerunden. Gesundheitsminister Hermann Gröhe(CDU) eröffnete die Veranstaltungmit einem Grußwort, in dem er diepersönliche Zuwendung und das fach-

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(Fotos: Bukowski)

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liche Können der Ärzte herausstellte.Im extra eingerichteten Niederlas-sungscafé konnten sich die Besucherin lockerer Runde mit Experten aus-tauschen. Niederlassungsberater derKVen informierten über Fördermög-lichkeiten und Wege in die eigenePraxis. Mediziner berichteten in Dis-kussionsrunden aus ihrem Arbeitsall-tag und beantworteten Fragen der an-gehenden Ärzte. KBV und KVen wol-len sich auch zukünftig auf diese Wei-se an Studierende der Universitätenbundesweit wenden.

Neue Plakate auf dem Campus

Kurz nach Semesterbeginn startete imNovember eine zweite Plakatwelleauf den Campus der medizinischenFakultäten bundesweit. Medizinstu-dierende zeigen ihr Gesicht, um unterihren Kommilitonen für die Nieder-lassung zu werben. Mit dem Slogan„Ich mag flache Hierarchien. Und gu-te Aussichten.“ wirbt Martin Danielsund stellt damit die Vorteile der ärzt-lichen Freiberuflichkeit in den Vor-dergrund. Der Vorstandsvorsitzende

der KBV, Dr. Andreas Gassen, bestä-tigt: „Die Niederlassung bietet deut-lich mehr Freiheiten als die Arbeit inder Klinik.“ Im kommenden Jahr wirdes wieder neue Plakatmotive mit Me-dizinstudierenden geben. Noch bis zum 15. Januar können sichjunge Mediziner als neue Kampagnen-

Politik

Gesichter für das Fotoshooting am 24.und 25. Februar bewerben. „Lass dichnieder!“ wird dann auch im Jahr 2015mit neuen Themenschwerpunkten ei-nen intensiven Dialog mit den Ärztenvon morgen anstoßen. Die Botschaftbleibt: Die Niederlassung ist ein ärzt-liches Arbeitsmodell mit Zukunft.

Medizinstudenten bekommen Kaffee und Lunchtüten im Niederlassungscafé.

Aufruf zur Registrierung in FamulaturbörseUm angehenden Ärzten die Suche nach einer Famulaturpraxis zu erleichtern, stellen KBV und KVen ab No-vember eine bundesweite Famulaturbörse bereit. Alle Famulatur anbietenden Ärzte werden aufgerufen, sichjetzt zu registrieren. Ticia Schiffner weiß mehr.

Im Medizinstudium lernen die Studie-renden zwar die Theorie über denUmgang mit Patienten, jedoch fehlenihnen meist die realen Erfahrungen.Famulaturen sollen das ändern undStudenten einen Einblick in die Praxisgeben.Vier Monate der Studienzeit verbrin-gen Medizinstudierende mit Famula-turen – einen Teil davon im ambulan-ten Bereich, zum Beispiel in einerHausarztpraxis. Hier lernen sie nichtnur den direkten Kontakt zum Patien-ten kennen, auch von der Arbeit inder eigenen Praxis bekommen sie ei-nen guten Eindruck. Um die Suche nach der passendenPraxis zu erleichtern, planen die KBVund die Kassenärztlichen Vereinigun-

gen (KVen) erstmals eine bundeswei-te Famulaturbörse. Eine Famulatur zufinden war bis vor kurzem nur in deneinzelnen Bundesländern möglich.Die KVen halfen bislang dabei, lokalePraxen zu vermitteln und den schnel-len Kontakt zwischen Studenten undÄrzten herzustellen. Die neue Famulaturbörse ermöglichtden Studierenden nun, bundesweit in-nerhalb weniger Sekunden eine Fa-mulaturpraxis zu finden. Sie könnennach den Kategorien Postleitzahl/Re-gion und Fachrichtung filtern undauch den Radius der Umfeldsuchefestlegen. Auf Knopfdruck erscheinteine Übersicht mit den Kontaktdatender Ärzte in der gesuchten Region.Alle Haus- oder Fachärzte, die bereit

sind, Famulaturen anzubieten, habenschon jetzt die Möglichkeit ihre Pra-xis unter https://famulaturboerse.lass-dich-nieder.de/arzt/registrierung an-zumelden. Mit dem Angebot von Famulaturplätzen leisten niedergelas-sene Ärzte einen wichtigen Beitrag inder Ausbildung des ärztlichen Nach-wuchses und tragen dazu bei, die ambulante Versorgung auch künftigsicherzustellen.Auf der Seite www.lass-dich-nieder.degibt es seit Anfang Dezember dieBörse. Die Website ist das Herzstückder Nachwuchskampagne von KBVund KVen. Seit dem Frühjahr 2014finden dort Medizindierende und jun-ge Ärzte Informationen rund um dasThema Niederlassung.

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Neue Europäische Kommission nimmt Arbeit aufUnter der Führung des ehemaligen luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker startet dieEuropäische Kommission in ihre Amtszeit bis 2019. Erstmals ist ein Arzt EU-Gesundheitsminister. CorinaGlorius und Filip Lassahn berichten.

Zum ersten November 2014 hat dieneue Europäische Kommission ihre Ar- beit aufgenommen. Neben dem Prä si-denten Jean-Claude Juncker bestehtsie aus 26 Kommissaren, sechs davonals Vize-Präsidenten, sowie der HohenVertreterin der Union für Außen- undSicherheitspolitik, Federica Mogherini.Neuer EU-Gesundheitskommissar undLeiter der für die Gesundheitsthemenzuständigen Generaldirektion ist derLitauer Vytenis Andriukaitis. Mit ihmübernimmt erstmals ein approbierterArzt das Gesundheitsressort. Andriukai-tis, 63 Jahre und Chirurg, saß seit 1990wiederholt für die Sozialdemokrati-sche Partei im litauischen Parlament.Von 2012 bis zu seiner Nominierungfür die Europäische Kommission warer Gesundheitsminister seines Landes. Aufregung und erheblichen Wider-stand seitens zahlreicher Gesundheits-

experten sowie euro-päischer Gesundheits-verbände gab es imVorfeld gegen die vonEU-Kommissionspräsi-dent Juncker geplantenÄnderungen im Hin-blick auf die Zustän-digkeit der Generaldi-rektion Gesundheit.Diese sahen vor, diebisher für die Themen-gebiete Medizinpro-dukte, Arzneimittel undGesundheitstechnolo-gien zuständigen Abteilungen aus derGeneraldirektion Gesundheit heraus-zulösen und der Generaldirektion Unternehmen und Industrie zu unter-stellen. In einem offenen Brief anJuncker wurde er aufgefordert, seineEntscheidung zu überdenken. Unter

anderen befürchteteder Ständige Ausschussder europäischen Ärzte(CPME), dass die Inte-ressen der Industrie alswichtiger angesehenwerden könnten als dieder Verbraucher. MitteOktober revidierte Jun-cker daher seine Ent-scheidung zumindestfür den Bereich derArzneimittel, sodassauch zukünftig dieZuständigkeit für die

Europäische Arzneimittelbehörde(EMA) im Aufgabenbereich des EU-Gesundheitskommissars verbleibenwird. Der Bereich der Medizinpro-dukte unterliegt dagegen zukünftigder Generaldirektion Unternehmenund Industrie.

EU-Gesundheitskommissar Vyte nis Andriukaitis.

(Foto: Europäische Union)

KBV-Vertreterversammlung

Deutliche Kritik am GKV-VSGAuf der Vertreterversammlung der KBV am 4. und 5. Dezember 2014 war eines der Hauptthemen das vomBundesgesundheitsministerium geplante Versorgungsstärkungsgesetz. Einige der Neuregelungen wurdenintensiv hinterfragt. Sten Beneke berichtet.

Die KBV hatte sich schon im Novem-ber in einer 50-seitigen Stellungnah-me detailliert mit den geplanten Re-gelungen des Versorgungsstärkungs-gesetzes (GKV-VSG) auseinanderge-setzt. Dies war nun Grundlage für dieDiskussion der Delegierten. NachMeinung von Dr. Andreas Gassen,Vorstandsvorsitzender der KBV, ver-hindere das Gesetz eine Stärkung derVersorgung, anstatt sie zu fördern. „Es gibt aus unserer Sicht einen nichtganz logischen Mix von gesetzgeberi-schen Maßnahmen, die sich zum Teilauch widersprechen“, sagte Gassenim Interview mit KV-on im Vorfeldder Versammlung. „Man hat den Ein-

druck, dass die niedergelassene frei-berufliche ärztliche Tätigkeit in eige-ner Praxis nicht mehr den ganz gro-ßen Stellenwert genießt und man ei-gentlich doch viele Behandlungsop-tionen eher in Richtung Krankenhausund durch Kommunen errichteteMVZ verlagern will.“ Gassen erwartevon der Vertreterversammlung eindeutliches Signal an die Politik, dassdie Vertragsärzteschaft mit diesemGesetz die flächendeckende ambulan-te Versorgung gefährdet sehe. DieKritik dürfe aber nicht zu pauschalausfallen. „Wir können mit der Ab-lehnung einzelner Punkte auch durch-aus Vorschläge unsererseits verknüp-

fen“, betonte der KBV-Chef. Einerder Kritikpunkte war der Aufkauf vonPraxen in angeblich überversorgtenGebieten. Dies ist nach Ansicht derKBV nicht nur kontraproduktiv, son-dern auch ein unzulässiger Eingriff indie Grundsätze der ärztlichen Freibe-ruflichkeit. Das Gleiche gelte für dieverpflichtende Einführung von Termin-servicestellen, machte Gassen klar.Für die Versammlung wurde eine Re-solution vorbereitet, deren Abstim-mungsergebnis zum Zeitpunkt des Re-daktionsschlusses noch nicht vorlag.Aktuelle und ausführliche Informatio-nen dazu gibt es im Internet unterwww.kbv.de/html/12774.php.

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Meldungen

Psychische Erkrankungen

Neue KonzepteBerlin (stb) – Ärztliche und psycho-therapeutische Verbände und die KBVerstellen derzeit ein Versorgungskon-zept für die Behandlung psychischerErkrankungen. Grundsatz ist dabeidie bessere Vernetzung der Akteure inder vertragsärztlichen Versorgung.Die Inhalte dieses interprofessionel-len Konzeptes wird die KBV in dieaktuelle Debatte rund um das Versor-gungsstärkungsgesetz einbringen. Wesentliche Bestandteile des Ent-wurfes werden sein: die eindeutigeDefinition von Versorgungsebenen,die konsequente Förderung der Inter-disziplinarität, die Versorgungssteue-rung, die arbeitsteilige Vorgehenswei-se und der verbesserte Zugang derBetroffen zur Versorgung je nach Er-krankung und Komplexitätsgrad. Dasneue Konzept soll als ein Angebotverstanden werden, Versorgungsstruk-turen in die richtige Richtung zu ent-wickeln.

Hartmannbund-Stiftung

Spendenaktion „Ärzte helfen Ärzten“Berlin (tic) – Mit der Hartmannbund-Stiftung helfen Ärzte bereits seit demJahr 1955 anderen Arztfamilien finanziell, die durch Schicksalsschläge in Notgeraten sind. Ursprünglich organisierte die Stiftung Patenschaften für hilfsbe-dürftige Kinder aus Arztfamilien in der DDR. Heute unterstützt sie weiterhinjunge Mediziner bei ihrer Ausbildung und hilft zudem ausländischen Ärzten,die in Deutschland ärztlich tätig werden wollen. Die Zahl der auf Unterstüt-zung angewiesenen Halb- und Vollwaisen steigt stetig. Daher setzt die Stiftungauch in Zukunft auf die Spenden von Ärzten für Ärzte. Weitere Informationenund Spendenunterlagen finden Sie unter www.aerzte-helfen-aerzten.de.

Spendenaktion der KBV

Spende statt WeihnachtskartenBerlin (tic) – Auch in diesem Jahr verzichtet der Vorstand der KBV auf dasVersenden von Weihnachtskarten. Stattdessen spendet die KBV nunmehr imvierten Jahr an Wohltätigkeitsorganisationen. Damit sollen Projekte und Hilfs-programme, insbesondere für Kinder und Jugendliche, finanziell unterstütztwerden. Dieses Jahr erhält die Björn Schulz Stiftung eine Spende in Höhe von1.000 Euro. Das Geld kommt damit Menschen mit einer lebensverkürzendenErkrankung zugute. Zudem kümmert sich die Stiftung um die Familien der Be-troffenen und steht ihnen in dieser schweren Zeit zur Seite. Sie betreibt in Ber-lin das Kinderhospiz „Sonnenhof“. Das Projekt „Familienbegleiter“ bekam inder Vergangenheit mehrfach Preise.

Frühe Hilfen

Modellprojekt erfolgreichBerlin (stb) – Ein mehrjährigesModellprojekt der Kassenärzt-lichen Vereinigung Baden-Württemberg hat die systemati-sche Zusammenarbeit von Ärz-ten und Fachkräften der FrühenHilfen aus der Kinder- und Ju-gendhilfe in gemeinsamenQualitätszirkeln erprobt. Die-ses Modell soll nun bundesweitausgebaut werden. In den Qualitätszirkeln bespre-chen Ärzte und Fachkräfte ausder Kinder- und Jugendhilfe struktu-riert und anhand von Fallbeispielenden Unterstützungsbedarf einzelnerFamilien. Dabei sind die persönlichenDaten der Familien anonymisiert. Daallein der Blick des Mediziners meistnicht alle häuslichen Problemlagenerfasst, kommen in den Qualitätszir-keln die Kompetenzen aus den unter-schiedlichen Berufsgruppen zusam-

Fachärzte

Neuer DachverbandBerlin (stb) – Die GemeinschaftFachärztlicher Berufsverbände e.V.(GFB) und der Spitzenverband derFachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa)wollen die deutschen Fachärzte künf-tig durch einen einzigen Dachverbandvertreten. Dafür bereiten die beidenVerbände eine Fusion miteinandervor. GFB und SpiFa halten es für er-forderlich, dass Fachärzte in Deutsch-land und Europa gemeinsam vertretenwerden, gleichgültig in welcher Ver-sorgungsebene die Mitglieder derMitgliedsverbände tätig sind. NachMeinung der beiden Verbände werdendie Fachärzte in der Gesetzgebungkaum noch als relevante Gruppewahrgenommen. Dem wollen sie nunentgegenwirken. Eine entsprechendeSatzungsänderung wird von den Ver-bänden derzeit vorbereitet, ab 2015soll dann die einheitliche Vertretungin Deutschland und Europa beginnen.

men. So können die Angebote ausdiesen Bereichen besser aufeinanderabgestimmt werden und die Familienfrühzeitig eine für sie passgenaue Un-terstützung erhalten. Der bundesweiteAusbau dieses Modellprojektes erfor-dert nun von allen Beteiligten einAufeinander-Zugehen, um die Versor-gung von Familien gemeinsam zu ver-bessern.

In der KBV fand Ende November eine Fachtagungzum Thema Frühe Hilfen statt. (Foto: Große)

Interview mit Andreas Mihm, Wirtschaftsredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

„Es geht immer um die Behauptung, dass Mittel zu knapp seien“Das deutsche Gesundheitssystem blickt auf eine über 125 Jahre lange Geschichte zurück. Mit dem aktuel-len Referentenentwurf zum Versorgungsstärkungsgesetz liegt ein neuer Versuch vor, das System zu refor-mieren. Im KLARTEXT-Interview sprach Andreas Mihm über Gesetzmäßigkeiten und Herausforderungen derGesundheitspolitik. Die Fragen stellte Alexandra Bukowski.

Herr Mihm, Sie sind Journalist undlangjähriger Beobachter des Ge-sundheitswesens. Können Sie Ge-setzmäßigkeiten oder Veränderun-gen ausmachen, die Sie in den ver-gangenen Jahren erlebt haben?

Als Wirtschaftsredakteur betrachteich die Entwicklung der Gesundheits-politik vor allem durch eine wirt-schaftspolitische Brille. Man kannseit nun mehr 25 Jahren einen ganzklaren Zug erkennen: Esgeht immer um die Be-hauptung, dass Mittel zuknapp seien. Diese knap-pen Mittel müssen dann soverteilt werden, dass allezufrieden sind. Das ist dieganze Kunst der Gesund-heitspolitik.

Fällt Ihnen ein Ereignisin der Gesundheitspolitikein, das Sie als prägenderlebt haben?

Die Praxisgebühr, die 2004unter Ulla Schmidt (SPD)eingeführt worden ist.Zeitgleich hatten wir dieDiskussion um die Agenda 2010. DasSystem war angeschlagen und lief inunglaubliche Defizite. Die Kranken-kassen wurden angehalten, auf Lan-desebene die Beiträge nicht zu erhö-hen und haben sich dadurch verschul-den müssen. Aber irgendwo musstedas Geld ja herkommen. 2004 gab eszudem eine informelle Große Koaliti-on, die sich auf bestimmte Positionengeeinigt hatte. Es wurden auf dieseWeise auch Leistungen ausgegrenztund gekürzt. In diesem Rahmen wur-de dann auch die Praxisgebühr einge-führt. Das hat zu einem auch media-len Aufschrei geführt. Das Ergebniswar letztendlich, dass die Gesund-

heitsministerin Personenschutz be-kommen musste.

Von welcher Reform würden Sie sa-gen, dass sie wirklich richtig war?

Die Einführung der Praxisgebühr warja eine im Kern richtige Reform. Aus-gerechnet ein Herr Bahr, ein liberalerMinister, hat die Praxisgebühr wiederabgeschafft und sich dann damit ge-schmückt, die Bürokratiekosten im

Gesundheitssystem zu senken. Daswar grundfalsch! Interessanterweisehat die Ärzteschaft selbst dafür ge-worben, die Praxisgebühr einzufüh-ren. Keine zehn Jahre später warendie Ärzte dann dafür, sie wieder abzu-schaffen. So viel zum Thema Konsis-tenz von Argumentationslinien undMuster im Gesundheitswesen.

Was sind typische Ziele für die Ent-wicklung des Gesundheitssystems?

Wir wollen beispielsweise Versor-gungssicherheit. Dafür müssen wirerst einmal definieren, was Versor-gungssicherheit ist. Auf welchem Niveau wollen wir Versorgung haben?

Darüber gibt es keinen nationalenKonsens. Wir haben Konsens darüber,dass sie nicht schlechter werden darf.Die Versorgung darf nicht so werdenwie in Schweden. Dort gibt es eineWartezeit auf einen Facharztterminvon acht bis zehn Wochen. Wir möch-ten auch keine Zustände haben wie inGroßbritannien beim National HealthService oder wie in Amerika. Aberwir wollen Versorgungssicherheit.

Wir wollen eine gute Ver-sorgung und das auch zuguten Preisen. Da merkenSie: Wenn wir anfangen,das aufzuschlüsseln, ver-strickt man sich in denvielfältigen Herausforde-rungen des Systems. DasGesundheitswesen ist nichteinfach mit einem Feder-strich oder mit einem gro-ßen Gesetzeswerk zu re-formieren. Das ist ein ste-ter Prozess, der viele klei-ne Schritte verlangt. Malgeht es dabei in die eineRichtung und mal in dieandere. Je nach Perspekti-

ve des Beobachters in die richtigeoder falsche Richtung. Für jemanden,der die Perspektive der freien Markt-wirtschaft einnimmt, oftmals in diefalsche Richtung.

Haben Sie persönlich das Gefühl,dass Sie lange auf einen Termin beieinem Facharzt warten müssen?

Ich muss ganz lange auf meinen Au-genarzttermin warten. Also mindes-tens drei Monate. Aber ich weiß, dassich mindestens einmal im Jahr zurKontrolle zum Augenarzt muss. Da istes egal, ob ich vier oder fünf Monateim Voraus einen Termin ausmache.Das funktioniert wunderbar. Und ich

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Für Mihm gibt es wichtigere Probleme als das Thema der langenWartezeiten. (Foto: Edmonds)

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Interview

weiß, dass ich bei meinem Augenarztin kurzer Zeit behandelt werde, wennich ein akutes Problem habe. Ich habezwar eine lange Wartezeit, aber ichsehe überhaupt nicht, dass es ein Pro-blem ist. Ich weiß, dass es solche Fäl-le gibt, in denen Patienten akut be-handelt werden wollen und Problemehaben, einen Arzt zu finden. Aber inden allermeisten Fällen, so habe iches bei Bekannten und im Kreis derFamilie erlebt, sind sogar in Wochen-frist komplexe Behandlungen ambu-lant möglich. Deshalb ist dieses ganzeDrängen der Politik billiger Populis-mus. Das wissen die auch.

Dann brauche ich Sie gar nichtnach den Ursachen von langenWartezeiten zu fragen. Sie sehen esnicht als ein Problem an?

Es ist ein Problem, aber es gibt ande-re und wichtigere Probleme. WarenSie mal in der Notaufnahme im Kran-kenhaus am Wochenende? Ich wün-sche Ihnen das nicht! Ich kann mirnicht vorstellen, wie die Krankenhäu-ser in einer kurzen Frist Facharztter-mine in der ambulanten Sprechstundeorganisieren wollen. Das halte ich fürschwer machbar.

Sie hatten die Ärzteschaft schon ange-sprochen. Wie nehmen Sie diese wahr?

Als E-Mail- und Leserbrief-Schreiberbesserwisserisch. Aus Sicht eines Pa-tienten kompetent und freundlich. Aufder Funktionärsebene fast immer gutinformiert. Wer auf Landes- und Bun-desebene in Verbänden spielt, brauchtnatürlich auch ein gewisses Ego.

Stichwort gesetzliche Krankenversi-cherung. Hat sie noch immer einenWert, an dem wir festhalten müssen?

Wir haben ein System in Deutschlandmit einer privaten und gesetzlichenKrankenversicherung, die nebenherexistieren. Ein solches System gibt esnur noch in Chile, sonst nirgendwomehr auf der Welt. Ich finde, das Sys-tem hat große Vorteile, weil es aucheinen Wettbewerb zwischen zwei Sys-temen organisiert. Auch wenn derWettbewerb ein bisschen schief ist:

Die einen versorgen zehn Prozent unddie anderen 90 Prozent der Gesell-schaft. Es ist gut, dass wir die gesetz-liche Krankenversicherung haben.

Kürzlich hat die Bundesregierungeinen Referentenentwurf zum Ver-sorgungsstärkungsgesetz vorgelegt.Greifen wir den Aspekt des Ankaufsvon Arztpraxen in überversorgtenGebieten heraus. Was halten Sievon diesen Plänen?

Das ist ein Fall des ganz normalen ge-sundheitspolitischen Irrsinns, den mankeinem normalen Menschen erklärenkann: Einerseits definieren Kranken-kassen und Ärzte gemeinsam, wieviele Arztstellen notwendig sind, umein bestimmtes Niveau an Versorgungzu garantieren. Dann wird dieses Ni-veau durchweg bundesweit übertrof-fen. Wenn das keine gesundheitspoli-tische Schizophrenie ist. Wenn es eineÜberversorgung gibt, dann sprichtüberhaupt nichts dafür, diese Über-versorgung abzubauen. Es sprichtauch nichts dafür, dass die Kassen-ärztlichen Vereinigungen (KVen) unddie Ärzteschaft dafür sorgen müssen,diese überzähligen Praxen aus demNetz zu nehmen. Die Frage dahinterist viel mehr, welches Versorgungs-netz wollen wir in Deutschland ha-ben. Das müssen wir zuerst klären.

Demnach würden Sie sich gegen denAnkauf von Arztpraxen in überver-sorgten Gebieten aussprechen?

Nein, ich halte ihn sogar für notwen-dig. Aber ich möchte zunächst einmaldefiniert bekommen, was Überversor-gung ist. Passen die heutigen Regeln?Wie kann es sein, dass auf Bundes-ebene KBV und Kassen bestimmteKennzahlen für die Versorgung defi-nieren und gleichzeitig auf regionalerEbene Krankenkassen und KVen danndavon abweichen? So lange solcheFragen nicht vernünftig geklärt sind,muss man diese große politische Dis-kussion über den Ankauf von Arztpra-xen gar nicht führen.

Denken Sie, dass der Referenten-entwurf zum Versorgungsstär-

kungsgesetz eine langfristige Wir-kung zeigen wird?Schon immer waren Gesetze für dieSelbstverwaltung der Ärzteschaftmehr Anhaltspunkte für möglichesVerhalten als wirkliche Leitplanken,innerhalb derer sie sich bewegenmussten. Die Selbstverwaltung ist sounglaublich stark, dass sie viele Spiel-räume nutzt. Von dem aktuellen Refe-rentenentwurf gehen sicherlich Verän-derungen und längerfristige Wirkun-gen aus, aber man sollte sich auchnicht zu viel versprechen. Spätestens2018 kommt das nächste Gesetz.

Was würden Sie an dem Gesetznachbessern?

Es ist unfassbar, wie man mit denHebammen umgeht. Sie zählen zu ei-ner Gruppe im Gesundheitssystem,deren Risiken durch eine privateHaftpflichtversicherung bisher abge-deckt werden musste. Jetzt sollen ih-nen diese Risiken abgenommen wer-den. Zukünftig werden die Beitrags-zahler der Krankenkassen für Be-handlungsfehler und Folgen von Ge-burtsschäden aufkommen. Das hat mitOrdnungspolitik überhaupt nichtsmehr zu tun. Das ist reine Willkür. Soeine Maßnahme von einem CDU-Ge-sundheitspolitiker, die ohne Not ge-troffen wurde, zu sehen, finde ichschon sehr erstaunlich und bedauer-lich. Zumal es nicht einmal einen entsprechenden Passus im Koalitions-vertrag gibt. Chirurgen und Kranken-hausärzte tragen auch ein hohes Risikound könnten ebenfalls sagen: „Dieprivate Haftpflichtversicherung sollbitteschön mal die gesetzliche Kran-kenversicherung für uns zahlen“. Da-mit werden zukünftig Risiken soziali-siert. Das alles in einem marktwirt-schaftlichen System, in dem die Ärzteals Angehörige von freien Berufsstän-den für sich selbst zu sorgen haben.

Eine persönliche Frage zumSchluss: Was tun Sie für Ihre eigeneGesundheit?

Zu wenig, auch zu wenig Sport (lacht).

Vielen Dank für das Gespräch.

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Qualitätsinitiativen

Peer Review: Ärzte lernen von ÄrztenVor mehr als 20 Jahren entstanden die ersten Qualitätszirkel in Deutschland. Der Gedanke dahinter: dasgegenseitige Lernen von Kollegen. Impulsgebend war für die Grundidee von Peer Review die Selbstreflexi-on des ärztlichen Handelns und der Austausch darüber im kollegialen Dialog. Zunehmend halten Peer-Re-view-Verfahren Einzug in die Praxen der Niedergelassenen. Marscha Edmonds berichtet.

1993: Die KBV veröffentlicht ihreQualitätssicherungsrichtlinie.2004: Die KBV entwickelt ein unter-stützendes Qualitätszirkel-Konzeptund veröffentlicht es im „Handbuch-Qualitätszirkel“. 2014: Für Peer-Review-Verfahren inder ambulanten Versorgung stellt dieKBV ein Konzept vor.Um freiwillige und aus der Vertrags-ärzteschaft heraus entwickelte Initia-tiven der Qualitätsförderung zu unter-stützen, hat die KBV kürzlich einKonzept zur Entwicklung und Umset-zung von ambulanten Peer-Review-Verfahren veröffentlicht, das die spe-zifischen Rahmenbedingungen dervertragsärztlichen Versorgung berück-sichtigt. Mit Peer Review (peer [eng-lisch] = Fachkollege; Gleichstehen-der; review [englisch] = Überprüfung)ist der kollegiale Austausch über Be-handlungsmethoden und -prozesse inder Arztpraxis gemeint.In Anlehnung an das „CurriculumÄrztliches Peer Review“ der Bundes-ärztekammer (BÄK) und unter Nut-zung der Erfahrungen von Vertrags-ärzten mit dem Instrument hat dieKBV ihr Konzept entwickelt. Es wur-de unter dem Namen „Peer-Review-Verfahren in der vertragsärztlichenVersorgung – Empfehlungen für Pra-xen, Arztnetze und Qualitätszirkel“veröffentlicht. Anliegen war es, Peer-Review-Verfahren noch stärker in dervertragsärztlichen Versorgung zuetablieren. Dabei unterscheiden sichdie Bedingungen von denen im statio-nären Sektor. Anders als bei Kranken-hausärzten muss ein Niedergelassenerseine eigene Praxis komplett schlie-ßen, wenn er einen Kollegen besucht.Auch das zu behandelnde Krankheits-spektrum, die Fallzahlen, die Konti-nuität der Betreuung der Patienten

und die Abläufe in Praxen unterschei-den sich maßgeblich vom Kranken-haus.

Engagement der Ärzte

Das von der KBV entwickelte Peer-Review-Konzept soll Niedergelassenein ihrem Engagement für die Weiter-entwicklung der Versorgungsqualitätunterstützen. „Das ganze Konzept dergegenseitigen Hilfe und Verbesserungstammt aus der Ärzteschaft selbst undwird auch stetig mit viel Engagementweiterentwickelt“, sagt Dr. AndreasGassen, Vorstandsvorsitzender derKBV. „Es lebt von den Menschen, diees machen und sich darum kümmern.“Ebenso funktioniert die Idee der Qua-litätszirkel bereits seit zwanzig Jah-ren. Freiwillig, durch Selbstreflexionund im aktiven Austausch miteinan-der verbessern sich Ärzte stetig.Neben dem Curriculum der BÄK ha-ben auch die Erfahrungen des Anäs-thesienetzes Berlin Brandenburg e.V.den maßgeblichen Anstoß für die Ent-wicklung des KBV-Konzeptes gege-ben. Die Ärzte des Netzwerkes habenmit „PeerVisit“ bereits ein Peer-Re-

view-Verfahren in ihren Arbeitsalltagintegriert. (Mehr dazu lesen Sie aufder nächsten Seite.)Aber jede Fachgruppe ist anders. Des-halb beschreibt das KBV-Konzept diewichtigsten Eckpunkte, um fachgrup-penbezogene und spezifisch auf denjeweiligen Versorgungskontext ausge-richtete Peer-Review-Verfahren aus-gestalten zu können.

Neuntes Nationales Tutorentreffen

Über Peer-Review-Verfahren wurdeauch auf dem neunten Nationalen Tu-torentreffen der KBV gesprochen. Diejährlich stattfindende Veranstaltungdient der Förderung und Weiterent-wicklung der bundesweiten Qualitäts-zirkelinitiativen. Die rund 50 anwe-senden Qualitätszirkel-Tutoren ausden Kassenärztlichen Vereinigungennahmen an zwei Tagen an verschiede-nen Vorträgen und Workshops teil,darunter auch ein Workshop zur Vor-stellung des KBV-Konzepts „Peer Re-view in der ambulanten Versorgung“.In der Folge soll das Konzept in ei-nem Qualitätszirkel und einem Pra-xisnetz getestet werden.

Das neunte Nationale Tutorentreffen hatte rund 50 Teilnehmer. (Foto: Edmonds)

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Peer Visit

Vier Augen sehen mehrBei einem Peer-Review-Verfahren besuchen sich Ärzte in ihren Praxen und beobachten ihre Arbeit. Ab-schließend bekommt der behandelnde Arzt ein Feedback. Diese freiwilligen gegenseitigen Besuche dienender Qualitätsverbesserung. Das Anästhesienetz Berlin-Brandenburg e. V. (ANBB) hat das Verfahren „PeerVisit“ speziell für seine Mitglieder entwickelt. Alexandra Bukowski hat solch einen Qualitätscheck begleitet.

Es ist ein Dienstagmor-gen in der BerlinerKinderzahnarzt-Praxis„KidsDocs“. Anästhe-sist Dr. Sean PeterSteinbach begrüßt sei-nen ersten Patienten imWartezimmer. Toms(Name geändert)Milchzahn ist von Ka-ries durchfressen undmuss gefüllt und über-kront werden. FürSteinbach gehören die-se Zahnoperationen beiden ganz kleinen Pa-tienten zum Alltag. Erist seit 1997 Facharztfür Anästhesie und auf die Behand-lung von Kindern spezialisiert. ObKaries-, Wurzelbehandlungen oderExtraktionen – die Vollnarkose ist beiKindern oft unverzichtbar und eineHerausforderung für jeden Anästhe-sisten.

Selbstreflexion als Berufsethos

Doch bei aller Erfahrung und Routinein seinem Berufsalltag ist es Stein-bach wichtig, seine Arbeit auf dieProbe zu stellen: „Wenn man selbst-ständig arbeitet, findet viel zu wenigSelbstreflexion statt. Erneuerung undkonstruktive Kritik in der Routinesind daher sehr wichtig.“ Das gehörtfür ihn zum Berufsethos. „Mein Cre-do ist es, dem Verlernen vorzubeugenund das Lernen zu fördern. Das istgenau das, was ich will“, sagt er ni-ckend. Steinbach hat sich an diesemTag freiwillig zu einer Überprüfungseiner Arbeit bereiterklärt. Sein Kol-lege Jörg Karst, ebenfalls niedergelas-sener Anästhesist und Visitor beiPeerVisit, begleitet ihn durch die Be-handlungen an diesem Vormittag. Sei-

ne Aufgabe ist es, Steinbach über dieSchulter zu schauen und dessen Ar-beit kritisch zu analysieren.

Vier-Augen-Prinzip

PeerVisit ist ein Verfahren, das dasAnästhesienetz Berlin-Brandenburge.V. entwickelt und aus seinen Mit-gliedsbeiträgen finanziert hat. Auchder Berufsverband Deutscher Anäs-thesisten (BDA) unterstützt die Fi-nanzierung. Die Arbeitsgruppe „Peer-Visits in ambulanten Anästhesiepra-xen“ gründete zu Beginn des Jahres2013 dieses Verfahren zur Qualitäts-förderung. Anästhesisten besuchensich dabei gegenseitig und beobach-ten ihre Arbeit. Sowohl der behan-delnde Anästhesist als auch der Visi-tor lernen voneinander und tauschensich auf Augenhöhe über ihre Erfah-rungen aus. Inzwischen zählt das Pro-gramm zum anerkannten Kreis derQualitätszirkel. Für die Teilnahme er-halten niedergelassene AnästhesistenFortbildungspunkte, die sie auf ihrWeiterbildungskonto buchen lassenkönnen.

Allmählich wirkt beiSteinbachs kleinem Pa-tienten die Vollnarko-se. Tom liegt nun be-reit für die Zahnbe-handlung auf einer Lie-ge im Behandlungs-zimmer. Anästhesiekol-lege Karst hält sich un-terdessen dezent imHintergrund. „Ich be-obachte nur und greifenicht ein. Als Visitorvon Peer Visit habe ichunsere Qualitätskrite-rien im Kopf. Diesegehe ich jetzt im Stil-len durch“, erklärt er.

Visitor gibt Feedback

Die Ergebnisse seiner Beobachtungenstellt Karst erst nach der Behandlungseinem Kollegen Steinbach vor. In ei-nem Besprechungsraum gehen sie dieBehandlung noch einmal durch. „Esist schon ungewöhnlich und selten,dass einer einem auf die Fingerguckt“, gibt Steinbach zu. Karst gehtzunächst den Fragebogen durch, dervon Steinbach im Vorfeld ausgefülltworden ist. Karst lobt und macht Ver-besserungsvorschläge. Beide Kolle-gen tauschen sich über Arbeitsprozes-se aus und geben sich gegenseitigTipps. Der Visitor unterliegt der absolutenSchweigepflicht. Es gibt keinenschriftlichen Bericht. Auf lediglichdrei Punkte legen sich die Ärzte fest,die abschließend für statistische Zwe-cke festgehalten und ausgewertet wer-den. Auch Karsts Arbeit als Visitorwird am Ende von Steinbach mit Hil-fe eines Evaluationsbogens bewertet,ganz im Sinne des Konzepts: Vonein -ander lernen.

Anästhesist Steinbach (l.) behandelt, während sich Visitor Karst im Hin-tergrund aufhält. (Foto: Bukowski)

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Videos

Hinter den Kulissen von KV-onUm die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten über für die Praxis relevante Themen zu informie-ren, gibt es, neben Printprodukten wie dem Klartext, Broschüren und Flyern, seit 2010 auch eigenständigproduzierte Videos für das Internet. Damit gehört die KBV zu den Vorreitern in der Gesundheitsbranche.Welche Arbeit hinter der Produktion eines Videos steht, erklärt Marscha Edmonds.

Mit KV-on, dem Web-TV der Kas-senärztlichen Vereinigungen, erhal-ten Vertragsärzte und -psychothera-peuten auf visuellem Weg praxisre-levante Informationen. Diese werdenauf optisch ansprechende und leichtverständliche Art und Weise zu teils trockenen politischen Themen auf-bereitet.Manch einer denkt bei Videoproduk-tionen vielleicht: Ein bisschen Fil-men, ein bisschen Schneiden undzack – ein neuer Film ist fertig. Da-hinter steckt aber deutlich mehr. Imersten Schritt muss sich die KV-on-Redak tion zunächst bei jeder Ideedie Frage stellen: Eignet sich dasThema auch für ein Video? Lässt essich gut bebildern? Ein Beispiel füreine solche Produktion ist der Filmzur Initiative DocStop. Das Themawar ein Vorschlag aus dem Haus derKBV. Die 2007 gegründete Initiativesetzt sich für die medizinische Versor-gung von Lkw- und Busfahrern ein.Denn die können mit einem 40-Ton-ner nicht einfach in der Innenstadtparken und ohne Termin zwei Stun-den im Wartezimmer sitzen. RainerBernickel, pensionierter Autobahn-polizist, hat mit DocStop ein Netz-werk geschaffen, an das sich Truckerwenden können. Ihnen werden perHotline, App oder im Netz ein Platzfür Bus oder Lkw sowie der nächsteArzt angezeigt. Außerdem sollen dieFahrer bei den freiwillig teilnehmen-den Medizinern schnell drankommen.Im zweiten Schritt werden die Prota-gonisten für den Film ausfindig ge-macht. Im Fall von DocStop sagteBernickel einem Drehtermin in Berlinzu. Danach musste noch ein Arzt ge-funden werden, der bei DocStop mit-macht. In der Teilnehmerliste fandsich schnell der Allgemeinmediziner

Torsten Vogel aus Bernau bei Berlin.Der sagte prompt zu. Nachdem diebeiden Protagonisten für die Ge-schichte feststanden, verfasste die Re-daktion in Schritt drei ein Drehbuch.Darin wird der Beitrag bereits Bildfür Bild mit passendem Text undmöglichen Antworten der Interview -partner (O-Töne) strukturiert. Mitdem Drehbuch ist klar: Was will ichsagen, und was brauche ich dafür? Zustrikt darf sich der Autor daran abernicht halten, denn vor Ort sieht eshäufig anders aus. Um gute Szenennicht zu verpassen, muss das Kamera-team immer spontan auf Situationenreagieren können.

Über zwei Stunden Material

Bei Schritt vier geht es bepackt mitKamera, Drehbuch und vielen techni-schen Geräten zum Dreh. In der Praxisvon Torsten Vogel verging mit den Vor-gesprächen und dem Dreh insgesamtüber eine Stunde. Zum Schluss folgtenoch ein Interview mit ihm über seine

Beweggründe, bei DocStop mitzu-machen und über seine bisherigenErfahrungen. „Ich habe im Freun-deskreis jemanden, der Kraftfahrerist. Er muss leider viel nachts fah-ren. Das ist vielleicht auch einGrund, wieso ich da mitmache“, er-klärte Vogel im Gespräch.Ein paar Tage später ging es fürKV-on zum zweiten Dreh: nun mitBernickel. In einem ausführlichenInterview erklärte er, wieso erDocStop gegründet hat: „Ich habeschon während meiner gesamtenDienstzeit immer ein Herz für Be-rufskraftfahrer gehabt. Die Bevölke-rung hat teilweise vergessen, dassman sie früher Kapitäne der Land-straße genannt hat. Heute werdensie als Bremsklötze auf den Autobah-

nen beschimpft – und das zu Unrecht.“Nach dem Dreh folgt, zurück in derKBV, der fünfte Schritt: das Sichten,Texten und Schneiden von – im Fallvon DocStop – über zwei StundenMaterial. Das anfangs verfasste Dreh-buch muss nach dem Dreh an das Material angepasst werden. Nach demGrobschnitt folgen dann Effekte, wieBlenden und Farbkorrekturen, Bauch-binden mit den Namen der sprechen-den Personen und die Vertonung desSprechertextes.Im letzten Schritt wird das Video nochin mehreren Formaten ausgespielt undauf Youtube sowie auf die KBV- unddie KV-on-Website gestellt.Hinter einer Videoproduktion – mitmehreren Protagonisten, vielen Sze-nen und Interviews – steckt also et-was mehr als nur ein bisschen Filmenund Schneiden.Das Video zu DocStop finden Sie un-ter www.kbv.de/html/11735.php.Mehr Informationen zu KV-on gibt eshier: www.kv-on.de.

Hinter den Kulissen: Rainer Bernickel, KristalDavidson und Marscha Edmonds beim Drehvom DocStop-Film. (Foto: DocStop)

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KV Westfalen-Lippe

Kampagne für Praxisübernahmen gestartetDortmund (tic) – „Ichwill Ihre Nächste sein:und übernehme Ihre Pra-xis.“ Mit diesen Wortenwirbt die Kassenärztli-che Vereinigung Westfa-len-Lippe für die ärztli-che Niederlassung derMedizinstudenten sowiefür die Übernahme derPraxen pensionierenderÄrzte von jungen Medi-zinern. Die Kampagne informiert überVoraussetzungen der eigenen Nieder-lassung und erklärt Prinzipien wiePraxisbörsen oder die Planung der ei-

genen Praxis. Zugleichbietet sie Patenschafts-programme für einstei-gende und niedergelas-sene Ärzte an und stelltkurze Videos rund umsThema Niederlassungbereit. Die Kampagnesoll dazu beitragen, dieNachwuchsmedizinerder westfälischen Re-gion zu fördern und die

ärztliche Versorgung vor Ort zu si-chern. Weitere Informationen zur Kampagne finden Sie unter www.praxisstart.info.

Berlin (med) – Der Referentenentwurfzum Gesetz zur Stärkung der Versor-gung in der gesetzlichen Krankenver-sicherung (GKV-VSG) ist nicht nurseitens der KBV auf große Kritik ge-stoßen (siehe Seite 4 und 5), sonderngibt auch vielen KassenärztlichenVereinigungen (KVen) Grund zur Be-schwerde. Die Pläne, Terminservice-stellen zur Wartezeitenreduzierungeinzurichten und gleichzeitig Arztpra-xen aufzukaufen, bezeichnet die KV

Hamburg als „schizophren“, die KVHessen als „Irrsinn“ und die KV Ba-den-Württemberg als „skurril“. Beider KV Bremen heißt der Zwangsauf-kauf „Praxis-Abbau-Programm“. Umdie Pläne in dem Gesetzentwurf zuverhindern, fordern die KVen Bay-erns, Hamburg, Bremen, Sachsen,Thüringen und Baden-Württembergdie Politiker der jeweiligen Bundes-länder dazu auf, das Gesetz in der jet-zigen Form zu ändern. Die KVen

Hamburg und Baden-Württemberg ar-gumentieren, dass mit dem Zwangs-aufkauf tausende Stellen von Praxis-mitarbeitern bedroht seien. Die KVNiedersachsen erklärte außerdem:„Für den medizinischen Nachwuchswird kein Anreiz geschaffen, in dieeigene Praxis zu gehen.“ Dass dieMitversorgereffekte in dem jetzigenGesetzesvorschlag nicht berücksich-tigt werden, betonte zudem die KVRheinland-Pfalz.

KV Saarland

Wartezeiten verkürzt Saarbrücken (tic) – Patienten mit Ver-dacht auf Krebs- oder Herzerkrankun-gen haben mit einer „DringlichenÜberweisung“ eine verkürzte Warte-zeit von sechs Tagen auf einen Fach-arzttermin. Das ist das Ergebnis einerStudie, die die Kassenärztliche Verei-nigung Saarland in Auftrag gegebenhat. Ohne diese Überweisung musstenPatienten zuvor durchschnittlich etwa26 Tage auf einen Folgetermin war-ten. Das Modellprojekt im Saarlandstartete am 1. April 2014 und liefsechs Monate lang. Dabei wurden 15bis 20 Prozent aller saarländischenPraxen untersucht.

KV Brandenburg

Fallmanagerin „agnes zwei“ – ein voller ErfolgPotsdam (buk) – In Brandenburg sindes mittlerweile 90 speziell qualifizier-te Fachkräfte, die die niedergelasse-nen Ärzte der Region in ihrer Arbeitentlasten. Die Fallmanagerin „agneszwei“ übernimmt nicht nur Aufgabenwie Blutabnahme und Blutdruckmes-sen, sondern sie kümmert sich vor al-lem um das Fallmanagement. Insbe-sondere chronisch kranke und älterePatienten sind auf die Betreuung derGemeindeschwestern angewiesen.Diese arbeiten in enger Abstimmungmit dem behandelnden Arzt. „agnes

zwei“ kann sowohl für Haus- undFachärzte als auch in MedizinischenVersorgungszentren oder für Arztnet-ze unterstützend eingreifen.„agnes zwei“ ist bereits die zweiteInitiative der Arbeitsgemeinschaft„Innovative Gesundheitsversor-gung in Brandenburg“ (IGiB) nach„AGnES“. In dem Bündnis habensich die Kassenärztliche Vereini-gung Brandenburg, die AOKNordost und die BARMER GEKBerlin-Brandenburg in den Jahren2009 und 2010 zusammenge-

Kassenärztliche Vereinigungen

KVen fordern Änderung des GKV-VSG

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schlossen. Ihr Ziel ist es, neue Struk-turen für die medizinische Versorgungauf dem Land zu entwickeln.

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Buch-Tipp

Krankheit schläft nicht

Video

Ärztin hilft Das Web-TV der KassenärztlichenVereinigungen, KV-on, hat eine enga-gierte Ärztin in Berlin besucht, diesich für Obdachlose und Menschen inArmut einsetzt. Jenny De la Torre istgebürtige Peruanerin und Chirurgin.Sie hilft mit der „Jenny De la TorreStiftung“ unbürokratisch, schnell undkostenlos. Finanziert wird ihre ehren-amtliche Arbeit durch Spenden undStiftungsgelder. Seit über 20 Jahrenengagiert sie sich auf diese Weise fürHilfsbedürftige in ihrem eigens ge-gründeten Gesundheitszentrum. Tag-täglich kommen neue Patienten zuihr, die von einem Team aus niederge-lassenen Ärzten im Ruhestand ehren-amtlich versorgt werden. Oft haben De la Torres Patientennicht nur gesundheitliche Probleme,sondern brauchen auch Hilfe bei orga-nisatorischen Dingen. An dieser Stellegreifen ihnen Sozialarbeiter und Ju-risten unter die Arme. Sie helfen ih-nen beispielsweise bei der Beantra-gung der Sozialhilfe. Das Video über die Stiftung finden Sieunter www.youtube.de/kbv4u.

In seiner Laufbahn als Bereitschaftsarzt in Berlin hat Rainer-Mathias Bockschon viel erlebt. In 45 kurzen Geschichten erzählt er in seinem Buch „Krank-heit schläft nicht“ von skurrilen, fesselnden und vor allem ungewöhnlichen Er-fahrungen, die Einblicke in die Befindlichkeiten des Krankseins, Altwerdensund Sterbens geben. Diese Geschichten – meist auf wahren Vorkommnissenbasierend – handeln von Notrufen der Patienten, ihrer Umgebung und ihren Er-krankungen. Es entsteht ein kleines Porträt Berlins aus einer Sichtweise, wel-che nur ein Arzt zu sehen bekommen kann. Das Buch „Krankheit schläft nicht – Unterwegs als Bereitschaftsarzt in Ber-lin“ ist bei dem Verlag „Books on Demand“ unter der ISBN-Nummer 978-3-73576-769-1 für 12,90 Euro erhältlich.

Praxisinformation

eGK-Plakat Ab 1. Januar 2015 gilt definitiv nurnoch die elektronische Gesundheits-karte (eGK). Alte Chipkarten sinddann ungültig. Ärzte und Psychothe-rapeuten können ihre Patienten jetztmit einem Plakat und einem Informa-tionsblatt darauf hinweisen. Das Plakat und eine Patienteninfor-mation stehen im Internet zum Herun-terladen und Ausdrucken zur Verfü-gung unter www.kbv.de/html/egk_plakat.php.

Neue Servicebroschüre der KBV

Praxis am NetzHeutzutage geht fast alles elektro-nisch. Handgeschriebene Patientenak-ten oder Abrechnungsunterlagen aufPapier sind nur noch selten anzutref-fen. Doch wie viel moderne ITbraucht eine Praxis? Welche Netzesind sicher? Wie sind Datenverlustevermeidbar? Diese und weitere Fra-gen zum Thema Online-Kommunika-tion beantwortet die neue Broschüreder KBV „Praxis am Netz“. Sie rich-tet sich an Ärzte und Psychotherapeu-ten. Der Schwerpunkt der Broschüreist das Sichere Netz der Kassenärztli-chen Vereinigungen (SNK) – eine In-frastruktur entwickelt von der KBVund den KVen. Es zeichnet sich durcheinen begrenzten Nutzerkreis, regel-mäßige Re-Zertifizierungen und Ha-

cker-Tests aus. Ärzte erfahren, welcheVorteile dieses mit 43.000 teilneh-menden Praxen mittlerweile größteGesundheitsnetz bietet und wie sieteilnehmen können. Zwei niedergelas-sene Ärzte berichten von ihren Erfah-rungen. Darüber hinaus informiert dieBroschüre über die Telematikinfra-struktur und welche Rolle das SNKdabei spielen soll. Zudem enthält sieHinweise zum korrekten Datenschutzsowie eine Aufzählung der benötigtenHard- und Software einer modernenPraxis.Die Broschüre können Sie ab sofortper E-Mail an [email protected] be-stellen oder unter www.kbv.de/html/publikationen.php im Internet kosten-frei herunterladen.

D e z e m b e r 2 0 1 4 | K B V K L A R T E X TInterview

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Zehn Fragen an . . .

Prof. Gerd GlaeskeIn jeder Ausgabe unterzieht KBV KLARTEXT Persönlichkeiten aus demGesundheitswesen dem etwas anderen Gesundheits-Check. DiesesMal stand der Gesundheitswissenschaftler Prof. Gerd Glaeske Redeund Antwort.

Prof. Gerd Glaeske, Jahrgang1945, hat in Aachen und Ham-burg Pharmazie studiert und an-schließend in den FächernPharmazeutische Chemie, Phar-makologie und Wissenschafts-theorie promoviert. Seit 1981 arbeitete er als wis-senschaftlicher Mitarbeiter undanschließend als Leiter im Be-reich Arzneimittel am Bremer In-stitut für Sozialmedizin und Prä-ventionsforschung sowie beimehreren Krankenkassen. Pro-fessor für Arzneimittelversor-gungsforschung am Institut fürSozialpolitik in Bremen ist Gla-eske seit 1999. Seit 2003 ist eraußerdem Mitglied im Wissen-schaftlichen Beirat der Bundes-zentrale für gesundheitlicheAufklärung. Von 2003 bis 2009war er Mitglied des Sachver-ständigenrats. Bis 2014 war erdarüber hinaus Hauptgeschäfts-führer und Mitglied des ge-schäftsführenden Vorstands desDeutschen Netzwerks Versor-gungsforschung.

1. Was betreiben Sie an gesundheit-licher Prävention?

Prävention bedeutet für mich vor allemgute Ernährung: ausgewogen, mit vielFisch und wenig Fleisch. Außerdemnutze ich den Rat von Ulla Schmidt(SPD), täglich 3.000 Schritte zu gehen. „Echter“ Sport war allerdingsnoch nie mein Ding, allenfalls Aus-flüge mit dem Fahrrad oder Wandern.

Und an politischer Prävention?

Geduld ist notwendig, um wichtigeund richtige Dinge zu erreichen. Michüberfällt daher kein Stress, wennmanche Dinge nicht von heute aufmorgen klappen.

Was war Ihre größte Fehldiagnose?

Den Wettbewerb im System habe ichvor allem mit besserer Patientenver-sorgung verbunden. Im Moment ist esaber eher ein Wettbewerb um„schwarze“ gegenüber „rote Zahlen“.Das Eigeninteresse vieler Institutio-nen ist eben stärker als die Bewegunghin zum Wettbewerb um Qualität.

Welchen Gesprächspartnern wür-den Sie gerne in einer Talkshow be-gegnen?

Wenn er noch leben würde: Ivan Il-lich, um mit ihm über den Einflussder Medizin auf die Gesellschaft zudiskutieren. Sein Buch „Die Nemesisder Medizin“ sollten alle kennen, dieim Gesundheitssystem tätig sind. Unddann Harald Schmidt, um mit ihmüber Hypochondrie zu reden.

Wenn Sie der nächste Gesundheits-minister wären …

… würde ich mehr Public-Health-und Evidenz-orientierte Entscheidun-gen treffen, bei denen die Prüfung auf

Patientenorientierung im Mittelpunktsteht. Schließlich ist unser System fürdie Patienten gemacht, nicht für Ärz-te, Apotheker oder andere.

Arzt sein in Deutschland ist …?… nach wie vor ein Beruf mit großerVerantwortung für das Gemeinwohlund für die einzelnen Patienten. Da-her sollte es eine Honorierung geben,die der Aufgabenstellung entspricht,etwa Pauschalen für Allgemeinmedi-ziner.

Patient sein in Deutschland ist …?… gegenüber vielen anderen Länderndurchaus ein Vorteil, oftmals aberauch beschwerlich, weil die Unter-schiede zwischen gesetzlich und pri-vat Versicherten immer wieder spür-bar sind. Es wird Zeit, dass alle Men-schen in die GKV als Basisversiche-rung eintreten und einzahlen müssen,und dass die PKV zur reinen Zusatz-versicherung wird.

Ihr persönliches Rezept gegen Poli-tikstress?Lesen, Musik hören, Kino und Ballett– mich von der Kreativität anderergefangen nehmen lassen!

Worauf reagieren Sie allergisch?Auf Machtgehabe, Ungerechtigkeitenund Betonköpfe! Es gibt nichtsSchlimmeres als Arroganz gepaart mitIgnoranz.

Ein Slogan für den Gesundheits-standort Deutschland?Versorgungsforschung für mehr Qua-lität und Transparenz, gegen Unter-,Über- und Fehlversorgung: Die Patien-tenorientierung steht im Mittelpunktunseres Gesundheitssystems!

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