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apoView 2019 Kind oder Kittel? Zur Vereinbarkeit von Familie und Heilberuf Kind und Kittel! apo View Blick in den Gesundheitsmarkt 2019

Kind oder Kittel? Kind und Kittel! - Mynewsdesk

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Page 1: Kind oder Kittel? Kind und Kittel! - Mynewsdesk

apoView 2019

Kind oder Kittel?

Zur Vereinbarkeit von Familie und Heilberuf

Kind und Kittel!

apoViewBlick in den Gesundheitsmarkt

2019

Page 2: Kind oder Kittel? Kind und Kittel! - Mynewsdesk

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Vorwort

hatten Sie in Ihrem Leben schon einmal das Ge-fühl, sich zwischen Kind und Karriere entschei-den zu müssen? Wenn ja, in welcher Situation? Und wie haben Sie sich dabei gefühlt?

Diese Fragen haben wir in unserer neuen apoView einmal genauer unter die Lupe genom-men. Wie in jedem Jahr werfen wir auch 2019 wieder einen Blick auf den Gesundheitsmarkt – und widmen uns dabei einem Thema, das aufgrund seiner Aktualität und seines zukunfts-weisenden Charakters die Struktur des Marktes entscheidend prägen wird.

Denn wie schon angedeutet, möchten wir in dieser Ausgabe der Frage auf den Grund gehen:

„Kind oder Kittel?“. Genauer: Wie steht es um die Familienplanung der Heilberufler? Müssen sie sich zwischen Kind und Karriere entscheiden? Gibt es den richtigen Zeitpunkt für Nachwuchs? Und wie kann ein Arbeitsumfeld aussehen, in dem junge Heilberufler in Zukunft gerne arbeiten und ihre Lebensentwürfe verwirklichen können?

Um diese Fragen zu beantworten, haben wir eine erste umfassende Bestandsaufnahme zur Vereinbarkeit von Familie und Heilberuf zusam-mengetragen. Auf den nächsten Seiten finden Sie die Ergebnisse unserer jüngsten Online-Be-fragung von 500 Heilberuflern, die wir in Zusam-menarbeit mit DocCheck Research im Frühjahr 2019 durchgeführt haben. In Interviews mit namhaften Experten lassen wir zudem Praktiker zu Wort kommen, die schon heute im täglichen Arbeitsleben den Balance-Akt zwischen Familie und Beruf vorbildlich meis tern – so wohl auf der Arbeitnehmer- als auch auf der Arbeitgeberseite.

Ans Herz legen möchte ich Ihnen vor allem die abschließenden Lösungsansätze. Wichtig wird sein, dass wir gemeinsam Rahmenbedin-gungen schaffen, damit die Berufsausübung von morgen auch der Generation von morgen gerecht wird.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen nun viel Freude bei der Lektüre.

Herzlichst,Ihr

Ulrich Sommer, Vorsitzender des Vorstands,Deutsche Apotheker- und Ärztebank eG

Liebe Leserinnen und Leser,

Wie steht es um die Familienplanung der Heilberufler? Haben sie

das Gefühl, sich zwischen Kind und Karriere

entscheiden zu müssen?

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Page 3: Kind oder Kittel? Kind und Kittel! - Mynewsdesk

5apoView 2019apoView 2019

Die Heilberufe werden weiblich. Lassen Sie mich diese Entwicklung am Beispiel der Humanmedizin deutlich

machen: Während im Jahr 1975 noch 71 Prozent der Medizinstudierenden männlich waren, hat sich das Geschlechterverhältnis in den letzten 40 Jahren umge-kehrt. In 2017 machten weibliche Medizinstudierende mit über 60 Prozent die Mehrheit in deutschen Hörsälen aus.1 In der Zahnmedizin (66 Prozent) und Pharmazie (72 Prozent) liegen die Quoten sogar noch etwas höher – Tendenz steigend.

Warum ist das so? Immer mehr Frauen erreichen das Abitur, und das oftmals mit einem deutlich besseren Numerus Clausus als ihre männlichen Mitstreiter. Sie sind selbstbewusster und zielorientierter als früher und

von Daniel Zehnich

Zur Vereinbarkeit von Familie und Heilberuf

Herleitung: Zur Vereinbarkeit von Familie und Heilberuf

Studiendesign & Stichprobe

Management Summary: Kind oder Kittel?

Die Studienergebnisse:

5

6

8

10

3

33

35

35

10 12 15

1620

22 25 27

28 30

Familienfreundlichkeit Interview mit Julia Peker-Vogelsang, Medizinstudentin Interview mit Dr. Mandy Mangler, Ärztin

Kinderkriegen Interview mit Christian Finster, KZV Baden-Württemberg

Kind oder Kittel Interview mit Matthias Siemer, Apotheker Interview mit Annabelle Dalhoff-Jene, Zahnärztin

Herausforderungen und LösungenInterview mit Gunnar Sevecke, Rotkreuz-Kliniken

Schlusswort: In Zukunft Kind und Kittel!

Quellenverzeichnis

Impressum

Vorwort von Ulrich Sommer

Inhalt

haben zudem einen Weg gefunden, Privates und Berufli-ches durch intelligentes Zeitmanagement miteinander zu vereinen. Sie arbeiten häufig als Angestellte in flexiblen (Teil-)Zeitmodellen und legen mehr Wert auf private Selbstverwirklichung und berufliche Erfüllung als auf ein lukratives Gehalt oder eine machtvolle Führungsposition. Kurzum: Sie stellen die viel zitierte Work-Life-Balance in den Fokus ihres Handelns. So weit, so gut. Doch was, wenn nun Kinder ins Spiel kommen?

Stellt sich die Frage „Kind oder Kittel?“ überhaupt noch, über 120 Jahre nachdem Frauen zum Medizin-studium zugelassen wurden? Wenn dem so ist und wenn sich die Heilberuflerinnen für den Nachwuchs entscheiden, können wir es uns leisten, für Jahre auf sie zu verzichten? Und wie steht es um ihre männlichen Kollegen? Gilt hier noch das traditionelle Familienmodell des Hauptverdieners in Vollzeit? Fakt ist: Neben der Fe-minisierung erfolgt auch ein Werte- und Bedürfniswandel der gesamten jungen Generationen, der quer durch alle Berufsgruppen zu beobachten ist.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen war uns wichtig, zu ermitteln, welche Arbeitsbedingungen von Heilberuflern als familienfreundlich angesehen werden. Denn diese Ergebnisse liefern uns eine gute Basis, um neue Modelle für die Berufsausübung der Zukunft zu gestalten – Modelle, in denen Kind und Kittel gut zu-sammenpassen.

Stellt sich die Frage „Kind oder Kittel?“ überhaupt noch,

über 120 Jahre nachdem Frauen zum Medizinstudium

zugelassen wurden?

Herleitung

Daniel Zehnich, Leiter Gesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik, Deutsche Apotheker- und Ärztebank eG

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7apoView 2019apoView 20196

Die Studie „Kind und Kittel“ wurde im Frühjahr 2019 von der Deutschen Apotheker- und Ärztebank

(apoBank) in Kooperation mit dem Marktforschungs-institut DocCheck Research, Köln durchgeführt. Hierzu wurden per Zufallsstichprobe insgesamt 500 Heilberufler online um die Beantwortung von 36 Fragen gebeten. Die Teilnehmer mussten zwischen 25 und 50 Jahren alt sein und leibliche Kinder haben. Dabei wurde Wert darauf gelegt, zu gleichen Teilen Frauen und Männer zu befragen, da der Vergleich der Ergebnisse zwischen den Geschlechtern im weiteren Verlauf gegenüber gestellt werden sollte.

Die Gruppe wurde weiterhin in jeweils 125 Haus-ärzte, Fachärzte, Zahnärzte und Apotheker gesplittet, um spezifischere Aussagen für die verschiedenen Berufsgruppen zu ermöglichen. So steht vielleicht ein selbständiger Zahnarzt in eigener Praxis in Sachen Familienplanung vor gänzlich anderen Problemen als ein Humanmediziner im Klinikalltag. Der Heilberufler steht dabei als Mensch im Vordergrund.

Geschlecht: Entsprechend der Quotierung der Stichpro-be ist die Hälfte der Befragten weiblich und die andere Hälfte männlich. Bei den Apothekern ist der Anteil der Frauen vergleichsweise höher, bei den Fachärzten geringer.

Alter: Die befragten weiblichen Heilberuflerinnen sind leicht jünger als die befragten männlichen Heilberufler. 44 Prozent sind zwischen 25 und 40 Jahre, 56 Prozent zwischen 41 und 50 Jahre alt. Lebenssituation: Die Mehrheit (77 Prozent) unserer Befragten lebt in einer klassischen Familiensituation, das heißt mit dem Kind oder den Kindern und dessen/deren Vater oder Mutter zusammen. Elf Prozent leben in einer Patchwork-Struktur und nur sieben Prozent sind alleinerziehend, Frauen vergleichsweise häufiger. In Deutschland hat die Zahl der Alleinerziehenden in den letzten Jahren zugenommen und beträgt mittlerweile circa 18 Prozent.2 Das Zusammenleben in traditionellen Familienstrukturen ist innerhalb der Heilberufe also ver-gleichsweise stark verbreitet.

Unser Ziel war es, ein aktuelles Bild zur Vereinbarkeit von Familie und Heilberuf und den damit verbun-

denen Herausforderungen und Lösungsansätzen zu er-mitteln. Zu diesem Zweck haben wir vier Themenblöcke identifiziert und abgefragt. Die Ergebnisse wurden im Nachgang mit Beiträgen namhafter Gastautoren aus

Klinik und Standespolitik sowie um Erfahrungsberichte von Praktikern aus Medizin, Zahnmedizin und Pharmazie angereichert, die das Zusammenspiel von Familie und Beruf bereits in ihren unterschiedlichen Lebensentwür-fen verinnerlicht haben.

Der Fokus – Unsere Heilberufler Die Zielgruppe – Ein Querschnitt

Die Inhalte – 4 Themenblöcke

Studiendesign & Stichprobe

Das Studiendesign – Ein Überblick

Stichprobe

Berufsgruppen

Methodik

n = 500 Heilberufler 25 bis 50 Jahre alt leibliche Kinder 50% w/50% m

125 Hausärzte 125 Fachärzte 125 Zahnärzte 125 Apotheker

Online-Umfrage Februar/März 2019 36 Fragen DocCheck Research

Familienfreundlichkeit Wie steht es um das Image der Heilberufe? Spielt die Familienfreundlichkeit eine Rolle• bei der Berufswahl? Wie familienfreundlich sind die Berufs- • ausübungsformen?

Kind oder Kittel Müssen sich die Heilberufler zwischen • Kind und Kittel entscheiden? Werden kinderlose Heilberufler gegenüber• Heilberuflern mit Kindern bevorzugt?

Kinderkriegen Wird der Zeitpunkt des Kinderkriegens• bewusst gewählt? Nehmen die Heilberufler Elternzeit? Welche Betreuungsangebote • werden genutzt?

Herausforderungen & Lösungen Welche Hürden ergeben sich beim • Wiedereinstieg in den Beruf? Welche Mittel zur Vereinbarkeit von Familie • und Beruf werden gewünscht?

Lebenssituation

Familie Vollzeit Teilzeit

Patchwork

allein-erziehend

Anzahl der Kinder Erwerbstätigkeit

Das Studiendesign – Die Befragten

77% 67% 28% 34% 11% 94% 5% 48% 7% 39% 50% 18%

Anzahl der Kinder: Gleichzeitig tendieren die Heilberuf-ler auch zu mehr Kindern pro Familie als der Bundes-durchschnitt. Etwa die Hälfte der befragten Heilberufler hat zwei leibliche Kinder, ein Drittel ein leibliches Kind. 18 Prozent haben drei Kinder oder mehr - in Gesamt-deutschland trifft dieser Umstand nur auf zwölf Prozent aller Familien zu.3

Alter der Kinder: Die Mehrheit der leiblichen Kinder der 25- bis 50-jährigen Heilberufler ist zwischen einem Jahr und 17 Jahren alt, die meisten (44 Prozent) zwischen sechs und zehn Jahren.

Erwerbstätigkeit: Hier spiegelt sich noch das tradierte Rollenbild deutscher Familien wieder, da 94 Prozent der männlichen Befragten in Vollzeit tätig sind. Während jede zweite Frau in Teilzeit arbeitet, sind es bei den männlichen Heilberuflern lediglich fünf Prozent. In Gesamtdeutschland liegt die Teilzeitquote bei Männern bei etwa zehn Prozent.4 Auffällig: Apotheker arbeiten deutlich häufiger in Teilzeit als die anderen Heilberufs-gruppen.

Tätigkeitsbereich: Insgesamt sind 33 Prozent der befragten Humanmediziner stationär beschäftigt, 26 Prozent ambulant in Anstellung, 39 Prozent sind Praxis-inhaber. Dabei sind die befragten Hausärzte mehrheitlich niedergelassen tätig, die befragten Fachärzte verstärkt in der Klinik. Die befragten Zahnärzte sind zu 78 Pro-zent Praxisinhaber, die Hälfte besitzt eine Einzelpraxis. 21 Prozent sind in ambulanter Anstellung tätig. Mit 73 Prozent ist die Mehrheit der befragten Apotheker in einer öffentlichen Apotheke angestellt, nur ein Viertel ist selbst Inhaber.

Abweichungen von 100 Prozent sind weiteren Antwortmöglichkeiten geschuldet, die hier nicht aufgeführt sind.

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Familienfreundlichkeit spielt eine wichtige Rolle: 69 Prozent aller Befragten räumen dem Thema Familienfreundlichkeit bei der Berufswahl eine hohe bis sehr hohe Relevanz ein und zwar nicht nur die weiblichen (74 Prozent), sondern auch die Mehrheit der männlichen Heilberufler (65 Prozent).

Berufsimage eher negativ: Dabei werden die Heilberufe generell als wenig familien-freundlich wahrgenommen und stattdessen mit einem hohen Arbeitsaufkommen verbunden. In der Humanmedizin gelten die Fachbereiche Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin als besonders familienfreundlich, Chirurgie hingegen als familien-unfreundlichster Fachbereich.

Kooperation und Anstellung auf dem Vormarsch: Eine Tätigkeit in kooperativen Berufsausübungsformen wird von den Heilberuflern als besonders familienfreundlich wahrgenommen, die Anstellung gilt zudem als familienfreundlicher als eine Inhaber-schaft.

Angst um die Karriere: Knapp ein Drittel der Befragten (30 Prozent) hatte schon einmal das Gefühl, sich zwischen Kind und Karriere entscheiden zu müssen, insgesamt deutlich mehr Frauen (42 Prozent) als Männer (18 Prozent). Als meist-genannter Grund werden hier von Frauen und Männern gleichermaßen stagnierende Karrieremöglichkeiten angegeben. Zahnärzte geben am häufigsten an, dass der Nachwuchs ihnen die Gründung einer eigenen Praxis erschwere (39 Prozent), während für Apotheker vergleichsweise oft fehlende Betreuungsmöglichkeiten aus-schlaggebend sind (24 Prozent).

Kinderlose vor: Fast zwei Drittel der Heilberufler nehmen eine Bevorzugung kinder-loser Heilberuflerinnen wahr. Eine Bevorzugung von männlichen Kollegen mit Kindern wird im Vergleich nur etwa von einem Drittel wahrgenommen. Männer (67 Prozent) sehen die Bevorzugung von kinderlosen Heilberuflerinnen häufiger als Frauen (62 Prozent). Der häufigste Grund sind aus Sicht sowohl männlicher als auch weiblicher Heilberufler die vermehrten Ausfälle durch die Krankheit der Kinder.

Mehr Flexibilität: Als größte Hürden beim Wiedereinstieg benennen die Befragten die fehlende Flexibilität im Beruf, fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten (62 Prozent) sowie Wettbewerbsnachteile durch fachliche Weiterentwicklung im Beruf (56 Prozent). Frauen sehen die Wettbewerbsnachteile, finanzielle, emotionale und gesellschaftliche Hürden sowie die fehlende Unterstützung des Partners häufiger als Herausforderungen als Männer.

Kinderbetreuung das A & O: Zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden von fast allen kompatible Kinderbetreuungsangebote (92 Prozent) sowie flexible Arbeitszeitmodelle und Teilzeitangebote gewünscht (90 Prozent). Die Entlastung bei nichtärztlichen/nichtpharmazeutischen Tätigkeiten durch Delega-tion und Digitalisierung wird vermehrt von Männern als von Frauen gewünscht.

Nachwuchs mit Planung: Zwei Drittel der Heilberufler haben den Zeitpunkt bei mindestens einem Kind bewusst gewählt. Entscheidend sind private Gründe – vor allem das Alter der Eltern und der passende Abstand zwischen den Kindern. Frauen achten dabei stärker auf den beruflichen Zeitpunkt, Männer auf die Absicherung der Familie.

Frauen als Versorgerinnen der Familie: Weibliche Heilberuflerinnen haben häufi-ger bei mindestens einem Kind Elternzeit genommen (87 Prozent) als Männer (38 Prozent). Frauen haben zudem durchschnittlich 14 Monate Elternzeit genommen, Männer dagegen nur drei Monate.

Familie als Unterstützung: In Sachen Kinderbetreuung wird am häufigsten der öffentliche/private Kindergarten in Anspruch genommen (76 Prozent), sowie die öf-fentliche/private Kita (64 Prozent). Auch Eltern und Familie der Heilberufler werden von 46 Prozent bei der Kinderbetreuung gefordert.

Kind oder Kittel

Herausforderungen und LösungenKinderkriegen

Familienfreundlichkeit

Management Summary: Kind oder Kittel?

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Familienfreundlichkeit

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Wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, spielt die Familienfreundlichkeit des eigenen Berufs eine entscheidende Rolle. Deshalb haben

wir diese anhand von drei thematischen Blöcken abgefragt:

Zum Einstieg wollten wir von den Befragten wissen, wie es um das Berufsimage des Heil-

beruflers steht und welche Attribute sie selbst mit dem Arzt, Zahnarzt oder Apotheker von heute verbinden.

Im Ergebnis wird über alle Befragten hinweg mit dem Heillberuf vor allem ein hohes Arbeits-aufkommen (92 Prozent) und die Übernahme von Führungsverantwortung (87 Prozent) assoziiert. Außerdem gab ein Großteil der Befragten (jeweils 74 Prozent) an, dass ihr Beruf mit einer un-ausgeglichenen Work-Life-Balance und einem eingeschränkten Privatleben einhergeht – vor allem Allgemeinmediziner und Fachärzte betonen diese Einschätzung. Sie sind es auch, die ver-

gleichsweise häufig (85 Prozent) eine schwierige Vereinbarkeit von Familie- und Berufsleben mit den Heilberufen verknüpfen – bei den Zahnärzten und Apothekern bestätigt diese Aussage jeweils die Hälfte der Befragten. Die Humanmediziner empfinden demnach ein gesteigertes Problembe-wusstsein zur Vereinbarkeit von Familie und Heil-beruf – diese Einschätzung könnte beispielsweise auf die besonders lange Ausbildungszeit sowie die von Nacht- und Sonderschichten geprägten Assis-tenzarztzeit im Krankenhaus zurückzuführen sein.

Interessant: Die Attribute „Hohes Einkom-men“ sowie „Macht und Einfluss“ landeten im Gesamtbild bei den Befragten auf den beiden letzten Plätzen.

Berufsimage

Wie steht es um das Image der Heilberufe? Spielt die Familienfreundlichkeit eine Rolle bei der Berufswahl?

Wie familienfreundlich sind die Berufsausübungsformen?

Die Studienergebnisse

Das Image der Heilberufe

Inwieweit treffen Ihrer Meinung nach die folgenden Attribute auf den Beruf des

Mediziners/des Apothe-kers/des Zahnarztes zu?

Hohes Arbeits-

aufkommen

92%

Übernahme von Führungs-verantwortung

87%

UnausgeglicheneWork-Life-Balance

74%

Eingeschränktes Privatleben

74%

Hohes Arbeits-aufkommen

Übernahme von Führungsverant-

wortung

UnausgeglicheneWork-Life-Balance

Eingeschränktes Privatleben

Erschwerte Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Fokus auf die Heilberufe

95%

84%

85%

89%

85%

Ärzte

94%

96%

66%

60%

50%

Zahnärzte

84%

83%

62%

58%

55%

Apotheker

Inwieweit treffen Ihrer Meinung nach die folgenden Attribute auf Ihren Beruf zu?

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1312 apoView 201912

„Alles muss koordiniert werden“

Frau Peker-Vogelsang, Sie sind dreifache Mutter und studieren Medizin im elften Semester. Haben Sie sich bewusst dafür entschieden, während des Studiums eine Familie zu gründen?

Die Entscheidung war bewusst, aber es war eigentlich umgekehrt. Ich war schwanger mit meinem ersten Kind und habe mich für eine letzte Bewerbung ent-schieden. Die Alternative wäre ein anderes Studium gewesen, aber ich bin sehr glücklich, dass es die Medizin geworden ist. Meine Kinder übrigens auch, alle sind stolz auf mich.

Wie sieht Ihr Leben als Medizinstudentin mit Kindern aus?

Straff organisiert und durchgeplant, etwa ein Semester bis Jahr im Voraus. Vom Urlaub bis zur Prüfungszeit, alles muss koordiniert und abgesprochen werden. Unter der Woche kann ich zu Hause nicht viel fürs Studium machen. Da bin ich für meine Kinder da und die fordern mich vollkommen. Als mein Sohn ein Baby war, habe ich ihn aber zum Beispiel mit in Lehrver-anstaltungen genommen und mich dann im Seminar in die Nähe der Tür gesetzt. Wenn er anfing zu weinen, sind wir schnell rausgegangen.

Interview

Sie leiten das Projekt „Freundilie – für Freunde und Familie“ der Bundesvertretung der Medizinstudieren-den (BVMD) – was verbirgt sich dahinter?

Das Projekt beschäftigte sich ursprünglich nur mit der Work-Life-Balance von Studierenden und jungen Ärzten. Mittlerweile geht es mehr um den Familien-As-pekt. Wir fordern beispielsweise bundesweit einheit-liche Standards für studierende Eltern. Es ist schwer, als Mediziner oder Medizinerin Karriere und Familie in Balance zu bringen.

Nur sechs Prozent aller Humanmedizin-Studierenden haben Kinder. Gab es konkrete Situationen, bei denen Sie im Rahmen des Studiums zurückstecken mussten?

Klar, ständig! Angefangen bei späten Vorlesungen und Tutorien oder Abendveranstaltungen. In der Stillzeit durfte ich außerdem aufgrund der geltenden Gefahr-stoffverordnung an bestimmten Kursen nicht teil-nehmen. Aber auch ein Auslandssemester oder eine Famulatur hätten mich interessiert. Das ist mit einem Kind vielleicht gerade so machbar, aber mit zwei Kindern schwierig und erfordert auch ein größeres Budget und Kinderbetreuung im Gastland.

Wie sehen Ihre beruflichen Wünsche nach Abschluss des Studiums aus?

Ich wünsche mir einen Arbeitgeber, der gezielt Eltern fördert und deren Lebensumstände berücksichtigt. Für mich geht es wohl eher in die Klinik, falls möglich gerne in Teilzeit - doch diese Stellen sind für Ärzte und Ärztinnen in der Weiterbildung eher rar. Sie zu schaffen wäre ein großer Schritt in Richtung Familien-freundlichkeit.

Julia Peker-Vogelsang studiert Humanmedizin im Modellstudiengang der Berliner Charité. Seit Februar 2018 leitet sie das Projekt „Freundilie – für Freunde und Familie“ der Bundesvertretung der Medizinstudierenden (BVMD). Vor ihrer Zeit an der Charité machte die 39-Jäh-rige eine Ausbildung zur Krankenschwester und schloss ein Studium in Gesundheitsmanagement ab. Sie hat eine sechsjährige Tochter, einen vierjährigen Sohn und brachte vor Kurzem ihr drittes Kind zur Welt.

Bei der Wahl des eigenen Berufs können viele Dinge eine Rolle spielen: Aufgabenfeld, Verdienst, Arbeits-

zeit, Zukunftsperspektiven, Familienhistorie und vieles mehr. Doch spielt auch das Thema Familienfreundlich-keit bei der Entscheidung für den Heilberuf eine Rolle? Und wenn ja, welche Relevanz wird diesem eingeräumt?

Unsere Studie zeigt: Den meisten Befragten ist die Familienfreundlichkeit durchaus wichtig. So gaben berufsübergreifend 69 Prozent an, dass dieses Kriterium bei der Wahl ihres Berufes relevant bis sehr relevant war. Dabei liegen die Ergebnisse der weiblichen und männ-lichen Teilnehmer mit 74 Prozent respektive 65 Prozent entgegen der traditionell geprägten Erwartungshaltung gar nicht so weit auseinander.

Die größten Differenzen ergeben sich bei den einzelnen Berufsgruppen. So spielte bei Hausärzten (82 Prozent) und Apothekern (75 Prozent) die Familienfreund-lichkeit eine noch bedeutendere Rolle als bei Zahnärzten (56 Prozent) und Fachärzten (64 Prozent). Stellt man diese Ergebnisse dem zuvor skizzierten Berufsimage gegenüber, welches den Heilberufen vor allem ein hohes Arbeitsaufkommen und ein eingeschränktes Privatleben attestiert, wird das Spannungsfeld, das sich für Heilberuf-ler bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ergibt, erstmals deutlich. Gerade Hausärzte, die vorwiegend in eigener Praxis tätig sind, nehmen eine zentrale Stellung innerhalb der Gesundheitsversorgung ein, die vor allem in ländlichen Regionen mit hohem Aufwand, Arbeitsverdich-tung und zunehmender Verantwortung verbunden ist.

Werfen wir einen Blick in die verschiedenen Fachrichtungen der Humanmedizin, gelten laut Befragten die Arbeitsmedizin sowie die Allgemeinmedizin als besonders familienfreundliche Fachrichtungen, wohingegen die Chirurgie in diesem Punkt deutlich am schlechtesten abschneidet.

Relevanz von Familienfreundlichkeit bei der Berufswahl

Fokus Humanmedizin

Fokus auf die Heilberufe

Hausärzte

82% Fachärzte

64%

Zahnärzte

56% Apotheker

75%

Wie relevant war das Kriterium Familienfreundlichkeit bei der Wahl Ihres Berufs?

Familienfreundlichste Fachrichtungen

Familienunfreundlichste Fachrichtungen

Frau

enhe

ilkun

de u

nd

G

ebur

tshi

lfe

Neu

roch

irurg

ie

Hausärzte

Hausärzte

Fachärzte

Fachärzte

Neu

roch

irurg

ie

Inne

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Chiru

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Chiru

rgie

Anäs

thes

iolo

gie

31%

22%

Allg

emei

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30%

35%

Allg

emei

nmed

izin

64%

84%

Arbe

itsm

ediz

in

52%

89%

Arbe

itsm

ediz

in

47%

42%

Labo

rato

rium

smed

izin

38%

36%

Welche Fachrichtungen sind aus Ihrer Sicht besonders familienfreundlich?

Welche Fachrichtungen sind aus Ihrer Sicht am wenigsten familienfreundlich?

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Julia Peker-Vogelsang ist dreifache Mutter und Medizinstudentin. Wie bringt man diese beiden Vollzeitjobs unter einen Hut?

Die Studienergebnisse

apoView 2019

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15

Kapitel

apoView 201914

Noch vor wenigen Jahren waren die Betätigungsmög-lichkeiten für Heilberufler relativ statisch: Als Arzt

arbeitete man entweder in der eigenen Praxis oder ver-folgte eine Karriere im Krankenhaus. Als Zahnarzt wurde die eigene Praxis gegründet, als Apotheker die eigene Apotheke. Heute haben sich die Möglichkeiten verviel-facht – Kooperation in Gemeinschaftspraxis, Gründung

Das Ergebnis ist eindeutig: Nach Ansicht der Heil-berufler ist die Berufsausübung in kooperativen

Strukturen sowie in Anstellung am besten mit dem Familienleben zu vereinbaren. So wird sowohl bei den Humanmedizinern mit 84 Prozent als auch bei den Zahnärzten mit 77 Prozent die Anstellung in einer Be-rufsausübungsgemeinschaft (BAG) oder einem (Zahn-)Medizinischen Versorgungszentrum ((Z)MVZ) durch-gehend als die familienfreundlichste Option eingestuft; bei Apothekern ist es die Anstellung in einer öffentli-chen Apotheke (78 Prozent). Diese Meinung spiegelt sich auch im Markt wider: Seit Jahren steigt die Zahl angestellter Ärzte im ambulanten Bereich - 2018 waren es knapp 40.000 Ärzte und damit alleine elf Prozent mehr als im Vorjahr. Bei den Apothekern zeigt sich ein ähnliches Bild: Immer mehr arbeiten als Angestellte in Apotheken (2010: 30.170 versus 2018: 36.572).5

Die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit im Kran-kenhaus hingegen sehen Heilberufler sehr kritisch, nur 18 Prozent bewerten die Assistenzarztzeit dahin gehend positiv. Die Anstellung als Facharzt wird immerhin noch von 32 Prozent als familienfreundlich wahrgenommen, während Oberarzt- und Chefarztstellen lediglich 24 be-ziehungsweise 27 Prozent der Befragten so einstufen. Einen ähnlichen Wert (26 Prozent) erhielt auch die Kategorie Inhaber einer Einzelpraxis. Bei den Zahnärzten erreicht die Arbeit in einer Einzelpraxis nur von 22 Prozent der Befragten das Prädikat familienfreundlich, bei den Apothekern schätzen immerhin 36 Prozent des

Berufsstandes die eigene Apotheke so ein. Für deutlich familienfreundlicher halten die Heilberufler die Inhaber-schaft von kooperativen Praxisformen wie BAG und MVZ. Diese berufliche Option steht auf Rang zwei, gleich nach der Anstellung in ambulanten Praxisformen, und wird von 63 Prozent der befragten Ärzte und von 59 Prozent der befragten Zahnärzte als familienfreundlich eingestuft.

Familienfreundliche Berufsausübungsformen

Frau Dr. Mangler, Sie sind fünffache Mutter und arbeiten Vollzeit als Chefärztin. Wie sieht ein typischer Tag in Ihrem Leben aus?

An einem typischen Tag fahre ich morgens fünf Kilo-meter mit dem Rad und jogge dann sechs Kilometer - das ist mein Arbeitsweg. In der Klinik angekommen, mache ich Visite, operiere Patientinnen und habe Sprechstunde. Meine jüngste Tochter ist noch sehr klein und jeden Tag bei der Arbeit bei mir. Ich habe einen Teil meines Büros zum Kinderzimmer umfunk-tioniert, setze die Kleine manchmal ins Tragetuch, während ich verschiedenen Tätigkeiten auf der Station nachgehe. Dabei unterstützt mich eine Kinderfrau. Bei meinen anderen Kindern habe ich jeweils elf Monate Babypause gemacht, bei meiner jüngsten war ich nach zwei Monaten wieder in der Klinik. Für mich ist das eine gute Lösung: So kann ich ganztags arbeiten, ohne meine Tochter zu vermissen. Nachmittags hole ich meine Kinder von Kindergarten und Schule ab, spreche den Tag mit ihnen durch und helfe ihnen bei den Hausaufgaben. Wenn die Pflicht getan ist, spielen wir gerne, machen gemeinsam Ausflüge oder Sport. Abends isst die ganze Familie zusammen.

„Geht nicht gibt‘s nicht“

Sie sind Chefin von zirka 60 Mitarbeitenden, vor allem Frauen. Welche Maßnahmen haben Sie in Ihrer Klinik ins Leben gerufen, um familienfreund-licher zu werden?

Ich versuche jegliche Arbeitszeitmodelle für meine Mitarbeiter umzusetzen. Manche möchten rollierend jede zweite Woche, an bestimmten Tagen oder nur zu bestimmten Zeiten arbeiten. Schwangere versuche ich voll in die Klinik zu integrieren und Arbeitsmöglich-keiten zu schaffen, in denen sie wertvoll sind und sich auch so fühlen. Vor allem aber liegt mir die Förderung von Frauen sehr am Herzen. Ich möchte, dass sie sich entfalten und neben mir groß sein können. Ich bilde sie aus und unterstütze sie auf ihrem Weg und bei ihrer Qualifizierung, wo ich kann.

Welche Hürden mussten Sie persönlich in der Vergangenheit meistern, um Familie und Karriere miteinander zu vereinbaren?

Familie und Karriere zu vereinbaren ist oft eine Her-ausforderung, für die man sich bewusst entscheiden kann und die dann durchorganisiert werden muss. Vor allem gesellschaftliche Konventionen und das, was von mir als Mutter oder Chefärztin erwartet wird, musste ich dafür aufbrechen. Ich habe auch schon einmal eine Schwangerschaft relativ lange geheim gehalten, um zu vermeiden, anders behandelt oder von klinischen Tätigkeiten ausgeschlossen zu werden. Heute kann ich gewisse Dinge nicht tun, zum Beispiel tagsüber im Schulcafé meiner Kinder arbeiten. Berufliche Termine zwischen 17 und 19 Uhr nehme ich ungern wahr, da dies die Kernzeit ist, in der ich gerne für meine Fami-lienmitglieder da bin.

Was würden Sie jungen Kolleginnen und Kollegen raten?

Findet euren eigenen Weg! Findet heraus, was für euch gut ist und überlegt, ob ihr wirklich aufhört, wenn jemand sagt: „Das geht nicht.“ Denn das eigentlich Spannende im Leben passiert oft hinter dem, was danach kommt. Geht nicht gibt’s nicht.

PD Dr. Mandy Mangler ist Chefärztin für Gynäkologie am Berliner Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum. Zuvor hat sie als Chefärztin an der Charité die größte Uni-Gynäkologie Europas geleitet. Die 41-Jährige hat fünf Kinder zwischen einem Jahr und elf Jahren.

als Einzelpraxis, Anstellung im Medizinischen Versor-gungszentrum (MVZ). Diese unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich Gehalt, Arbeitszeit und Befugnissen, sondern auch darin, inwieweit sie sich mit der Familienplanung in Einklang bringen lassen. Daher wollten wir von unseren Befragten wissen, welche Berufsausübungsformen als besonders familienfreundlich wahrgenommen werden.

Fokus auf die Heilberufe

Angestellt (BAG/MVZ) Angestellt (BAG/ZMVZ) Angestellt84% 77% 78%

Inhaber (Einzelpraxis) 26%

Angestellt (Einzelpraxis) Angestellt (Einzelpraxis)56% 50%

Klinik (Assistenzarzt) 18%

Klinik (Facharzt) Inhaber (Einzelpraxis)32% 22%

Inhaber (BAG/MVZ) Inhaber (BAG/ZMVZ) Inhaber63% 59% 36%

Haus- und Fachärzte Zahnärzte Apotheker

Wie familienfreundlich erscheinen Ihnen die folgenden Berufsausübungsformen?

Quelle: Bundesärztekammer, Ärztestatistik zum 31.12.2018

10 000’10 ’14’12 ’16’11 ’15’13 ’17 ’18

20 000

30 000

40 000

15 000

16 676

26 037

39 816

25 000

35 000

Anzahl der im ambulanten Bereich angestellten Ärzte

15

PD Dr. Mandy Mangler nimmt ihre kleine Tochter jeden Tag mit zur Arbeit. Die Förderung von Frauen liegt der fünffachen Mutter und Chefärztin am Herzen.

Interview

Die Studienergebnisse

apoView 2019

Page 9: Kind oder Kittel? Kind und Kittel! - Mynewsdesk

17apoView 2019apoView 2019

Trotz der vergleichsweise langen Ausbildung und ihres herausfordernden Berufsalltags, tendieren Heilberuf-

ler sogar zu mehr Kindern pro Familie als der Bundes-durchschnitt. Doch in welcher Phase des Berufslebens beginnt die Familiengründung? Und vor allem: Wird dieser Zeitpunkt bewusst gewählt und welche Umstände spielen hierbei eine Rolle?

Das Ergebnis unserer Umfrage zeigt: Der Zeitpunkt des Kinderkriegens variiert nach Heilberufsgruppe. Humanmediziner bekamen ihre Kinder in 60 Prozent der Fälle als Assistenzarzt. Diese Phase wurde zuvor am familienunfreundlichsten bewertet – vermutlich aufgrund wechselnder Schicht- und Nachtdienste, der Konkurrenz- und Drucksituation der Ausbildung sowie des im Ver-gleich zu anderen Tätigkeitsformen geringeren Gehalts. Weiterhin bekamen 27 Prozent der befragten Ärzte ihre Kinder als angestellte Fachärzte in der Klinik, 16 Prozent als Angestellte in einer ambulanten Praxis und 14 Pro-zent als Praxisinhaber.

In den Angaben, die die Befragten in den Freitext-feldern hinterlassen haben, wird deutlich, dass auch das Lebensalter der Elternteile, die Wünsche der Partner und die finanzielle Absicherung der Familie entscheidend waren – nicht nur die Berufsphase.

In der Zahnmedizin bekamen 61 Prozent der Befragten ihre Kinder als Praxisinhaber. Dieser Umstand steht sicherlich in Zusammenhang mit der im Vergleich zur Humanmedizin kürzeren Assistenzzeit und dem generell niedrigeren Alter bei der Existenzgründung. So lassen sich Humanmediziner im Schnitt mit 42 Jahren in einer eigenen Praxis nieder, Zahnärzte bereits mit 35 Jahren.6 34 Prozent der Befragten bekamen ihre Kinder als ange-stellte Zahnärzte in einer ambulanten Praxis, 19 Prozent in der zahnärztlichen Vorbereitungsassistenz und sechs Prozent im Studium.

Bei den Apothekern zeigt sich ein ganz klares Bild: 82 Prozent bekamen ihre Kinder während der Anstellung in einer Apotheke, nur 19 Prozent als Apothekeninhaber und acht Prozent während des Pharmaziestudiums.

Zeitpunkt des Elternwerdens

Bewusst gewähltDoch gibt es den richtigen Zeitpunkt für Nachwuchs im Leben der Heilberufler beziehungsweise wird dieser be-wusst geplant? Berufsgruppenübergreifend beantworten zwei Drittel der Heilberufler diese Frage mit Ja – dabei haben Frauen (76 Prozent) den Zeitpunkt deutlich häufi-ger bewusst gewählt als Männer (57 Prozent).

Kinderkriegen

Nachdem verschiedene Facetten des Themas Familienfreundlichkeit beleuchtet wurden, haben wir auch die Realisierung des Kinderwunschs unter die Lupe

genommen. Wir möchten Antworten auf diese Fragen finden:

Wird der Zeitpunkt des Kinderkriegens bewusst gewählt? Nehmen die Heilberufler Elternzeit?

Welche Betreuungsangebote werden genutzt?

Planung Haben Sie den Zeitpunkt für Nachwuchs bewusst geplant?

Hausärzte

63%

Fachärzte

57%

Zahnärzte

72%

Apotheker

74%

als Assistenzarzt als Praxisinhaber in der Anstellung

Berufliche Situation

60% 61% 82%

In welchen Phasen Ihrer beruflichen Laufbahn haben Sie Ihre Kinder bekommen?

Haus- und Fachärzte

Zahnärzte Apotheker

Die Studienergebnisse

16

Page 10: Kind oder Kittel? Kind und Kittel! - Mynewsdesk

1918 apoView 2019apoView 2019

Betrachtet man die verschiedenen Berufsgruppen, war die Entscheidung für Nachwuchs bei Fachärzten deutlich seltener bewusst gewählt, für Zahnärzte und Apotheker spielte das richtige Timing vergleichsweise häufiger eine Rolle.

Gefragt nach den Gründen waren private Gründe für 47 Prozent der Befragten ausschlaggebend, vor allem das eigene Alter sowie der passende Abstand zwischen den Kindern, gefolgt vom beruflichen Zeitpunkt (36 Prozent) und der finanziellen Absicherung (24 Prozent). Auffallend ist, dass gerade für männliche Heilberufler die finanzielle Absicherung der Familie im Vordergrund stand (29 Prozent), für die weiblichen Heilberuflerinnen hingegen der passende Zeitpunkt im Rahmen der per-sönlichen Karriere (46 Prozent).

Im Jahr 1986 wurden erstmals Männer im so genannten Erziehungsurlaub gesetzlich für die Elternzeit berück-

sichtigt. Dabei war die Höhe des parallel gezahlten Erziehungsgeldes auf 600 DM pro Monat begrenzt.7 Seitdem hat sich viel getan, sowohl im Gesetzeskontext als auch in den Köpfen der Gesellschaft - wer heutzutage als Mann Elternzeit nimmt, gilt schon lange nicht mehr als Exot.

In der Realität jedoch ist die Kindererziehung in den ersten Jahren noch immer Angelegenheit der Frauen. So auch bei den von uns befragten Heilberuflern: Während 87 Prozent der Frauen Elternzeit nehmen und das im Schnitt 14 Monate, sind es bei den Männern lediglich 38 Prozent, mit durchschnittlich drei Monaten. Insgesamt haben knapp zwei Drittel der Befragten bei mindestens einem Kind Elternzeit genommen – im Schnitt elf Monate.Während Apotheker im Berufsgruppenvergleich das An-gebot der Elternzeit am häufigsten und am längsten in Anspruch nehmen (71 Prozent, im Schnitt 14 Monate), nehmen Zahnmediziner vergleichsweise am wenigsten und am kürzesten Elternzeit (51 Prozent, im Schnitt neun Monate). Betrachtet man nur die männlichen Zahnmediziner, nehmen gerade einmal 17 Prozent der Befragten die Erziehungsauszeit in Anspruch, mit einer durchschnittlichen Dauer von zwei Monaten.

Dieser Ausschlag ist vermutlich durch die frühe Selbständigkeit bei den Zahnärzten bedingt – in der eigenen Praxis monatelang auszufallen ist für viele undenkbar. Äquivalent zu der Humanmedizin und der Pharmazie steigt aber auch im Berufsfeld Zahnmedizin

die Anzahl der angestellten Zahnärzte kontinuierlich an - insbesondere seitdem durch das GKV-Versorgungsstruk-turgesetz im Jahr 2012 die Möglichkeit zur Gründung rein Zahnmedizinischer Versorgungszentren (ZMVZ) ge-schaffen wurde. So stieg die Zahl von 13.263 in Praxen angestellten Zahnärzten 2013 auf 17.712 Angestellte 2018.8 Es scheint also wahrscheinlich, dass die Zahnärz-te der Zukunft das Angebot Elternzeit verstärkt für sich beanspruchen werden.

Elternzeit

Im Rahmen der Studie betonen die Befragten wieder-holt, dass das Thema Kinderbetreuung einen der

Schlüsselfaktoren zur Vereinbarkeit von Familie und Heilberuf darstellt. Doch welche Betreuungsangebote nehmen die Ärzte, Zahnärzte und Apotheker für ihre jüngeren Kinder zwischen null und sechs Jahren aktu-ell in Anspruch und wie häufig?

Die Befragung zeigt, dass am häufigsten (76 Pro-zent) öffentliche/private Kindergärten für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren genutzt werden, gefolgt von öffentlichen/privaten Kitas für Kinder von null bis drei Jahren (64 Prozent). Beide Angebote werden täg-lich bis mehrmals die Woche in Anspruch genommen. Knapp die Hälfte wird zudem von Eltern und Familien-angehörigen unterstützt, oft täglich bis mehrmals pro Monat. Knapp ein Viertel bucht eine Tagesmutter täglich bis mehrmals im Monat. Auffällig ist, dass nur drei Prozent der Befragten die Kindertagesstätte des Arbeitgebers nutzen.

Kinderbetreuung

Gründe für den Zeitpunkt

private Gründe

finanzielle Absicherung

beruflicherZeitpunkt

47%

24%

36%

Wenn der Zeitpunkt des Kinderkriegens bewusst von Ihnen gewählt war, warum haben Sie sich für diesen Zeitpunkt entschieden?

Ich wollte schon immer mehrere

Kinder, das Studium war beendet und ich

war schon fast 30 Jahre alt.

„Wenn ich angestellt gewesen wäre, hätte ich in der Schwanger-schaft nicht arbeiten

dürfen.

„Zahnärztin, 35,

Inhaberin Einzelpraxis

Ich war noch nicht selbständig und

konnte ohne Risiko in Elternzeit gehen.

„Ärztin, 40, Inhaberin

Einzelpraxis

Apothekerin, 46, angestellt in Apotheke

45% 17% 45%92% 88% 84%4 Mo. 2 Mo. 3 Mo.15 Mo. 11 Mo. 17 Mo.∅ ∅ ∅

Nutzung und Dauer

∅ 11 Monate ∅ 9 Monate ∅ 14 Monate

Haus- und Fachärzte

Zahnärzte Apotheker

Haben Sie bei mindestens einem Kind Elternzeit genommen? Wenn ja, wie lange?

64% 51% 71%

Nutzung und HäufigkeitAm häufigsten werden Kindergärten, Kitas und die Betreuung durch Familienangehörige genutzt.

Kindergarten 3-6 Jahre

75% täglich bis mehrmals die Woche

76% 62% täglich bis mehrmals die Woche

Kita 0-3 Jahre

64% 37% täglich bis mehrmals im Monat

Eltern / Familie

46% 21% täglich bis mehrmals im Monat

Tagesmutter

22%

Die Studienergebnisse

Page 11: Kind oder Kittel? Kind und Kittel! - Mynewsdesk

2120

Herr Finster, was hat Sie an den Studienergebnissen aus „Kind und Kittel“ am meisten überrascht?

Auffällig ist, dass Zahnärzte und vor allem Zahn-ärztinnen deutlich häufiger als andere Heilberufler davon ausgehen, dass die Selbständigkeit durch ein Kind erschwert wird. Es gibt also offensichtlich großen Nachholbedarf, unseren jungen Berufseinsteigern auf-zuzeigen, dass die Verwirklichung der beruflichen Zie-le, also auch eine Niederlassung, dem Wunsch, Familie und Kinder zu haben, nicht entgegenstehen muss. Und selbstverständlich müssen wir uns zielgenau um strukturelle Verbesserungen kümmern.

Sie haben vor Kurzem eine eigene Studie unter angestellten Zahnärzten durchgeführt. Zu welchen Erkenntnissen sind Sie auf regionaler Ebene gekommen?

76 Prozent der Befragten unter 35 Jahren planen eine spätere Niederlassung in Selbständigkeit. Das ist ein ganz klares Bekenntnis und ein ermutigendes Zeichen, dass die freiberufliche Tätigkeit als niedergelassener Zahnarzt keineswegs der Vergangenheit angehört. Außerdem konnten wir feststellen, dass auch die Nie-derlassung in ländlichen Gegenden durchaus attraktiv ist: 44 Prozent der Befragten sehen keinerlei Hinder-nisse gegen eine Praxis auf dem Land. Dieser Wert ist besser als von manchen erwartet. Für ein großes Flächenland wie Baden-Württemberg ist diese Offen-heit der jungen Berufsangehörigen sehr wichtig. Aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen, und hier gibt es deutliche Parallelen zu „Kind und Kittel“, wo die befragten Zahnärzte fehlende Kinderbetreuungs-möglichkeiten als großes Manko betonen.

Wo lassen sich bei Ihrer Umfrage sonst noch Parallelen zu „Kind und Kittel“ ableiten?

Ich sehe in vielen Bereichen Übereinstimmungen. Ein ganz entscheidender Punkt ist beispielsweise die Belastung durch Bürokratie. Zwei Drittel der Zahn-ärzte wünschen sich der apoBank-Studie zufolge eine Entlastung bei nicht zahnärztlichen Tätigkeiten zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Trotz unterschiedlicher Fragen in den beiden Studien gehen die Antworten ganz klar in dieselbe Richtung. Auflagen und Bürokratie werden von den angestellten Zahnmedizinern als ein zentrales Niederlassungs-hemmnis angesehen. Und weil ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig ist, wählen viele das Anstellungsverhältnis, bei dem sie deutlich weniger

„Eine Mitmach-Bewegung auslösen“

von der wachsenden Last der Auflagen betroffen sind. Die Lösung liegt auf dem Tisch: Wir brauchen dringend eine Entlastung von der Bürokratie aufgrund geltender Gesetze.

Welchen Stellenwert hat das Thema Vereinbarkeit von Familie und (Zahnarzt-)Beruf im Rahmen der Arbeit Ihrer Standesorganisation?

Innerhalb der KZV Baden-Württemberg haben wir dieses Thema seit Längerem als zukunftsrelevant er-kannt. Es ist unser erklärtes Ziel als Standesorganisa-tion, beim Thema Familie und Beruf den Wünschen der jungen Generation von Zahnärzten so gut wie möglich entgegenzukommen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf war bereits Gegenstand von Veranstaltungen. Wir legen Wert auf eine gute Information unserer Mit-glieder. Wir haben ein Zukunftsmanagement installiert, das sich mit den Veränderungen des Berufsstands und den Zielen, die wir erreichen wollen, generell und

Ass jur. Christian Finster ist stellvertretender Vor-sitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Ba-den-Württemberg (KZV BW). Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird auch auf der Agenda der Standesorga-nisation groß geschrieben. So gab die KZV BW jüngst eine eigene repräsentative Studie zur Arbeitssituation, den Bedürfnissen und Erwartungen von angestellten Zahnärzten in Baden-Württemberg in Auftrag.

systematisch befasst. Konkret haben wir als Vor-standsreferenten für Zukunftsfragen einen jungen Zahnarzt und als Vorstandsreferentin für Frauen und Angestellte in der Selbstverwaltung eine junge Zahnärztin berufen. Diese kümmern sich gezielt um Fragen der künftigen Berufsausübung und die damit verbundenen Herausforderungen. Wir diskutieren darüber hinaus in unseren „Denkwerkstätten“ über zentrale Aufgaben und darüber, welche Antworten wir als Selbstverwaltung geben können.

Die selbständige Arbeit in der Einzelpraxis schneidet in unserer Studie in puncto Familienfreundlichkeit auch bei den Zahnärzten vergleichsweise schlecht ab. Können Sie dieses Ergebnis deuten und teilen Sie diese Einschätzung?

Flexible Arbeitszeiten, die Rücksicht auf familiäre Ver-pflichtungen nehmen, oder auch der Wunsch nach Teil-zeitarbeit sind in einer Praxis mit mehreren Zahnärzten natürlich deutlich leichter zu gewährleisten. Und es ist nachvollziehbar, dass sich in einer Berufsausübungs-gemeinschaft gerade auch die Aufgaben, die über die reine Behandlung hinausgehen, etwa in der Praxisver-waltung oder der Personalführung, besser aufteilen lassen. Der klassische „Einzelkämpfer“ muss dagegen den gesamten Praxisbetrieb alleine verantworten und hat ein gleichbleibend hohes Arbeitspensum.

Kommt daher auch der Trend zu größeren Praxisstrukturen?

Der hat sicherlich damit zu tun, dass Familie und Work-Life-Balance immer wichtiger werden. Gerade bei den Frauen, deren Anteil im Berufsstand immer größer wird, wollen sich laut unserer Studie überdurch-schnittlich viele in einer Berufsausübungsgemeinschaft niederlassen. Die Einzelpraxis wird jedoch aus Versor-gungsgründen auch in Zukunft gebraucht werden – ge-rade in dünner besiedelten Landstrichen. Insofern wird es nötig sein, Mittel und Wege zu finden, diese Praxis-form ebenfalls attraktiv zu halten, denn wir brauchen viele junge Zahnärzte, um die frei werdenden Praxen zu übernehmen. Hier ist es wichtig, deutlich zu machen, dass einerseits die in der Verantwortung der KZVen liegende Sicherstellung der Versorgung, andererseits aber auch Fragen der Infrastruktur – etwa im Bereich von Bildung und Betreuung –, die in der Verantwortung der Politik liegen, eine entscheidende Rolle spielen. Am Schnittpunkt müssen die KZVen in synergetischer Weise mit den Kommunen kooperieren.

Was muss aus Ihrer Sicht nun passieren, um sich dem Thema weiter anzunähern und weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit zu initiieren?

Ein wichtiger Schritt, um der Bedeutung des Themas seitens der Standesorganisationen gerecht zu werden und konkrete Verbesserungen zu erreichen, ist, dass wir gezielt auf Dauer genügend junge Zahnärzte in genau dieser Lebenssituation für die Arbeit in der Selbstverwaltung gewinnen können. Wir müssen eine Mitmach-Bewegung auslösen. Denn die Betroffenen brauchen eine starke Stimme in der Standespolitik, und dafür müssen wir die Möglichkeit schaffen. Wie für den Praxisalltag gilt auch für das Ehrenamt: Beides muss mit dem Familienwunsch vereinbar sein. Die jungen Zahnärzte müssen sich in den Standesorga-nisationen – die nicht Staat sind – zusammenfinden können, um dort ihren Freiheits- und Selbstentfal-tungsanspruch selbst koordinieren zu können.

Die Akzeptanz der Standesorganisationen wird in der Zukunft entscheidend mit ihrem Service für die Mitglieder zu tun haben. Der Service muss sich daran ausrichten, was die – jungen – Mitglieder brauchen.Wichtig ist es zum Beispiel, die Praxen mit dem weit verbreiteten Wunsch nach flexibleren Arbeitszeit-modellen nicht alleine zu lassen, sondern im Rahmen unserer Beratungstätigkeit gezielt zu unterstützen. Im Wettbewerb um qualifizierte Angestellte ist das ein großes Plus.

Junge Zahnärzte brauchen eine

starke Stimme in der Standespolitik.

2120

Christian Finster, stellvertretender Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, über die Vereinbarkeit von Familie und Niederlassung im Zahnarztberuf

Interview

apoView 2019apoView 2019

Page 12: Kind oder Kittel? Kind und Kittel! - Mynewsdesk

23apoView 2019apoView 2019

Etwa ein Drittel der befragten Heilberufler hatte schon einmal das Gefühl, sich zwischen Kind und Karriere

entscheiden zu müssen. Hier gibt es eine deutliche Dis-krepanz zwischen den Geschlechtern: Frauen haben mit 42 Prozent deutlich häufiger das Gefühl als Männer – hier sind es aber auch ein Fünftel der Befragten, die sich im Rahmen ihrer Berufszeit mit dieser Entscheidung kon-frontiert sehen. Mit diesem Gefühl sind die deutschen Heilberuflerinnen nicht alleine - im internationalen Ver-gleich und über alle Branchen hinweg stimmten nur 21 Prozent der Frauen der Aussage „Ich kann eine Familie haben, ohne meiner Karriere zu schaden“ zu.9

Doch woran liegt es, dass dieses Entweder-oder- Gefühl gerade bei den Heilberuflerinnen vermehrt auf-tritt? Die weiblichen Befragten geben an, dass sie die Entscheidung häufig an dem Punkt treffen mussten, wenn es zu potenziellen Einschränkungen der eigenen Karriere kam, wenn fehlende oder nicht ausreichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten die Lebenssituation er-schwerten oder ihre ungeregelten Arbeitszeiten/Schicht-dienste den Wunsch nach Nachwuchs beeinträchtigten. Die fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten scheinen an dieser Stelle speziell für die Heilberuflerinnen wieder ein großes Thema. In den letzten Jahren haben viele

Entscheidung: Kind oder Kittel?

Kind oder Kittel

Die folgenden Ergebnisse bilden die zentrale Erkenntnis unserer Studie. Wie der Name verrät, wollten wir wissen, ob sich Heilberufler in ihrer Laufbahn mit der Frage Nachwuchs oder Karriere

konfrontiert sehen. Dazu haben wir zwei wesentliche Themenblöcke abgefragt:

Müssen sich die Heilberufler zwischen Kind und Kittel entscheiden? Werden kinderlose Heilberufler gegenüber Heilberuflern

mit Kindern bevorzugt?

Unterschied zwischen Frauen und MännerHatten Sie je das Gefühl, sich zwischen Kind und Karriere

entscheiden zu müssen?

42% 18%

Die Studienergebnisse

22

Wenn ja, warum beziehungsweise in welchen Situationen?

Karriereeinschränkung 123

Familie kommt zu kurz

schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Karriereeinschränkung 123

fehlende/nicht ausreichende Betreuungsmöglichkeiten

(keine geregelten) Arbeits-zeiten/Schichtdienst

Page 13: Kind oder Kittel? Kind und Kittel! - Mynewsdesk

24 apoView 2019

„Donnerstag ist Papa-Tag“

Herr Siemer, Ihre Artland-Apotheke wurde als „Familienfreundlicher Arbeitgeber“ ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen dieses Gütesiegel?

Die Auszeichnung bedeutet eine Anerkennung für die tägliche Arbeit, die wir seit vielen Jahren leisten. Erstmals wird von öffentlicher Stelle wahrgenommen und gewürdigt, dass es Arbeitgeber in der Region gibt, die mehr für ihre Mitarbeiter und somit auch für die Gesellschaft tun als andere. Dabei geht es mir um die Bereitstellung von hoch qualifizierten Arbeitsplätzen, aber auch von Ausbildungs- und Praktikumsplätzen.

Ihre Frau ist promovierte Biotechnologin und Abteilungsleiterin einer kleinen Firma. Sie haben zwei gemeinsame Kinder. Da stellt sich Frage: Wer bleibt zu Hause?

Familie ist für uns beide das Wichtigste - ganz klar vor unseren Jobs. Wir beide haben Elternzeit genommen, um gerade die erste Zeit in vollen Zügen genießen zu können. Meine Frau bleibt zwölf Monate zu Hause, ich selbst habe zwei Monate genommen und darüber hi-naus meine Arbeitszeit reduziert. Donnerstag ist zum Beispiel immer Papa-Tag und an allen anderen Tagen sind gemeinsame Mahlzeiten und Spielstunden für uns selbstverständlich. Nach dem ersten Jahr geht meine Frau in Teilzeit arbeiten und dann ist jede Woche eine Organisationsfrage.

Sie sagen: „Mein Team ist wie eine zweite Familiefür mich.“

Zum einen rein mathematisch: Von den 16 Stunden am Tag, die ich wach bin, verbringe ich etwa die Hälfte in der Apotheke. Die andere Hälfte ist für die Familie, aber auch für alle anderen privaten Vorhaben. Somit verbringe ich rechnerisch gesehen die meiste Zeit in der Woche mit meinen Mitarbeiterinnen. Aber auch aus menschlicher Sicht ist mein Team meine zweite Familie. Wir pflegen in der Apotheke einen sehr kollegialen Umgang miteinander und helfen uns gegenseitig, wo immer es geht. Da macht es für mich als Chef nur Sinn, das Wir-Gefühl zu stärken und zu versuchen, den Arbeitsplatz als zweite Familie zu gestalten. Sowohl meine eigenen Kinder als auch die meiner Mitarbeiterinnen sind Teil der Apotheke und schauen regelmäßig vorbei.

Was heißt Familienfreundlichkeit konkret in Ihrer Apotheke?

80 Prozent des Apothekenteams sind Mütter, die alle in Teilzeit arbeiten. Bei uns gibt es je nach Lebensent-wurf unterschiedlichste Wochenarbeitszeiten – von sechs über zehn bis 40 Stunden. Ich habe bewusst eine Personaldecke geschaffen, die mir eine gewisse Flexibilität in Sachen Arbeitszeiten und Einsatzplanung verschafft oder auch die tagtäglichen Notfälle des Familienlebens ein Stück weit auffangen kann.

Bekommen Sie Feedback von Kollegen und Angestellten zu diesem Thema?

Indirektes Feedback sehe ich in der geringen Mit-arbeiterfluktuation. Durch den leichten Wiedereinstieg der Mütter nach der Elternzeit und die hohe Priorität der Familie arbeiten meine Mitarbeiterinnen gerne bei mir. Ein direktes Feedback gibt es sonst immer in den Situationen, in denen jedem Einzelnen das Konzept wieder bewusst wird, etwa wenn Kinder erkrankt sind. Die Mütter sind in diesen Stresssituationen sehr dank-bar, wenn sie sich um ihre Arbeit keine Sorgen machen müssen.

Krankenhäuser dieses Problem erkannt. So gibt es in der stationären Versorgung teilweise schon entsprechende Angebote, die aufgrund der steigenden Nachfrage oder in Zeiten des Fachkräftemangels im Rahmen einer Arbeitgeberstrategie geschaffen wurden. Die Plätze sind jedoch sehr begrenzt und zudem oft auf die Tagesschich-ten beschränkt. Im ambulanten Sektor verschärft sich dieses Problem nochmals, da die Möglichkeiten einer ar-beitgeberseitigen Betreuung in kleinen Strukturen nicht vorhanden sind. So müssen Inhaber und Angestellte in Apotheken und (Zahnarzt-)Praxen meist auf öffentliche Angebote zurückgreifen.

Tradiertes RollenverständnisMehr als ein Viertel der Männer hat ebenfalls aufgrund von Karriereeinschränkungen das Gefühl, sich ent-scheiden zu müssen. Konkret bedeutet das in diesem Kontext für die Befragten vor allem Einschränkungen durch die Ausübung einer (von den Vorgesetzten weniger angesehenen) Teilzeittätigkeit, die erschwerte Weiterbil-dung zum Facharzt sowie stagnierende Karrieresprünge, beispielsweise im klinischen Umfeld. Die männlichen Heilberufler gaben zudem häufiger die Sorge an, dass die Familie zu kurz kommt oder dass sich ihr Familienleben und der ausgeübte Beruf einfach nicht miteinander ver-einbaren lassen. Mit der Problematik einer fehlenden/nicht ausreichenden Kinderbetreuung sehen sich nur vier Prozent der männlichen Heilberufler konfrontiert - ein erneuter Beleg für das noch vorherrschende, tradierte Rollenverständnis.

Im Berufsgruppenvergleich haben Ärzte – sowohl Hausärzte als auch Fachärzte mit jeweils 34 Prozent – vergleichsweise häufiger das Gefühl, sich zwischen Kind und Karriere entscheiden zu müssen als Zahnärzte (26 Prozent) und Apotheker (27 Prozent).

25

Hausärzte betonen die schwierige Vereinbarkeit der Familie mit ihrem Beruf, Fachärzte eine erschwerte Teil-nahme an Fortbildungen sowie ungeregelte Arbeitszeiten und Schichtdienste. Für Zahnärzte ist die erschwerte Selbständigkeit, also die Gründung der eigenen Praxis, der häufigste Grund. Apotheker haben vergleichsweise häufig das Gefühl aufgrund von fehlenden Betreuungs-möglichkeiten eine Entscheidung treffen zu müssen.

Matthias Siemer ist Inhaber der Artland-Apotheke in Bersenbrück. Als erste Apotheke im Landkreis Osna-brück wurde diese die vom Arbeitskreis „Unternehmen im Familienbündnis“ als „Familienfreundlicher Arbeit-geber“ ausgezeichnet. Der 34-Jährige ist Vater von zwei Töchtern im Alter von drei Jahren und neun Monaten.

Wenn man in Teilzeit arbeitet, ist eine Oberarztstelle schlecht zu realisie-

ren. Auch Praxisüber-nahmen gestalten

sich eher schwierig.

„Ärztin, 44, angestellt

in einer BAG

Die angebotenen Betreuungszeiten

passten nicht mit den Öffnungszeiten der Apotheken überein.

„Apothekerin, 46, angestellt in

Apotheke

Als selbständige Einzelkämpferin habe ich keine Möglichkeit, meine Arbeitszeit zu verkürzen und mich parallel um meine

Kinder zu kümmern.

„Zahnärztin, 39, Inhaberin

Einzelpraxis

Hausärzte Fachärzte Zahnärzte Apotheker

Fokus auf die HeilberufeHatten Sie je das Gefühl sich zwischen Kind und Karriere entscheiden zu müssen?

34% 34% 26% 27%

Für Apotheker Matthias Siemer heißt Familienfreundlichkeit, die täglichen Notfälle im Familienleben seiner Mitarbeitenden aufzufangen.

Interview

Die Studienergebnisse

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Page 14: Kind oder Kittel? Kind und Kittel! - Mynewsdesk

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Kapitel

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„Das Kind ist nie das Problem“

Frau Dalhoff-Jene, Sie sind Mutter eines zweijährigen Sohnes und selbständige Zahnärztin in eigener Pra-xis – wie kriegen Sie beides unter einen Hut?

Ganz einfach - Organisation. Aber das ist eigentlich nichts Besonderes. Jeder organisiert seinen Alltag und bringt Beruf, Partner, Freunde und Hobbys unter einen Hut. Nur, dass bei den eigenen Kindern ein entschei-dender Faktor dazukommt: das schlechte Gewissen. Man hat immer das Gefühl, nicht einhundertprozentig da zu sein - weder für den Nachwuchs noch für die Praxis. Aber ich habe gelernt, dass das falsch ist. Mei-ne Praxis läuft auch, wenn ich ein bisschen weniger arbeite, und mein Kind ist jederzeit gut betreut. So sind alle zufrieden.

Sie engagieren sich zusätzlich berufspolitisch. Wel-chen Stellenwert hat das Thema Familie und Beruf aus Ihrer Sicht bei den Standesorganisationen?

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist schon lange Thema in der Berufspolitik. Das Problem liegt eher darin, dass dieses Thema sehr individuell ist. Jede Familie hat unterschiedliche Herausforderungen zu meistern, und zusätzlich ändern sich diese auch noch im Laufe der Zeit. Die Schwierigkeiten bei der Versorgung eines Säuglings durch Fremde sind andere als bei der Betreuung eines Grundschülers. Meine Lösung von heute ist also nicht unbedingt die richtige für die Probleme der kommenden Jahre und auch nicht für die Kollegin von nebenan.

Glauben Sie, dass männliche Kollegen mit weniger Herausforderungen im Hinblick auf die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Privatleben konfrontiert werden?

Auch das ist sehr individuell. In meinem Umfeld wird innerhalb der Familie das Konzept gewählt, welches die wenigsten Einschränkungen für die Familie be-deutet. Mein Mann hat zum Beispiel keine Elternzeit genommen. Er hat seine Arbeitszeit am Morgen zwei Stunden vorgelegt, ist so früher zu Hause und jeden Nachmittag für unseren Sohn da. In jedem Fall möchte ich davor warnen, als Berufsgruppe oder auch als Gesellschaft diese persönlichen Entscheidungen innerhalb von Familien pauschal zu beurteilen oder gar zu verurteilen.

Können Sie eine Situation schildern, in der Ihre Work-Life-Balance nicht funktioniert hat?

Unendlich viele! Manchmal kommt alles zusammen. Volles Wartezimmer, ein Behandlungszimmer ist de-fekt, und dann kommt der Anruf, dass das eigene Kind krank ist. Da fällt man dann abends nur noch ins Bett. Aber jedes dieser „Probleme“ ist austauschbar, denn auch ohne Kind hat man an manchen Tagen schon den Wecker verwünscht. Das Kind ist nie das Problem. Man muss, wie jeder andere auch, Prioritäten setzen. Als Mutter ist die Priorität nur schneller gefunden. Meistens klappt es aber gut und ich freue mich nach der Praxis auf Zeit mit meiner Familie.

Wie müssten aus Ihrer Sicht Strukturen aussehen, damit sich junge Eltern nicht zwischen Kind und Kittel entscheiden müssen?

Individuell, variabel, verlässlich und bezahlbar. Was aber viel wichtiger ist: dass wir aufhören, uns über Probleme zu unterhalten. Die nachkommenden jungen Kolleginnen und Kollegen sollen ihre Träume und Ziele verfolgen und verwirklichen. Mit Rückschlägen, Prob-lemen und kleinen Umwegen hat doch jeder Existenz-gründer zu kämpfen, egal ob mit Kindern oder ohne. Nur, dass meine „Ablenkung“ kuscheln kommt - was gibt es Schöneres?!

27

Annabelle Dalhoff-Jene ist selbständige Zahnärztin aus Düsseldorf und arbeitet in einer Praxisgemein-schaft mit ihrem Vater. Die 36-jährige hat einen zwei-jährigen Sohn und ist standespolitisch aktiv, unter anderem als Sprecherin der Jungen Kommission der Zahnärztekammer Nordrhein.

Die vorliegende Studie greift unter anderem auch die Frage auf, inwieweit Heilberuflerinnen und Heilberuf-

ler ohne Kinder gegenüber den Kolleginnen und Kollegen mit Kindern in Sachen Karriere bevorzugt werden.

Laut der Befragten nehmen fast zwei Drittel eine Bevorzugung von Frauen ohne Kinder wahr. Gerade im Bereich der Humanmedizin, insbesondere unter den Hausärzten, stößt diese Aussage auf eine hohe Zustim-mung (75 Prozent), während bei den Zahnärzten 58 Prozent und bei den Apothekern 60 diese Empfin-dung teilen. Offensichtlich nehmen dabei Männer (67 Prozent) häufiger eine Bevorzugung von kinderlosen Heilberuflerinnen wahr als Frauen selbst (62 Prozent). Im Vergleich: Eine Bevorzugung von männlichen kinder-

Werden Kinderlosebevorzugt?

losen Heilberuflern wird nur von etwas mehr als einem Drittel wahrgenommen, ebenfalls verstärkt unter den Hausärzten.

Der ausschlaggebende Punkt für die gefühlte Bevor-zugung sowohl von weiblichen als auch männlichen Heil-beruflern wird in den selteneren Ausfallzeiten gesehen. Vor allem jüngere Kinder werden oft krank und müssen dann außerplanmäßig von ihren Eltern betreut werden. Darüber hinaus sind kinderlose Heilberufler flexibler und arbeiten zeitlich mehr als Heilberufler mit Kindern – es geht also vor allem um die Quantität, weniger um die Qua-lität. Hier könnten flexible Arbeitsmodelle, wie Jobsharing in Führungspositionen, Abhilfe schaffen und dem Lebens-modell kompetenter Mütter und Väter Sorge tragen.

Haus- und Fachärzte

Apotheker

Zahnärzte

70%

60%

58%

Fokus auf die Heilberufe Gründe für die BevorzugungInwieweit stimmen Sie der folgenden Aussage zu? „Kinderlose Heilberuflerinnen werden gegenüber Heilberufler innen mit Kindern in Sachen Karriere bevorzugt.“

Dadurch punkten kinderlose Heilberufler.

26

Seltenere Ausfälle durch Krankheit der Kinder123

Mehr Flexibilität

Arbeiten zeitlich mehr

„Es ist, wenn man so will, schon möglich, Kinder und Karriere zu meistern, aller-

dings wird dann viel abverlangt.

Zahnärztin, 48, Inhaberin Einzelpraxis

„Die Verantwortung, für erkrankte Kinder zu sorgen, liegt leider immer noch zu sehr aufseiten der Frau.

Apothekerin, 37, angestellt in Apotheke

Bei Frauen gelten Kinder als Minderung

der beruflichen Leistungsfähigkeit,

bei Männern als Zeichen sozialer

Kompetenz.

„Ärztin, 38, angestellt in

einer BAG

Zahnärztin Annabelle Dalhoff-Jene fordert beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie individuelle Lösungen – und warnt vor Pauschalisierung.

Interview

Die Studienergebnisse

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Page 15: Kind oder Kittel? Kind und Kittel! - Mynewsdesk

apoView 2019apoView 2019

Herausforderungen und Lösungen

Beim Wiedereinstieg in den Heilberuf nach der Elternzeit sehen sich zwei Drittel der Befragten mit

diversen Problemstellungen konfrontiert. 66 Prozent empfinden die mangelnde Flexibilität und 62 Prozent die fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten als größte Hindernisse beim Wiedereinstieg in den Beruf – genau die beiden Aspekte, die auch bei der Entscheidung zwi-schen Kind und Kittel sowie der Bevorzugung kinderloser Heilberufler eine zentrale Rolle spielen.

Weiterhin fallen laut der Befragten für 56 Prozent fachliche Wettbewerbsnachteile ins Gewicht – verständ-lich in Anbetracht der beeindruckenden Geschwindigkeit des medizinisch-technischen Fortschritts. Als weitere Punkte erschweren finanzielle Hürden (54 Prozent), emotionale Hürden (51 Prozent) sowie die fehlende Unterstützung des Arbeitgebers (48 Prozent) den rei-bungslosen Übergang von der Elternzeit zurück in das Berufsleben.

Mehr Flexibilität gewünschtBetrachtet man die einzelnen Berufsgruppen, empfinden sich vor allem Hausärzte überdurchschnittlich häufig von den meisten Problemen betroffen; beispielsweise von der fehlenden Unterstützung durch den Arbeitgeber (67 Prozent), fehlenden Betreuungsmöglichkeiten (69 Prozent) oder Wettbewerbsnachteilen durch fachliche Weiterentwicklung im Beruf (74 Prozent). Auch eine fehlende Flexibilität betonen Hausärzte mit 76 Prozent im

Branchenvergleich häufiger als Zahnärzte oder Apotheker – dies kann unter anderem an den stärker fixierten Rah-menbedingungen der ärztlichen Berufsausübung liegen wie der regionalen Bedarfsplanung oder den vorgegebe-nen Mindestsprechstundenzeiten für Kassenärzte.

Innerhalb der Geschlechter sehen Frauen Wett-bewerbsnachteile, finanzielle, emotionale und gesell-schaftliche Hürden sowie die fehlende Unterstützung des Partners häufiger problematisch an als Männer. Der finanzielle Aspekt kann sicher darauf zurückgeführt wer-den, dass vor allem Heilberuflerinnen nach der Elternzeit zunächst in Teilzeit mit reduzierter Stundenanzahl wieder einsteigen. Stellt man den Nettoerlös der Erwerbstätig-keit den immensen Kosten der Kinderbetreuung vor allem in den ersten Jahren gegenüber, lohnt sich diese oftmals finanziell kaum.

Herausforderungen beim Wiedereinstieg

Nach der Entscheidung für den Nachwuchs, dem Kinderkriegen und der Elternzeit folgt für viele der Wiedereinstieg in den Beruf. In dieser Phase stellen

sich folgende Fragen, die abschließend beantwortet werden sollen:

Welche Hürden ergeben sich beim Wiedereinstieg in den Beruf? Welche Mittel zur Vereinbarkeit von Familie

und Beruf werden gewünscht?

Hürden für die HeilberuflerWelche Herausforderungen oder Hürden sehen Sie beim Wiedereinstieg nach der Elternzeit?

Fehlende Flexi-bilität im Beruf

66%

Fehlende Betreu-ungsmöglichkeiten

62%

Fachliche Wettbe-werbsnachteile

56%

FinanzielleHürden

54%

29

Die Studienergebnisse

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„Die Branche ist in Bewegung“

Herr Sevecke, die Frankfurter Rotkreuz-Kliniken set-zen sich aktiv für eine mitarbeiterorientierte Unter-nehmenskultur ein. Wieso wird Familienbewusstsein in Ihrer Einrichtung so groß geschrieben?

Als Erstes ist hier zu nennen, dass wir ein Haus sind, das von zwei Schwesternschaften getragen wird. Aus diesem Grund haben wir ein großes Eigeninteresse, die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus so zu gestal-ten, dass bei den Mitarbeitern eine hohe Zufriedenheit herrscht. Diese Zufriedenheit steht bei uns an erster Stelle, noch vor der Steigerung der Umsatzrendite, wie sie primär in privaten Häusern verfolgt wird.

In Mitarbeiterbefragungen wird immer wieder deut-lich, dass die eigentlichen Arbeitsbedingungen den Mitarbeitern viel wichtiger sind als harte Faktoren wie das Gehalt. Gelingt es, durch gute Arbeitsbedingungen eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit herzustellen, hat das rundum positive Auswirkungen auf den Kranken-stand, die Fluktuation und die Identifikation mit dem Haus. Auch von den Patienten bekommen wir hierzu regelmäßig sehr positives Feedback.

Ganz konkret: Was sind aus Ihrer Sicht die entscheidenden Angebote, die Ihr Haus im Rahmen einer familienbewussten Personalpolitik bereits für die Mitarbeiter installiert hat?

Anfang dieses Jahres haben wir als bundesweit erstes Krankenhaus für alle Mitarbeiter in der stationären Pflege eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn-ausgleich eingeführt. Das führt zu einer deutlichen Entlastung der Mitarbeiter, die dadurch mehr freie Tage im Monat haben, um diese beispielsweise mit ihrer Familie zu verbringen. Außerdem haben wir ein Familienbüro mit dem Schwerpunkt Information und Beratung. Hier geht es zum Beispiel um die Pflege von Angehörigen oder um die Vereinbarkeit von Beruf und Familien mit jungen Kindern. Darüber hinaus haben wir ein Modell entwickelt, bei dem die Mitarbeiter von uns einen Arbeitgeberzuschuss zu ihrem Monatsticket für den ÖPNV erhalten. Derartige Angebote im Bereich Mobilität werden sehr gut angenommen.

Mit der Einführung der 35-Stunden-Woche für Pflege-kräfte haben Sie eine deutschlandweite Vorreiterrol-le eingenommen. Können Sie schon eine erste Bilanz ziehen, wie das Modell in der Praxis funktioniert?

Das Projekt ist durchweg auf positive Resonanz ge-stoßen und läuft soweit reibungslos. Und das nicht nur in den betroffenen Bereichen, also der Stationspflege,

sondern auch in allen anderen Einheiten wie der Verwaltung oder dem OP. Die Mitarbeiter sind sensibi-lisiert dafür, dass der Entlastungsbedarf in der Pflege groß ist, und tragen diese Entscheidung gut mit.

In der Umsetzung sieht das so aus, dass sich die Arbeitszeit zwar nicht pro Tag verringert, die Mitarbei-ter aber pro Monat ein bis zwei Tage mehr frei haben. Generell arbeiten wir mit Arbeitszeitkonten. Das heißt, wenn mal etwas mehr zu tun ist, zum Beispiel in den Wintermonaten, füllt sich das Konto, kann aber gleich-zeitig in ruhigeren Zeiten wie den Sommermonaten abgebaut werden.

Wie lange hat es von der originären Geburt der Idee bis zu ihrer finalen Umsetzung gedauert?

Insgesamt ungefähr zwei Jahre. Dahinter standen na-türlich auch finanzielle Aspekte. Der Gesetzgeber hat aber erkannt, dass in der Pflege ein Problem herrscht und entsprechend nachgesteuert. So werden Kranken-häusern seit Anfang 2019 zusätzliche Pflegekräfte komplett refinanziert. Das hat uns die Entscheidung, die 35-Stunden-Woche einzuführen, noch einmal leich-ter gemacht, sodass wir in sehr konstruktiver Weise eine entsprechende Vereinbarung mit dem Betriebsrat auf den Weg bringen konnten.

Gunnar Sevecke ist Geschäftsführer für Finanzen & Strategie der Frankfurter Rotkreuz-Kliniken e. V. Mit über 600 Beschäftigten, 300 Betten und 17.000 Fällen zählt die Einrichtung zu den wich-tigsten Versorgern im Rhein-Main Gebiet. Seit 2013 sind die Rotkreuz-Kliniken Zertifikats-träger des audits berufundfamilie.

Innovative Arbeitszeitmodelle sind in aller Munde, zum Beispiel mobiles Arbeiten oder Führungspositio-nen in Teilzeit. Ist es bei Ihnen auch möglich, solche Modelle in Anspruch zu nehmen und gibt es schon Ärzte, die das tun?

Das ist sowohl theoretisch als auch praktisch möglich. Bei uns arbeiten auch Mitarbeiter auf Vorstandsebene und Chefarztposten in Teilzeit. So haben wir erst kürzlich eine neue Klinik für Fuß- und Sprunggelenk-chirurgie eröffnet. Die leitende Chefärztin hat einen Teilzeitvertrag. Dieses Zeitmodell passt sowohl bei ihr als auch bei uns sehr gut und ermöglicht größtmög-liche Flexibilität. Warum sollten wir als Arbeitgeber auf eine Vollzeit-Stelle drängen, wenn der zeitliche Rahmen und die gewünschten Modelle auch für uns funktionieren?

In „Kind und Kittel“ wird deutlich, dass männliche Heilberufler in Sachen Elternzeit noch immer vergleichsweise zurückhaltend sind. Können Sie einen Trend ausmachen?

Wenn ich die Zeit zehn Jahre zurückdrehe, ist in der Zwischenzeit doch ein großer Wandel in dieser Thematik eingetreten. Früher war es regelrecht ver-pönt, dass ein Arzt im Krankenhaus nach Elternzeit gefragt hat. Heute wird dieser Wunsch viel häufiger formuliert – und ihm wird auch nachgekommen. In diesem Zusammenhang haben wir ein sehr gutes Kontakthalteprogramm für Mitarbeiter, die in Mutter-schutz oder Elternzeit gehen. Es erstreckt sich über mehrere Monate und sorgt dafür, dass die Väter und Mütter nicht den fachlichen und menschlichen Bezug zum Arbeitgeber verlieren. So laden wir beispielsweise auch immer alle abwesenden Mitarbeiter zu Betriebs-veranstaltungen ein.

Haben Sie schon weitere Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ins Auge ge-fasst, die Sie in Zukunft verstärkt angehen möchten?

Getrieben von unserer Oberin Karin Schoppet gibt es derzeit Planungen, in Zukunft ein Angebot zur Kinderbetreuung zu schaffen – konkret geht es um ein Projekt in Kooperation mit Tagesmüttern. Das ist auch hier bei uns ein großes Thema. Leider sind wir als Unternehmen zu klein für einen betriebseigenen Kindergarten, da machen uns die Bürokratie und die damit verbundenen Anforderungen einen Strich durch die Rechnung, auch wenn wir den Gedanken gerne weiterverfolgen würden.

Die Arbeit im Krankenhaus wird laut „Kind und Kittel“ vor allem in der Assistenzarztphase als familienunfreundlich angesehen. Welchen Appell können Sie an die Klinikbranche richten, damit sich diese Situation in Zukunft verbessert?

Ich bemerke, dass sich aktuell in vielen Krankenhäu-sern rund um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie viel tut. Gerade, weil man als Klinik in Zeiten des Fach-kräftemangels in der Pflicht steht, sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren, kommt unsere Branche de facto gar nicht um das Thema herum. Dabei geht es aber nicht nur um Personalgewinnung, sondern auch darum, die vorhandenen Mitarbeiter zufriedenzu-stellen und langfristig an sich zu binden. Mein Appell an andere Häuser ist deshalb: Seien Sie authentisch und leben Sie die Unternehmenskultur wirklich vor. Es ist wichtig, Dinge direkt beim Namen zu nennen und Mut zur Veränderung zu haben.

Seien Sie authentisch und leben Sie die

Unternehmenskultur vor!

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Bei den Frankfurter Rotkreuz-Kliniken haben Pflegende eine 35-Stunden-Woche und es gibt Chefärztinnen mit 20-Stunden-Vertrag. Fragen an Geschäftsführer Gunnar Sevecke.

Interview

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Page 17: Kind oder Kittel? Kind und Kittel! - Mynewsdesk

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Die Herausforderungen sind identifiziert - was muss nun also aus Sicht der Heilberufler passieren, um

die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern? Welche strukturellen Lösungen können implementiert werden, um den zuvor skizzierten Herausforderungen sinnvoll entgegenzutreten?

Zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden von über 90 Prozent der Befragten und damit als absoluter Spitzenwert kompatible Kin-derbetreuungsangebote genannt. Kompatibel – das bedeutet in den Heilberufen, auch die teils ungewöhn-lichen Arbeitszeiten wie Nacht- und Wochenenddienste im Krankenhaus, abzudecken. Auf dem zweiten Platz landen flexible Arbeitszeitmodelle & Teilzeitangebote (90 Prozent) – vor allem Humanmediziner wünschen sich eine Einführung derartiger Angebote (95 Prozent). Der Fokus liegt hier wieder auf dem Zusatz „flexibel“, also individuelle Lösungen, die dem aktuellen Lebensentwurf des Arbeitnehmers entgegenkommen. So benötigen Eltern während des Tages immer wieder Zeitfenster, um für ihre Kinder da zu sein: Abholservice, gemeinsames Essen, Hausaufgabenbetreuung, Wahrnehmung von Terminen und ähnliches. In anderen Branchen sind Gleit-zeitmodelle oder Homeoffice nichts Neues, innerhalb der Patientenversorgung schon. Natürlich lassen sich die dort anfallenden Aufgaben nicht so leicht umdisponieren wie in einem Büro. Daher sind intelligente und innovative Konzepte gefragt, die Heilberuflern eine flexiblere Gestal-tung ihres Arbeits- und Familienalltags ermöglichen.

Jobsharing gewünschtDer Entlastung bei nichtärztlichen/nichtpharmazeuti-schen Tätigkeiten durch Delegation und Digitalisierung zeigen sich 76 Prozent der Befragten aufgeschlossen, dabei häufiger Männern als Frauen. Allerdings sind Delegation und Digitalisierung zwei Stichworte, die unter Heilberuflern in der Vergangenheit auch oft kontrovers diskutiert wurden. Welche Leistungen aus dem eigenen

Lösungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Bereich können abgegeben werden und wer besitzt die notwendige Kompetenz dafür? Auch die Digitalisierung birgt zukünftig viel Gestaltungsspielraum, um mit digitalen Angeboten wie Terminmanagement, telemedi-zinischen Konsilen, papierloser Dokumentation, Video-sprechstunden oder ähnlichem sinnvoll zu unterstützen.

Jobsharing in Führungspositionen sehen vor allem Heilberuflerinnen (77 Prozent), speziell aus den Berufs-gruppen Humanmedizin und Pharmazie, als wirksames Mittel. So kam in den Freitextfeldern wiederholt Unmut darüber zum Ausdruck, dass sich in Teilzeit die Chancen auf eine Führungsposition drastisch verringern. Warum sich also nicht eine Führungsposition mit einem geeigne-ten Tandempartner teilen? Ob und wann sich diese Mo-delle flächendeckend im Berufsalltag wiederfinden, wird sich innerhalb der nächsten Jahre zeigen. Der Bedarf ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der zunehmenden Feminisierung der Heilberufe schon heute enorm.

Weiterhin wurden von 69 Prozent Zusatzleistungen wie Hilfe bei der Wohnungssuche und Vermittlung von Haushaltshilfen, von 68 Prozent ein kultureller Wandel und von 66 Prozent spezielle Programme zum Wieder-einstieg nach Mutterschutz/Elternzeit als wichtige Stell-schrauben für die Zukunft genannt.

KompatibleKinderbetreu-ungsangebote

Entlastung durch Delegation &

Digitalisierung

Jobsharing in Führungs- positionen

Flexible Arbeits-zeitmodelle &

Teilzeitangebote

70%76%

90%92%

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50

100

Mittel zur VereinbarkeitWas muss Ihrer Meinung nach passieren, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Heilberuflern verbessert werden kann?

Die Arbeitswelt der Heilberufe entwickelt sich weiter. Der anhaltende Fachkräftemangel, die spürbare

Feminisierung, der Trend zu Anstellung und Kooperation, der Wertewandel der jungen Heilberufsgeneration und nicht zuletzt auch ein sich veränderndes Anspruchsver-halten der Patienten – dies sind nur einige der Treiber, die hier eine wesentliche Rolle spielen.

Dabei interessieren uns als Vertrauensbank der Heilberufe nicht nur Zahlen und Statistiken. Wir wollen wissen, was die Ärzte, Zahnärzte und Apotheker bewegt, was sie tagtäglich umtreibt, mit welchen Heraus-

forderungen sie sich konfrontiert sehen, was sie sich für die Zukunft wünschen. Was wir schon wissen, ist, dass unsere Kunden ihren Job lieben. Er ist für sie eine Lebensaufgabe, eine Berufung. Mindestens genauso liegt ihnen jedoch die Entwicklung der eigenen Familie am Herzen – und schon bewegen wir uns in einem Span-nungsfeld, das bislang größtenteils im Dunkeln lag.

„Kind und Kittel“ bringt Licht in dieses Dunkel. Las-sen Sie mich die wesentlichen Ergebnisse, die teilweise ernüchternd sind, abschließend noch einmal zusammen-fassen:

von Daniel Zehnich

In Zukunft Kind und Kittel!

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Das Thema Familienfreundlichkeit ist den Heilberuflern wichtig, lässt sich jedoch aufgrund verschiedener Berufscharakteristika wie zum Beispiel dem hohen Arbeitsaufkommen nur schwer realisieren. In Kooperation und Anstellung wird dieser Anspruch realistischer.

Die Heilberufler beschäftigen sich bewusst mit dem Thema Nach-wuchs und dem richtigen Zeitpunkt dafür. Ist dieser dann da, küm-mern sich vor allem die Frauen um die Betreuung der Kinder, oft mit Unterstützung von Eltern und Familie.

Die größten Hürden beim Wiedereinstieg sind die Betreuung der Kin-der sowie die fehlende Flexibilität, sowohl auf Arbeitnehmer-, als auch auf Arbeitgeberseite. Zur Verbesserung der Vereinbarkeit müssen individuelle Lösungen geschaffen werden, die kompatibel, kooperativ, entlastend und flexibel sind.

Knapp ein Drittel der Heilberufler – überwiegend Frauen - stand schon einmal vor der Wahl zwischen Kind und Kittel, vornehmlich um der eigenen Karriere nicht zu schaden. Dazu passt auch, dass fast zwei Drittel eine Bevorzugung kinderloser Heilberuflerinnen wahrnehmen.

SchlusswortDie Studienergebnisse

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Wenn in einem entwickelten und emanzipierten west-europäischen Staat wie Deutschland fast die Hälfte der Heilberuflerinnen sich heute noch zwischen Kind und Kittel entscheiden muss, ist noch ein weiter Weg zu gehen. Auch die Wahrnehmung der Berufsausübung als Inhaber der eigenen Praxis oder Apotheke als besonders familienunfreundlich gibt Grund zur Sorge – bilden diese doch immer noch die Pfeiler der ambulanten medizinischen und pharmazeutischen Versorgung, vor allem in ländlichen Regionen. Zweifelsohne bedeutet die Arbeit in der eigenen Praxis immer eine hohe Arbeits-belastung, bietet jedoch auch Vorteile. Als eigener Chef lassen sich Öffnungszeiten flexibel gestalten und die Berufsausübung nach den eigenen Grundsätzen und Wertvorstellungen ausleben. Hier gibt es viele erfolg-reiche Beispiele, in denen Praxis und Familie wunderbar koexistieren. Deshalb ist es ratsam, die Selbständigkeit, ob in Einzelpraxis oder in Kooperation, mit der eigenen Familienplanung gedanklich nicht direkt auszuschließen.

Vorbilder motivierenDas hier generierte Wissen soll vor allem Mut machen. Zu sehen, dass man auf dem Drahtseil zwischen Kind und Kittel nicht alleine läuft und einen Einblick in den Alltag von Kolleginnen und Kollegen zu erhalten, die die Balance für ihren persönlichen Lebensentwurf schon gemeistert haben, beruhigt und inspiriert. In der Berufs-landschaft gibt es viele tolle Vorbilder, wie es Ärzten, Zahnärzten, Apothekern, Krankenhäusern und Standes-organisationen gelingt, Familie und Beruf im Alltag zu realisieren und zu stärken. Ob im Rahmen des traditio-nellen Rollenbildes, alleine oder im gleichberechtigten Zusammenspiel der Partner: Zeit und Muße in die Erzie-hung und Betreuung der Kinder zu investieren und dabei freiwillig beruflich kürzertreten, kann für die wichtigste Säule unserer Gesellschaft – die Kinder - nur gut sein. Unterstützt durch familienfreundliche Rahmenbedingun-

gen, passende Kinderbetreuung und flexible Arbeits- und Zeitmodelle, die auf das einzelne Individuum zugeschnit-ten sind. Dabei fällt auf: Viele Reformen, Modellprojekte und Initiativen gehen schon seit Jahren in die richtige Richtung. Die wichtigste Veränderung muss in unseren Köpfen stattfinden. Mehr Wertschätzung, mehr Toleranz, weniger Vorbehalte.

Berufsausübung neu denkenWir freuen uns, wenn Sie den einen oder anderen Ge-danken aus unserer Studie mitnehmen können. Auch wir nehmen etwas mit: Wir haben heute einmal mehr gelernt, dass wir die Berufsausübung als Heilberufler neu denken müssen. Die Ergebnisse von „Kind und Kittel“ liefern uns hierfür eine gute Basis, um proaktiv neue Modelle für die Berufsausübung der Zukunft zu gestalten. Modelle, in denen ein erfülltes Familien- und Berufsleben auch im herausfordernden Umfeld der Heil-berufe möglich ist. Denn auch an diesen Stellen können und wollen wir als Standesbank unterstützen.

Damit aus „Kind oder Kittel?“ in Zukunft ausnahmslos „Kind und Kittel!“ wird.

3 Statistisches Bundesamt (2019): Familien mit minderjährigen Kindern in der Familie nach Lebensform und Kinderzahl im Jahr 2018 in Deutschland

4 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung (2018): Teilzeitquoten der abhängig Beschäftigten 1991-2017

5 ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V.:Die Apotheke - Zahlen, Daten, Fakten (2011 bis 2019)

6 Deutsche Apotheker- und Ärztebank (2018):Existenzgründungsanalyse Ärzte 2016/2017, Existenzgründungsanalyse Zahnärzte 2016/2017, interne Daten.

7 Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (Bundeserziehungsgeldgesetz): in der Fassung vom 6. Dezember 1985 (BGBl. I S. 2154)

8 Bundeszahnärztekammer und Kassen-zahnärztliche Bundesvereinigung (2019): Daten & Fakten 2019. Zahnärzte nach Erwerbsstatus.

9 Thomson Reuters Foundation (2015): The five key issues facing women working in the G20

Deutsche Apotheker- und Ärztebank eGRichard-Oskar-Mattern-Straße 640547 DüsseldorfTelefon: +49 211 5998 0E-Mail: [email protected]

V. i. S. d. P. (apoView) Claudia Finke

ProjektleitungDaniel Zehnich Nora Zumdick

RedaktionFelix Klappauf Nora Zumdick

GestaltungZimmermann Editorial GmbH, KölnAnnika Brentrup, Dirk Mönkemöller

LektoratMarkus Düppengießer

DruckDFS Druck Brecher, Köln

BildnachweisGettyImages: Cover: Braun/E+, S. 7: pixdeluxe/E+, S. 11: PeopleImages/E+, S. 17: AleksandarNakic/E+, S. 18: Westend61, S. 23: skynesher/E+, S. 29: pixdeluxe/E+, S. 32: filadendron/E+, S. 34: miodrag ignjatovic/E+

S. 3: Andreas Fechner, S. 5: Jörn Neumann,S. 12, 15, 20, 25, 27, 30: Privat

SonstigesAufgrund der besseren Lesbarkeit wird in den Texten der Einfachheit halber die männliche Form verwendet. Die weibliche Form ist selbstverständlich immer mit eingeschlossen.

DisclaimerapoView beruht auf den genannten Erhebungen oder auf allgemein zugänglichen Quellen, die wir für zuver-lässig halten. Die vorliegende Publikation gibt unsere unverbindliche Auffassung über die Thematik zum Zeit-punkt des Redaktionsschlusses wieder. Die Inhalte sind sorgfältig recherchiert. Eine Haftung/Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit kann im Einzelfall aber nicht übernommen werden.

VeröffentlichungNovember 2019

Quellenverzeichnis Impressum

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URL: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Hochschulen/Tabellen/lrbil05.html

URL: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Haushalte-Familien/Tabellen/2-5-familien.html

URL: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressekonferen-zen/2018/Alleinerziehende/pressebroschuere-alleinerziehende.pdf

URL: https://www.boeckler.de/51985.htm

URL: https://poll2015.trust.org/country/?id=germany

URL: https://www.bzaek.de/fileadmin/PDFs/df19/ _Daten_Fakten_2019.pdf

2 Statistisches Bundesamt (2018): Alleinerziehende in Deutschland 2017

1 Statistisches Bundesamt (2019): Studierende im Studienfach Medizin nach Geschlecht

Schlusswort

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Die wichtigste Veränderung

muss in unserenKöpfen stattfinden.

Mehr Wertschätzung, mehr Toleranz,

weniger Vorbehalte.