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KIT KIT- REPORT 156 Modelle als Akteure: Fallstudien Bernd Mahr Reinhard Wendler Februar 2009 ISSN 0931-0436 FAKULTÄT IV ELEKTROTECHNIK UND INFORMATIK Institut für Telekommunikationssysteme Formale Modelle, Logik und Programmierung Projektgruppe KIT Sekr.: FR 6-10 Franklinstraße 28-29 D-10587 Berlin [email protected]

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KIT

KIT- REPORT 156

Modelle als Akteure: Fallstudien

Bernd MahrReinhard Wendler

Februar 2009

ISSN 0931-0436

FAKULTÄT IV

ELEKTROTECHNIK UND INFORMATIK

Institut fürTelekommunikationssysteme

Formale Modelle, Logikund ProgrammierungProjektgruppe KIT Sekr.: FR 6-10Franklinstraße 28-29D-10587 Berlin

[email protected]

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Bernd Mahr und Reinhard Wendler

Modelle als AkteureFallstudien

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Einleitung

1. Modelle initiieren und kontrollieren Handlungena) Michelangelos Modell für St. Peter von 1558 – 1561:

Modelle manifestieren und fixieren

b) Zeigegesten vor Modellen in Gemälden der Renaissance:

Modelle bündeln und verkörpern Autorität

2. Modelle vertreten und vermitteln Auffassungena) Diagramme bei den Babyloniern, Euklid und Euler:

Modelle zeigen und repräsentieren

b) Fotorealistische Bilder von Architekturmodellen:

Modelle überzeugen und fesseln

3. Modelle tragen und übertragen Wissena) Radiolarien, geodätische Dome und Makromoleküle:

Modelle vermitteln und informieren

b) Der Expo 67 Dome und die Buckminsterfullerene:

Modelle bestätigen und popularisieren

4. Modelle befreien und beschränken Vorstellungena) Isamu Noguchis Sculpture to be seen from Mars:

Modelle formen mentale Bilder

b) Lichtenbergs Auffassung des Saturn als Modell:

Modelle entfalten Räume des Denkbaren

Schluss

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Einleitung

Wir tun vieles mit Modellen und sie tun vieles mit uns. Doch darüber wird kaum geredet und geschrieben. Modelle können unser Denken aus seinen Begrenzungen zwingen und uns in wissenschaftliches Neuland führen, aber sie können mittels der selben Kräfte auch jede wissenschaftliche Neuerung unterbinden. Besonders langlebige Lähmungen werden mit Ausdrücken wie »Tyrannis des abstrakten Denkgeschmacks«1 oder »Tyrannei des diskontinuierlichen Denkens«2 gekennzeichnet. Ebenso gilt für die Kunst: Ohne Modelle wären die Architekturstile der Renaissance und des Barock kaum entstanden, ebenso wenig wie diejenige Architektur der Gegenwart, die sichtbar mit digitalen Methoden entwickelt wurde. Genauso gut aber können die Modelle jede neue künstlerische Entwicklung für Jahrhunderte unterbinden. Mit der »Diktatur der Linse«3 ist etwa der Zwang des zentralperspektivischen Modells der Malerei benannt, zu dem es sich seit mehr als einem Jahrhundert zu verhalten gilt. Möglichkeit und Zwang gehen vor einem Modell ein komplexes Wechselverhältnis ein, das sich von seinen Nutzern vermutlich weder vollständig noch dauerhaft kontrollieren lässt. Die Vielfalt der Phänomene, die hierbei auftreten, ist bislang nicht annähernd beschrieben worden. Die Studien dieses Technical Reports bieten einige Feldgänge in dieses weite Gebiet an.

Als Modelle bezeichnen wir dabei nur solche Gegenstände,4 die auf eine bestimmte Art und Weise5 entweder für uns selbst, oder für eine bzw. mehrere Personen in einem Zweckkontext stehen oder standen, oder wenn wir dies zumindest unterstellen.6 In diesen Zweckkontexten sollen sie etwas leisten, etwas konkretisieren, abstrahieren, manifestieren, beweisen, erklären, zeigen und überzeugen, sie sollen Wissen tragen oder übertragen, eine Handlung oder einen Gedanken ermöglichen, kontrollieren, oder auch be- oder verhindern. Dabei entfalten Modelle nicht nur erwünschte Wirkungen, sondern zeitigen auch eigensinnig andere Effekte. Bisweilen wendet sich dieser Eigensinn sogar gegen die Intention und den Zweck, zu dem die Modelle genutzt werden. Im vorliegenden Text werden wir einige Modelle dabei beobachten, wie sie ihre Potentiale entfalten. Wir verstehen und befragen sie dabei mit Bruno Latour als „Akteure“ oder „Aktanten“, also als „nichtmenschliche Wesen“, die einen aktiven Einfluss ausüben.7

Die Bedeutung des Begriffs »Akteur« erklärt sich in dieser Bedeutungsfacette aus der etymologischen Verwandtschaft zu dem auctor und der auctoritas.8 Wie Giorgio Agamben ausführt, ist »auctoritas die Eigenschaft des auctor, d.h. der Person sui iuris (der pater familias), der eingreift, indem er die technische Formel auctor fio ausspricht, um der Tat eines Subjekts rechtliche Gültigkeit zu verleihen, das von sich aus keine

1 Auerbach 1914, 4; vgl. Schmidt-Burkhardt 2005, 29f2 Dawkins 2008, 430-4343 Hockney 2001, 1984 Mit „Gegenstand“ meinen wir alles, was Gegenstand einer Auffassung ist5 Vgl. Mahr 2008a; ders. 2008b

6 Zum Beispiel unterstellen wir den Herstellern und Benutzern der Modelle, die den Gräbern in Meketre beigegeben wurden, eine Modellauffassung. Sofern und solange wir dies annehmen, selbst wenn wir uns dabei irren, fassen wir die betreffenden Gegenstände als Modelle auf, ohne sie notwendigerweise in einen unserer eigenen Zweckkontexte zu stellen.

7 Latour 2000, 211ff. Zwar schreibt Latour, der Begriff »Aktant« sei weniger missverständlich, trotzdem benutzt er fast ausschließlich den Ausdruck „Akteur“. Dem schließen wir uns an.

8 Übrigens auch dem griechischen Begriff »Axiom«. Dank an Emmanuel Alloa für den Hinweis auf die auctoritas.

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rechtsgültige Tat ins Sein setzen kann.«9 Vor dem Hintergrund der zunehmend intensiv geführten Debatten um die Frage, inwieweit ein materielles Objekt überhaupt zu handeln vermöge, könnte die Formel der auctoritas in ihrer erhöhenden, vollendenden Rolle (augeo) der Schlüssel zu einer Antwort sein. »Alles deutet darauf hin, daß – damit etwas im Recht zu existieren vermag – die Verbindung zwischen zwei Elementen (oder Subjekten) vonnöten ist: einem, das über Autorität verfügt, und einem, das die Initiative der Tat im engeren Sinn ergreift. Wenn die beiden Elemente oder Subjekte übereinstimmen, dann ist die Tat vollendet.10 Nun kann ein Modell zwar keine Tat im engeren Sinn ergreifen, aber für die Personen, die ein Modell benutzen, kann das Modell so erscheinen als ob es die Anweisung einer Person selbst sei, die ihre Handlungen oder Sichtweisen anleitet. Das aktive Potential geht als ein Impuls vom menschlichen Träger der Autorität aus, der sich durch die materiellen Objekte, oder ganz allgemein durch die Gegenstände gewissermaßen fortpflanzt und über eine Schleife zurückläuft zu menschlichen Akteuren, die den Modellen schließlich »als einer Regel« folgen (Wittgenstein 2001, §222; vgl. Kap. 1b).

Im Folgenden gilt es nun, die Geschichten zu erzählen, deren Teil die Modelle sind, und es wird besonders auf solche Momente zu achten sein, in denen die Modelle sich als Akteure bemerkbar machen, sich in die Geschichten und die Geschichte einschreiben, sei es, indem sie einen Vorgang oder einen Gedanken ermöglichen oder behindern, indem sie Wissen tragen oder übertragen, indem sie zeigen und überzeugen oder indem sie in einer anderen, nicht vorhersehbaren Art und Weise agieren. Auf den ersten Blick wird die Auswahl der studierten Modelle willkürlich erscheinen. Die Lektüre wird jedoch deutlich machen, so hoffen wir, dass die verschiedenen Aspekte ein Bild von dem Akteur bietet, mit dem wir es zu tun haben: Stets sind es erstaunliche oder bedeutsame, allesamt aber für Modelle charakteristische Vorgänge in dem „komplexen Gespinst von Effekten und Rückwirkungen“,11 in das wir die Gegenstände einbinden, die wir als Modelle auffassen. Einige der Modelle, die wir betrachten werden, sind alte Bekannte, etwa Michelangelos Modelle für St. Peter (Kap. 1) oder Buckminster Fullers Dome als Modelle für die Fullerene (Kap. 3). Wir unterziehen diese intensiv beforschten Modelle einem neuen, unserem eigenen Blick und versuchen, die bestehenden Kenntnisse in einem Beziehungssystem zu verorten, das durch die auffassenden Subjekte und die aufgefassten Gegenstände gebildet wird. Dem gesamten folgenden Text liegt dabei die Hypothese zugrunde, dass wir mit den Aktionen der Modelle kaum vertraut sind, obwohl wir täglich von ihnen profitieren und unter ihnen leiden.

Der vorliegende Text ist im Rahmen des von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Projekts »Modelle als Akteure« an der TU Berlin entstanden. Wir danken der Fritz Thyssen Stiftung für ihre Unterstützung. Dank gebührt ebenso Horst Bredekamp, der die Frage nach dem ermöglichenden und dem fesselnden Potential der Modelle zuerst aufgeworfen und einige unserer Fragen längst selbst gestellt hat.12

9 Agamben 2004, 90, vgl. Austins Sprechakttheorie10 Agamben 2004, 9111 Bredekamp 2005, 1312 Bredekamp 1995, ders. 2000, ders. 2005

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1. Modelle initiieren und kontrollieren Handlungen

Das erste Modell, das wir betrachten wollen, ist nicht nur in seiner historischen Bedeutung, sondern auch in seinen realen Ausmaßen groß. Fünfeinhalb Meter misst die Höhe von Michelangelos letztem Modell für St. Peter, und es scheint in diesen Ausma-ßen der Bedeutung des seinerzeit wichtigsten Bauvorhabens überhaupt vollkommen angemessen zu sein. Es mag daher erstaunen, dass Michelangelo solche großen Modelle nur widerwillig baute und sich ansonsten auf kleine Wachs-, Ton- und gezeichnete Modelle beschränkte. Wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird, liegen die Gründe für diese Materialwahl im Versuch, das Wechselspiel von Möglichkeit und Zwang zu beherrschen, in dem sich ein Modell von einem Tag auf den anderen von einem guten Diener in einen schlechten Herrn verwandeln kann. Es wird also zu klären sein, welche Rolle die Materialität von Modellen bei der Entfaltung ihrer aktiven Potentiale spielt, welche Rolle die Art und Weise spielt, die Modelle zu betrachten, etwa als Ausdruck spielerischen Vortastens, als justiziable Entwürfe oder als Register zur Kartierung von Bauschäden. Ganz allgemein lautet die Frage: Wie kann ein Modelle Autorität besitzen und ausüben?

a) Michelangelos Modell für St. Peter von 1558-1561: Modelle manifestieren und fixieren

Michelangelo musste sich während seines Tätigkeit als leitender Architekt auf St. Peter stets der Macht der Modelle erwehren. So vermied er nach Möglichkeit, große Holz-modelle zu bauen und griff stattdessen auf kostengünstige, schnell zu bearbeitende und wenig repräsentative Materialien wie etwa Ton zurück. Diese Modelle wurden nicht öffentlich präsentiert, sondern dienten allein seiner eigenen Vorstellungsbildung. Große Holzmodelle, wie diejenigen von Antonio da Sangallo von 1546 oder von Michelangelo von 1547 oder von 1558-1561, suggerierten wegen ihrer zeitraubenden Herstellung und der im Vergleich zu Tonmodellen ausgeprägten Unveränderlichkeit des bemalten Holzes einen Konkretisierungsgrad der Entwürfe, der dem realen Stand der Planungen nicht entsprach. „In hölzernen Architekturmodellen muß Michelangelo jenen fixierenden Zug erkannt haben, der seinem organischen Bild der Architektur widersprach, und wer Holzmodelle nötig hatte, scheint für ihn von vorneherein das Stigma des Pedanten besessen zu haben.“13 In Michelangelos individueller Art und Weise, mit Modellen zu ar-beiten, zeichnet sich eine radikale Abwendung von Alberts Vorgaben ab, man solle an Modellen alle erdenklichen Aspekte eines Bauwerks prüfen, „bevor Du das Werk in Angriff nimmst. Erwäge alles und das Dach selbst auch, und zugleich ziehe Fachleute zu Rate, indem Du von Deinen Modellen Kopien machen läßt. An diesen geh, bitte,

13 Bredekamp 1995, 122

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zweimal, dreimal, viermal, siebenmal, ja zehnmal mit Unterbrechungen und zu verschiedenen Zeiten alle Teile des zukünftigen Bauwerkes durch, bis es von den untersten Wurzeln bis zum obersten Ziegelstein nichts Unbekanntes, nichts Offenbares, nichts Großes und nichts Kleines am ganzen Bauwerk geben wird, von dem Du nicht lange und oft vorher erwogen, festgesetzt, bestimmt hast, mit welchen Mitteln, an welchen Stellen, nach welcher Ordnung es am besten versetzt, angeschlossen und zugerichtet werden soll und kann."14 Ganz anderes als Alberti fürchtete Michelangelo in den Modellen einen Akteur, welcher der freien Entfaltung des architektonisch-bildhau-erischen Entwurfs schadete. „Wenn der Abschluß eines Werkes den Tod des lebendigen Schaffensvorganges bedeutete, dann musste für ihn bereits die Herstellung eines verbindlichen Modells den Beginn des Absterbens bewirken. Jedes Modell, das nicht etwa eine Etappe des Suchens festhielt, sondern das Ende des freien Vortastens besiegelte, hat Michelangelo vermutlich zutiefst irritiert.“15

Woher stammt aber die Verbindlichkeit der Modelle? Wodurch vermögen Modelle, Handlungen zu erzwingen und vorzuschreiben? Wieso sind Ton- oder Wachsmodelle weniger verbindlich als Holzmodelle? Das Holzmodell scheint ein späteres Stadium des Entwurfsprozesses zu repräsentieren, weil man Säge, Leim und Farbe bräuchte, um das Modell zu verändern, während ein Wachsmodell, an dem der Architekt in der Präsentation vor den Augen der Bauherren Änderungen vornimmt, nach dem selben Muster eine andere Vorstellung von dem Stand der Planung determiniert. Die Eigenschaft der Härte des Holzes oder der Weichheit des Wachses – selbst wenn diese nur unterstellt wird – entfaltet eine Wirkung auf die Betrachterin bzw. den Betrachter, indem die Vorstellung von einem Gebäude und von dem Stand der Planungen durch das Material aus dem es besteht, mitgeformt wird. Härte und Weichheit der Materialien der Modelle wirken sich auf das Bild aus, das sich der Auftraggeber vom Stand der Planungen macht. Das Holzmodell erzeugt eine Vorstellung von Gebäude und Entwurfsstadium, in das die Härte des Materials dergestalt eingeflossen ist, dass man dazu neigt, die Planung als weitestgehend abgeschlossen zu betrachten. Die Materialeigenschaften eines Wachsmodells prägen eine weichere Vorstellung vom Planungsstadium, das als weniger feststehend angesehen wird.

Nicht nur prägt die optische Erscheinung des Modells eine Vorstellung von dem zu errichtenden Gebäude, sondern prägt auch das Urteil über die materielle Beschaffen-heit des Modells die Vorstellung vom Stand des Entwurfsprozesses.

Sangallos modello von 1546 sollte zum Beispiel vermutlich ein offenes Planungs-stadium repräsentieren, und damit den realen Stand der Dinge, tat aber in seinem gigantischen Preis, seiner übermäßigen Größe und Verzierung und seiner harten Materialität das Gegenteil. Hätte er ein seinem Entwurfsstadium angemessenes Material gewählt, so hätte er möglicherweise ein Tonmodell oder eine Handzeichnung vorgelegt. Doch Sangallo hat vermutlich nicht einfach nur einen Fehler gemacht. Sein Interesse dürfte sich weniger auf eine angemessene Darstellung seines Entwurfs gerichtet haben, als vielmehr darauf, seine Ideen und Entwürfe über seinen Tod hinaus zu konservieren

14 Alberti 1991, 51115 Bredekamp 1995, 116, vgl. ders 2000, S. 65

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und für seine Nachfolger im Amt verbindlich zu machen. Für diese Zwecke ist das harte Holz wiederum sehr gut geeignet. Es ist daher eine Frage des Zwecks, den das Modell erfüllen soll, der darüber entscheidet, welches Material am besten geeignet ist.

Auch Michelangelos große Holzmodelle von 1547 und 1558-1561 weisen das Entwurfsstadium als weiter fortgeschritten aus, als es sich tatsächlich darstellte. In beiden Fällen waren es äussere Umstände, die Michelangelo dazu zwangen, sich im Holz präziser und nachhaltiger auszudrücken, als ihm lieb war: 1547 galt es, das große Modell von Sangallo durch einen neuen Entwurf seines Potentials zu berauben16 und gewissermaßen durch ein neues Modell zu überschreiben. 1558 wurde ihm vorgewor-fen, dass das Nichtvorhandensein eines Gesamtmodells zu teuren Missverständnissen auf der Baustelle führe. Wie Burckhardt und Lübke berichten, nutzte Michelangelo Detailmodelle zur Belehrung der Steinmetzen: “Auch Fenster, Säulen, Bogen etc. modellirte er seinen Bauführern und Steinmetzen gerne aus Thon vor, ohne Zweifel in einiger Grösse. Seine Gebäude scheinen dieses Verfahren durch eigenen Formenaus-druck zu verrathen."17 Möglicherweise hatte Michelangelos Weigerung, sich durch die Herstellung eines Gesamtmodells auf einen Entwurf festlegen zu lassen, und nur mit Detailmodellen zu arbeiten, dazu geführt, dass 1557 Teile der Apsiswölbung nach

16 Dies gelang Michelangelo durch seine berühmten Diffamierungen, z.B. jene, in der er behauptet, "dass St. Peter mit seinen dunklen Ecken ein Ort würde, an dem Verbrecher unterschlüpfen, Falschmünzer Geld drucken und Vergewaltiger Nonnen schwängern könnten", vgl. Bredekamp 2000, 64

17 Burckhardt, Lübke 1867, 71

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Abbildung 1: Michelangelos Modell für St. Peter von 1558-1561

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einem Missverständnis wieder abgerissen werden mussten.18 Dieses Problem zwang Michelangelo nun dazu, sich konkret und präzise festzulegen. Zudem sah sich Michelangelo vor dem Hintergrund seines nahenden Todes gezwungen, seine Entwürfe für die Nachfolger möglichst verbindlich zu machen, weshalb er zu dem dauerhafteren, in gewissem Sinne auch justiziableren Holz anstelle des vergänglicheren, subjektiveren Wachses und Tons griff. Hatte sich Michelangelo bis dahin vor der fesselnden Kraft großer Holzmodelle gehütet, so nutzte er sie hier in seinem Sinne, indem er sich die Härte des Holzes zunutze machte, um seine Entwürfe den Änderungsbestrebungen seiner Nachfolger möglichst zu entziehen und damit deren Denk- und Konstruktions-potentiale durch das Modell zu fesseln (Abb. 1).

So wie das Holz bringt jedes Material seinen spezifischen Eigensinn ein: Papier ist geduldig, so das Sprichwort, das Wachs kann leicht schmelzen und erhält sich kaum über die Zeit, und Ton schrumpft, wie Winckelmann berichtet: „Der Ton wäre die geschickteste Materie, Figuren zu bilden, wenn er seine Feuchtigkeit behielte. Da ihm aber diese entgehet, wenn er trocken und gebrannt wird, so werden folglich die festeren Teile desselben näher zusammentreten, und die Figur wird an ihrer Maße verlieren, und einen engeren Raum einnehmen. Litte die Figur diese Verminderung in gleichem Grade in allen ihren Punkten und Teilen, so bliebe ebendasselbe, obgleich verminderte, Verhältnis. Die kleinen Teile derselben aber werden geschwinder trocknen, als die größeren, und der Leib der Figur, als der stärkste Teil, am spätesten; und jenen wird also in gleicher Zeit mehr an ihrer Maße fehlen als diesem. Das Wachs hat diese Unbequemlichkeit nicht: es verschwindet nichts davon, und es kann demselben die Glätte des Fleisches, die es im Poussieren nicht ohne große Mühe annehmen will, durch einen andern Weg gegeben werden.“19 Jedes Material, aus dem man ein Modell herstellt, auch das „gedankliche“, weist spezifische Eigenschaften auf, die sich im Modellierungsprozess je nach dem Zweck des Modells unterschiedlich auswirken. Die Bandbreite solcher Effekte ist so groß, dass im vorliegenden Kontext auf diesen Umstand lediglich hingewiesen werden kann. In der Kunstgeschichte wurden solche Aspekte bereits wirkungsästhetisch erforscht, in Bereich der Kunst als Forschung und der Entwurfsforschung treten sie derzeit in ganz anderer Weise in den Fokus. (rw)

18 Satzinger 2005, 6419 Winckelmann 1969, 23f.

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b) Zeigegesten vor Modellen in Gemälden der Renaissance:Modelle bündeln und verkörpern Autorität

Das direkte Wirkungsverhältnis zwischen dem Material und dem Fesselungspotential, wie wir es bei Michelangelos großem Modell beobachtet hatten, besteht allerdings nicht schon von sich aus oder allein vermöge des Eigensinns der Modelle. Hierzu ist es erforderlich, das Gebilde aus Holz zum Gegenstand einer Modellauffassung zu machen. Dies geschieht, wie das Modell des Modellseins im Detail beschreibt, 20 indem das Gebilde zum einen in Verbindung zu den Entwurfstätigkeiten Michelangelos gesetzt wird, und zum anderen in Verbindung zu dem zu errichtenden Gebäude. Ohne diese Auffassung, also ohne dass das Gebilde aus Holz als Modell autorisiert wird, besteht keine Grundlage dafür, dass die Eigenschaften des Holzes die genannten Wirkungen entfalten könnten.

Es bedarf zur Machtentfaltung des Modells also mindestens zweierlei: 1. Der sinnlichen Eigenschaften und Merkmale des Gegenstandes21

2. Einer spezifischen Haltung des Betrachters, die darin besteht, den Gegenstand in zwei Kontexten zu sehen und ihn dadurch als Modell aufzufassen

Dabei ist es keineswegs gleichgültig, wer den Gegenstand als Modell auffasst und wie diese Auffassung genau charakterisiert ist. Ein Gemälde von Domenico Cresti da Passignano von 1619 rekonstruiert eine Auffassungssituation, wie sie uns hier interes-siert (Abb. 2). Das Gemälde schildert vermutlich die Präsentation von Michelangelos Modell für St. Peter im Jahre 1547, kurz nach dem Tode Antonio da Sangallos und dem Amtsantritt Michelangelos. Der schwarz gekleidete Michelangelo und der weiss gekleidete Paul III. zeigen inmitten einer Reihe weiterer Personen auf das Holzmodell von 1547. Beide Hauptakteure zeigen mit ihrer jeweils rechten Hand auf das Modell. Die Ähnlichkeit dieser dieser Gesten rückt einen Unterschied in den Haltungen der Personen zu dem Modell in den Fokus: Ist es bei Michelangelo ein präsentierendes, übereignendes Zeigen, so handelt es sich bei der Geste des Papstes um ein aneignendes, und zugleich autorisierendes Zeigen, welches den Umstehenden und den Betrachtern des Bildes das Gebilde als Modell für St. Peter ausweist. Die selbe Funktion besitzt der Umstand, dass der Papst den Architekten, dieser aber das Modell ansieht. Paul III. klammert Michelangelos zeigende und blickende Bezugnahme auf das Modell, indem er auf Michelangelo blickt und auf das Modell zeigt. Wenn sich in Michelangelos Bezugnahme dessen Autorschaft ausdrückt, so drückt sich durch die doppelte Bezugnahme des Papstes eine autorisierende Klammerung dieser Bezugnahme aus, durch die der Autorschaft päpstliche Autorität verliehen wird. Das Gemälde kann als bildliche Umsetzung eines Textstücks angesehen werden, konkret dem berühmten motu proprio, mit dem Paul III. Michelangelo und sein Modell als verbindlich erklärte: „Um den vom Verlust um Pfründe und Macht geprägten Anfeindungen und den die

20 Mahr 2008a 21 Die sinnliche Eigenschaft eines Gedanken besteht vieleicht gerade darin, dass er nicht gesehen,

gespürt usw. werden kann und dass er seiner Umformung den denkbar geringsten Widerstand entgegensetzen kann.

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Bauarbeiten lähmenden Intrigen ein Ende zu machen, erlässt Paul III. am 11. Oktober 1549 einen Motuproprio, welcher alle Maßnahmen des Architekten gutheißt, die strikte Einhaltung des Bauplanes anhand von Michelangelos Modell für alle Zeiten festlegt und Michelangelo auf Lebenszeit zum Architekten der Basilika ernennt.“22 Dieser Erlass hatte sich als notwendig erwiesen, weil das Modell in der überaus heiklen politische Situation dieser Zeit von sich aus nicht genügend Autorität hätte entfalten können. Zugleich erfuhren Michelangelo und sein Modell eine Unterstützung, deren Ausmaß seinesgleichen sucht.

Der Vergleich mit einem anderen Gemälde verweist auf die zentrale symbolische Bedeutung der Zeigegesten vor Modellen.23 So zeigt ein Bild von Jacopo da Empoli, das aus dem selben Zyklus in der Casa Buonarroti stammt, wie Domenico Cresti da Passignano Gemälde auch, den schwarz gekleideten Michelangelo und einen Papst,

22 Verspohl 2004, 178, Anm. 59, vgl. Bredekamp 200823 Weitere vergleichbare Bilder: Matteo Rosselli: Michelangelo leitet die Anlegung der

Verteidigungsanlagen von Florenz 1529, Casa Bunarroti 1616, 236 x 141cm; Horace Vernet, Bramante , Michelangelo und Raphael präsentieren Papst Julius II. Pläne für St. Peter, 1827, Louvre; Fabrizio Boschi (1570-1642), Michelangelo präsentiert 1522 vor Papst Julius III. sein Modell für den Palazzo vor der Ruota an der Strada Giulia, 236 x 141 cm, Casa Buonarroti

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Abbildung 2: Domenico Cresti da Passignano, 1619. Michelangelo übergibt ein Modell für St. Peter an Papst Paul III oder Paul IV.

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diesmal ist es Leo X. Auf dem Tisch befinden sich zwei modelli, ein Holzmodell für die Fassade von S. Lorenzo und ein Grundriss für die Bibliotheca Laurenziana (Abb. 3).24 Leo X. blickt durch ein Monokular25 und zeigt auf die Zeichnung, Michelangelo zeigt hingegen offenbar auf die Sockelzone des Holzmodells. Das Blickregime ist hier ähnlich organisiert, wie in dem Gemälde von Domenico, lediglich die Personen sind ausgetauscht.

24 Dass in der Renaissance sowohl zwei- als auch dreidimensionale Darstellungen als modelli bezeichnet wurden, läßt sich vielfach bestätigen. „Modello bedeutet freilich oft auch Zeichnung und wir dürfen Aussagen benützen, welche deutlich im andern Sinne gemeint sind. Andererseits kann disegno auch wohl ein wahres Modell bedeuten, wie z.B. Milanesi II, P. 272 "disegno de al cera" für einen Prachtaltar.“ Burckhardt, Lübke 1867, S. 83. Die Wirkung, die eine Zeichnung und ein Holzgebilde auf die Vorstellung des Papstes vom Stand des Entwurfs entfalten, unterscheiden sich natürlich im Sinne des über Michelangelos Modell für St. Peter Gesagten.

25 Vgl. Ilardi 2007, 167f.

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Abbildung 3: Jacopo Chimenti da Empoli, Michelangelo präsentiert Leo X. und Kardinal Giulio de Medici ein Modell für die Fassade von San Lorenzo, der Medicikapelle und einen Plan für die Bibliotheca Laurenziana, 1617-19, Casa Buonarroti.

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Wieder blickt die hinten stehende die vorne postierte Figur an, während diese auf das Modell blickt. Dadurch verändert sich aus naheliegenden Gründen die Bedeutung der Blicke und Gesten. Michelangelos Blick auf den Papst und Zeigegestus auf das Modell stehen hier für das Angebot, welches der Papst durch die Dopplung von Blicken und Zeigen nachvollzieht, sich zu eigen macht, seiner auctoritas, d.h. seiner Autorschaft und Autorität einverleibt und damit annimmt.

Wieder weist der Gestus des Zeigens beim Architekten auf die Präsentation, beim Papst auf die Kenntnisnahme des Modells. Dass diese Kenntnisnahme durch den Pontifex neben einer rechtlichen und baupraktischen auch eine religiöse Bedeutung hat, geht aus der substantiellen Verwandtschaft solcher Bilder mit Szenen der Übergabe von Stiftermodellen an Heilige hervor. Als Beispiel sei hier die von Giotto in der Arenakapelle von Padua freskierte Szene genannt, die Enrico Scrovegni bei der Übergabe des Modells der Stifterkapelle zeigt, somit die Stiftung bezeugt und dem Stifter eine wohlwollende Prüfung beim Jüngsten Gericht eintragen soll. Der Zusammen-hang zwischen der Übergabe des Modells und der erhofften Erlangung des Heils erhellt nicht zuletzt daraus, dass die dargestellte Szene Teil des großen Gerichtsfreskos an der Westseite der Kapelle ist. In der Hierarchie des Interzessoriums26 stehen die beiden Modellübergaben – durch Michelangelo an Paul III. und Enrico Scrovegni an Maria und zwei Heilige – zwar auf unterschiedlichen Stufen, doch ist sowohl die Richtung wie die

26 Vgl. etwa Gestrich 2001, 182-186

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Abbildung 4: Vasari, Fresko, Cancelleria in Rom. Paul III. initiiert die Ausführung der geplanten Bauten.

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religiöse Bedeutung beider Vorgänge vergleichbar.Die Bedeutung der Autorisierung des Modells durch den Papst, oder allgemeiner den Auftraggeber, erhellt aus dem Vergleich zweier Darstellungen, einmal eigenhändig von Vasari, einmal nach seinem Entwurf. Das eine Fresko wurde unter der Leitung von Vasari in dem für St. Peter wichtigen Jahr 1546 in der Cancelleria in Rom gemalt (Abb. 4). In dieser Szene übernimmt der Papst, es handelt sich wieder um Paul III., zwei Zeigegesten: mit seiner rechten Hand zeigt er auf Sangallos Plan, der ihm von weiblichen Personifikationen der Architektur, Skulptur, Geometrie und Malerei präsentiert wird,27 mit seiner linken auf die im Hintergrund ins Bild gesetzte Baustelle von St. Peter. Die rechte Hand symbolisiert auch hier die Kenntnis- und Entgegen-nahme des – als Grundrißplan gezeichneten – Modells, während die linke ausweist, was die Kenntnisnahme und Autorisierung eines Modells durch den Papst bedeutet: unmittelbare Handlung. Zeigen und Zeugen gehen hier ineinander über.

Amt und Urteil des Papstes sind als jene Kräfte ausgewiesen, ohne die jedes Architekturmodell fruchtlos bleiben muss. Erst indem der Papst die Beziehung zwischen dem Modell und der Baustelle aufbaut, können die Potentiale des Papstes, also Geld, politische Macht, persönliche und religiöse Autorität nach der Maßgabe des Modells wirksam werden. Papst Paul III. wird hier nicht nur als die entscheidende Person präsentiert, die den Bau auf St. Peter wieder in Gang bringt, sondern vermittels der inhärenten Symbolik dieses Vorganges als die entscheidende Figur, die der katholischen Kirche nach Jahrzehnten des Niedergangs zur Wiedergeburt verhilft.28 Das Modell spielt hierbei eine zentrale Rolle als Kristallisationsobjekt der Potentiale des Papstes. Die visuelle und materielle Präsenz des Modells zieht, wie Vasaris Fresko klar ausweist, die Autorität des Papstes, die „auctoritas sacrata pontificum“ auf sich, formt sie nach seinem Bilde und lenkt sie dergestalt maßgebend auf die Handlungen der Architekten, Steinmetze und Bauleute.29

Das Potential Modelle als Akteure erklärt sich hier aus dem Verhältnis einer spezifischen Auffassung, dem Gegenstand der Auffassung und der Autorität des Subjekts, das diese Auffassung hat.

Sobald der Papst Kraft seiner „auctoritas“ eine Beziehung zwischen dem Modell und dem zu errichtenden Bauwerk hergestellt hat, ist „das Ende des freien Vortastens besiegelt“ (Bredekamp 1995, 116, vgl. ders. 2000b, 65). Nicht nur die Härte des Holzes, sondern auch die Autorisierung durch den Papst kann also dazu führen, dass ein Modell verbindlich wird, insbesondere dann, wenn dies in Form eines Schriftstücks wie dem motu proprio geschieht. Zugleich wird hier aber auch deutlich, dass die Autorisierung des Papstes das Modell derart verbindlich machen kann, dass sie das

27 Brassat 2003, 12528 Satzinger 2005, 5929 Brassat deutet die liegende männliche Figur auf der rechten Seite als „herkulische Gestalt des Mons

Vaticanus“, S. 125. Die Ähnlichkeit des Gesichts der Figur mit dem Porträt in Vasaris Vita von Antonio da Sangallo ist zumindest herstelltbar. Man wird daher annehmen dürfen, dass es der Intention von Vasari nicht zuwiderläuft, Sangallo hier abgebildet zu sehen. Diese Interpretation würde den Zeigegesten der weiblichen Personifikationen der Architektur, Skulptur, Geometrie und Malerei eine sinnvolle Rolle zuweisbar machen, vermittels derer auf den Urheber des Planes und zugleich mittelbar auf den disegno verwiesen würde. Die Zeigegesten der Personifikationen würden so gesehen die Von-Beziehung des Modells sichtbar machen, diejenigen des Papstes die Für-Beziehung.

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„Ende des freien Vortastens“ ebenso besiegelt, wie ein großes hölzernes Modell. Michelangelo hütetet sich daher nicht nur vor der den Entwurf beschränkenden Härte des Holzes, sondern auch vor der Repräsentativität eines großen Holzmodells und der durch dieses provozierten Autorisierung durch den Papst oder durch andere, erwünschte oder unerwünschte Parteigänger. Die Macht, die ein Modell erhält, indem es durch eine mächtige Autorität autorisiert wird, erfordert folglich eigene Vorsichtsmaßnahmen. So ist es nicht nur wichtig, dem Auftraggeber nur solche Modelle zu präsentieren, von denen man sich wünschen kann, dass dieser sie autorisiert, sondern auch, sicherzustellen, dass sich der Auftraggeber vor seiner Beurteilung ein klares Bild gemacht hat, weil er andernfalls nicht den Entwurf des Architekten, sondern eine von diesem substantiell abweichende Vorstellung von diesem autorisiert. So sprach etwa der Architekt Daniel Specklin (1536-1589) den Potentaten und Herren ab, Grundrisse und Perspektiven zu begreifen, weshalb es notwendig sei, ihnen plastische Modelle zu präsentieren.30 „Wenn die 'Potentaten und Herren' die Grundrisse und Perspektiven falsch lesen, und möglicherweise ihr Einver-ständnis in ein Werk geben, das sie sich ganz anders vorstellen als der Architekt, so wird dies auf den Architekten zurückfallen, dem schließlich der Fehler zugeschrieben wird. Ein dreidimensionales Modell richtig zu lesen ist einfacher (wenngleich keineswegs trivial), vor allem aber in den Augen der Öffentlichkeit, welche die falsche Lesart angesichts eines Modells eher dem Potentaten und Herren zuschlagen wird. Der Architekt sichert sich also mit der Wahl eines dreidimensionalen anstelle eines zweidimensionalen Modells ab.“31

Bei der Wahl der Materialien und dem Zeitpunkt und Medium der Präsentation gilt es, Vorsicht walten zu lassen, um nicht in eine Logik des Modells hineinzugeraten, die zu einem Ergebnis führt, das weder den Plänen des Architekten noch des Bauherrn entspricht.

Die Schlüsselrolle, die den Modellen in allen großen Bauprojekten der Renaissance spielen, hat ihnen auch eine Rolle als handhabbare Symbole in Gemälden eingetragen. Hierbei werden die Modellbeziehungen zu bildinternen Beziehungen und kann sich die Bildinterpretation entlang der Logik des dargestellten Modells entwickeln. Dies geht etwa aus einem Fresko im Pallazzo Vecchio in Florenz hervor, das Marco da Faenza nach einem Entwurf von Vasari gemalt hat (Abb. 5). Es zeigt Filippo Brunelleschi und Lorenzo Ghiberti, wie sie Cosimo d. Ä. de Medici ein Modell für San Lorenzo präsentieren. Auch hier findet sich der doppelte Zeigegestus, in dem Zeigen und Zeugen ineinander übergehen, wie ihn Vasari schon in der Cancelleria bis in die Handhaltung hinein erprobt hatte. Auch hier ist im Hintergrund die Baustelle zu sehen, auch hier wird der Zeigende in seiner initiatorischen Rolle gezeigt. Wolfgang Brassat weist darauf hin, dass Marcos Gemälde als Medium einer Geschichtsfälschung anzusehen ist:

„Es war Giovanni 'di Bicci' de´ Medici, der seit 1418 das Projekt der Erneuerung von San Lorenzo und der Erbauung der alten Sakristei vorangetrieben hatte. Am 10. August 1421 war die Grundsteinlegung erfolgt, im Jahr 1422 die notwendigen

30 Krapf 1998, 1831 Krapf 1998, 18

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Abrissarbeiten für den Neubau Brunelleschis. Wie die Gemälde der Sala di Cosimo il Vecchio zeigen, hat die frühabsolutistische Medicihistoriographie jedoch das Andenken von Cosimos Vater, der als Bankier die Machtstellung seines Sohnes begründet hatte, getilgt und Cosimos Rückkehr aus dem Exil zur Geburtsstunde der Dynastie erhoben. Das Bildprogramm suggeriert, die Erneuerung von San Lorenzo habe sich der Initiative Cosimos verdankt. [...] Der republikanisch gesinnte Brunelleschi, der Erbauer des Palastes der Parte Guelfa, aber hatte von Cosimo keinen einzigen Auftrag erhalten. In der Darstellung der Sala di Cosimo il Vecchio tritt dieser hingegen als Förderer des Architekten auf, der vor ihm kniend vergegenwärtigt ist, während zugleich Michelozzo, sein Hausarchitekt, und Donatello als dem Mäzen nahestehende Berater erscheinen. In dem Gemälde ist der historische Konflikt zwischen Brunelleschi und Donatello bzw. Cosimo somit überspielt, doch zugleich wird in ihm auch unmißverständlich nachträglich Position bezogen, da der kniende Brunelleschi, ein entschiedener Republikaner, sich hier dem Mediceer, aber auch der beratenden Kompetenz Donatellos und Michelozzos zu beugen scheint.“32

Das Bild schildert also nicht im Sinne eines Historiengemäldes die Präsentation eines Modells, sondern verwendet diese als Sujet, vermittels dessen die Beziehungen zwischen Cosimo und Brunelleschi nach Maßgabe der aktuellen politischen Bedürfnisse umgedeutet wird. Obwohl Modell und Modellpräsentation hier lediglich Figuren eines Theaterstücks sind, gelingt die von Vasari bzw. Marco da Faenza intendierte „Geschichtsfälschung“ nur aufgrund der Logik des Modells, d.h. wenn Cosimo als jene

32 sic! Brassat 2003, 138f. (und Abb. 48)

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Abbildung 5: Marco da Faenza nach Vasari. Ghiberti und Brunelleschi übergeben ein Modell für San Lorenzo an Cosimo d.Ä. de Medici.

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Autorität erscheint, die der im Modell instantiierten idea Brunelleschis zur Realität eines wirklichen Bauwerks verhilft. Erst durch das Modell und seine Beziehungen wird Brunelleschi in eine dienende Beziehung zu jenem Cosimo eingebunden, der ihm nach dem Kenntnisstand der Kunstwissenschaft niemals einen Auftrag erteilt hatte. Das Modell stellt in Vasaris Bild nicht in erster Linie eine Beziehung zwischen einem Entwurf und einem Gebäude her, sondern fiktive Beziehungen politischer Art zwischen verstorbenen Personen – die Modellbeziehungen werden hier zu internen Bildbeziehun-gen, der Cargo33 und die Trägerschaft von Modellen werden zu Cargo und Trägerschaft für Personenbeziehungen.

An den bis hierher besprochenen Beispielen wird deutlich, dass es keineswegs gleichgültig ist, aus welchem Material ein Modell besteht, wer den Gegenstand als Modell auffasst, und wie diese Auffassung charakterisiert ist. Das Zusammenspiel der Eigenschaften und Merkmale mit den verschieden spezifizierten Auffassungen des Gegenstandes als Modell führt zu unterschiedlichen, vom betrachtenden und auffassenden Subjekt abhängigen Entfaltungen von aktiven Potentialen.

Als Michelangelos Modell von 1658-1561 als Modell für St. Peter autorisiert worden war, wechselte seine Rolle von einem Präsentationsmodell, das die Vorstellungen Michelangelos manifestieren und repräsentieren sollte, zu einem Baumodell, das bei den Bauarbeiten als Vorgabe und Referenz diente und konkrete Handlungen anleitete. Das heisst, nun wurde der Gegenstand nicht mehr nur vom Papst, sondern auch von Bauleitern, Vorarbeitern und Steinmetzen als Modell für St. Peter aufgefasst. Später wurde es zum Gegenstand von Eingriffen, die auf der Basis von Planungsänderungen durch Giacomo della Porta um 1585 und von Luigi Vanvitelli um 1742/44 vorgenommen wurden. Giacomo della Porta veränderte Kuppel und Tambour, wobei das veränderte Modell vorläufig noch in seiner Rolle als Vorgabe und Referenz für Bauarbeiten verblieb. Als die Kuppel vollendet war, verlor das Modell diese Rolle und blieb zunächst ein historisches Modell in dem Sinn, dass man es als einen Gegenstand ansah, der als Modell für die Bauarbeiten von St. Peter aufgefasst worden war. Hierbei schließen sich die auffassenden Subjekte dem Modellurteil anderer Personen lediglich an, ohne jedoch das Modell selbst als Handlungsanweisung und -anleitung zu benutzen. Als Luigi Vanvitelli jedoch Risse auf das Modell aufmalen liess, die am Bauwerk aufgetreten waren, änderte sich die Rolle des Modells ein weiteres Mal (Abb. 6). Es war nun zwar immer noch ein Modell, nicht mehr aber ein Modell für, sondern von St. Peter. Indem Vanvitelli das Gebilde als Register für Bauschäden nutzte, fasste er das Holzkonstrukt nicht mehr oder nurmehr am Rande als ehemaliges Modell für den Bau von St. Peter und damit als ein Dokument der Baugeschichte, sondern als ein Modell von der Kuppel auf. Dass das Modell zeitlich vor der Kuppel existiert hatte, war aus der Perspektive des konkreten Zwecks, zu dem die Risse aufgemalt wurden, gleichgültig.

33 Mahr 2008b

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Verfolgt man nun gesamten Gang des Holzkonstruktes durch die Reihe der Modellauffassungen, deren Gegenstand es wurde, so zeichnet sich ab, dass es als Kristallisationsobjekt von Potentialen und Autoritäten der auffassenden Subjekte diente und nach deren Maßgabe vollkommen unterschiedliche aktive Potentiale entfaltete. Das Modell gab den latenten Potentialen und Autoritäten jene Form und Materialität, ohne die sie nicht zu Bauwerken führen könnten. Weist man bei diesem Vorgang entweder dem Subjekt und seiner Auffassung oder dem Modell höhere Priorität zu, so verliert man das Verständnis für die Logik der Modelle, die durch unterschiedlich charakterisierte Einflüsse beider Seiten entsteht.

Übrigens weist das Modell neben den durch Vanvitelli aufgemalten, mit Buchstaben gekennzeichneten Rissen auch einen großen, durch die Spannung des Holzes verursachte Riss auf, der eine Fensteröffnung in der Mitte zerteilt. Dieser Riss bezeugt nicht, wie die aufgemalten Risse Vanvitellis, Schäden an jenem Gegenstand, von dem das Holzgebilde als Modell dient, sondern von der Statik dieses Holzgebildes selbst. In diesem Riss bezeugt sich nocheinmal symbolträchtig, dass sich das Material des Holzes den intendierten und beabsichtigten, bewusst herbeigeführten Wirkungen nicht wider-standslos fügt, sondern seine eigenen, oftmals nicht zu kontrollierenden, Wirkungen entfaltet. (rw)

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Abbildung 6: Die von Vanvitelli aufgemalten Risse und der große, durch „arbeitendes“ Holz verursachte, senkrechte Riss im Modell.

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2. Modelle vertreten und vermitteln Auffassungen

Der Akt der Autorisierung eines Modells muss sich nicht in aller Sicht-, Hör- und Lesbarkeit ausdrücken. So haben wir gelernt, einem künstlich hergestellten Gegenstand, den wir als Modell, als Bild oder als Text betrachten, zu unterstellen, dass seine Herstellerin bzw. sein Hersteller damit etwas festzuhalten versuchte. Und damit fassen wir solche Gegenstände in gewisser Weise als Stellvertreter ihrer Schöpfer auf, die deren Perspektiven an ihrer statt vertreten. Im Folgenden wird es um Diagramme und um foto-realistische Bilder von Entwurfsmodellen gehen. Welches Verhältnis von Bild und Modell ist dabei zu beobachten? Welche material- und medienspezifischen Besonderheiten sind zu verzeichnen?

a) Diagramme bei den Babyloniern, Euklid und Euler34 Modelle zeigen und repräsentieren

Schon früh mit der Entwicklung der Schrift im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, seit dem 3. Jahrtausend v.Chr., werden auf Tontafeln nicht nur Verwaltungsdaten, sprachliche Mitteilungen, Texte, Listen und Tabellen schriftlich niedergelegt, sondern auch die ersten Diagramme. So sind in Feldplänen Konturen von Feldflächen in den Ton geritzt, die das Verfahren der Berechnung der Feldgrößen veranschaulichen (Abb. 7): „ Pläne dieser Art beweisen, dass die Feldmessung tatsächlich ausschließlich auf Längenmessungen beruhte. Die dargestellte Form der Felder weist kaum geometrische Übereinstimmungen mit den tatsächlichen Feldern auf. Sie sind nicht maßtreu und geben die Form der Felder nicht einmal qualitativ richtig wieder. Trotz dieser Besonderheiten, die aus moderner Sicht als Unzulänglichkeiten erscheinen, erfüllen die Felderpläne ihre Funktion, denn da auch die Berechnung der Feldflächen die geometrische Form unberücksichtigt ließ und ausschließlich auf Längenmessungen beruhte, fielen die Verzerrungen der Darstellung nicht ins Gewicht. Die Felderpläne gestatteten es, mit einem Blick die für die Berechnung wichtigen Längenangaben zu erfassen, und verdeutlichten, auf welche Weise sie in die Flächenberechnung einzugehen hatten.“ 35

Dieses frühe Zeugnis einer diagrammatischen Darstellung zum Verfahren einer Flächenberechnung besitzt viele der Merkmale späterer Diagramme der Geometrie: die Darstellung repräsentiert bestehende oder als zukünftig gedachte reale Verhältnisse, sie ist auf einer Fläche in der Form einer Linienzeichnung platziert, sie erfüllt eine argumentative Funktion, die hier offenbar präskriptiv ist, sie dient der Veranschau-lichung, sie stellt einen Ikonotext dar, d.h. sie besteht aus einer medialen Verschaltung von schriftlichen und graphischen Elementen, und sie besitzt durch die „Konstruktions-

34 Vorabdruck des ersten Teiles eines zur Veröffentlichung eingereichten Aufsatzes von Bernd Mahr und Klaus Robering, Diagramme – Bilder, die Modelle repräsentieren. Beobachtungen und Gedanken zum Diagrammgebrauch der Elementargeometrie.

35 Nissen, Damerow, Englund 1990, 106

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instrumente“, mit denen sie hergestellt wurde, durch das Material, das bei seiner Herstellung verwendet wurde, und durch die Formelemente, aus denen sie gefügt wurde, ein charakteristisches „ästhetisches Profil“ ,36 an dem wir sie als Diagramm erkennen und von einem gemalten Bild unterscheiden können.

Die babylonischen Feldpläne nehmen Bezug auf Gegenstände der realen Welt, auf konkrete Felder oder auf Felder, wie sie zu vermessen sind. Sie stellen nicht die realen Maßverhältnisse dar, sondern nur die Form der Felder. In diesem Sinne haben sie neben der Bezugnahme auf ein schon gegebenes Feld oder auf ein noch nicht bestimmtes aber in der dargestellten Weise zu vermessendes Feld zugleich auch eine Bezugnahme auf einen abstrakten Gegenstand, das tatsächlich gezeigte Feld, das als solches nur gedacht ist. Es scheint, als ob diese doppelte Bezugnahme ein wesentliches Merkmal der Natur von Diagrammen ist: sie können zugleich auf Konkretes und Abstraktes bezogen werden und dadurch den Charakter einer Regel annehmen.

Oskar Becker verweist in seiner Diskussion der babylonischen Algebra auf die Bindung von Berechnungsaufgaben und Verfahrensbeschreibungen an konkrete Anwendungen.37 Zu solchen Aufgaben gehören auch Feldplanberechnungen, die zwar ein hohes Niveau der Problemlösungsfähigkeit zeigen, andererseits aber auch das Fehlen einer abstrakten Form, mit der sich allgemeine Aufgaben und Lösungen präzise formulieren ließen. Die Algebra der Babylonier ist weitgehend angewandt und stützt sich wesentlich auf Anschauung und Analogie. Diagramme mussten daher offenbar weder maßgetreue Abbilder realer Verhältnisse sein, noch genaue Repräsentationen von Lageverhältnissen. Denn offenbar konnte sich ohne diese Merkmalstreue die Anschauung an ihnen festhalten. Erst die griechische Mathematik entwickelte, besonders in der Geometrie, ein System abstrakter Begrifflichkeiten und Argumenta-tionen, das Anschauung und Analogie ersetzte. Das zeigen die in Abschriften erhaltenen

36 Vgl. Cancik-Kirschbaum, Mahr 200537 Becker 1975, 3–21

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Abbildung 7: Feldplan aus der Ur-III Periode (2000 – 2100 v.Chr.) zur Vermessung einer größeren landwirtschaftlichen Nutzfläche, Tontafel und Abzeichnung.

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und die von späteren Autoren zitierten Schriften von Thales, Archimedes und den Pythagoreern. In besonderem Maße zeigen das aber die Bücher Euklids, dessen Elemente bis heute gelesen werden. Mit dieser Entwicklung kommt es nahe liegend zu grundsätzlichen Fragen der Ontologie, die sich auch zur Natur der Diagramme stellen. Im antiken Griechenland wurde mit den abstrakten Dingen die „Welt entdeckt“, wie es Reinhardt Grossmann in seinem Buch The Existence of the World formulierte,38 die Welt, die, weit über das Universum der an Raum und Zeit gebundenen Dinge hinaus, als Gesamtheit der kategorisierbaren konkreten und abstrakten Entitäten existiert.

Eine dezidierte Position zur Ontologie nahm Protagoras ein. Er sah im Menschen „das Maß aller Dinge, der Seienden, dass sie sind, und der Nichtseienden, dass sie nicht sind“39 und er versuchte die Mathematiker zu widerlegen, als er sagte, dass eine Tan-gente einen Kreis nicht an einem Punkt, sondern immer an mehr als einem Punkt berühre.

Er drückt damit Skepsis gegenüber den Idealisierungen der Mathematik aus und gegenüber der durch die Mathematik gewonnenen Erkenntnis, die der Anschauung im Konkreten entzogen ist. Die gleiche Skepsis veranlasste auch noch Edmund Husserl in seinem 1935 verfassten Traktat Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie zu drastischen Formulierungen gegen die angewandte Mathematik.40 Die Gegenposition zu Protagoras nimmt Platon im Staat ein, der im Liniengleichnis, das Sokrates im Gespräch mit Glaukon entwickelt, den Bildern, zu denen auch die Diagramme der Geometrie gehören, den niedrigsten Rang in der Hierarchie der sichtbaren und der einsehbaren Dinge einräumt. So sagt Sokrates zu Glaukon unter anderem: »Und du weißt doch auch, dass sie [die Mathematiker] die sichtbaren Gestalten zu Hilfe nehmen und ihre Reden auf diese beziehen, obschon

38 Grossmann 1992, 1–1339 Platon 1974, Bd. V, 1940 Husserl 1982

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Abbildung 8: Eine Tangente, die einen Kreis berührt

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eigentlich nicht sie den Gegenstand ihres Nachdenkens bilden, sondern jene, von denen diese die Abbilder sind. Wegen des Vierecks selbst führen sie ihre Beweise, oder wegen der Diagonale selbst, aber nicht wegen derjenigen, die sie zeichnen. Und so auch bei dem anderen: die sichtbaren Gestalten selbst, die sie ja modellieren und zeichnen und wovon es auch wieder Schatten und Spiegelbilder im Wasser gibt, die verwenden sie ihrerseits wieder als Bilder, während sie jenes zu erblicken suchen, das man auf keine andere Weise erblicken kann als mit dem vernünftigen Nachdenken«.41 Dieses Interesse an den Dingen selbst findet sich auch bei Euklid, der von einem Punkt in seiner ersten Definition, mit der er das erste Buch seiner Elemente beginnt, erklärt: »Ein Punkt ist, was keine Teile hat«.42

Den zwischen Protagoras und Platon bestehenden Dissens löst Aristoteles in seiner Metaphysik auf, indem er die Erkenntnis in zwei Welten aufteilt: »Auch das ist nicht wahr«, sagt er, »dass es die Geometrie mit sichtbaren und vergänglichen Größen zu tun hat. Denn dann ginge sie ja zugrunde, wenn diese zugrunde gehen. Aber auch die Astronomie hat es nicht mit sichtbaren Größen und nicht mit diesem sichtbaren Himmelsgewölbe zu tun. Denn die sichtbaren Linien sind ja gar nicht von solcher Art, wie sie der Mathematiker meint! Denn von den sichtbaren Linien ist keine so gerade oder so gebogen, wie sie sich der Mathematiker denkt. Denn den sichtbaren Kreis berührt das Lineal nicht nur in einem Punkte, sondern es steht damit genau so, wie es Protagoras behauptete, als er die Mathematiker zu widerlegen suchte. Es sind auch die Bewegungen und Kurven am Himmel durchaus nicht gleich denen, über die die Astronomie ihre Forschungen anstellt, und die mathematischen Punkte haben durchaus nicht dieselbe Natur wie die sichtbaren Gestirne“ .43 Folgt man der Auffassung des Aristoteles, dann ist die Natur von Diagrammen geteilt. Dann entfalten Diagramme ihren Sinn in zwei Welten, im Sichtbaren und im Gedachten, oder, um es mit Grossmanns Verständnis der Welt auszudrücken, im Konkreten, dem an Raum und Zeit Gebundenen, und im Abstrakten, das unabhängig von Raum und Zeit ist. Die Frage, die sich damit stellt, ist die Frage, wie Diagramme diesen Sinn entfalten.

Im modernen Verständnis der Bildtheorie sind Diagramme Bilder, weil sie sich, anders als Schrift, primär als Bilder ausweisen und weil sie etwas zeigen, das nicht das ist, was unsere Augen sehen. Wie bei Bildern allgemein ist auch die ontologische Bestimmung von Diagrammen an die »ikonische Differenz« gebunden, die das, was Diagramme als Bildobjekte sind und was sie zeigen, voneinander trennt: »Was uns als Bild begegnet, beruht auf einem einzigen Grundkontrast, dem zwischen einer überschaubaren Gesamtfläche und allem, was sie an Binnenereignissen einschließt. Das Verhältnis zwischen dem anschaulichen Ganzen und dem, was es an Einzelbestimmun-gen (der Farbe, der Form, der Figur etc.) beinhaltet, wurde vom Künstler auf irgendeine Weise optimiert« schreibt Gottfried Boehm über diese ikonische Differenz in seinem Aufsatz Die Wiederkehr des Bildes.44 Diesen Grundkontrast gibt es auch bei den Diagrammen der Geometrie. Sie kombinieren Punkte und Linien zu geometrischen Figuren, die, als »Binnenereignis«, eine Beziehungsstruktur sichtbar machen. Weil

41 Platon 1974, Bd. IV, 350 – 35142 Euklid 1997, 143 Aristoteles, II 2, 1997, zit nach Capelle 1940, 33344 Boehm 1994, 29-30

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Bilder aber Sinn erzeugen, indem sie etwas zeigen, siehe Wie Bilder Sinn Erzeugen,45 stellt sich die Frage nach dem Sinn, den Diagramme erzeugen, vor allem als Frage nach dem, was Diagramme repräsentieren, oder genauer, was die Beziehungsstruktur repräsentiert, die ein Diagramm als Bild sichtbar macht.46 Die Frage nach der Repräsentation ist jedoch problematisch, denn es gibt immer wenigstens zwei fundamentale Perspektiven auf ein Diagramm, die Perspektive des Zeichners und die des Betrachters, und in beiden Fällen sind Unbestimmtheiten im Spiel, die es schwer machen, auf die Frage nach der Repräsentation eine einfache Antwort zu geben, auch dann noch, wenn wir die Frage nach dem Sinn eines Diagramms aus der Sicht der Betrachtung verstehen, der durch den Zeichner vermittelt wird.

Wenn man Diagramme nicht als etwas ansehen will, das ausschließlich für sich selbst steht und dessen sichtbare Binnenstruktur auch das Einzige ist, worauf sich das Interesse der Betrachtung richten soll, dann muss sich dem Betrachter das, was das Diagramm (für ihn) repräsentiert, durch eine Beziehung erschließen, die die sichtbare Binnenstruktur des Diagramms mit irgendwelchen Phänomenen der konkreten oder abstrakten Wirklichkeit verbindet. Eine solche Beziehung ist aber nicht alleine von der sichtbaren Binnenstruktur abhängig, die es als Bild zeigt, sondern auch vom Betrachter, d.h. von der Art, wie er die Binnenstruktur betrachtet, vom Zeichner des Diagramms, der diese Beziehung vermittelt, und schließlich auch von der Situation der Betrachtung. Eine solche Beziehung ist also immer kontextuell gebunden. Beschränken wir uns im Folgenden bei der Analyse dieser Beziehung auf deren Vermittlung durch den Zeichner. Da der Zeichner im Allgemeinen kein von allen äußeren Einflüssen freies naturgetreues Abbild dessen herstellen kann, was er mit dem Diagramm darzustellen beabsichtigt, muss der Betrachter die sichtbare Binnenstruktur als ein Konstrukt sehen, das für einen bestimmten Zweck gemacht wurde und bei dessen Herstellung es Freiheiten der Gestaltung und Restriktionen durch das ästhetischen Profil gab. Der Betrachter muss deshalb unterstellen, dass das Diagramm vom Zeichner »in irgendeiner Weise optimiert wurde«. Er muss also in dem, was ihm das Diagramm zeigt, einen Blick sehen, einen Blick des Zeichners; aber einen Blick auf was? Einen Blick auf eine dem Zeichner zugängliche abstrakte oder wahrnehmbare Wirklichkeit?

Der Zeichner ist bei der Darstellung abstrakter oder wahrgenommener Wirklichkeit im Allgemeinen stets zu Verfälschungen gezwungen. Alleine für die Sichtbarkeit der Beziehungsstruktur, die das Diagramm zeigt, müssen gedachte Punkte, die abstrakte oder als Wirklichkeit wahrgenommene Raumpunkte repräsentieren, und die wegen ihrer Unteilbarkeit ohne Ausdehnung sind, auf der Oberfläche des Darstellungsmediums als kleine graphische Flächen platziert werden (Abb. 8). Das gilt für Schnittpunkte von Linien ebenso wie für Anfangs- und Endpunkte von Strecken. Und Entsprechendes gilt auch für Linien, die auf der Oberfläche des Darstellungsmediums zwischen zwei graphischen Punkten gezeichnet sind. Wie sehr sich dabei Abstraktes und als Wirklichkeit Wahrgenommenes miteinander vermischen, wird besonders bei den Linien deutlich. Sie existieren auch in einem als Wirklichkeit wahrgenommenen Raum eventuell nur als gedachte Verbindungen, weil es sie als konkrete Verbindungen

45 Boehm 200746 Ein Diagramm zeigt im Allgemeinen mehr als die sichtbare Beziehungsstruktur. Es zeigt immer auch

das Vermögen des Zeichners, Spuren des Einsatzes von Hilfsmitteln und alles, was es aus dem Kontext seiner Herstellung und im Kontext seiner Präsentation offen legt.

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möglicherweise gar nicht gibt, wie die als Strecke gedachte Verbindung, mit der die Entfernung zwischen Erde und Mond gemessen wird. Oder sie existieren eventuell nur als Möglichkeit konkreter Verbindungen, die durch Seile, Markierungen oder andere Mittel tatsächlich nur hergestellt werden könnten, wie bei der Vermessung eines Grundrisses. Dass aber zwischen je zwei Punkten Verbindungen denkbar sind, formuliert schon Euklid im ersten Postulat seiner Elemente. Dabei spricht er jedoch nicht über die abstrakte oder wahrnehmbare Wirklichkeit, die eventuell im Diagramm repräsentiert ist, sondern, so liest es sich, über das Konstrukt in der Beziehungsstruktur eines Diagramms und damit über die konkrete Repräsentierbarkeit von Zusammenhängen zwischen abstrakten Begriffen: »Gefordert soll sein, dass man von jedem Punkt nach jedem Punkt die Strecke ziehen kann.«47

Das Diagramm des geozentrischen Weltbildes, nach dem die Himmelskörper in Sphären um die Erde kreisen, nimmt auf eine Wirklichkeit Bezug, die es so, wie wir heute wissen, nicht gibt (Abb. 9). Es stellt nach heutiger Erkenntnis nur eine gedachte Situation dar. Wir müssen jedoch annehmen, dass die Beurteilung dessen, was es repräsentiert, in der ausgehenden Antike, im Mittelalter und auch noch in der frühen Neuzeit weit verbreitet anders war und dass man von der in Raum und Zeit bestehenden Wirklichkeit der im Diagramm gezeigten Sphären überzeugt gewesen ist.48 Heute ist dieses Diagramm für uns nur noch ein Zeugnis der Geschichte des sich langsam entwickelnden Wissens über die Bewegungen der Planeten. Der Einfluss des zeitgebundenen Wissens auf das, was ein Betrachter in einem Diagramm sieht, macht klar, dass das, was die sichtbare Beziehungsstruktur eines Diagramms repräsentiert, nicht einfach als das verstanden werden kann, was der Betrachter in ihm sieht. Denn das, was ein Diagramm repräsentiert, so würden wir doch den Begriff der Repräsen-tation verstehen, repräsentiert es immer und kann deshalb nicht von Raum und Zeit abhängig sein. Wenn man also sagt, dass es ein Blick auf eine gedachte oder sinnlich wahrnehmbare Wirklichkeit ist, den die Beziehungsstruktur eines Diagramms repräsentiert, dann drückt sich darin gerade die Relativierung aus, die dem, was das Diagramm als Bild zeigt, Unabhängigkeit von Raum und Zeit verleiht. Denn das vom Bild Gezeigte ist ja ein Blick des Zeichners, d.h. etwas, das von Raum und Zeit unabhängig ist, und das deshalb auch als etwas angesehen werden kann, das zu dem Diagramm gehört.

Aber auch damit, dass wir in dem, was ein Diagramm repräsentiert, einen Blick sehen, wird die Beziehung zwischen der sichtbaren Beziehungsstruktur des Diagramms und der dem Zeichner zugänglichen abstrakten oder wahrnehmbaren Wirklichkeit noch nicht klar. Denn es ist im Allgemeinen für den Betrachter nicht unbedingt erkennbar, worauf der repräsentierte Blick des Zeichners gerichtet war. Zum Beispiel kann sich die in Abbildung 9 als Kreisbahn des Mondes um die Erde gekennzeichnete sichtbare Linie, abgesehen davon, dass sie sich auf sich selbst als kreisförmige graphische Struktur bezieht, auf mindestens vier weitere dem Zeichner zugängliche Größen beziehen: erstens auf einen idealen Kreis mit dem im Diagramm sichtbaren Umfang, zweitens auf einen idealen Kreis eines nur schwer vorstellbaren Umfangs, dessen Radius sich aus der vermuteten Entfernung zwischen Erde und Mond ergibt, drittens auf einen Kreis, über

47 Euklid 1997, 248 Siehe hierzu Knobloch 2008

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dessen Umfang der Zeichner nichts sagen will, und viertens auf die als idealer Kreis gedachte tatsächliche Bewegung des Mondes um die Erde, die der Zeichner als Linie wiedergibt. Die daraus resultierende Unbestimmtheit und die durch die graphische Gestaltung und das ästhetische Profil unvermeidbar auftretende Unschärfe der Darstellung lassen deshalb im Allgemeinen nicht erkennen, was es genau ist, auf das sich der Blick des Zeichners richtet, den ein geometrisches Diagramm repräsentiert. Der Disput zwischen Platon und Protagoras, der in Platons Dialog Theätet Sokrates zu sarkastischen Äußerungen gegen Protagoras verführte, kann nur in dieser Unbestimmth-eit und Unschärfe seine Grundlage haben.49 Und Aristoteles’ salomonischer Kommentar zu diesem Disput kann nur deshalb als Lösung des Problems verstanden werden, weil er mit seiner Zweiweltenlehre zugleich beiden Kontrahenten Recht gibt.

Das Dilemma der Unbestimmtheit und Unschärfe kann sich erst mit dem Gebrauch des Diagramms auflösen. Das zeigt sich auch in der Geometrie Euklids, in der Diagramme der Anschauung und Unterstützung mathematischer Beweise dienen. Schon in der Babylonischen Geometrie kam es mit wachsendem Interesse an Konstruktions-- und Berechnungsverfahren zu einer Loslösung geometrischer Diagramme von konkreten Gegebenheiten. Dieser Schritt der Abstraktion ist aber erst in der griechischen Mathematik mit aller Deutlichkeit nachzuvollziehen. So liegt dem Studium der geometrischen Größen bei Euklid ganz offensichtlich ein pädagogisch motiviertes Erkenntnisinteresse zugrunde, das dazu führt, dass geometrische Konstruktionen um ihrer selbst willen betrachtet werden und nicht von vorneherein an einen konkreten Anwendungszusammenhang gebunden sind. Damit löst sich aber weitgehend auch die

49 Platon 1974, Bd.V, 36 - 37

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Abbildung 9: Darstellung des Geozentrischen Weltbildes, 1547

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Unbestimmtheit dessen auf, worauf sich in Euklids Büchern der im Diagramm repräsentierte Blick richtet. Denn es sind die abstrakten geometrischen Größen selbst, die das Diagramm zeigt, wie es Platon schon sagte: »Wegen des Vierecks selbst führen sie ihre Beweise, oder wegen der Diagonale selbst, aber nicht wegen derjenigen, die sie zeichnen.« Auch wird die dem ästhetischen Profil geschuldete Unschärfe eines Diagramms dadurch weitgehend irrelevant, weil sich der in der sichtbaren Beziehungs-struktur repräsentierte Blick einer graphischen Beurteilung weitgehend entziehen kann. Denn es ist in der Freiheit von jedem Anwendungszusammenhang ziemlich unerheblich, wie krumm ein gezeichnetes Viereck ist, solange es noch erkennen lässt, ein Viereck zu sein. Und schließlich lösen sich Diagramme dadurch sogar von ihrer Relativierung durch den Blick, den sie repräsentieren, weil die abstrakten geometrischen Größen, auf die sich der Blick richtet, im gegebenen Kontext, in dem Diagramme stehen, in Begriffen gefasst sind, die den vermittelnden Zeichner verdrängen. Denn diese Begriffe machen nicht nur die Auffassung, die dem Blick zugrunde liegt, von Raum und Zeit unabhängig, sondern sie verleihen auch dem, worauf sich der in dieser Weise abstrahierende Blick richtet, eine eigene begrifflich begründete Identität. So repräsentiert in Euklids Geometrie etwa ein Diagramm mit einem gezeichneten Kreis einen allgemeinen Kreis, der, frei von dem Gegebensein seines Durchmessers, durch den Begriff des Kreises definiert ist: »15. Ein Kreis ist eine ebene, von einer einzigen Linie [die Umfang

(Bogen) heißt] umfasste Figur mit der Eigenschaft, dass alle von einem innerhalb der Figur gelegenen Punkte bis zur Linie [zum Umfang des Kreises] laufenden Strecken einander gleich sind; 16. Und der Mittelpunkt des Kreises heißt dieser Punkt.«50 Zu einer Bezugnahme auf Konkretes einer wahrnehmbaren Wirklichkeit kommt es erst mit dem praktischen Gebrauch eines Diagramms. Und erst dann muss die Frage der Unbe-stimmtheit und der Unschärfe des Blicks wieder geklärt werden. Dann aber sind im Allgemeinen die konkreten Bezugsgrößen des Diagramms gegeben und der Kontext der Betrachtung ist durch den Gebrauchszusammenhang klar.

Eine ähnliche Loslösung diagrammatischer Darstellungen von konkreten Gegeben-heiten ist auch bei der Entwicklung der Graphentheorie zu beobachten. Anders als die Diagramme der Geometrie stellt die berühmte Zeichnung Leonhard Eulers (Abbildung 10), die den Beginn der Graphentheorie symbolisiert, jedoch keine messbaren Größen dar, sondern die relativen Lagen der Flächengebiete (Knoten) und die diese Gebiete verbindenden Brücken (Kanten) in der Stadt Königsberg.

Nach Eulers Meinung gehört das in Königsberg aufgeworfene Brückenproblem zu der damals, im Jahr 1736 noch wenig erforschten Geometrie der Lage, in der die betrachtete Beziehungsstruktur Lagebeziehungen darstellt, und nicht messbare oder quantifizierbare Größen, wie Längen von Kurven, Bögen oder Abständen zwischen Punkten. Die Zeichnung weist sich durch die Schraffierungen und die organische Form des verzweigten Flusslaufs als Bild aus. Sie ist aber nur im Hinblick auf die gezeigten Lagebeziehungen ein korrektes Abbild der Situation in Königsberg. Denn nicht zuletzt wegen ihrer Spiegelbildlichkeit ist das Maß ihrer Naturtreue zum tatsächlichen Flussverlauf und zu den Brücken in Königsberg nur äußerst gering. Überdies enthält sie mit den Buchstaben Bezugspunkte der Referenzierung, die es in Königsberg nicht gibt. Lässt sich diese Zeichnung auch als Diagramm auffassen?

50 Euklid 1997, 1

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Euler benutzt die Zeichnung in Abbildung 10 zur Veranschaulichung, und zwar sowohl des konkreten Brückenproblems in Königsberg als auch, als Exemplar, von Brücken-problemen allgemein. Im Text seines Aufsatzes dient im die Zeichnung als Bezugsgröße für seine stark im Exemplarischen bleibenden Beweisführung, mit der er einerseits die Unlösbarkeit des konkreten Brückenproblems in Königsberg beweist und andererseits ein allgemeines Entscheidungsverfahren zur Lösung beliebiger Brückenprobleme formuliert.51 Dieser Gebrauch der Zeichnung offenbart, dass ihm die Zeichnung in seinem Text, ähnlich einem Vexierbild, zweierlei zeigt, die Topographie einer Flusslandschaft einerseits und andererseits die durch den Flussverlauf und die Brücken bedingten Lagebeziehungen von Gebieten in Königsberg. Die Zeichnung ist deshalb ohne Zweifel auch ein Diagramm, aber eben nicht ein Diagramm der Geometrie Euklids, sondern ein Diagramm der Geometrie der Lage.

Die Graphentheorie hat sich als Theorie solcher Strukturen entwickelt und durch ihre begrifflich vermittelte Abstraktion eine ungeheure Weite der Anwendbarkeit gewonnen. Die Größen, mit denen sie hantiert, sind Graphen, die sich, wenn sie nicht zu groß sind, als Diagramme zeichnen lassen. Ähnlich den geometrischen Diagrammen Euklids repräsentieren aber auch Graphen mit ihren Beziehungsstrukturen Größen, die mit mathematischen Begriffen eindeutig und allgemein definiert sind. Und ähnlich, wie in Euklids Geometrie stellen sich auch in der Graphentheorie die problematischen Fragen der Repräsentation erst mit der praktischen Anwendung.

Wenn ein Diagramm als Bild etwas zeigt, indem es einen Blick des Zeichners repräsentiert, dann bleibt es noch übrig, den Zusammenhang zu erklären, der die Beziehungsstruktur, die das Diagramm sichtbar macht, den Blick des Zeichners und die abstrakte oder wahrnehmbare Wirklichkeit, auf die sich sein Blick richtet, miteinander verbindet. Dann erst kann klar werden, wie es zustande kommt, dass die sichtbare

51 Siehe Mahr, Velminski 2009, 87 - 102

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Abbildung 8: Zeichnung in Eulers Aufsatz »Solutio Problematis ad Geometriam Situs Pertinentis«, die die Lagebeziehungen von Gebieten (Grossbuchstaben) und Brücken (Kleinbuchstaben) des Königsberger Brückenproblems darstellt

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Beziehungsstruktur eines Diagramms trotz vorhandener Unschärfe und Unbestimmtheit etwas Bestimmtes repräsentiert. Eine Antwort auf die Frage nach diesem Zusammen-hang gibt das Modell des Modellseins.52

Nach dem im Modell des Modellseins explizierten Modellbegriff ist ein Gegenstand ein Modell, wenn er als Modell aufgefasst wird. Da grundsätzlich jeder Gegenstand als Modell aufgefasst werden kann, ist kein Gegenstand schon für sich ein Modell, sondern erst durch das Urteil eines Subjekts. Mit diesem Urteil wird ein Gegenstand in einer konkreten Situation dadurch zu einem Modell, dass ihn das urteilende Subjekt in einen konkreten oder gedachten Zusammenhang (Kontext) stellt, der ihn zum Modell macht. Wenn wir also in dem, was ein Diagramm repräsentiert, ein Modell sehen, dann entspricht die Beziehungsstruktur, die das Diagramm als Bild sehen lässt, dem als Modell aufgefassten Gegenstand, und der Blick, den das Diagramm repräsentiert, entspricht der Auffassung dieser Beziehungsstruktur als Modell. Die Subjektivität, die das Urteil des Modellseins dem Modellsein eines Gegenstands verleiht, löst sich in der allgemeinen Betrachtung dabei weitgehend auf, wenn man von den subjektiven Anteilen der Meinung, die zu diesem Urteil beitragen, möglichst weitgehend abstrahiert und stattdessen die akzeptablen Gründe in den Vordergrund stellt, die das Urteil rechtfer-tigen. Bei Diagrammen sind diese akzeptablen Gründe in der Logik der Repräsentation zu finden.

Dem Modell des Modellseins entsprechend macht ein Zusammenhang (Kontext) einen Gegenstand dann zum Modell, wenn dieser Gegenstand zwei Beziehungen miteinander verknüpft, die ihn einerseits zu einem Modell von etwas und andererseits zu einem Modell für etwas machen (Abb. 12). Die Beziehung, die den Gegenstand zu einem

52 Siehe hierzu Mahr 2008a und 2008b

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Abbildung 9: Der Graph der Lagebeziehungen von Gebieten in Königsberg

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Modell von etwas macht, resultiert dabei aus einer gedachten oder tatsächlich vollzogenen Handlung, in der der als Modell aufgefasste Gegenstand von einem Vorbild oder einer Beobachtung an etwas ausgehend als Modell gewählt oder hergestellt worden ist, während die Beziehung, die den Gegenstand zu einem Modell für etwas macht, aus einer als Möglichkeit gedachten oder tatsächlich vollzogenen Handlung resultiert, in der der als Modell aufgefasste Gegenstand als Vorbild oder Ausgangspunkt einer Beobachtung für die Wahl oder Herstellung von etwas fungiert.

Die Doppelrolle, die ein als Modell aufgefasster Gegenstand durch diese Verknüpfung der beiden Modellbeziehungen des von und für einnimmt, macht ihn zum Transporteur eines Cargo (χ ), der bei der Wahl des Gegenstands als Modell von etwas in ihm vorge-funden oder bei seiner Herstellung in ihn hineingearbeitet worden ist, und zwar im Allgemeinen in einer solchen Weise, dass dieser Cargo bei seiner Anwendung als Modell wieder herausgelöst werden kann. Durch diese Aufladung eines Gegenstands als Modell wird erklärbar, warum im Allgemeinen mit der Anwendung eines Modells die Erwartung verbunden wird, dass der als Modell aufgefasste Gegenstand etwas von dem, wovon er Modell ist, auf das überträgt, für das er Modell ist.

Tatsächlich hat die Beziehungsstruktur, die ein Diagramm als Bild sehen lässt, genau diese Doppelrolle: sie ist einerseits das Produkt einer von Vorbildern oder Beobachtungen geprägten Herstellung und andererseits Vorbild oder Ausgangspunkt einer möglichen Anwendung. Weil aber die Identität eines Gegenstands als Modell (μ ) wesentlich durch die Rolle bestimmt ist, die ihn zu einem Modell von etwas und zu-gleich für etwas macht, und weil wir in einem Gegenstand einerseits und in demselben Gegenstand als Modell andererseits etwas Verschiedenes sehen, ist auch das, was die Beziehungsstruktur eines Diagramms tatsächlich repräsentiert, nicht diese Beziehungs-struktur selbst, sondern diese Beziehungsstruktur, die der Zeichner des Diagramms als Modell versteht. Der Blick des Zeichners, den das Diagramm repräsentiert, ist damit die

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Abbildung 10: Ein Gegenstand M als Modell

Cargo

χvon für

trägt

A M B

istvon für

μModell

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Beziehungsstruktur als sichtbares Ergebnis seines Modellurteils. Damit wird aber auch das, was die Beziehungsstruktur eines Diagramms repräsentiert, zum Träger eines Cargo, der, so könnte man sagen, den vom Zeichner intendierten Inhalt des Diagramms darstellt. Dieser Inhalt ist aber von den beiden Modellbeziehungen abhängig, die das vom Zeichner beurteilte Modellsein der im Diagramm sichtbar gemachten Beziehungs-struktur begründen, weil die beiden Modellbeziehungen von dem Subjekt abhängig sind, das das Modellurteil fällt. Deshalb ist der Blick, den ein Diagramm repräsentiert, nicht der unvermittelte Blick des Zeichners auf eine gedachte oder wahrnehmbare äußere Wirklichkeit, sondern sein unvermittelter Blick auf die Beziehungsstruktur, die das Diagramm sichtbar macht, aber nicht auf die Beziehungsstruktur als Gegenstand für sich, sondern eben auf die Beziehungsstruktur als Modell. Die gedachte oder wahrnehmbare äußere Wirklichkeit, auf die sich das Diagramm bezieht, wird damit durch die Modellbeziehungen konstituiert, die die Beziehungsstruktur mit dem verbinden, wovon und wofür sie ein Modell ist. Die durch den Zeichner vermittelte Beziehungsstruktur steht deshalb also, so zeigt sich, nicht nur mit einer einzigen gedachten oder wahrnehmbaren Wirklichkeit in Verbindung, sondern grundsätzlich mit zweien: mit der Wirklichkeit, von der die Struktur ein Modell ist und mit der Wirk-lichkeit, für die sie ein Modell ist.

Mit dieser Analyse lassen sich nun aber auch die bisher noch nicht vollständig beantworteten Fragen nach dem Zusammenhang beantworten, der zwischen der sichtbaren Struktur, dem Blick des Zeichners und der dem Zeichner zugänglichen gedachten oder wahrnehmbaren Wirklichkeit besteht. Diesem Zusammenhang entspringt das, was ein Diagramm repräsentiert: Der Blick des Zeichners richtet sich auf die durch das Diagramm als Bild sichtbar gemachte Beziehungsstruktur. Das Diagramm repräsen-tiert diesen Blick als das Ergebnis eines Modellurteils, in dem der Zeichner diese Beziehungsstruktur als Modell sowohl von als auch für eine gedachte oder wahr-nehmbare Wirklichkeit beurteilt. In der Zeichnung des Diagramms war der Zeichner an die Beschränkungen des darstellenden Mediums gebunden. Er hatte andererseits Ge-staltungsspielräume, die es ihm ermöglichten, mit seiner Darstellung auf die im Kontext seines Zeichnens gedachten oder wahrgenommenen Wirklichkeiten und auf den Cargo zu verweisen, den der Gegenstand als Modell trägt. Für den Betrachter repräsentiert die im Diagramm als Bild sichtbar gemachte Beziehungsstruktur damit etwas Bestimmtes, nämlich den Blick des Zeichners auf diese Struktur als Modell. Das Diagramm tritt dem Betrachter also gleichsam als Stellvertreter des Zeichners entgegen und wird so selbst zu einem Akteur.

Wenn das Diagramm dem Betrachter das Ergebnis eines Modellurteils zeigt, dann wird auch der Betrachter im Blick auf das Beziehungsgeflecht des Diagramms selbst ein Modellurteil fällen. Die der Referenz zugeschriebene Unbestimmtheit erweist sich dann aber als eine Folge des Versuchs, das Modellurteil des Betrachters an das Modellurteil des Zeichners anzugleichen. Sie ist deshalb also nicht ein Merkmal der Repräsentation und auch nicht direkt eine Eigenschaft des Diagramms. Sie ist vielmehr der Tatsache geschuldet, dass das sichtbare Beziehungsgeflecht als Modell aus der Perspektive des Betrachters in einem eventuell nicht vollständig bekannten Verhältnis zu dem Modell steht, das der Zeichner in dem Geflecht gesehen hat. Weil Diagramme im praktischen Gebrauch aber durch diese Unbestimmtheit zu untauglichen epistemischen Objekten

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werden können, brauchen sie einen Interpretationskontext, in dem sie vom Zeichner und vom Betrachter in gleicher Weise gesehen werden. Euklids abstrakter Begriffsapparat der Geometrie ist ein solcher Kontext, die Beschriftungen am Diagramm des geozentrischen Weltbildes sind ein anderer solcher Kontext, und die Verwendung der Zeichnung der Königsberger Brücken in Eulers Beweisführung ist weiterer. Die Notwendigkeit eines solchen Interpretationskontexts für einen erfolgreichen Diagramm-gebrauch wird deshalb nicht selten als Konstituente mit dem Begriff des Diagramms selbst verbunden. Die Praxis der Diagramme ist jedoch in diesem Sinne ungebunden. Sie wird erst durch die Strenge diagrammatischer Methoden diszipliniert. (bm)

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b) Fotorealistische Bilder von Architekturmodellen: Modelle überzeugen und fesseln

Die ausschlaggebende Bedeutung des Interpretationskontextes wirft vor dem Hinter-grund der Studie von Michelangelos zweitem Holzmodell für St. Peter und der dort gemachten Beobachtung der Bedeutung der Materialität die Frage auf, welche Rezeptionseffekte durch andere Kontexte, Materialien und Medien in der Wahrnehmung eines Modells ausgelöst werden. Im Kontext der zentralen Bedeutung der etwa von Hans Belting für die Bildlektüre beschriebenen symbolischen Handlungen53 bei der Herste-llung von Bildern wäre zu unterstellen, dass man an einem großen Holzmodell deshalb ein weitestgehend abgeschlossenes Entwurfsstadium abliest, weil man die Aufwändig-keit seiner Herstellung ins Kalkül zieht. Vor diesem Hintergrund tritt nun das sehr junge Genre der fotorealistischen Bilder von Architekturmodellen ins Zentrum der Aufmerk-samkeit. Solche Bilder werden von spezialisierten Büros hergestellt, um auf Präsentatio-nen gezeigt zu werden.54 Sie sollen Bauherren und andere Entscheidungsträger für das Modell einnehmen, finanzielle Potentiale und politische Autorität auf sich ziehen und so auf die Errichtung eines Baues hinwirken. Die fotorealistische Anmutung der Bilder der Modelle wird dabei in diesen persuasiven Dienst gestellt. Die Frage, die sich vor dem Hintergrund der Studien an Michelangelos Modell für St. Peter stellte, richtete sich auf den Einfluss der „symbolischen Handlung“ des Fotografierens, die man dem Bild aufgrund seiner fotorealistischen Anmutung – allerdings kontrafaktisch – unterstellt.

Als prominentes Beispiel werden im Folgenden die aufwändigen digitalen Bildmon-tagen herangezogen, die durch das Büro Artefactory für Frank Gehry und sein Projekt des Beekman Tower hergestellt wurden (Abb. 13). Mit seinem Fotorealismus erscheint das hier gezeigte Bild als eine Beglaubigung im Sinne Roland Barthes, dass dasjenige, was man darauf sieht, tatsächlich zum Zeitpunkt der Aufnahme auch da gewesen sei.55 Da nun aber Kraft der dem Bild unterstellten symbolischen Handlung seiner Herstel-lung, „die Vergangenheit so gewiß [ist] wie die Gegenwart“,56 ergibt sich für die fotorea-listischen Bilder das Paradoxon, dass in ihnen die Zukunft so gewiss erscheint, wie die Gegenwart und sogar zur Vergangenheit wird. Das Bild ebnet vermittels der bildlichen Verschleifung des Unterschieds zwischen den fotografischen Daten und den CAD-Daten des Modells auf visuelle Weise den Unterschied zwischen Gegenwart und Zukunft ein. Mit dieser scheinbaren Bezwingung der Zukunft spielt das Bild eine wichtige Rolle in der Durchsetzung des Projekts, zunächst in Präsentationen vor dem mächtigen Bauherrn des Beekman Towers, Bruce Ratner, und seinem Unternehmen Forest City, aber auch in der Überzeugungsarbeit mit den Entscheidungsträgern der Stadtverwaltung, den Anrainern, die ihre Sicht und Sicherheit bedroht sehen, und schließlich mit einer breiteren Öffentlichkeit, die die Entwicklung der New Yorker Skyline aufmerksam verfolgt. Das Bild macht für alle diese Personen in spezifischer Weise beurteilbar, wir sich das neue Gebäude in den bestehenden architektonischen Kontext einfügen, wie er diesen verändern, ob und wie er diesen aufwerten wird. Dabei wird eine „im Werk

53 Belting 2007, 1554 Vgl.: Ullrich 200455 Barthes 1985, 9756 Barthes 1985, 97

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vermittelte Koexistenz heterogener Vorstellungen und Referenzen, Sinnbezüge und Imaginarien“ wirksam, die Klaus Krüger für die Bilder beschrieben hat.57

Je überzeugender das Bild ist, je stärker es seine Adressaten davon überzeugt, dass die Existenz eines solchen Gebäudes wünschenswert wäre, desto mehr verändert sich die Rollenverteilung zwischen dem Bild und dem Modell. Der Wunsch nach der Ausführung des Projekts wird ja ganz wesentlich durch den frappierenden Bildeffekt der fotorealisti-schen Präsenz hervorgerufen, weil man nach der Betrachtung des Bildes sagen könnte, dass der Tower im wirklichen Stadtbild fehlt. Weil die Entscheidungstragenden also den Eindruck haben können, durch das Bild nicht ein Modell, sondern ein Gebäude gesehen zu haben, dessen Existenz mit Barthes gesprochen ebenso gewiss ist, wie das der anderen Gebäude im Bild, werden sie davon ausgehen, eine vollständig konturierte Vorstellung davon zu haben, was auf dem betreffenden Bauplatz entstehen soll. Damit übernimmt das Bild von dem Modell, das es zeigt, die Rolle des Modells für das Gebäude. Diese Rollenverschiebung zwischen Bild und Modell wird durch die fotorealistische Verschleifung des Unterschieds zwischen Modell und realen Gebäuden begünstigt.

Als Modelle aufgefasste Bilder können die Zeigemittel des Bildlichen nutzen und so ihr Überzeugungspotential steigern. Dies kann zur Folge haben, dass das Bild selbst zum Modell wird.

57 Krüger 2007, 137

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Abbildung 11: Artefactory. Fotorealistisches Bild des Modells des Beekman Towers von Frank Gehry. Ansicht von Norden

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Sofern nun das von dem Bild gezeigte Modell durch die Entscheidungsträger zur Realisierung angenommen wird, also mit finanziellen, politischen und rechtlichen Potentialen und Autoritäten der Entscheidungsträger versehen wird, wird das Bildmodell bzw. Modellbild für den Architekten und sein Büro in hohem Maße verbindlich. Dieser Vorgang wurde im Zusammenhang mit Michelangelos Modell für St. Peter beschrieben. Da es sich bei diesem aber nicht um ein vergleichsweise vage gehaltenes, den Entwurf nur andeutendes Modell handelt, sondern um ein fotorealistisches Bild, so sehen sich die Architekten nach dessen Autorisierung mit einem sehr engen und zugleich höchst verbindlichen Rahmen für die Realisierung des Projekts konfrontiert. Horst Bredekamp hat von der „Fesselung der Denk- und Konstruktionspotentiale“ gesprochen, die von Modellen ausgehen kann,58 und seine Formulierung trifft hier den Kern des Vorganges. Es dürfte zu einem nicht geringen Teil dieser Fesselungskraft geschuldet sein, dass Bildmodelle bzw. Modellbilder wie das hier besprochene zu Einfallstoren des Bildlichen in die Architektur werden.

Der Hybrid aus Bild und Modell entfaltet hier zwei Wirkungen: zum einen wirkt er initiierend, indem er die Realisierung des Entwurfs durch seine Bildrhetorik begünstigt, zum anderen wirkt er fesselnd, indem er jede abweichende Form seiner Realisierung erschwert oder sogar juristisch verunmöglicht. Die beschränkende Wirkung ist der Preis für die initiierende Wirkung. Der Verlust der Gestaltungsfreiheit des Architekten ist der Preis für die persuasive und initiierende Macht des Modells. Der Gegenstand, der diese beiden Wirkungen entfaltet, ist ein und derselbe.

Das Bildmodell bzw. Modellbild zieht diese Potentiale und Autoritäten auf sich, koordiniert sie gewissermaßen und kristallisiert sie nach seinem Bilde. Erst diese Auffassung des Bildes als Modell verleiht dem Zusammenspiel aus Bild und Modell die Macht, die Realisierung des Gebäudes zu initiieren und die Denk- und Konstruktions-potentiale zugleich zu fesseln. Die Modellbilder oder Bildmodelle entfalten hier nicht nur eine Macht, die kontrolliert evoziert wird, sondern auch eine solche, die durchaus gegen die erfolgreiche Realisierung des Projekts gerichtet sein kann. Hier ist also ein weiterer Eigensinn der Modelle zu konstatieren, der sich den Intentionen nicht wider-standslos fügt, sondern seine eigenen, oftmals nicht zu kontrollierenden Wirkungen entfaltet. Auf einer Podiumsdiskussion anlässlich der Ausstellung »Generation Render. Mit Skizzen und/oder Computerentwürfen bis zur gebauten Wirklichkeit« am 12.11.08 in Wien wurde über Herstellung und Gebrauch fotorealistischer Bilder von Architektur-modellen zu Präsentationszwecken diskutiert und die Meinung geäußert, dass der Trend von solchen Bildern weggehe.59 Allzu gravierend sind die negativen Potentiale solcher Bild-Modell-Hybriden, allzu sehr vermögen sie es, die freien Denk- und Konstruktions-potentiale zu fesseln, ohne die eine qualitativ hochwertige Architektur kaum realisierbar scheint.

58 Bredekamp 200559 Dank an Helga Aichmaier für den Hinweis

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Diese gewissermaßen michelangeleske Ablehnung richtet sich gegen die spezifische mediale und materielle Verfasstheit von fotorealistischen Bildern von Architektur-modellen, die mit den Erfordernissen eines Entwurfsprozesses noch weniger vereinbar ist, als das harte Holz mit Michelangelos spielerischer Ermittlung der Form der Kuppel

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Abbildung 12: Beekman Tower von Frank Gehry, Frosch-perspektive

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von St. Peter. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, können diese Bilder Auskunft über im Entwurf befindliche Gegenstände geben. Deren Status ist schwer fassbar, weil sie als Geflecht von Skizzen, Daten, Bildern, materiellen Modellen und Vorstellungen fast chaotisch zwischen einer nur kognitiven und einer als probehalber aufgefassten materiellen Existenz pendeln.

Die vermeintliche Klarheit der fotorealistischen Bilder von Entwurfsmodellen bietet die Gelegenheit, das komplexe Verhältnis von Gegenwart und Zukunft solcher im Entwurf befindlicher Gegenstände zu erhellen. Hierzu sei ein weiteres der Bilder vom Beekman Tower herangezogen (Abb. 14). Wie bei dem zuerst besprochenen Bild wurden auch in dem hier gezeigten fotografische Daten und CAD-Daten so kombiniert, dass ein einheitlicher Eindruck entsteht, es sei eine reale Szenerie fotografiert worden. Vieles, was über das erste Bild gesagt wurde, trifft hier ebenfalls zu. Eine Besonderheit jedoch ist in dem Bildausschnitt zu sehen, den der Fotograf gewählt hat: Offenbar wurde dieser so gewählt, dass die Daten des CAD-Modells später dergestalt eingefügt werden konnten, dass sich der Beekman Tower etwa in der Bildmitte befindet. Der Fotograf hat also mit seiner Kamera auf ein Gebäude gehalten, das überhaupt nicht existiert, bzw. das nur als schwer fassbares Geflecht von Skizzen, Daten, Bildern, materiellen Modellen und Vorstellungen vorhanden ist. In dieser sehr spezifischen Handlung des Fotografen, seinen Fotoapparat gewissermaßen auf eine Idee zu richten, manifestiert sich ein Aspekt des komplexen und ambivalenten Status´ von Gegenständen, die sich im Entwurf befinden.

Ebenfalls lohnt ein näherer Blick auf die Rückenansicht der Frau in der linken unteren Bildecke. Mindestens zwei Interpretationsoptionen kommen hier in Frage: Die eine geht von der hypothetischen Annahme aus, dass die Frau absichtlich dort platziert worden ist, um mit der Betrachterin bzw. dem Betrachter des Bildes in den Bildraum hineinzublicken. In diesem Fall könnte man schließen, dass sie, wie die Fotografie selbst, die Existenz des Beekman Towers bezeugt. Die andere Interpretation geht von der Annahme aus, dass die Frau zum Beispiel auf den Bus wartet und ohne ihr Wissen abgelichtet worden ist. In diesem Fall wäre zu schließen, dass sie die Existenz des Beekman Towers nicht bezeugt, sondern möglicherweise dessen Abwesenheit. Stellt man sich vor, die Frau würdige den Tower keines Blickes mehr, weil sie sich bereits an seinen Anblick gewöhnt hat, so würde dies die Existenz des Turmes noch gewöhnlicher erscheinen lassen und ihn somit noch weiter in die Vergangenheit katapultieren. Diese Interpretation kann bei der Betrachtung des Bildes ein Gefühl erzeugen, das man als Tourist in den Strassen New Yorks des öfteren empfindet: dass man nämlich mit dem Kopf im Nacken ein Gebäude bewundert, dem die New Yorker keinerlei Aufmerksamkeit schenken. In beiden Fällen aber blickt die Frau gemeinsam mit der Betrachterin bzw. dem Betrachter in den Bildraum hinein und treibt damit die Differenz zwischen der Abwesenheit des Gebäudes im wirklichen Stadtbild von New York und seiner Anwesenheit im Bild auf die Spitze. Auch dies ist den Herstellern des Bildes bei Artefactory als Intention zu unterstellen.

In einem weiteren Bild kommt zu dem Spiel aus realweltlicher Ab- und fotogra-fischer Anwesenheit des Beekman Towers ein komplexes System aus weiteren Abwesen-heiten hinzu (Abb. 15). So erhoben sich bis zum 11. September 2001 knapp rechts der Bildmitte und links neben dem auch hier digital eingefügten Beekman Tower, die zwei

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Türme des World Trade Centers. Diese beiden Wolkenkratzer sind zwar aus dem realen Erscheinungsbild der Stadt, nicht aber aus den mentalen und materiellen Bildern verschwunden. Im unwillkürlichen Abgleich der Darstellung von Gehry mit diesen Bildern ergibt sich die Empfindung des Fehlens der Doppeltürme des World Trade Centers.

Diese Empfindung ist bei denjenigen Bewohnerinnen und Bewohnern von New York besonders stark ausgeprägt, die nicht nur mit der bildlichen, sondern auch mit der körperlichen Anwesenheit der Türme vertraut waren, ein Umstand, der auf die meisten Entscheidungsträger im Projekt des Beekman Tower zutrifft. Dies bedeutet, dass Abbildung 15 bei diesen Personen das genannte Verlustempfinden intensiv und zuver-lässig hervorrufen dürfte. Anders als bei der Schrägansicht des Beekman Towers von unten (Abb. 14), hat der Fotograf nicht nur den Ort eines noch nicht anwesenden

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Abbildung 13: Beekman Tower von Frank Gehry, Blick von Osten

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Gebäudes fotografisch erfasst, sondern zudem den Ort von nicht mehr anwesenden Gebäuden. Im Kontext der Abwesenheit der Twin Towers erscheint der Beekman Tower als eine Art Kompensation des Verlustes des World Trade Centers.

Zugleich, da ja für Ground Zero neue Modelle von Daniel Libeskind und David Childs vorliegen, die sich derzeit in der Realisierung befinden, zeigt das Bild an der selben Stelle auch den Ort von anderen noch nicht anwesenden Gebäuden. Und drittens zeigt es – wieder an der selben Stelle – den Ort von geplanten, aber nicht zur Realisierung autorisierten Gebäuden, etwa von Norman Foster und Richard Meier, denen ja nicht wenige Menschen nachtrauern sollen. Alle diese Gebäude bzw. Modelle kann man bei der Betrachtung des Bildes aufrufen, in Gedanken in den hellblauen Morgenhimmel projizieren, in Beziehung zum Beekman Tower setzen und Spekulationen über ihr architektonisches Zusammenspiel anstellen.

Natürlich existierte auch der Beekman Tower zum Zeitpunkt der fotografischen Aufnahme nicht, aber er ist als einziger mit einer visuellen Präsenz im Bild vertreten. Das Bild bietet so ein Spektrum von verschieden charakterisierten An- und Abwesen-heiten auf, exponiert es zum Studium und fordert unsere Beschreibungs- und Reflexionsfähigkeit heraus. Von besonderem Interesse scheint mir zu sein, dass sich die Situationen der nicht mehr und der noch nicht vorhandenen Gebäude aus der Perspek-tive ihrer Modelle und Bilder kaum oder gar nicht voneinander unterscheiden. Der Sprache ist dieser Sachverhalt bekannt, sie hat einen und denselben Ausdruck für das

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Abbildung 14: Herzog & de Meuron. Wohnturm Leonard Street.

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nicht mehr und das noch nicht vorhandene, das Wort „einst“. Einst standen dort die Twin Towers, einst wird dort der Freedom Tower stehen.

Ein weiteres Bild ergänzt den Reigen verschieden charakterisierter An- und Abwesenheiten noch (Abb. 16). Es zeigt, ähnlich wie die zuvor besprochenen Bilder, einen geplanten Wohnturm, diesmal stammt der Entwurf von Herzog & de Meuron. Wieder wurden Foto- und CAD-Daten kombiniert, wenn auch in einer anderen Art und Weise, die zwar ihrerseits interessant ist, jedoch nicht für den vorliegenden Zusam-menhang. Im vorliegenden Kontext ist es vielmehr aufschlussreich, auf die Gebäude am linken Bildrand zu achten, insbesondere auf jenes, dessen oberstes Geschoß eine hohe Arkadenreihe aufweist. Bei diesem handelt es sich, ein glücklicher Zufall, um jenes Haus, das direkt neben dem Bauplatz des Beekman Towers steht. Würde der Beekman Tower bereits existieren, wie es die hier diskutierten Bilder so überzeugend nahelegen, so müsste er auf dem Bild von Herzog & de Meuron zu sehen sein. Für einen Betrachter, der die hier diskutierten Bilder von Gehrys Beekman Tower kennt, fehlt dieser am linken Rand des Bildes von Herzog & de Meuron. Obwohl die beiden Blicke in die Zukunft, die wir hier sehen, sich überschneiden, wissen sie doch nichts voneinander.

Mit großer Deutlichkeit konturiert sich hier vor unseren Augen, wie Modelle und die Bilder von ihnen Vorstellungen zu formen vermögen, die wir als Entwürfe anzusprechen gewohnt sind. Es handelt sich manchmal um vorgefundene, hier aber sehr gezielt auf ihre Rolle hin gestaltete Gegenstände, die wir auf eine ganz bestimmte Weise, eben als Modell ansehen und auffassen, und mithilfe derer wir eine letztlich beliebig detailreiche Vorstellung von einem Gegenstand bilden, den es nicht gibt. An den Bildern formen wir ein Bild einer möglichen zukünftigen Welt. Dass diese Zukünfte von den Elementen der Gegenwart, aus denen sie und ihre Bilder hervorgehen, nicht unabhängig sind, zeigt sich derzeit an den geplanten Gebäuden in New York mit besonderer Deutlichkeit. Wie überall auf der Welt müssen auch hier vor dem Hintergrund der Finanzkrise die „Blicke in die Zukunft“ nocheinmal überprüft werden.60 Verschwindet das finanzielle Potential, das die Modelle auf sich ziehen und dem sie eine Form verleihen, so verlieren sie ihr Potential als Akteur. Die präzisen fotorealistischen Blicke in die Zukunft werden zu Bildern von Utopien.

In bestimmte Zusammenhänge eingebettet, attrahieren Modelle die Potentiale und Autoritäten von Personen und Gegenständen, bündeln, koordinieren, formen und lenken sie. Werden die Modelle solchen Zusammenhängen aber entzogen, generieren sie nurmehr geringe eigene Potentiale und Autorität. Das aktive Potential der Modelle erweist sich hier vor allem als das Vermögen der Attraktion, des Bündelns, Koordinie-rens, Formens und Lenkens von Aufmerksamkeit, Autoritäten und Potentialen. (rw)

60 „Alle „'Blicke in die Zukunft' müssten nun überprüft werden.“ Der Vizegouverneur von Petersburg über die Entscheidung den Gazprom Tower nicht zu bauen. Zit. nach Zekri 2008, 13

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3. Modelle tragen und übertragen Wissen

Wenn Modelle überzeugen, dann fesseln sie auch, nicht nur den Architekten an seinen Entwurf, sondern auch den Wissenschaftler an sein Theorem, den Philosophen an seine Theorie oder die Gesellschaft an ihr politisches System. Die überzeugenden Modelle attrahieren die Autoritäten, bündeln sie und strahlen sie wieder aus. Sie ermöglichen dadurch etwas, zum Beispiel die Errichtung von Bauwerken, wissenschaftliche Kontinuität oder gesellschaftlichen Zusammenhalt, nicht zuletzt weil sie verunmög-lichen, dass sich ein anderer Entwurf durchsetzt, dass sich eine andere wissenschaft-liche Ansicht oder ein anderes politisches Systems entfalten kann. Das freie, spielerische Vortasten im Entwurf, die Erweiterung der Grenzen der Wissenschaft oder die ungehemmte politische Entwicklung der Gesellschaft werden zugunsten einer Konzentration der Potentiale und Autoritäten unterbunden.61 Dabei ist es die konkrete Lebenssituation des einzelnen Subjekts, die ihm entweder die Stärkung der Macht, die Schärfung, Härtung, Klärung von Modellen, ihren Grenzen, Begriffen usw. wünschens-wert, bisweilen sogar unentbehrlich erscheinen lässt, oder aber deren Schwächung, Aus -serkraftsetzung und Dekonstruktion. Was hier dem einen ein Halt ist, ist dem anderen eine Fessel.

a) Radiolarien, geodätische Dome und Makromoleküle:Modelle vermitteln und informieren

Es ist bekannt, dass Ernst Haeckels Zeichnungen von Quallen, Radiolarien und dergleichen zu Modellen für Architekturen, Möbel und sonstige Objekte aus dem Bereich des Kunsthandwerks und des Design gemacht wurden (Abb. 17).62 Für diese Rolle waren sie von vorneherein gedacht, wie Haeckel mehrfach betont: „Die moderne Bildende Kunst und das moderne, mächtig emporgeblühte Kunstgewerbe werden in diesen wahren 'Kunstformen der Natur' eine reiche Fülle neuer und schöner Motive finden.“63 Dass die den Zeichnungen zugedachte Rolle als Modell von den Künstlern vielfach realisiert wurde, zeigt sich zum Beispiel an René Binets Tor der Pariser Welt-ausstellung von 1900, das ausdrücklich auf Haeckels Beobachtungen bezogen ist (Abb. 18). In einem Brief Binets an Haeckel von 1899 heisst es: „Derzeit bin ich mit der Realisierung des Monumentaleinganges der Ausstellung für das Jahr 1900 beschäftigt

61 Vgl. das Konzept des Leviathan von Thomas Hobbes, das den Verzicht des Einzelnen auf Macht und Freiheut zugunsten des Souveräns als Grundlage eines jeden Staatsgebildes anschreibt. Das Bild spielt hier die zentrale Rolle als Kristallisationsobjekt. Vgl. Bredekamp 1999

62 Vgl. etwa: Breidbach, Proctor 200763 Haeckel 2004, 4

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und alles, von der allgemeinen Komposition bis zu den kleinsten Details, ist von Ihren Studien inspiriert.“64 Man könnte sagen, dass es die Modellbeziehung ist, die den Transfer von Formen aus der Natur in die Architektur und Gestaltung bewerkstelligte, also als eine Brücke von der Natur in die Kunst erzeugte.

Bei dieser Modellbeziehung ist der Sachverhalt von Bedeutung, dass Binet nicht die Radiolarien selbst, sondern vielmehr Ernst Haeckels Darstellung von diesen zum Modell genommen hatte. Dies ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil sich in Haeckels Bildern unübersehbar ein gewisser Stil beobachten lässt, der nicht den mikroskopierten Gegenständen, sondern der ästhetischen und künstlerischen Prägung Haeckels und seiner Zeit zuzurechnen ist. Zwar merkt Haeckel an, sich „auf die naturgetreue Wieder-gabe der wirklich vorhandenen Naturerzeugnisse beschränkt“ zu haben und „von einer stilistischen Modellierung und dekorativen Verwertung abgesehen“ zu haben65 – dieses wolle er den bildenden Künstlern selbst überlassen.

Und dennoch, trotz dieses so eindeutigen Bekenntnisses zur naturgetreuen Wiedergabe, sind seine Tafeln farblich und in der Anordnung der Elemente, vor allem aber hinsicht-lich der auffälligen Makellosigkeit der dargestellten Objekte beredte Zeugnisse eben jener „stilistischen Modellierung“,66 die Haeckel abstreitet.67 Es bedurfte dieses bereini-

64 René Binet an Haeckel, 21. März 1899, zit. nach: Breidbach 1998, 1565 Haeckel 2004, 466 Der Ausdruck „stilistische Modellierung“ ist hier vermutlich gleichbedeutend mit einer Umformung

nach Maßgabe eines Darstellungsstils.67 Zur Debatte der Stilisierung der Bilder Hackels vgl. Ditzen 2008, 174-175; Ditzen 2009; Breidbach

1998, 11; ders. 2005, 123-126

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Abbildung 15: Tafel 14 der Kunstformen der Natur von Ernst Haeckel

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genden Zwischenschrittes, um die Formenwelt der Radiolarien, Quallen, Muscheln usw. als Modelle für die Gestaltung von Gebäuden, Möbeln und anderen Produkten zu erschließen. Wir haben es hier also nicht nur mit einer, sondern mit zwei Modellbe-ziehungen zu tun: die Radiolarien wurden von Haeckel zu Modellen für seine Beobach -tungen und Zeichnungen gemacht, und diese Darstellungen dann von Binet zu Modellen für sein Tor der Weltausstellung. Die Modellbeziehungen bilden erst eine Brücke aus dem Naturreich ins Bild, und dann aus dem Bereich der wissenschaftlichen Darstellung in die Architektur.

Stellt man eine Darstellung eines Radiolariums von Haeckel neben ein Bild des Expo Domes der Weltausstellung von 1967 in Montreal von R. Buckminster Fuller (Abb. 19), so scheint auf den ersten Blick eine ähnliche Modellbeziehung zu bestehen, wie bei Binets Tor der Weltausstellung von 1900 in Paris. Einem oberflächlichen Blick mag es so scheinen, als seien mit Binets Tor und Fullers Dom zwei der berühmtesten Bauten, die anlässlich von Weltausstellungen errichtet wurden, nach dem Modell der Bilder von Ernst Haeckel gestaltet worden. In einem Vortrag aus dem Jahre 1963 stellte Fuller jedoch fest: „Das Bild der Radiolaria ist seit hundert Jahren verfügbar, aber ich hatte es nicht gesehen, bevor ich die geodätischen Strukturen hergestellt hatte, die sich aus den mathematischen Entwicklungsreihen ergaben, wie ich sie Ihnen vorgestellt habe. Anders gesagt habe ich die strukturellen Muster der Natur nicht kopiert. Ich mache keine zufällige Anordnung aus oberflächlichen Gründen.“68 Diesen letzten Satz wird man als einen Seitenhieb auf die Jugendstilarchitekturen à la Binet verstehen können, die im Vergleich zu Fullers Vorgehen als bloße Spielart des Eklektizismus erscheinen. Vor diesem Hintergrund dürfte es Fuller wichtig gewesen sein, den durch die Ähnlichkeit

68 Fuller 1964, 59, zit. nach Krausse, Lichtenstein 2000, 444

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Abbildung 16: Robert Binets Tor der Pariser Weltausstellung von 1900

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zwischen seinen geodätischen Domen und den Radiolarien evozierten Eindruck zu entkräften, Fuller habe sich in seinen Entwürfen einer oberflächlichen Modellbeziehung zu den Mikroorganismen bedient. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Fuller überhaupt keine Modellbeziehungen zwischen Radiolarien und geodätischen Strukturen sah. In ihren Ähnlichkeiten fand er vielmehr einen Hinweis auf ein allgemeineres Modell, das beiden Strukturbildungen zugrundliege.

Was ihn an den Radiolarien wirklich interessiere, so Fuller, sei „die Tatsache, dass sie offenkundig bestätigen, dass ich das mathematische Koordinatensystem [coordinate mathematical system] gefunden habe, das im Bauen der Natur [nature´s structuring] verwendet wird.“69 Auf diese Weise setzt Fuller die direkte Modellbeziehung seiner Gebäude zu den Radiolarien ausser Kraft, um beide anschließend auf ein mathema-tisches Modell zu beziehen. Er suspendiert die formale Ähnlichkeit zugunsten einer indirekten Modellbeziehung, jener, die die „Natur“ verwendet, und jener, die er selbst in seinen mathematischen Forschungen erzeugt hatte. Fuller verweist hier darauf, dass die Ähnlichkeit zwischen Radiolarien und seinen geodätischen Formen nicht als eine auf die oberflächliche Erscheinung bezogene Modellbeziehung zu verstehen ist, sondern dass das „coordinate mathematical system“ ein Modell für seine geometrischen Simulationen war und die Ähnlichkeiten mit den Radiolarien daher als Beleg dafür gesehen werden könnten, dass die Natur ihre Strukturen auf ähnliche Weise generiere. „Ich begann damit, Strukturen zu erforschen und im rein mathematischen Prinzip zu entwickeln, aus dem die prinzipiellen Muster auftauchen, die sich von selbst ganz

69 Fuller 1964, 59, zit. nach Krausse, Lichtenstein 2000, 444

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Abbildung 17: Fullers Dom auf der Weltausstellung 1967 in Montreal

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prinzipiell entwickeln.“70 Diese auffallende Betonung der aus eigenem Antrieb sich ergebenden Strukturierung dient ihrer rhetorischen Parallelisierung mit „nature´s structuring“ und damit dem Hinweis auf ein beiden Prozessen zugrundliegendes Modell. Die aus seiner Anwendung erzeugten Formen wandte Fuller dann auf seine architekto-nischen Entwürfe an: „Dann nahm ich diese so entwickelten Strukturprinzipien als physische Formen wahr und wandte sie zu gegebener Zeit auf praktische Aufgaben an. Das Wiederauftauchen dieser Strukturen auf verschiedenen Ebenen wissenschaftlicher Forschungsergebnisse aus jüngster Zeit sind reiner Zufall – aber ein aufregender bestätigender Zufall.“71

Fuller bezieht sich in diesem letzten Satz nicht auf neuere Forschung an Radiolarien, sondern auf eine disziplinäre Kooperation mit Kristallographen, die zum Zeitpunkt des Vortrages in vollem Gange war: Der Pop-Art-Künstler John McHale, der 1962 ein Buch über Fuller veröffentlichen sollte,72 hatte 1959 bei der Lektüre einer Zeitung eine starke Ähnlichkeit zwischen den Darstellungen von Modellen vermuteter molekular Hüllen-strukturen (Kapside) von Virengenomen und Fullers geodätischen Domen entdeckt (Abb. 20).73 McHale unterstellte offenbar die Möglichkeit, dass es für die Wissenschaftler fruchtbar sein könnte, Fullers Bauten als Modelle für das Verständnis der Kapsidstruk-turen zu benutzen, d.h. die Dome so anzusehen, als ob sie Kapside seien oder Ähnlichkeit mit ihnen aufwiesen. McHale organisierte ein Treffen zwischen Fuller und den Physikern Aaron Klug und John Finch in London74 und stellte damit eine Basis her, auf der später eine Modellbeziehung aufgebaut werden konnte.

70 Fuller 1964, 59, zit. nach Krausse, Lichtenstein 2000, 44471 Fuller 1964, 59, zit. nach Krausse, Lichtenstein 2000, 44472 McHale 196273 Morgan, 2004, 25, ders. 2006, 128874 Morgan verweist auf: Marks 1960, 44

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Abbildung 18: Zwei Darstellungen aus Observer vom 21.06.1959, die McHale gesehen haben könnte

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Von dem genannten Treffen existieren vermutlich keine Aufzeichnungen,75 Fuller notierte später lediglich, sich in der Jahreszahl irrend: „In 1957 [sic] Klug asked if I could identify the geodesic-like protein shell of the polio virus. I was able to give him the mathematical explanation of the structuring.“76 McHale schickte ein unveröffent-lichtes Manuskript Fullers mit dem Titel »Energetic/Synergetic Geometry« an Klug, das zahlreiche Abbildungen geodätischer Dome enthielt. Durch McHales Hinweis wurden Klug und der Biologe Donald Caspar auf das soeben, 1960, erschienene Buch „The Dymaxion World of Buckminster Fuller“ von Fullers Mitarbeiter Robert Marks aufmerk-sam. »On separate sides of the Atlantic, Klug and Caspar read it and, more importantly, examined the images of geodesic domes as possible models for the arrangement of the subunits of viral shells.«77 Caspar schrieb an seinen Kollegen Klug: „In retrospect, I expect you will find it surprising that you did not recognize how well Fuller´s geodesic structures do, in fact, represent virus structure.“78

Auch hier, wie schon bei McHales Beobachtung, ist es zuerst allein die oberfläch -liche Ähnlichkeit, die zu prüfen nahelegt, ob sich die geodätischen Dome nicht als Modelle zur Erklärung der Struktur der Kapside eigneten. Dem Aufbau einer fruchtbaren Modellbeziehung und Modellauffassung geht also bisweilen die so oft aus dem wissenschaftlichen Methodenkanon ausgegrenzte Wahrnehmung äusserlicher, ober-flächlicher Ähnlichkeit voran. Hier sind es vor allem die Bilder, in Büchern oder der Zeitung, und die persönliche Kontaktaufnahme, die die Auffassung der geodätischen Dome und der Tensegrity-Strukturen als Modelle der Kapsidstrukturen vorbereitet und fundiert haben. In ihrem frühen Stadium handelte es sich dabei noch um sehr offene Modellbeziehungen, die zunächst nur zu dem Zweck angenommen wurden, zu prüfen, ob und bis zu welchem Grad sich eine stabilere, wissenschaftlich fundiertere Modellbeziehungen aufbauen lassen könnte. Erst durch die stetige Beschäftigung mit dieser Beziehung wurde klar, dass sie fruchtbar war, und später auch, wo sie ihre Grenzen hatte.

Dass die Dome sich als Modelle von Kapsiden eigneten, erwies sich an einer Reihe von Beobachtungen, die direkt an den Domen abgelesen werden konnten, wenn man sie als Modelle von Kapsiden auffasste. So erkannte Klug zum Beispiel nach der Lektüre von „The Dymaxion World of Buckminster Fuller“, dass die geodätischen Dome aufgrund von ähnlich einfachen Regeln aufgebaut werden konnten, wie sie auch für die Bildung der Kapside gefordert wurden. So hatte bereits Francis Crick formuliert: „Virus assembly should be simple enough that even a child could do it.“ 79 Fuller hatte 1957 im afghanischen Kabul einen geodätischen Dom von rund 30 Metern Durchmesser von ungelernten Arbeitern innerhalb von 48 Stunden errichten lassen (Abb. 21). „Directed only by one Geodesic engineer, the Afghans fastened blue-ended dome parts to other parts whose ends were blue. Red ends were matched to red ends. And forty-eight hours after the arrival of the air shipment, the Afghans found that they had erected a great dome. A stranger, ambling innocently into Kabul, might have concluded

75 Morgan 2004, 2776 Fuller 1969, 104, vgl. Urner 1991, zit. nach Morgan 2004, 2777 Morgan 2006, 128978 Brief von Caspar an Klug vom 18. November 1960, Norman Archive, zit. nach Morgan 2004, 2979 Zitiert nach Morgan 2004, 30

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that the Afghans were the most skilled craftsmen.“80 Die Arbeiter, und dieser Punkt war für Klug von besonderen Interesse, orientierten sich allein an einem einfachen Farbsystem, aus dem hervorging, welche Teile miteinander zu verbinden waren. „Presumably viruses also might assemble by 'following' simple building rules. Caspar and Klug toyed with a similar simple scheme for the viral binding rule: If you label each triangular subunit´s three edges, 1, 2 and 3, then 3 bonds only whith 3, 1 bonds 2, and 2 bonds 1, reflecting the analogous specific bond types between protein subunits.“ 81

Wie diese Ausführungen zeigen, nahmen sich Caspar und Klug nicht nur den geodätischen Dom von Kabul in seiner materiellen Präsenz und Verfasstheit als Modell, sondern auch den Vorgang seiner Errichtung durch ungelernte Arbeiter nach einem durch Fuller erdachten signaletischen Farbsystem. In den Kräften der Arbeiter, die durch das Farbsystem gesteuert wurden, sahen die Physiker ein Modell der elektrostati-schen Kräfte und Regeln der Anziehung und Abstoßung, in denen man die Ursache der Bildung der Kapsidstrukturen vermutete. Was in jedem anderen Zusammenhang als unseriöse Gleichsetzung verurteilt worden wäre, nämlich die körperlichen, durch eine Signaletik gelenkten Kräfte von Menschen mit den elektrostatischen Kräften von Atomen und Molekülen zu vergleichen, wird im Kontext der anspruchsvollen mathemati-

80 Zung 2001, vgl. Gorman 2005, 127 und 14681 Morgan 2004, 30

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Abbildung 19: USA Pavillion von Buckminster Fuller, Kabul 1956

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schen Strukturen Buckminster Fullers und der wissenschaftlichen Modellauffassung Caspars und Klugs zu einer fruchtbaren Option.

Diese Modellbeziehung zwischen den Domen und den Kapsiden initiierte ein neuartiges Theorem: die Quasi-Äquivalenz.82 An den Fullerschen Domen konnte abgelesen werden, dass die Kuppeln, zwar aus ähnlichen, aber nicht aus äquivalenten geometrischen Einheiten bestehen. Von diesem Sachverhalt wurde aus der Architektur der Schluss in die Molekularbiologie gezogen, dass auch hier die bis dahin gültigen, strengen Regeln mathematischer Äquivalenz ausser Kraft zu setzen sein müssten. Wie an den Fuller-schen Domen, so mussten auch die Einheiten, aus denen sich die Kapsidstrukturen bilden, in ihrer jeweiligen Form leicht variieren. „Molecular structures constructed from identical parts are not built to conform to exact mathematical concepts; rather, they must satisfy the condition that the system be in a minimum energy configuration and this may be realized by quasi-symmetric packing arrangements.“83 Die Betrachtung der Fullerschen Dome lieferte für diese Erkenntnis einen entscheidenden Hinweis.

Eine weitere, mit dieser nicht ganz deckungsgleiche Modellbeziehung stellten Caspar und Klug zu den sogenannten tensegrity structures her, die zwar im allgemeinen mit Fuller allein in Zusammenhang gebracht werden, die aber letztlich auf eine Zusammenarbeit mit Kenneth Snelson zurückgehen (Abb. 23).84 Tensegrity structures bestehen zum Beispiel aus Stäben und Seilen, die Druck- und Zugkräfte sowohl ausüben, als auch symbolisieren. Die tensegrity-structures verdeutlichen, wie aus dem Gefüge solcher Elemente stabile dreidimensionale Strukturen errichtet werden können. „Zug und Druck arbeiten sich im antagonistischen Ausgleich und in regelmäßigen

82 Caspar, Klug 196283 Caspar 1980, 10484 Harris 2002, 160. Obwohl Fuller vermutlich das Wort „tensegrity“ geprägt hatte, geht doch die

Entdeckung auf Snelson zurück, der sich durch Fullers Aneignung übergangen fühlte.

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Abbildung 20: Transmissions-Elektronen-mikroskopische Aufnahme (TEM) und schematische Darstellung eines »Sulfolobus turreted icosahedral virus (STIV)

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Phasen in eine wachsende Dimension hinein.“85 Im molekularbiologischen Zusammen-hang konnte diese Konstruktion mit der Abstoßung und Anziehung der Atome in Beziehung gesetzt werden. Ähnlich wie in den ungelernten Arbeitern und der Farbsignaletik konnte hier ein anspruchsvolles Modell für die Bildung von Molekülen genutzt werden.

Die aus der Sicht Klugs und Caspars vorgefundenen Modelle,86 die geodätischen Dome und die tensegrity structures, sind nicht im Hinblick auf eine molekularbiologische epistemische Fruchtbarkeit hin entwickelt worden, wie dies etwa bei dem DNS-Modell von Watson und Crick der Fall war.87 Sie wurden nicht im Kontext der Wissenschaft und von Physikern und Chemikern, sondern im Kontext der Architektur und Skulptur von Architekten und Künstlern entwickelt. Sie weisen daher Eigenschaften auf, die im Kontext des Designs wichtig oder von Interesse sind. Fuller und Snelson verfügten über andere Fähigkeiten und verfolgten andere Ziele als die Physiker. Kein Molekularbiologe wäre auf die Idee gekommen, Modelle von 30 Metern Durchmesser von ungelernten Arbeitern bauen zu lassen, nur um herauszufinden, ob man daran vielleicht etwas Förderliches würde beobachten können. Folglich hätten sich ihnen auch die zahlreichen Phänomene, die bei einem solchen Bauwerk und seiner Errichtung auftreten, nicht zu ihrer epistemischen Nutzung angeboten. Gerade die Fremdheit der Zielsetzung Fullers wurde hier für die Erforschung der Kapsidstrukturen fruchtbar. In Fuller hatten Klug und

85 Krausse, Lichtenstein 2000, 40186 Zum Vergleich mit den Ready-mades im Bereich der modernen Kunst vgl. Wendler 2008 b

87 Vgl. Wendler 2008a

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Abbildung 21: Kenneth Snelson: Achtzehn Meter hohe tensegrity structure: der Needle Tower, 1968, Needle Hirshhorn Museum & Sculpture Garden, Washington, D.C.

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Caspar gewissermaßen den weltweit führenden molekularbiologischen Modellbauer.Die beiden Physiker stellten natürlich ihrerseits Modelle her, wie dies seit Linus

Pauling, spätestens aber mit Watson und Crick im Bereich der Biochemie und Kristallo-graphie verbreitet und anerkannt war. In die Herstellung der Modelle, die sie für ihr berühmtes Cold Spring Harbour Paper von 1962 anfertigten, bezogen sie die geodä-tischen Strukturen ebenso ein wie die tensegrity structures. Am 12. März 1962 schrieb Caspar an Klug: „It is clear to me that our models for the virus shells are tensegrity structures.“88 An diesem Punkt begannen sich die Grenzen der Fruchtbarkeit des Modells allmählich abzuzeichnen: „Klug ackowledged the applicability of the analogy between viruses and tensegrity structures, but cautioned Caspar on the limits oft its fruitfulness. [...] However, Caspar continued to be intrigued by Fuller´s ideas and built new more complex tensegrity inspired models. This model building delayed their manuscript writing.“89

Abgesehen davon, dass hier Modelle aufgrund ihrer Anziehungskraft als Hemmnisse in Aktion treten, wird deutlich, dass die geodätischen Dome und tensegrity structures nur einige wenige der Modelle sind, die Klug und Caspar auch vorher schon hergestellt und benutzt haben. Zieht man ins Kalkül, dass Fuller selbst mit einer unüberschau-baren Vielzahl von Modellen gearbeitet hat, so wird deutlich, dass sich in den geodätischen Domen und den tensegrity structures die Modellverflechtungen90 der Architektur Fullers und der biochemischen Forschungen Klugs und Caspars punktuell überschneiden. In den Gebäuden und Skulpturen besitzen die beiden Modellverflech-tungen sozusagen gemeinsame topologische Knoten. Über diese Knoten wurde das Wissen, das in der Fullerschen Modellverflechtung erzeugt und getragen worden war, entlang der Für-Beziehung des Modells in die molekularbiologische Modellverflechtung übertragen (deduziert). Die Modelle treten hier als Vermittler auf, die zwei Forschungs-gebiete miteinander verbinden können.

Die Übertragung in die Gegenrichtung, aus der Virologie in Fullers Forschungen war weniger fruchtbar und es wäre ein ausserordentlicher Zufall gewesen, wenn dies anders gewesen wäre. So berichten Krausse und Lichtenstein: „Fuller arbeitete vom geomet-rischen Prinzip ausgehend, nicht als Kopist der natürlichen Formen. Aus der Reihung von Dreiecken und Tetraedern stiess er auf Helix-Zyklen von je zehn dreifach gebun-denen Tetraederzellen. Bei gleichsinniger Drehung nisten sie ineinander, und Tetrahelix-Stränge aus Clustern von fünf Tetraedern um die transversale Achse halten unter Spannung zusammen, federn aber auseinander, sobald die Spannung nachlässt. Fuller hatte 1962 versucht, damit eine geometrisch-theoretische Erklärung für den Repli-kationsmechanismus der DNA-Doppelhelix zu liefern.“91 So liess sich zwar Wissen aus Fuller geometrischen Forschungen in die Erforschung molekularer Strukturen übertra-gen, aber es war weder fruchtbar, die Moleküle als Modelle für geodätische Strukturen zu benutzen, noch scheint es möglich gewesen zu sein, biochemische Forschungen im geodätischen Forschungsbereich weiterzuführen.

88 Zitiert nach: Morgan 2004, 3489 Morgan 2004, 34. Die Caspar-Klug-Theorie wurde vom selben Schicksal ereilt, wie Watsons und Cricks

DNS-Modell: mit der fortschreitenden Forschung wurde deutlich, dass die Modelle erheblich ergänzt und verfeinert, teilweise sogar negiert werden mussten (vgl. Fuller 1996). Mit den Worten Lichtenbergs, kommen solche Modelle in die „Rumpelkammer“ (vgl. Kap. 4b))

90 Wendler 2008b, Kap. 2b91 Krausse, Lichtenstein 2000, 461

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Dennoch wird an der Geschichte um Fuller, Caspar und Klug deutlich, dass die Herstellung einer Modellbeziehung von großer wissenschaftlicher Bedeutung sein kann. Dem Pop-Art-Künstler McHale, der die Beziehung zwischen den geodätischen Domen und den molekularen Strukturen als erster herstellte, gebührt daher ebenso ein Platz in der Geschichte der molekularen Zellbiologie, wie Caspar, Klug und Fuller. (rw)

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b) Der Expo 67 Dome und die Buckminsterfullerene: Modelle bestätigen und popularisieren

Die Modellbeziehung der Molekularbiologie zu Fullers Bauten war nun zwar einmal hergestellt, doch sie wurde in dem Moment wieder abgebrochen, als man von Fullers Domen als Modelle nichts substantielles mehr lernen konnte, oder die Untersuchungen zu aufwändig bzw. zu abseitig gewesen wären. Sicherlich wurde Fullers Werk nach weiteren Hinweisen untersucht, so, wie man in der Bibliothek auch rechts und links des Buches schaut, wegen dem man an das Regal getreten war. Da von dort keine weiteren Impulse zu erwarten waren, liess man die Modellbeziehung ruhen. Fuller versuchte sich zwar, wie erwähnt, um eine geodätische Erklärung der Teilung des DNS-Stranges und Caspar liess sich offenbar von den Fullerschen Ideen zum Basteln von Modellen anregen, eine weitere substantielle Zusammenarbeit erschien aber offenbar für beide Seiten nicht zentral genug, weshalb die Modellbeziehung abgebrochen wurde.92 Übrig blieb eine erinnerte oder ruhende Modellbeziehungen, die dadurch charakterisiert ist, dass man selbst oder eine andere Person in der Vergangenheit einen Gegenstand als Modell aufgefasst und genutzt hat, und man sich dessen erinnert. So bleibt Michelangelos Modell für St. Peter auch dann noch ein Modell, wenn es nicht als Modell für die Bauarbeiten dient. Als eine solche erinnerte oder ruhende Modell -beziehungen jedoch besaß die Beziehung zwischen den Domen und den Kapsiden bald nurmehr musealen Charakter.

Das Potential der Fullerschen Dome als Modelle für die Erforschung molekularer Strukturen war jedoch noch nicht erschöpft. Sie konnten lediglich für die konkrete Fragestellung von Caspar und Klug keine Impulse mehr geben, sehr wohl aber für die Frage nach der Struktur der neu entdeckten C60-Atome, die um 1985 mit aller Virulenz auftauchte. Wie der Physiker Harold Walter Kroto sich erinnerte „setzte das Rätsel um eine schlüssige Erklärung der Struktur unserer Beobachtung eine ständige Diskussion in Gang. Am Montag, den 9. September wurde sie besonders intensiv, und wir kamen alle zu dem Schluß, daß C60 so etwas wie ein sphärischer Käfig sein müsse. [...] In mir weckte diese Idee lebhafte Erinnerungen an Buckminster Fullers geodätische Kuppel auf der Weltausstellung 1967 in Montreal. Ich wußte noch genau, wie ich 18 Jahre zuvor im Innern dieser unglaublichen Konstruktion herumgelaufen war. Ich schob damals meinen kleinen Sohn im Kinderwagen über die Rampen und Rolltreppen bis hoch hinaus über die Ausstellungsgegenstände, ganz nahe an dieses filigrane hexagonale Netzwerk aus Streben, aus denen das ganze Gefüge scheinbar ausschließ-lich zusammengesetzt war. Die Erfahrung hatte in mir einen Eindruck hinterlassen, der mich nie wieder loslassen sollte. Über die Jahre hinweg sammelte ich etliche Foto-grafien der Kuppel, besonders beeindruckend waren die aus meinem meistgeliebten Magazin über grafische Kunst und Design Graphics. Wie ich die Bilder aus Graphics in Erinnerung hatte, bestand die Kuppel aus einer Unzahl von Streben, die zu Sechsecken

92 "Wir brauchen sie als Modelle nur so lange, wie wir eben noch keine volle Kenntnis dessen haben, wofür sie stehen." Rheinberger 2005, 73

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miteinander verbunden waren. Mir kam der Gedanke, daß Buckminster Fullers Kuppel vielleicht einen entscheidenden Hinweis zur Lösung unseres Rätsels um C 60 enthalten könnte. Als ich dies Smalley gegenüber erwähnte, der selbst eine Art von Maschendraht-Käfig im Sinn hatte, schlug er vor, uns ein Buch über Fuller aus der Bibliothek zu besor -gen.“93 Bei diesem Buch handelte es sich, wie schon bei Aaron Caspar über 20 Jahre zuvor, um Robert Marks´ „The Dymaxion World of Buckminster Fuller“. Und wie schon bei Caspar und Klug, so stand auch hier am Beginn der Herstellung der Modell-beziehung zwischen der Chemie und Fullers Domen die Feststellung einer oberfläch-lichen Ähnlichkeit.

Wie vermutlich alle mit der Bestimmung von Molekülstrukturen befassten Wissen-schaftler seit Linus Pauling und Watson und Crick, so arbeitete auch Kroto und sein Team mit Modellen, die teilweise selbst gebastelt wurden, zum größten Teil jedoch aus bis dahin bereits industriell hergestellten Modellbauteilen bestanden. Zu diesen Modellen trat nun zunächst Fullers Expo Dome von 1967, in Form der Erinnerung eines eigenen Besuches und der Fotos, die Kroto gesammelt hatte, später auch Bilder weiterer Bauten Fullers, die Kroto aus Marks´ Buch entnahm. Aufgrund dieser Ereignisse gab Kroto den C60-Atomen den Namen „Buckminsterfullerene“. Etwa zeit-gleich begann Kroto, ein Pappmodell des Sternenhimmels, das er Jahre zuvor für seine Kinder gebastelt hatte, als Modell von C60 aufzufassen. Und schließlich trat ein drittes Modell hinzu, wieder von ausserhalb der Sphäre der Naturwissenschaften: „Dann fanden wir heraus, daß die C60-Struktur, die wir im Kopf hatten, genau die Form eines Fußballs hat.“94 Diese drei Gegenstände, die Dome, das Pappmodell des Sternenhim-

93 Kroto 1996, 59-60. Kursivsetzung original94 Kroto 1996, 63

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Abbildung 22: Buckminsterfulleren

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mels und der Fussball, stellen jedoch keineswegs die einzigen und auch nicht die wichtigsten Modelle im Experimentalsystem der Gruppe um Kroto dar. Wie Kroto berichtet, wurden diese vorgefundenen, forschungsfremden Modelle herangezogen, als bereits eine Hypothese über die Struktur vorhanden war. Die Modelle dienten zum Vergleich, zur Kristallisation und zur Bestätigung eines bereits an anderen Modellen entwickelten Gedankens bzw. Modells. Betrachtet man die aussergewöhnliche Populari-tät der „Buckyballs“, so scheint es, als seien die forschungsfremden Modelle der Fullerschen Dome und des Fussballs weitaus weniger Initiatoren einer Erkenntnis – wie bei Caspar und Klug – als vielmehr Multiplikatoren und Popularisierer gewesen. Im Kontext der Modellbeziehung zu den geodätischen Domen und zu der Berühmtheit Buckminster Fullers gewannen die ohnehin symbolträchtigen C60-Atome einen Namen und eine Bedeutung, die, neben der Ähnlichkeit mit einem Fußball, maßgeblich an ihrer Popularität beteiligt waren. Harold Walter Kroto, Richard Smalley und Robert Floyd Curl erhielten 1996 für die Entdeckung des C60-Moleküls den Nobelpreis für Physik.

Im Blick auf die Modelle ist von großer Bedeutung, dass sowohl Fuller als auch Caspar, Klug, Kroto, Smalley und Curl intensiv mit Modellen gearbeitet haben. Fuller dachte, arbeitete, übte und demonstrierte intensiv mit Modellen und seine Dome waren schon für ihn selbst modellhafte Instantiierungen gedanklicher Zusammenhänge, materielle Gebilde also, die sich am Modell eines „coordinate mathematical system“ orientierten und dieses zum Zwecke zukünftiger Anwendungen sichtbar machten. Ebenso stellt das Basteln von Modellen in der Erforschung molekularer Strukturen eine stetig ausgeübte, aber bis heute unterschätzte Forschungstätigkeit dar, wie Rheinbund anmerkt. "Es ist erstaunlicherweise bis heute wissenschaftstheoretisch wenig zur Kenntnis genommen worden, welche Rolle der Umgang mit Modellbauteilen etwa bei der Ausarbeitung der alpha-Restrukturier der Proteine durch Linus Pauling und der DNA-Doppelhelix durch Watson und Crick spielte. Solche Modell nehmen die Stelle von Experimenten ein, wo der Vergleich zwischen unterschiedlichen Experimentalrepräsenta-t ionen nicht oder noch nicht möglich ist."95 So geben etwa einige Bemerkungen von Kroto Hinweise auf die alltägliche epistemische Verwendung von Modellen: „Ich erinnere mich noch lebhaft an den Tag, als sich alle meine Zweifel in Luft auflösten. Ich saß an meinem Schreibtisch und grübelte darüber nach, warum C60 stabil sein könnte. Das letzte und entscheidende Stück meines ganz persönlichen Puzzles stellte sich als so einfach heraus, daß es fast einem Kinderspiel glich. Tatsächlich entwickelte es sich aus dem Herumspielen mit molekularen Modellen verschiedener möglicher Käfige.“96 Oder an anderer Stelle: „Eines Sonntagnachmittags, als daheim der Couchtisch mal wieder mit Molekülmodellen übersät war, beschloß ich, andere mögliche Fulleren-Strukturen zu untersuchen.“97 Aus den Erinnerungen von Molekularbiologen können solche und ähnliche Zitate zu hunderten entnommen werden, etwa bei Linus Pauling, John Kendrew oder Watson und Crick.98 Die Intensität der Benutzung von Modellen dürfte bei Fuller und den Molekularbiologen vergleichbar sein.

Vor dem Hintergrund der enormen Schwierigkeiten bei der Suche nach einer Erklärung einer unbekannten Molekülstruktur scheint es ebenso verständlich wie üblich

95 Rheinberger 1992, 3096 Kroto 1996, 6797 Kroto 1996, 6998 Vgl. Wendler 2008a, Chadarevian 2004

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zu sein, nicht nur im engen Bereich der eigenen Forschung nach möglichen Modellen zu suchen, sondern vielmehr die gesamte Umgebung nach ihnen abzusuchen. Wären Klug, Caspar und Smalley nicht auf der Suche nach Denkanstößen, nach Modellen in ihrer alltäglichen Lebenswelt gewesen und hätten sie nicht auch ausserhalb des ihnen disziplinär zuhandenen Modellfundus´ gesucht, so hätte sich das epistemische Potential der geodätischen Strukturen für sie nicht entfalten können. Selbstauskünfte von Molekularbiologen legen die Vermutung nahe, dass es in diesem Forschungsgebiet durchaus zu den üblichen epistemischen Praktiken zählt, Gegenstände der Alltagswelt nach ihrer Eignung als Modell für molekularbiologische Fragestellungen abzusuchen. Folglich sind solche Modellauffassungen wie die hier diskutierten nicht die Ausnahme, sondern die Regel, wenngleich die weitaus meisten dieser Beziehungen bereits nach wenigen Überlegungen wieder abgebrochen werden. Hier scheint sich eine Art Selektion der Modellbeziehungen abzuzeichnen, die natürlich weitgehend anderen Regeln und Einflüssen unterworfen ist als ihr biologisches Original. Insgesamt kann man wohl behaupten, dass die fruchtbarsten Modellbeziehungen es bis in die wissenschaftlichen Papers oder sogar die Namensgebung von Molekülen schaffen, während andere sofort nach ihrer Etablierung wieder abgebrochen werden. So wenig bewusst man sich diese hochgradig vorläufigen Modellbeziehungen auch macht, und so sehr man sie bei der Abfassung der wissenschaftlichen Papers auch ausblenden mag, so wenig ist doch zu bezweifeln, dass sie zu den alltäglichen Praktiken bei der Erforschung molekularer Strukturen zählen. (rw)

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4. Modelle befreien und beschränken die Vorstellung

Modelle können die Phantasie entfesseln, und sie können sie in ihre Bahnen zwingen. Beide Vermögen der Modelle können – je nach Kontext – erwünscht oder unerwünscht sein. So wird man in der künstlerischen, bisweilen auch der wissenschaftlichen Ideenfindung eher das die Phantasie entfesselnde Potential der Modelle zu nutzen versuchen, während zum Beispiel im Kontext des Unterrichts das Interesse im Vordergrund stehen wird, dass sich die Bildung von Gedanken bei den Lernenden möglichst nach Maßgabe der Lehrmodelle vollziehen soll. Würde ein Modell die Phantasie der Lernenden entfesseln, wäre dies in einem vergleichbaren Maße unliebsam, wie ein Modell, das einen Künstler oder Wissenschaftler bei seiner Ideenfindung immer wieder in denselben fruchtlosen Gedankengang zwingen würde. Im Gebrauch der Modelle muss daher auf dasjenige geachtet werden, das in der Reflexion eines Gegenstandes unter den Bedingungen der Modellauffassung denkbar wird.

a) Isamu Noguchis Sculpture to be seen form Mars:Modelle formen mentale Bilder

Im Jahre 1947, zwei Jahre nach dem Abwurf amerikanischer Atombomben über Hiroshima und Nagasaki, fertigte der japanische Bildhauer Isamu Noguchi eine Skulptur mit dem Namen „Memorial to Man“, die er kurz darauf unbenannte in „Sculpture to be seen from Mars“ (Abb. 25). Die nicht erhaltene Skulptur bestand aus Sand, sie wurde von dem Künstler Soichi Sunami fotografiert und ist allein in Form seiner hier dargestellten Fotografie überliefert. Das Foto setzt die Sandskulptur in ein scharfes Streiflicht, das von links hereinfällt, und ein in den Sand modelliertes Gesicht deutlich hervortreten lässt. Der Holzkasten, in dem sich die Skulptur befand, ist im Bild nicht zu sehen, er verbleibt ausserhalb des Bildausschnittes und damit auch ausserhalb des zur Interpretation angebotenen visuellen Materials. Dies erleichtert es, in Sunamis Bild einen Blick aus dem Weltraum auf eine Planetenoberfläche zu imaginieren, wie dies insbesondere von Fotografien der Mondoberfläche bekannt ist, bei denen ebenfalls ein scharfes Streiflicht die Oberflächenstrukturen klar hervortreten lässt. Das Gesicht erscheint so, als handele es sich um eine große künstliche Landschaftsformation, wie Noguchi sie in den Monumenten der amerikanischen Ureinwohner studierte und selbst realisierte.

„Sculpture to be seen form Mars“ ist Noguchis künstlerische Reaktion auf die

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Atombombenabwürfe auf sein Heimatland zwei Jahre zuvor. Mit dem Werk präsentiert er ein Modell für eine riesenhafte Skulptur, die die Menschheit noch vor der atomaren Zerstörung realisierten könnte. Das Foto von dem Modell nimmt den atomaren Overkill gewissermaßen vorweg, indem es, gemäß dem zweiten Titel, einen teleskopischen Blick vom Mars auf eine verwüstete, leblose Erdoberfläche fingiert, auf der sich mit dem Gesicht eine letzte Spur der ausgelöschten menschlichen Zivilisation darbietet.

Das Wort „(unrealized)“, das oftmals hinter den Titel von „Sculpture to be seen from Mars“ gesetzt wird, wirft die Frage auf, ob es sich dabei nur um das Modell für das eigentliche Werk, oder um ein als Modell aufzufassendes Werk handelt. Zwei Gründe sprechen für die zweite Option: zum einen ist der Mars unbewohnt, folglich gibt es auch keine Blicke vom Mars, die die gezeigte Landschaftsformation erfassen könnten. Auch die bemannte Raumfahrt begann 1947 erst einmal vom Mond, nicht aber auch schon vom Mars zu träumen, sodass auch ein menschlicher Beobachter ausscheidet. Zweitens müsste eine Skulptur, die vom Mars aus selbst mit einem Teleskop von der Stärke des Hubble-Teleskops zu sehen wäre, hunderte Kilometer groß sein, sodass ihre Realisierung utopisch erscheint. Fällt also, wie diese beiden Gründe nahelegen, die Möglichkeit aus, dass „Sculpture to be seen from Mars“ als Modell für ein eigentliches Werk gedacht war, so drängt sich die zweite Möglichkeit auf: Das Werk realisiert sich nicht erst mit der Errichtung eines Bauwerks, sondern bereits indem man die Skulptur als Modell auffasst

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Abbildung 23: Isamu Noguchi, Sculpture to be seen from Mars, Sand, 30x30 cm, 1947. Foto von Soichi Sunami (1885-1971)

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und sich nach dessen Maßgabe und nach der Logik der Modelle ein Vorstellungsbild formt. Dies bedeutet, dass das visuelle Material im Angesicht der „Sculpture to be seen from Mars“ als Modell für eine Vorstellung, nicht für ein Bauwerk dient. Und dies wiederum bedeutet, dass zur Realisierung von Noguchis Werk die Modellauffassung notwendig ist, dass sein Werk mit der Modellauffassung rechnet und auf diese hin konzipiert ist. Wie Noguchis Werk »Lunar Landscape« von 1943 – 1944, »it asks to be considered intellectually an imaginatively rather than as a model for a real place.«99

Aus diesem Grund lässt sich an „Sculpture to be seen from Mars“ gut nachvoll-ziehen, in welcher Art und Weise hier werkseitige und betrachterseitige Einflüsse in der Auffassung zusammenwirken und welche Ergebnisse dies zeitigt. Nimmt man allein Sunamis Bild und den Titel „Sculpture to be seen from Mars“, so ergibt sich im unwillkürlichen Versuch, die visuellen Informationen mit dem Titel in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen und sich so „ein Bild zu machen“, sofort die Möglichkeit, das gezeigte Werk als Modell aufzufassen. Dies wird durch den Ausdruck „to be“ im Titel unterstützt, der auf einen Sollzustand, also einen in der Zukunft liegenden Punkt verweist, wie dies auch viele Modelle tun. Die Modellauffassung liegt zudem nahe, weil Noguchi vielfach sehr große Skulpturen projektiert und zum Teil auch umgesetzt hat, und sich daher in seinem Werk zahlreiche Gegenstände in der Rolle eines Modells befinden.

Fasst man nun also die Skulptur als Modell für eine Landschaftsarchitektur auf, die vom Mars aus zu sehen sein soll, wie der Titel es nahelegt, so tritt Sunamis Bild bei der Vorstellungsbildung assistierend hinzu: es zeigt das Modell so, als sei dieses bereits in einem riesigen Monument realisiert und werde aus dem Weltraum betrachtet. Ganz ähnlich wie bei den fotorealistischen Bildern von Architekturmodellen, die im ersten Kapitel beschrieben wurden, nimmt auch hier das Foto die Umsetzung des Modells vorweg. Der Unterschied zu den Bildern von Gehry liegt darin, dass Noguchis Modell überhaupt nicht auf eine Realisierung im Architektonischen zielt, sondern nur im Vorstellungsbild. Gehrys Bilder zielen ebenfalls auf die Formung mentaler Bilder, diese dienen aber nur dazu, die Realisierung des realen Gebäudes zu begünstigen. Bei Noguchis „Sculpture to be seen from Mars“ zielt das Modell, und auch das Bild von diesem, allein auf die Formung eines mentalen Bildes. Noguchi errichtet sein Mahnmal des atomaren Overkills nicht auf dem festen Boden der Erdoberfläche, sondern in der Vorstellung der Betrachter.

Insbesondere durch die Nennung des Mars im Titel ruft Noguchi einen reichhaltigen Fundus mentaler Bilder auf und bindet sie in die Logik des Modells ein. So schien der Mars seit 1877 und Giovanni Schiaparellis Beobachtung und Kartierung von langen gerade Linien auf seiner Oberfläche die erste Adresse bei der Suche nach einer intel-ligenten außerirdischen Zivilisation.100 Durch Schiaparellis und später Percival Lowells Beobachtungen der Marskanäle entstand eine regelrechte „mars canal mania“,101 die in einer langen Reihe utopischer Romane und Filme über eine der unseren technisch und/oder moralisch überlegene Schwesterzivilisation gipfelte. Die Existenz der Marskanäle wurde erst durch Fotos der Sonde Mariner 4 im Jahre 1965 zweifelsfrei widerlegt,

99 Fletcher 2005, 81, vgl. 170f.100 Vgl. Wendler 2008c

101 Lane 2006

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sodass davon auszugehen ist, dass zum Zeitpunkt der Erschaffung der „Sculpture to be seen from Mars“ im Jahre 1947 das Faszinosum der Marskanalbilder wenigstens in Anklängen noch in die Interpretation des Werkes einfließen musste.102 Wie Percival Lowell lange behauptete und sogar mit Fotografien zu belegen versuchte, handele es sich bei den langen geraden Linien auf der Marsoberfläche um gigantische Kanäle, die von einer technischen hochentwickelten Zivilisation gebaut worden seien, um Wasser von den Polkappen in die ariden Äquatorialregionen zu transportieren. Es wurde sogar darüber spekuliert, dass die Marsianer den Kampf gegen den Wassermangel schließlich verloren hätten und untergegangen seien, sodaß die Kanäle als eine Art Mahnmal zu verstehen seien. Andere Spekulationen gingen davon aus, dass die Marsianer noch lebten und unsere Zivilisation längst mit Teleskopen beobachteten. Diesem Blick entgegenkommend wollte man mittels künstlichen Abschmelzens der Polkappen mit den Marsianern in Kommunikation treten. Es liegt nahe, diese und ähnliche Utopien in den Kontext der Herstellung und Lektüre von „Sculpture to be seen from Mars“ zu stellen und sie als eine verwandte Bemühung um Kommunikation zu interpretieren.

Die Aufbietung solcher und anderer Vorstellungen als Interpretationshilfen von Noguchis Werk und Sunamis Foto führt dazu, dass die Betrachterin bzw. der Betrachter den Blickpunkt eines Marsianers einnimmt, der auf die verwüstete Erde blickt und dort als einziges Zeugnis einer vergangenen Kultur ein Gesicht in Form einer riesenhaften Geländeskulptur erblickt. Wolfgang Hogrebe hat darauf verwiesen, dass eine solche Art der Vorstellungsbildung an einem Kunstwerk zu einem zentralen Merkmal der autonomen Kunst der Moderne gehört: „Wer autonomer Kunst begegnet, muss beseelen können wie die Kinder, die mit ihren hölzernen Puppen sprechen. Wer in diesem Sinne nicht animieren kann, für den bleibt die moderne Kunst tot. Solche animierenden Energien können schon im Wahrnehmen, im Hören und Sehen wirksam sein“103 Im Falle der „Sculpture to be seen from Mars“ gehört zu dem, was die Betrachterin bzw. der Betrachter einzubringen hat, zum einen die Logik, die sich durch die Auffassung der Skulptur als Modell ergibt, und zum anderen etwa die Kenntnis teleskopischer Mondfotografien, der Mythen über Marsianer und indianischer Grabmonumente. Alle diese mentalen Bilder werden direkt vom Bild oder dem Titel angesprochen. Eine Ausnahme bildet der Kontext des atomaren Overkills, der sich aus keinem werkseitigen Aspekt aufrufen lässt, der aber für die Interpretation des Werkes zentral ist. Es wäre zu vermuten, dass dieser Kontext 1947 so allgegenwärtig war, dass Noguchis Werk auch ohne weitere Hinweise in ihn hineingestellt worden war.

Im Hinblick auf die genannten Vorstellungsbilder ist es ebenso verblüffend wie aufschlussreich, dass sich in einem Comic von Jack Kirby namens „Race for the Moon“ von 1958 eine Episode befindet, die den Titel trägt: „The Face on Mars“ (Abb. 26). Bei der Erkundung des Mars findet sich in dieser Geschichte ein riesenhaftes steinernes Gesicht. Ein Astronaut dringt durch eine der beiden leeren Augenhöhlen ins Innere vor, wo er Zeuge eines Kriegs der Welten wird, in dem zunächst die Marsianer fast völlig vernichtet werden, bevor sie in einem letzten, finalen Gegenschlag den Feind und dessen Planeten vernichten, der sich zwischen Mars und Jupiter befunden hatte. Das

102 Die Saga des angeblich am zweiten Juli 1947 bei Roswell abgestürzte Ausserirdischen ist eine spätere Konstruktion und weder für die Herstellung noch für die Interpretation des Werks relevant.

103 Hogrebe 2006, 182, vgl. auch Stafford 2007

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Erlebnis des Astronauten im Inneren des Gesichts entpuppt sich dann als eine durch Gase evozierte Halluzination, die einer Filmvorführung in einem Museum gleicht. Im Abflug von dem, übrigens durch Kanäle überzogenen Mars, berichtet die Hauptfigur: „In that statue is a visual history of a race´s heroic death -- and the triumph of a surviving memory!“104

Die Entsprechungen zu „Sculpture to be seen from Mars“ sind so zahlreich, dass man kaum umhinzukommen scheint, anzunehmen, dass Kirby Noguchis Werk gekannt und zum Modell für seinen Comic gemacht haben muss. Doch auch hier, wie etwa bei den Radiolarien und Fullers Domen, könnte es sich wieder um eine indirekte Modellbeziehung handeln. Beide Werke, Skulptur und Comic, stehen im Kontext des Krieges (des Zweiten Weltkrieges und des Kalten Krieges) und der Drohung einer Auslöschung der Menschheit.

Diese Drohung im Kontext mit einer ausserirdischen Zivilisation zu verhandeln, wie

104 http://kirbymuseum.org/catalogue/view.php?pp=4078&pg=5 (Dezember 2008)

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Abbildung 24: Jack Kirby, The Race to the Moon, Episode "The Face on Mars", 1958

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Noguchi und Kirby dies tun, ist keineswegs neu oder ungewöhnlich. Es bleibt die Kongruenz in der Skulptur eines menschlichen Gesichts, die auf eine direkte Modellbeziehung zu verweisen scheint, doch auch diese Kongruenz kann durchaus andere Gründe haben. Menschliche Gesichter wurden auch in anderen Kontexten zur Kommunikation zwischen verschiedenen Zivilisationen projektiert. So berichtet Florian Sprenger von Versuchen, unterirdische Atommüllendlager so zu kennzeichnen, dass spätere Zivilisationen von der Gefährlichkeit des Ortes unterrichtet werden.105 Unter den zahlreichen verschiedenen Ansätzen wurde auch darüber diskutiert, ein nach dem Muster von Munchs Bild „Der Schrei“ gebildetes menschliches Gesicht zu verwenden. Gesichter dürften zu denjenigen Zeichnen zählen, die für eine menschliche Zivilisation die wenigsten Kontextelemente benötigt, um erkannt zu werden. Das menschliche Gesicht als fundamentales Zeichen zu benutzen, das zivilisationsübergreifend zu kommunizieren imstande ist, liegt also nahe genug, dass Noguchi und Kirby unabhängig voneinander darauf gestoßen sein könnten.

Ein weiteres Bild macht deutlich, wie autonom solche Figurationen sein können. Aus zahlreichen Fotos, welche die Viking-1-Sonde 1976 von der Marsoberfläche aufnahm, veröffentlichte die NASA am 31.07.1976 ausgerechnet jenes, das scheinbar ein riesiges Bauwerk in Form eines Gesichtes zu zeigen scheint (Abb. 27). Es dürfte sich um eine durchdachte Lancierung gehandelt haben, mit der sich zuverlässig die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Mission ziehen liess. Von Interesse im vorliegenden Zusammenhang ist nun, welcher mentale Bilderfundus bei der Interpretation des Bildes aufgerufen wurde, oder, um die Terminologie Hogrebes zu verwenden, auf welche Weise man das Bild „animiert“ oder „beseelt“ hat. Im Kontext des zuvor Gesagten wird unmittelbar deutlich, dass man den gesichtsförmigen Berg als das letzte Monument einer untergegangenen Zivilisation ansah, mit dem diese Zeugnis ihrer Existenz und ein Mahnmal ihres Untergangs abgelegten hätten.

Das Bild von Viking ruft ein mentales Material zur Interpretation des Bildes auf, das demjenigen bei „Sculpture to be seen from Mars“ und Kirbys „Face on Mars“ weitge-hend entspricht. Unterstellt man zwischen diesen drei Bildern eine direkte Modellbezie-hung, so gerät man in die Logik der Verschwörungstheorien und solchen Fragen wie „What did Kirby know?“ Einfacher und erfolgversprechender ist es, monumentale Gesichter im Kontext interplanetarischer Kommunikation als derart naheliegend aufzu-fassen, dass verschiedene Autoren sich ihrer bedienten und auch das Viking-Foto aus genau diesem Grund ausgewählt und der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Noguchi, Kirby, das Endlagerprojekt und die NASA konnten dabei darauf zählen, dass die Öffentlichkeit ihre Werke stets auf eine vergleichbare Weise „animierte“ und „beseelte“.

Die Bilder nehmen auf diese Animierung und Beseelung Einfluss, sie steuern sie, indem sie ganz bestimmte mentale Bildervorräte adressieren, die die Betrachterinnen und Betrachter dann mit einer vielleicht überraschenden Zuverlässigkeit aufrufen. Das Ergebnis ist wiederum ein Bild, aber weder nur ein materielles, eine imago, noch eine reine imaginatio, sondern das Produkt einer größeren Menge von Einflüssen, die sowohl vom Bild, als auch vom Betrachter ausgehen. Vom Bild stammt zunächst einmal nur ein visueller Datenfluss, den man aber im normalen Zustand nicht wahrnehmen kann, weil die Daten sofort zum Gegenstand eines kognitiven Prozesses werden, in dem „man sich

105 Sprenger 2008

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ein Bild macht“. Dabei dient das Bild nicht nur als einmaliger ursprünglicher Anstoß eines ansonsten kognitiven Prozesses, sondern immer wieder als Gegenüber, als Gegenstand, an den sich Fragen oder Hypothesen richten, die durch das Bild verändert zurückgespiegelt werden. Dabei entstehen schließlich Bilder, die Tisseron vom nur Visu-ellen unterscheidet: „Bilder, die wir aktiv aus dem Stoff unseres Blicks oder unseres Ge-dankens erzeugen, heben sich vom Visuellen ab.“106

Fragt man nach den Prozessen, die bei der Verfertigung dieser Bilder ablaufen, so wird man eine große Vielfalt an unterschiedlichen Vorgängen zu registrieren haben. Bei Noguchis „Sculpture to be seen from Mars“ kann jedoch konstatiert werden, dass die Betrachterin bzw. der Betrachter geradezu unwillkürlich das epistemische Muster der Modellauffassung aufruft und so die Logik des Modells in diesen Prozess einschaltet. Mit der Modellauffassung kann damit ein konkretes Funktionselement unter vielen anderen benannt und beschrieben werden, das bei der Bildinterpretation bzw. -produktion eine Rolle spielen kann. Die Modellauffassung schreibt dieser Bildinterpre-tation bzw. -produktion einige ihrer Wege vor. Bei Noguchis Modell etwa stößt sie, neben Sunamis Fotografie, die bewusst kontrafaktische Haltung an, die gezeigte Struktur als eine hunderte Kilometer große, nur aus dem Weltraum vollständig sichtbare Gelände-skulptur wahrzunehmen. Diese Wahrnehmung wird vorgeprägt durch die Erfahrung mit anderen Modellen, insbesondere Architekturmodellen, die als Muster für sehr viel

106 Tisseron 1997, 158, zit. nach Belting 2007, 19

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Abbildung 25: Aufnahme der Viking-1-Sonde von 1976

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größere Bauten dienen. Der Werktitel steuert einen vagen Begriff davon bei, wie groß man sich die Geländeskulptur in etwa vorstellen habe, für die Noguchis Skulptur das Modell sei. Mit diesem Werk haben wir ein gutes Beispiel dafür, wie Modelle mentale Bilder formen können. Welche unerhörten Formen diese Bilder annehmen können, wird das nächste Kapitel andeuten. (rw)

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b) Lichtenbergs Auffassung des Saturn als Modell:Modelle entfalten Räume des Denkbaren

Spätestens seit Anaximander, vermutlich aber schon sehr viel länger, machen sich Menschen mithilfe von Modellen ein Bild vom Kosmos. Mit dem Aufkommen neuer mathematischer Methoden oder optischer Hilfsmittel erzwangen die neuen Einsichten die Umformung dieser Modelle. Am Beispiel der Beobachtung des Saturn zwischen Galilei und Huygens lässt sich eine instabile Phase studieren, in dem ein unklarer teleskopischer Befund mit einer größeren Menge von Modellen konfrontiert wurde, ohne dass sich eine stabile Beziehung zwischen beiden hätte bilden können. Aufgrund seiner im Sonnensystem einzigartigen Gestalt wechselte er in den Okularen der ersten, schwachen Teleskope anscheinend fortwährend sein unscharfes Aussehen. Besaß er, wie Galilei vermutete, zwei Trabanten? Besaß er zwei Henkel? Um welche Art von Körper handelte es sich?

Abbildung 28 zeigt eine Art Bildtableau, in dem Christian Huygens 1659 die bis dahin vorgeschlagenen Beobachtungen und Deutungsversuche zusammenstellte. Huygens Tafel, die er selbst „tabella“ nennt,107 stellt ein Studienobjekt par excellence zum Thema der teleskopischen Beobachtung und Bildfindung dar. In ihm zeichnet sich die allmähliche Verbesserung der Teleskope ebenso ab, wie die formende Rolle der optischen Artefakte und der Phantasie im Angesicht unklarer Strukturen. So lässt etwa Figur 10 vermuten, dass hier ein optisches Artefakt zu der dargestellten Wahrnehmung geführt hat, während Figur 11 stärker phantastischen bzw. hypothetischen Charakter aufzuweisen scheint. Figur 13 scheint sich stärker auf ältere Beobachtungen von Galilei (1) und Riccioli (8) zu beziehen und diese zu kompilieren, als dass sie als eine reine Wiedergabe einer Beobachtung beschrieben werden könnte. Die Bilder befinden sich allesamt in einer Grauzone zwischen der Darstellung dessen, was gesehen wurde, und dessen, was man wusste.

Huygens war der erste, dem es gelang, den Saturn so zu beschreiben, wie wir dies heute angesichts der Bilder der Voyager-Sonden und des Hubble-Teleskops auch tun würden: eine Kugel, die von einem flachen Ring umgeben ist (Abb. 29). Beobachtungen und Modelle gelangten hier in ein bis heute stabiles Verhältnis zu zueinander und haben sich vielfach gegenseitig bestätigt. Doch dies bedeutete keineswegs, dass Huygens Be-obachtungen die Spekulationen um den Saturn beendet und durch eine rationale Sicht ersetzt hätten. Durch seine außergewöhnliche, bis heute höchst bemerkenswerte Struktur und die jahrtausendealten mythischen Deutungstraditionen,108 die den Saturn zum Gegenstand hatten, trieb er vielmehr neue Spekulationen hervor. Um eine von diesen, vielleicht die bemerkenswerteste, wird es im folgenden Abschnitt gehen.

107 Huygens 1659, 35108 Klibansky, Panofsky, Saxl 1990

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So findet sich im Nachlass von Georg Christoph Lichtenberg eine Notiz, in der sich das Potential der Modelle mit aller Deutlichkeit zeigt, Räume des Denkbaren zu entfalten. Lichtenberg notierte: "Ich bin einmal auf den Einfall gekommen, ob nicht Saturn, der mehr wir ein zerbrochenes Orrery aussieht, als wie ein Planet, wohl gar das Modell von unserem System gewesen seyn könnte, welches nun, da es nichts mehr nützt, bey Seite geworfen worden ist. Diese Muthmaßung wurde bey mir zur Gewißheit, als ich bedachte, daß Saturn fünf Trabanten hat, und gerade so viel Hauptplaneten sind, wenn man den Saturn nicht mit rechnet.“109 Betrachtet man ein solches Orrery, wie Lichtenberg es hier

109 Lichtenberg 1800, 106f.

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Abbildung 26: Die mit römisch I gekennzeichnete Struktur zeigt den Vorschlag, den Galilei 1610 lancierte, Nummer 2 eine Beobachtung von Scheiner von 1614, Nummer 3 von Riccioli zwischen 1641 und 1643, die Nummern vier bis sieben stellen Vorschläge von Hevelius dar, die Nummern 8 und 9 stellen weitere Beobachtungen von Riccioli von 1648-1650 dar, Nummer 10 eine Beobachtung von Eustachus de Divinis zwischen 1646-1648, Nummer 11 von Fontana 1636, Nummer 12 von Gassendi, 1646 und Nummer 13 von Fontana und anderen aus 1644-1645

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vorgeschwebt haben dürfte (Abb. 30), wird deutlich, wie er zu dieser phantastischen Idee gekommen sein könnte. So umgibt den rechts im Bild zu erkennenden Planeten, die Erde, ein Messring entlang des Äquators, an dem sich unter anderem die Längengrade ablesen lassen konnten. Ein solches Orrery ermöglichte es, den Zusam-menhang von Erdachse und Jahreszeiten zu erkennen und komplexe Formen wie die Wendekreise genau zu bestimmen. Die Ähnlichkeit zwischen dem an der Erde befestigten Messring und dem von Huygens beobachteten Ring des Saturn sind kaum zu übersehen. Diese Ähnlichkeit dürfte den Ausgangspunkt für Lichtenbergs phan-tastische Idee gestiftet haben.

Wie schon bei den geodätischen Domen und den Kapsiden steht hier am Beginn der Bildung einer Modellauffassung also eine oberflächliche Ähnlichkeit, hier zwischen einem Orrery und den Darstellungen des Saturn. Doch die bloße Ähnlichkeit zwischen Orrery und Saturn allein hätte Lichtenbergs Phantasie kaum beflügelt. Vielmehr liegt der entscheidende Schritt nun darin, den epistemischen Status des Orreries, nämlich als Modell, entlang der Ähnlichkeitsbeziehung auf den Saturn zu übertragen. Lichtenberg vollzieht dies mit der ihm eigenen Eleganz: „Der Ring [des Saturn] ist weiter nichts, als eine dem Horizont an unsern astronomischen Rechenmaschinen ähnliche Vorrichtung,

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Abbildung 27: Huygens´ eigenes Modell der Struktur des Saturn

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vermuthlich um Problemata aufzulösen.“110 Das Subjekt, das mit dem Saturn als Modell gearbeitet habe, um diese Problemata zu lösen, ist niemand geringeres als: Gott. Lichtenberg unterstellt ihm die Herstellung und Benutzung des Saturn als Modell für das Sonnensystem, das im 18. Jahrhundert mit der gesamten Schöpfung immer noch weitgehend deckungsgleich war. Der Ausdruck »Weltmodell« bekommt hier eine völlig neue Bedeutung. Lichtenberg überträgt das Verhältnis zwischen dem Menschen, der ein Orrery als Modell vom Kosmos auffasst, auf Gott, der den Saturn als Modell für seine Schöpfung auffasst. Der aus diesen epistemischen Operationen entstehende Raum des Denkbaren kann mit einigem Recht als unerhört bezeichnet werden.

Lichtenbergs Notiz ist hier noch lange nicht zu ende. Vielmehr scheint sich der Autor an den Details seines Hirngespinstes zu ergötzen. »Unter der Hand gedeiht dieser Einfall zu einem Stückchen großer Prosa zwischen Schwärmerei und Spott, Metaphysik und Satire«,111 so Hans Blumenberg. Im Folgenden seien diese Lichtenbergschen Erkundun-gen in den Räumen des Denkbaren kurz dargestellt. So verweist uns der Autor auf einen Astronomen, der bereits die Meßskalen auf dem Ring durch das Teleskop beobachtet habe: „Short hat sogar die Zirkel gesehen, die darauf verzeichnet sind. Diese meine Entdeckung einer so alten Urkunde für Astronomen, wodurch man nunmehr die Tychonianer durch den Augenschein widerlegen kann, und die von dem größten Nutzen für die Astronomie seyn wird, sobald die Ferngläser einmal zu der Güte gediehen sind,

110 Lichtenberg 1800, 107111 Blumenberg 1981, 211

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Abbildung 28: Orrery. Darstellung von G. Child nach James Ferguson, 1747

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daß man die Charaktere auf dem Ring wird lesen können, machte mir eine ungemeine Freude.“112 Solche Bemerkungen könnte man in Analogie zu der zeitgenössisch so hoch geschätzten, zumeist höfischen »Augenergötzung« als eine »Gedankenergötzung«, vielleicht auch als einen »drôle de pensée« bezeichnen. Lichtenberg kannte den Teles -kopenbauer und Astronomen James Short persönlich und erfuhr somit aus erster Hand über dessen Beobachtungen der Teilung des Rings in mehrere schmalere Ringe. Dass Short Lichtenbergs Deutung dieser Ringe als Meßskalen eines göttlichen Modells allerdings geteilt hat, darf als unwahrscheinlich gelten und auch für Lichtenberg selbst werden sie wenig mehr als eine unterhaltsame Spekulation gewesen sein. Immerhin geht die Beobachtung von Kreislinien, die den Ring unterteilen, keineswegs auf James Short, sondern auf Cassini und das Jahr 1675 zurück, waren also bereits weithin bekannt. Vielmehr folgt Lichtenberg hier den Wegen, die ihm die Auffassung des Saturn als Modell Gottes für die Schöpfung eröffnet und die zahlreicher sind, als sich auf den ersten Blick ermessen lässt. Hier gilt, was Lichtenberg über die Metapher notierte, die wir als engen Verwandten der Modelle auffassen: "Die Metapher ist weit klüger als ihr Verfasser und so sind es viele Dinge. Alles hat seine Tiefen. Wer Augen hat der sieht in allem."113 Damit ist umschrieben, dass die Metapher, ebenso wie die Auffassung des Saturn als Modell Gottes für die Schöpfung Denkmöglichkeiten eröffnet, die der »Verfasser« oder das auffassende Subjekt ohne den als Metapher oder Modell auf-gefassten Gegenstand nicht wahrnehmen könnte.

Das Erfrischende an Lichtenbergs Ausführungen ist, dass er sich bei der Erkundung der Räume des Denkbaren, die sich ihm bei seiner speziellen Reflexion des Saturn eröffnen, von den Grenzen des Wahrscheinlichen, Rationalen oder Wissenschaftlichen nicht bremsen lässt. Je weiter er dabei in die utopischen Räume vordringt, die ihm der Saturn als Modell Gottes aufspannt, desto stärker ähneln seine Gedanken dem Bilder-vorrat der hermetischen Philosophie und der Hieroglyphik der Renaissance. Um hierbei nicht für einen Mystiker gehalten zu werden, wendet Lichtenberg einen rhetorischen Kniff an: Er wechselt ins literarische Genre der Satire, indem er behauptet, sein ›unschuldiger‹ Gedanke wäre von anderen Personen ins Unwahrscheinliche ausgeweitet worden. Dazu gibt er folgende Anekdote an: „Ich wurde auch von Freunden aufgemun-tert, den Gedanken bekannt zu machen; weil ich mich aber im Erfindungs- und Genie-Stil niemals viel geübt habe, so schlugen sie mir vor den Aufsatz ganz simpel zu machen, und nichts hineinzubringen, als was nöthig ist, und so gearbeitet ihn nach einem bekannten Tollhause zu schicken, und ihn dort für ein geringes bestreichen zu lassen. Dieses habe ich gethan, und ich muß bekennen, ich habe mein Werk nicht mehr gekannt, als es zurückkam, so wenig als die Leute ihre Schweine, wenn sie aus der Mast kommen. Wo vorher das Gerippe beleidigend hervorsah, da war nun eine sanfte Wölbung von Speck, und was sich vorher wie ein Würfel anfühlte, fühlte nun die Hand angenehm, wie eine Kugel; durchaus herrschte ein gewisser großer weissagender Ton, einige Gedanken wurden kühn gesagt, und andere kühn verschwiegen; das Weg-gelassene ist so weggelassen, daß man glaubt, es wäre besser, als das Hergesetzte, so daß, wenn man es oft liest, man endlich glaubt, man schwebe auf der Tiefe, und könnte den Plato mit einem Wort aussprechen, und im Gedankenschwindel sich besser, als

112 Lichtenberg 1800, 107113 Lichtenberg 1984, 115

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alles was ist, in Ewigkeit ohne Ekel nach Gottes Zweck auf einmal genießen.“ 114 Mittels dieser Anekdote weist Lichtenberg nun die Ausschweifungen seiner Saturninterpretation den Eingriffen des „Tollhauses“ zu und kann sie somit darlegen, ohne dafür die Verantwortung übernehmen zu müssen. Bereits Cervantes eröffnete sich durch die vorgeblich distanzierte Darstellung eines Manuskriptes, das seinerseits von dem geisteskranken Don Quichote erzählt, die Möglichkeit, die spanische Obrigkeit und Gesellschaft offen zu verspotten. Mit der selben rhetorischen Wendung eröffnet sich Lichtenberg durch die Einführung eines fiktiven Schriftstückes, von dem er sich ausdrücklich distanziert, die Möglichkeit über seine durch das Modell ermöglichten Reisen in die phantastischen Räume des Denkbaren zu berichten.

Die Worte »Ich setze eine Probe daraus her« leiten den Höhepunkt der Notiz ein, in dem sich Lichtenberg endgültig der Fesseln des gewohnten Denkens entledigt, wobei er mehrfach deutlich in die Sprache des Spotts hinüberchangiert: „Dort hängt es, hinaus-gerückt über die Kernschußweite des Lichts, wie groß! wie weggeworfen das Model – Rumpelkammer dem Schöpfer, unerschöpfliches Museum für dich Mensch, das Model einer Welt, selbst Welt! selbst vielleicht als Model bewohnt – nicht Pappdeckel, nicht Messing, sondern Model Gottes! Saturn – welche Hieroglyphe! Coelus, Coelius – den Griechen Uranus, Uranie, Urarie Orrery – alles klar, nicht Wink, sondern Fingerzeig, Worthall in die Seele, dem Menschen Licht vom Schöpfer auf gesteckt, und von dem Menschen in Catheder-Nacht eingehüllt! Philosophiren können sie alle, sehen keiner. Primus ab aethero venit Saturnus Olympo.115 Primus Planeta nicht ultimus, erstes Modell, Probe – zeigt Jupiter und mit wem? vermählt – mit der Logika oder Arithmetika? Nein! mit der Ops,116 daher Optik, Astronomie, Erkenntnis des Allmächtigen, und der Himmel steht euch offen. An ein Sandkorn Geschmiedeter, wenn du etwas hast, sag, was hast du? Sieh hin also, sieh und starre mit entstaartem Auge. Saturn! unter ihm die goldenen Zeiten – morgenländische Philosophie – Bücher in einem Wort. Der Tod ist das Leben, ehe die war, war die güldene Zeit; kein Jammerthal, keine Kopfsteuer, kein Zahnweh! Güldene Zeit, keine Zeit, wie harmonisch und doch wie wahr! wie sinnig und doch wie stark! Jungfräuliche, ungeschändete Vernunft vermählt mit gesundem Ausdruck, noch nicht durch den Pöbel und keine Akademie abgenutzt: Letzter Planet, Model Mikrosystem, letztes Geschöpf, Mensch, Ebenbild Gottes, Mikrokosmus – wo ist Analogie, wenn hier keine ist? –"117 Im Gedankenstrich endet der Lichtenbergsche Über-schwang ebenso wie seine Notiz, ohne dass der Autor nocheinmal in die Rahmenhand-lung zurückkehrt.

Das freie Spiel hermetischer und mystizistischer Topoi, das den Saturn schließlich als die Hieroglyphe schlechthin erscheinen lässt, ist das durchaus folgerichtige Resultat einer Denkbewegung, die bei der oberflächlichen Strukturähnlichkeit zwischen dem Orrery und den seinerzeitigen Saturnbeobachtungen beginnt. Entlang dieser Ähnlich-keitsbeziehung wurde zunächst das Verhältnis zwischen einem Menschen, der ein Orrery als Modell auffasst, auf Gott übertragen, der den Saturn als Modell auffasst. Das

114 Lichtenberg 1800, 107f.115 Vergil, Aeneis 8, 314ff: „Da denn als erster Saturn, vom luftigen Sitz des Olympus / Flüchtend vor

Juppiters Blitz, ein vertriebener König, ins Land kam...“116 Ops, römische Göttin der Fruchtbarkeit und Beschützerin des Feldbaues117 Lichtenberg 1800, 109-111. An Lichtenbergs Notiz stellt sich auch die Frage nach der Verwandtschaft

der epistemischen Pattern der Modelle und der Symbole, Zeichen und Hieroglyphen in Mythologie, Astrologie, Alchemie, Hermetismus und dergleichen.

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Produkt dieser gedanklichen Operation definiert sodann den Raum des Denkbaren, den Lichtenberg in seiner Notiz erkundet. In diesen Erkundungen ruft er so prominente Topoi auf wie jenen der Welt als Kunstkammer, die Leibniz so nachdrücklich verfochten hatte, des ausserirdischen Lebens, der Giordano Bruno das Leben gekostet hatte, der Welt als hieroglyphisches Buch, die auf den Hermetismus der Renaissance zurückgeht und auf den Gedanken einer prisca sapientia, eines adamitischen Urwissens verweist.

Es lässt sich also in jedem einzelnen Schritt nachvollziehen, wie Lichtenberg von einer durchaus gesicherten teleskopischen Beobachtung bruchlos in einen lupenreinen hieroglyphischen Mystizismus im Stile eines Jacob Böhme gelangt. Die Logik des Modells bildet gewissermaßen die Anleitung für die Entfaltung dieses unerhörten Denkraumes. Wie bei Noguchis „Sculpture to be seen from Mars“ zeichnet die Modell-auffassung auch hier die Wege vor, denen die Phantasie folgen kann, aber nicht muss. Hier wir dort kann mit der Logik des Modells ein konkretes Funktionselement unter vielen anderen benannt und beschrieben werden, das bei der Produktion von Bildern eine Rolle spielen kann. Bei Noguchis Werk war die Anwendung einer Modellauffassung in der Interpretation des Werkes durch den Künstler vorgesehen oder zumindest nahegelegt – für den Saturn gilt dies natürlich nicht. Es gibt jene ruhende Modell -beziehung nicht, die uns Lichtenberg im Saturn als Modell in Gottes Rumpelkammer sehen lässt. Die Unterstellung dieser Modellbeziehung aber schaltet die Modellauf-fassung in die Interpretation ebenso ein, wie dies bei Noguchis Werk der Fall ist. So wird hier nocheinmal deutlich, was wir immer wieder beobachten konnten: dass es uns letztlich freisteht, welchen Gegenstand wir als Modell auffassen. Manche Gegenstände und ihre Kontexte machen uns sehr deutlich, dass wir die Modellauffassung auf sie anwenden sollen, aber der Saturn gehört mit Sicherheit nicht dazu. Ebenso steht es uns frei, welche Gegenstände wir vermittels der Modellauffassung in die Entfaltung von Räumen des Denkbaren einschalten. (rw)

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Schluss

Die Fallstudien dieses Bandes haben sich stichprobenartig einigen Phänomenen genähert, in denen Modelle als Akteure aufgetreten sind. Am Besonderen des Exempla-rischen haben wir Beobachtungen gemacht, die zu einigen allgemeineren Schlussfol-gerungen geführt haben. So wurde immer wieder in ganz verschiedenen Zusammen-hängen sichtbar, dass wir es bei der Entfaltung aktiver Potentiale durch Modelle mit einem Phänomen zu tun haben, das in der Interaktion zwischen einem Auffassenden und einem aufgefassten Gegenstand entsteht. Um verstehen zu können, was sich bei dieser Interaktion abspielt, ist es aus unserer Sicht erforderlich, eine ganze Reihe von Aspekten in den Blick zu nehmen:

So ist zu fragen, auf welche Art und Weise ein Gegenstand als Modell aufgefasst wird und von welchem Subjekt. Es ist zu fragen, welcher Gegenstand als Modell aufge-fasst wird und von welcher spezifischen Form, Materialität und Medialität dieser ist. Es ist keineswegs hinreichend, nur einen Gegenstand in den Blick zu nehmen ohne seinen Kontext zu berücksichtigen, weil die spezifische Bedeutung und das jeweilige aktive Potential des Modells erst aus seiner konkreten räumlichen und zeitlichen Situation hervorgeht. Deshalb müssen auch die Gegenstände berücksichtigt werden, die im Kontext des Modells stehen. Ebensowenig ist es hinreichend, nur ein Subjekt zu beobachten, weil sich die spezifische Charakteristik einer jeweiligen Auffassung nur im sozialen, disziplinären, kulturellen Kontext erschließt. Daher müssen nicht nur mehrere

Gegenstände, sondern auch mehrere Subjekte ins Kalkül gezogen werden. Dabei gilt es, die in der jeweiligen Situation ausschlaggebenden Beziehungen zwischen den Gegenständen untereinander, den Subjekten untereinander und zwischen den Gegenständen und Subjekten zu erfassen. Und schließlich ist es nicht hinreichend, die Beziehungsstruktur nur zu einem einzigen Zeitpunkt zu betrachten, weil sich jede Veränderung in den Gegenstands- und Auffassungskonstellationen auf die gesamte Struktur auswirkt und vorgängige Zustände die Bedeutung der nachfolgenden auf vielfältige Weise prägen. Daher müssen die Zeitstrukturen analysiert werden, die bei der Entfaltung aktiver Potentiale bei Modellen wirksam werden. Bei solchen Analysen bleibt das einzelne, gewissermaßen atomare Modellurteil im Zentrum der Aufmerksamkeit, dessen jeweiliger Gegenstand und Inhalt aus dem Verbund, der Variation und Dynamik der Gegenstands- und Auffassungskonstellationen zu ermitteln sind, in die das Urteil eingebettet ist.

Eine solche oder sehr ähnliche Reihe von Aspekten wäre aus unserer Sicht in der Analyse eines Modells abzuarbeiten, um die wesentlichen Aspekte des »Gespinsts von Effekten und Rückwirkungen« des sowohl logisch als auch historiographisch umfassend zu beschreiben. Die Vernachlässigung einzelner Punkte dieser Liste, etwa der spezifi-schen Charakteristik einer Auffassung oder der spezifischen Verfasstheit eines Gegen-standes, kann ebenso wie die Beschränkung auf nur ein Subjekt, einen Gegenstand oder einen Zeitpunkt, einen letztlich banalen Vorgang in ein unlösbares Rätsel verwandeln. Der Prozess, nach dem wir fragen, ist unserer Erfahrung zufolge weniger durch eine vielfach in sich gewundene Logik, sondern durch relativ zahlreiche Einzelfaktoren und

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ihre dynamischen Interaktionen innerhalb eines durchaus einfachen Musters charakteri-siert. Das auffassende Subjekt und der als Modell aufgefasste Gegenstand erscheinen aus dieser Perspektive als Zentrum einer dynamischen Beziehungsstruktur aus mehreren Gegenständen und Subjekten, das spezifische, situationsabhängige Bedeutungen an-nehmen kann. Als Zentrum erscheinen diese beiden Hauptakteure dabei zunächst einmal nur dann, wenn sich unsere Aufmerksamkeit vor allem auf die Einbindung dieser Beziehung in ihre sinnstiftenden Kontexte richtet, die sie miteinander eingehen. Richtet sich die Aufmerksamkeit auf einen anderen Aspekt, so erscheint die eben noch im Zentrum erscheinende Beziehung entweder nurmehr im näheren Kontext, oder aber sie tritt ganz aus dem Blick.

Die weitere Erkundung und Beschreibung der aktiven Potentiale der Modelle wird sich auf solche schwankenden Böden einstellen müssen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Produkte dieser Entfaltungen aktiver Potentiale durch Modelle ebenso schwan-kend wären. Modelle können zu drückenden Tyrannen werden, dessen Zwänge unser Denken und Handeln über historische Zeiträume hinweg beherrschen können. In den Aspekten, in denen wir ihnen »als einer Regel« folgen, können sie uns vollkommen unveränderlich und unverrückbar erscheinen. Man hat lange geglaubt, diesen Tyrannen mit Theorien begegnen zu müssen, die es in puncto Härte und Langlebigkeit mit ihnen aufzunehmen vermochten. Nun scheint sich indes mehr und mehr zu bestätigen, dass es der Blick auf die weichen, vielen Faktoren ist, der einen Zugang zum Verständnis der Macht der Modelle und damit zur Zurückgewinnung der Herrschaft über sie eröffnet.

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