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Hrsg.: Susanne Viernickel Petra Völkel Mathias Ralf Enderlein Klein, groß, riesengroß! Kinder unter drei für Raum, Formen und Zeit sensibilisieren 1. Auflage Bestellnummer 50483

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Hrsg.: Susanne Viernickel Petra Völkel

Mathias Ralf Enderlein

Klein, groß, riesengroß!Kinder unter drei für Raum, Formen und Zeit sensibilisieren

1. Aufl age

Bestellnummer 50483

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Der AutorMathias Ralf Enderlein, Dipl.-Sozialpädagoge/Sozialarbeiter (FH), ist zurzeit stellvertretender Einrichtungsleiter einer Kinder-tagesstätte für 220 Kinder der Käpt’n Browser gGmbH in Berlin-Köpenick. Daneben arbeitet er als Lehrbeauftragter an der Fachschule für Sozialpädagogik der TJFBG gGmbH. Davor war er viele Jahre in der offenen Kinder- und Jugendhilfe in Berlin tätig, arbeitete als Erlebnispädagoge sowie als Teamleiter in der Kinder- und Jugendfreizeit. Ehrenamtlich engagiert er sich bei der Konzeption, Durchführung und Weiterentwicklung der Ausbildung für Betreuer/-innen und Teamleiter/-innen bei Kinder- und Jugendfreizeitfahrten.

Bildquellenverzeichnis© Fotolia.com: Umschlag (Martina Stumpp), S. 7, 13 (matka_Wariatka), 23 (Erika Walsh), 43 (Pavel Losevsky), 56 (brainstorming-out),

79 (Digitalpress), 82 (nyul), 95 (creativeHunger), 101 (utemov)© Bildungsverlag EINS, Köln/Christian Schlüter, Essen: S. 8, 10, 15, 36, 39, 44, 46, 50, 65, 69, 70, 73, 75, 77, 85, 96, 99© Mathias Ralf Enderlein, Berlin: S. 16, 26, 28, 31, 61, 80, 87© Heidi Velten, Kunterbunt/Bildungsverlag EINS, Köln: S. 33

Sie finden uns im Internet unter:www.bildungsverlag1.dewww.bildung-von-anfang-an.de

Bildungsverlag EINS GmbHHansestraße 115, 51149 Köln

ISBN 978-3-427-50483-2

© Copyright 2012: Bildungsverlag EINS GmbH, KölnDas Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.

Haben Sie Anregungen oder Kritikpunkte zu diesem Produkt?Dann senden Sie eine E-Mail an [email protected] und Verlag freuen sich auf Ihre Rückmeldung.

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

1 Wie sich das Denken entwickelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71.1 Bereichsübergreifende Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81.2 Bereichsspezifi sche Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2 Mathematik ist überall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132.1 Kategorien und Klassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162.2 Reihenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282.3 Zeit und Zeiterleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362.4 Räumliche Orientierung und räumliches Vorstellungsvermögen . . . . . . 462.5 Zahlen, Zählen und erste Rechenfertigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592.5.1 Angeborenes Zahlenverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612.5.2 Intuitive Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

3 Auf das Umfeld kommt es an . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733.1 Räume als Pädagogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753.2 Material als Zugang zur Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 803.3 Handeln und Bewegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 843.4 Mathematische Projekte für die Kleinsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

4 Der Bildungsbereich „mathematische Grunderfahrungen“ . . . . . . . 95

5 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1015.1 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1025.2 Bildungspläne der Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

Inhalt

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Einleitung

Warum ist es sinnvoll, bereits unsere jüngsten Kinder mit der Mathematik und all ihren Bereichen vertraut zu machen? Zunächst gilt es zu erklären, dass eine mathe- matische Förderung von Kindern im Alter von null bis drei Jahre nicht darin be steht, ihnen Zahlen und Rechenkonzepte einzutrichtern. Solch eine eingeschränkte Sicht auf die Inhaltsbereiche mathematischer Prozesse herrscht häufi g jedoch bei uns Erwachsenen vor. Wir neigen dazu, Mathematik nur im Umgang mit Zahlen, bei Rechenaufgaben, bei komplizierten Formeln von Pythagoras und Adam Riese und gegebenenfalls noch bei geometrischen Figuren und Formen zu erkennen. Doch mathematisches Denken und Auseinandersetzen verbirgt sich in so viel mehr Be-reichen unseres täglichen Lebens. Wenn wir einen Fortbildungstermin zu einer be-stimmten Uhrzeit an einem bestimmten Ort wahrnehmen, handeln wir nach ma-thematischen Grundsätzen. Wir koordinieren unsere dafür notwendigen Handlungen – das Anziehen der Schuhe, das Greifen der Tasche, das Laufen zum Bus – nach einer bestimmten und logischen Reihenfolge. Wir haben ein Verständnis von Zeit als de-fi nierte kulturelle Größe. Wir können uns in unserer Welt orientieren, fi nden den Ort anhand von Wegbeschreibungen und weil wir über Räume und Räumlichkeiten Bescheid wissen. Die in der Fortbildung erhaltenen Informationen ordnen wir nach ihrer Bedeutsamkeit für uns und bringen sie mit unserem Wissen in Einklang. Wir klassifi zieren sie. All das ist Handeln nach mathematischen Aspekten.

Eine Förderung mathematischer Grunderfahrungen bei Kindern in den ersten drei Lebensjahren ist deshalb sinnvoll, weil Kinder von Geburt an spezifi sche Fähigkei-ten hinsichtlich mathematischer Basiskompetenzen haben und eine enorme, ange-borene Bereitschaft besitzen, sich mit diesen auseinanderzusetzen und sie zu erwei-tern. Kinder sind geborene Mathematiker. Die neuesten entwicklungspsychologischen Erkenntnisse, welche in diesem Buch dargelegt werden, begründen den Sinn und die Verpfl ichtung, unsere Kinder bei dem Ausbau gegebener mathematischer Fähigkei-ten und der Entwicklung neuer Grundkenntnisse zu unterstützen und zu begleiten.

Allerdings ist zu bedenken: Die Kompetenzen und das Vorwissen hinsichtlich der Mathematik bei Kindern im Vorschulalter sind von hohen individuellen Unterschie-den geprägt. Bis zum Ende der Sekundarschule zeigt sich eine hohe Stabilität in diesen Unterschieden. Zudem hat das mathematische Vorwissen einen wesentlich höheren Einfl uss auf die späteren mathematischen Schulleistungen als die allgemeine Intelli-genz. Für elementarpädagogische Fachkräfte genau wie für Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer gilt dementsprechend, den individuellen Lern- und Wissens-stand des einzelnen Kindes detailliert zu refl ektieren, auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes abgestimmte Bildungsangebote zu schaffen und somit das mathematische Wissen, als Grundbasis späteren Schulerfolges, zu fördern (vgl. Sodian, 2008, S. 462).

Dieses Buch richtet sich an alle pädagogischen Fachkräfte, die jetzt und in der Zu-kunft Kinder unter drei Jahren betreuen, fördern und begleiten. Zielsetzung ist es, über eine Vielzahl von Beispielen und Anregungen aufzuzeigen, wie es ganz praxis-nah im Alltag von Kindertageseinrichtungen gelingen kann, schon die Kleinsten bei ihrer Auseinandersetzung und Erforschung von mathematischen Aspekten ihrer

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Umwelt zu unterstützen und zu begleiten. Dafür sind keineswegs nur aufwendigste Projekte und Themensequenzen vonnöten, die meist umfangreich vorbereitet, durchgeführt und nachbereitet werden müssen. Dieses Buch soll Wege aufzeigen, wie Kinder unter drei schon durch die zielgerichtete und refl ektierte Gestaltung ihrer Lebenswelt Kita (der Räume, der Raumausstattung, der Materialbereitstellung) sowie durch die Möglichkeiten und das Zulassen verschiedenartigster Interaktion in dieser Lebenswelt zu einer Beschäftigung und tieferen Begeisterung für die kleinen und großen mathematischen Phänomene angeregt und motiviert werden können. Mathematik zusammen mit Kindern unter drei Jahren zu entdecken bedeutet, mit ihnen die alltäglichen, alles umfassenden Erscheinungen und Bedeutungen von For-men, Reihen, Strukturen, Räumlichkeit, Zeit, Mengen, Geometrie und auch Zahlen für uns und unser Leben zu erkennen und zu erforschen, um so das Gesicht der Ma-thematik in unserer Welt wahrnehmen zu können.

Viel Spaß beim Lesen und Ausprobieren wünscht Ihnen

Mathias Ralf Enderlein

5Einleitung

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1.1 Bereichsübergreifende Erklärungsansätze

1.2 Bereichsspezifi sche Erklärungsansätze

1 Wie sich das Denken

entwickelt

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8 1 Wie sich das Denken entwickelt

Damit Bildungsangebote das Interesse und den Zugang zu mathematischen Erfahrungen för-dern und begleiten können, müssen sie sich am Entwicklungs- und Wissensstand der Kinder orientieren. Daher ist es für pädagogische Fachkräfte unerlässlich, Kenntnisse über die Denkentwicklung von Kindern hinsichtlich zweier Aspekte zu besitzen: „[…] Zum einen die kognitive Entwicklung des Denkens über Inhaltsbereiche hinweg (z. B. die Entwicklung des Gedächtnisses), zum anderen […] die Entwicklung des Denkens innerhalb bestimmter Inhaltsbereiche, also im Bereich Mathematik etwa die Entwicklung des Zahlenverständnisses und des Verständnisses von Zeit und Raum [...]“ (Fthenakis u. a., 2009, S. 62).

� Defi nitionEntwicklung ist allgemein „[…] die prozesshafte Veränderung eines Ausgangs-zustandes in einen neuen, dauerhaften Zustand“ (Fthenakis u. a., 2009, S. 18). In der Pädagogik bezeichnet „Entwicklung“ umfassend alle körperlichen, geistigen und emotionalen Wachstumsprozesse des Kindes (vgl. Laewen, 2002, S. 79).

In der wissenschaftlichen Forschung zur Entwicklung des Denkens haben sich zwei wesentliche Erklärungsansätze herausgebildet: die bereichsübergreifenden Erklärungsansätze und die bereichsspezifischen Erklärungsansätze (vgl. Sodian, 2008, S. 436–437).

1.1 Bereichsübergreifende Erklärungsansätze

„Jean Piaget (1896–1980) legte mit seiner ,genetischen Epistemologie’ die erste umfassende Theorie der Entwicklung des Denkens (besser: der Erkenntnis) in Kindheit und Jugendalter vor.“(Sodian, 2008, S. 436)

Beschäftigt man sich mit der Entwicklung des Denkens bei Kindern, kommt man um eine Auseinandersetzung mit den Modellen und Theorien des Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Piaget nicht herum. Viele aktuelle Entwicklungs-theorien basieren auf den Erkenntnissen Piagets, bieten jedoch andersartige Interpretationen und Schlussfolgerungen an (vgl. Sodian, 2008, S. 436). Piaget ist gleichermaßen Begründer als auch bedeutendster Vertreter der bereichsübergreifen-den Erklärungsansätze zur Entwicklung menschlichen Denkens. Zwar hat Piaget einflussreiche Untersuchungen zu verschiedenen konkreten Inhaltsbereichen, unter anderem auch zum Inhaltsbereich des mathematischen Denkens, vorgenommen,

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91.2 Bereichsspezifi sche Erklärungsansätze

sein Anliegen lag jedoch im Nachweis bestimmter allgemeiner Strukturen und Prozesse für alle Bereiche des Denkens, losgelöst vom Inhalt (vgl. Fthenakis u. a., 2009, S. 63). Piaget vertrat die Ansicht, dass die geistige Entwicklung des Menschen ein aktiver Prozess des Aufbaus und der Entwicklung von Wissen im Zusammenspiel des Individuums mit seiner Umwelt ist (vgl. Sodian, 2008, S. 437). Er ging von dem Vorhandensein hochabstrakter, übergeordneter Strukturen des Denkens beim Menschen aus. Diese bestimmen die kognitive Leistung und Beschränkung eines Individuums auf der jeweiligen Stufe seiner Entwicklung. Geistige Entwicklung beruht demnach auf der gleichzeitigen Veränderung der Gesamtstruktur des Denkens (vgl. Sodian, 2008, S. 437). Entwicklungsfortschritte in einzelnen Bereichen sind auf eine qualitative, sich in Stufen vollziehende Veränderung des Denkens zurückzuführen, welche unabhängig davon ist, worüber nachgedacht wird (vgl. Gisbert, 2004, S. 119). Anders ausgedrückt ist die Denkleistung von Menschen nicht davon abhängig, worüber er nachdenkt, womit er sich auseinandersetzt, sondern nur davon, zu welcher Denkleistung er auf der Stufe seiner Gesamtentwicklung fähig ist. Für Piaget vollzieht sich kognitive Entwicklung in einer Abfolge von vier Hauptstadien, dazu zählen:

� das sensumotorische Stadium, von der Geburt bis zwei Jahre,

� das präoperationale Stadium, zwei bis sieben Jahre,

� das konkret-operationale Stadium, sieben bis zwölf Jahre,

� sowie das formal-operationale Stadium, ab etwa zwölf Jahre (vgl. Sodian, 2008, S. 437–438).

Die Übergänge zwischen den Stadien sind nicht fließend, sondern finden in Entwicklungssprüngen statt. Bei der Zuordnung des Alters handelt es sich um durchschnittliche Richtwerte (vgl. Gisbert, 2004, S. 84). Diese Stadientheorie stellt das Denken des Kindes zu jedem Zeitpunkt als geordnete Gesamtstruktur dar, bei dem jedes Stadium des Denkens aus dem vorhergehenden Stadium hervorgeht (vgl. Sodian, 2008, S. 437). Für Piaget sind im nächsten, nachfolgenden Stadium die Denkstrukturen des vorhergehenden Stadiums integriert und verändert und somit mehr als „[…] eine reichere Version der bereits früher angelegten Strukturen […]“ (Sodian, 2008, S. 437). Die neu erreichten Denkmuster bilden somit die Basis für komplexere kognitive Leistungen, die mit den früheren Strukturen unmöglich waren (vgl. Sodian, 2008, S. 437). In neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen zeigte sich jedoch, dass Piaget die geistigen Fähigkeiten und Fertigkeiten jüngerer Kinder erheblich unterschätzt hat (vgl. Fthenakis u. a., 2009, S. 63).

1.2 Bereichsspezifische Erklärungsansätze

Warum aber wurde von Piaget das kindliche kognitive Leistungsvermögen so stark unterbewertet? Neue wissenschaftliche Ergebnisse führen dies auf die von Piaget gewählten Untersuchungsmethoden und Aufgabenstellungen zurück (vgl. Fthenakis u. a., 2009, S. 63–64). Die Kinder konnten bei Piagets Aufgaben keinen Sinnzusam-menhang zu der ihnen bekannten Lebenswelt herstellen. Darüber hinaus bildeten die Versuchsanordnungen keine jener für die Kinder vertrauten Situationen ab, in

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4242 2 Mathematik ist überall

verschiedenste Mengen und Rechenzeichen als Symbol für die Ausführung und Berücksichtigung von Regeln beim Zusammenführen und Trennen dieser Mengen. Kinder müssen zum Erlernen des Rechnens und des mathematischen Denkens von den anfangs anschaulichen, begreifbaren Handlungen zu einer inneren Repräsenta-tion dieser Handlungen und Objekte übergehen, damit sie gedanklich mit Klassen, Kategorien, Reihen, Mengen usw. umgehen können, ohne dass diese real vorhan-den sein müssen.

� Defi nitionRepräsentation ist die innerliche subjektive Abbildung und Speicherung der erlebten, erfahrenen Umwelt und von Personen, Dingen, Situationen und Ereignissen.Repräsentationsfähigkeit bedeutet, sich Situationen, Ereignisse, Sachverhalte und jede Art von Dingen und Personen, unabhängig vom akuten Erleben und Wahrnehmen, vorstellen zu können. (Vgl. Völkel, 2009, S. 90)

Zu einem vollständigen Wissen über Zeit sind Menschen dann gelangt, wenn sie sich Zeitpunkte, Zeitdauern und Ereignisse vorstellen und mit ihnen handeln können, ohne dass diese sichtbar sind und sich aktuell vollziehen. Nur so können wir zielgerichtet Handlungen planen und in einer konkreten Handlungsfolge vollziehen.

In der folgenden Tabelle finden Sie zusammengefasst die bedeutsamen kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten von Kindern für die mathematischen Aspekte Zeit und Zeiterleben.

Durchschnittsalter Fähigkeiten Beispiel

Erste Lebensmonate Orientierung auf/Wissen um zukünftige Ereignisse

Saugbewegungen des Babys schon während der Stillvorbereitung der Mutter

Erstes LebensjahrAusgeprägter Sinn für Rhythmen und rhythmi-sche Abfolgen

Spontane rhythmische Bewegung der Hände und Arme

Kinder zeigen gegenüber rhythmischem Klatschen und Singsang eine hohe Aufmerksamkeit.

Ab 3 Jahre Verständnis temporärer Reihenfolgen bei vertrau-ten Szenarien und Verwendung zeitlicher Begrifflichkeiten

„Einkaufen gehen, dann essen und danach schlafen gehen“

Ab 4 Jahre Festlegung der Zeitpunkte selbst erlebter Ereignisse auf einer Tageszeitachse

Kinder können auf einer Tageszeitachse einordnen, wann sie zu Mittag gegessen haben und wann sie abgeholt wurden. Sie können sagen, welches dieser Ereignisse länger zurückliegt.

Erste Kompetenzen im Ablesen der Uhr

Kinder können die vollen Stunden und die aktuelle Stunde ablesen.

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43432.3 Zeit und Zeiterleben

Durchschnittsalter Fähigkeiten Beispiel

Ab etwa 5 Jahre Festlegung der Zeitpunkte selbst erlebter Ereignisse auf einer Monats- und Jahreszeitachse

Einordnen von Feiertagen, die für das Kind bedeutsam sind, und des eigenen Geburtstages in einem Monatskalender und Mitteilung darüber, welches dieser Ereignisse länger zurückliegt

Ab etwa 6 Jahre Vervollständigtes Wissen über die größeren kultu-rellen Zeitintervalle (Tage, Monate, Jahreszeiten, Jahre) und deren Reihenfolge

Das Kind kann die korrekte Abfolge der Wochentage, Monate und Jahreszeiten benennen und kennt die zeitlichen Unterschiede dieser Zeitintervalle.

Aufbauend auf ihre frühe Kompetenz, zukünftige Ereignisse gedanklich vorwegzu-nehmen, können Kinder schon in den ersten drei Lebensjahren darin begleitet werden, vielseitige Zeiterfahrungen zu machen und sich mit ihrem Zeitgefühl auseinanderzusetzen. Auf diese Weise fördern wir ihre kognitive Kompetenz zur inneren Repräsentation, also im Laufe ihrer Entwicklung vom handelnden, bewe-gungsorientierten Denken zu einem Denken mittels Begriffen, Bildern und Symbolen zu gelangen.

Zudem hilft das Wissen über Zeit und zeitliche Abläufe Kindern, zusammen mit ihrem Verständnis für Reihen und Klassen, Kategorien, ihre Lebenswelt zu ordnen und zu verstehen, einzuschätzen und somit Gefühle von Sicherheit und Selbstkom-petenz zu entwickeln.

Zeiterleben durch bestimmte Ereignisse und besondere Feste

Der Alltag in Kindertageseinrichtungen ist durchzogen von regelhaften, rhythmisch wiederkehrenden Ereignissen (vgl. Bayrisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, 2006, S. 260): Die Mahlzeiten werden meistens zu denselben Uhrzeiten eingenommen; die Geburtstage der Kinder verteilen sich über das Jahr, die Abstände zwischen den Feiern bleiben jedoch gleich, jedes Jahr feiern wir mit dem jeweiligen Kind seinen Geburtstag; einmal im Jahr wird mit den Kindern Weihnachten, Ostern, Kindertag usw. gefeiert; die Jahreszeiten und die damit verbundenen speziellen Aktivitäten drinnen und draußen wechseln im stetigen Rhythmus. Kinder nehmen von Beginn an diese Zeitroutinen wahr. Aufgrund ihrer noch eingeschränk-ten Gedächtnisleistung erkennen Kinder in den ersten zwei Lebensjah-ren vornehmlich Routinen mit kurzen Zeitfolgen wieder und sind in der Lage, diese vorauszusehen. Solche Erfahrungen und Erlebnisse hel-fen ihnen jedoch, kognitive Fähigkeiten und Gedächtniskapazitäten zu entwickeln, auf deren Basis sie sich im Laufe ihrer Entwicklung an immer mehr wiederkehrende Ereignisse, deren zeitliche Abstände län-ger werden, erinnern und sich diese in der Zukunft vorstellen können. Erzieherinnen und Erzieher können das Zeiterleben und Verständnis für Begrifflichkeiten der Zeit bei Kindern dadurch unterstützen, indem sie die Uhrzeiten, die Wochentage und die zeitliche Dauer von Aktivi-täten und Ereignissen benennen, die den Kindern vertraut und bedeut-sam sind: Es ist 11:00 Uhr, wir essen nun zu Mittag; 16 Uhr, deine Mama

Kinder nehmen früh Zeitroutinen wahr.

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4646 2 Mathematik ist überall

2.4 Räumliche Orientierung und räumliches Vorstellungsvermögen

Denkanstöße

� Welche Möglichkeiten zur Orientierung im Raum fallen Ihnen spontan ein? � Was verstehen Sie unter räumlichem Vorstellungsvermögen? � Wo fi nden Sie bei Ihren Kindern Hinweise auf räumliche Orientierung? � Kennen Ihre Kinder den Weg in das Außengelände, zu anderen Gruppen, in die

Küche?

BeispieleThore (1;2 Jahre) blickt erwartungsvoll zur Tür des Gruppenraumes, als ihm die Erzieherin sagt, dass nun seine Mutter käme, ihn abzuholen.

Manina, Ivan und Lukas (alle rund 2 Jahre alt) stehen angezogen an der Tür der Garderobe. Auf die Genehmigung des Erziehers hin öffnen sie die Tür, biegen links in den Flur ab, gehen die Treppe herunter. Am Fuße der Treppe sehen sie sich kurz nach ihrem Erzieher um, der folgt. Nun laufen sie rechts durch den Glasgang zur Ausgangstür in den Garten.

Max (1;10 Jahre) balanciert an der Hand der Erzieherin auf einem im Garten liegenden Holzstamm. Vorsichtig setzt er einen Fuß vor den anderen, um nicht herunterzufallen. Immer wieder sieht er nach rechts, links und mittig auf den Bereich vor seinen Füßen.

In diesen drei Beispielen zeigen alle Kinder bemerkenswerte Fähigkeiten in der räumlichen Orientierung und im räumlichen Vorstellungsvermögen. Thore weiß schon etwas über die Eigenschaften des Gruppenraumes: nämlich dass dieser eine Öffnung besitzt, über die man nach draußen gelangt, und er weiß auch, wo sich diese Öffnung von seiner jetzigen Position aus befindet. Zugleich hat er schon eine Vorstellung über ein zukünf-tiges Ereignis (das Eintreten seiner Mutter in den Gruppenraum), nur auf-grund der Ankündigung durch die Erzieherin, Mama käme jetzt. Die Erzieherin musste Thore weder erzäh-len, dass Mama gleich durch die Eingangstür des Gruppenraumes treten wird, noch musste sie Thore zeigen, wo sich diese Tür befindet.

Lukas, Manina und Ivan scheinen einen Lageplan ihrer Einrichtung im Kopf zu haben und wissen, dass jeweils bestimmte Begriffe für bestimmte Orte stehen, denn sie finden zielsicher den Weg vom Gruppenraum, in dem sie sich gerade

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47472.4 Räumliche Orientierung und räumliches Vorstellungsvermögen

befinden, in den Garten. Und das, nachdem ihnen lediglich der Begriff für den Ort, an den sie jetzt gehen sollen, genannt wurde, ohne dass sie diesen Ort schon sehen können.

Und Max sieht und versteht, dass der Rasen tiefer liegt als seine eigenen Füße, weil er auf einem Baumstamm steht. Um nicht herunterzufallen, bleibt er immer auf dem als näher wahrgenommenen Baumstamm.

Alle diese Beispiele ermöglichen einen Einblick darin, wie vielseitig und häufig Kinder räumliches Vorstellungsvermögen und Raumorientierung im Alltag und bei vielen ihrer Tätigkeiten einsetzen. Räumliche Orientierung und räumliches Vorstellungsver-mögen sind grundlegende Kompetenzen mit hohem lebenspraktischem Bezug. Mit ihrer Hilfe können Menschen sich planmäßig auf Ziele hin bewegen, Orte und Dinge finden und auch längere Wegstrecken zurücklegen. Wir nutzen sie bei unseren Bewe-gungen, wenn wir beispielsweise Objekte ergreifen wollen oder uns bewegen, ohne andere dabei zu behindern.

Für das mathematische Denken und Verstehen geht das Nutzen von Kompetenzen im visuell- räumlichen Vorstellungsvermögen über das Erkennen von geometri-schen Gebilden wie z. B. von Dreiecken, Vierecken, Kreisen, Zylindern, Würfeln und Pyramiden deutlich hinaus. Jene Kompetenzen sind auch für die Leistungsfähigkeit in anderen Teilgebieten bedeutsam. Begriffe aus dem Bereich der Räumlichkeit und räumliche Vorstellungen nutzen Menschen vielseitig und täglich als Metaphern, um abstrakte Sachverhalte, wie beispielsweise Gefühle oder Stimmungen, auszudrücken, zu strukturieren und anderen verständlich zu machen (vgl. Fthenakis u. a., 2009, S. 77). Wir haben eine hohe Meinung von jemandem, erleben lange Arbeitstage, die Urlaubszeit war viel zu kurz, wir sind mal gehobener Stimmung oder auch mal nicht gut drauf.

Auch werden solche Raummetaphern verwendet, um wenig konkrete mathemati-sche Gegenstände wie Anzahlen, zeitliche Beziehungen und Verhältnisse zwischen Mengen zu bezeichnen. Zum Beispiel wird häufig von großen Anzahlen, Zahlen unter 100 oder von vor dem Mittag und nach dem Mittag gesprochen (vgl. Fthenakis u. a., 2009, S. 77).

Die elementarste Erfahrung der Raumorientierung und der räumlichen Vorstellung ist die Bestimmung der eigenen Position innerhalb eines Raumes als erstes Bezugssystem sowie die Position von Objekten und Orten in Abhängigkeit von dieser eigenen Position als zweites Bezugssystem (vgl. Fthenakis u. a., 2009, S. 78). Wenn Kinder zu einem interessanten Spielzeug in ihrer Nähe gelangen wollen, müssen sie das Spielzeug zunächst ausmachen und dann die eigene Position zu diesem Spielzeug bestimmen, um einen Weg zum Spielzeug hin planen und ausführen zu können. Orientierung im Raum bedeutet also, zum einen die eigene Position ausmachen, zum anderen zielgerichtet Wege von der eigenen Position auf etwas hin beschreiten zu können. Um nach einer erfolgten Bewegung die eigene Position im Raum feststellen zu können, nutzen Kinder wie Erwachsene zum einen die Informationen aus der eigenen Bewegung und rechnen diese innerlich mit. Wenn Sie sich beispielsweise im Eingang Ihrer Kita die Augen verbinden und eine gewisse Strecke blind gehen, wer-den Sie nach dem Halten mit einiger Sicherheit Ihre ungefähre Position in der

Die elementarste Erfahrung der Raumorientierung und der räumlichen Vorstellung ist die Bestimmung der eigenen Position innerhalb eines Raumes.

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