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ORIGINALIA 10 Osteopathische Medizin 15. Jahrg., Heft 3/2014, S. 10–14, Elsevier GmbH, www.elsevier.com/locate/ostmed * Ass. Prof. Jan Porthun M.M.Sc. DPO, absolvierte ein Masterstudium in Osteopathie an der Donau-Universität Krems und der Wiener Schule für Osteopathie (WSO) und ein Masterstudium in Kinderosteopathie an der Universität Wales in Kooperation mit der Osteopathie Schule Deutschland (OSD). Er arbeitet osteopathisch vorwiegend als Kinderosteopath und ist als wissenschaſtlicher Mitarbeiter am Gjøvik Univer- sity College (Norwegen) tätig. Sein besonderes Augenmerk gilt dem wissenschaſtlichen Arbeiten und der medizinischen Statistik/Biometrie im Rahmen der Osteopathie. Knöcherne Varianten des Kraniums am Pterion Jan Porthun* Zusammenfassung Hintergrund: Das Pterion ist eine Region am Schädel, die vom Os parietale, Os fron- tale, Os sphenoidale und Os temporale ge- bildet wird. In Lehrbüchern finden sich kaum konkrete Aussagen zu den knöcher- nen Varianten, die am Pterion angetroffen werden können. Zielsetzung: Darstellung der verschiedenen Varianten des Pterions beim Menschen. Methode: Qualitative Analyse der Varian- ten des Pterions mittels einer systemati- schen Übersichtsarbeit auf Grundlage einer datenbankbasierten Literaturrecherche ohne Begrenzung auf bestimmte Zeiträume. Ergebnisse: Die vier Hauptvarianten, die in der Literatur dargestellt werden, sind die sphenoparietale, die epipterische, die fron- totemporale und die stellate Variante. Von der epipterischen Variante werden zahlrei- che Unterformen beschrieben. Schlussfolgerung: Für die Region des Pte- rions werden zahlreiche knöcherne Varian- ten beschrieben. Es bedarf weiterer Forschung, um eine genaue Zusammenfas- sung der Seitenunterschiede und der ver- schiedenen epipterischen Varianten zu erstellen. Schlüsselwörter Pterion, Kranium, epipterische Knochen, Variation, Osteopathie Abstract Background: e pterion is the region within the skull in which the parietal, fron- tal, sphenoid and temporal bones meet, ty- pically in the form of an H-shaped suture. In textbooks concrete statements on the bony variations that may be encountered on the pterion are hardly found. Objectives: Representation of the different variants of the pterion in humans. Methods: A meta-analysis was carried out along with a qualitative analysis of publica- gion, an der sich das Os frontale, das Os temporale, das Os parietale und das Os sphenoidale an der Schädelaußenseite in Form einer H-förmigen suturalen Verbindung treffen [1] (Abb. 1 und 3). Die vier Schädelknochen werden als pterische Knochen bezeichnet [2]. Eine unsystematische Sichtung von Pu- blikationen zur Pterionregion zeigte, dass verschiedene morphologische Ty- pen dieser Region beschrieben werden, die unter anderem als sphenoparietales, frontotemporales, stellates und epipte- risches Muster bezeichnet werden [2– 6]. Die aufgeführten Typen liegen, wenn die beiden Seiten eines Schädels mitei- nander verglichen werden, nicht unbe- dingt symmetrisch vor [4, 7]. In den osteopathischen Lehrbüchern wird aus- schließlich das sphenoparietale Muster aufgeführt [8–13]. Daraus ergab sich folgende Fragestel- lung: Welche anatomischen Variatio- nen werden in der Pterionregion, dem Treffpunkt des Os sphenoidale, Os tem- Einleitung Die aktuelle Ausgabe von Gray´s Ana- tomy bezeichnet das Pterion als die Re- Abb. 1: Pterion (roter Kreis) an einem getrockneten Schädel tions on pterion types based on an overall collective of more than 5700 skull halves. is was achieved by a systematic database- based literature survey that was not restric- ted to any particular historical timeframe. Results: e four main types of pterion de- scribed in the literature are the sphenopari- etal, epipteric, frontotemporal and stellate variants. Numerous sub-forms have also been described for the epipteric variant. Conclusion: For the region of the pterion numerous bony variants are described. Further research is required to create an ac- curate summary of the side differences and the different variants of the pterion. Keywords Pterion, epipteric bones, variation, fronto- sphenoidal suture, skull

Knöcherne Varianten des Kraniums am Pterion

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Osteopathische Medizin

15. Jahrg., Heft 3/2014, S. 10–14, Elsevier GmbH, www.elsevier.com/locate/ostmed

* Ass. Prof. Jan Porthun M.M.Sc. DPO, absolvierte ein Masterstudium in Osteopathie an der Donau-Universität Krems und der Wiener Schule für Osteopathie (WSO) und ein Masterstudium in Kinderosteopathie an der Universität Wales in Kooperation mit der Osteopathie Schule Deutschland (OSD). Er arbeitet osteopathisch vorwiegend als Kinderosteopath und ist als wissenschaft licher Mitarbeiter am Gjøvik Univer-sity College (Norwegen) tätig. Sein besonderes Augenmerk gilt dem wissenschaft lichen Arbeiten und der medizinischen Statistik/Biometrie im Rahmen der Osteopathie.

Knöcherne Varianten des Kraniums am PterionJan Porthun*

ZusammenfassungHintergrund: Das Pterion ist eine Region am Schädel, die vom Os parietale, Os fron-tale, Os sphenoidale und Os temporale ge-bildet wird. In Lehrbüchern fi nden sich kaum konkrete Aussagen zu den knöcher-nen Varianten, die am Pterion angetroff en werden können.Zielsetzung: Darstellung der verschiedenen Varianten des Pterions beim Menschen.Methode: Qualitative Analyse der Varian-ten des Pterions mittels einer systemati-schen Übersichtsarbeit auf Grundlage einer datenbankbasierten Literaturrecherche ohne Begrenzung auf bestimmte Zeiträume.Ergebnisse: Die vier Hauptvarianten, die in der Literatur dargestellt werden, sind die sphenoparietale, die epipterische, die fron-totemporale und die stellate Variante. Von der epipterischen Variante werden zahlrei-che Unterformen beschrieben. Schlussfolgerung: Für die Region des Pte-rions werden zahlreiche knöcherne Varian-ten beschrieben. Es bedarf weiterer Forschung, um eine genaue Zusammenfas-sung der Seitenunterschiede und der ver-schiedenen epipterischen Varianten zu erstellen.

SchlüsselwörterPterion, Kranium, epipterische Knochen, Variation, Osteopathie

AbstractBackground: Th e pterion is the region within the skull in which the parietal, fron-tal, sphenoid and temporal bones meet, ty-pically in the form of an H-shaped suture. In textbooks concrete statements on the bony variations that may be encountered on the pterion are hardly found.Objectives: Representation of the diff erent variants of the pterion in humans.Methods: A meta-analysis was carried out along with a qualitative analysis of publica-

gion, an der sich das Os frontale, das Os temporale, das Os parietale und das Os sphenoidale an der Schädelaußenseite in Form einer H-förmigen suturalen Verbindung treff en [1] (Abb. 1 und 3). Die vier Schädelknochen werden als pterische Knochen bezeichnet [2].Eine unsystematische Sichtung von Pu-blikationen zur Pterionregion zeigte, dass verschiedene morphologische Ty-pen dieser Region beschrieben werden, die unter anderem als sphenoparietales, frontotemporales, stellates und epipte-risches Muster bezeichnet werden [2–6]. Die aufgeführten Typen liegen, wenn die beiden Seiten eines Schädels mitei-nander verglichen werden, nicht unbe-dingt symmetrisch vor [4, 7]. In den osteopathischen Lehrbüchern wird aus-schließlich das sphenoparietale Muster aufgeführt [8–13].Daraus ergab sich folgende Fragestel-lung: Welche anatomischen Variatio-nen werden in der Pterionregion, dem Treff punkt des Os sphenoidale, Os tem-

Einleitung

Die aktuelle Ausgabe von Gray´s Ana-tomy bezeichnet das Pterion als die Re-

Abb. 1: Pterion (roter Kreis) an einem getrockneten Schädel

tions on pterion types based on an overall collective of more than 5700 skull halves. Th is was achieved by a systematic database-based literature survey that was not restric-ted to any particular historical timeframe.Results: Th e four main types of pterion de-scribed in the literature are the sphenopari-etal, epipteric, frontotemporal and stellate variants. Numerous sub-forms have also been described for the epipteric variant. Conclusion: For the region of the pterion numerous bony variants are described. Further research is required to create an ac-curate summary of the side diff erences and the diff erent variants of the pterion.

KeywordsPterion, epipteric bones, variation, fronto-sphenoidal suture, skull

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porale, Os frontale und Os parietale, in der Literatur beschrieben?

Defi nition des Begriffs Pterion

Etymologisch betrachtet stammt der Begriff Pterion aus dem Griechischen und bedeutet Flügel [14]. In der grie-chischen Mythologie wird der Götter-bote Hermes bzw. sein römisches Pedant Merkur (Abb. 2) oft mals mit Flügeln beschrieben, welche an seinem Helm auf Höhe des Pterion befestigt sind [15, 16]. In der medizinischen Li-teratur werden für das Pterion unter-schiedliche Bezeichnungen verwendet. Es fi nden sich folgende Begriff e:• Pterion [1, 15–18]• Pteriongegend [17]• Regio pterica [7, 19]Da im Rahmen der Terminologica ana-tomica der Begriff Pterion gebraucht wird, soll auch im Folgenden diese Be-zeichnung verwendet werden. Der Be-griff bezieht sich somit auf die gleiche Region, die von anderen Autoren als Pteriongegend bzw. als Regio pterica bezeichnet wird.

Pterion als anatomischer Orientierungspunkt

Das Pterion dient als anatomische Ori-entierungshilfe, da dort der Zugang zur A. meningea anterior, das Broca-Zent-rum (motorische Sprachregion), das sich meist links befi ndet, der Insula und der Fissura Sylvii liegt [1, 6, 20–22]. Auch bei anterioren Tumoren und Aneurysmen sowie bei Pathologien des Sehnervs wird das Pterion als Zugangs-weg genutzt [20, 23].

Dem Pterion kann als eine lebenswich-tige Arterie die A. meningea anterior zugeordnet werden und da diese Re-gion gleichzeitig eine sehr dünne Kno-chendichte aufweist, steigt das Risiko einer Arterienschädigung [21]. Aus diesem Grund wird das Pterion von ei-nigen Medizinern auch als „god´s little joke“ bezeichnet [20].

Kontakt der beteiligten Schädelknochen untereinanderWie aus Tab. 1 und Abb. 3 deutlich wird, stehen jeweils zwei der insgesamt vier beteiligten Schädelknochen am Pterion in Kontakt mit drei weiteren Schädelknochen. Die beiden anderen Schädelknochen stehen jeweils nur in Kontakt mit zwei weiteren Schädelkno-chen in dieser Region.

Suturen am Pterion

Wie in Abb. 3 verdeutlicht, bilden die Suturen des knöchernen Schädels am

Abb. 3: H-förmiges Suturenmuster am Pterion

Abb. 2: Der römische Gott Merkur (© Michal Mañas, wikipedia)

Tab. 1: Übersicht über die Kontakte der Schädelknochen am Pterion untereinanderSchädelknochen am Pterion (pterische Knochen)

Anteil des Schädelknochens Am Pterion in Kontakt mit

Os parietale Angulus sphenoidalis mit Margo frontalis und Margo squamosus

Os frontale, Os sphenoidale, Os temporale

Os frontale Margo parietalis und Margo sphenoidalis Os sphenoidale, Os parietaleOs sphenoidale Ala major mit einem Teil der Margo frontalis,

Margo squamosus und Margo parietalisOs parietale, Os frontale, Os temporale

Os temporale Pars squamosa mit einem Teil der Margo sphenoidalis und Margo parietalis

Os parietale, Os sphenoidale

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Pterion ein H-förmiges Muster [1, 17]. Die beteiligten Suturen sind: Sutura sphenoparietalis, Sutura coronalis, Su-tura sphenofrontalis, Sutura sphenos-quamosa und Sutura squamosa.

Generelle Anmerkung

In den Lehrbüchern der Anatomie wird nur erwähnt, dass am Pterion epipteri-sche Knochen vorkommen können, während in den osteopathischen Lehr-büchern auf keinerlei Varianten oder epipterische Knochen hingewiesen wird [1, 8–13, 15–17, 24–26]. In der osteopa-thischen Literatur wird jedoch beschrie-ben, wie die Schädelknochen am Pterion übereinander gelagert sind. Von innen nach außen ist folgende Reihenfolge an-zutreff en: Os frontale, Os parietale, Os sphenoidale und Os temporale [27]. Als Forschungsfrage ergab sich daher: Welche anatomischen Varianten wer-den bei Erwachsenen am Pterion in der Literatur beschrieben?

Methodologie

Es wurde eine systematische Über-sichtsanalyse auf der Grundlage einer datenbankbasierten Literaturrecherche in PubMed und in Ovid durchgeführt [28]. Eingeschlossen wurden Studien, die unter den Stichwörtern „pterion“ und „epipteric bones“ gefunden wur-den, ebenso relevante Studien, die in den Referenzen dieser Studien aufge-führt waren und Studien, die dem Au-tor auf anderem Wege bekannt geworden sind. Alle Dubletten wurden entfernt. Ausgeschlossen wurden Stu-dien, die entweder nicht in Englisch, Deutsch, Dänisch, Schwedisch oder Norwegisch vorlagen, nicht beschaffb ar waren oder deren Inhalt nicht das Th ema der Pterionvarianten beim Menschen zum Inhalt hatten.

Ergebnisse

Im Rahmen der Literaturauswertung wurden in den Studien verschiedene Varianten des Pterions gefunden. Da-

Tab. 2: Grobe Einteilung der PterionvariantenVariante BeschreibungSphenoparietal Das Os parietale steht in Kontakt mit dem Os sphenoidale

(Abb. 1, Abb. 3)Frontotemporal Das Os frontale steht in Kontakt mit dem Os temporale (Abb. 4)Stellat Alle vier Knochen treffen an einem Punkt zusammen (Abb. 5)

Epipterisch Varianten mit einem oder mehreren Schaltknochen (Abb. 6–11)

Abb. 4: Variante, bei der das Os frontale in Kontakt mit dem Os temporale steht

Abb. 7: Variante mit einem Schaltkno-chen, der zu drei pterischen Kochen in Kontakt steht

Abb. 8: Variante mit einem Schaltkno-chen, der zu drei pterischen Knochen in Kontakt steht

Abb. 9: Variante mit zwei epipterischen Knochen

Abb. 10: Variante mit drei epipterischen Knochen

Abb. 11: Variante mit einem epipteri-schen Knochen, der mit zwei Knochen in Kontakt steht

Abb. 5: Stellate Form

Abb. 6: Variante mit einem Schaltknochen, der zu allen vier pterischen Knochen in Kontakt steht

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bei gilt es grundsätzlich, zwischen ei-nem Pterion mit einem oder mehreren epipterischen Knochen und einem Pte-rion ohne epipterische Knochen zu un-terscheiden. Epipterische Knochen sind einzelne kleine Knochen, die am Pte-rion auft reten können [1, 17].

Varianten ohne epipterische Knochen

In der Literatur werden sehr unter-schiedliche Bezeichnungen für die ver-schiedenen Varianten des Pterions verwendet. Es kommen Einteilungen mit Buchstabenbezeichnungen, die al-phabetisch geordnet sind oder sich auf die Form beziehen, vor, römische Zah-len werden verwendet sowie lateinische Bezeichnungen und Namen, die sich auf den Kontakt der pterischen Kno-chen untereinander beziehen [28].Eine sehr häufi ge und einfache Unter-teilung nimmt Bezug auf den Kontakt der pterischen Knochen zueinander (Tab. 2). Für ein Pterion mit einem oder mehreren Schaltknochen fi ndet sich eine Fülle an Varianten. Einen Überblick geben die Abb. 4 und 5 bzw. Abb. 6–11 (Varianten mit einem oder mehreren Schaltknochen).

Diskussion

Es ist überraschend, wie viele Varianten des Pterions in der Literatur beschrie-ben werden. Bei genauerer Auswertung zeigte es sich jedoch, dass das gesamte Th ema der Pterionvarianten kaum in der Literatur etabliert ist, nur wenige Autoren greifen überhaupt auf die glei-chen Benennungen zurück. In den Stu-dien der letzten Jahre, in denen es vor allem darum ging, die Pterionvarianten verschiedener ethnischer Gruppen zu untersuchen, zeichnete sich die Ten-denz ab, nur die vier Kategorien, die in Tab. 2 aufgeführt sind, zu verwenden. Dies war einer der Gründe, warum auf diese Einteilung zurückgegriffen wurde. Ein anderer Grund war, dass diese Einteilung aus der Sicht des Au-tors den größten gemeinsamen Nenner der Pterioneinteilungen repräsentiert.

Autoren wie Apinhasmit et al. [29], Ma et al. [30] und Hussain Saheb et al. [31], die ebenfalls diese Einteilung nutzen, berufen sich darauf, dass Murphy [2] diese Einteilung vorgeschlagen hat. Wie in dem vorliegenden Artikel wird auch in der aktuellen Ausgabe von Gray´s Anatomy die Bezeichnung epip-terische Knochen verwendet [1].Uneinigkeit herrscht in der Literatur darüber, ob es richtig ist, den Begriff Wormsche Knochen in Bezug auf epip-terische Knochen anzuwenden. Agar-wal et al. [32] sprechen sich dagegen aus, während andere Autoren wie Ma et al. [30] und Sutton [33] diesen Be-griff verwenden. In Bezug auf das Alter der Quellen stellt sich die Frage, ob es sich hierbei um ein historisches Prob-lem in Hinsicht auf die Defi nition der Wormschen Knochen handelt. Dies lässt sich überprüfen, indem man die im Jahre 1909 erschienene 6. Aufl age von Meyers Großes Konversations-Le-xikon [34], welches kein spezielles ana-tomisches Lehrwerk darstellt, und die aktuelle Ausgabe von Gray´s Anatomy [1], ein Standard-Anatomielehrwerk des englischen Sprachraums, für die Begriff sdefi nition mit heranzieht.Im Konversations-Lexikon wird genau beschrieben, was Schaltknochen sind, und auch erläutert, dass Wormsche Knochen kleine Schaltknochen in den Schädelnähten sind, die nicht den Ver-lauf der Sutur beeinfl ussen [34]. In Gray´s Anatomy werden Wormsche Knochen ebenfalls als Suturenknochen („sutural bones“) defi niert [1]. Dies be-deutet, dass die Defi nition der Worm-schen Knochen in den letzten 100 Jahren scheinbar keiner Änderung un-terlag. Die genannte Uneinigkeit in der Literatur lässt sich also nicht mit histo-rischen Begriff sveränderungen erklä-ren. Die Defi nition, wie sie in den beiden angeführten Werken verwendet wird, trifft jedoch nur für einige epipterische Knochen zu; so zum Beispiel auf recht kleine Ossa epipterica bilatera (Abb. 11), welche in der Sutur eingela-gert sind und nicht den Nahtverlauf beeinfl ussen. Es erscheint daher nicht ratsam, epipterische Knochen in die

Kategorie der Wormschen Knochen einzuordnen.Viel ausgiebiger, als es im Rahmen die-ses Artikels möglich war zu repräsen-tieren, wird von verschiedenen Autoren wie Urzi et al. [5] und Murphy [2] auf die Pterionvarianten mit einem oder mehreren epipterischen Knochen ein-gegangen. Murphy [2] nennt zum Bei-spiel 18 verschiedene Varianten. Die praktische Relevanz dieser recht feinen Kategorisierungen ist jedoch fraglich, da die gefundene prozentuale Häufi g-keiten aller dieser epipterischen Unter-kategorien gering ausfällt (vgl. [28]). Die gleiche Meinung wird auch von Bartels [35] vertreten.Eine nennenswerte anatomische Be-zeichnung verwendet Broek [36]. Ein Fortsatz des Os temporale, der bis an das Os frontale reicht, wird Processus frontalis ossis temporalis genannt. Es liegt daher nahe, diesen Begriff zu ver-wenden, da er sehr gut die anderen Be-nennungen am Os temporale ergänzt. Laut Broek [36] kommt er jedoch nur zur Anwendung, wenn ein Kontakt zwischen dem Os frontale und dem Os temporale gegeben ist, was natürlich beachtet werden muss. Bartels [35] er-wähnt einen Processus temporalis ossis frontis, also einen Fortsatz des Os fron-tale, der zum Os temporale reicht.

Zusammenfassung und SchlussfolgerungIm Rahmen der Analyse wurde unter-sucht, welche Varianten des Pterions in der Literatur beschrieben werden. Ins-gesamt konnten 21 Studien für die Aus-wertung genutzt werden. Es zeigte sich, dass zahlreiche Pterionvarianten in der Literatur beschrieben werden, wobei keine einheitlichen Bezeichnungen für diese Varianten vorliegen. In der neu-eren Literatur wird hauptsächlich eine Einteilung nach vier Varianten ge-braucht, diese wird auch für den prak-tischen Gebrauch empfohlen (Tab. 2).Eine quantitative Auswertung dieser vier verschiedenen Varianten des Pte-rions wies folgende Verteilung auf: sphenoparietal in 77%, epipterisch in

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14% und andere (frontotemporal und stellate Form) in 9% aller Fälle [28]. Standardmäßig wird in osteopathi-schen Lehrbüchern die sphenoparietale Variante genannt. Die Wahrscheinlich-keit, eine andere Varianten anzutreff en, beträgt – entsprechend der prozentua-len Verteilung – jedoch 1:3. Daher sollte im Rahmen des Osteopathiestu-diums darauf hingewiesen werden, dass Varianten existieren und dies bei osteopathischen Techniken am Pterion zu berücksichtigen ist (vgl. [28]).

Ausblick

Wie sich in der vorliegenden Arbeit ge-zeigt hat, kann es sich lohnen, einzel-nen Hinweisen auf anatomische

Variationen genauer nachzugehen. Os-teopathie als Fach wird glaubwürdiger, wenn man sich nicht nur auf die soge-nannte normale Anatomie bezieht, sondern auch mit häufi g vorkommen-den Varianten vertraut ist. Speziell für die Region des Pterions gilt es, genauer die zahlreichen epipterischen Varian-ten übersichtlich darzustellen und eventuell die Namen zu vereinheitli-chen, falls dies möglich ist. Des Weite-ren wurde in den ausgewerteten Studien kein Hinweis darauf gefunden, wie die einzelnen Schädelknochen am Pterion von lateral nach medial in Be-zug auf ihre Reihenfolge angeordnet sind. Da dies bei osteopathischen Tech-niken jedoch von Bedeutung ist, sollte es auch genauer untersucht werden. Ein weiterer und sicher sehr umfangreicher

und komplexer Bereich sind die Seiten-unterschiede am Pterion. Einige Stu-dien weisen darauf hin, dass Seitenunterschiede in Hinsicht auf die Variationen vorliegen [2, 3, 36, 37]. Ein Th ema, das für Osteopathen sehr inte-ressant sein kann, da dies palpierte Sei-tenunterschiede am Pterion bei einer Person erklären könnte.

Korrespondenzadresse:

Ass. Prof. Jan Porthun Faculty of Health, Care and NursingGjøvik University CollegeTeknologivn. 222815 GjøvikNorwegen

[email protected]

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