Paul Tholey - Blick-Varianten im Wach- und Traumzustand

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    Paul Tholey

    Blick-Varianten

    im Wach- und

    Traumzustand

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    Inhalt

    Einleitung

    Tell I:

    Grundlagen der optischen Wahrnehmung im Wachzustand

    1. Erkenntnistheoretische Grundlagen:

    Das Problem der Auenlage der Sehdinge

    2. Unterschiede zwischen physischem und

    phnomenalem Sehvorgang

    3. Der wechselseitige Zusammenhang zwischen

    physischem und phnomenalem Sehvorgang

    4. Blick- und Augenbewegungen

    Teil II:

    Grundlagen der optischen Wahrnehmung im Traumzustand

    Teil III:

    Grundlagen der Einbung und Erforschung des Klartrumens

    1. Techniken zum Erlernen des Klartrumens

    1.1 Die Reflexionstechnik zur Induktion vonKlartrumen

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    1.2 Techniken zum Beenden, Verlngern und

    Verndern von Klartrumen

    1.3 Apparative Induktions- und

    Kommunikationstechnik

    1.4 Hypnagoge Induktionstechniken

    2. Methoden der Klartraumforschung

    Teil IV: Der entfesselte Blick im Klartraum

    1. Der weiche Blick

    2. Der magische Blick

    3. Der panoramische, sphrische und tunnelfrmige Bllck

    4. Der auerkrperliche Blick

    5. Der Blick aus und mit anderen Augen

    6. Der mikro- und endoskopische, Rntgen- und Kamera-

    Blick

    7. Der doppelte und vervielfache Blick

    8. Der erleuchtete Blick

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    Einleitung

    Da ich mich gerne dazu bereit erklrte, einen Beitrag zum Thema 'Derentfesselte Blick' zu liefern, hat eine Reihe von Grnden. Sowohl mein Lehrer in

    Psychologie, EDWIN RAUSCH, als auch mein Lehrer in Sportwissenschaft, KURTKOHL, haben sich ausfhrlich in Lehre und Forschung sowie in ihren

    grundlegenden Werken mit dem Blickverhalten und dessen Auswirkungenbefat. Dies hatte u. a. seinen Grund darin, da beide Forscher der vonWERTHEIMER, KHLER und KOFFKA gegrndeten Berliner Schule derGestaltpsychologie bzw. -theorie angehren, die sich von Anbeginn an fr die

    optischen Wahrnehmung und insbesondere auch fr das Blickverhalteninteressierte. Letzteres gilt schon fr MAX WERTHEIMERs fundamentale Arbeit

    ber 'Experimentelle Studien ber das Sehen von Bewegungen', derenErscheinen im Jahr 1912 den Ansto zur Grndung der Gestalttheorie gab.

    Seither sind umfassende, gestaltheoretisch begrndete, Arbeiten ber dieBedeutung des Blickverhaltens in der Wahrnehmungs-, Ausdrucks-,

    Persnlickeits-, Sozial-, Kunst- und Sportpsychologie erschienen.

    Auch meine eigenen Untersuchungen ber das Blickverhalten imTraumzustand, ber das ich im vorliegenden Referat berichten werde, bauen

    auf den Grundlagen der Gestalttheorie auf. Um diese Untersuchungen

    hinsichtlich ihrer Fragestellung, Methodik und Interpretation der Ergebnissesinnvoll einordnen zu knnen, werde ich zunachst in Teil I meines Referats aufdie begrifflichen, erkenntistheoretischen und psychophysiologischen

    Grundlagen der optischen Wahrnehmung aus gestalttheoretischer Sichteingehen, wobei ich mich dann insbesondere auch auf das Blickverhalten lm

    Wachzustand beziehe. Allerdings beschrnken sich die Ausfhrungen von Teil Iim wesentlichen auf diejenigen Grundlagen, die auch fr das Verstndnis der

    optischen Wahrnehmung im Traumzustand bedeutsam sind, auf deren

    Grundlagenproblematik ich dann in Teil II des Referats eingehen werde. In TeilIII werde ich mich einer speziellen Art von Trumen, den Klartrumen, zu.Diese zeichnen sich dadurch aus, da man in ihnen vllige Klarheit ber den

    Traumzustand besitzt und auerdem ber seine blichen Gedchtnis-,Verstandes- und Willensfunktionen verfgen kann. Den Klartrumen kommt

    deshalb besondere Bedeutung zu, weil diese Trume es erst ermglichen,exakte und systematische Beobachtungen ber Trauminhalte und speziell auch

    ber die Blickphnomene im Traumzustand durchzufhren. Obwohl dieKlartraumforschung nicht nur die Traum-, sondern die gesamte

    Bewutseinsforschung revolutionierte, ist sie als relativ jungeForschungsdisziplin der wissenschaftlichen ffentlichkeit noch weitgehend

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    unbekannt geblieben. Aus diesem Grund ist es angebracht, in Teil III kurz aufdie grundlegenden Methoden zur Einbung und Erforschung des Klartrumens

    einzugehen. Es wird sich zeigen, da hierbei schon dem Blickverhalten einebesondere Bedeutung zukommt. Schlielich gehe ich in Teil IV genauer auf

    einzelne Blickvananten im Klartraum ein. Die hierbei auftretenden Phnomenesprengen teilweise jegliche, von der Wachwahrnehmung geprgte,

    Vorstellungskraft, so da man mit Fug und Recht von einem 'entfesselten Blick'sprechen kann.

    Tell I: Grundlagen der optischen Wahrnehmung imWachzustand

    1. Erkenntnistheoretische Grundlagen: Das Problem der

    Auenlage der Sehdinge

    Aus erkenntnistheoretischer Sicht vertritt die Gestalttheorie, auf derenGrundlagen wir uns, wie angekndigt, berufen, die Position des kritlschen

    Reallsmus. Im Unterschied zum naiven Realismus, der besagt, da wir dieobjektive oder physische Welt unmittelbar wahrnehmen knnen, postuliert der

    kritische Realismus, da die gesamte unmittelbar vorgefundene Welt nur einesubjektive oder phnomenale Erscheinungswelt ist, die von der physischen

    Welt streng zu unterscheiden ist. Im Unterschied zu allen idealistischenerkenntnistheoretischen Positionen, die die Erkennbarkeit oder gar die Existenz

    einer objektiven oder physischen Welt leugnen, geht der kritische Realismus

    davon aus, da die physische Welt ber Wahrnehmungsprozesse zumindest inihren strukturellen Zgen teilweise erkennbar ist.

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    Es mag dem Verstndnis dieser komplexen erkenntnistheoretischen Positiondienen, wenn ich zunchst schildere, wie ich selbst von einem naiv-

    realistischen Weltbild, das nicht nur der Alltagsansicht entspricht, sondernauch noch bei vielen Wissenschaftlern verbreitet ist, zu einem kritisch-

    realistischen Weltbild gelangt bin.

    Zu Beginn meines Psychologiestudiums wurden wir Studienanfnger zunchstan die Vorgnge erinnert, die zur optischen Dingwahrnehmung fhren. Bei

    einem solchen Wahrnehmungsvorgang werden von einem physischen ObjektLichtstrahlen ausgesandt, die die Netzhaut des Auges erreichen und dort zur

    Erregung der Sehzellen fhrt. Diese Erregungen werden ber nervse Prozesseweitergeleitet, bis sie schlielich in einem bestimmten Bereich des Grohirns

    diejenigen Prozesse hervorrufen, die die unmittelbare Grundlage fr die

    optische Dingwahrnehmung bilden. Nun fhrt aber dieser seit Jahrhundertenbekannte Sachverhalt zu einem Problem, das uns in Form folgender Fragegestellt wurde, die wir Studierenden selbst beantworten sollten:

    'Warum sehen wir die Dinge auerhalb unseres Kopfes, obwohl diePhysiologen doch nachgewiesen haben, da die Wahrnehmung der

    Dinge letztlich auf Hirnprozessen, also auf vorgngen innerhalb unseresKopfes beruhen?'

    Mich interessierte und beschftigte dieses Problem so sehr, da ich intensivdarber nachdachte, wobei ich aber zunchst auf Irrwege geriet. Erst als ich

    auf einem Spaziergang eigentlich an gar nichts dachte, sondern in derherbstlichen Landschaft versunken war, wurde mir die Lsung, oder besser, dieAuflsung des gestellten Problems, das sich als Scheinproblem entpuppte,eingegeben. Beim Betrachten einer mchtigen Eiche tauchte urpltzlich die

    Frage auf, wie denn dieser groe Baum, den ich vor mir sah, berhaupt inmeinen Kopf passen knnte. Blitzartig kam die Antwort aus heiterem Himmel

    oder, wenn man will, sogar von jenseits des heiteren Himmels. Es erschien mirnmlich in der Vorstellung ein riesiger Kopf, der nicht nur den Baum, sondern

    auch den blauen Himmel und, was besonders wichtig war, auch meineneigenen wahrgenommenen Kopf umfate. Mir wurde schlagartig klar, da die

    gesamte objektiv und intersubjektiv erscheinende Welt blo eine subjektiveWelt in meinem physischen Kopf war. Die Unterscheidung zwischen objektiven

    (physischen, erlebnisjenseitigen) und subjektiven (phnomenalen, erlebten)Gegebenheiten fhrte dann zur Auflsung des scheinbaren Widerspruchs in

    der gestellten Frage. Denn zwischen dem physiologischen Befund, da diephysischen Dinge ber Sinnes- und Nervenprozesse lnnerhalb des physlschen

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    Kopf reprsentiert werden und der unmittelbaren Erlebnisbeobachtung, dawahrgenommene Dinge sich auerhalb des wahrgenommenen Kopfes

    befinden, besteht kein Widerspruch mehr. Der Irrtum, auf dem dieserscheinbare Widerspruch beruhte, lag einfach darin, da ich nicht gleich

    erkannte, da auch der physische Kopf sowie der gesamte eigene physischeKrper ebenfalls nur ber Sinnes- und Nervenprozesse im Gehirn

    wahrgenommen werden kann, allerdings im Unterschied zu den auenwahrgenommenen Dingen weniger ber uere Sinne (wie vor allem den

    Gesichtssinn), sondern vorwiegend ber innere Sinne (wie z. B. ber den Tast-,Temperatur- oder Schmerzsinn).

    Im Wachzustand wird der physische Organismus eines Subjekts und dessen

    physische Umgebung ber die Erregung innerer und uerer Sinnesorgane und

    die nervsen Erregungsweiterleitungen in einem hypothetisch angenommenen(rumlich nicht festgelegten) Bereich des Gehirns ''abgebildet', der alsPsychoyhysisches Niveau (PPN) bezeichnet wird, weil die dort stattfindendenphysischen Prozesse zugleich psychisch oder 'bewutseinsfhig' sind.

    Auf die Frage nach der speziellen Beziehung zwischen physischen und phnomenalen

    Gegebenheiten im Psychophysischen Niveau kann ich im vorliegenden Referat nicht nher

    eingehen. Ich habe diese Frage in mehreren frheren Verffentlichungen im Rahmen der Leib-

    Seele-Problematik ausfhrlich diskutiert. Hier mchte ich nur darauf hinweisen, da die enge

    Beziehung zwischen den physischen und phnomenalen Sachverhalten im PsychophysischenNiveau auf keinen Fall in einem materialistischen Sinn mizuverstehen ist.

    So kann die wahrgenommene Welt, die sich gewhnlich in denwahrgenommenen Krper oder das Krper-Ich und das wahrgenommene

    Umfeld gliedert als (mehr oder weniger getreues) Abbild des physischenOrganismus und seiner physischen Umgebung verstanden werden. Die

    Schwierigkeit, den Abbildcharakter der wahrgenommenen Dinge zu erkennen,besteht darin, da sich dieser Abbildcharakter im unmittelbaren Erleben selbst

    nicht zeigt (und auch gar nicht zeigen kann), so daWahrnehmungsgegebenheiten, wie das Krper-Ich und die wahrgenommene

    Umgebung (einschlielich der darin befindlichen Dinge und Personen) sowohlim Alltag als auch in der Wissenschaft mit dem physischen Organismus und derphysischen Umgebung in unkritischer Weise miteinander verwechselt odervermengt werden.

    Wenn davon gesprochen wurde, da die wahrgenommene Welt ein Abbild der

    physischen Welt darstellt, so ist der Begriff des Abbilds nur in einem sehrweiten Sinn zu verstehen, da sich die wahrgenommene und die physische Welt

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    doch erheblich unterscheiden. Dies ist auch nicht verwunderlich, wenn manbedenkt, wieviel auf dem langen Weg der Informationsbertragung vom

    physischen Ding zum Gehirn verloren geht, und wieviel im Gehirn an 'Zutaten'hinzukommt bzw. durch Organisationsvorgnge verndert wird.

    Zur gesamten erscheinenden (phnomenalen, erlebten) Welt gehren

    allerdings nicht nur die objektiv erscheinenden Wahrnehmungsgebenheiten,auf die wir uns bisher konzentriert haben, sondern auch solche Sachverhalte,

    deren seelischer Charakter unmittelbar im Erleben erscheint. Dies trifft aufVorstellungen, Gedanken, Gefhls- und Willensvorgnge sowie manche

    Krperempfindungen (wie z. B. Schmerzen) zu. Man betrachte als Beispiel denriesigen Kopf, der mir bei dem beschriebenen Erlebnis erschien. Diesen erlebte

    ich nicht als objektiv, sondern als ein vorstellungsartiges, ber sich selbst

    hinausweisendes Bild. Aus kritisch-realistischer Sicht lt sich nicht nur dereingangs erwhnte scheinbare Widerspruch bezglich der Auenlage derDinge auflsen, sondern auch eine unbersehbare Anzahl von anderenSachverhalten erklren, die meist auf Diskrepanzen zwischen derphnomenalen und physischen Welt beruhen. Man denke etwa an

    Tuschungsphnomene, zu denen als besonderer Grenzfall auch der Traum zurechnen ist, auf den wir spter ausfhrlich eingehen werden. Wir wollen im

    folgenden diejenigen Diskrepanzen zwischen phnomenalen und physischen

    Sachverhalten hervorheben, die sich auf die optische Wahrnehmung beziehen,also im Zusammenhang mit der Thematik des vorliegenden Referats stehen.

    2. Unterschlede zwischen physischem und phnomenalem

    Sehvorgang

    Diskrepanzen zwischen dem physischen und dem phnomenalen Sehvorgangzeigen sich darin, da bei dem physischen Sehvorgang die Lichtstrahlen von der

    physischen Umgebung zu den beiden Augen hin, also einwrts, gerichtet sind,whrend die erlebten Blickstrahlen gerade umgekehrt zur wahrgenommenen

    Umgebung hin, also auswrts, gerichtet sind. Auerdem blicken wirelebnismig nicht aus zwei Augen, sondern aus dem vorderen Teil des Kopfes

    bzw. dem 'Gesicht' im eigentlichen Sinn des Wortes. In Anlehnung an diegriechische Sage vom Zyklopen, einem Riesen, der nur ein einziges groes

    rundes Auge besa, spricht man im Anschlu an den bedeutenden PhysiologenHERING von dem 'Zyklopenauge', aus dem wir auf die (wahrgenommene)

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    Umgebung blicken. Hinter diesem Zyklopenauge, genauer hinter derwahrgenommenen Nasenwurzel erlebt man beim gewhnlichen Schauen die

    'Ichmitte' ..., den 'Ichkern' ..., 'Ichpunkt' oder kurz das 'Ich', wie wir es nennenwollen, wenn kein Anla zur Verwechslung mit anderen Ichbegriffen gegeben

    ist. ... Whrend das wahrgenommene Krper-Ich eine Ausdehnung hat, ist dashier gemeinte Ich eher durch seinen Ort in der erlebten Welt bestimmt. Es

    kann als Ursprung der erlebten Bllckstrahlen, der die Perspektive unsererSehwelt bestimmt, betrachtet werden. Vom Ich scheinen auch verschiedene

    wilentliche Prozesse, wie das bewute Blick- und Aufmerksamkeitsverhaltenauszugehen, die gewhnlich miteinander gekoppelt sind.

    Die Lage des Ichs bzw. der 'Sitz der Seele' spielt sowohl in verschiedenen

    philosophischen als auch okkultistischen Lehren eine Rolle. Aber all diese

    Lehren sind naiv, da sie das Ich oder die Seele nicht im phnomenalen, sondernim physischen Krper ansiedeln. So lokalisieren z. B. Anhnger altindischerLehren, ebenso wie DESCARTES und Okkultisten der unterschiedlichstenRichtungen das Ich (bzw. die 'Seele') hinter der physlschen Nasenwurzel in derZirbeldrse. Die vermeintliche Bedeutung der physischen Nasenwurzel, wird

    auch noch bei den heutigen Anhngern der indischen Lehren durch dieMarkierung eines runden Flecks an der Nasenwurzel hervorgehoben, dem

    Zentrum des 'dritten Auges'. Nach Ansicht vieler Okkultisten kann das Ich von

    der Zirbeldrse durch dieses 'dritte Auge' aus dem physischen Krperaustreten. Sie sprechen in diesem Zusammenhang auch von 'Astralprojektion'.Aus kritisch-realistischer Sicht ist das 'dritte Auge' mit dem zentralen Bereich

    des Zyklopenauges gleichzusetzen, wobei dieser Bereich natrlich nicht an derphysischen, sondern an der wahrgenommenen Nasenwurzel liegt. Auerdemkann das Ich nicht aus dem physischen Krper hinausprojiziert werden,sondern nur aus dem erlebten Krper, was nicht nur erkenntnitheoretisch

    sondern auch experimentell belegt werden kann (vgl. hierzu Abschn. IV.6). ZurEhrenrettung der Okkultisten sei gesagt, da auch die Mehrzahl der

    wissenschaftlichen Theorien, denen es um die Zusammenhnge zwischenphysischen und psychischen Sachverhalte geht, in hnlicher Weise naiv sind, da

    sie ebenfalls nicht klar zwischen diesen beiden unterschiedlichenSachverhalten unterscheiden. So werden in der physiologischen und

    psychologischen Wahrnehmungslehre, der Tiefenpsychologie sowie derBewutseinsforschung Projektionsbegriffe gebraucht, die, gleichwie der

    okkultistische Begriff der Astralprojektion, im wesentlichen auf derVerwechslung des wahrgenommen mit dem physischen Krper beruhen.

    Beispielsweise behaupten verschiedene Wahrnehmungstheoretiker, da diezuvor diskutierte Auenlage der Sehdinge darauf beruhe, da die Sehdinge

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    mittels gedanklicher Rckschlu- oder Rckverlegungsprozesse in diephysische Auenwelt projiziert werden. Die bedeutendsten Tiefenpsychologen

    sind sich darin einig, da aufgrund von 'Abwehrmechanismen' bestimmte'Anteile der Persnlichkeit' in die physische Auenwelt (einschlielich der darin

    befindlichen Personen) projiziert werden. Ein Teil der modernenBewutseinsforscher teilt sogar die Meinung der Okkultisten, da die 'Seele',

    das 'Ichbewutsein' oder was sonst auch immer in VerndertenBewutseinszustnden (z. B. Nah-Todes-Erfahrungen) aus dem physischen

    Krper hinausverlagert oder -projiziert werden kann. Ich wei nicht in welcherHinsicht diese 'wissenschaftlichen' Projektionsbegriffe dem okkultistischen

    Projektionsbegriff vorzuziehen sind. Ja man stt speziell bei manchenTiefenpsychologen auf teilweise sogar noch nebulsere Begriffe als bei den

    Okkultisten, die wenigstens noch ihre Erlebnisse halbwegs klar beschreiben

    knnen.

    Wir haben uns bisher nur mit dem eigenen Blickverhalten und nicht mit demBlickverhalten anderer Personen oder Wesen sowie darber hinaus mit denWechselwirkungen zwischen eigenen und fremden Blickverhalten befat. Aus

    Raumgrnden knnen wir ber das fremde Blickverhalten nur ganz kurzeHinweise geben. Der Blick einer fremden Person fllt natrlich aus zwei Augen,

    er wird mir besonders bewut, wenn ich mich von den Blickstrahlen des

    anderen getroffen fhle. Da dem Blickgeschehen eine fundamentalerBedeutung bei jeglicher Form mitmenschlicher Begegnung eine kaum zuberschtzende Rolle spielt, ist nicht nur von Alltagssituationen her bekannt,

    sondern wurde in zahlreichen ausdrucks-, sport- und sozialpsychologischenUntersuchungen besttigt.

    3. Der wechselseitige Zusammenhang zwischen physischem und

    phnomenalem Sehvorgang

    Aus der der in Abschn. I. skizzierten Darstellung der Vorgnge, die zuroptischen Wahrnehmung fhren, ergibt sich, da optisch wahrgenommene

    Gegebenheiten mit den Endprodukten einer Wirkungskette von physikalischenund physiologischen Vorgngen in Beziehung stehen. Nun knnen aber auch

    umgekehrt Wahrnehmungsgsgegebenheiten ber efferenteNerverleitungsweiterleitungen und Muskelinnervationen Einflu auf die

    motorischen Ausfhrungsorgane des physischen Organismus und dessenphysische Umgebung Einflu nehmen. Da die Wirkungen dieses Einflusses

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    wieder ber sensorische Prozesse zum Psychophysischen Niveau'rckgemeldet' werden, stehen die wahrgenommene und die physische Welt in

    einem einem (komplexen) sensumotorischen RegelkreisoderRckkoppelungszusammenhang ...

    Welche biologische Funktion kommt der 'Verdoppelung' der Welt in eine

    physische und eine wahrgenommene sowie derenRckoppelungszusammenhang zu? Nun, jedem Kybernetiker wird sich der

    Vergleich zwischen einem Servomechanismus, wie man ihn zurkraftsparenden, strungsausgleichenden und feinabgestimmten Steuerung

    groer Fahrzeuge verwendet, und dem sensumotorischen System desmenschlichen Organismus aufdrngen. Denken wir an die Kanzel eines groen

    Flugzeugs, in der der Pilot keine direkte sinnliche Verbindung zur 'Auenwelt'

    besitzt. Trotz dieser Tatsache kann er das Flugzeug ber dieMeinstrumentenanzeige, den Radarschirm sowie den Funkkontakt mitanderen Piloten sicher steuern. In hnlicher Weise wie sich nun der Pilot berdie in der Kanzel empfangenen Informationen ber das Flugzeug und seineUmgebung den Flug optimal steuern kann, vermag das Ich durch seine

    Orientierung in der Wahrnehmungswelt vermittels motorischer Prozesse, dieeine stndige sensorische Rckkoppelung bewirken, den physischen

    Organismus strungsausgleichend, kraftsparend und feinabgestimmt in der

    physischen Umgebung zu steuern. Ja, diese Steuerung erfolgt zuweilen sogarunwillkrlich, also allein vermittels der wahrgenommenerUmgebungverhltnisse, vergleichbar mit der Flugsteuerung durch einen

    Autopiloten.

    Fr die spteren Errterungen, die sich mit dem Blickverhalten im Traumbefassen, ist es wichtig zwischen der Krper- und Augenmotorik zu

    unterscheiden ... Im Zusammenhang mit unserer Thematik interessiert uns inerster Linie die Augenmotorik, die wir anhand eines Beispiels des

    Gestalttheoretikers KHLER erlutern, von dem brigens der Begriff derRckkoppelung 1922 (also lange vor dem Kybernetiker WIENER) eingefhrt

    wurde.

    KHLER bezieht sich auf den Sachverhalt, da wir gewhnlich einem imDunkeln auftauchenden hellen Punkt unwillkrlich den Blick zuwenden. Man

    erlebt dabei, da der Blick quasi 'magnetisch' von dem Punkt angezogen wird.Diesem Erlebnis entspricht nach KHLER ein Ungleichgewichts- oder

    Spannungszustand im Psychophysischen Niveau. Das Gleichgewicht kann nurdadurch wiederhergestellt werden, da ber fortwhrende

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    Rckkoppelungsprozesse die Augpfel (unter Umstnden auch Kopf undKrper) so bewegt werden, da die von dem (physischen) hellen Punkt

    ausgehenden Lichtstrahlen ins Deutlichkeitszentrum der Netzhaut (die foveacentralis) fallen. Dies fhrt dann dazu, da der wahrgenommene Punkt im

    Zentrum des wahrgenommenen Blickzentrums erscheint, wodurch derUngleichgewichtszustand behoben wird.

    Das Beispiel erlutert nicht nur den Wirkungszusammenhang zwischen

    physischen und phnomenalen Sehvorgang, sondern veranschaulichtgleichzeitig auch nochmals den Unterschied zwischen beiden Vorgngen. Denn

    von den beschriebenen Rckkoppelungspozessen spren wir beimphnomenalen Sehvorgang nichts, sondern wir erleben, wie gesagt, nur da

    der Blick von dem hellen Punkt angezogen wird.

    Rckkoppelungsprozesse spielen in hnlicher Weise im brigen auch bei derwillkrlichen Blickbewegung statt. Aus phnomenologischer Sicht richten dabeivom Ich ausgehende Willenskrfte den Blick auf eine bestimmte Stelle imSehfeld aus, die wir anblicken wollen, wobei wir von den sensumotorischen

    Regelkreisprozessen, die hierzu notwendig sind, wiederum nichts bemerken.

    4. Blick- und Augenbewegungen

    Weder im Alltag, noch in der Wissenschaft wird gewhnlich genau zwischen

    Blick- und Augenbewegungen unterschieden, obwohl diese Unterscheidungzum Verstndnis des Sehvorgangs unerllich ist. Vom Blick reden wir nur,

    wenn ein Sehfeld vorliegt, wobei zugleich interessiert, wohin bzw. auf welcheStelle des Sehfelds geblickt wird. Da der Blick demnach eine (vom Ich auf das

    Sehfeld) gerichtete Gre ist, sprechen wir von 'Blickstrahlen' (statt von 'Blick-'oder 'Sehlinien'). Unter Augenbewegungen verstehen wir hingegen die

    Drehung der Augen in den Augenhhlen. Hierbei liegt kein Bezug zum Sehfeldvor.

    Aus kritisch-realistischer Sicht ist strenggenommen wiederum zwischen

    phnomenalen und physischen Augen- und Blickbewegungen zu unterscheiden... Wenden wir uns zunchst dem Unterschied zwischen physischen und

    phnomenalen Augenbewegungen zu. Bei den ersteren handelt es sich um die

    Drehung der physischen Augpfel, die auch von auenstehenden Beobachternregistriert werden knnen, wobei man im Wachzustand bevorzugt eine

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    Augenbewegungskamera, im Traumzustand hingegen elektrographischeMethoden zu Hilfe nimmt.

    Phnomenologisch gesehen, stehen die Augenbewegungen allerdings meist im

    Hintergrund. Nur wenn die Augpfel in starkem Ausma, wie beimbeabsichtigten Schielen, verdreht werden, treten sie auch enebnismig in

    Erscheinung. Hier zeigt sich ein weiterer Unterschied zwischen Augen- undBlickbewegungen: erstere werden auf kinsthetischem, letztere auf optischem

    Weg bewut. Wie aus den vorausgehenden Errterungen hervorgeht, richtetsich der phnomenale Blickstrahl vom Ichkern auf eine Stelle des

    wahrgenommenen Sehfelds. Der physische (besser: der objektive) Blickstrahlist hingegen von der fovea centralis auf eine Stelle des physischen Sehfelds

    gerichtet. Blickbewegungen kann man als das Durchlaufen der Spitze des

    Blickstrahls im (phnomenalen oder physischen) Sehfeld betrachten.Bewegungen und Ruhe des Blicks fassen wir unter dem unter dem Begriff'Blickverhalten' zusammen.

    Teil II: Grundlagen der optischen Wahrnehmung im

    Traumzustand

    Die Einfhrung in die theoretischen Grundlagen der Wahrnehmung im

    Wachzustand versetzt uns in die Lage, uns bei der den Grundlagen der

    Wahrnehmung im Traumzustand wesentlich krzer zu fassen.

    Im Gegensatz zum Wachzustand, bei dem zwischen einem physischen und einem

    phnomenalen Wahrnehmungsvorgang zu unterscheiden ist, ist die Wahrnehmung im Traum

    nur im phnomenologischen Sinn zu verstehen.

    Ein entscheidender Unterschied zwischen dem Wahrnehmungsgeschehen imWachzustand und demjenigen im Traum ist darin zu sehen, da in letzteremdas sensumotorische Regelkreissystem durch die Aktivitt hemmender

    Neuronen weitgehend unterbrochen ist, so da die Traumerlebnisse kaum vonSinnesreizen, sondern im wesentlichen durch Hirnprozesse bestimmt wird,

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    deren Natur uns noch nicht vllig bekannt ist. Gesichert scheint nur, dahierbei weitgehend Einflsse aus dem Wach-Schlafzentrum in der formatio

    reticularis sowie den zentralen Sinnes- und Gedchtniszentren auf dasPsychophysische Niveau bedeutsam sind, wobei auch das sogenannte

    Unbewute der Tiefenpsychologie eine Rolle spielt, dessen physiologischeGrundlagen in den letztgenannten Zentren zu suchen sind.

    Aus kritisch-realistischer Sicht ist nun eine Reihe von Problemen zu lsen, die

    in anderen Traumtheorien offen bleiben oder zu Fehlinterpretationen fhren.So knnen wir aus kritisch-realistischer Sicht das Problem der 'Auenlage der

    Trume' hnlich wie das Problem der 'Auenlage der Wahrnehmungsdinge' alsScheinproblem entlarven, wenn wir beachten, da sich das gesamte

    Traumgeschehen im PPN abspielt. Wir bentigen also nicht die Grundannahme

    tiefenpsychologischer Schulen, da es sich bei den 'Teilen' des Traums umProjektionen in die (physische) Auenwelt handelt (vgl. Abschn. I.2). Dies heitnicht, da wir alle Behauptungen der Tiefenpsychologie leugnen, wir ordnensie nur in das kritisch-realistische Weltbild ein, wodurch sie erst rechtverstndlich und experimentell berprfbar werden

    Wenden wir uns nun den motorischen Prozessen im Traum zu. Wenn wir oben

    sagten, da im Traum der sensumotorische Regelkreissytem weitgehend

    unterbrochen ist, so gilt dies nur fr die Krpermotorik. Dies bedeutet u. a. daden im Traum erlebten Krperbewegungen keine korrespondierendenBewegungen der motorischen Ausfhrungsorgane des physischen Organismus

    entsprechen. Dies wre auch biologisch nicht zweckmig, da grobeBewegungen des Organismus den Trumer nicht zum Schlaf kommen lieen.Allerdings trifft dies nicht fr die Augenbewegungen zu; diese stren denSchlaf nicht, so da sie auch nicht gehemmt werden mssen; die Beobachtung

    rascher Augenbewegungen (REM = Rapide Eye Movements) ist sogar geradeeines der wichtigsten (hinreichenden, aber nicht notwendigen)

    physiologischen Kriterien fr das Vorliegen des Traumzustands.

    Unsere Traumuntersuchungen haben klar gezeigt, da dieseAugenbewegungen in erster Linie auf korrespondierende Blickbewegungen im

    Traum zurckzufhren sind. Fr die Tatsache, da die Augenbewegungen imTraum schneller und ausgeprgter als im Wachzustand sind, sind gem der

    einzelnen Befunde dieser Untersuchungen drei Grnde verantwortlich, die inihrer Gesamtheit bisher von keinem Traumwissenschaftler aufgezhlt wurden:

    1. Im Traum kommt es zu einem rascheren Szenenwechsel und damit

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    zusammenhngend zu einem rascheren Blickwechsel,2. da das Blickverhalten im gewhnlichen Traum zumeist nicht der

    willentlichen Kontrolle unterliegt, knnen die Blickbewegungen auchnicht wie im Wachzustand nicht absichtlich verlangsamt oder vllig

    ausgeschaltet werden,3. aufgrund der Tatsache, da im Traumzustand Blickbewegungen nur

    durch entsprechende Augenbewegungen (und nicht etwa durch Kopf-oder Krperbewegungen) hervorgerufen werden knnen, mssen die

    Augpfel demgem im Traum hufiger und ausgeprgter gedrehtwerden als im Wachzustand.

    Etwas anders liegen die Verhltnisse bei einer besonderen Form von Trumen,

    den bereits eingangs erwhnten Klartrumen. Es wurde gesagt, da man sichin diesen Trumen des Traumzustands bewut ist und auerdem im Besitzseiner blichen Gedchtnis-, Verstandes- und Willensfunktionen ist. Paradoxausgedrckt: Man schlft (in der ueren physischen Welt) und wacht zugleich(in der inneren Traumwelt). In diesen Trumen sind Szenenwechsel nicht so

    hufig wie in gewhnlichen Trumen, auerdem kann in ihnen dasBlickverhalten willentlich gesteuert werden, so da die beiden an erster Stelle

    genannten Grnde fr die raschen Augenbewegungen in gewhnlichen

    Trumen wegfallen. Dem entspricht nun der Beobachtungssachverhalt, da dieAugenbewegungen in Klartrumen auf der einen Seite nicht so schnell undausgeprgt sind wie in gewhnlichen Trumen, auf der anderen Seite aber

    doch ausgeprgter als im Wachzustand. Letzteres ist auf den an dritter Stellegenannten Grund zurckzufhren, da Blickbewegungen im Traumzustand nurin Verbindung mit Augenbewegungen durchgefhrt werden knnen.

    Im folgenden wenden wir uns nur den Klartrumen zu, weil diese esermglichen, das Blickverhalten genauer zu untersuchen und auerdem

    wesentlich variantenreicher zu gestalten, als dies in gewhnlichen Trumenmglich ist.

  • 8/2/2019 Paul Tholey - Blick-Varianten im Wach- und Traumzustand

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    Teil III: Grundlagen der Einbung und Erforschung

    des Klartrumens

    1. Techniken zum Erlernen des Klartrumens

    1.1 Die Reflexlonstechnik zur Induktion von Klartrumen

    Schon seit altersher gab es Berichte ber Klartrume. So spielten sie

    beispielsweise bereits in den auf der ganzen Erde verbreitetenschamanistischen Kulturen eine wichtige Rolle und dienten den tibetanischenYogis als Ausgangsbasis fr die Herbeifhrung aller Hheren

    Bewutseinszustnde (HSC = Higher States of Consciousness). Allerdings warenKlartrume in der neueren Traumwissenschaft bis zu den sechziger Jahren

    dieses Jahrhunderts fast gnzlich unbekannt. Berichte einzelner Autoren berKlartrume wurden nicht ernstgenommen, weil es keine geeignete Technik

    zum Erlernen des Klartrumens gab - eine unerlliche Voraussetzung fr dieempirische berprfung der Berichte. Auerdem wurden die Klartrume

    wegen der Auergewhnlichkeit ihrer Erlebnisinhalte hufig mitmystizistischen oder okkulten Vorstellungen in Verbindung gebracht.

    Geeignete Techniken zur Induktion, Beendigung, Verlngerung und Kontrolle

    von Klartrumen wurden erstmals von unserer Arbeitsgruppe an derFrankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universitt entwickelt, an der dann auch

    die ersten systematischen Untersuchungen ber Klartrume durchgefhrtwurden.

    Es mag wiederum dem Verstndnis dienen, wenn ich zunchst meine eigenen

    Ausgangsberlegungen, die zur Entwicklung der fr die Klartraumforschungwichtigen Techniken schildere. Dabei komme ich auf das eingangs geschilderteSchlsselerlebnis zurck, das zu meiner erkenntnistheoretischen Wendefhrte. Als mir bei diesem Erlebnis deutlich wurde, da die gesamte objektiv

    und intersubjektiv erscheinende Welt nur eine in meinem physischen Kopfbefindliche subjektive Erlebniswelt war, mutete mich diese Welt sogleich wie

    eine Traumwelt an, die ja ebenfalls eine Erlebniswelt darstellt. Dabei kam mirdie Idee, ob ich denn nicht mit gleicher Bewutseinsklarheit wie im

  • 8/2/2019 Paul Tholey - Blick-Varianten im Wach- und Traumzustand

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    Wachzustand auch die im Traum erscheinende Szenerie beobachten und in ihrhandeln knne.

    Diese Idee setzte ich in die Tat um, wobei ich mich von folgendem einfachen

    Grundgedanken leiten lie:Wenn ich bereits im Wachzustand eine kritisch-reflektierende Einstellung

    gegenber meinem aktuellen Bewutseinzustand entwickele, in dem ichberprfe, ob ich wache oder trume, dann bertrgt sich diese Einstellung

    vermutlich auch auf den Traumzustand im Schlaf. Treten ungewhnlicheEnebnisse auf, kann ich erkennen, da ich trume.

    Obwohl ich tagsber niemals den geringsten Zweifel ber meinen

    Bewutseinszustand hatte, zwang ich mich dazu, tglich mehrmals sehr

    sorgfaltig zu prfen, ob irgend Ungewhnliches am gegenwrtigen odervorausgehenden Geschehen zu entdecken war. Nach etwa vier Wochen hatteich Erfolg. Ich begegnete einer Tante, von der ich wute, da sie verstorbenwar. Da ich kein Spiritist bin, war mir sofort klar, da ich mich im Traumzustandbefinden mute. Die Technik, die ich zur Herbeifhrung meines ersten

    Klartraums benutzte, nannte ich spter die Reflexionstechnik. Sie hat sich inmehreren in- und auslndischen Untersuchungen mit zahlreichen

    Versuchspersonen, zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt, als einfachste und

    wirksamste nicht-apparative Technik zur Induktion von Klartrumen whrendder REM-Phasen erwiesen.

    1.2 Techniken zum Beenden, Verlngern und Verndern von

    Klartrumen

    Zur Erluterung der folgenden Techniken, bei denen dem Blickverhalten imTraum eine entscheidende Rolle zukommt, komme ich auf mein erstesKlartraumerlebnis zurck. Dieses war wegen der unglaublichen Echtheit der

    Traumszenerie, der darin befindlichen Dinge und Personen, mit den ich michunterhalten konnte, einfach faszinierend. Doch nach einiger Zeit fhlte ich eine

    Beklemmung, weil ich von einer solchen Erlebnisform noch nie etwas gehrthatte, und nicht wute, wie und wann ich aus dieser fr mich 'neuartigen Welt'

    hinauskommen knnte. Nun, ich kam wieder heraus, und mein erster Gedankewar, wieder solch aufregende Enebnisse herbeizufhren, aber ohne dabei eine

    Beklemmung fhlen zu mssen. Also suchte ich nach einer Technik, mit der ichden Traum jederzeit beenden konnte. Auf der Grundlage von Befunden der

  • 8/2/2019 Paul Tholey - Blick-Varianten im Wach- und Traumzustand

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    physiologischen Wahrnehmungs- und Traumforschung kam ich dann auf denGedanken, da ich durch die Blickfixation einer ruhenden Stelle der

    Traumszenerie aufwachen knne. Wie ich erwartet hatte, fhrte dieseBlickfixation zunchst zum Verschwimmen der angeblickten Stelle,

    anschlieend zur Auflsung der gesamten Traumszenerie und schlielich (ineiner Zeit von etwa 8 bis 12 Sekunden) zum Erwachen. Wie das Festhalten des

    Blicks an einer bestimmten Stelle der Traumszenerie zu deren Verschwimmenfhrt, so kann eine sich auflsende Traumszenerie, die das Ende des Traums

    angekndigt, umgekehrt durch schnelle Blickbewegungen wieder restabilisiertund auf diese Weise der Traum verlngert werden. Verstellt man schlielich

    den Blick auf die Traumszenerie durch Schlu der (getrumten) Augenlider frwenige Sekunden, so kann sich beim Wiederffnen der Lider eine vllig neue

    Szenerie beim Klartrumen zeigen, wodurch der Traum einen vllig neuen

    Verlauf nimmt. Die skizzierten Techniken zum Herbeifhren, Beenden,Verlngern und Verndern von Klartrumen wurden spter nicht nur durchunsere eigene Arbeitsgruppe, sondern Nachfolgeuntersuchungenauslndischer Autoren besttigt und erweitert.

    1.3 Apparative Induktions- und Kommunikationstechnik

    Rascher, aber auch mit grerem Aufwand, knnen Klartrume durch spezielle

    Induktionsgerte herbeigefhrt werden. Diese registrieren berAugenbewegungen (EOG) und ber Hirnstrme (EEG), wann ein Schlfer

    trumt, und senden ihm dann geeignete Signale, die ihn erkennen lassen, daer trumt, ohne da er dabei aufwacht. ... Mit diesem Gert konnten bei einem

    Teil der Versuchspersonen Klartrume schon in der ersten Nacht erzeugtwerden. Die Apparatur leistet jedoch noch mehr. Denn ber kontrollierte

    Blickbewegungen des Traum-Ichs kann das Gert Signale in Form vonregistrierbaren Augenbewegungen empfangen, wobei es dann seinerseits jenach der Art der Augenbewegungen bestimmte Signale an das Traum-Ichzurckzusenden vermag, deren Auswirkungen auf das Traumgeschehen vom

    Traum-Ich beobachtet werden knnen. Diese wechselseitige 'Kommunikation'des Traum-Ichs mit der Apparatur erffnet natrlich vllig neue Perspektiven

    der Traumforschung.

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    1.4 Hypnagoge Induktionstechniken

    Die bisher skizzierten Induktionsmethoden fhren zu Klartrumen whrend

    der REM-Phasen. Wir haben nun auch eine Reihe von hypnagogen

    Induktionstechniken entwickelt, bei denen man whrend des Einschlafens dieKlarheit ber den Bewutseinszustand bewahrt. Diese Techniken fhrenentweder ber hypnagoge Bilder (Bild-Techniken) oder ber auergewhnliche

    Krper- bzw. Ich-Erfahrungen (Krper- und Ich-Techniken) in denKlartraumzustand, der sich phnomenologisch und physiologisch nur in der

    Anfangsphase von den anderen Klartrumen unterscheidet.

    Bei den Krper- und Ich-Techniken treten auch auerkrpeniche Erfahrungen(OBE = Out-of-Body Experienees) auf, bei denen der Eindruck entsteht, da das

    Ich entweder in einem Zweitkrper (dem 'Astralkrper', wie er in der okkultenLiteratur genannt wird) oder im krperlosen Zustand aus dem physischen

    Krper 'projiziert' wird. Doch verlt bei diesen Erfahrungen nichts denphysischen Organismus, sondern nur den phnomenalen 'Erstkrper'. Dies

    folgt nicht nur aus unseren erkenntnistheoretischen berlegungen (vgl.Abschn. I.2), sondern lt sich auch durch experimentelle Untersuchungen

    (vgl.Abschn. IV.6) eindeutig belegen.

    2. Methoden der Klartraumforschung

    Da es zu weit fhren wrde, unsere Untersuchungen ber die

    unterschiedlichen Blickphnomene im einzelnen anzufhren, sollen wenigstensdie wichtigsten Forschungsmethoden dieser Untersuchungen in allgemeiner

    Form erlutert werden.

    Zwischen dem Ausbau der Forschungsmethoden auf dem Gebiet desKlartrumens und den skizzierten Techniken zum Erlernen des Klartrumens

    besteht ein wechselseitiger Zusammenhang. Denn einerseits muten schon beider Entwicklung dieser Techniken bestimmte einfache Forschungsmethoden

    vorausgesetzt werden, anderseits ist die Entwicklung der Lerntechniken einewichtige Voraussetzung fr die Erweiterung der Forschungsstrategien.

    Da aus kritisch-realistischer Sicht nur die phnomenale oder erlebte Welt

    unmittelbar zugnglich ist, gilt auch die Phnomenologie im Sinne einermglichst unbefangenen Erlebnisbeobachtung und -beschreibung als

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    grundlegende Methode. Wegen der allgemeinen Bedeutung dieser Methodefr die gesamte Psychologie und ihrer besonderen Bedeutung fr die

    Erforschung auergewhnlicher Erlebnisse im Traumzustand mchte ich diephnomenologische Grundforderung in den Worten des Gestalttheoretikers

    METZGER (1975, S. 12) zitieren:Leider wird die phnomenologische Grundforderung innerhalb der an Naivitt kaum zu

    berbietenden objektivistischen Strmungen innerhalb der Psychologie, die vom

    amerikanischen Behaviorismus und der sowjetischen Reflexologie beeinflut wurden, derart

    vernachlssigt, da die Psychologie 'zur Lehre von der Ausklammerung der Psyche'

    pervertierte.

    'Das Vorgefundene zunchst einfach hinzunehmen, wie es ist; auch wenn esungewohnt, unerwartet, unlogisch, widersinnig erscheint und unbezweifeltenAnnahmen oder vertrauten Gedankengngen widerspricht. Die Dinge selbstsprechen zu lassen, ohne Seitenblicke auf Bekanntes, frher Gelerntes,

    'Selbstverstndliches', auf inhaltliches Wissen, Forderungen der Logik,Voreingenommenheiten des Sprachgebrauchs und Lcken des Wortschatzes.

    Der Sache mit Ehrfurcht und Liebe gegenberzutreten, Zweifel und Mitrauenaber gegebenfalls zunchst vor allem gegen die Voraussetzungen und Begriffe

    zu richten, mit denen man das Gegebene bis dahin zu fassen suchte.'

    Schon bei bei meinen geschilderten Selbstversuchen sttzte ich mich auf

    phnomenologische Beobachtungen. Allerdings handelte es sich hierbei nurum Erkundigungsstudien im Gegensatz zu einer erfahrungswissenschaftlichenPhnomenologie, die sich auf die Aussagen mehrerer Personen sttzen mu,

    um das Kriterium der Intersubjektivitt zu erfllen. Die Gestalttheorie begngtsich ferner im allgemeinen nicht mit einer nur beschreibenden

    Phnomenologie, sondern sie versucht, soweit dies der Forschungsgegenstanderlaubt, die Phnomenologie mit dem Experiment zu verknpfen und somit zu

    einer experimentellen Phnomenologie zu gelangen ... Die Durchfhrung vonexperimentell-phnomenologischen Klartraumuntersuchungen erfordert, da

    ein Versuchsleiter nach festgelegten Versuchsplan seine Probanden instruiert,in ihren Klartrumen das Verhalten in bestimmter Weise zu variieren, die

    Effekte auf das Traumgeschehen zu beobachten und mglichst unmittelbarnach dem Aufwachen die jeweiligen Beobachtungsbefunde zu registrieren. Aufdiese Weise ist es mglich, allgemeine Gesetzmigkeiten berPhnomenzusammenhnge aufzustellen, die der Erklrung und Vorhersage des

    Traumgeschehens dienen. Auerdem lassen sich mit Hilfe phnomenologischerExperimente nicht nur rein psychologlsche, sonderen auch

    psychophysiologlsche Traumtheorien berprfen

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    Beispielsweise haben wir unter anderen vier verschiedene Theorien ber denZusammenhang der im Traum erlebten Blickbewegungen und ihren

    physiologischen Grundlagen berprft. Drei dieser Theorien, die wir hier nichtim einzelnen auffhren wollen, muten aufgrund der Beobachtungsbefunde

    zurckgewiesen werden. Nur die bereits geschilderte Theorie, da dieBlickbewegungen im Traum durch Regelkreisprozesse mit korrespondierenden

    Augenbewegungen gekoppelt sind, fand eine Besttigung durch diese Befunde.

    Daraus ergab sich die wichtige Folgerung, da das Traum-Ich ber einen vorherfestgelegten Code im Klartraum objektiv registrierbare Signale an

    auenstehende Beobachter oder Apparaturen senden kann. Es braucht nurbestimmte Blickbewegungen im Traum durchzufhren, die auf dem Weg ber

    sensumotorische Rckkoppelungsvorgnge objektive Augenbewegungen

    hervorrufen. Dadurch wurde eine vllig neue komplexe Forchungsstrategieentwickelt, bei der experimtell-pnomenologisches Vorgehen mitexperimentell-physiologischem Vorgehen in fruchtbarer Weise miteinanderverbunden sind. Mit dieser die moderne Traumforschung revolutierendenMethode lieen sich eine Reihe uralter, aber noch nicht beantworteter, Fragen

    der Traumlehre auf einfache Weise endgltig klren.

    Teil IV: Der entfesselte Blick im Klartraum

    Es gibt Klartrume, die sich berhaupt nicht vom Erlebnisgeschehen imWachzustand unterscheiden. Um sich ein Bild von solchen Klartrumen zumachen, stelle man sich vor, da alles, was man im Augenblick sieht, hrt,

    fhlt, kurz alles, was man augenblicklich wahrnimmt, blo ertrumt ist. So echtund wirklichkeitsgetreu knnen im Klartraum die Dinge, Personen, die gesamte

    Szenerie und der eigene Krper erscheinen. Offensichtlich sind hierfr imWachzustand angeeignete Kenntnisse und Erwartungen verantwortlich. Es ist

    nun aber mglich, sich im Klartraum aller im Alltag entstandenen Fesseln zuentledigen. Wenn das erforderliche Ma an bung erreicht ist, knnen im

    Klartraum Erlebnisformen verwirklicht werde, die von der Alltagsansicht herunvorstellbar oder gar undenkbar erscheinen.

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    Allerdings stehen der freien Bewutseinsentfaltung im Klartraum noch

    autonome unbewute Konflikte im Wege, die die Gestaltung desKlartraumgeschehens mitbestimmen. Doch eignet sich das Klartrumen wie

    keine andere psychotherapeutische Methode dazu, diese Konflikte bewut zumachen und zu lsen, so da man sich im Klartraum nicht nur von den Fesseln

    der Alltagsansicht, sondern auch von den Fesseln des Unbewuten befreienkann. Zwar werden dann die Klartraumerlebnisse noch durch gewisse

    physiologische Prozesse beeinflut, aber die Kenntnis dieser Einflsse kannvom gebten Klartrumer genutzt werden, willentlich auergewhnliche

    Erfahrungen herbeizufhren. Hierdurch ergibt sich eine noch niht bersehbareFlle von Grenzerfahrungen im Klartraum. Denn schlielich wurde mit der

    Klartraumforschung ein Neuland betreten, in dem naturgem noch riesige

    'weie Flecken' zu durchforsten sind; ja, je mehr man in dieses Neulandvordringt, um so mehr erffnet sich einem eigentlich erst der Blick auf dieunermeliche Vielfalt des noch Unerforschten. Dies ist bei der folgendenbersicht des Blickgeschehens im Klartraum zu bercksichtigen, die nach demGesagten nicht im geringsten den Anspruch auf Vollstndigkeit erfllen kann,

    was auch schon aus der Tatsache hervorgeht, da die beschriebenenBlickvarianten in verschiedener Weise miteinander kombiniert werden knnen.

    So beschrnkt die bersicht auf die phnomenologische Beschreibung einiger

    relativ gut erforschter Blickvarianten.

    Bei der phnomenologischen Differenzierung der unterschiedlichen Blickvarianten sttze ich

    mich nicht nur auf Untersuchungen unserer Frankfurter Arbeitsgruppe, sondern zum Teil auch

    auf Beobachtungen anderer Autoren. Hervorheben mchte ich in diesem Zsammenhang vor

    allem WERNER ZURFLUH, der in seinem Buch 'Quellen der Nacht' (1983) in subtiler Weise

    seine Beobachtungen bei auerkrpenichen Erfahrungen beschreibt und mir zudem

    dankenswerterweise eine systematische bersicht ber die von ihm beobachteten

    Blickvarianten lie. ZURFLUH interpretiert die auerkrpenichen Erfahrungen allerdings nicht

    in gleichen Weise wie ich.

    Darber hinaus werden, soweit dies mglich ist, einige Hinweise zurVerursachung und Wirkung sowie zur Einbung und Anwendung des

    Blickverhaltens im Klartraum gegeben.

    Vor der Beschreibung der einzelnen Blickvarianten, mchten wir daraufhinweisen, da alle geschilderten Enebnissachverhalte, so ungewhnlich und

    erstaunlich sie dem Unerfahrenen auch erscheinen mgen, sich zwanglos indas kritisch-realistische Weltbild einfgen lassen und mit Hilfe experimentell-

    phnomenologischer Methoden intersubjektiv berprfbar sind, also keinerl

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    okkulter oder paranormaler Erklrungen bedrfen. Wir legen ferner Wert aufdie Tatsache, da die geschilderten Enebnisbeobachtungen von Personen ohne

    jegliche Drogenerfahrung stammen. Whrend die Einnahme von Drogen zuphysischen und psychischen Schdigungen fhrt, frdert das Klartrumen, wie

    es durch groangelegte Untersuchungen nachgewiesen wurde, die krperlicheund seelische Gesundheit in vielerl Hinsicht.

    1. Der weiche Blick

    Bei dem weichen Blick handelt es sich um eine Blickvariante, die auch imWachzustand zu verwirklichen ist, ja, sich sogar im Wachzustand besser

    einben lt als im Klartraum. Da wir diese Variante trotzdem in diesem Teilbeschreiben, hat seinen Grund darin, da der weiche Blick es ermglicht, die

    gesamte Traumszenerie bei Ruhestellung der Augen relativ scharf zu sehen,ohne dabei aufzuwachen wie beim objekt-fixierenden Blick, bei dem der Blick

    auf eine engbegrenzte Stelle eines Traumobjekts gerichtet ist. Das Phnomendes weichen Blicks hat kaum Eingang in die heutige wissenschaftliche Literatur

    gefunden, obwohl es in verschiedenen Kulturen schon seit langen bekannt istund schpferisches Denken, Gestalten und Handeln im Wachzustand positiv

    beeinflussen kann ... Im Klartraum kann der weiche Blick auch als Vorstufe des'erleuchten Blicks', der fr einen hheren Bewutseinszustand charakteristischist, betrachtet werden (vgl. hierzu den Schluabschnitt).

    Zur nheren Erluterung dieser Blickvariante beziehen wir uns zunchst aufden Wachzustand. Whrend beim gewhnlichen Blick die Konvergenz der

    Augen mit der Sehschrfe gekoppelt ist, was nicht anderes heit, als da dieStelle, die im Bereich des Schnittpunkts der objektiven Blickstrahlen der beiden

    Augen liegt, am schrfsten abgebildet wird, wird beim weichen Blick dasgesamte Sehfeld scharf abgebildet, wenn auch nicht so gestochen scharf wie

    bei der Fixation einer eng begrenzten Stelle. Dies wird dadurch ermglicht, dasich beim weichen Blick die objektiven Blickstrahlen nicht in einem Punkt ander Oberflche eines Gegenstandes kreuzen, sondern im Raum vor oder hinterder Gegenstandsoberflche. Dies erfordert eine gewisse bung bei der man

    sich unterschiedlicher Techniken bedienen kann, auf die wir hier nicht imeinzelnen eingehen knnen

    Nur eine eine einzige, recht einfache Technik sei skizziert. Wenn man imWachzustand seine zwei Daumen in gleicher Entfernung und Lage vor die die

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    Augen hlt, dann lassen sich von beiden Daumen dadurch Doppelbilder'entwerfen', da sich der Schnittpunkt der objekiven Blickstrahlen entweder

    vor den Daumen (zu starke Naheinstellung der Augen) oder hinter denDaumen (zu starke Ferneinstellung der Augen) befindet. Man enthlt dann

    gewhnlich von jedem Daumen Doppelbilder, links zwei Einzelbilder vomlinken, rechts zwei Einzelbilder vom rechten Daumen. Nun ndert man die

    Augenstellung, da sich die beiden inneren Bilder deckenl wobei man dann nurnoch drei Einzelbilder erblickt. Darauf versucht man das mittlere dieser Bilder

    (das Deckungsbild) scharf zu sehen. Gelingt dies dann lst man dieAufmerksamkeit von dem auf das mittlere Bild gerichteten Blick und verteilt sie

    auf das gesamte Sehfeld, das dann an Schrfe zunimmt. Wenn man schlielichauf die kinsthetischen Empfindungen, die die Nah- oder Ferneinstellung der

    Augen begleiten, achtet, gelingt es nach einiger bung auch ohne

    Zuhilfenahme von Doppelbildern die gesamte Umgebung mit Hilfe des weichenBlicks klar zu erfassen. Dies ist fr denn fr die Einnahme eines weichen Blicksim Klartraumzustand bedeutsam, da im Traum der weiche Blick nur berkinsthetische Augenempfindungen eingebt werden kann. Falls dies gelingt,sieht man die gesamte Traumszenerie klar und deutlich, wobei trotz

    Ruhestellung der Augen nicht die Gefahr des Aufwachens besteht. Wir fhrendies darauf zurck, da wegen der Aufmerksamkeitsverteilung auf die gesamte

    Szenerie, sich die 'Sttigung' oder Selbsthemmung bestimmter

    zentralphysiologischer Prozesse weniger stark auswirken kann als bei derAufmerksamkeitskonzentration auf einen eng umgrenzte Stelle des Sehfelds.

    In phnomenologischer Hinsicht besteht brigens eine gewisse Parallelezwischen unseren Ausfhrungen und der von dem Anthropologen CASTANEDA(1976) geschilderten Lehre des indianischen Schamanen DON JUAN. Dieserlehrt seinen Schler CASTANEDA sowohl, wie man den weichen Blick ber

    Einwrtsschielen und die Erzeugung von Doppelbildern einben kann, als auch,wie man das 'Klartrumen' oder, wie er sagt, 'das Trumen' erlernen kann.

    Schlielich weist DON JUAN auch darauf hin, da die Fixation zumVerschwimmen der angeblickten Stelle fhrt, da man aber auch lernen knne,

    die Traumszenerie lnger zu betrachten, ohne aufzuwachen. Allerdings ordnenwir die Anweisungen von DON JUAN nicht in dessen schamanistisches, sondern

    in das kritisch-realistische Weltbild ein, was uns schlielich auch dazu befhigthat, wesentlich geeignetere Techniken zur Herbeifhrung auergewhnliche

    Erlebnisse zu entwickeln.

    Nach ZURFLUH kann sich das Phnomen der Seh- und Tiefenschrfe desgesamten Sehfelds im Klartraum brigens auch spontan einstellen, also ohne

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    spezielle Einbung des weichen Blicks.

    2. Der magische Blick

    Whrend der weiche Blick im Klartraum eine passiv beschauliche Betrachtung

    der gesamten Traumszenerie ermglicht, spielt der im folgenden zubeschreibende magische Blick bei der aktiven Auseinandersetzung mit anderen

    Traumgestalten eine entscheidende Rolle. Zur Charakterisierung dieserBlickvariante beziehen wir uns zunchst wieder auf das Blickverhalten imWachzustand. Schon in diesem Zustand knnen wir erleben, da wir mit demBlick nicht nur Dinge und Personen in passiver Weise betrachten, sondern

    diese zugleich durch unseren Blick ergreifen und beeinflussen wollen, wobeiwir umgekehrt auch vom Blick einer anderen Person beeinflut und ergriffen

    werden knnen. In diesem Sinn schreibt BISCHOF (1966, S. 23f.), einer derbedeutendsten Vertreter der kritisch-realistischen Wahrnehmungslehre, ber

    den phnomenalen Sehvorgang im Alltag folgendes: 'Auch das Geschehen derWahrnehmung erweist sich hier zunchst als eine dialoglsch strukturierte

    Kontaktnahme, als ein Ineineinsgehen von Ergriffenwerden und Ausgriff: ... derBlick des Auges ist pathische Bereitschaft und zugleich aktiver Strahl, der die

    Dinge und Menschen bannt und von ihnen Besitz ergreift.' Der aktive Strahlwird hierbei deutlich als eine gerichtete Kraft bzw. als Vektor erlebt. Mit dieserBlickdynamlk ist zumeist eine emotionale Tnung verbunden, so etwa, wennman vom betrenden, bezaubernden, beschwrenden, verhexenden,

    hypnotischen, feindseligen Blick, den man dem andern zuwirft oder von demman getroffen wird, spricht. Wir hatten schon kurz darauf hingewiesen, da die

    vom Blick ausgehenden Krfte sich nicht nur im Erleben zeigen, sondern sichzugleich sehr stark auf das Verhalten bei menschlichen Begegnungen

    auswirken. Dies zeigt sich beispielsweise, wenn wir im sportlichen Kampfeinem Gegner 'Auge in Auge' (richtiger: 'Blick in Blick') gegenberstehen und

    seinem Blick ''standzuhalten' oder ihn gar 'zu brechen' suchen.

    Wie vergleichende Untersuchungen ergaben, spielen die vom Blickausgehenden Krfte im magischen Weltbild von Kindern und Naturvlkern

    noch eine viel groere Rolle; und dies trifft in noch strkerem Ausma fr denKlartraum zu, der in vielerlei Hinsicht als Prototyp einer magischen Welt

    anzusehen ist ... Unsere Untersuchungen haben ergeben, da das

    Blickverhalten des Traum-Ichs speziell entscheidenden Einflu auf dasAussehen und Verhalten begegnender Traumgestalten hat ... Blickt das Traum-

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    Ich beispielsweise offen und mutig eine feindliche Traumfigur an, sovermindert sich fast immer deren Bedrohlichkeit im Ausdruck, der Gestalt

    sowie im Verhalten dieser Figur. Was die Gestalt betrifft, so kann sich eineTraumfigur sogar vllig wandeln, in dem etwa aus einer Schlange ein Wurm,

    aus einem Monstrum ein Mensch wird. Blickt das Traum-Ich hingegen ngstlichzur Seite, so nimmt umgekehrt meist das Ausma der Bedrohlichkeit einer

    Traumfigur zu. Blickt es schlielich selbst feindselig oder agressiv, so kann eseine bedrohliche Traumfigur mit dem Blick bannen, verjagen oder schlielich

    sogar tten. Der in der Wachwirklichkeit als irreal betrachtete Sachverhalt'wenn Blicke tten knnten' kann also in der Traumwirklichkeit buchstblich

    zur Realitt werden.

    Die magische Kraft des Blickverhaltens im Traum, die darin besteht, da der

    Blick Wirkungen zeigen kann, die im gewhnlichen Wachzustand nichtauftreten, ist schon von psychotherapeutischen Imaginationstechniken herbekannt. So spielt z. B. das Blickbannen feindseliger Traumfiguren bei solchenTechniken eine wichtige Rolle. Unsere eigenen Klartraumuntersuchungenhaben jedoch ergeben, da es sowohl aus diagnostischer als auch aus

    therapeutischer Sicht sinnvoller ist, wenn das Traum-Ich gegenberbedrohlichen Traumgestalten zwar offen und mutig, aber niemals selbst

    feindselig gegenbertritt. So mag sich zwar ein Triumphgefhl bei dem Traum-

    Ich einstellen, wenn es eine Traumfigur durch den Blick gettet hat. Aber dieFigur wird zumeist in den folgenden Trumen wieder erscheinen und sie wirdsich sogar vor dem Blick des Traum-Ichs zu schtzen suchen, indem sie diesem

    durch ausweichende Kopfbewegungen, durch berziehen einer Maske oderdurch eine andere 'List' auszuweichen versucht. Derartige Traumgeschehnisseerscheinen nur demjenigen unerklrlich, der vergit, da die anderenTraumgestalten, genau so wie das Traum-Ich, dem Hirn desselben trumenden

    Subjekts entstammen und zudem hufig 'verdrngte' oder 'abgespaltene'Teilsysteme derselben Gesamtpersnlichkeit in personifizierter Form

    darstellen. Als therapeutisch wichtiges Ziel sehen wir es an, diese Teilsystemewieder in die Gesamtpersnlichkeit zu integrieren, wozu ein vershnliches und

    nicht ein aggressives Verhalten gegenber den whrend des Imaginieren oderKlartrumens auftretenden Symbolgestalten beitragen kann

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    3. Der panoramische, sphrische und tunnelfrmige Blick

    Die im folgenden beschriebenen Blickvarianten unterscheiden sich im Hinblick

    auf die Gre des Gesichtswinkels bzw. Sehfelds. Beim panoramischen Blick

    (Rund-Um-Blick) dehnt sich der Gesichtswinkel (des phnomenalen) Sehfeldsin der Horizontalen auf 360 Grad aus. Beim sphrischen Blick (Kugel-Blick)erweitert sich das Gesichtswinkel in allen Gesichtsfeldebenen auf 360 Grad. Bei

    dem letzteren Erlebnis wird das Ich als krperloses Gebilde erlebt, das in allenRichtungen auf ein hohlkugelartiges Sehfeld blicken kann (vgl. ZURFLUH, 1983,

    S. 251). Da sich die beiden genannten Blickphnomene im Wachzustand wederverwirklichen noch vorstellungsmig nachvollziehen lassen, ist es naturgemauch schwierig, sie im Klartraum willentlich hervorzurufen. Trotzdem sei einHinweis fr die Herbeifhrung des panoramischen Blicks gegeben. Dreht man

    sich im Traum langsam um die Lngsachse des Krpers und versucht dabeiintensiv den durch die Drehung verschwindenden Teil des Sehfeld in der

    Vorstellung festzuhalten, so kann es geschehen, da der betreffendeSehfeldteil Wahrnehmungscharakter annimmt, so da sich auf diese Weise

    schlielich ein panoramischer Blick einstellt. Bei der Herbeifhrung dessphrischen Blicks kommt die Schwierigkeit hinzu, da sich das Traum-Ich im

    krperlosen Zustand befinden mu. Dies ist durch den Austritt des Ichkerns ausdem Traumkrper mglich, worauf im folgenden Abschnitt eingegangen wird.

    Beim tunnelfrmigen Blick wird das Sehfeld im Gegensatz zu den beiden zuvorbeschriebenen Blickvarianten nicht erweitert, sondern eingeengt. Man erlebthierbei, durch einen dunklen Tunnel zu blicken, an dessen Ende meist ein

    helles Licht gesehen wird. Dieses Phnomen wird bevorzugt imEinschlafzustand erlebt, wobei man gleichzeitig einen Sog erlebt, der einen in

    den Tunnel gleiten lt. Am Ende des Tunnels kann sich dann eineGesichtsfelderweiterung einstellen (ZURFLUH).

    Der gemeinsame Auftreten dieser Phnomene, sowie die Tatsache, da sie im

    Einschlafzustand auftreten, legt es nahe, da fr die optischen Erscheinungennoch Netzhautprozesse bedeutsam sind. Wie ich in anderem Zusammenhangnher ausfhrte ..., kann die Gleitbewegung des Krpers auf bekanntegestalttheoretische Gesetze der Bewegungswahrnehmung zurckfhrt werden.

    Interessant ist die Tatsache (auf die im brigen auch ZURFLUH hinweist), dasolche Enebnisse auch bei Nah-Todes-Erfahrungen auftreten. Es ist zumindest

    mglich, da diese Erfahrungen auf die gleichen psychophysiologischen

    Gesetzmigkeiten zurckgefhrt werden knnen, wie die entsprechendenKlartraumerlebnisse.

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    4. Der auerkrperliche Blick

    Wir hatten schon darauf hingewiesen, da das beim natrlichen Schauen den

    Ursprung der Blickstrahlen bestimmende Ich sich hinter der wahrgenommenen

    Nasenwurzel befindet. Wie bereits bei der Beschreibung der hypnagogenInduktionstechniken von Klartrumen erwhnt, kann das Ich entwederinnerhalb eines Zweitkrpers oder im krperlosen Zustand als punktuelles

    Gebilde aus dem Erstkrper austreten. Auerkrperliche Erfahrungen knnenin der Einschlaf-, Traum- und Aufwachphase auftreten. Da das Ich bei diesen

    Erfahrungen gewhnlich von einem Standpunkt auerhalb des Erstkrpers dieTraumszenerie betrachtet, sprechen wir in diesem Fall von einem'auerkrperlichen Blick'.

    Wichtig ist nun die Tatsache, da das Ich im auerkrperlichen Zustand durchsein Blickverhalten die Traumszenerie in gleicher Weise beeinflussen kann, wie

    dies fr den 'innerkrpenichen' Zustand beschrieben werden kann. So fhrt dieFixation einer Stelle der Traumszenerie auch beim auerkrperlichen Blick

    nach kurzer Zeit zum Verschwimmen der Stelle und danach zum Auflsen dergesamten Traumszenerie. (wz 17.10.92: Dies ist nicht immer der Fall: durch Fixierungmuss es keineswegs zur Auflsung kommen! - 'So fhrt die Fixation einer Stelle der

    Traumszenerie auch beim auerkrperlichen Blick nach kurzer Zeit zum Verschwimmen der

    Stelle und danach zum Auflsen der gesamten Traumszenerie.' Da ich dies schon ein paar Mal

    getan habe und dabei (mit der Zeit, d.h. mit steigender Erfahrung) KEINE Auflsung der

    Traumszenerie stattgefunden hat, frage ich mich, wie lange die Fixierung dauern mu, damit es

    zu einer Auflsung kommt. Als keine Auflsung mehr geschah, habe ich jeweilen den Versuch

    selbst abgebrochen (sptestens nach etwa 30 Sekunden) - es wurde langweilig. Ich benutze

    diese Technik zur Stabilisierung des Bewutseins bzw. der Wachheit.)) Da das Ich nun imauerkrperlichen Zustand insbesondere auch eine Stelle des Erstkrpers zufixieren vermag, kann es diesen gleichwie eine andere Stelle der Traumszeneriedurch die Blickfixation auflsen.

    Das Auftreten auerkrperlicher Erfahrungen kann durch die Anwendungbestimmer Techniken begnstigt werden. Hier soll nur kurz etwas zu solchenTechniken gesagt werden, bei denen auch das Blickverhalten eine Rolle spielt.

    Dabei greifen wir zunchst auch die Wachwahrnehmung zurck. So hat RUBIN,einer der bedeutendsten phnomenologisch orientierten

    Wahrnehmungsforscher, in seinem grundlegenden Werk 'Visuellwahrgenommene Figuren' (1925) auf dem Sachverhalt aufmerksam gemacht,da man sich bei der Betrachtung eines Bild mit einem reinen oder

    krperlosen Ich im Bild bewegen knne, wenn man beispielsweise mit demBlick langsam eine Kontur verfolge. Seine Versuchspersonen berichteten, da

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    sie dann den Eindruck hatten, selbst auf der Kontur herumzulaufen. In denphnomenologischen Untersuchungen von RAUSCH (1982) zeigten sich

    hnliche Eindrcke, wenn sich die Versuchspersonen vllig ihren Erlebnissenhingaben. Allerdings handelt es sich bei dem hier beschriebenen Ich nicht um

    das hinter dem Zyklopenauge befindliche Ich, das am Ursprungsort einesBlickstrahls anzusiedeln ist und somit die Perspektive der Sehwelt bestimmt,

    sondern um ein eher als virtuelles (nicht wirklich erscheinendes) Ich-Double,das sich an der Spitze des auf eine Stelle im Sehfeld gerichteten Blickstrahls

    befindet. RAUSCH spricht statt von einem Ich-Double auch von einem durchden (als Sonde aufzufassenden) Blickstrahl 'verlngerten Ich'.

    Der enge phnomenale Zusammenhang zwischen dem reell und virtuell

    erscheinenden Ich legte die Vermutung nahe, da man mglicherweise

    whrend des Klartraumzustands auf dem Blickstrahl mit dem reellen Ich ausdem erlebten Krper hinausgleiten knne, um danach die Position desvirtuellen Ichs an der Spitze des Blickstrahls einzunehmen. In unserenUntersuchungen konnte diese Vermutung besttigt werden, wobei sichzugleich ergab, da es auch whrend des Einschlafvorgangs mglich ist, mit

    dem Ich auf dem Blickstrahl in die eine hypnagoge optische Szeneriehineinzugleiten. Hierzu sollen zwei Veranschaulichungsbeispiele angefhrt

    werden, die zugleich bereits auf spter beschriebene Blickvarianten hinweisen.

    Das erste Beispiel stammt von dem Psychotherapeuten NORBERT SATTLER,einem Mitglied unserer Forschungsgruppe. SATTLER hatte einen Klartraum, in

    dem er vor einem riesigen Turm stand, zu dessen Spitze er hochblickte. Dabeierlebte er deutlich ein Gefhl der Mchtigkeit, das von dem Turm auf ihneinwirkte. Es kam ihm der Gedanke, da er doch, weil er sich ja um einenTraum handelte, sein Ich auf die Turmspitze verlagern knne, um von dort

    herabzublicken. Als er dies zu verwirklichen suchte, glitt er sprunghaft auf demBlickstrahl zur Turmspitze und blickte jetzt tatschlich nach unten, wobei ihn

    sogleich ein Gefhl des Schwindels berkam. Nun versuchte er mehrfach aufhnliche Art die Perspektive zu wechseln, was ihm auch gelang, bis er pltzlich

    zugleich von oben und unten zu blicken schien. Dabei erlebte er gleichzeitig dieMchtigkeit des Turms und das eigene Schwindelgefhl. Das skizzierte Beispiel

    weist bereits auf die Mglichkeit der Verdoppelung des Blicks hin, die inAbschnitt III.6 nher erlutert wird.

    Das zweite Beispiel stammt von einem Knstler, der gleich in der ersten Nacht,

    nachdem er von mir ber die Mglichkeit unterrichtet worden war, ber denBlickstrahl in eine hypnagoge Szenerie hineinzugleiten, folgendes erlebte. Er

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    achtete beim Einschlafen auf die optischen hypnagogen Erscheinungen, bissich eine Szenerie entwickelte, in der sich mehrere Indianer am Meeresstrand

    befanden. Es gelang ihm, sein Ich auf dem Blickstrahl in einen Indianerjungenhineinzuversetzen, und aus dessen Auge das Meer zu betrachten. Daraufhin

    scho pltzlich sein Ich wieder aus dem Jungen heraus und es schwebtedanach ber der Szenerie am Meeresstrand. Statt aber jetzt in der Traumwelt

    irgendwo hinzufliegen, wie es ein gebter Klartrumer getan htte, kam ihmder Gedanke: 'Es hat nicht geklappt!' Darauf kehrte sein Ich wieder in den im

    Bett liegenden (phnomenalen) Krper zurck, von dem er noch irgendetwaszu verspren glaubte. Dieses Beispiel veranschaulicht nicht nur das 'Gleiten auf

    dem Blickstrahl', sondern weist schon auf die Mglichkeit hin, im Klartraum ausden Augen anderer Traumgestalten zu blicken, was im folgenden Abschnitt

    nher erlutert wird. Zuvor sei aber noch darauf hingewiesen, da unsere

    Beobachtungen zwar phnomenologisch, aber nicht erkenntnistheoretisch mitder Behauptung mancher Okkultisten bereinstimmen, das Ich oder die Seeleknne durch das 'dritte Auge' (in kritisch-realistischer Terminologie: 'dasZyklopenauge') den Krper verlassen (vgl. Abschn. I.2).

    5. Der Blick aus und mit anderen Augen

    Wie zuvor erwhnt, ist es im Klartraum mglich, mit dem eigenen Ich in andereTraumfiguren einzudringen und aus den Augen der betreffenden Figuren dieTraumszenerie zu betrachten. Letzteres bezeichnen wir etwas verkrzt als 'Blick

    aus anderen Augen'. Das Eindringen des Ichs in einen anderen Traumkrperkann brigens auch spontan erfolgen. Wir zitieren zur Illustration den

    Klartraumbericht eines Mdchens vollstndig, da uns dieser in vieler Hinsichtaufschlureich erscheint.

    Das Mdchen war in einen Jungen verliebt, der sich ihm gegenber zwar

    freundlich und nett, aber gleichzeitig auch reserviert verhielt. Vor demEinschlafen beschftigte es sich mit dem Gedanken, warum der Junge nichtnher auf es einging. Es hatte in der Nacht folgenden Traum:

    'Ich befand mich mit dem Jungen zusammen in einem Raum. Wir waren

    beide mit irgendeiner Ttigkeit beschftigt, an die ich mich nicht mehrerinnere, jedenfalls waren wir dabei in ein Gesprch vertieft. Auf einmal

    wurde mir klar, da ich trume. Wieder fragte ich mich, warum er

    meine Gefhle nicht erwidert, und wollte jetzt in dieser TraumsituationAntwort auf diese Frage haben. Da merkte ich, wie sich mein Geist, d.h.

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    das, was ich als 'Ich' bezeichne, aus meinem Krper lste und hinberzu seinem Krper schwebte und in diesen eindrang. In diesem

    krperlosen Zustand konnte ich mich mit allen Sinnen orientieren, d.h.sehen, hren, fhlen usw. Als ich aus meinem Krper austrat, sah ich

    ihn einfach weiter da stehen, an etwas rumbasteln und reden. Manmerkte also meinem Krper von auen nicht an, da ich da nicht mehr

    drin war. Ich schwebte also zu dem Jungen hinber und drang in seinenKrper ein, wobei ich das Gefhl hatte, alle seine Krperfunktionen zu

    bernehmen, ohne da ihm das zu Bewutsein kam. Ich bernahm alsoseine Vitalfunktionen und seine Motorik und alles, was eben zu einem

    Krper gehrt. Die erste Zeit war das ein recht eigenartiges Gefhl, alleswar so anders und auch rumlich enger als in meinem Krper und so

    ungewohnt. Es war ungefhr so, als ob man jahrelang immer einen

    Mercedes gefahren hat und dieses Auto voll beherrscht und pltzlichauf einen Austin Mini umsteigt. Aber dieses Gefhl wurde um soschwcher, je lnger ich in diesem Krper war und je besser ich mit ihmumgehen konnte. Ich sah mit seinen Augen, fhlte mit seinen Hnden,redete mit seiner Stimme usw. Ich sah auch durch seine Augen meinen

    Krper da drben stehen und irgendwie agieren. Und ich sah ihneigentlich denken, ohne da ich mich erinnern knnte, wie ich zu

    diesem Eindruck kam. Ich beobachtete also seine Gedankengnge und

    seine Handlungen, ohne aber in diese einzugreifen, denn der Jungewute ja wie gesagt nicht, da ich jetzt quasi mit ihm zusammen ineinem Krper steckte. Ich war also passiver Beobachter. Ich sah, wie er

    mich wahrnahm, wie ich auf ihn wirkte und was er mir gegenber frGefhle hatte. Ich sah, in welchem Zwiespalt er steckte, denn er hattewohl gemerkt, was ich fr ihn empfand, und er mochte mich auchgerne, aber wollte eben kein Verhltnis mit mir anfangen. Als ich diese

    Gedanken beobachtete und mich durch seine Augen gesehen hatte,wute ich, warum er mir gegenber so zurckhaltend blieb, und es

    wurde mir klar, da er meine Gefhle nie erwidern wrde. Ich wuteganz genau, was er dachte und warum er es dachte. An dieser Stelle

    erwachte ich aus dem Traum.'

    Fr das Mdchen war dieser Traum sehr wichtig und hilfreich, weil er Ordnungin ihre Gefhle brachte. Es konnte sich jetzt mit einer freundschaftlichen

    Beziehung zu dem Jungen begngen, und sprte bei diesem eine gewisseErleichterung, da die Spannung, die zuvor zwischen den beiden bestanden

    hatte, nach dem Traum vllig verschwand.

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    Zur Interpretation dieses eindrucksvollen Beispiels ist zu sagen, da dasMdchen hier zu einer Erkenntnis von Sachverhalten gelangte, die es

    insgeheim schon wute, aber nicht wahrhaben wollte. Die innere Bereitschaftzur Lsung seines Problems sowie die Tatsache, da es sich selbst aus einem

    anderen Krper betrachtete, mag ihr zu der Erkenntnis ihrer Situationverholfen haben. Dabei ist es wichtig, da mit einem speziellen

    Krperempfinden gewhnlich bestimmte Emotionen gekoppelt sind. In diesemSinn erblickte sie sich selbst nicht nur aus, sondern auch 'mlt anderen Augen',

    womit gemeint ist, da sie sich nicht nur aus anderer optischer, sondern auchaus anderer emotlonaler Sicht betrachtete.

    Wichtig erscheint mir in diesem Beispiel auch die Tatsache, da man im

    krperlosen Zustand wahrnehmen (wie sehen oder hren) kann, obwohl man

    keine (phnomenalen) Sinnesorgane besitzt. Wie andere Beispiele belegen,kann sich das punktuelle Ich in diesem Zustand auch willentlich fortbewegenund sogar sprechen, obwohl es ber keine motorischen FortbewegungsundSprechorgane verfgt. Ferner ist noch zu ergnzen, da das Ich whrend einesKlartraums in mehrere andere Traumfiguren hintereinander eindringen kann

    (THOLEY, 1989). Diese Traumfiguren knnen sowohl menschliche,mythologische oder tierische Gestalt aufweisen (vgl. hierzu auch ZURFLUH). Je

    nach der speziellen Art der Gestalt vermag sich auch die Art des Blicks zu

    ndern. Befindet sich das Ich in einer tierischen Gestalt, so kann sich z. B. dieGre des Sehfelds in Abhngikeit vom Augenabstand erweitern; natrlich nur,wenn der Trumer aufgrund seiner Vorbildung eine diesbezgliche

    Erwartungshaltung besitzt.

    6. Der mikro- und endoskopische, Rntgen- und Kamera-Blick

    Bei den folgenden Blickvarianten gestaltet sich die Traumszenerie derart, als ob

    sie mittels eines oder mehrerer der in der berschrift erwhnten Gertebetrachtet wrden. Beginnen wir mit dem Kamera-Blick, der gem denverschiedenen Funktionen einer Fotokamera auch unterschiedlicheBlickvarianten umfat. So vergleicht WAELTI (1983) den Beginn seiner

    auerkrpenichen Reisen, mit dem ffnen der Blende eines Fotoapparates,wobei er auch zuweilen in die 'Vision' hineinbefrdert wurde. Dieses Erlebnis

    hat groe hnlichkeit mit den beim Tunnel-Blick geschilderten, und ist

    vermutlich auch auf hnliche Ursachen zurckzufhren. WAELTI bringt diebetreffenden Erscheinungen allerdings in naiver Weise mit dem 'ffnen des

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    dritten Auges' in Zusammenhang.

    Gebten Klartrumern ist es mglich, die betrachteten Traumgebilde nher andas Traum-Ich heranzuholen oder es von ihm zu entfernen, so als ob man sie

    durch ein Objektiv mit verstellbarer Brennweite betrachtete. In diesem Sinnspricht ZURFLUH vom 'Zoom-Sehen'. Schlielich kann das Ich nach ZURFLUH

    zuweilen auch in der Dunkelheit sehen, wie dies bei einem Restlicht-Verstrkermglich ist.

    Wenden wir uns nun den ersten drei in der berschrift genannten

    Blickvarianten zu, die auch in kombinierter Form auftreten knnen. Beimmikroskopischen Blick erscheinen die optischen Traumphnomene wie beim

    Blick durch ein Mikroskop in vergrerter Sicht.

    Zur Illustration schildern wir einen Ausschnitt eines Klartraumberichts einesStudenten, der davon trumte, da er sich in einer Kche befand und in einemMixer Maiskrner zu einer breiigen Masse zerteilte:

    'Plotzlich verndert sich meine Optik; der im Mixer herumwirbelnde

    Mais ist berscharf zu sehen und ich kann jeden einzelnen Fetzen derzerhackten Maiskrner sehen und sehr deutlich in allen Details

    erkennen. Jetzt habe ich das Gefhl, in den Mais hineingezogen zu

    werden. Dann bin ich im Mixer und sehe unendlich viele Maiskrner ummich herumwirbeln. Ich kann sie immer noch in allen Einzelheitenerkennen und bemerke, da diese immer grer werden - nein ich

    schrumpfe! Dann geht alles ganz schnell; ich bin jetzt so klein, da ichdie Struktur des Maises nicht mehr ausmachen kann, glaube aber dafreinzelne Molekle um mich herum zu erkennen, ich wei da ich mich

    jetzt auf subatomarer Ebene befinde...'.

    Wir haben dieses Beispiel deshalb ausgewhlt, weil es zugleich

    veranschaulicht, da der Traumkrper in extrem geschrumpfter Form in einTraumgebilde eindringen kann, und diese Gebilde von innen zu betrachten

    vermag. Dieses Erlebnis kommt nmlich dem endoskopischen Blick nahe, beidem der Ich-Kern insbesondere den eigenen Krper von innen inspizieren

    kann. Es ist dabei sogar mglich, durch die Krperorgane mit einer ArtRntgen-Bllck hindurchzusehen. So beschreibt WAELTI (1982) ein Erlebnis in

    dem er 'die Zhne, die Zunge, den Kehlkopf usw., alles durchsichtig, aber inlebendiger Bewegung' (S. 124) in einer Art 'Rundsicht' (dem panoramischen

    Blick vergleichbar) vom Krperinnern aus gesehen habe.

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    In den beiden beschrieben Beispielen hat offensichtlich sowohl bei demStudenten als auch bei WAELTI das Vorwissen einen entscheidenden Einflu

    auf die Traumbilder gehabt. Zeigt man anderseits eine Bereitschaft, sichsymbolhaften Traumbildern hinzugeben, um Aufschlsse ber unbewute

    Vorgnge zu erhalten, so kann die Inspektion des Krperinnern durch denendoskopischen und Rntgen-Blick zu wichtigen Erkenntnissen bei

    psychosomatischen Erkrankungen fhren.

    So berichtet z. B. REIS ... von einer Frau, die im Traum durch ihr eigenes Gehirnreist, dort eine Traumfigur (in Gestalt des Mr. Spock aus der Fernsehserie

    Enterprise) traf, der ihren Traum deutete, wodurch sie Aufschlu ber ihreunbewuten Probleme erhielt. Helfende Traumfiguren von der Art des Mr.

    Spock, trifft man brigens in Klartrumen relativ hufig an. Sie werden als

    'innere Helfer' bezeichnet und sind als Personifizierungen vonSelbstheilungskrften anzusehen.

    Die Inspektion des Krperinnern ist bei verschiedenen Imaginationstechniken,insbesondere beim Katathymen Bilderleben, fr die Diagnostik und Therapie

    psychosomatischer Erkrankungen bedeutsam. LEUNER (1987) unterscheidetzwei Arten der Inspektion: Bei der ersten reist das geschrumpfte Ich nach der

    Art von Gullivers Reisen durch den Krper und 'besichtigt' die einzelnen

    Krperorgane von innen (endoskopischer Blick). Hingegen wird bei der zweitenArt der Krper von einem Auenstandpunkt (auerkrperlicher Blick)'durchleuchtet', wobei die 'Krperwand aus Glas' erscheint (Rntgen-Blick).

    LEUNER fhrt zur Erluterung der beiden Inspektionsarten eindrucksvolleBeispiele an.

    Die Klartraum- und Imaginationsbeispiele illustrieren im brigen die bereits

    angesprochene Vielfalt der Kombinationsmglichkeiten der einzelnenBlickvarianten.

    7. Der doppelte und vervielfache Blick

    Beim doppelten Blick besitzt der Klartrumer zwei Iche, die vonunterschiedlichem Standort und unter unterschiedlicher Perspektive die

    Erscheinungswelt betrachten. Im Rahmen der Errterung des

    auerkrperlichen Blicks wurde schon ein Beispiel dafr gegeben, wie ber dasHin- und Hergleiten des Ichs auf dem Blickstrahl dieses Ich und damit

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    zusammenhngend auch der Blick im Klartraum verdoppelt werden kann. Eineandere Methode, das Ich und den Blick zu verdoppeln besteht darin, den

    eigenen Traumkrper in ein linke und rechte Hlfte zu zerteilen. Ahnlich wiebei der Zellteilung knnen sich dann aus den beiden Hlften dann wieder zwei

    vollstndige Krper bilden, die mit ihren (Zyklopen)-Augen, die Traumszenerievon unterschiedlicher Perspektive betrachten knnen. Die Spaltung des

    Krpers kann hierbei einerseits regelrecht durch ein Zerschneiden desTraumkrpers (etwa mit einem Messer) oder durch reine Suggestion

    vorgenommen werden. Das Zerschneiden des Krpers, bei dem man zunchstdas Auftreten von Schmerzen 'wegsuggerieren' sollte, erinnert an die

    Zerstckelungserlebnisse von Schamanen und Mystikern. Die reine Suggestionerinnert hingegen eher an die Praxis der Traumtransformatlon der

    tibetanischen Yogis, nach deren Lehre der Traumkrper sogar zu Millionen und

    Billionen von Krpern vervielfacht werde kann, so da diese den gesamten(getrumten) Kosmos ausfllen knnen (vgl. CHANG, 1963). Beide Praktikenerfordern viel bung und dienen der Erreichung hherer Bewutseinzustnde,die auch in der neueren Klartraumforschung eine zunehmende Bedeutunggewinnen. Auf einer dieser hheren Bewutseinzustnde, der in

    verschiedenen Weisheitslehren und Religionen sogar als hchsterBewutseinszustand eingestuft wird, soll im Schluabschnitt des Referats

    eingegangen werden.

    Bei auerkrperlichen Enebnissen kann das Phnomen des doppelten Blickswhrend der Einschlaf- und Wachphase spontan auftreten. Hierbei blickt man

    zugleich aus dem Erst- und Zweitkrper (vgl. hierzu auch WAELTI, 1983;ZURFLUH). Schlielich kann das Eindringen des Ichkerns in eine andere Personzur 'Kernspaltung' fhren, wobei dann das eine ''Spaltprodukt' oder Ich imursprnglichen Traumkrper verbleibt, whrend das andere Ich in den neuen

    Krper hineingleitet, so da man gleichzeitig aus zwei Krpernunterschiedlicher Gestalt blicken kann. ZURFLUH, der dieses Erlebnis ebenfalls

    aus eigener Erfahrung kennt, weist darber hinaus auf die Mglichkeit hin, 'mit'verdoppelten' Augen sowohl innerhalb eines Raumes, wie auch auerhalb (zu

    sehen) und zwar gleichzeitig.'

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    8. Der erleuchtete Blick

    Das, was wir unter 'erleuchten Blick' verstehen, unterscheidet sich so sehr von

    dem gewhnlichen Blick, das es wohl die Vorstellungskraft derjenigen, der

    noch nie ein solches Erlebnis gehabt haben, noch mehr bersteigen wird alsdie zuvor errterten Blickvarianten. In der Literatur bezeichnet man das zubeschreibende Phnomen auch als 'reines', 'kosmisches', 'holographisches',

    'erleuchtetes Sehen'. Andere Autoren gebrauchen schlicht das Wort 'SEHEN',wobei dieses Wort in der Schriftsprache durch besonderen Druck

    hervorgehoben wird; so z. B. von CASTANEDA (1976), der sich, wie schonerwhnt, auf die Lehre des indianischen Schamanen DON JUAN bezieht, undvon dem zenbuddhistischen Philosophen IZUTSU (1986).

    Wir versuchen diese hchste Form des Sehens im folgenden unter Bezug aufdie genannten Attribute 'rein', 'kosmisch', 'holographisch', 'erleuchtet', soweit

    wie mglich, zu veranschaulichen.

    1. Bei der Beschreibung des gewhnlichen phnomenalen Sehvorgangs, wurdebetont, da das erlebte Ich der Ursprung der Blickstrahlen ist, die auf eine

    Stelle im Sehfeld gerichtet sind. Nun ist das hier gemeinte SEHEN in dem Sinnerein oder pur, als es sowohl frei von einem sehenden Subjekt (dem

    phnomenalen Ich) als auch frei von einem gesehenen Objekt oder 'Gegen-Stand' ist und somit eben nur als reine Aktivitt enebt wird.

    2. Unter dem Attribut 'kosmisch' versteht man das Erlebnis des Einswerdens

    des phnomenalen Ichs mit dem gesamten (phnomenalen) Kosmos, derzumeist als zeitlich und rumlich unbegrenzt erlebt wird.

    Je nach Weltanschaung deutet man diese Erlebnis unterschiedlich und

    gebraucht entsprechend statt des Ausdrucks 'Kosmos' auch andere Termini. Sosprechen die Mystiker der monotheistischen Religionen vom 'Einswerden mit

    Gott', (wz 17.10.92 unio mystica) die Buddhisten vom Einswerden mit Buddha,einige moderne Psychotherapeuten vom 'Einswerden mit dem hheren Selbst'.Da ich aber die diesbezglichen Anschauungen der Mystiker, Buddhisten undPsychotherapeuten nicht teile, behalte ich den Ausdruck 'Kosmos' bei, zumal

    bei den geschilderten Erlebnissen insbesondere auch die Ordnung undSchnheit des (phnomenalen) Alls erlebt wird, was dem ursprnglichen Sinn

    des aus dem Griechischen entlehnten Worts 'Kosmos' entspricht.

    3. Das Attribut 'holographisch' soll darauf hindeuten, da bei dem

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    betreffenden Erlebnis hnlich wie bei einem holographischen Bild jeder Teil dasGanze (an Informationen) enthlt. Dieses Erlebnis wurde anderseits schon

    Jahrtausende vor der Entdeckung des Hologramms als Erfahrung des 'Alles inEinem - Eines in Allem' beschrieben. Zur Veranschaulichung bezog man sich

    frher meist auf das Bild mehrfacher Widerspiegelungen (vgl. dasuntenstehende Zitat von IZUTZU).

    5. Der Aspekt der Erleuchtung weist zugleich auf lichtartige optische

    Erfahrungen (im Sinne von Erlebnissen des Strahlens, des Durchscheinenssowie der Helligkeit) als auch auf intuitiv-schpferische Erfahrungen der

    vollkommenen Ein- und Durchsicht bzw. des vollkommen Ein- und Durchblickshin. Letzteres macht es auch verstndlich, da bei CASTANEDA (1976) das

    SEHEN mit WISSEN in Verbindung gebracht wird (man beachte zudem, da

    'wissen' mit dem lateinischen Verb 'videre' [= sehen] etymologisch verwandtist).

    Am ausfhrlichsten und systematischsten ist der Begriff des SEHENS wohl vonIZUTSU (1986) erlutert worden. Wir beschrnken uns hier auf ein kurzes Zitat,

    in dem anderseits die meisten Aspekte der besonderen Erfahrung des SEHENSerlutert werden. Der Autor schreibt:

    'An dieser Stelle verlieren alle Dinge ihre wesentliche Begrenzung. Und

    da flieen alle Dinge ineinander, einander widerspiegelnd undvoneinander widergespiegelt in dem genzenlos ausgedehnten Feld desNichts ... das Erfahren des Nichts (bedeutet) nicht etwa, da das

    Bewutsein unbesetzt und leer wird. Ganz im Gegenteil, dasBewutsein 'ist' durch sich selbst in der unverdorbenen Reinheit, reinesLicht oder einfache Erleuchtung, durch sich selbst erleuchtet und sichselbst erleuchtend. Es ist das SEHEN.'

    IZUTSU, der das Bewutsein hnlich wie die Gestalttheorie als dynamisches

    Kraftfeld auffat, bezeichnet die Erfahrung des SEHENS auch als'berbewutsein'. Unserer Ansicht nach ist es eine gnstige Voraussetzung fr

    das Auftreten dieser tiefgreifenden bewutseins- undpersnlichkeitsentfaltenden Erfahrung des 'berwutseins', zuvor das

    'Unterbewutseinl' durch Bewutmachung auszulschen, wodurch sich dieaktive Auseinandersetzung mit den im Klartraum 'aus dem Unterbewutsein

    aufsteigenden Bildern' in hervorragender Weise eignet ... Nach diesem aktivenEingreifen in das Klartraumgeschehen ist es dann aber notwendig zu einem

    passiven Schauen berzugehen, um schlielich zur Erfahrung des SEHENS imbeschriebenen Sinn zu gelangen. Uns erscheint es deshalb nicht verwunderlich,

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    da sich solche Erlebnisse bei gebten Klartrumern einstellen, was dietibetanischen Yogis schon wuten (CHANG, 1963) und durch die neuere

    Klartraumforschung ... besttigt wurde. Allerdings ist es hierfr, wie gesagt,notwendig, vom willentlichen aktiven Eingreifen in das Klartraumgeschehen zu

    einem vllig hingebungsvollen passiven Schauen berzugehen, wenn sich dieErfahrung des SEHENS einstellen soll. In den altindischen und tibetanischen

    Schriften wird diese Erfahrung auch etwas miverstndlich als 'traumloserSchlaf' bezeichnet. Dies darf aber nur im Sinne des Verschwindens der

    Traumbilder verstanden werden, das 'reine Bewutsein' bleibt erhalten, ja esentfaltet sich zum berbewutsein im Sinn von IZUTSU, das brigens im

    Gegensatz zu gewhnlichen Trumen whrend des gesamten Schlafsbeibehalten werden kann.

    Aus physiologisch-physikalischer Sicht lt sich das 'berbewutsein' zur Zeitam besten in das holographische Weltbild des Hirnforschers PRIBRAM (1975)sowie des Atomphysikers und Kosmologen BOHM (1985) einordnen. Wie ich imeinzelnen in einer frheren Arbeit ... ausgefhrt habe, stimmt dieses Weltbildmit den Grundlagen der Gestalttheorie berein, was auch nicht

    verwundederlich ist, da sich PRIBRAM bei der Entwicklung desholographischen Weltbilds auf gestalttheoretische Grundannahmen gesttzt

    hat. In diesem Zusammenhang ist es interessant, da auch die Psychologin und

    Ethnologin CRAMER (1991) aufgrund ihrer Studien der schamanistischenTraumkultur der Senoi zu dem wichtigen Befund kommt, da innerhalb dieserKulturen die Erfahrung und darauf aufbauende Weltsicht des 'Alles in Einem,

    Eines in Allem' eine zentrale Rolle spielt, wobei sie ebenfalls auf die Parallelezwischen schamanistischen Denken und moderner Hologrammtheorie vonPRIBRAM hinweist. Sie kommt zu dem Schlu:

    'Und so schliet sich der Kreis: Uralte berlieferung und moderne

    Wissenschaft ergnzen einander zu einem umfassenden Verstndnisdes Menschen und seiner Stellung in der Welt.'