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13 STANDORT – Zeitschrift für Angewandte Geographie 4/1998 © Springer-Verlag Angewandte Geographie Von der Planungseuphorie zur „neuen“ Planungskultur Kommunikative Planung baut auf dem Prinzip der Beteili- gung auf. Der Begriff Beteiligung ist dabei weit gefaßt und wird zudem häufig unpräzise verwandt. In der Planungsge- schichte der Bundesrepublik ist Beteiligung als Kommunika- tion zwischen dem öffentlichen System und der Gesellschaft, insbesondere den privaten Haushalten, zu verstehen: Pla- nungsentscheidungen liegen nicht vollständig in den Händen von Experten, sondern weitere gesellschaftliche Gruppen ha- ben am Planungsprozeß teil. Erst eine Betrachtung dieser Geschichte füllt den Begriff und ist eine notwendige Grund- lage zum Verständnis aktueller Entwicklungen kommunika- tiver Planung (vgl. Abb. 1). Die 50er Jahre als „Zeit der Professoren und Gutachter“ In der Planung der 50er Jahre wurde, insbesondere in der Stadtplanung, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ent- wicklung als gegeben und nicht beeinflußbar betrachtet. Pla- nung hatte die Funktion einer sogenannten Auffangplanung, die die räumlichen und organisatorischen Voraussetzungen für den Wachstumsprozeß bereitzustellen hatte (vgl. ALBERS 1993, S. 98 ff.). Die Wissenschaft nahm für die Planung eine zentrale Bedeutung ein, denn sie hatte die Funktion, den Wachstumsprozeß zu berechnen. In diesem Zusammenhang wird von der „Zeit der Professoren und Gutachter“ gespro- chen (GANSER 1991, S. 54 ff.). Die 60er und 70er Jahre als Kristallisationspunkt der Beteiligung Im Laufe der 60er Jahre wurde die Beziehung zwischen menschlicher Entscheidung und der Entwicklung von Wirt- schaft und Gesellschaft stärker wahrgenommen. Damit ent- stand allmählich auch ein planerisches Selbstverständnis von der Gestaltbarkeit des Raumes. Ein Produkt dieser neuen Denkrichtung war die Entwicklungsplanung, die aus dem Glauben erwuchs, daß mit Hilfe einer vollständig transparen- ten Informationslage eine rationale Planung möglich sei, de- ren Ziele keinen Widerspruch aufweisen. Bis zu diesem Zeit- punkt war Planung ausschließlich eine wissenschaftliche Disziplin, die keiner Beteiligung anderer gesellschaftlicher Gruppen bedurfte. Trostlose Trabantenstädte, überdimensio- nierte Verkehrswege, monotone Baukörper und leblose In- nenstädte waren die Folge. Ausgelöst durch die mangelhaften Ergebnisse einer funktio- nal und wirtschaftlich orientierten Planungspraxis kam es erst Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre zu einer Öff- nung des Planungssystems für die Bürgerschaft. Die Meinung der Planungsbetroffenen sollte als Orientierungshilfe dienen und den Planenden eine neue Sicherheit für ihr Handeln ge- ben. Die Resignation der 80er Jahre Spätestens Anfang der 80er Jahre verlor der Glaube an eine integrierte Gesamtplanung - und an deren Leistungsfähig- keit - an Kraft. „Offenbar hatte man nicht nur die Rationali- tät der politischen Entscheidungsprozesse und die Koordi- nierbarkeit der Institutionen, sondern auch die Verläßlich- keit von Prognosen künftiger Entwicklungskräfte über- schätzt. Politische Gegenkräfte und die Einengung kommu- Kommunikative Planung - Die Lösung aller Probleme? Dialog, Kooperati- on, Prozeß - Schlag- worte einer „neuen“ Planungskultur Stefan Kanther und Bernd Neugebauer In der Planung - ob Stadt-, Regional- oder Umweltpla- nung - treten vermehrt methodische Ansätze auf, die auf dem Prinzip der direkten Kommunikation zwischen Interessengruppen ruhen. Sprich: die Beteiligung erlebt eine Renaissance. Verfahren wie Mediation, Planungszel- le/Bürgergutachten, Foren und Runde Tische kommen vermehrt zum Einsatz. In der theoretischen Diskussion sowie in der praktischen Anwendung avancieren die neuen Planungsansätze zur Zauberformel aller Pro- blemlösungen. In den letzten Jahren wurden vermehrt Praxiserfahrungen gesammelt, die eine Potentialein- schätzung der „neuen“ Ansätze zulassen. a999999999 Dipl.-Geogr. Stefan Kanther Stiftung MITARBEIT Bornheimer Straße 37 53111 Bonn Dipl.-Geogr. Bernd Neugebauer Edisonallee 5 53125 Bonn

Kommunikative Planung – Die Lösung aller Probleme?

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Angewandte Geographie

Von der Planungseuphoriezur „neuen“ Planungskultur

Kommunikative Planung baut auf dem Prinzip der Beteili-gung auf. Der Begriff Beteiligung ist dabei weit gefaßt undwird zudem häufig unpräzise verwandt. In der Planungsge-schichte der Bundesrepublik ist Beteiligung als Kommunika-tion zwischen dem öffentlichen System und der Gesellschaft,insbesondere den privaten Haushalten, zu verstehen: Pla-nungsentscheidungen liegen nicht vollständig in den Händenvon Experten, sondern weitere gesellschaftliche Gruppen ha-ben am Planungsprozeß teil. Erst eine Betrachtung dieserGeschichte füllt den Begriff und ist eine notwendige Grund-lage zum Verständnis aktueller Entwicklungen kommunika-tiver Planung (vgl. Abb. 1).

Die 50er Jahre als „Zeit der Professorenund Gutachter“

In der Planung der 50er Jahre wurde, insbesondere in derStadtplanung, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ent-wicklung als gegeben und nicht beeinflußbar betrachtet. Pla-nung hatte die Funktion einer sogenannten Auffangplanung,die die räumlichen und organisatorischen Voraussetzungenfür den Wachstumsprozeß bereitzustellen hatte (vgl. ALBERS

1993, S. 98 ff.). Die Wissenschaft nahm für die Planung einezentrale Bedeutung ein, denn sie hatte die Funktion, denWachstumsprozeß zu berechnen. In diesem Zusammenhangwird von der „Zeit der Professoren und Gutachter“ gespro-chen (GANSER 1991, S. 54 ff.).

Die 60er und 70er Jahre als Kristallisationspunktder Beteiligung

Im Laufe der 60er Jahre wurde die Beziehung zwischenmenschlicher Entscheidung und der Entwicklung von Wirt-schaft und Gesellschaft stärker wahrgenommen. Damit ent-stand allmählich auch ein planerisches Selbstverständnis vonder Gestaltbarkeit des Raumes. Ein Produkt dieser neuenDenkrichtung war die Entwicklungsplanung, die aus demGlauben erwuchs, daß mit Hilfe einer vollständig transparen-ten Informationslage eine rationale Planung möglich sei, de-ren Ziele keinen Widerspruch aufweisen. Bis zu diesem Zeit-punkt war Planung ausschließlich eine wissenschaftlicheDisziplin, die keiner Beteiligung anderer gesellschaftlicherGruppen bedurfte. Trostlose Trabantenstädte, überdimensio-nierte Verkehrswege, monotone Baukörper und leblose In-nenstädte waren die Folge.Ausgelöst durch die mangelhaften Ergebnisse einer funktio-nal und wirtschaftlich orientierten Planungspraxis kam eserst Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre zu einer Öff-nung des Planungssystems für die Bürgerschaft. Die Meinungder Planungsbetroffenen sollte als Orientierungshilfe dienenund den Planenden eine neue Sicherheit für ihr Handeln ge-ben.

Die Resignation der 80er JahreSpätestens Anfang der 80er Jahre verlor der Glaube an eineintegrierte Gesamtplanung - und an deren Leistungsfähig-keit - an Kraft. „Offenbar hatte man nicht nur die Rationali-tät der politischen Entscheidungsprozesse und die Koordi-nierbarkeit der Institutionen, sondern auch die Verläßlich-keit von Prognosen künftiger Entwicklungskräfte über-schätzt. Politische Gegenkräfte und die Einengung kommu-

Kommunikative Planung - Die Lösung aller Probleme?Dialog, Kooperati-

on, Prozeß - Schlag-worte einer „neuen“Planungskultur

Stefan Kanther und Bernd Neugebauer

In der Planung - ob Stadt-, Regional- oder Umweltpla-nung - treten vermehrt methodische Ansätze auf, die aufdem Prinzip der direkten Kommunikation zwischenInteressengruppen ruhen. Sprich: die Beteiligung erlebteine Renaissance. Verfahren wie Mediation, Planungszel-le/Bürgergutachten, Foren und Runde Tische kommenvermehrt zum Einsatz. In der theoretischen Diskussionsowie in der praktischen Anwendung avancieren dieneuen Planungsansätze zur Zauberformel aller Pro-blemlösungen. In den letzten Jahren wurden vermehrtPraxiserfahrungen gesammelt, die eine Potentialein-schätzung der „neuen“ Ansätze zulassen.

a999999999Dipl.-Geogr. Stefan KantherStiftung MITARBEITBornheimer Straße 3753111 Bonn

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nalen Handlungsspielraums durch rückschreitendes Haus-haltsvolumens kamen hinzu“ (ALBERS 1990, S. 211). Die Plan-werke der 70er Jahre verschwanden mitsamt dem Ansprucheiner ganzheitlichen, Zeit und Raum integrierenden Planungin den Schubladen und Regalen.Es kam zu einem ein Entwicklungsbruch. Nachdem sich bisMitte der 70er Jahre eine stetige Ausweitung des Kompe-tenzbereiches der kommunalen Planung vollzog, setzte dar-auffolgend eine Zeit der Konzept- und Leitbildlosigkeit ein.Der Anspruch, die Stadt als Ganzes vorausschauend planenzu können, kam abhanden. Statt dessen bestand - und be-steht - Planung ab Anfang der 80er Jahre mehr und mehr ausEinzelprojekten, in der Fachsprache als „inkrementalistischePlanung“ - eine aus Einzelteilen bestehende Planung - be-zeichnet. Entscheidungen basieren jetzt zunehmend auf po-litischer Opportunität, Handlungsroutinen einzelner Res-sorts, vermeintlichen Sachzwängen und marktvermitteltemInvestitionsdruck (vgl. SELLE 1996, S. 16).

Neuorientierung in den HandlungsformenIm Laufe der 80er Jahre traten die Defizite einer projektori-entierten Planung nach und nach deutlicher zu Tage. Die Pla-nung wurde sich der Aufgabe bewußt, wieder stärker gestal-terisch tätig zu werden, hatte aber mit einem starken Umset-zungsdefizit zu kämpfen. Interessenkonflikte zwischenWirtschaft, Politik und Bürgerschaft führten zu einer Hand-lungsunfähigkeit des formalisierten Planungssystems.Neben den Zauberformeln Deregulierung und Flexibilisie-rung und im Kontrast zur hoheitlichen Planung entwickeltensich ergänzend Formen der mitgestaltenden Planung (vgl.Abb. 2). Hier blieb der Staat - im Gegensatz zur zunehmen-den Deregulierung in anderen Bereichen - weiter in eineraktiven Rolle, um die Stadtentwicklung nicht vorrangig denMarktprozessen bzw. organisierten Einzelinteressen zu über-lassen, verstand sich aber verstärkt als Vermittler zwischenunterschiedlichen Interessen. Zusammengefaßt wird dieseAusrichtung unter dem Begriff der „neuen“ Planungskultur,die im folgenden skizziert werden sollen.

Eckpunkte der „neuen“Planungskultur

Abb. 1Von der Beteiligung zur Kooperation

„Neue“ Planungskultur bezeichnet kein geschlossenes Gebil-de. Sie ist in der Praxis durch ein Ausprobieren neuer Pla-nungsformen entstanden. Auf dieser „Experimentierbaustel-le“ ist eine Begriffsvielfalt entstanden wie beispielsweise „Of-fene Planung“ (FASSBINDER 1992), „perspektivischer Inkre-mentalismus“ (GANSER 1991), „Kommunikationsplanung“(POHLMANN 1993) oder „diskursive Planung“ (GÖB 1989). Dieseneuen Denk- und Handlungsansätze werden in der Literaturhäufig unter dem Begriff der „neuen“ Planungskultur auf ei-nen Nenner gebracht.

Direkter Dialog als KommunikationsmittelIm Mittelpunkt der „neuen“ Planungskultur steht - im Ge-gensatz zu den formalen Planungsverfahren - als neues Ar-beitsmittel der direkte Dialog mit den „beplanten“ Betroffe-nen, also sowohl den privaten Haushalten als auch der priva-ten Wirtschaft. Nicht mehr ein von den planenden Expertendurchgeführter Abwägungsprozeß, der getrennt von der ei-gentlichen Planung in Form von Hearings oder sogar schrift-lichen Stellungnahmen verläuft, dient dem Interessenaus-gleich, sondern Meinungen und Ansichten der Betroffenenwerden auf direktem Weg ausgetauscht.Was vordergründig sehr aufwendig erscheint, zeigt sich inder Praxis als besonders effizientes Verfahren. Die klassi-schen Abwägungsverfahren stellen in der Regel eine enormlangwierige Prozedur dar, die aufgrund des fehlenden direk-ten Austauschs der einzelnen Interessen untereinander füralle Beteiligte nur zu unbefriedigenden Ergebnissen geführthaben.Über den direkten Dialog hingegen ist ein Austausch mit denPlanungsbetroffenen gegeben, der ohne große theoretischeDiskussionen relevante von weniger relevanten Aspekten desPlanungsgegenstandes trennen läßt, denn eine Spekulationvon Expertenseite über die Bedürfnisse der Planungsbetrof-fenen erübrigt sich auf diesem Weg. Planende, die Bürger-schaft und die Wirtschaft gründen auf diesem Weg einenWissenspool, der viele Informationen beinhaltet, die der Pla-ner allein nicht zusammentragen kann.

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Kooperation statt TeilhabeDer Begriff der Beteiligung wird in der „neuen“ Planungskul-tur neu definiert und darf auf keinen Fall mit der gesetzlichfestgeschriebenen Bürgerbeteiligung in formalisierten Pla-nungsverfahren verwechselt werden. Der entscheidende Un-terschied besteht in der Stellung der Beteiligten. Der traditio-nelle Beteiligungsbegriff unterstellt „einen zentralen (Pla-nungs- und) Entscheidungsprozeß innerhalb des politisch-administrativen Systems, an dem Dritte teilhaben“ (SELLE

1996, S. 83).Dagegen findet bei der „neuen“ Planungskultur eine Über-tragung von Problemlösungskompetenz auf die Beteiligtenstatt, wobei diese aus unterschiedlichen gesellschaftlichenGruppen stammen. Dabei ist wichtig zu bedenken, daß diekooperativ gefundenen Lösungen aber nur empfehlendenCharakter besitzen und der jeweiligen Planungsinstanz zurEntscheidungsvorbereitung dienen.

Planung als offener ProzeßAnders als in den der 70er Jahre, als mit statischen Entwick-lungsplänen versucht wurde, eine sehr detaillierte Konflikt-bewältigung - sozusagen auf Vorrat - für die nächsten 20 Jah-

re zu betreiben, basiert die „neue“ Planungskultur auf einemprozeßorientierten Ansatz: „Eine Planung sollte ... immer nurdiejenigen Strukturen festlegen, die für die Verankerung dergrundlegenden Idee und für den jeweiligen Fortgang des Ver-fahrens gerade erforderlich sind“ (FASSBINDER 1992, S. 318). Diestaatliche Planungsinstanz hat anstatt der Zielvorgabe nundie Aufgabe der kooperativen Ziel- und Projektentwicklung,deren Ausgang von ihr nicht vorherbestimmt werden kann.Über den prozessualen Planungsansatz wird in die Planungdie Möglichkeit der Zielkorrektur integriert und bleibt dem-entsprechend offen für neu entstehende Erkenntnisse. Per-spektivische Planung soll in ihrem Verlauf Lernprozesse voll-ziehen können und somit auf die immer kürzere Verweil-dauer der für die Gesellschaft geeigneten räumlichenStrukturen und den dialogischen Prozeß der Kooperations-partner eingehen.

Konsens als ZielDie auf Kooperation basierende Projektentwicklung setzteine hierarchiefreie Arbeitsform voraus, die eine Ergebnis-zustimmung aller Beteiligten anvisiert. In der Mediation(s.u.) wird diesbezüglich von einer win-win-Problemlösung

Abb. 2Entwicklungsstufen zur Planungspraxis

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gesprochen, in der aufgrund der gegenseitigen Annäherungder Interessengegensätze alle Beteiligten für sich einen Vor-teil aus dem erarbeiteten Ergebnis ziehen. Mit dieser allseiti-gen Unterstützung der Planungsergebnisse soll die darauffol-gende Umsetzungsphase eine breite Unterstützung erfahren.Der Entscheidungsprozeß in der „neuen“ Planungskultur be-rücksichtigt somit die Umsetzung der Planung von Anfangan mit. Grundvoraussetzung hierfür ist der Wille aller Betei-ligten, ein Ergebnis zu erarbeiten.

Deutung der „neuen“ PlanungskulturDer neue Status der Beteiligung - die Bürgerschaft emanzi-piert sich vom Planungsobjekt zum Planungssubjekt - er-scheint auf den ersten Blick sehr idealisiert und korrespon-diert mit basisdemokratischem Gedankengut. Trotzdem darfnicht die ursprüngliche Motivation verkannt werden, diezum Einsatz dieses Ansatzes geführt hat: Sie liegt eindeutigin dem Bestreben, eine neue Handlungsfähigkeit von Politikund Planung zu erreichen. Über den Einsatz institutionali-sierter Planungsverfahren und die zur Verfügung stehendenPlanungsautorität war in einigen Bereichen - als zentraleBeispiele sind Verkehr, Wohnungsbau- und Gewerbeflächensowie Abfallwirtschaft zu nennen - das starke Spannungsver-hältnis von Politik-, Wirtschafts- und Bürgerinteressen nichtmehr aufzulösen. Im Gegensatz zu der Ende der 60er Jahrediskutierten und darauffolgend auch in gesetzlich formali-sierten Verfahren praktizierten Bürgerbeteiligung stellt sichdie „neue“ Planungskultur nicht die Frage des Ob oder Obnicht. Beteiligung wird vielmehr zu einer festen Komponentein Planungsprozessen; es bleibt nur noch die Frage offen, wiedieses Verfahren gestaltet werden soll.Das Defizit der Handlungs- und Vollzugsmacht des politisch-planerischen Systems mündete in einer Suche nach neuenHandlungsmöglichkeiten. Mit der Beteiligung der Planungs-adressaten soll das Spannungsfeld von Märkten, politisch-administrativem System und privaten Haushalten entschärftund auf diesem Weg frühzeitig Widerstände abgebaut bzw.eine Vorhabensunterstützung aufgebaut werden.Zudem ist die „neue“ Planungskultur auch als Reaktion aufdie ständig anwachsende Komplexität der Planung zu sehen,die auch für die Planenden Unsicherheit über den „richti-gen“ Lösungsweg aufwirft. Eine kooperative Entscheidungs-findung hat somit auch die Funktion, Verantwortung zu tei-len.

nungsinstrumentariums dar - herausgelöstes Element imMittelpunkt der Betrachtung. Andererseits ist aber auch dieVerwendung der Ergebnisse aus den informellen kooperati-ven Planungsverfahren in dem formellen Planungssektor zuerörtern. Erst diese Gesamtbetrachtung läßt eine abschlie-ßende Einschätzung des Problemlösungspotentials der „neu-en“ Planungskultur zu.

Planungszelle/Bürgergutachten - Ergebnisse in Expertenqualität

Per Zufall ausgewählte Bürgerinnen und Bürger erarbeiten inGruppen von 25 Personen - sogenannten Planungszellen -über mehrere Tage Lösungsvorschläge bezüglich einer kon-kreten Problemstellung. Gesprochen wird hierbei von einerLaienplanung. Jeder Planungsabschnitt, der in dem Verfahrenvollzogen wird, gestaltet sich methodisch dreigliedrig. Anerster Stelle steht ein Informationsinput, über den die Betei-ligten Fachwissen über die betreffende Planung erhalten.Darauffolgend treten sie zur Meinungsbildung und zum In-teressenausgleich miteinander in einen Diskussionsprozeßund treffen die entsprechende Planungsempfehlung. Für ihreTätigkeit werden die Beteiligten von ihren arbeitstäglichenVerpflichtungen freigestellt. Das Ergebnis dieses Verfahrenswird von einem wissenschaftlichen Begleitteam in einemBürgergutachten zusammengefaßt.Das Verfahren Planungszelle/Bürgergutachten wurde in denvergangen Jahren vermehrt im Bereich der Stadtentwicklung(z.B. Lingen, Apolda, Meiningen und Nordhausen) sowie inder ÖPNV-Planung (Hannover) eingesetzt. Bei der Durch-führung von Planungszellen werden konkrete Planungsaufga-ben - sprich eine aktive Planungstätigkeit - in die Hände vonBürgern gelegt. Von Expertenseite wird diese Methode imVorfeld hinsichtlich der Planungsqualität zumeist angezwei-felt: „Der Laie soll Aufgaben übernehmen, für deren Bewälti-gung wir jahrelang studiert haben, das geht doch gar nicht“,ist häufig die Reaktion. Diese Einschätzung wird allerdingsin Anbetracht der Ergebnisse aus Planungszellen oftmals re-vidiert und das Resultat „Bürgergutachten“ qualitativ mitExpertengutachten auf eine Stufe gestellt (vgl. KANTHER 1997, S.82 und 90 ff.).

Forum bringt Interessengegner in den DialogDas Forum beschreibt im Gegensatz zur Methode Planungs-zelle/Bürgergutachten kein methodisch standardisiertes Pla-nungsverfahren, sondern schafft einen Rahmen zur gemein-samen Informations- und Problembearbeitung. Ziel ist derAustausch zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Interes-sengruppen sowie deren gemeinsame Entwicklung von Pla-nungen. Die Sitzungen des Forums werden von einem neu-tralen Moderator geleitet, der Methoden wie Kleingruppen-arbeit und Moderationstechniken (z.B. Kartenabfrage) zurGestaltung einer erfolgreichen Zusammenarbeit einsetzt. DieZielgruppe können sowohl direkt die Bürger als auch Inter-essenvertretungen sein. Eingesetzt wurde das Forum im grö-ßeren Maßstab für die Verkehrsentwicklungsplanung z.B. inHeidelberg, Tübingen und Salzburg.Die bisher durchgeführten Verkehrsforen dauerten zwischenein und drei Jahren. Das in dieser Zeit erarbeitete sachlicheErgebnis könnte von einem Verkehrsplanungsbüro sicherlichschneller und qualitativ besser erbracht werden und wäre

„Neue“ Planungskultur - Erfahrungen aus der Praxis

Die skizzierten Eckpunkte der „neuen“ Planungskultur sindBestandteil kooperativer Planungsverfahren, in denen pro-jektorientiert Planungsaufgaben bearbeitet werden. Der Ge-staltung des kooperativen Umgangs sind jedoch keine for-malen Grenzen gesetzt, so daß zusätzlich noch eine Vielzahlweiterer Kooperationsformen in der Planungspraxis zu be-obachten ist. Zur Verdeutlichung des neuen Planungsansatzessollen drei Verfahren vorgestellt und in ihrer Praktikabilitätund Ergebnisqualität bewertet werden. Hier steht dement-sprechend ein aus dem Gesamtprozeß - wie schon erwähnt,stellt die „neue“ Planungskultur nur eine Ergänzung des Pla-

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dann zudem in sich klarer und stimmiger (vgl. SELLNOW 1998,S. 47). Jedoch hat die Erfahrung gezeigt, daß rein von Exper-tenseite entwickelte Planung einem Kampf gegen Windmüh-lenflügel gleicht. Insbesondere die Verkehrspolitik ist immerwieder ein Politikum, in dem sehr konträre und verfeindeteInteressengruppen vorzufinden sind. Das Verkehrsforum hatsich speziell in diesem Punkt verdient gemacht. Es bieteteine Plattform, auf der unterschiedlichste Interessengruppenzusammentreffen, ihre Meinung austauschen und in Aner-kennung der anders denkenden „Partei“ gemeinsam einenKompromiß im Sinne des Gemeinwohlinteresses erarbeiten.Mit der Erarbeitung eines Ergebnisses geht dementspre-chend ein sozialer Lernprozeß einher, der z.B. in Heidelbergzur Bildung neuer Netzwerke ehemals verfeindeter Interes-sengruppen geführt hat. Dieser Effekt, der für die „neue“ Pla-nungskultur von zentraler Bedeutung ist, braucht als Grund-voraussetzung den direkten Dialog und gegebenenfalls dieVerhandlung und ist nicht über eine Fragebogenaktion odereine reine Expertenplanung zu erzielen.

Mediation - schlichten statt richtenMediation bedeutet Konfliktvermittlung durch einen neutra-len Dritten. Im Unterschied zu einem Moderator, wie beimo.g. Forum vorgestellt, hat dieser Konfliktmittler weiterrei-chende Kompetenzen. Er leitet die Sitzungen nicht nur for-mal, sondern beteiligt sich durch eigene Ideen und Vorschlä-ge auch inhaltlich an der Problemlösung (vgl. HOLTKAMP &STACH 1995). Wichtige Verhandlungsstrategie bei der Mediati-on ist das Verhandeln über die Interessen der Beteiligten undnicht über die Positionen, die sie eingenommen haben. Dazuwird von ihm besonders diplomatisches Geschick verlangt,um die streitenden Parteien nicht nur an einen Tisch zu be-kommen, sondern auch zumindest Teil-Konsense aller Betei-ligten (win-win-Situationen) zu erreichen. Eine gemeinsameAufarbeitung von Sachdaten steht im Vordergrund, wobei ofteine Klärung eventuell vorhandener Animositäten zwischenden Beteiligten vorausgehen muß.Die bislang in Deutschlanddurchgeführten Mediationsverfahren im Bereich Umweltpla-nung kreisen um die Themen Entsorgungsanlagen, Abfall-konzepte, Altlasten sowie Verkehr und wurden häufig erstgestartet, nachdem sich die beteiligten Gruppen bereits ineine gegenseitige Blockadehaltung hineinmanövriert hatten.Die Ergebnisse der bisherigen Verfahren haben gezeigt, daßder Einsatz eines neutralen Konfliktmittlers nicht automa-tisch zum Erfolg führt. Zudem läßt sich ein Erfolg nur schwerobjektivieren. Er hängt zum einen vom Geschick des Ver-mittlers ab, der sich gegenüber den Beteiligten eine hoheGlaubwürdigkeit erarbeiten und erhalten muß. Zum andernmüssen die Beteiligten ausreichenden Einigungswillen auf-weisen, um sich mit den Interessengegnern an einen Ver-handlungstisch unter neutralem Vorsitz zu begeben. Wurdendiese Grundvoraussetzungen erfüllt, konnten in vielen Fällengemeinschaftlich (Teil-)Ergebnisse entwickelten werden, mitdenen sich alle Gruppen identifizierten. Dennoch kann esbei der Umsetzung der (Teil-)Ergebnisse zu Verzögerungenkommen, weil jede Gruppe auf den ersten Schritt einer an-deren wartet. Eine Realisierung von kleineren Ergebnissennoch während der Verhandlungsphase konnte Vertrauenschaffen. Eine Umsetzungskontrolle über Feedback-Konfe-renzen hilft, Erreichtes und Verbleibendes zu bilanzieren.

Perspektiven der „neuen“Planungskultur

Aus der geschichtlichen Betrachtung läßt sich ein besonde-res Charakteristikum der Planung ablesen: Die Lösung vonPlanungsaufgaben ist niemals perfekt und endgültig zufrie-denstellend. Entgegen dem klaren Zusammenhang von Pro-blem und entsprechender Lösung, wie er in den mathema-tisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen wiederzufindenist, besitzt Planung eine Aufgabe, die niemals als vollständiggelöst und damit als abgeschlossen betrachtet werden kann.Dieses besondere Charakteristikum der Unvollkommenheitmuß auch bei der abschließenden Betrachtung der „neuen“Planungskultur berücksichtigt werden. Das Planungsergebnisbirgt immer noch ungelöste Aufgaben, so daß dieses auf-grund von noch bestehenden Mängeln keinesfalls pauschalals gescheitert angesehen werden darf.Auch in der „neuen“ Planungskultur ist eine Lücke zwischenAnspruch - also der Planungsaufgabe - und Wirklichkeit zufinden. Das ideale Bild eines kooperativen Umgangs mit denBeteiligten ist in der Realität nur einschränkt vorzufinden.Zwar erarbeiten die Beteiligten konkrete und seriöse Pla-nungsempfehlungen. Jedoch versteht sich die Planungsin-stanz in der Funktion, diese Empfehlungen nach eigenemErmessen abwägen zu müssen (vgl. KANTHER 1997, S. 109 ff.).Folglich büßt der kooperative Ansatz der „neuen“ Planungs-kultur auf dem Weg zu einer rechtskräftigen Entscheidunghäufig seinen horizontalen Politikstil ein, bei dem der Bür-ger mit dem Planer auf einer Ebene agieren soll. Diese Erfah-rung ist wenig verwunderlich und gründet auf einem institu-tionellen Problem, denn die entscheidungsbefugte Planungs-instanz hält bislang an ihrer hierarchisch aufgebautentop-down-Arbeitsweise fest.Sehr positiv zu bewerten sind die in der „neuen“ Planungs-kultur propagierten neuen Lernprozesse, die auf dem inten-siven Dialog zwischen Experten und Bevölkerung gründen:Die Bürgerschaft lernt Rahmenbedingungen sowie Chancenund Grenzen von Planung kennen. Zudem gewinnt sie Ver-ständnis für Interessen unterschiedlicher gesellschaftlicherGruppen. Gleichzeitig wird von Expertenseite die Planungs-kompetenzen der Bürgerschaft erkannt. Die „neue“ Pla-nungskultur erfüllt somit ihren Anspruch auf Vermittlung,auch wenn wiederum das Charakteristikum der „Unvollkom-menheit“ diesen Prozeß prägt.In einer perspektivischen Betrachtung ist die „neue“ Pla-nungskultur insgesamt als beginnender Entwicklungsprozeßzu sehen. Die Erkenntnis und das theoretische Know-howbezüglich dieses Planungsansatzes sind umfangreich vorhan-den. Ein kooperativer Umgang mit Interessengegnern bzw.zuvor untergeordneten Personen bedarf einerseits der ent-sprechenden institutionellen Strukturen, die dieses Prinzipin ihrer Organisation unterstützen. Andererseits setzt einkooperativer Umgang nicht nur entsprechendes Wissen vor-aus, sondern baut maßgeblich auf persönlichen Fähigkeitenauf: Teamgeist tritt an die Stelle von Geniekult. Eine der zen-tralen Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft zum lebens-langen Lernen. Aber Offenheit und Verständnis für die Mei-nung des anders denkenden zu bewahren, ist leichter gesagtals getan und in der Praxis bisher nur selten vorzufinden. Esbleibt zu hoffen, daß der gerade beginnende Entwicklungs-

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prozeß zur „neuen“ Planungskultur nicht frühzeitig abge-brochen und diese nicht resigniert ad acta gelegt wird. Derkooperative Planungsansatz birgt enormes Problemlösungs-potential, das für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts unab-dingbar ist. Jedoch bedarf es intensiver Arbeit (zu einemGroßteil an uns selbst), um dieses Potential nutzbar zu ma-chen.

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Dipl.-Geogr. Stefan Kanther, Jahrgang 1969, seit 1995 tätig für die Stif-tung Mitarbeit (Bonn), Aufgabengebiete: Kooperative Planung/Beteili-gung, Planungszelle/Bürgergutachten, Agenda 21, Jugendinitiativunter-stützung, allgemeine Beratung für Beteiligungsprojekte

Dipl.-Geogr. Bernd Neugebauer, Jahrgang 1970, seit 1998 tätig im Bun-desministerium für Arbeit und Sozialordnung, aktiv im ArbeitskreisGeoMediation an den Geographischen Instituten der Universität Bonn