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Kompetenzanalyse und Kompetenzerhebung - eine Bestandsaufnahme aus arbeitnehmerorientierter Perspektive Kompetenzentwicklung in vernetzten Lernstrukturen Gestaltungsaufgabe für betriebliche und regionale Sozialpartner Universität der Bundeswehr Hamburg IG Metall www.KomNetz.de Hamburg, März 2003 Julia Gillen

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Kompetenzanalyse und Kompetenzerhebung -

eine Bestandsaufnahme ausarbeitnehmerorientierter Perspektive

Kompetenzentwicklung in vernetzten Lernstrukturen

Gestaltungsaufgabe für betriebliche und regionale Sozialpartner

Universität der BundeswehrHamburg

IG Metall

www.KomNetz.de Hamburg, März 2003

Julia Gillen

Kompetenzanalyse und Kompetenzerhebung – eine Bestandsaufnahme aus

arbeitnehmerorientierter Perspektive

Julia Gillen, KomNetz, Hamburg, März 20

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ...........................................................................................................................3

2 Erhebung von Kompetenzen – was heißt das? Vorverständnis....................................5

3 Zielsetzungen von Kompetenzerhebung..........................................................................6

4 Übersicht über bestehende Ansätze .................................................................................8 4.1 Psychologische Ansätze...............................................................................................8

4.2 Wirtschaftswissenschaftliche und personalwirtschaftliche Ansätze...........................9

4.3 Berufspädagogische Ansätze .....................................................................................12

4.3.1 Verfahren mit bilanzierender Funktion...............................................................12

4.3.2 Verfahren mit prozessbezogener Funktion .........................................................13

4.3.3 Zur Situation in Deutschland ..............................................................................15

4.4 Resümee und Systematisierung der Ansätze .............................................................17

5 Kompetenzerhebungen und -beratungen und die Rolle von Arbeitnehmervertretern.........................................................................................................20

5.1 Kompetenzerhebungen als Instrument zur persönlichen Entwicklung von Beschäftigten und Interessenvertretern......................................................................20

5.2 Kompetenzerhebungen als Instrument der Personalentwicklung..............................21

6 Gestaltung eines arbeitnehmerorientierten Verfahrens ..............................................24

7 Literatur ...........................................................................................................................25

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1 Einleitung

Das Entwicklungs- und Forschungsprojekt KomNetz (Kompetenzentwicklung in ver-netzten Lernstrukturen – Gestaltungsaufgabe für betriebliche und regionale Sozialpart-ner) hat zum Ziel die Kompetenzentwicklung von Beschäftigten und Interessenvertre-tungen zu untersuchen, zu gestalten und auszubauen. Es richtet sich an Beschäftigte, Betriebs- und Personalräte und regionale Kooperationspartner.

Das Projekt wird von den Gewerkschaften IG BCE, IG Metall und ver.di durchgeführt, die Leitung und wissenschaftliche Begleitung liegen bei der Universität der Bundes-wehr in Hamburg. Die Laufzeit des Projekts beträgt vier Jahre, von Januar 2001 bis De-zember 2004. Es findet im Rahmen des umfangreichen Forschungsprogramms „Lern-kultur Kompetenzentwicklung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) statt, Projektträger ist die „Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungs-forschung“ e.V. (ABWF).

Als ein praktisches und theoretisches Themenfeld des Projektes hat sich die Erarbei-tung, Anwendung und Evaluation von Instrumenten zur Kompetenzbilanzierung heraus kristallisiert. Das Thema wird insbesondere unter der Fragestellung bearbeitet,

• wie Kompetenzerhebungen gestaltet sein müssen, um für Beschäftigte auch ein ntwicklungspotenzial zu bieten,

• welche Rolle Betriebs- und Personalräte bei der Einführung solcher Instrumente haben und

• welche Chancen Kompetenzerhebungen für Betriebs- und Personalräte sowie Beschäftigte bieten.

Ziel der Forschungs- und Entwicklungsarbeit in diesem Themenfeld ist es, ein projekt-eigenes Kompetenzerhebungsverfahren zu entwickeln, welches es den Zielgruppen er-möglicht, Klarheit über ihre individuellen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse und Abschlüsse zu bekommen und auf dieser Grundlage die weitere berufliche Entwicklung zu gestalten. Darüber hinaus sollen bereits bestehende Instrumente, welche den theoreti-schen Überlegungen und Schlussfolgerungen am nächsten kommen evaluiert werden. Ziel dieser Untersuchung ist es, Gestaltungsaspekte für ein eigenes Instrument heraus-zuarbeiten und die zentrale theoretische Fragestellung zu bearbeiten, ob bestehende In-strumente zur Kompetenzerhebung geeignet sind, um Kompetenzentwicklungsprozesse zu fördern.

Das vorliegende Arbeitspapier soll einen Überblick über bereits bestehende Ansätze zur Erhebung von Kompetenzen geben. Es dient dazu, die Chancen und Risiken von Kom-petenzerhebungen grundsätzlich einzuschätzen und die Entwicklung eines projekteige-nen Modells zur Kompetenzerhebung zu unterstützen.

Die Anerkennung informell erworbener Kompetenzen gewinnt zur Zeit neben der tradi-tionellen Anerkennung formell erworbener Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowohl in der beruflichen Bildung wie auch in Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Dafür lassen sich im wesentlichen zwei Gründe anführen. Mit veränderten Arbeits- und

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Organisationskonzepten gehen vielfach zunehmende Lernchancen für die Beschäftigten einher. Damit sind Unternehmen und Arbeitsplätze selbst als Orte der Kompetenzent-wicklung anzusehen, so dass die im Arbeitsprozess informell erworbenen Kompetenzen und beruflichen Erfahrungen anerkannt werden müssen. Zum anderen wird das Thema durch bildungspolitische Entwicklungen zur Kompetenzerhebung auf europäischer E-bene vorangetrieben. Durch die Individualisierung beruflicher Bildungswege werden traditionelle, lineare Laufbahn- und Karrierewege aufgebrochen. Phasen der Arbeitslo-sigkeit, der Teilzeitarbeit oder Tätigkeiten außerhalb der klassischen Erwerbsarbeit so-wie Lern- und Suchphasen sind charakteristisch für sogenannte „Patchwork-Biografien“. Angesichts dieser Diskontinuität ist es notwendig, die individuellen Wege des Kompetenzerwerbs sichtbar zu machen und anzuerkennen.

Ein genauer Blick auf die derzeitige Diskussion zur Erhebung von Kompetenzen macht deutlich, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Interessenslagen und Zugänge nebenein-ander stehen. Während für den Einzelnen die Anerkennung der Kompetenzen die Stel-lung auf dem Arbeitsmarkt aufwerten und den Zugang zum Ausbildungssystem erleich-tern, ermöglicht die Kenntnis der spezifischen Kompetenzprofile der Beschäftigten für Unternehmen ein verbessertes Personalmanagement. Aus diesen beiden Interessensla-gen ergibt sich ein Spannungsfeld, welches es einzuschätzen und zu bewerten gilt (siehe dazu Kapitel 5).

Im folgenden (Kapitel 2 und 3) soll aber zunächst die Frage geklärt werden, welche Inhalte der Begriff der Kompetenzerhebung umfasst und welche Ziele damit verfolgt werden. Anschließend werden wesentliche Ansätze eingeordnet und systematisiert und allgemeine Fragestellungen aufgegriffen und diskutiert (Kapitel 4). In Kapitel 6 werden dann Schlussfolgerungen für die Gestaltung eines arbeitnehmerorientierten Verfahrens (für KomNetz) gezogen.

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2 Erhebung von Kompetenzen – was heißt das? Vorver-ständnis

In der berufspädagogischen Diskussion wird der Begriff Kompetenz derzeit aus mindes-tens zwei Perspektiven bearbeitet. Zum einen wird er im Sinne beruflicher Handlungs-kompetenz als Leitbild der Erstausbildung seit den 80er Jahren verwendet. Zum anderen wird der Begriff der Kompetenzentwicklung in der betrieblichen Bildungsarbeit in den letzten Jahren stark forciert und zeitweise sogar als Gegenbegriff zur Weiterbildung formuliert. Im Zusammenhang mit dem Leitbild der beruflichen Handlungsfähigkeit werden unter Kompetenzen Fähigkeiten, Methoden, Wissen, Einstellungen und Werte verstanden, deren Erwerb, Entwicklung und Verwendung sich auf die gesamte Lebens-zeit eines Menschen beziehen (vgl. Dehnbostel 2001, S. 67). Sie sind an das Subjekt und seine Befähigung zu eigenverantwortlichem Handeln gebunden. Dieses Verständnis geht auf die Ausführungen von Heinrich Roth (1971) zurück, dessen anthropologisches Konzept zur Entwicklung der Persönlichkeit die konzeptionelle Grundlage für den Kompetenzbegriff darstellt, den der Deutsche Bildungsrat 1974 formulierte. Mit dem Gutachten zur Neuordnung der Sekundarstufe II wurde sowohl dem Begriff von Kom-petenz als auch das Leitbild der beruflichen Handlungskompetenz in die Berufsbil-dungsdiskussion eingebracht und hat dort noch immer Bestand (vgl. Deutscher Bil-dungsrat 1974, Bader 2002).

An diesem Verständnis von Kompetenz ansetzend ist auch Kompetenzentwicklung vom Subjekt und seinen Fähigkeiten und Interessen her zu definieren. Die Herausbildung von Kompetenzen als lebensbegleitender Prozess erfolgt durch individuelle Lern- und Entwicklungsprozesse und unterschiedliche Formen des Lernens in der Arbeits- und Lebenswelt. Kompetenzentwicklung in diesem Verständnis führt zum Auf- und Ausbau der beruflichen Handlungskompetenz und ist ein aktiver Prozess, der von Individuen weitgehend selbst gestaltet wird und werden muss.

Auch die Erhebung von Kompetenzen sollte damit auf die in der Lebens- und Arbeits-welt erworbenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse von Individuen abzielen. Ein idealtypisches Verfahren zur Erhebung der Kompetenzbestände müsste auf der obigen Definition von Kompetenzentwicklung ansetzend

• sämtliche Kompetenzen eines Individuums realistisch und allgemeinverständlich beschreiben,

• vom Subjekt und seinen Fähigkeiten ausgehen sowie

• die Kompetenzentwicklung als lebensbegleitenden Prozess unterstützen.

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3 Zielsetzungen von Kompetenzerhebung

Kompetenzerhebungen werden in unterschiedlichen Disziplinen mit unterschiedlichen Zielsetzungen konzipiert und eingesetzt. Grundsätzlich sind dabei Ansätze, die Kompe-tenzen aus der Anforderungsperspektive erheben, von Ansätzen, die das Individuum und seine persönliche Entwicklung fokussieren zu unterscheiden (vgl. auch Faulstich 1996, S. 369). Diese verschiedenen Tendenzen haben durchaus ihre Berechtigung, theo-retisch sind sie allerdings voneinander zu trennen.

Anforderungsorientierte Ansätze, wie sie besonders in ökonomischen Zusammenhängen eingesetzt werden, zielen darauf ab, die Kompetenz in Relation zu aktuellen oder zu-künftigen Arbeitsaufgaben einzuschätzen und fokussieren damit eher auf das Potenzial eines Beschäftigten. Zielsetzungen, Form und Systematik dieser Kompetenzerhebungen orientieren sich an den spezifischen Unternehmenserfordernissen und der Optimierung der Unternehmensprozesse. Sie sind deswegen nur begrenzt oder nicht verallgemeiner-bar. Zudem wird die Ermittlung der Kompetenzen als Werkzeug benutzt, um die Quali-tät des Lernens in Unternehmen zu verbessern (siehe auch 4.2).

Davon abzugrenzen sind Ansätze, die das Individuum und seine Entwicklung in den Fokus nehmen und denen explizit oder implizit das oben formulierte Verständnis von Kompetenzerhebung zugrunde liegt. Die Orientierung an den in der Lebens- und Ar-beitswelt erworbenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnissen von Individuen einer-seits und die Unterstützung von Kompetenzentwicklung als lebensbegleitenden Prozess andererseits sind die wesentlichen Zielsetzungen dieser Kompetenzerhebungen, die hier als entwicklungsorientiert bezeichnet werden sollen. Diese Verfahren zielen darauf ab, den Individuen Klarheit über ihre individuellen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse und Abschlüsse zu ermöglichen. Sie sollen helfen, auf dieser Grundlage die weitere berufliche Entwicklung zu gestalten und verschiedene Lernformen und Lernwege nutz-bringend für sich selbst zu verbinden.

Entwicklungsorientierte Verfahren zur Kompetenzerhebung sind in ihrer Vorgehens-weise auf den Entwicklungsprozess vor und nach der Kompetenzerhebung bezogen (vgl. Björnavold 1997, S. 70). Angesichts dessen, dass Kompetenzentwicklung als le-benslanger Prozess verstanden wird, kombinieren sie deswegen die Kompetenzerhe-bung mit einer begleitenden Lern- oder Entwicklungsberatung. Außerdem haben ent-wicklungsorientierte Verfahren das Ziel, durch Dialoge bzw. Gespräche zur Ergebnis-gewinnung und zu gemeinsamen und beiderseitig anerkannten Ergebnissen zu gelangen (vgl. Björnavold 1997, S. 70). Damit werden Aspekte wie Selbsterkenntnis, Persönlich-keitsentwicklung und die Förderung reflexiver Handlungsfähigkeit mitberührt, da sich die Lernenden über den Status-quo ihrer Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse be-wusst werden und zur Reflexion des eigenen Kompetenzbestandes angehalten werden.

Die hier theoretisch vollzogene grundsätzliche Unterscheidung zwischen anforderungs-orientierten und entwicklungsorientierten Ansätzen dient der Einordnung der grundle-genden Ziele, die mit Kompetenzerhebungen verbunden sind und der Schärfung einer berufspädagogisch fundierten Position in diesem Themenfeld. Auch Verfahren, die in

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erster Linie nicht auf die Förderung des Individuums abzielen, enthalten entwicklungs-orientierte Aspekte oder umgekehrt und sind deswegen nicht immer eindeutig als ent-wicklungsorientiert bzw. anforderungsorientiert einzuordnen.

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4 Übersicht über bestehende Ansätze

Ebenso wie der Begriff der Kompetenzentwicklung wird auch die Erhebung und Bewer-tung von Kompetenzen von unterschiedlichen Disziplinen mit unterschiedlichen Ziel-setzungen und Schwerpunkten bearbeitet. Es können psychologische von personalwirt-schaftlichen und berufspädagogischen Ansätzen unterschieden werden.

4.1 Psychologische Ansätze

Die Forschung und Praxis zur Erhebung menschlicher Kompetenzbestände ist originär ein Arbeitsfeld der psychologischen Eignungsdiagnostik. Seit Beginn des 20. Jahrhun-derts werden in diesem Feld Verfahren zur standardisierten Persönlichkeitsdiagnostik entwickelt und über die klinische Psychologie hinaus im Kontext von Arbeits- und Be-rufseignung eingesetzt (vgl. Hossiep u.a. 2000, S. 20).

Mit der „Kompetenzbiographie“ haben Erpenbeck und Heyse (1999) eine an Persön-lichkeitsanalysen angelehnte Erhebungsmethode vorgestellt. Dort werden Kompetenzen unter dem Blickwinkel der biographischen Entwicklung betrachtet. Die Kompetenzbio-graphie intendiert „die qualitative und quantitative Entfaltung menschlicher Handlungs-kompetenz als komplexes, selbstorganisiertes Netzwerk fachlicher, methodischer, sozia-ler und personaler Einzelkompetenzen, in der stets einzigartigen, lebenslangen real-biographischen Entwicklung“ (Erpenbeck/Heyse 1999, S. 228) und ist deswegen zu den entwicklungsorientierten Ansätzen zu zählen. Methodisch orientiert sich die Kompe-tenzbiographie an der Biographieforschung. Der Einsatz der biographischen Methoden zielt darauf ab, „biographischen Situationen und Ereignisse, die für die berufliche Kom-petenzentwicklung retrospektiv wichtig, aktual nutzbar und prospektiv zu fördern sind (...)“ zu erfassen (Erpenbeck/Heyse 1999, S. 18). Aus der systematischen Erhebung kompetenzrelevanter biographischer Faktoren lassen sich im Idealfall besonders ausge-prägte Kompetenzen, aber auch solche Felder identifizieren, in denen noch ein Entwick-lungsbedarf besteht. In diesen Bereichen kann dann gezielt ein Entwicklungsprozess initiiert werden. Dieser Prozess kann sowohl durch einen möglichen Arbeitgeber, aber auch durch den Arbeitnehmer selbst initiiert sein. Zwar stellt die „Kompetenzbiogra-phie“ einen zentralen Ansatz der aktuellen biographischen Kompetenzforschung dar, wird jedoch gerade wegen der situationsunabhängigen Beschreibung der individuellen Kompetenzen auch kritisiert (siehe 5.2.1).

Das elaborierteste psychologische Verfahren zur Kompetenzmessung im Kontext der Diskussion um Kompetenzentwicklung und Arbeitseignung ist zur Zeit das Kasseler-Kompetenz-Raster von Frieling, Kauffeld und Grote. Es wurde in den 90er Jahren ent-wickelt und gründet auf Verhaltensdaten, die im Rahmen von Optimierungsaufgaben in der Gruppe durch Beobachtung erhoben werden. Im Ansatz des KKR wird davon auge-gegangen, dass für Kompetenzerhebungen „Handlungssituationen geschaffen oder zu-mindest simuliert werden müssen, in denen die Akteure unterschiedlicher Berufsgrup-

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pen und Bereiche ihre Kompetenzen zeigen können“ (Kauffeld 2000, S. 37). Die Daten-erhebung zum Status Quo der Kompetenz von Gruppen oder Personen erfolgt deswegen im Arbeitszusammenhang. Das Modell sieht ein eintägiges Training vor, bei dem der Gruppe ein alltägliches Problem gestellt wird. Die verbalen Äußerungen werden fixiert und anschließend von der unbeteiligten Forschergruppe ausgewertet. Im Auswertungs-verfahren werden die Aussagen quantifiziert, so dass pro Unternehmen jeweils Werte zu den einzelnen Codes vorliegen. Dieses anforderungsorientierte Verfahren ist auf die Kompetenzanalyse von Gruppen innerhalb eines Unternehmens gerichtet und fokussiert weniger die Kompetenzen des Einzelnen. Damit stehen weniger die persönlichen Ent-wicklungswege im Fokus des Verfahrens und der anschließenden Maßnahmen zur be-ruflichen Entwicklung, als die Verbesserung der Abläufe des jeweiligen Unternehmens.

4.2 Wirtschaftswissenschaftliche und personalwirtschaftliche Ansätze

Ansätze und Verfahren, die im Bereich der Personalwirtschaft und Personalentwicklung konzipiert und eingesetzt werden, zielen im wesentlichen darauf ab, vorhandenes Po-tenzial zu erfassen und zu verbessern. Zugrunde liegt hier die Erkenntnis, dass die quali-tative Verbesserung von Arbeitsabläufen auch von dem Überblick über die vorhande-nen Kompetenzen abhängt. In diesem Zusammenhang ist Potenzial als „die Gesamtheit der für das gesamte Leistungsvermögen eines Unternehmens zur Verfügung stehenden Kenntnisse, Begabungen und Fähigkeiten der Mitarbeiter“ (Jung 2000, S. 198) zu ver-stehen. Der betriebliche Nutzen besteht darin, dass

• die Personalentwicklung wichtige Informationen über den aktuellen und zukünf-tigen Bildungsbedarf erhält,

• die Eignung von Personen zur Erfüllung aktueller oder zukünftiger Aufgaben eingeschätzt werden kann,

• individuelle Entwicklungspfade für die Mitarbeiter geplant werden, die ihren unterschiedlichen Motiv- und Bedürfnisstrukturen entsprechen,

• nachvollziehbare und innerbetrieblich legitimierte Entscheidungen ermöglicht werden, von denen z.T. auch die Entlohnung abhängig ist.

Kompetenzerhebungen werden nicht nur eingesetzt, wenn die Potenzialeinschätzung eines Mitarbeiters oder eines Bewerbers explizit angestrebt wird. Sie wird auch in Ar-beitsorganisationsformen, in denen die Erhebung von Kompetenzen nicht im Zentrum steht, mitberührt. So weisen z.B. Instrumente zur Qualitätssicherung, zum Total Quality Management, Humanressourceentwicklung und selbst Jobrotation wichtige Elemente der Kompetenzermittlung auf.

Da Potenzialeinschätzungen in Praxis und Literatur zur betrieblichen Bildungsarbeit derzeit große Bedeutung beigemessen wird, existieren sowohl in der betrieblichen Pra-xis, als auch in den Wirtschafts- bzw. Personalwissenschaften eine Fülle unterschiedli-

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cher Ansätze zur Erhebung von Kompetenzen. Die Bandbreite der eingesetzten Verfah-ren reicht von Vorstellungsgesprächen über Assessment-Center-Verfahren bis hin zu psychologischen Testverfahren. Hinsichtlich des zu beurteilenden Potenzials werden zwei Ansätze unterschieden. Die sequenzielle Potenzialbeurteilung ermittelt das Poten-zial des Beschäftigten mit Blick auf die nächsthöhere Hierarchieebene und fokussiert damit ausschließlich den vertikalen Karriereweg. Die absolute Beurteilung nimmt dem-gegenüber die mögliche Weite der Entwickelbarkeit eines Beschäftigten in den Blick und umfasst vertikale sowie horizontale Karrierewege.

Grundsätzlich stoßen in Unternehmen offene Formen der Kompetenzerhebung, wie Kompetenzpässe oder Kompetenzbilanzen auf mehr Zustimmung als harte Messverfah-ren und Assessments, da deren Aufwand zu hoch und ihre Verlässlichkeit als zu gering und zu wenig verallgemeinerbar eingeschätzt werden und weniger Interpretationsspiel-raum lassen (vgl. Heyse u.a. 2002, S. 47).

Das neben dem Vorstellungsgespräch zurzeit am häufigsten verwendete Verfahren zur Kompetenzerhebung ist das Assessment-Center. Das Assessment-Center ist eine Form der Gruppenauswahl, die vorwiegend für den Führungskräftenachwuchs bei interner und externer Bewerberauswahl angewandt wird, um Verhaltensweisen und Verhaltens-defizite festzustellen. Das Ziel von Assessment-Centern ist die Prognose über zukünfti-ges Verhalten in bestimmten Schlüsselthemen und -situationen zu treffen. Somit richten sich auch die Beurteilungskriterien und ihre Gewichtung auf die spezifische Unterneh-mensanforderung. Dazu werden Teilnehmer mit Situationen konfrontiert, die Teile der künftigen Arbeitssituation vorwegnehmen. Unter strukturierter Beobachtung von inter-nen oder externen Experten werden diese Situationen bearbeitet und gelöst, die aus dem Geschehen im Unternehmen abgeleitet und den zukünftigen Aufgaben ähnlich sind. Dazu werden unterschiedliche Methoden wie Interviews, Fallstudien, Gruppendiskussi-onen, Rollenspiele etc. miteinander kombiniert. Die in diesem Zusammenhang gezeig-ten Verhaltensweisen werden bewertet und in Beurteilungsskalen erfasst.1

Neben dem Assessment-Center gewinnen psychologische Testverfahren in deutschen Unternehmen seit Ende der 1990er Jahre immer mehr Akzeptanz. Dabei wird zum einen die Eignungsdiagnostik und zum anderen die psychologische Arbeitswissenschaft hin-zugezogen. Die erhobenen Kategorien zielen in erster Linie darauf ab, Anforderungen von Arbeitsplätzen und konkreten Arbeitsaufgaben an Beschäftigte zu beschreiben, las-sen aber auch Rückschlüsse auf die Kompetenz der Handelnden zu. Allgemein sind dabei allgemeine Leistungstests von Persönlichkeitstest und Intelligenztests zu unter-scheiden (vgl. Meier 2002, S. 464). Mit Leistungstests soll das Leistungsniveau einer Person zu einem bestimmten Zeitpunkt festgestellt werden. Es werden die Auswirkun-gen relativ gleichartiger Informationen oder Erfahrungen gemessen und sowohl allge-meine als auch spezielle Bewertungen des augenblicklichen Leistungsstandes ermittelt. Leistungstests beschränken sich damit nur auf spezifische Ausschnitte menschlicher Kompetenz. Besonders für die Einschätzung und Auswahl von Führungspersonen exis- 1 Während das Assessment-Center bei Führungskräften und Vorständen inzwischen aufgrund positiver Erfahrungen meist akzeptiert ist, erweisen sich Betriebsräte und AC-Teilnehmer dem Verfahren gegenüber auch heute noch skep-tisch.

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tieren sehr differenzierte Verfahren auf der Grundlage eignungsdiagnostischer Erkennt-nisse (vgl. Sarges 2000). Persönlichkeitstests richten sich auf persönliche Eigenschaf-ten, wie Interessen, Einstellungen, Werte und Wahrnehmungen von Personen und ver-folgen damit ein Ziel, welches dem Prinzip der Ganzheitlichkeit von Kompetenzerhe-bungen näher kommt als Leistungs- oder Intelligenztests. Besonders bei Potenzialein-schätzungen von Führungskräften wird es als notwendig angesehen, neben den fachli-chen Leistungen auch Sozial- und Führungskompetenzen zu bestimmen. Zur Erhebung werden Fragebogen oder Verfahren eingesetzt, mit denen versucht wird, „durch Vorga-be unbestimmter oder mehrdeutiger Reize die Person zur Aufdeckung unbewusster oder versteckter Persönlichkeitsausprägungen zu veranlassen“ (Jung 2000, S. 199).

Ein Fragebogenverfahren ist z.B. der DNLA-Persönlichkeitstest (The Discovery of Na-tural Latent Abilitys). Er unterstützt den aktiven, lernenden Dialog innerhalb des Lern-prozesses. In einem computergestützten Fragebogen werden umfassende Informationen zum Teilnehmer aufgenommen. Dazu wird er mit 300 verschiedenen beruflichen Situa-tionen konfrontiert, die abhängig von seiner Tätigkeit und Position im Unternehmen unterschiedlich zusammengesetzt sind. Insgesamt sind 250 unterschiedliche Kombinati-onen möglich. Die Antworten werden durch das Programm analysiert und in einer ganzheitlichen Auswertung zusammengefasst, die das spezifische Profil des Beschäftig-ten beschreibt. Für jeden Teilnehmer werden folgende Items wie vorhandene und nutz-bare Potenziale, fehlende und nachzubildende Potenziale und erforderliche Trainings- und Coaching-Maßnahmen ermittelt (vgl. Schließmann 2000, S. 35).2

Während Verfahren zur Potenzialeinschätzung vielfach noch unabhängig von anderen Konzepten und Verfahren von Personalabteilungen eingesetzt werden, werden zur Zeit unter dem Begriff der Kompetenzmanagements Modelle entwickelt und vermarktet, die auf ein effektives Zusammenspiel aller eingesetzten Instrumente zur Kompetenzerhe-bung und Kompetenzentwicklung abzielen (Gloger 2003). Dabei sollen die unterschied-lichen Personalinstrumente miteinander verknüpft werden und zu einem Gesamtkonzept zusammengeführt werden, welches der Organisationsentwicklung dient. Ziel ist es, vor-handene Kompetenzen zu erfassen, sie mit künftig benötigten abzugleichen und daraus Maßnahmen zur Weiterbildung oder Rekrutierung abzuleiten. Dafür werden Könnens- und Kompetenzprofile von Mitarbeitern nach verbindlichen Standards erfasst und in Skilldatenbanken festgehalten. Für den Einzelnen erfolgt zunächst eine Bestandsauf-nahme bezüglich der vorhandenen Kompetenzen und ihrer Ausprägung. Darauf anset-zend wird ein Ist-Soll-Profil erstellt und ermittelt, wo Kompetenzlücken durch Perso-nalentwicklungsmaßnahmen und Weiterbildung geschlossen werden können.

2 Diese psychologischen Testverfahren sind rechtlich besonders geregelt. So dürfen sie ausschließlich arbeitsbezoge-ne Merkmale erfassen, die Bewerber müssen dem Testeinsatz zustimmen. Zudem werden sie wegen ihres fehlenden Bezugs zu realen Sachverhalten kritisiert. Auch bei Bewerbern stoßen psychologische Testverfahren auf wenig Ak-zeptanz (vgl. Meier 2002, S. 464).

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4.3 Berufspädagogische Ansätze

Während für Kompetenzerhebungen in der Personalentwicklung anforderungsorientier-te Verfahren angewandt werden, die auf die Beurteilungen der Personen und ihrer Leis-tungspotenziale und Schlussfolgerungen für entsprechende Maßnahmen innerhalb des Unternehmens abzielen, geht es in berufspädagogischen Ansätzen z.T. explizit um die Erhebung der im Laufe des Lebens erworbenen informellen Kompetenzen, damit setzen sie viel früher bzw. ganzheitlicher an. Diese Ansätze sind in der Regel als entwick-lungsorientiert einzustufen, da der Schwerpunkt des Interesses auf dem Entwicklungs-aspekt des Einzelnen liegt und die Verfahren zur Kompetenzanalyse mit den Entwick-lungsberatungen kombiniert wird.

In der berufspädagogischen Diskussion nimmt inzwischen mit dem Begriff der Kompe-tenzentwicklung auch die Erhebung und Bewertung von Kompetenzen eine zunehmen-de Bedeutung in der Diskussion ein. Anlass dieser Diskussion ist die Einsicht über die eingeschränkte Reichweite formaler Bildungsabschlüsse in den 1990er Jahren. Unter dem Titel der bildungsweg-unabhängign Anerkennung und Zertifizierung von Kompe-tenzen wird Kompetenzerhebung seit dem besonders in anderen europäischen Ländern und in Nordamerika3 vorangetrieben und ist dort teilweise bereits in staatlich eingesetz-ten Prüfungssystemen innerhalb der staatlichen Bildungssysteme implementiert. Mit Hilfe von Portfolios, Lerntagebüchern, Bildungspässen und Prüfungen zu praktischen Problemlösungen werden dort die Kompetenzen festgestellt und zertifiziert.

Die Ansätze, die im folgenden vorgestellt werden, sind grundsätzlich als entwicklungs-orientiert einzuordnen, da sie die Perspektive der Kompetenzträger einnehmen und ver-suchen, dessen Kompetenzen vollständig und allgemeinverständlich auszuweisen.

Zusätzlich scheint an dieser Stelle noch eine andere Form der Differenzierung jenseits der allgemeinen Zielsetzung von Entwicklungs- bzw. Anforderungsorientierung hilf-reich (Björnavold 2001, S. 15 ff.). Ansetzend auf der Beobachtung, dass mit der Aner-kennung informell erworbener Kompetenzen in europäischen Initiativen unterschiedli-che Zwecke verfolgt werden, unterscheidet Björnavold zwischen summativen und for-mativen Verfahren der Kompetenzerhebung. Diese Unterscheidung bezieht sich auf das Anliegen, das mit dem Einsatz des Instrumentes verfolgt wird. Für diese Unterschei-dung sollen hier die Begriffe prozessbezogen und bilanzierend eingesetzt werden.

4.3.1 Verfahren mit bilanzierender Funktion

Die bilanzierende Funktion dient dem Nachweis von absolvierten Lernabschnitten in Form von Zertifikaten oder Zeugnissen und ist in bestehende Berufsbilder einzuordnen. Aufgrund ihres Charakters sind bilanzierende Elemente auf bestehende Systeme bezo-

3 Zu USA: Dohmen 2001, S. 104

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gen. Sie orientieren sich entweder an nationalen Qualifikationssystemen, Berufen oder unternehmensspezifischen Aufgaben- oder Tätigkeitsbereichen (Björnavold 2001, S. 23). Obwohl die Nachweise sehr unterschiedliche Formen annehmen können, besteht ihr wesentliches Ziel darin, den Übergang zwischen verschiedenen Stufen und Berei-chen zu erleichtern. Im Unterschied zu klassischen Formen der Zertifizierung wie Dip-lomen oder Ausbildungsabschlussprüfungen, wird dort der individuelle berufliche Ent-wicklungsstand als Kriterium herangezogen und auch exklusiv objektive Prüfungskrite-rien. Damit wird der Forderung beruflicher Aufstiegs- und Entwicklungswege jenseits traditioneller linearer Berufslaufbahnen entsprochen.

Als Verfahren, welches vorwiegend bilanzierende Funktion hat, ist das britische System der National Vocational Qualifikation (NVQ) zu nennen. Es wurde zu Beginn der 1990er Jahre eingeführt und stellt sich als gestuftes System zur Anerkennung von früher erworbenen Kompetenzen. Dem NVQ liegt zum einen die Idee zugrunde, einen national standardisierten Bezugsrahmen für Qualifikationen im Bildungssystem zu schaffen, in dem bestehende Qualifikationen und Prüfungseinrichtungen eingegliedert werden kön-nen. Zum anderen sollte ein System geschaffen werden, welches explizit Output- bzw. ergebnisorientiert ist und damit keinerlei staatliche Einflussnahme auf die zugrundelie-genden Lernprozesse ermöglicht (vgl. Käpplinger 2002, S. 8). Die NVQ unterteilen sich in fünf Niveaustufen, auf denen jeweils Qualifikationsbausteine erworben werden müs-sen, die sich wiederum in einzelne Einheiten (elements of competence) unterteilen las-sen. Die einzelnen Bausteine werden durch Prüfungen am Arbeitsplatz oder in Simula-tionsübungen gesammelt. Zudem wird ein Portfolio erstellt, welches u.a. Bescheinigun-gen von Arbeitgebern über Aufgaben und Zuständigkeiten am Arbeitsplatz, Projekter-gebnisse oder Produktbeschreibungen enthält. Schließlich erfolgt die Bewertung des Portfolios durch einen unabhängigen Sachverständigen, der die erfassten Kompetenzen und Qualifikationsbausteine in einem Gespräch überprüft und die Einordnung in die zutreffende Niveaustufe trifft. Mit der Anerkennung der nicht formell erworbenen Kompetenzen durch das NVQ-Verfahren einerseits und dem Erwerb modularer Qualifi-kationsbausteine andererseits wird eine Verbindung zum formalen Bildungssystem er-reicht. Die Erfahrungen, die in Großbritannien bezüglich der Bewertung informell er-worbener Kompetenzen gemacht wurden, gelten als bedeutender Meilenstein für die Bewertungsverfahren anderer Länder (vgl. Björnavold 2002, S. 17)4.

4.3.2 Verfahren mit prozessbezogener Funktion

Die prozessbezogene Funktion von Kompetenzerhebungen dient der Unterstützung von Lern- und Entwicklungsprozessen. Dabei erhalten die Lernenden eine Rückmeldung über ihren Leistungsstand, ihr Potenzial und über Entwicklungsperspektiven. Reflexion und Selbsteinschätzung nehmen eine große Rolle ein. Dementsprechend müssten Kom-petenzerhebungen oder -bewertungen idealerweise durch die Personen durchgeführt

4 mehr Dohmen 2001, S.106 ff.

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werden, die am Lernprozess beteiligt sind, da sie die Lernwege des Lernenden überbli-cken und damit der Idee des prozessbezogenen am ehesten entsprechen. Zu Verfahren, die im wesentlichen prozessbezogene Funktion erfüllen, gehören z.B. das französische Konzept „bilans des compétences“.

Mit dem Konzept „bilans des compétences“ wird in Frankreich seit 1991 ein persönli-cher Kompetenzpass, der die informell und formell erworbenen Kompetenzen doku-mentiert, eingesetzt. Das Modell zielt darauf ab, „Arbeitskräften zu erlauben, ihre beruf-lichen und persönlichen Kompetenzen sowie ihre Fähigkeiten und Motivationen zu ana-lysieren, um ein berufliches Projekt und gegebenenfalls ein Weiterbildungsprogramm zu definieren“ (Drexel 1997, S. 204). Es wird zur Wiedereingliederung in den Arbeits-markt oder zur beruflichen Umorientierung eingesetzt (vgl. Ant 2001, S. 72). Damit wendet es sich an Erwerbstätige und Nicht-Erwerbstätige. Die Kompetenzbilanz kann auf Initiative eines Beschäftigten oder seines Betriebes sowie auf Initiative eines Ar-beitslosen bzw. seiner Arbeitsverwaltung erfolgen. Da mehr als 700 private und öffent-liche Institute allein im Jahr 1994 als Bilanzierungseinrichtungen akkreditiert wurden, ist die methodische Umsetzung des „bilans des competences“ sehr unterschiedlich (vgl. Drexel 1997, S. 231-236; Dohmen 2000, S. 114). Insgesamt decken die Verfahren eine Bandbreite von der individuellen Berufsberatung für einen Einzelnen bis hin zu Verfah-ren der Personalentwicklung ab, in denen Bilanzierungszentren Potenzialberatung für ganze Belegschaften erarbeiten.

Trotz der Unterschiede in der Umsetzung lassen sich grob folgende Phasen der Bilan-zierung unterscheiden:

In der Vorbereitungsphase werden in einem Gespräch die Verfahren und Ziele sowie die grundsätzlichen Bedürfnisse des Kandidaten analysiert und definiert.

In der Umsetzungsphase werden anhand von Berichten und Beschreibungen die persön-lichen Werte, Interessen, beruflichen und allgemeinen Kenntnisse und Kompetenzen individuell oder in kleinen Gruppen herausgearbeitet. Dies geschieht durch verschiede-ne Testverfahren oder durch eine Portfolioerstellung durch den Kandidaten allein oder im Gespräch mit ihm.

Schließlich werden die Ergebnisse in Synthesepapieren zusammengeführt und in einem Gespräch mit dem Kandidaten reflektiert und die Kompetenzbilanz erstellt. Darauf an-setzend kann das Bilanzierungszentrum dem Auftraggeber, also dem Kandidaten, der Arbeitsverwaltung oder dem Unternehmen Vorschläge zur beruflichen Weiterentwick-lung machen.

Mit dem Ansatz des „Schweizerischen Qualifikationsbuchs“ werden seit Ende 2001 in der Schweiz vorhandene Kompetenzen systematisch erfasst bzw. zertifiziert und erfährt immer mehr Bedeutung. Als Zielsetzungen des Schweizerischen Qualifikationsbuchs werden die Sammlung von Grundlagen für den individuellen Entwicklungsweg in Bil-dung und Beruf sowie für die Förderung der beruflichen Flexibilität und Mobilität aus-gewiesen. Das Handbuch soll der individuellen Erstellung eines Portfolios dienen und besteht aus zwei Teilen, zum einen aus einer Arbeitsanleitung zum Umgang mit dem Instrumentarium und zum anderen aus einem Ordner zur systematischen Einordnung von entsprechenden Nachweisen. Im zweiten Teil, dem eigentlichen Formularteil wer-den die Bereiche Erfassen/Beurteilen (Werdegang, Potenzial, persönliches Profil),

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Nachweise (Formale Qualifikationen) und Überdenken/Umsetzen (Lernerfahrungen, Standortbestimmungen, Perspektiven und Maßnahmen, Bewerbungen) unterschieden (vgl. Haase 2001, 9 f.). In Verbindung mit diesem Schweizer Qualifikationsbuch wurde zugleich ein Programm aufgelegt, in welchem der Prozess von der Erhebung und Beur-teilung bis zur Anerkennung begleitet wird und Berater ausgebildet werden. Methodisch beinhaltet das Konzept des Qualifikationsbuches damit zum einen die Archivierung formaler Qualifikationen und informell erworbener Kompetenzen, zum anderen wird im Zuge der Dokumentation das individuelle Kompetenzprofil reflektiert und aus diesem Reflexionsprozess mögliche Defizite und erforderliche Maßnahmen abgeleitet. Ähnlich dem französischen Konzept der Bilans des competences fehlen auch zum Schweizer Qualifikationsbuch bislang empirische Befunde. Trotzdem scheint es sowohl bildungs-politisch als auch in der praktischen Anwendung einen hohen Grad an Akzeptanz zu genießen (vgl. Käpplinger 2002, S. 16).

Sowohl mit dem französischen, wie auch mit dem schweizerischen Konzept wird die bildungspolitische Zielsetzung verfolgt, einen landesweit anerkannten und einheitlichen Ansatz zur Erhebung von Kompetenzen zu schaffen und damit einen „Bildungspass“ zu implementieren, dessen Akzeptanz äquivalent zu formell erworbenen Zeugnissen und Diplomen Gültigkeit hat.

Gemäß dem Vertrag von Maastricht besteht in der Förderung von Transparenz berufli-cher Kompetenzen ein zentrales Interesse der EU. Als nationenübergreifenden Ansatz hat die EU deswegen bereits 1995 im Weißbuch „Lehren und Lernen auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft“ (S. 8, 9 und 58 ff.) die Einführung eines persönlichen Kompe-tenzausweises vorgeschlagen, der formell und informell erworbene Kompetenzen do-kumentiert. Als internationale Initiative verfolgt sie derzeit in mehreren transnationalen Projekten die Entwicklung und Einführung einer Personal Skills Card (PSC). Dort sol-len in einer standardisierten Vorlage Kernwissensbereiche, berufliche und fachspezifi-sche Kenntnisse und Schlüsselkompetenzen verzeichnet werden.

4.3.3 Zur Situation in Deutschland

Nach Vergleichsuntersuchungen des CEDEFOP liegt Deutschland unter allen europäi-schen Ländern bei der Entwicklung eines Ansatzes und der damit verbundenen Refor-mierung bestehender Prüfungssysteme am weitesten zurück (vgl. Dohmen 2000, S. 767). Dennoch gibt es auch hier einzelne Initiativen und modellhafte Ansätze zur Be-wertung informell erworbener Kompetenzen.

So zeigt sich z.B. mit dem Profiling5 im Rahmen des Job-Aktiv-Gesetzes eine Bedeu-tungszunahme des Themas auch in Deutschland. Unter dem Begriff Profiling wird dort

5 Der Begriff Profiling kommt aus dem Amerikanischen. Er steht für die Erstellung eines Täterprofiles (Aussehen, Verhaltensauffälligkeiten, familiärer Hintergrund etc.) aufgrund eines Tathergangs, wenn kein offensichtlicher Zu-sammenhang zwischen Täter und Opfer besteht. Auch der Begriff Profiler, für den speziell geschulten Gerichtspsy-

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die auf den Bedarf des Arbeitsmarktes bezogene individuelle Chanceneinschätzung ei-nes Arbeitslosen verstanden. Mit der in diesem Rahmen entwickelten Job-Aktiv-Mappe stellt die Bundesanstalt für Arbeit insbesondere Arbeitslosen ein Instrument zur Verfü-gung, einen neuen, geeigneten Arbeitsplatz zu finden. Dazu wird zunächst eine Stand-ortbestimmung durchgeführt, die dem Arbeitslosen Klarheit über seine aktuelle Situati-on und alle informell und formell erworbenen Kompetenzen verschaffen soll. Im zwei-ten Schritt dient der Wegweiser der Zielklärung und Orientierung. Als dritte Phase der Job-Aktiv-Mappe stellt der Bewerbungstrainer alle Fragen bezüglich der Bewerbung und gibt konkrete Tipps dazu. Ein alle drei Phasen begleitendes Instrument ist zusätz-lich der Projektplaner, der den Prozess von der Arbeitslosigkeit bis hin zum neuen Ar-beitsplatz mit Zeit- und Aktionsplänen unterstützt.

Als erste bundesweite, bildungspolitische Initiative wird im Rahmen des Programms Lebenslanges Lernen das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Weiterbildungspass mit Zertifizierung des informellen Lernens“ von der BLK und dem BMBF gefördert. Unter Leitung des Deutschen Instituts für internationale pädagogische Forschung (DIPF) wird bis 2003 an einer Studie zur Einführung eines Weiterbildungspasses gear-beitet. Aus den Forschungsergebnissen sollen Vorschläge für ein Rahmenkonzept zur Entwicklung eines bildungsübergreifenden, breit einsetzbaren Bildungspasses abgeleitet werden (vgl. DIPF 2002).

Als erste gewerkschaftliche Initiative hat die IG Metall den Job-Navigator entwickelt. Als Angebot für die berufliche Zukunfts- und Weiterbildungsgestaltung von Arbeit-nehmern soll er dazu anleiten, selbstverantwortlich die persönliche berufliche Zukunft zu gestalten (vgl. IG Metall 2001, Vorwort). Der Job-Navigator besteht aus verschiede-nen Bausteinen wie ein Angebot einer computerausgewerteten persönlichen Potenzial-analyse des geva-Instituts in München, ein Kompetenz-Handbuch, als Anleitung und Unterstützung zum Sammeln, Entdecken und Sichtbarmachen persönlicher und berufli-cher Kompetenzen sowie zur Festlegung von persönlichen Weiterbildungszielen. Mit der Weiterbildungs-Checkliste kann man anhand grundlegender Kriterien herausfinden, inwieweit die regionalen Weiterbildungsträger seriös sind und den gängigen qualitati-ven Ansprüchen genügen. Zudem wird ein persönliches Beratungs- oder ein Gruppen-gespräch angeboten, in dem Unterstützung bei der Handhabung der Produkte, Hilfe bei der Reflexion der Ergebnisse der Potenzialanalyse oder des Kompetenz-Handbuchs sowie bei der Auswahl einer zielgenauen Weiterbildungsmaßnahme gegeben werden kann. Das Kompetenz-Handbuch als ein Baustein des Job-Navigators, ist in drei aufein-ander aufbauende Phasen gegliedert. In der Bestandsaufnahme sollen formell und in-formell erworbene Kompetenzen zunächst gesammelt und geordnet werden. Bei der dann folgenden Profilanalyse sollen diese Kompetenzen bilanziert und bewertet werden. Die Ergebnisse dieser Phase dienen im dritten Schritt dazu, einen gezielten Aktionsplan zu entwerfen, in dem die beruflichen Entwicklungsziele festgelegt werden. Mit diesem

chologen, der dieses Profil erstellt, stammt aus der Kriminalistik und wurde 1978 von Robert Ressler, dem Leiter der Abteilung Verhaltensforschung beim FBI, entwickelt. (Synergetik-Zentrum 2003)

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Instrument der Kompetenzerhebung wird von Seiten der IG Metall die Hoffnung ver-bunden, Arbeitnehmer,

Arbeitslose in der Gestaltung ihrer beruflichen Entwicklungs- und Aufstiegswege ge-zielt zu unterstützen und dadurch ihre Beschäftigungsfähigkeit zu sichern und sie vor der Arbeitslosigkeit zu bewahren. Zudem soll das Kompetenz-Handbuch Beschäftigte explizit dabei unterstützen, „ihre beruflichen Handlungskompetenzen so zu stärken, dass sie ihre berufliche Zukunftsplanung selbstbestimmt vertreten können“ (Schuler/ Skroblin 2001/02, S. 162).

Ansetzend auf dem Modell der Externenprüfung nach BBIG § 40.2 entwickelt auch das BIBB ein Verfahren, das „den Erwerb von Teilqualifikationen ebenso ermöglicht, wie einen vollständigen Berufsabschluss“ (Frank 2002, S. 288). Dieser Qualifizierungspass bietet die Möglichkeit, berufliche Qualifikationen und Erfahrungen, die sowohl inner-halb als auch außerhalb traditioneller Berufsbildungswege gemacht wurden, zu erfassen und zu dokumentieren. Das Modell, dass in Zusammenarbeit mit BBJ SERVIS erarbei-tet wurde, zielt auf die Dokumentation erfolgreich abgeschlossener Einzelmodule zur Erlangung eines anerkannten Berufsabschlusses zur Bürofachkraft via Externenprü-fung.6

Auch in der arbeitsplatzorientierten Weiterbildung im Rahmen des neuen IT-Weiterbildungssystems ist ein Ansatz zur Erhebung informell erworbener Kompetenzen zu sehen. Durch ein am Arbeitsplatz durchgeführtes Projekt können Absolventen der IT-Ausbildungsberufe aber auch Seiten- und Quereinsteiger zu anerkannten Abschlüs-sen gelangen. Mittels des Weiterbildungsprojektes und der abschließenden Prüfung werden die informell erworbenen Kompetenzen erhoben und in einem Zertifikat aner-kannt. Damit hat dieses Verfahren eine bilanzierende Funktion, da die im Lernprozess erworbenen Kompetenzen in die Zertifizierung einfließen. Der Erwerb der Kompeten-zen durch das Konzept der arbeitsprozessorientierten Weiterbildung enthält allerdings auch prozessbezogene Elemente. So sind während des Weiterbildungsprojektes regel-mäßige Reflexionsgespräche vorgesehen, in denen der Lernende seinen aktuellen Lern-prozess reflektieren und von einem Lernprozessbegleiter in seinen Lern- und Entwick-lungsprozessen unterstützt werden soll. Dadurch wird eine Rückmeldung über den indi-viduellen Leistungsstand, das eigene Potenzial und die Entwicklungsperspektiven gege-ben.

4.4 Resümee und Systematisierung der Ansätze

Ansätze zur Kompetenzerhebung werden und wurden in unterschiedlichen Disziplinen und Ebenen entwickelt und eingesetzt. Diese Vielfalt weist zum einen auf die divergie-renden Zielsetzungen von Kompetenzerhebungen und zum anderen auf die Komplexität der Situation hin. Mit der eingangs eingeführten Unterscheidung zwischen entwick-lungsorientierten und anforderungsorientierten Ansätzen sowie mit der Differenzierung 6 Nähere Informationen sind dazu allerdings nicht veröffentlich und nicht erhältlich.

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zwischen bilanzierenden und prozessbezogenen Elementen von Verfahren, können die unterschiedlichen Verfahren grob eingeordnet werden.

KKR

CHQ

AC

F

NVQ

JN

KB

IT

AC: Assessment-Center F: Bilances des competences, Frankreich NVQ: NVQ, England IT: Kompetenzerfassung im IT-Weiterbildungssystem JN: Job-Navigator, IG Metall KB: Kompetenzbiographie, Erpenbeck/Heyse KKR: Kasseler-Kompetenzraster, Frieling u.a. CHQ: Schweizer Qualfikationshandbuch, Schweiz

FormativeAnsätze

Subjektorientierte Ansätze

Summative Ansätze

Anforderungs- orientierte Ansätze

Ansätze der Kompetenzerhebung - Systematik

Dem oben herausgearbeiteten Ziel der Kompetenzentwicklung entsprechen entwick-lungsorientierte und prozessbezogene Verfahren am weitesten, da sie das Subjekt und seine Entwicklung als Ausgangspunkt der Kompetenzerhebung fokussieren und den gestaltenden (prozessbezogenen) Aspekt betonen, indem sie die Identifikation vorhan-dener Kompetenzen mit einer Beratung zur individuellen Weiterentwicklung metho-disch verzahnen. Kompetenzerhebung wird dabei eher im Sinne einer Ergänzung zu Beratungsprozessen verstanden und ermöglicht eine individuelle Standortbestimmung innerhalb des Beratungsprozesses. Dass besonders prozessbezogene Ansätze in der

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praktischen Umsetzung weit höhere Ansprüche an Verfahren und Personal stellen, zeigt sich in verschiedenen staatlich unterstützten Modellen im europäischen Ausland, in de-nen trotz theoretisch prozessbezogener Konzeption der bilanzierende Aspekt oftmals dominiert (Käpplinger 2002, S. 23).

Darüber hinaus ist zu betonen, dass auch bilanzierende Verfahren Elemente beruflicher Kompetenzentwicklung enthalten, da sie „den aktuellen Leistungsstand, das erreichte Leistungsvermögen feststellbar machen; psychologisch eine anerkennende oder auch kritische Leistungssituation motivierend erlebbar werden lassen; das Feedback z.B. zum Lernziel zum Lernweg und zum Lerntempo geben.“ (Albrecht 1997, S. 11)

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5 Kompetenzerhebungen und -beratungen und die Rolle von Arbeitnehmervertretern

Aus der Perspektive von Interessenvertretern und Gewerkschaften sind im Umgang mit Kompetenzerhebungen zwei Situationen zu unterscheiden:

1. Zum einen können Kompetenzerhebungen als Chance für die Subjekte und ihre berufliche Entwicklung angesehen werden, insbesondere wenn damit entwick-lungsorientierte Aspekte verfolgt werden. Mit dieser Zielsetzung wurde auch der Job-Navigator der IG Metall konzipiert (vgl. IG Metall 2001).

2. Andererseits werden Interessenvertreter im betrieblichen Alltag mit personal-wirtschaftlichen Verfahren zur Kompetenzerhebung konfrontiert und müssen diese hinsichtlich ihrer Legitimität einschätzen und bewerten können.

Auf beide Situationen wird im folgenden näher eingegangen, da sie auch mit sehr unter-schiedlichen Rollen und Aufgaben von Interessenvertretern verbunden sind.

5.1 Kompetenzerhebungen als Instrument zur persönlichen Entwick-lung von Beschäftigten und Interessenvertretern

Kompetenzerhebungen können Entwicklungsprozesse von Individuen und Gruppen fördern. So ist sowohl die Verbesserung der Gremienarbeit durch eine Teamentwick-lung, als auch die Weiterentwicklung von Einzelmitgliedern im Gremium oder jenseits davon möglich. In diesem Zusammenhang sind folgende Potenziale von Kompetenzer-hebungen besonders herzuheben (vgl. u.a. Dohmen 2001, S. 26 ff.):

• Erschließung bisher brachliegender Kompetenzpotenziale und damit Ermögli-chung einer ganzheitlicheren personalen Bildung

• Bewusstwerdung der eigenen Fähigkeiten und Förderung der selbstständigen Entwicklungsgestaltung, auch im Sinne des lebenslangen Lernens

• Empowerment, also Stärkung von Autonomie und selbstständigem Handeln und Motivation für die individuelle Steuerung des Kompetenzerwerbs

• Reflexion der eigenen Arbeits- und Lebenssituation und der entsprechenden Kompetenzentwicklungsprozesse

• Erhöhung der Employability, d. h. Ermöglichung von Mobilität, Flexibilität, Be-schäftigung

• Bereitstellung eines Instruments für entwicklungsorientierte Bildungsplanung und damit Orientierungshilfe für die eigene Berufs- und Lebensplanung

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• Stärkung der Bereitschaft zur Weiterbildung

• Herstellung von Chancengleichheit für Menschen, die das formale Bildungssys-tem nicht konsequent und erfolgreich durchlaufen konnten und damit Überwin-dung einer gesellschaftlichen und sozialen Bildungskluft.

5.2 Kompetenzerhebungen als Instrument der Personalentwicklung

Wenn Verfahren und Instrumente zur Kompetenzerhebung in Unternehmen eingesetzt werden sollen, werden Interessenvertreter damit konfrontiert und müssen sie hinsicht-lich ihrer Legitimität einschätzen und bewerten. Dafür müssen sie zum einen die Chan-cen und Risiken kennen und zum anderen ihre Handlungs- und Mitbestimmungsrechte auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes.

Neben den oben erwähnten Chancen, die auch in personalwirtschaftlichen Verfahren realisiert und zum Teil angestrebt werden, sind Kompetenzerhebungen auch kritisch zu betrachten. So können z.B. psychologische Testverfahren, die für die Kandidaten in Zielsetzung, Ausführung und Ergebnissen nicht transparent sind, als Legitimationsin-strumente der betrieblichen Machtstrukturen gesehen werden. Zudem ist zu bedenken, dass betriebliche Situationen zur Kompetenzerhebung wie z.B. Personalbeurteilungen für Beschäftigte grundsätzlich eine ungewohnte Situation darstellen und sind nicht sel-ten mit persönlichen Belastungen verbunden, da sie sich auf Prestige, Einkommen oder beruflichen Erfolg niederschlagen. Belastend wirkt sich die asymmetrische Situation von Personalbeurteilungen aus, in der nur die Kompetenzen und Persönlichkeitsmerk-male der zu beurteilenden Personen im Fokus stehen (Hossiep u.a. 2000, S. 56 ff.). Fol-gende Aspekte scheinen sowohl hinsichtlich der Akzeptanz als auch hinsichtlich der Arbeitnehmerrechte in diesem Zusammenhang bedeutsam zu sein:

• Partizipation: grundsätzlich setzt Akzeptanz ein gemeinsames Verständnis und eine ausgewogene Teilhabe von Vertretern der Arbeitgeber- und der Arbeit-nehmerseite voraus.

• Vertraulichkeit: Die Bereitschaft und Akzeptanz von Beschäftigten gegenüber Kompetenzerhebungsverfahren hängt davon ab, ob klar ist, wofür die Daten verwendet werden und ob sie vertraulich behandelt werden. Aus den Erfahrun-gen mit dem Modell der bilans des competences in Frankreich zeigt, dass die Kompetenzbilanzierung nicht auf Akzeptanz bei Arbeitnehmern getroffen sind, da sie in den Betrieben nicht für Mobilisierungsprozesse (Aufstieg, Betriebs-wechsel etc.) sondern vielmehr zur Vorbereitung von Entlassungen eingesetzt wurden (vgl. Drexel 1997, S. 207).

• Transparenz und Plausibilität: Wie bereits angesprochen, muss für die Beurteil-ten die Urteilsfindung nachvollziehbar sein und in einer angemessenen Form der Rückmeldung erfolgen.

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• Gültigkeit und Zuverlässigkeit: Die Akzeptanz und das Vertrauen, die einem Verfahren gegenüber gebracht wird, beruht zudem auf der Gültigkeit und Zu-verlässigkeit der Methode.

Die Einführung von Verfahren zur Kompetenzerhebung und -beratung kann als ein Mitbestimmungstatbestand formuliert werden. Grundlage dafür ist das Individualrecht nach § 82 und die Initiativ- und Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte hinsichtlich der Gestaltung beruflicher und betrieblicher Bildung nach den §§ 96-98 des Betriebsverfas-sungsgesetzes:

§ 82: Das Anhörungs- und Erörterungsrecht des Arbeitnehmers regelt, dass der Arbeitgeber den Beschäftigten bezüglich seiner beruflichen Entwicklung beraten muss. Für den Prozess der beruflichen Entwicklung können Kompetenzerhebungen eine sinnvolle Hilfe darstellen.

§ 92: Personalplanung: Der Arbeitgeber hat Vorschläge zur Personalplanung hinsichtlich betrieblicher Berufsbildung mit den Betriebsräten zu beraten. Kompetenzerhebungen können ein Instrument für strategische Personal-planung sein.

§ 92A: Beschäftigungssicherung: Betriebsräte sind gehalten Vorschläge zur Si-cherung und Förderung der Beschäftigung im Unternehmen vorraus-schauend zu erörtern. Für diese Initiative können Kompetenzerhebungen einen Ausgangspunkt darstellen.

§ 96: Förderung der Berufsbildung: Kompetenzerhebungen können genutzt werden, um das Initiativrecht zur Erhebung der individuellen Weiterbil-dungsbedarfe wahrzunehmen und sind damit ein Auftakt für eine effekti-ve betriebliche Weiterbildungsplanung.

§ 97.2: Einrichtungen und Maßnahmen der Berufsbildung: Da der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat die Einrichtung von Maßnahmen der beruflichen Bildung zu beraten hat, können Kompetenzerhebungen ein Instrument sein, um Qualifikations- und Kompetenzbestände zu ermitteln und Bil-dungsbedarfe festzustellen.

§ 98: Durchführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen: Der Arbeitgeber hat Einrichtungen und Maßnahmen der Berufsbildung mit dem Betriebsrat zu beraten. Die Durchführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen ist mitbe-stimmungspflichtig. Damit hat der Betriebsrat auch hinsichtlich der Qua-

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lität der Maßnahmen und ihres Zuschnitts auf den einzelnen Beschäftig-ten eine Mitbestimmungsmöglichkeit. Der geeignete Zuschnitt der Maß-nahmen kann sich aus Kompetenzerhebungen ergeben.

Zudem kann der Betriebsrat Vorschläge zur Teilnahme von Arbeitnehmern oder Ar-beitnehmergruppen an diesen Maßnahmen machen. Auch für diese Auswahl kann eine Kompetenzerhebung hilfreich sein.

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6 Gestaltung eines arbeitnehmerorientierten Verfahrens

Der Wert von Kompetenzbewertungen hängt zwar nicht ausschließlich, aber dennoch zu wesentlichen Teilen von der Qualität des verwendeten Verfahrens ab. Die Auswahl und Schwerpunktsetzung des Verfahrens richtet sich nach dem mit der Kompetenzerhebung verfolgten Anliegen. Konkret muss es im Einzelfall darum gehen, befriedigende Lösun-gen zu finden, die die gesetzten Grenzen wie Zeit, Aufwand, Kosten und Kapazität be-rücksichtigen und gegenüber methodologisch oder theoretisch begründeten Idealvorstel-lungen abgewogen sind (vgl. Björnavold 1997, S. 64 ff.).

Aus der Bandbreite der möglichen Verfahren zur Kompetenzerhebung fokussieren ent-wicklungsorientierte Ansätze mit prozessbezogenen Aspekten aus den oben genannten Gründen am weitesten die berufliche Entwicklung von Subjekten. Zur genaueren ver-fahrenstechnischen Umsetzung lässt sich ausführen:

Methodologien sollten grundsätzlich die Komplexität des Gegenstandes widerspiegeln und geeignet sein, das individuell und kontextuell Spezifische zu erfassen.

Dialoggestützten Verfahren, die methodisch mit Dialogen oder Gesprächen operieren, scheinen dem entwicklungsorientierten, prozessbezogenen Anspruch am ehesten ge-recht zu werden. Eine Bewertung der Kompetenzen verfolgt damit den „Wunsch und die Fähigkeit durch ein rationales Gespräch zu einer gemeinsamen Auffassung zu ge-langen“ (Björnavold 1997, S. 70) und initiiert durch Reflexion einen Prozess der Selbsterkenntnis.

Darüber hinaus haben die Ansätze im europäischen Ausland gezeigt, dass sich eine Kombination aus Interviews, diagnostischen Bewertungen, Selbsteinschätzungen und Prüfungen als sinnvoll erwiesen hat (vgl. Björnavold 1997, S. 65) und für die Qualität des Bewertungsprozesses eine fundamentale Bedeutung einnehmen.

In der Darstellung der Daten und Ergebnisse ist eine qualitativ-beschreibende Darstel-lung einer quantitativen Skalierung in jedem Fall vorzuziehen.

Das Verfahren muss eine größtmögliche Transparenz verfolgen, um damit die Akzep-tanz zu erhöhen.

Die Problematik des subjektiven und spekulativen Charakters besonders von dialogori-entierten Verfahren ist nur aufzufangen, wenn die Beurteilten selbst in den Bewertungs-prozess einbezogen werden und unterschiedliche Sichtweisen diskutieren (vgl. Weiss 1999, S. 483). Ein solcher Dialog, der aus Arbeitnehmersicht als positiv zu bewerten ist, kann einen Konsensbildungsprozess auslösen oder aber dazu führen, dass unterschiedli-che Einschätzungen nebeneinander stehen bleiben.

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ProjektleitungProf. Dr. Peter DehnbostelUniversität der Bundeswehr HamburgHolstenhofweg 85, 22043 HamburgTel.: 040 – 65 41 28 01Fax: 040 – 65 41 37 [email protected]

ProjektmanagementJörg MeisterUniversität der Bundeswehr HamburgHolstenhofweg 85, 22043 HamburgTel.: 040 – 65 41 28 06Fax: 040 – 65 41 37 [email protected]

Projekttitel

Projektlaufzeit 01/2001 - 12/2004

Wissenschaftliche Begleitung Uwe Elsholz und Julia Gillen (Universität der Bundeswehr Hamburg)

Projektassistenz Petra Pippow

Kompetenzentwicklung in vernetzten Lernstrukturen – Gestaltungsaufgabe für betriebliche und regionale Sozialpartner

IG BCEGerald ProßKönigsworther Platz 630167 HannoverTel.: 0511 – 76 31 43 9Fax: 0511 – 76 31 70 [email protected]

IG MetallThomas HabenichtLyoner Str. 3260528 FrankfurtTel.: 069 – 66 93 23 55Fax: 069 – 66 93 28 [email protected]

ver.diJörg-Peter SkroblinRessort 19Potsdamer Platz 1010785 BerlinTel.: 030 – 69 56 28 37Fax: 030 – 69 56 39 [email protected]

Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, im Rahmen des Programm „Lernkultur Kompetenzentwicklung“. Projektträger ist die Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung e.V. (ABWF).