9
Ein komplexes Fußtrauma ist häufig „pars pro toto“ des Polytraumatisierten, beim alten Menschen mit Mehrfachver- letzungen sogar als „signum mortis“ zu deuten. Ätiologisch bedeutsam sind im Rahmen von Hochrasanztraumen bei Verkehrsunfällen die massive Intrusion des Fußraums mit Verwringung der Fü- ße zwischen der Pedalerie, wobei axiale, Varus-, Valgus- und rotatorische Kräfte auf den Fuß einwirken. Beim Sturz aus großer Höhe ist meist ein Vielfaches der Erdbeschleunigung für schwere Zer- trümmerungen und Luxationen im Be- reich des Fußskeletts verantwortlich. Zentrale Luxationsfrakturen, bekannt als „aviator’s astralagus“ sind bei bei- spielsweise in 52% der Fälle mit einem Polytrauma assoziiert [3]. Das Ziel der Wiederherstellung ei- nes gebrauchsfähigen, plantigraden Fu- ßes wird an zahlreichen Kriterien der Erhaltbarkeit gemessen, wie Allgemein- zustand des Patienten nach dem PTS- Score [4] und Lokalzustand der Extre- mität: Durchblutung, Innervation,Weich- teilmantel, Knochendefekte usw. Die Hannover-Frakturskala [1] und der MESS (mangled extremity severity score [2]) sowie neuerdings der NISSSA-Score [3] sind zur Frage der primären Amputa- tion wichtige Entscheidungshilfen. Erscheint der Fuß erhaltungswür- dig, besteht das Ziel der Behandlung darin, Durchblutung und Sensibilität, besonders aber die plantare Haut und Fersenpolsterung zu erhalten, die passi- ve und aktive Bewegung wiederherzu- stellen, Infektionen zu verhüten und die knöcherne Heilung zu erzielen. „Komplexes Fußtrauma“ Definition Sowohl beim Polytrauma als auch beim Barytrauma (schwerste Einzelverletzung) hat sich für das komplexe Verletzungs- muster des Fußes als Definition ein 5- Punkte-System bewährt [8]. Dies be- rücksichtigt a die 5 anatomisch-funktionellen Ebenen des Fußes: 1. OSG, 2. Talus, 3. Kalkaneus, 4. Chopart-Gelenk, 5. Lisfranc-Gelenk bzw. Mittelfuß b den lokalen Weichteilschaden. Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001 S221 Trauma Berufskrankh 2001 · 3 [Suppl 2]: S221–S229 © Springer-Verlag 2001 Frakturen des Fußes Hans Zwipp · Stefan Rammelt · René Grass Klinik und Poliklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus,Technische Universität Dresden Komplextrauma des Fußes Prof. Dr. Hans Zwipp Klinik und Poliklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden, Fetscherstraße 74, 01307 Dresden (E-Mail: [email protected], Tel.: 0351-4583777, Fax: 0351-4584307) Zusammenfassung Die Wiederherstellung eines gebrauchsfähi- gen Fußes ist gerade beim Polytraumapa- tienten mit 52% Inzidenz eines komplexen Fußtraumas in der Behandlungskaskade dringlicher Versorgungen ein nicht zu ver- nachlässigendes Behandlungsziel, um auf- wändige rekonstruktiv-korrigierende Eingrif- fe mit nur teilweise befriedigendem Erfolg zu vermeiden. Beim komplexen Fußtrauma des Schwerstverletzten (PTS 3–4) ist die pri- märe Teilamputation indiziert, beim Erhal- tungsversuch (PTS 1–2) entscheidet die Second-look-Operation innerhalb von 48 h über Nachdébridement, ggf. Nachamputa- tion oder den frühen freien Gewebetransfer. Ein Kompartmentsyndrom des Fußes ver- langt die notfallmäßige Dermatofaszioto- mie. Offene Frakturen müssen notfallmäßig radikal débridiert, grobe Fehlstellungen be- seitigt und nach Reposition mit perkutaner Spickdrahtosteosynthese und/oder tibiotar- saler Transfixation zur temporären Weichteil- entlastung bis zur definitiven Versorgung stabilisiert werden. Zentrale Luxationsfraktu- ren des Talus sollten grundsätzlich offen re- poniert und durch Schraubenosteosynthese stabilisiert, bei Polytrauma zumindest repo- niert und transfixiert werden. Offene und mit Kompartmentsyndrom assoziierte Kal- kaneusfrakturen sollten beim Polytrauma débridiert und bis zur definitiven Versorgbar- keit durch einen medialen Fixateur externe temporär retiniert, beim Monotrauma pri- mär definitiv versorgt werden. Lisfranc-Luxa- tionsfrakturen erfordern meist die notfall- mäßige Entlastung der Weichteile mit offe- ner Reposition und Retention. Schlüsselwörter Polytrauma · Komplexes Fußtrauma · Weich- teildeckung

Komplextrauma des Fußes

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Page 1: Komplextrauma des Fußes

Ein komplexes Fußtrauma ist häufig„pars pro toto“ des Polytraumatisierten,beim alten Menschen mit Mehrfachver-letzungen sogar als „signum mortis“ zudeuten. Ätiologisch bedeutsam sind imRahmen von Hochrasanztraumen beiVerkehrsunfällen die massive Intrusiondes Fußraums mit Verwringung der Fü-ße zwischen der Pedalerie, wobei axiale,Varus-, Valgus- und rotatorische Kräfteauf den Fuß einwirken. Beim Sturz ausgroßer Höhe ist meist ein Vielfaches derErdbeschleunigung für schwere Zer-trümmerungen und Luxationen im Be-reich des Fußskeletts verantwortlich.Zentrale Luxationsfrakturen, bekanntals „aviator’s astralagus“ sind bei bei-spielsweise in 52% der Fälle mit einemPolytrauma assoziiert [3].

Das Ziel der Wiederherstellung ei-nes gebrauchsfähigen, plantigraden Fu-ßes wird an zahlreichen Kriterien derErhaltbarkeit gemessen, wie Allgemein-zustand des Patienten nach dem PTS-Score [4] und Lokalzustand der Extre-mität: Durchblutung, Innervation,Weich-teilmantel, Knochendefekte usw. DieHannover-Frakturskala [1] und der MESS(mangled extremity severity score [2])sowie neuerdings der NISSSA-Score [3]sind zur Frage der primären Amputa-tion wichtige Entscheidungshilfen.

Erscheint der Fuß erhaltungswür-dig, besteht das Ziel der Behandlungdarin, Durchblutung und Sensibilität,besonders aber die plantare Haut undFersenpolsterung zu erhalten, die passi-ve und aktive Bewegung wiederherzu-stellen, Infektionen zu verhüten und dieknöcherne Heilung zu erzielen.

„Komplexes Fußtrauma“

Definition

Sowohl beim Polytrauma als auch beimBarytrauma (schwerste Einzelverletzung)hat sich für das komplexe Verletzungs-muster des Fußes als Definition ein 5-Punkte-System bewährt [8]. Dies be-rücksichtigt

a die 5 anatomisch-funktionellen Ebenendes Fußes:1. OSG,2. Talus,3. Kalkaneus,4. Chopart-Gelenk,5. Lisfranc-Gelenk bzw. Mittelfuß

b den lokalen Weichteilschaden.

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001 S221

Trauma Berufskrankh2001 · 3 [Suppl 2]: S221–S229 © Springer-Verlag 2001 Frakturen des Fußes

Hans Zwipp · Stefan Rammelt · René GrassKlinik und Poliklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie,Universitätsklinikum Carl Gustav Carus,Technische Universität Dresden

Komplextrauma des Fußes

Prof. Dr. Hans ZwippKlinik und Poliklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie,Universitätsklinikum Carl Gustav Carus,Technische Universität Dresden,Fetscherstraße 74, 01307 Dresden(E-Mail: [email protected],Tel.: 0351-4583777, Fax: 0351-4584307)

Zusammenfassung

Die Wiederherstellung eines gebrauchsfähi-gen Fußes ist gerade beim Polytraumapa-tienten mit 52% Inzidenz eines komplexenFußtraumas in der Behandlungskaskadedringlicher Versorgungen ein nicht zu ver-nachlässigendes Behandlungsziel, um auf-wändige rekonstruktiv-korrigierende Eingrif-fe mit nur teilweise befriedigendem Erfolgzu vermeiden. Beim komplexen Fußtraumades Schwerstverletzten (PTS 3–4) ist die pri-märe Teilamputation indiziert, beim Erhal-tungsversuch (PTS 1–2) entscheidet die Second-look-Operation innerhalb von 48 hüber Nachdébridement, ggf. Nachamputa-tion oder den frühen freien Gewebetransfer.Ein Kompartmentsyndrom des Fußes ver-langt die notfallmäßige Dermatofaszioto-mie. Offene Frakturen müssen notfallmäßigradikal débridiert, grobe Fehlstellungen be-seitigt und nach Reposition mit perkutanerSpickdrahtosteosynthese und/oder tibiotar-saler Transfixation zur temporären Weichteil-entlastung bis zur definitiven Versorgungstabilisiert werden. Zentrale Luxationsfraktu-ren des Talus sollten grundsätzlich offen re-poniert und durch Schraubenosteosynthesestabilisiert, bei Polytrauma zumindest repo-niert und transfixiert werden. Offene undmit Kompartmentsyndrom assoziierte Kal-kaneusfrakturen sollten beim Polytraumadébridiert und bis zur definitiven Versorgbar-keit durch einen medialen Fixateur externetemporär retiniert, beim Monotrauma pri-mär definitiv versorgt werden. Lisfranc-Luxa-tionsfrakturen erfordern meist die notfall-mäßige Entlastung der Weichteile mit offe-ner Reposition und Retention.

Schlüsselwörter

Polytrauma · Komplexes Fußtrauma · Weich-teildeckung

Page 2: Komplextrauma des Fußes

S222 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001

Frakturen des Fußes

Für jeden Grad des offenen oder ge-schlossenen Weichteilschadens wirdjeweils 1 Punkt gezählt, bei Überroll-trauma, subtotaler Amputation oderDegloving injury wird mit 4 Punktenbewertet. Ergeben die Anzahl der be-troffenen Etagen zusammen mit derPunktezahl des Weichteilschadens ≥ 5Punkte, liegt ein Komplextrauma desFußes vor.

Entscheidungsfindung

Trotz der heutigen rekonstruktiven Mög-lichkeiten sollte insbesondere beim kom-plexen Fußtrauma nicht der Fehler be-gangen werden, die Erhaltung zu er-zwingen. Oftmals verbietet die Ausgangs-situation beim Polytrauma einen initialaufwändigen Rekonstruktionsversuch.Nach dem Polytraumascore (PTS) als

H. Zwipp · S. Rammelt · R. Grass

Complex trauma of the foot

Abstract

Especially in polytraumatized patients, inwhom there is a high incidence (52%) ofcomplex foot trauma, the preservation offoot function is one of the ultimate goals oftreatment, as this may make late salvageprocedures unnecessary and avoid severefunctional restrictions. If a complex foottrauma is present in a severely injured pa-tient (PTS 3–4) partial amputation is recom-mended, whereas with a lower polytraumascore (PTS 1–2) the decision as to whetherrepeated debridements, partial amputationor early flap coverage should be performedis made during a second-look operationwithin 48 h. Acute compartment syndromerequires immediate dermatofasciotomy.Open fractures need to be debrided radicallyas an emergency procedure. Gross disloca-tions are reduced and temporarily retainedwith external fixation devices or by percuta-neous pinning. Dislocation fractures of thetalus are treated by open reduction and fixedwith screws or, in polytraumatized patients,at least with K-wires. Open calcaneus frac-tures or those associated with compartmentsyndrome are debrided, reduced and re-tained with a three-point fixator until thepolytraumatized patient is fit for definitivesurgery, while in patients with isolated in-juries the primary treatment can take theform of definitive open reduction and inter-nal fixation after initial debridement. Lisfrancdislocation fractures frequently requireemergency release of the soft tissues fol-lowed by open reduction and internal fixa-tion.

Keywords

Polytrauma · Complex foot trauma · Soft tis-sue coverage

Trauma Berufskrankh2001 · 3 [Suppl 2]: S221–S229 © Springer-Verlag 2001

Tabelle 1NISSSA-Score, nach McNamara et al. [3]

Verletzung Schweregrad Punkte Beschreibung

N Nervenverletzung Sensibilität intakt 0 Kein gröberer NervenschadenGestörte Sensibilität 1 Verletzung des N. peronaeus profun-am Fußrücken dus oder superficialis; N.-femoralis-

Läsiona

Partiell gestörte 2 N.-tibialis-Läsiona

Sensibilität plantar;asensible Fußsohle

I Ischämie Keine 0 Intakter Pulsstatus, normale PerfusionGering 1b Abgeschwächte Pulse; Perfusion er-

haltenMäßig 2b Kein palpierbarer Puls; verlängerte

Kapillarfüllung; Dopplersignal erhal-ten

Schwer 3b Pulslos; kühl, kein Dopplersignal nachweisbar

S Weichteilschaden/ Gering 0 Allenfalls minimale Kontusion; keine Kontamination Kontamination; Gustilo-Grad I

Mäßig 1 Geringe Kontusion, niederenergeti-sche Schussverletzungen; mäßige Kontamination; Gustilo-Grad II

Schwer 2 Mäßige Quetschung; Avulsion; hoch-energetische Schussverletzung, mäßi-ge Kontusion; erhebliche Kontamina-tion; Gustilo-Grad III A

Sehr schwer 3 Massive Quetschung, landwirtschaft-licher Unfall; Avulsion; Lappende-ckung erforderlich; Gustilo-Grad IIIB

S Skelettverletzung Niederenergetisch 0 Spiral-, Schrägfraktur; keine bis gerin-ge Dislokation

Mittelenergetisch 1 Querfraktur; minimale Trümmerzone;Kleinkaliberschussverletzung

Hochenergetisch 2 Mäßige Dislokation und Trümmerzo-nenbildung; Militärschusswaffenver-letzung

Höchstenergetisch 3 Segmentale Trümmerzonenbildung;Knochenverlust

S Schock Normotonie 0 Normaler Blutdruck, stets > 90 mmHgTransiente Hypotonie 1 Vorübergehende HypotoniePersistierende Hypotonie 2 Trotz Substitution Hypotonie

A Alter < 30 Jahre 030–50 Jahre 1> 50 Jahre 2

aNervenschaden entsprechend Erstbeurteilung im SchockraumbBei Ischämiezeit > 6 h verdoppelt sich die angegebene Punktezahl. NISSSA-Scores = 11 besitzen einenpositiv-prädiktiven Wert für eine Amputation von 100%

Page 3: Komplextrauma des Fußes

Entscheidungshilfe [4] empfahlt Tscher-ne [7] beim komplexen Fußtrauma undgleichzeitigem PTS-Score von 3–4 dieprimäre Amputation, beim mittelgradi-gen Polytrauma (PTS 2) die individuel-le Entscheidung und bei PTS 1 den Er-haltungsversuch.

Neben der Beurteilung des Allge-meinzustands des Verletzten ist die In-dikation zur Amputation auch vom kli-nisch-radiologischen Ausmaß der Weich-teil- und Knochendestruktionen, derDurchblutung und der nervalen Situa-tion abhängig. Besonders aussagekräf-tig dafür erwiesen sich der „mangled ex-tremity severity score“ [2] sowie dieHannover-Frakturskala [1].

Ist der Entschluss zum Erhaltungs-versuch gefallen, besteht die Gefahr oftdarin, zu viel vom Fuß erhalten zu wol-len. Entscheidend ist die geplante Se-cond-look-Operation, die in der Regelinnerhalb von 24–48 h durchzuführenist. Sie beinhaltet ein radikales Nachdé-bridement, die Entscheidung zur Third-look-Operation,zur Teilamputation oderzur sehr frühen (48–72 h) freien Lap-penplastik.Werden diese Prinzipien nichtbeachtet, wird in der Regel bei aufstei-gender Frühinfektion eine Unterschen-kelamputation notwendig.

Primäre Amputationshöhe

Im Gegensatz zur Chirurgie der arte-riellen Verschlusskrankheit verbietetsich beim Trauma das Zuwarten auf ei-ne Demarkation zur Festlegung der Am-putationshöhe. Was sich nach Reposi-tion der Verrenkung, des Verrenkungs-bruchs und der evtl. Kompartmentspal-tung am Fuß nicht im Sinn einer ausrei-chenden Kapillardurchblutung währendder Notfalloperation erholt (keine intra-operative Blutsperre!), muss primär inHöhe der klassischen Amputationsli-nien abgesetzt werden (Abb. 1).

Bei schwerem Weichteilschaden hatspätestens nach 24–48 h eine Second-look-Operation zu erfolgen. Zur Festle-gung der definitiven Amputationshöhemuss beim Débridement auf die Blut-sperre verzichtet werden.

Amputationstechniken

Grundsätzlich haben alle primären Am-putationen nach Reposition der Luxa-tion und Luxationsfraktur und/oderDermatofasziotomie blutsperrenfrei zuerfolgen, um alle Durchblutungsreser-ven bei effizienter Schockbehandlungder Extremität zu erkennen. Die Kapil-

lardurchblutung der Zehen wird subun-gual, die der Haut des Fußes notfallsauch durch kleine tangentiale Schnitteintraoperativ geprüft.

Phalangeale bzw.metatarsophalangeale Amputation

Zur Vermeidung einer Beugekontraktursollten die Zehenendglieder eher voll-ständig exartikuliert, die Mittelphalan-gen basisnah oder vollständig entfernt,die Grundphalangen möglichst lang mitRefixation der Streckaponeurose erhal-ten werden. Zur Weichteildeckung emp-fiehlt sich die plantare Lappenbildungder Haut. Sehnen und Nerven werdenunter leichtem Zug abgesetzt, um eineausreichende Retraktion nach proximalzu gewährleisten.

Müssen Groß- oder Kleinzehe ab-gesetzt werden, sollten jeweils der dista-le mediale bzw. laterale Metatarsalschaftbeigetrimmt werden. Im Fall der Groß-zehenamputation sollten zusätzlich Fle-xor- und Extensorsehne zusammen mitder intrinsischen Muskulatur über demMetatarsalköpfchen vernäht werden,umeine Retraktion der Sesambeine zu ver-hindern.

Transmetatarsale Amputation

Die Absetzungshöhe wird vom vorlie-genden Weichteilschaden bestimmt.Insbesondere ist intraoperativ auf dieDurchblutung der intrinsischen Musku-latur und der plantaren Haut zu achten,die zur Lappenbildung herangezogenwerden soll. Die Absetzungslinien ver-laufen immer leicht konvex, köpfchen-nah (distale Variante) oder basisnah(proximale Variante) im spongiösen Be-reich.

Bei irregulären Amputationsfor-men kommen dem vollständigen Erhaltdes 1. und/oder 5. Strahls besondere Be-deutung zu.

Tarsometatarsale Exartikulation (Lisfranc)

Meist ist bei schweren Weichteiltraumendes Fußes im Rahmen einer Quetsch-verletzung nur die notfallmäßige Exar-tikulation in der Lisfranc-Gelenkliniemöglich.Bei der Second-look-Operationwird entschieden, ob nachamputiertwerden muss oder sekundär myoplas-tisch vorgegangen werden kann. Dabei

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001 S223

Abb. 1 � a Schnittführung und klassische Absetzungslinien am Fuß, I distale transmetatarsale Ampu-tation (proximale Variante nicht dargestellt), II tarsometatarsale Exartikulation (Lisfranc), III trans-tarsale Exartikulation (Chopart) mit notwendiger Steigbügelsehnenplastik, b Pirogoff-Amputations-technik

a b

Page 4: Komplextrauma des Fußes

werden die Extensoren in leichter Dor-salflexion des Restfußes durch die Oscuneiforme und das Kuboid gezogenund plantar steigbügelartig in sich ver-näht. Damit wird einer späteren Spitz-fußkontraktur vorgebeugt.

Transtarsale Exartikulation (Chopart)

Eine Chopart-Exartikulation ist in derRegel dann zu empfehlen, wenn dieWeichteilsituation eine plastisch-funk-tionelle Stumpfbildung erlaubt. Das be-deutet, dass eine aktive Taluskopfhe-bung mittels Transposition der Sehnendes M. tibialis posterior und des M. pe-ronaeus longus steigbügelförmig durchden Taluskopf oder den Kalkaneushalserreicht werden muss. Durch eineSchanz-Schraube im Talus und eine 2. inder distalen Tibia kann durch äußerentemporären Fixateur externe (3 Wo-chen) die stabile Einheilung gesichertwerden.

Ist dies primär nicht möglich,kommt es in der Folge zu einer Plantar-kippung des Talus und Kalkaneus mitSpitzfußstellung des verbliebenen Rück-fußes, was zur schmerzhaften Belas-tungszone bei fehlender Weichteilpols-terung des Stumpfs plantarseitig führt.Dies kann später durch Arthrodese desoberen bzw. unteren Sprunggelenks inRechtwinkelstellung des Rückfußes kor-rigiert werden.

Transkalkaneare Amputation (Pirogoff)

Die bei weitem sicherste Methode zurVermeidung aufsteigender Infektionenbei schweren Vorfuß- und Fußwurzel-zerstörungen stellt das modifizierte Ver-fahren nach Pirogoff dar. Dabei könnenalle zerquetschten Weichteile, insbeson-dere die gesamte Fußbinnenmuskulaturund die bradytrophen Sehnen, radikalentfernt werden. Bei korrektem Vorge-hen resultiert lediglich eine Beinverkür-zung um etwa 1 cm bei optimalemStumpffersenbeinpolster.

Dabei wird in der Chopart-Gelenk-linie reseziert, und alle Sehnen werdenso weit wie möglich nach kranial ge-kürzt.Als weitere Operationsschritte er-folgen die Auslösung des Talus aus derKnöchelgabel und die Entfernung sämt-licher Knorpelanteile von tibialer Ge-lenkfläche, Innen- und Außenknöchelsowie die Osteotomie des Processus an-

terior calcanei mit Verschmälerung desSustentaculum tali. Da beim frischenTrauma die Achillessehne noch nichtverkürzt ist, kann der Kalkaneus mühe-los um 70–80° aufrecht gestellt und mit-tels zweier 6,5-mm-Spongiosaschraubenstabil zur Tibia fixiert werden. Eine Va-rus- bzw. Valgusfehlstellung des Kalka-neus ist zu vermeiden.

Perioperative Prinzipien

Bei allen komplexen Fußtraumen soll-ten folgende Grundsätze beachtet wer-den:

Aggressive Chirurgie

Das Débridement muss so radikal undkonsequent durchgeführt werden wie inder Knochenchirurgie üblich. Dies reichtvon der einfachen Reinigung über dieExzision, Jet-Lavage, Kompartmentspal-tung bis hin zur notwendigen Teilampu-tation. Second-look-Eingriffe sind eben-so in das Behandlungskonzept einzu-planen wie notwendige plastisch-chi-rurgische Verfahren (z. B. freie Lappen-plastik).

Minimalosteosynthese

Um eine weitere Traumatisierung desGewebes chirurgischerseits zu minimie-ren, wird initial nach schonender Repo-sition nur mit Spickdrähten oder 3,5-mm-Kortikalisschrauben stabilisiert.

Tibiotarsale Transfixation

Sie stellt lediglich eine temporäre (imMittel 3 Wochen), dafür aber sichere,schonende und wirkungsvolle Maßnah-me in Ergänzung zur Minimalosteosyn-these dar. Sie gewährleistet eine absolu-te Ruhigstellung der Weichteile und Frak-turzonen, lässt eine Fehlstellung ver-meiden und erleichtert die täglicheWeichteilkontrolle sowie pflegerischenMaßnahmen.

Die beiden distalen Pins werden je-weils in das Metatarsale I und das Meta-tarsale IV gesetzt, um gleichzeitig Pro-und Supination neutral einstellen zukönnen. Empfehlenswert ist darüberhinaus immer die Verwendung von Koh-lefaserrohren, welche eine evtl. weiter-führende Röntgendiagnostik durch Über-lagerungen nicht behindern. Der freieZugang zum Fuß ermöglicht außerdem

auch auf der Intensivstation die Kon-trolle des Kompartmentdrucks, umrechtzeitig eine operative Eröffnung derKompartmente zu veranlassen.

Die tibiotarsale Transfixation stellteine temporäre und wirkungsvolle Maß-nahme zur Ruhigstellung und Entlas-tung der Weichteile dar.

Frühe Weichteildeckung

Nach Kompartmentspaltung ist in allerRegel ein sekundärer Wundverschlussbinnen 8–10 Tagen möglich. Der mitKunsthaut temporär erzielte Hautver-schluss wird durch Verkleinerung der zuwechselnden Kunsthaut (alle 48 h) biszur Sekundärnaht fortgesetzt. Bei Erhal-tungsversuchen ist insbesondere im Be-reich des Fersenbeins, der Achillessehneund der Knöchelgabel bei Weichteilde-fekten der rechtzeitige, gestielte oderfreie Gewebetransfer durchzuführen.Beim Barytrauma sollte Letzterer mög-lichst innerhalb von 72 h, beim Poly-trauma zum frühest möglichen Zeit-punkt erfolgen [5].

Osteosynthesesequenz

Bei Serienfrakturen wird die Versorgungimmer von proximal nach distal vorge-nommen.Eine Ausnahme bildet hier dasZusammentreffen von Talusfraktur undKnöchelbruch. Aufgrund der prekärenDurchblutungssituation des Talus undder besseren Zugänglichkeit z. B. beiInnenknöchelfraktur sollte diese Osteo-synthese zuerst erfolgen, also in der Rei-henfolge: Talus – Knöchelgabel – Fer-senbein – Chopart-Gelenk – Lisfranc-Gelenk – Mittelfußknochen.

Knochenaufbau

Sekundäre, autogene kortikospongiöseDefektauffüllungen, z. B. um die Längeder medialen oder lateralen Fußsäulewiederherzustellen, sollten unmittelbarvor einem Gewebetransfer durchgeführtwerden. Initial können PMMA-Kugel-ketten als funktionelle Platzhalter mitdem günstigen Nebeneffekt der Infekt-prophylaxe eingelegt werden.

Funktionelle Nachbehandlung

Bei einem komplexen Fußtrauma ist diefunktionelle Nachbehandlung meist erstnach der 3.Woche möglich. Es finden al-

S224 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001

Frakturen des Fußes

Page 5: Komplextrauma des Fußes

le gängigen Konzepte moderner Physio-therapie Anwendung:

∑ passive Bewegung auf der Motorschiene,∑ aktive Krankengymnastik,∑ manuelle Therapie,∑ Teilbelastung mit 147,15 N (15 kp) zur

Remineralisierung des Fußskeletts,∑ Bandagen,∑ Verordnung von Schuheinlagen,∑ Spezialschuhe oder∑ prothetische Versorgung.

Kompartmentsyndrom des Fußes

Ein besonderes Augenmerk ist auf einsich entwickelndes Kompartmentsyn-drom zu richten. Es ist fast regelmäßigbei schweren Quetschverletzungen oderÜberrolltraumen des Fußes zu sehen. Esist häufig bei der Chopart- und Lisfranc-Luxationsfraktur und gelegentlich beiTalus- oder Kalkaneusfrakturen be-obachtbar [6]. Fußtrümmerfrakturen,schwere Weichteilschäden, postischämi-sche Schwellungen, intramuskuläre Hä-matome und hämorrhagische Diathesekönnen am Anfang der Entwicklung ei-nes Logensyndroms stehen.

Klinische Symptomatik

Führendes Symptom ist der inspekto-risch auffällige Eindruck einer ausge-prägten, prallen Schwellung des Fußes,oftmals verstärkt durch Achsenabwei-chungen aufgrund bestehender Luxatio-nen oder Luxationsfrakturen.Gelingt ei-ne digitale Kontrolle der Durchblutungnicht, muss zur Beurteilung die Dopp-lersonographie, in Zweifelsfällen immerdie Kompartmentdruckmessung durch-geführt werden.

Dabei sollten alle 4 Kompartmente(interossal, zentral, medial, lateral) ge-messen werden. Bei Zunahme derSchwellung während der Versorgung desVerletzten sollte die Messung ggf. untersterilen Kautelen auch intraoperativwiederholt werden.Am günstigsten kannsie auf der Intensivstation im Sinn einesstündlichen Monitorings durchgeführtwerden, um nicht den Zeitpunkt einerrechtzeitigen Entlastung zu verpassen.

Indikation zur Dermatofasziotomie

Anders als am Unterschenkel gelten amFuß Werte von 25 mmHg als grenzwertig

und überwachungs- bzw. kontrollbe-dürftig. Bei eindeutiger Klinik und Wer-ten > 25 mmHg wird die dorsomedianeDermatofasziotomie mit anschließenderKunsthautdeckung durchgeführt [9].

Operationstechnik

Selten ist bei Fußwurzelfrakturen dieSpaltung aller 4 Kompartmente notwen-dig, da aufgrund der durch das Trauma

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001 S225

Abb. 2 a, b � Fußkompartmentsyndrom. Bei komplexem Fußtrauma mit Kompartmentsyndrom,meist bei komplexen Lisfranc-Verletzungen, ist in der Regel die dorsomediane Dekompression unterSpaltung des proximalen und distalen Retinaculums ausreichend, da die übrigen Kompartmentemeist traumatisch mit eröffnet sind (a). Beim postischämiebedingten Fußkompartmentsyndrommüssen über die dorsale Dermatofasziotomie zwischen den Metatarsalia das zentrale, mediale undlaterale Kompartment chirurgisch entlastet werden (b)

Retinaculumextensorum superior

Retinaculumextensorum inferior

a b

Abb. 3 � Algorithmus der Behandlung beim komplexen Fußtrauma

primäre Teilamputation

Luxation,Luxationsfraktur

komplexes Fußtrauma

(WeichteilschadenGrad III und IV)

Erhaltungsversuchtemporäre Transfixation

Second-look-Operation(24–48 h):Débridement/Nachamputation

gestielter/freier Lappen

reponierbar

irreponierbar

TalusHawkins III–IV

Kalkaneus

offene Frakturen

Kompartment-syndrom

Kühlung

wiederholte Druckmessung

Dermatofasziotomie

Débridement, offeneReposition, Osteosynthese

Débridementmediale Transfixation

definitive Versorgung imIntervall

geschlossene Reposition+ Gips, bei Reluxation

Spickdrahttransfixation

offene RepositionMinimalosteosynthese

tibiotarsale Transfixation

PTS 3–4

PTS 1–2

< 20mm Hg

20–25mm Hg

> 25mm Hg

Page 6: Komplextrauma des Fußes

hervorgerufenen Zerreißung der Fas-zienlogen eine ausreichende Entlastungdurch einen ausgedehnten dorsomedia-nen Zugang erreicht wird (Abb. 2 a, b).

Wichtig ist die konsequente Durch-trennung der Fascia cruris bzw. dorsalispedis und des distalen Retinaculum ex-tensorum (!),meist auch des proximalenRetinaculums, insbesondere wenn zu-gleich ein Kompartmentsyndrom desUnterschenkels vorliegt. In diesen Fällenwird die klassische monolaterale Der-matofasziotomie in Außenknöchelhöheauf den Fußrücken übergeführt (Abb. 3).

Liegt kein direktes Fußtrauma vor,sondern nach Gefäßverletzung z. B. derA. poplitea ein postischämisches Kom-partmentsyndrom, müssen über dieinterossalen Kompartmente zusätzlichdas zentrale, das mediale und das late-

rale Kompartment gespalten werden.Dies erfolgt entweder wie oben be-schrieben über einen dorsalen Zugangoder über 2 kleine dorsale Schnitte.

Ein Kompartmentsyndrom des Fu-ßes liegt bei einem Anstieg des Gewebe-druckes auf >25 mmHg in einem der 4 Kompartmente vor und ist nach denlebenserhaltenden Eingriffen beim Poly-traumapatienten notfallmäßig zu ent-lasten.

Haut- und Weichteilverschluss

Grundsätzlich lassen sich die meistenAreale des Fußes erfolgreich mit Spalt-haut decken. Eine Ausnahme ist der Be-reich der Ferse, der Achillessehne undder Knöchel. In diesen Problemzonensind daher alle Möglichkeiten des freien

Gewebetransfers auszuschöpfen, sofernlokale, gefäßgestielte Verschiebelappenz. B. des 1. Interdigitalraums oder der A. dorsalis pedis nicht durchführbarsind.

Talusfrakturen

Ist eine periphere oder zentrale Talus-fraktur nur additiv im Rahmen einesKomplextraumas zu behandeln, geltendieselben Prinzipien wie bei einer iso-lierten Fraktur.

1. möglichst präoperatives CT zur Erfas-sung aller Begleitfrakturen (z. B.Sustentakulumfraktur),

2. stabile Titanschraubenosteosynthese(auch des Processus fibularis/posterior),

S226 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001

Frakturen des Fußes

Abb. 4 a–f � Talustrümmerfrakturbei einem 40-jährigem Auto-Ralley-Fahrer mit foudroyantem Kompart-mentsyndrom bereits nach demTrauma, a Spannungsblasen,55 mmHg im medialen Fußkom-partment, b notfallmäßiges präope-ratives CT zur Bestimmung des opti-malen Zugangs, c 3D-Rekonstrik-tion, die v. a. die posterolaterale Lu-xation und die anteromediale Trüm-merzone erkennen lässt, d Kompart-mentspaltung mittels anteromedia-lem Zugang, offene Reposition,temporäre minimale Spickdraht-bzw. Schraubenfixation und Transfi-xation, e postprimäre (10. Tag nachTrauma) subtalare Arthrodese mit 2 6,5-mm-Spongiosaschraubennach Entknorpelung des Subtalar-gelenks, einerseits wegen der pri-mären schweren Knorpelzerstörungund andererseits zur Verbesserungder Durchblutungssituation vomKalkaneus zum Talus bei zu erwar-tender Talusnekrose, f größtenteilsrevitalisierter Talus, stabile subtala-re Fusion und moderate OSG-Ar-throse nach 2 Jahren

a b

c d

e f

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3. möglichst 2 Zugänge (anteromedial,anterolateral, posterolateral), wennnicht bereits durch offene Frakturwun-den vorgegeben [6],

4. bei begleitendem Kompartmentsyn-drom des Fußes und notwendiger Der-matofasziotomie kann diese auch vonanteromedial ausgeführt werden,

5. vorzugsweise temporäre Weichteilde-ckung mit Kunsthaut und tibiotarsaleTransfixation bei schwerer Weichteil-schädigung (Kompartmentsyndromoder offene Fraktur).

Stellt dagegen die Talusfraktur bei Zer-störung des oberen und unteren Sprung-gelenks beispielsweise mit drittgradigassoziiertem Weichteilschaden (mani-festes Kompartmentsyndrom) ein Kom-plextrauma (5 Punkte) per se dar, hängtneben der notfallmäßigen Kompart-mententlastung die Frakturversorgungvon den Möglichkeiten der Rekonstru-ierbarkeit ab. Ist die Kongruenz im OSG,nicht aber im Subtalargelenk, wieder-herstellbar und ist besonders bei Haw-

kins-III/IV- oder bei Korpustrümmer-frakturen mit einer hohen Inzidenz ei-ner vollständigen Talusnekrose zu rech-nen, empfiehlt sich die frühe, postpri-märe subtalare Arthrodese, um die post-traumatisch sichere subtalare Arthroseabzufangen und gleichzeitig die Chancezur Revaskularisation des Talus überden Kalkaneus auszunutzen (Abb. 4).Bei erhaltenem oder gut rekonstruier-barem Subtalargelenk, jedoch nicht er-zielbarer OSG-Kongruenz, sollte die frü-he, postprimäre OSG-Arthrodese ange-strebt werden.Postprimär bedeutet nichtnur einige Tage nach der Erstversor-gung, sondern auch nach versuchter Ta-lusrekonstruktion im Sinn der Former-haltung.

Bei totalem Talusverlust sollte nachMöglichkeiten des frischen, homologenTalusersatzes gesucht werden, um eineChopart-Funktion bei notwendiger Dou-ble-Arthrodese (OSG und Subtalarge-lenk) zu erhalten [8].

Bei der sehr seltenen Kombinationvon Pilon- und Talusfraktur sollte im-

mer eine Gelenkrekonstruktion ver-sucht werden (Abb. 5).

Kalkaneusfrakturen

Mit geringerer Dringlichkeit als bei Ta-lusfrakturen ist die offene Versorgungbei geschlossenen Frakturen (erst- biszweitgradiger Weichteilschaden) bis 10 Tage nach dem Trauma gut möglich.

Kommt es beim Bary- oder Poly-trauma jedoch durch die erhebliche Ver-formung des Fersenbeins insbesonderebei Luxationsfrakturen zu einer primä-ren Weichteilschädigung III. Grads durchFragmentdruck von innen, ist dies alsdringliche Indikation zu verstehen undbedarf der Primärversorgung. In diesenFällen kann der Versuch einer geschlos-senen Reposition unternommen wer-den. Oft wird es notwendig sein, das er-reichte Ergebnis, das selten anatomischausreichend sein wird und daher in derRegel der späteren definitiven Versor-gung bedarf, mittels eines medialen Fi-xateurs zu sichern. Dabei wird eine

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Abb. 5 a–f � Dieses Beispiel zeigt ein typisches Hochenergietrauma mit bimalleolärer Knöchelfrak-tur (zweitgradig offen) und Impression der medialen Pilonecke (Pfeile), Talushalsfraktur und intraar-tikulärer Kalkaneusfraktur (a–c). Nach radikalem Débridement, Schraubenfixation zunächst des Ta-lus, danach der Malleoli und zuletzt des Kalkaneus mit temporärer tibiotarsaler Transfixation für 3 Wochen. Spalthautdeckung nach 10 Tagen, d–f anatomische Rekonstruktion mittels Minimalosteo-synthese

a b c

d e f

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Schanz-Schraube horizontal in das Tu-ber calcanei, in den Talushals und in dasKuboid gesetzt. Mit dieser 3-Punkt-Ab-stützung lässt sich eine Aufrichtung desFersenbeins erzielen, die Rückfuß- sowie Weichteilverkürzungen vermei-det. Bei drittgradig geschlossenen Frak-turen mit manifestem Kompartmentsyn-drom sind beim Barytrauma unverzüg-lich die Hämatomentlastung und pri-märe Osteosynthese, beim Polytrauma-tisierten im Anschluss an die lebenser-haltenden Maßnahmen die rasch durch-zuführende dorsomediane Fasziotomiemit Anlegen eines medialen Fixateur ex-terne zu empfehlen.

Offene Brüche des Fersenbeins er-fordern zumindest das initiale Débride-ment, Naht, Kunsthautdeckung und dietemporäre Transfixation, um keinenknöchernen Substanzverlust oder eineinfektbelastete Situation zu riskieren,die die definitive Versorgung mit aufge-schobener Dringlichkeit verzögern undkomplizieren würden. Sofern die lokaleSituation beim Barytrauma oder dieGesamtsituation des polytraumatisier-ten Patienten eine primäre Plattenos-teosynthese und Spongiosaunterfütte-rung verbietet, empfehlen sich die zu-mindest temporäre Sicherung derRückfußaufrichtung durch Kirschner-Draht-Osteosynthese und/oder die An-lage eines medialen Fixateurs. Bereitsbestehende knöcherne Defekte solltenzur Infektprophylaxe mit PMMA-Ku-gelketten aufgefüllt werden. Darüberhinaus vermindern sie in Kombinationmit dem Fixateur das übermäßige„shrinking“ der Weichteile. Die Not-wendigkeit eines freien Gewebetrans-fers bei zweit- bis drittgradig offenenFrakturen ist bei der Second-look-Ope-ration zu überprüfen und in der Regelratsam [5].

Luxationen und Luxationsfrakturen des Chopart- und Lisfranc-Gelenks

Besonders beim Polytrauma werdenVerletzungen dieser beiden Gelenkli-nien bei der Primärdiagnostik leichtübersehen oder zumindest in ihrer spä-teren Tragweite für den Verletzten nichtrichtig eingeschätzt. Eine konsequenteDiagnostik mit 3 Standardprojektionen(Fuß dorsoplantar mit 20° kaudokrania-ler Kippung, exakt seitlich und 45°-

Schrägaufnahme) sollte im Rahmen derPrimärdiagnostik nicht fehlen.

Besonders bei Lisfranc-Luxations-frakturen mit Kompartmentsyndromaufgrund einer rasch einsetzenden,mas-siven Weichteilschwellung sind das Er-kennen und die notfallmäßige Behand-lung essenziell.Nach Möglichkeit solltenin diesen Fällen nicht nur die dringlichedorsomediane Fasziotomie, sondern auchdie definitive offene Reposition, Spick-draht- bzw. 3,5-mm-Kortikalisschrau-benretention, Kunsthautdeckung und ti-biotarsale Transfixation primär erfolgen[9].

Geschlossene Reposition

Bei initial fehlendem Kompartmentsyn-drom sollte, um eine Weichteilschädi-gung und Nekrose der Gelenkknorpelbei Fragmentdruck in Luxationsstellungzu vermeiden, notfallmäßig geschlossendie Reposition erreicht werden. Durchaxialen Zug ist immer erst der 2. Strahlzum Os cuneiforme II einzurichten, da-nach der 1. sowie der 3.–5. Strahl. Bei Re-luxationstendenz ist die perkutane Spick-drahtfixation vor Ruhigstellung im Unter-schenkelgipsverband anzustreben. Da-bei sind mittels der 3 oben erwähntenStandardprojektionen die Kongruenzund die Wiederherstellung des Gelenk-linienverlaufs zu überprüfen.

Offene Reposition

Sollte eine Reposition mit Weichteilent-lastung geschlossen nicht erreicht wer-den können, muss offen vorgegangenwerden, und zwar über einen ausrei-chend langen dorsomedianen Zugangszwischen dem 2. und dem 3. Strahl,von dem aus sowohl die Gelenke des 1. Strahls sämtlich eingesehen (Talus –Navikulare – Os cuneiforme I – Meta-tarsale I) als auch die Frakturen der Lis-franc-Gelenklinie durch streng subperi-ostale Präparation und Verlagerung derSehnen und Leitstrukturen bis zumMetatarsale IV dargestellt werden kön-nen. Hier ist insbesondere auf die nachproximal zwischen Os cuneiforme I undIII eingerückte Position der Basis desMetatarsale II zu achten. Aufgrund die-ser anatomischen „Schlüsselposition“muss bei Lisfranc-Luxationsfraktur im-mer dort mit der Einrichtung der Ge-lenkreihe und Osteosynthese begonnenwerden. Sofern im Chopart-Gelenk eine

Beteiligung des Kalkaneokuboidalge-lenks vorliegt und in der Lisfranc-Ge-lenklinie auch das Metatarsale V einge-richtet werden muss, wird zusätzlich zurdorsalen Inzision noch eine laterale In-zision erforderlich. Der Abstand solltemindestens 5 cm betragen. Zur Reten-tion empfehlen sich 2,0-mm-Kirschner-Drähte oder 3,5-mm-Kortikalisschrau-ben. Ein Hautverschluss darf keinesfallserzwungen werden, eine temporäre De-ckung mit Kunsthaut ist in der Regelnotwendig. Nach Abschwellung kannsukzessive die definitive Sekundärnahtvorgenommen werden.

Offene Frakturen erfordern nach ra-dikalem Débridement unter Erweite-rung der Wunde die möglichst primäreReposition mit Rekonstruktion der Ge-lenklinien. Im Sinn der Minimalosteo-synthese kommen 3,5-mm-Kortikalis-schrauben, 1,8- bis 2,0-mm-Kirschner-Drähte oder als Abstützung von kuboi-daler bzw. korrespondierender kalkane-arer Gelenkfläche H-Plättchen bei Ver-letzung des Kalkaneokuboidalgelenksund eine tibiotarsale Transfixation zurAnwendung.

Luxationsfrakturen des Chopart-und Lisfranc-Gelenks sind in hohemMaß gefährdet, ein Kompartmentsyn-drom zu entwickeln.

Metatarsalefrakturen,Frakturen der Phalangen

Eine Dringlichkeit der Versorgung die-ser Skelettabschnitte ergibt sich beimPolytraumatisierten lediglich durch ei-nen begleitenden, massiven Weichteil-schaden z. B. im Sinn eines Kompart-mentsyndroms oder bei offenen Verlet-zungen. Hier gelten die analogen Prinzi-pien wie bei den Lisfranc-Luxations-frakturen.

Das Verfahren der Wahl ist die ret-rograde perkutane Kirschner-Draht-Osteosynthese, wobei die Basis des Ze-hengrundglieds plantar mitfixiert wer-den sollte. Selten erforderlich ist die In-side-out-Technik, bei der über einenkleinen intermetatarsalen dorsalen Zu-gang benachbarte Frakturen freigelegtwerden können. Von der Fraktur auswird der Draht eingebracht und nachUmsetzen der Maschine bis in die Meta-tarsalbasis zurückgebohrt. Bei beidenMethoden ist aber darauf zu achten,dassdie Basis der entsprechenden Grund-phalanx mitgefasst wird, damit keine

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Frakturen des Fußes

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Subluxation des Grundgelenks entsteht.Nur selten, allenfalls am 1. Strahl, ist einePlättchenosteosynthese angezeigt.

Schlussfolgerungen

1. Ein komplexes Fußtrauma (5-Punkte-Score), insbesondere bei schweremQuetsch- oder Überrolltrauma oder De-gloving-injury, erfordert beim Polytrau-ma (PTS 3–4) die primäre Teilamputa-tion, Erhaltungsversuche (PTS 1–2) im-plizieren die Second-look-Operation(24–48 h) zur Entscheidung: Nachdébri-dement,Teilamputation oder früher,freier Gewebetransfer.

2. Beim Barytrauma entscheiden Weich-teilzerstörung, Knochenverluste, Durch-blutung und Innervation (MESS oderNISSSA-Score) über die Erhaltbarkeitdes Fußes. Neben den Amputations-techniken in den klassischen Linien istder modifizierte Pirogoff-Stumpf beimschweren Barytrauma des Vor- undMittelfußes sehr zu empfehlen.

3. Offene Gelenkfrakturen des Fußes odergeschlossene Luxationsfrakturen mitstarkem Druck auf die Weichteile erfor-dern das notfallmäßige, radikale Débri-dement. Grobe Fehlstellungen müssenbeseitigt, die Frakturen temporär mitperkutanen Spickdrähten und/oder ti-biotarsaler Transfixation retiniert wer-den, bis nach Erholung des Polytrauma-tisierten und der Weichteile die definiti-ve Versorgung erfolgen kann. Beim Ba-rytrauma ist die notfallmäßige Primär-versorgung anzustreben.

4. Ein Kompartmentsyndrom verlangt dienotfallmäßige operative Entlastung,beim Polytrauma nach Beendigung dervital notwendigen Eingriffe.

5. Serienverletzung sind in der Sequenz:– Talus– OSG– Kalkaneus– Chopart-Gelenk– Lisfranc-Gelenk– Metatarsalia– Phalangenzu versorgen.

6. Zentrale Talusluxationsfrakturen sollenbeim Barytrauma sofort, beim Polytrau-ma, wenn irgend möglich, nach lebens-erhaltenden Eingriffen rasch der offe-nen Reposition und Schraubenosteo-synthese zugeführt werden.

7. Beim Polytrauma erfordern Kalkaneus-frakturen mit Kompartmentsyndromdie notfallmäßige Kompartmentspal-tung und eine mediale Fixateur-externe-Stabilisation, offene Frakturen das Dé-bridement, evtl Kunsthautdeckung, dieReposition und temporäre Retentionmittels medialem Fixateur externe biszur definitiven Versorgung, beim Bary-trauma die Primärversorgung.

8. Chopart-Luxationsfrakturen entspre-chen wie geschlossene Kalkaneusfrak-turen (g1–g2) eher der Versorgung mitaufgeschobener Dringlichkeit, wenn sienicht offen oder mit Kompartmentsyn-drom assoziiert sind.

9. Lisfranc-Luxationsfrakturen sind häufigmit einem Kompartmentsyndrom asso-ziiert und erfordern oft die notfallmäßi-ge dorsomediane Fasziotomie, offeneReposition und Retention (Spickdrähteoder 3,5-mm-Kortikalisschrauben),Kunsthautdeckung sowie tibiotarsaleTransfixation.

10. Beim Polytrauma dürfen trotz der Prio-ritäten – Versorgung von Körperhöh-len-, Becken- und Wirbelsäulenverlet-

zungen – Fußverletzungen nicht über-sehen werden (Röntgenbild des Fußesexakt seitlich, dorsoplantar und 45°-Schrägaufnahme), da nach Überlebendes Patienten rekonstruktive Spätver-sorgungen oft unbefriedigend bleibenund die Lebensqualität mindern.

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Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001 S229