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Nicht destabilisieren, was noch stabil ist Interview mit Albert Schnyder Mediendienst 13/2014 vom 9. Oktober 2014 http://www.caritas.ch/de/was-wir-sagen/mediendienst/
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Mediendienst 13 9. Oktober 2014
Konkrete Arbeit im fragilen Kontext am Beispiel Südsudan
Nicht destabilisieren, was noch stabil ist Interview mit Albert Schnyder
Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung.
Für Rückfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verfügung.
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Caritas Schweiz, Mediendienst 13, 9. Oktober 2014
Konkrete Arbeit im fragilen Kontext am Beispiel Südsudan
Nicht destabilisieren, was noch stabil ist
In fragilen Kontexten besteht die Gefahr, dass Geldgeber die Entwicklungszusammenarbeit
einstellen und sich nur noch in der Nothilfe engagieren. Albert Schnyder, Leiter des Bereichs
Internationale Zusammenarbeit der Caritas Schweiz, erläutert im Interview, wieso dies eine
falsche Strategie ist. Er kam kürzlich von einer Reise aus dem Südsudan zurück.
Caritas Schweiz thematisiert in einem neuen Positionspapier die erschwerten Bedingungen der Ent-
wicklungszusammenarbeit in fragilen Kontexten. Der Südsudan ist fünf Jahre nach seiner Gründung
in interne kriegerische Auseinandersetzung verstrickt. Inwiefern haben Sie die Situation bei ihrem
Besuch als „fragil“ wahrgenommen?
An der Oberfläche erscheint die Situation im Süden des Landes als nicht fragil. Das zeigte sich zum
Beispiel bei der Einreise: Ich hätte nicht unbedingt erwartet, dass am Flughafen beim Einreiseverfah-
ren systematisch Ebola-Tests durchgeführt werden. Wir konnten reisen und unsere Partnerorganisatio-
nen besuchen. Dieser Eindruck täuscht aber. Im Norden des Südsudans herrschen in weiten Teilen
kriegerische Auseinandersetzungen, das Krisengebiet entlang des Nils ist zudem überschwemmt, dort
herrscht eine akute Hungersnot, von der mehrere Millionen Menschen betroffen sind. Bei näherem
Hinschauen zeigen sich weitere Symptome: Die Regierung delegitimiert sich als Bürgerkriegspartei,
es gibt Korruption. Medienberichte, die das Bild zeichnen, dass im Südsudan alles darniederliege,
kann ich allerdings nicht bestätigen. In Ost-Äquatoria wollen die Bevölkerung und auch die regionale
Regierung keinen Krieg. Die Administration macht in Teilen einen durchaus organisierten Eindruck,
so etwa was das mit internationaler Unterstützung umgesetzte Cholera-Dispositiv anbelangt.
Das Bild, dass fragile Länder insgesamt nicht funktionieren, stimmt also nicht?
In vielen fragilen Ländern funktioniert einiges, wenn auch anders, als wir es gewohnt sind. Der Staat
sollte zum Beispiel die Grundsicherheit garantieren. Wenn er das nicht kann, können Uno-Soldaten,
Rebellen oder manchmal sogar Nichtregierungsorganisationen diese Aufgabe übernehmen. Das wird
von den Leuten möglicherweise geschätzt, kann aber als Dauerzustand in der Regel nicht hingenom-
men werden. Ein typisches Zeichen ist es auch, wenn man im Auto unterwegs sein kann, aber dabei
hoffen muss, nicht in einen Unfall verwickelt zu werden, weil dann ein grosses Risiko für gewaltsame
Übergriffe besteht.
Wie wirkt sich die Fragilität auf die Arbeit der Caritas aus?
Wir müssen natürlich die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen treffen und zum Beispiel zur Vermei-
dung von Überfällen in Konvois fahren. Wir reagieren auf die akuten Notsituationen und unterstützen
intern Vertriebene. Angesichts der akuten Cholera-Gefahr führen wir in unseren Projekten vermehrt
Hygienetrainings durch und informieren über Regeln bei der Betreuung von Erkrankten.
Was bedeutet das für die langfristige Entwicklungszusammenarbeit?
Unsere übrigen Projekte in der langfristigen Entwicklungszusammenarbeit, zum Beispiel im Bereich
Schule oder Wasserversorgung, laufen weiter. Es wird allerdings sehr viel schwieriger, sie zu finanzie-
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Caritas Schweiz, Mediendienst 13, 9. Oktober 2014
ren, weil viele Geldgeber ihre Mittel nun für die Nothilfe im Norden einsetzen. Das ist meines Erach-
tens problematisch. Wenn man in einem fragilen Kontext in den Regionen, die nicht vom Bürgerkrieg
betroffen sind, alle Unterstützung stoppt, trägt man zu Instabilität bei.
Ein Ziel der Caritas Schweiz ist es, beim Aufbau der staatlichen Strukturen Unterstützung zu leisten,
etwa im Schulbereich. Ist das zurzeit noch möglich, und wie nachhaltig sind diese Bemühungen?
Wir führen ein grosses, von der staatlichen britischen Entwicklungsagentur DFID finanziertes Projekt
zur Förderung der Schulintegration von Mädchen durch. Im Januar stand die Weiterführung zur De-
batte, der Entscheid jedoch war, das Programm im ganzen Südsudan weiterzuführen. Während meines
Besuches konnte ich erste Erfolge erkennen. In den geförderten Schulen haben wir junge Mütter ange-
troffen, die den Weg zurück gefunden haben und ihre Ausbildung trotz Kind beenden möchten.
Caritas baut lokale Wasserversorgungen auf: Sind die Infrastrukturen in einem solchen Kontext nicht
gefährdet, in wenigen Jahren unbrauchbar zu sein?
Es gibt drei mögliche Antworten auf diese Frage. Man könnte sich sagen, dass es aussichtslos ist und
sich zurückziehen. Man kann dranbleiben und mit den Mitteln, die vorhanden sind, möglichst viel
erreichen. Dabei ist es wichtig, dass die Leute sich die Projekte zueigen machen, Komitees bilden und
dafür sorgen, dass die Anlagen gut unterhalten werden. Die dritte Möglichkeit wäre es, den Bedarf an
Trinkwasserversorgung für ein bestimmtes Gebiet zusammen mit allen wichtigen Partnern – Staat,
Distrikts- und Gemeindebehörden sowie Zivilgesellschaft – zu erheben und festzulegen, wie dieser im
Rahmen eines mit nationalen und internationalen Partnern geplanten Grossprojekts gedeckt werden
kann. Eine solche Lösung ist in fragilen Kontexten sicher nicht einfach. Daher arbeiten wir mit dem
zweiten Ansatz. Heute verfügen in der Provinz Ikwotos bereits 60 Prozent der Menschen über Zugang
zu sauberem Trinkwasser. Dazu hat Caritas mit beharrlicher Arbeit massgeblich beitragen können.
Was ist wichtig in der Arbeit mit den örtlichen Partnerorganisationen?
Wenn in einem Land 20 Jahre Bürgerkrieg geherrscht hat, sind sich die Leute gewohnt, von der Hand
in den Mund zu leben. Sie pflanzen lieber eine Papayastaude, die in einem Jahr bereits Früchte trägt,
als einen Mangobaum, der erst nach drei Jahren eine erste Ernte ermöglicht. Denn wer garantiert, ob
man dann noch lebt und wer es sein wird, der die Früchte erntet? Wenn wir es schaffen, dass lokale
Partnerorganisationen ihren Planungshorizont verlängern, dann sind wir bereits einen Schritt weiter.
Caritas formuliert in ihrem Positionspapier auch Massnahmen zuhanden der Regierungen in den Ge-
berländern. Was wäre im Südsudan jetzt am Dringendsten nötig?
Länder wie die Schweiz sollten, so weit möglich und finanzierbar, Nothilfe in den Krisengebieten
leisten und zur Friedensstiftung beitragen. Gleichzeitig sollten sie ihr Engagement in den stabilen Re-
gionen aufrechterhalten. Der Südsudan braucht einen Modus, in dem 64 Ethnien in einem geordneten
Rahmen zusammenleben können. Es braucht eine unabhängige Justiz und Polizei. Es darf nicht sein,
dass so viele Verbrechen ungesühnt bleiben. Straflosigkeit ist Gift für eine Gesellschaft. Wir sollten
den jungen Staat dabei unterstützen, ein solches System aufzubauen.
Albert Schnyder, Leiter des Bereichs Internationale Zusammenarbeit, Caritas Schweiz,
E-Mail [email protected], Tel 041 419 23 33