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Heft 1 Fundament unserer Demokratie - der Parlamentarische Rat und das Grundgesetz ADENAUER MACHT SCHULE Didaktische Materialien der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus Modul 2 Konrad Adenauer - Prägungen und Überzeugungen Autor: Jan Hendrik Winter Bad Honnef-Rhöndorf, 1.3.2009

Konrad Adenauer - Pr¤gungen und œberzeugungen - Stiftung

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Heft 1 Fundament unserer Demokratie -

der Parlamentarische Rat und das Grundgesetz

ADENAUER MACHT SCHULE

Didaktische Materialien der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus

Modul 2 Konrad Adenauer -

Prägungen und Überzeugungen

Autor: Jan Hendrik Winter

Bad Honnef-Rhöndorf, 1.3.2009

Modul 2: Konrad Adenauer – Prägungen und Überzeugungen Inhalt Arbeitsmaterialien und Aufgabenstellungen Baustein 1 Vier Epochen deutscher Geschichte – biographische Stationen Konrad Adenauers 1 Bl. Baustein 2 Konrad Adenauer als Kölner Oberbürgermeister 2 Bl. Baustein 3 Konrad Adenauer zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft 2 Bl. Baustein 4 Befreiung und neue Aufgaben im Nachkriegsdeutschland 3 Bl. Baustein 5 Christlicher Demokrat 2 Bl. Baustein 6 Konrad Adenauer als Präsident des Parlamentarischen Rates 3 Bl. Anregungen für die Arbeit mit den Materialien + weiterführende Impulse 1 Bl. Kurzarbeitsblätter 5 Bl. Impressum

Vier Epochen deutscher Geschichte – biographische Stationen Konrad Adenauers M1

Zeittafel zum Leben Konrad Adenauers 1876 Geboren am 5. Januar in Köln als drittes von vier Kindern des Kanzleirat Konrad Adenauer und seiner Frau Helena geb. Scharfenberg

1894 Abitur am Apostelngymnasium in Köln, anschließend Studium der Staatswissenschaften in Freiburg, München und Bonn

1897 Erstes juristisches Staatsexamen

1901 Zweites juristisches Staatsexamen, Assessor in Köln

1904 Heirat mit Emma geb. Weyer; Kinder: Konrad, Max und Ria

1906 Beigeordneter der Stadt Köln (zuständig für Lebensmittelversorgung)

1909 Erster Beigeordneter der Stadt Köln

1916 Tod von Frau Emma Adenauer

1917 Einstimmige Wahl zum Oberbürgermeister von Köln (Wiederwahl 1929); jüngster Oberbürgermeister der drittgrößten deutschen Großstadt

1919 Heirat mit Gussie geb. Zinsser; Kinder: Paul, Lotte, Libet und Georg

1921 Präsident des Preußischen Staatsrats (bis 1933), der zu Gesetzesentwürfen der preußischen Staatsregierung Stellungnahmen abzugeben hatte

1926 Adenauer lehnt Angebot seiner Zentrumspartei für die Nominierung als Reichskanzler aufgrund der fehlenden breiten Reichstagsmehrheit ab

1933 Entlassung als Oberbürgermeister durch die Nationalsozialisten

1933 Zuflucht im Kloster Maria Laach

1934 Wohnsitz in Potsdam, zwischenzeitliche Inhaftnahme im Zuge des „Röhm-Putsches“

1935 Umzug der Familie nach Rhöndorf, gleichzeitig Ausweisung aus dem Regierungsbezirk Köln für ein Jahr (Aufenthalt u.a. in Unkel); in den Folgejahren Kontakte mit NS-Regimegegnern

1944 Am 23. August durch die Gestapo im Rahmen der „Aktion Gewitter“ verhaftet (bis Ende November 1944), seine Frau wurde ebenfalls in Brauweiler inhaftiert

1945 Wiedereinsetzung als Oberbürgermeister von Köln durch die amerikanische Besatzungsmacht; am 6. Oktober von der britischen Besatzung entlassen

1946 Vorsitzender der CDU der britischen Zone; Mitglied des Zonenbeirat; Abgeordneter des Landtages von Nordrhein-Westfalen (Vorsitzender der CDU-Fraktion)

1948 Am 3. März Tod von Frau Gussie Adenauer infolge der früheren Gestapo-Haft

1948 Am 1. September Wahl zum Präsidenten des Parlamentarischen Rat

1949 Am 15. September Wahl zum Bundeskanzler (Wiederwahlen 1949/53/57/61)

1950 Bundesvorsitzender der CDU (bis 1966)

1963 Am 15. Oktober Rücktritt als Bundeskanzler, weitere Tätigkeit als Abgeordneter

1967 Gestorben am 19. April in Rhöndorf im Alter von 91 Jahren

Adenauer macht Schule

Fundament unserer Demokratie – der Parlamentarische Rat und das Grundgesetz Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, Bad Honnef-Rhöndorf

Konrad Adenauer als Kölner Oberbürgermeister (1) M2 M3 M4

Konrad Adenauer äußert sich über seine Tätigkeit als Kölner Oberbürgermeister: Nachdem die ersten Schwierigkeiten, die jede Besetzung [britische Besatzungs-truppen seit 1919] mit sich bringt, überwunden waren, bot sich mir in Köln ein reiches und großes Arbeitsfeld. Der Grüngürtel wurde angelegt. Große Einge-meindungen wurden vorgenommen. Neue Häfen wurden gebaut. Die Kölner Messe wurde geschaffen. Wir schufen das erste Stadion in Deutschland und hatten in Bälde 70.000 Turner und Sportler, übrigens für alle Fälle auch zur Abwehr eines etwaigen Separatistenputsches. Es kam dann das Jahr, in dem die tausend-jährige Zugehörigkeit des Rheinlandes zu Deutschland gefeiert und die unvergess-liche Ausstellung altdeutscher Kunst gezeigt wurde. Es kam die `PRESSA´, die erste internationale Presse-Ausstellung, auf der die ganze Welt vertreten war und die ein bedeutender Erfolg wurde. Ich setzte mich auch besonders für den Wohnungsbau ein, vor allem für den Bau von Eigenheimen mit Gärten. Es war eine der bittersten Erfahrungen meiner Jugend, als wir bei einem Wohnungswechsel bei der neuen Wohnung keinen Garten mehr hatten. Ich wollte das geistige Element in dem lebhaft pulsierenden Leben dieser Stadt durch die Universität stärken und weiterentwickeln. In Köln lebten noch starke Traditionen, so dass an der Wiedererrichtung der Universität die ganze Bürgerschaft freudigen Anteil nahm. Es war eine Zeit, erfüllt von vieler Arbeit, aber auch von viel Erfolg und auch mit viel Ärger. Alles in allem aber eine Zeit großen Aufschwunges für Köln.

„Konrad Adenauer - Aus meinem Leben“, Schallplatte 1961, Electrola.

Adenauer macht Schule Fundament unserer Demokratie – der Parlamentarische Rat und das Grundgesetz

Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, Bad Honnef-Rhöndorf

Adenauer als Reichskanzler nach Berlin? Der Journalist Edgar Stern-Rubarth trifft am 3.7.1928 für einen dreitägigen Aufenthalt in Köln ein und gibt darüber in einer Aktennotiz u.a. wie folgt Auskunft: Gegen Schluss dieser drei Tage hatte ich eine vertrauliche Aussprache mit Adenauer und bot ihm informell, aber mit Wissen Stresemanns, der natürlich die Regierung in Berlin durchaus beherrschte, obwohl er ja nur Außenminister war, bot ihm an, Reichskanzler zu werden. […] Darauf erwiderte er mir sehr ernst. Ich versuche es ungefähr im Wortlaut wiederzugeben: „Ne, wissen Sie, hier in Köln habe ich meine Lebensaufgabe und eine große, mich befriedigende Tätigkeit, und ich weiß, was ich tun und lassen kann. In Berlin den Kanzlerposten zu übernehmen, wäre ich höchstens bereit, wenn ich eine sichere Majorität, also große Koalition, hinter mir hätte, auf die ich mich verlassen könnte. In eine Regierung einzutreten und die Verantwortung für eine Regierung zu übernehmen, die mit einer schwankenden oder überhaupt nicht vorhandenen Mehrheit zu arbeiten hat, bin ich keinesfalls bereit.“

Schulz, Günther (Hrsg.): Konrad Adenauer 1917-1933. Dokumente aus den Kölner Jahren, Köln 2007, S. 363.

Bestand: StBKAH. Konrad Adenauer erläutert im Jahr 1929 den Kölner Grüngürtel.

Konrad Adenauer als Kölner Oberbürgermeister (2) M5

5 10 15 20 25 30 35

Der Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz schreibt über die Zeit Adenauers als Oberbürgermeister, seine Absetzung durch die Nationalsozialisten und die folgenden Jahre: […] Dennoch ist der Kölner Oberbürgermeister Adenauer in den Jahren 1917 bis 1933 doch primär eine lokalpolitische Größe. Wegen der kritischen, exponierten Lage Kölns, das bis 1926 von den Briten besetzt ist, als renommierter kommunalpolitischer Modernisierer, wegen des politischen Gewichts des rheinischen Zentrums und als Vorsitzender des in Berlin domizilierten Preußischen Staatsrats, in dem Sozialdemokraten und Zentrum über lange Jahre zusammenarbeiten, erweckt er allerdings auch auf Reichsebene Aufsehen. Klugerweise lässt er sich nicht auf das Roulette-Spiel einer nach Lage der Dinge wohl nur kurzfristigen Reichskanzlerschaft ein, die zweimal im Gespräch ist, und verbleibt während der ganzen Zeit der Weimarer Republik in seiner Machtbasis Köln. Aber in weiterem Sinn zählt er durchaus schon zur Führungsschicht der Weimarer Staatsparteien – ein wenig vergleichbar mit gewichtigen, schon als Oberbürgermeister mit der gesamtstaatlichen Ebene verbundenen Persönlichkeiten wie später in der Bundesrepublik die Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter und Willy Brandt in Berlin oder der Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel. Auf höchster Ebene bleibt er aber bloß eine politische Hoffnung, nicht mehr, und 1933 wird er davongejagt. Dass er sich nicht wie andere, etwa Oberbürgermeister Goerdeler aus Leipzig, anfangs mit dem NS-Regime zu arrangieren suchte, ehrt ihn. In dem Adenauer, der in den Wochen vor den Märzwahlen 1933 gegen die NSDAP unerschrocken ankämpft, ist bereits der parteipolitische Kämpfer zu erkennen, als der er seit dem Frühjahr 1946 viele erstaunt, die zuvor in ihm nur den ebenso brillanten wie umstrittenen City Manager sahen. Nicht ohne Grund, im Nachhinein muss man sagen: nicht ohne Verdienst gehört er 1933 bis 1937 zu den Verfolgten, auch wenn er weder emigrieren muss noch ins Konzentrationslager gesteckt wird. Da er in diesen für ihn schlimmen Jahren gelernt hat, im Zweifelsfall eher vorsichtig zu sein, und weil er weder vom militärischen Widerstand noch von seinem Leipziger Amtskollegen Goerdeler eine hohe Meinung hat, hält er sich vom Widerstand fern. Natürlich steht er auf Verhaftungslisten für den Fall innerer Unruhen. So wird er nach dem 20. Juli 1944 verhaftet, unternimmt einen rasch gescheiterten Fluchtversuch, verbringt im Herbst 1944 – immerhin schon im Alter von 68 Jahren – als Untersuchungshäftling einige sehr üble Monate im Gefängnis (die Erinnerungen daran verfolgen ihn noch in den Fieberträumen auf dem Sterbelager), wird aber, nicht zuletzt dank einer Intervention seines Sohnes Max, der Offizier bei der Wehrmacht ist, überraschenderweise entlassen und übersteht mit viel Glück die letzte Kriegsphase. Dass er nicht aktiv konspiriert hat, wird ihm später von manchen Konkurrenten, die beim Widerstand dabei waren, hinter vorgehaltener Hand zum Vorwurf gemacht. Doch er hat hinlänglich viel erlitten, auch seelisch, und gehört jetzt zum Kreis jener nicht allzu zahlreichen Weimaraner Politiker, die moralisch zu einer Spitzenposition im nach-nationalsozialistischen Deutschland legitimiert sind. Auch in dieser Hinsicht ist sein Comeback nach 1945 durchaus typisch. Wer vor 1933 eine mehr oder weniger hervorgehobene Rolle im Zentrum, bei den Sozialdemokraten, bei den Liberalen oder auch bei den Kommunisten gespielt und sich danach nicht kompromittiert hat, besitzt gewissermaßen das Eintrittsticket für einen ersten Rang in dem Parteiensystem, das nach 1945 entsteht. Doch nicht jeder gelangt wie Adenauer ganz an die Spitze. […]

Schwarz, Hans-Peter: Anmerkungen zu Adenauer, München 2007, S. 31-33.

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Konrad Adenauer zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft (1) M6 M7 Keine Fahnen für Hitler

Über seine Ablösung als Kölner Oberbürgermeister schreibt Adenauer: Die Nazis hätten mich gern entfernt, ohne viel Aufhebens davon zu machen. Sie sind an mich herangetreten und haben mich gefragt, ob ich nicht freiwillig zurücktreten wolle. […] Ich habe denen damals gesagt, ich denke nicht daran, hier stehe ich und hier bleibe ich. Ich meine, man muss auf seinem Posten bleiben, bis man mit Gewalt entfernt wird, man soll nicht freiwillig gehen. Dann kam folgendes hinzu: Hitler kam nach Köln, an einem Sonntag, und die Nationalsozialisten hatten auf der großen Rheinbrücke überall ihre Fahnen aufgezogen. Ich habe die Polizei ersucht, die Fahnen wieder zu entfernen und habe dabei sagen lassen, wenn die Nationalsozialisten an ihrem Zelt Fahnen hissen wollen, können sie das tun, aber nicht hier an einem städtischen Objekt – und das war die Brücke –, da gibt es das nicht. Bei den Nationalsozialisten in Berlin hat das natürlich sehr eingeschlagen und wurde als ein sehr harter Widerstand gegenüber den Nationalsozialisten gewertet; das sollte es auch sein.

Bestand: StBKAH.

Bestand: StBKAH.

Adenauer findet zwischen Ende April 1933 und Ende April 1934, dann wieder im August/September 1934 im Eifeler Kloster Maria Laach Unterschlupf. Der ihm eng verbundene ehemalige Schulfreund Abt Ildefons Herwegen setzt sich für ihn ein.

M8

Mahnung! Nach der Befreiung Kölns durch die US-Amerikaner im März 1945 hält sich Adenauer in der Stadt auf. Über eine Episode seines Aufenthalts berichtet er in seinen Erinnerungen: Ich bin nach meiner Besprechung mit den amerikanischen Offizieren durch die Stadt gestreift: alles leer, öde zerstört. Ich bin zu der Zentrale der Gestapo gegangen. Ich wollte die Räuberhöhle mir jetzt einmal ansehen. Die Gestapozentrale in Köln war in einem großen Haus am Appellhofplatz untergebracht gewesen. Im ganzen Haus waren von unten bis oben alle Türen offen. Papiere und Akten lagen auf der Erde. Ich ging durch die Räume und landete schließlich in einem Zimmer, das, nach seiner ganzen Einrichtung zu urteilen, wahrscheinlich das Zimmer eines höheren Gestapobeamten gewesen war. Der Mensch ist merkwürdig. Das ganze Haus war doch eine Quelle der Qual gewesen, auch für meine Frau, für mich, für meine Töchter. Aber es kam mir der Gedanke, für mich und meine Angehörigen ein Andenken an dieses Haus mitzunehmen. Auf dem Schreibtisch dieses höheren Gestapobeamten stand ein Tischleuchter aus Bronze, einfach und edel in der Form, so dass ich annahm, die Gestapo habe ihn irgendjemand abgenommen. Ich nahm den Leuchter an mich. Ich sehe ihn jeden Morgen in meiner Wohnung, und er mahnt mich an das, was geschehen ist, an das Leid, an das Unrecht – er mahnt mich!

Adenauer, Konrad: Erinnerungen 1945-1953, Stuttgart 1965, S. 152.

Adenauer macht Schule

Fundament unserer Demokratie – der Parlamentarische Rat und das Grundgesetz Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, Bad Honnef-Rhöndorf

Konrad Adenauer zu Zeiten der NS-Herrschaft (2) M9

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Adenauer im Griff der Gestapo Im August 1944 ging von den Nationalsozialisten eine große Verhaftungswelle aus, der auch ich zum Opfer fiel. An einem Sonntagnachmittag kamen sieben Gestapo-Leute von Bonn, um bei mir eine Hausdurchsuchung vorzunehmen. Sie füllte den Nachmittag und den folgenden Vormittag aus, ohne dass sie etwas fanden. Kurze Zeit darauf wurde ich verhaftet und nach Bonn zum Hause der Gestapo gebracht. Dort fand ich viele Leidensgefährten vor, die mir zum Teil bekannt waren. Wir wurden erst nach Köln und dann in ein Auffanglager der Gestapo auf der rechten Rheinseite im Kölner Messegelände gebracht. In dem Konzentrationslager waren nicht nur Deutsche, sondern auch Belgier und Holländer, insbesondere Russen und Polen. […] Der Kapo des Lagers war ein früherer Gartenarbeiter der Stadt Köln, der in meinem Hausgarten, als ich noch Oberbürgermeister von Köln war, gearbeitet hatte. Er erschrak, als er mich sah, und war erschüttert. Als alter Kommunist hatte er eine achtjährige Zuchthausstrafe verbüßt, um dann ins Konzentrationslager gesteckt zu werden. Er war ein sehr anständiger Mann, der sein Bestes für mich tat. Als ich nach dem Zusammenbruch einen Monat lang Oberbürgermeister von Köln war, habe ich ihn zum Gartenbauinspektor befördert. […] Das alles konnte uns nicht darüber hinweg täuschen, dass wir mit einem Fuß im Grabe standen. […] Eines Tages sagte mir der Kapo, ich sei in größter Gefahr. Er habe eine Mitteilung gelesen, wonach ich in einer der nächsten Nächte von den SS-Leuten abgeholt und „auf der Flucht“ erschossen werden sollte. […] Ich müsse daher fort. […] Der offizielle Lagerarzt war ein Arzt des Städtischen Hospitals in Köln-Deutz. Er wurde gleichfalls ins Vertrauen gezogen und er bescheinigte, dass ich zusammengebrochen sei und ins Hospital müsste. Ich wurde in das Caritas-Krankenhaus in Köln Lindenthal gebracht, dessen Leitung ich gut kannte. Ich wusste allerdings, dass dort meines Bleibens nicht lange sein könnte und beschloss zu fliehen und mich in einer einsamen Mühle im Bergischen [Nistertal im Westwald] zu verbergen. Nach zwei Wochen machte die Gestapo mich aber ausfindig und brachte mich in das Gestapo-Gefängnis in Brauweiler bei Köln. Meine Frau wurde gleichzeitig verhaftet und in die Frauenabteilung desselben Gefängnisses gebracht. Wir beide wussten nichts voneinander. So waren wir beide am Tage unserer silbernen Hochzeit in dem gleichen Gefängnis, ohne voneinander zu wissen. […] Bei der Einlieferung hatte ich meine Personalien beim Leiter des Gefängnisses, einem Gestapo-Kommissar aus Köln, abzugeben. Wir kannten uns aus der Vor-Nazi-Zeit, als er noch ein braver Polizei-Kommissar in Köln war. Er brachte mich in meine Zelle und bat mich, mir nicht das Leben zu nehmen, weil er sonst nur Unannehmlichkeiten und Scherereien hätte. Auf meine Frage, wie er zu dieser Besorgnis käme, meinte er, ich sei immerhin fast 70 Jahre alt, hätte von meiner Zukunft nichts zu erwarten und so läge der Gedanke doch nahe. Ich erwiderte ihm, er könnte ruhig sein. Ich würde es nicht tun. In dem Männer-Gefängnis waren insgesamt ungefähr 60 Männer jeden Alters. In der Zeit, als ich dort war, wurden von ihnen 28 getötet – 27 durch den Strang und einer durch Erschießen. Die Behandlung der Häftlinge war niederträchtig. […] Meine Zelle lag über dem Raum, in dem die Häftlinge geprügelt und sonst wie misshandelt wurden. Die Nächte waren entsetzlich, da man das Stöhnen und Schreien der gequälten Menschen hörte, ohne ihnen helfen zu können. Inzwischen waren die Alliierten weiter nach Westen vorgedrungen und standen an der Erft, einem Flüsschen, etwa 15 bis 20 km von Brauweiler entfernt. Dort machten sie Halt, um ihren Nachschub zu ordnen und auch, weil sie noch mit stärkerem Widerstand in der Gegend von Köln rechneten. Uns wurde von dem Leiter des Gefängnisses mitgeteilt, dass wir, sobald die Amerikaner die Erft überschritten, an die Wand gestellt und erschossen werden würden. Wir hatten also alle Interesse daran, dass die Amerikaner nicht zu schnell kamen. […] Ich hörte dann lange nichts mehr über die Gründe meiner eigenen Verhaftung. Ich bat daher meinen zweitältesten Sohn, der als Offizier der Wehrmacht eher Zutritt zu nationalsozialistischen Stellen hatte, in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin bei der Gestapo-Zentrale festzustellen, wie es um meine Sache stünde. Er ging nach Berlin und stellte dort fest, dass meine Akten bei einem Fliegerangriff in einen Panzerschrank im Keller gebracht und dann vergessen worden waren. Offenbar war das Interesse der Gestapo an mir und den Vorgängen, die zu dieser Verhaftungswelle im August geführt hatten, erloschen. Die Beamten der Prinz-Albrecht-Straße versprachen meinem Sohn, die Akten dem Leiter des Ganzen sofort vorzulegen, der wahrscheinlich meine sofortige Entlassung verfügen werde. So kam es [am 26. November 1944] auch.

Persönliche Aufzeichnungen, Bestand: StBKAH I/05.01, Bl. 21-27.

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Fundament unserer Demokratie – der Parlamentarische Rat und das Grundgesetz Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, Bad Honnef-Rhöndorf

Befreiung und neue Aufgaben im Nachkriegsdeutschland (1) M10

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„Begegnungen“ mit den Siegern und Befreiern Es war an einem Sonntagmorgen, als ich die erste direkte Bekanntschaft mit den amerikanischen Truppen machte. Ich war sehr unklugerweise in meinen Garten gegangen, um von dessen höchsten Punkte aus die Bewegungen der Amerikaner, die sich auf der linken Rheinseite befanden, zu beobachten. Plötzlich sah ich in einer Entfernung von etwa 300 Metern – ich konnte dort alle Entfernungen gut schätzen, da ich mit der Örtlichkeit gut vertraut war – eine Granate auf mich zufliegen. Ich warf mich sofort zu Boden. Wir wussten aus Erfahrung, dass die Amerikaner in der Regel drei Granaten nach demselben Ziel schossen; so wartete ich die beiden folgenden Granaten ab. Die erste Granate - es war die, die ich gesehen hatte – schlug 12 Meter von mir entfernt ein. Wie alle amerikanischen Granaten war sie hoch brisant, ihre Splitter gingen über mich hinweg. Die zweite Granate schlug 7 Meter, die dritte schließlich 5 Meter unterhalb von mir ein. Danach rannte ich ins Haus zurück. Abgesehen davon, dass mein Gehör noch längere Zeit erheblich beeinträchtigt blieb, war mir nichts geschehen. Übrigens zeigten sich die amerikanischen Truppen im weiteren Verlauf sehr viel umgänglicher als bei dieser ersten Begegnung. […] Acht Tage hatten wir in unserem Keller verbracht. Dann rückten die Amerikaner in Rhöndorf ein, die Beschießungen hörten auf. Die deutschen Truppen, die im Wald hinter meinem Haus in Schützengräben lagen, zogen sich zurück. Die Anordnungen der Amerikaner waren zwar hart und drückend, aber für uns war der Kampf, der Krieg und der Nationalsozialismus vorbei, und das tröstete über manches hinweg. Auf der Rheinuferstraße rollten die amerikanischen Panzer, eine riesige Kolonne, in Richtung Köln. […] Nach einigen Tagen suchte mich ein amerikanischer Offizier, ein deutscher jüdischer Emigrant, der meinen Namen kannte, auf, um zu sehen, ob ich noch am Leben sei. Wenige Tage darauf kamen amerikanische Offiziere, die mich aufforderten, nach Köln zu dem dortigen Kommandanten zu kommen und die Verwaltung der Stadt zu übernehmen. Ein offener Jeep brachte meine Frau und mich nach Köln. Die Eindrücke, die ich während dieser Fahrt gewann, waren grauenhaft. Wir fuhren mit einer Fähre in der Nähe von Unkel über den Rhein, dann durch verschiedene Orte über Bonn nach Köln. Überall zerschossene Häuser, überall die Spuren des Kampfes. Der Anblick von Köln erschütterte mich zutiefst. Die Stadt, in der vor dem Kriege 760.000 Menschen lebten, hatte in ihrem linksrheinischen Teil jetzt etwa, wie eine spätere Zählung ergab, 32.000 Einwohner. Die rechte Rheinseite war noch von deutschen Truppen besetzt. Es wurde zwar nicht mehr heiß gekämpft, aber immer noch hin- und hergeschossen. […] Der amerikanische Kommandant von Köln, Lt. Col. R. L. Hyles, der mich zu sich gebeten hatte, forderte mich auf, wieder Oberbürgermeister von Köln zu werden. Ich bat, davon abzusehen, mich wieder zum Oberbürgermeister zu machen. Ich hatte drei Söhne an der deutschen Front; sie würden sicher von den Nazis erschossen werden, wenn bekannt würde, dass ich von den Amerikanern zum Oberbürgermeister von Köln ernannt sei; ich sei aber bereit, nach besten Kräften zu helfen. Der Kommandant erkannte meine Gründe als berechtigt an. Ich erhielt zunächst den Status eines Beraters und wurde von den Amerikanern erst nach Beendigung der Kampfhandlungen in Deutschland zum Oberbürgermeister von Köln ernannt. Die Amerikaner, mit denen ich zu tun hatte, waren durchweg kluge und vernünftige Männer. Wir standen bald gut miteinander. […]

Adenauer, Konrad: Erinnerungen 1945-1953, Stuttgart 1965, S. 18.

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Befreiung und neue Aufgaben im Nachkriegsdeutschland (2)

M11

”His name is Number One of the White List“

In dem nachfolgenden Schreiben äußert sich der US-amerikanische Colonel Patterson über den wieder eingesetzten Oberbürgermeister von Köln, der auch auf der Liste unbelasteter oder von NS-Stellen verfolgter Personen gestanden hatte: Military Government Detachment EIH 2 8. May 1945 Cologne

Colonel Geary XXII Corps APO 250, U.S. Army

Dear Colonel Geary: This is to introduce you to Dr. Konrad Adenauer, Oberbürgermeister of the City of Cologne, who will furnish you with any information or advice which you might desire of him with regard to the holiday on the 10th of May 1945. Dr. Adenauer was Oberbürgermeister of the City of Cologne from 1919 [sic] to 1933, when he was removed from office and severely persecuted by the Nazis. Dr. Adenauer`s reputation extends far beyond the Cologne Area; his name is Number One of the White List for Germany. Before his recent appointment to his old office, Dr. Adenauer acted as Special Advisor to the writer for civilian affairs for the City and the Regierungsbezirk of Cologne. The writer has a very high regard for Dr. Adenauer´s integrity and for the selfless and democratic ideals which he incorporates in his person and his work. Sincerely (sgd.) Patterson Lt. Col. CAG abgedr. in: Adenauer, Konrad: Erinnerungen 1945-1953, Stuttgart 1965, S. 23.

M12

Adenauer, Konrad: Erinnerungen 1945-1953, Stuttgart 1965, S. 26ff.

Ein weiteres Mal – Ausweisung aus Amt und Stadt Am 6. Oktober 1945 wurde Konrad Adenauer von dem Militärgouverneur der Nord-Rheinprovinz, Brigadier Barraclough, aus seinem Amt wegen angeblicher Dienstversäumnisse entlassen. Zu den Hintergründen seiner Entlassung und des Verbots eines weiteren politischen Engagements, das schon im Dezember desselben Jahres wieder aufgehoben wurde, führt er in seinen Erinnerungen aus: Mein Verhältnis zu den amerikanischen Besatzungsoffizieren war, wie ich ausgeführt habe, sehr gut. Die Dinge änderten sich, als die Amerikaner nach einiger Zeit – und zwar am 21. Juni 1945 – Köln verließen und britische Truppen an ihre Stelle traten. Mit den maßgebenden britischen Offizieren geriet ich bald in Konflikt. Die Bevölkerung wurde nach meiner Meinung von den Engländern schlecht behandelt. Mir gegenüber nahm man eine sehr ablehnende Haltung ein. […] Ende September 1945 kam es zu einem harten Konflikt zwischen den Engländern und mir. Die britische Militärregierung verlangte von mir, die Bäume in den Grünanlagen und Ringstraßen Kölns zu fällen, um das Holz der Bevölkerung als Brennstoff zu geben. Ich hatte, als ich vor 1933 Oberbürgermeister der Stadt Köln war, rings um das Kölner Stadtgebiet einen über 20 Kilometer langen und etwa 1 Kilometer breiten Grüngürtel angelegt. Dieser Grüngürtel war in meinen Augen für die Gesundheit der Bevölkerung Kölns außerordentlich wichtig. […] Die Brennstoffnot wäre auf keinen Fall auch nur annähernd beseitigt worden. […] Ich lehnte die Abholzung der Grünanlagen ab und verlangte von den britischen Behörden, beschlagnahmte Kohlenvorräte für die Bevölkerung freizugeben. […] Als ich von der englischen Besatzung abgesetzt, mir jede politische Betätigung unter Androhung eines militärgerichtlichen Verfahrens verboten und ich aus Köln ausgewiesen war, mieden mich aus Furcht vor der Besatzungsmacht meine Freunde. Als ich Köln verließ, sagte niemand Lebewohl. Es war eine Atmosphäre um mich, sehr ähnlich derjenigen, die mich umgab, als die Nationalsozialisten mich verjagt hatten.

Adenauer macht Schule

Fundament unserer Demokratie – der Parlamentarische Rat und das Grundgesetz Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, Bad Honnef-Rhöndorf

Befreiung und neue Aufgaben im Nachkriegsdeutschland (3) M13

Adenauer im „SPIEGEL“ „Der Spiegel“ portraitiert in seiner Ausgabe vom 16. Okt. 1948 den vor wenigen Wochen zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates gewählten Adenauer unter der Überschrift „Es gibt nur einen Adenauer“: Als die vorrückenden Amerikaner das linke Rheinufer bei Bonn erreichten, feuerten sie drei Granaten auf einen Mann ab, der die beste Aussicht hat, Staatspräsident des neuen amerikanisch inspirierten westdeutschen Staates zu werden: auf Konrad Adenauer, unter dessen Präsidentschaft in der verfassungsgebenden Ratsversammlung diese die ersten Konturen des neuen Staatsgerüstes sichtbar wurden. […] Nun hat der Zonenvorsitzende der britischen CDU sein Präsidentenbüro im parlamentarischen Gebäude zu Bonn. Sein eigentliches Büro hat er in seinem zweistöckigen gelben Landhaus am Fuße des zahnradbahn- und eselsrittumwobenen Drachenfels mit dem Blick auf den dunstigen Rhein am Rolandseck und auf die Jungfrauen-Internats-Insel Nonnenwerth. Ein Gebetsstuhl trägt die Aufschrift „Maria Laach 1933-34“. Dorthin zog sich Adenauer einige Jahre zurück, als die Nationalsozialisten ihn, den prominenten Zentrumsmann, den Reichskanzler-Kandidaten von 1926, den Präsidenten des Preußischen Staatsrats, „einen der drei mächtigsten Männer Preußens“, von seinem Posten als Kölner Oberbürgermeister verbannten. […] Adenauer wurde in einer Zeit groß, in der das Geld noch Geld war. Sein Vater, wie die Mutter Rheinländer, musste sich mit 12 Jahren schon sein Brot selbst verdienen. Der junge Konrad hatte eine Schwester und zwei Brüder, von denen der eine als Domkapitular in Köln verstorben ist, während der andere dort heute noch als Rechtsanwalt und Honorarprofessor wirkt. Alle drei gaben Privatunterricht und lieferten das Geld zu Hause ab. […] Der Vater wollte den armen Konrad zum Banklehrling avancieren lassen. Der Sohn aber war so sichtbar unglücklich, dass man ihn doch Jura und Volkswirtschaft studieren ließ. In Berlin machte er seinen Assessor. […] 1910 [sic] wurde er Vertreter des Kölner Oberbürgermeisters […]. Er war für die Verpflegung verantwortlich. 1915, zu Beginn des Weltkriegs warnte er vor der Nahrungsmittelnot. Man verlachte ihn. 1916 starb seine erste Frau, von der er drei Kinder hatte. 1917 schlief sein Chauffeur am hellen Tage ein und fuhr gegen eine Straßenbahn. Adenauer wurde schwer verletzt, die Nase und das ganze Gesicht wurden eingedrückt […]. Die Kölner Bürgerschaft schickte eine Abordnung nach St. Blasien, um taktvoll zu erkunden, ob ihr „Zweiter“ noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte sei. 1917 wurde er der „Erste“. Er war es bis 1933 und wurde, mit den Worten seines engsten Mitarbeiters und SPD-Oberverwaltungsdirektors Hummes, „der bedeutendste unter den drei großen preußischen Oberbürgermeistern der Zeit vor 33“: Adenauer, Jarres (Essen) und Luther (Duisburg). […] Damals war ein Oberbürgermeister eine Macht. Das Schwergewicht lag manchmal noch bei den Städten. „Wenn ich so im Kölner Rathaus saß“, sagt Adenauer, „dann dachte ich bei mir: das Römerreich ist zerfallen, das deutsche Kaiserreich ist zerfallen, das Reich Wilhelms ist zerfallen, aber diese alte Stadt Köln hat alles überdauert, und es lohnt sich, für diese Stadt all seine Kräfte einzusetzen. […] Der 72jährige grübelt heute noch über die Macht des Bösen in der Welt. Im Gestapogefängnis Brauweiler hat er acht Wochen lang nicht schlafen können, so sehr schrien die Gestapo-Offiziere in der darüber liegenden Folterkammer. „Wie können diese Leute so grausam sein“, dachte Adenauer damals bei sich, „die doch zu deiner Oberbürgermeisterzeit als brave Polizeibeamte und Bürger ihren Dienst getan haben!“ Er fand keine Antwort. Adenauer war acht Wochen in Brauweiler, nach dem 20. Juli. Am Tage seiner silbernen Hochzeit wurden er und seine Frau eingeliefert, ohne voneinander zu wissen. […] Ein Bummel im Garten ist oft seine einzige Erholung. Morgens um 5 steht er auf, wäscht sich auch im Winter kalt und rasiert sich selbst. Bei Kaffee und einem elektrischen Öfchen arbeitet er bis halb zehn, dann kommt Schumacher und holt ihn ab. „Nicht der Politiker, sondern der Chauffeur meines Vaters“, erklärt Paul. „Es gibt nur einen Adenauer“, sagt Schumacher, der ihn schon mehrmals zu Bruch gefahren hat. […] Sogenannte Leidenschaften hat er nicht. Er raucht nicht und trinkt nicht. „Die Deutschen rauchen mir zuviel, das ist ihr einziger Fehler“, sagt er oft zu den vier Kindern aus zweiter Ehe, die mit ihm in Rhöndorf wohnen. Dafür mag er Schokolade für sein Leben gern. […] Der Präsident, vorläufige höchste Staatsperson über 47 Millionen Westdeutsche, ist ein Mann ohne Zeit. Aber er ist ein vorzüglicher Erzähler. So kann es selbst ihm passieren, dass ein Gespräch, für das 30 Minuten angesetzt waren, drei Stunden dauert.

„DER SPIEGEL“ v. 16.10.1948, S. 5ff.

Adenauer macht Schule Fundament unserer Demokratie – der Parlamentarische Rat und das Grundgesetz

Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, Bad Honnef-Rhöndorf

5 10 15 20 25 30 35 40 45

Christlicher Demokrat (1) M14

Parteifunktionen und Mandate Konrad Adenauers seit 1946:

Februar 1946: Vorsitzender der CDU des Rheinlandes

März 1946: Vorsitzender der CDU der britischen Zone

Oktober 1946: Mitglied des von der britischen Militärregierung ernannten und des im April 1947 gewählten Landtages von Nordrhein-Westfalen; Vorsitzender der CDU-Fraktion

Seit 1946: Mitglied im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft von CDU und CSU

M15

5 10 15 20 25

Konrad Adenauer hält am 24. März 1946 eine Rede in der Aula der Kölner Universität und äußert sich u.a. zu den Zielen der neu gegründeten CDU: Die[se] Auffassung von der Vormacht, von der Allmacht des Staates, von seinem Vorrang vor der Würde und der Freiheit des einzelnen widerspricht dem christlichen Naturrecht. Wir wollen die Grundsätze des christlichen Naturrechtes wiederherstellen. Nach der dem Programm der CDU zugrunde liegenden Auffassung ist die Person dem Dasein und dem Range nach vor dem Staat. An ihrer Würde, Freiheit und Selbständigkeit findet die Macht des Staates sowohl ihre Grenze als ihre Orientierung. Freiheit der Person ist nicht Schrankenlosigkeit und Willkür, sie verpflichtet jeden beim Gebrauche seiner Freiheit, immer eingedenk zu sein der Verantwortung, die jeder einzelne für seine Mitmenschen und für das ganze Volk trägt. Der Fundamentalsatz des Programms der CDU, der Satz, von dem alle Forderungen unseres Programms ausgehen, ist ein Kerngedanke der christlichen Ethik: die menschliche Person hat eine einzigartige Würde, und der Wert jedes einzelnen Menschen ist unersetzlich. Aus diesem Satz ergibt sich eine Staats-, Wirtschafts- und Kulturauffassung, die neu ist gegenüber der in Deutschland seit langem üblichen. Nach dieser Auffassung ist weder der Staat, noch die Wirtschaft, noch die Kultur Selbstzweck; sie haben eine dienende Funktion gegenüber der Person. Die materialistische Weltanschauung macht den Menschen unpersönlich, zu einem kleinen Maschinenteil in einer ungeheuren Maschine, sie lehnen wir mit der größten Entschiedenheit ab. Sinn des Staates ist es, die schaffenden Kräfte des Volkes zu wecken, zusammenzuführen, zu pflegen und zu schützen. Das ganze Volk soll zu Verantwortungsbewusstsein und zu Selbständigkeit erzogen werden. Der Staat soll sein eine auf Recht und Freiheit ruhende Schicksalsgemeinschaft verantwortlicher Personen, die die verschiedenen Interessen, Weltanschauungen und Meinungen zusammenfasst. Wir wollen Erziehung, aber nicht zu der Bereitwilligkeit, sich kontrollieren und führen zu lassen, sondern zu dem Willen und der Fähigkeit, sich als freier Mensch verantwortungsbewusst in das Ganze einzuordnen. Diese Erziehung soll in christlichem und demokratischem Geiste geschehen, und sie soll insbesondere allen jüngeren Menschen den Zugang in ihnen bisher verschlossene, jedoch allgemein gültige menschliche Überzeugungen und Haltungen öffnen. […]

Schwarz, Hans-Peter (Hrsg.): Konrad Adenauer. Reden 1917-1967, Stuttgart 1975, S. 82ff.

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Christlicher Demokrat (2)

M16

5 10 15 20 25 30 35 40 45

Konrad Adenauer am 24. März 1946 in einer Rede in der Aula der Kölner Universität: Ich habe mich seit 1933 oft geschämt, ein Deutscher zu sein, in tiefster Seele geschämt: vielleicht wusste ich mehr als manche andere von den Schandtaten, die von Deutschen an Deutschen begangen wurden, von den Verbrechen, die an der Menschheit geplant wurden. […] Was sind die tiefsten Gründe dafür, dass wir schließlich in einen solchen Abgrund gestürzt sind? Auf die Einzelheiten kommt es bei einer solchen Untersuchung nicht an; sie sind auch vielfach noch nicht klar gestellt, aber die tieferen, die wirkenden Ursachen dieser Katastrophe liegen klar zutage. Sie reichen weit zurück vor das Jahr 1933. Der Nationalsozialismus hat uns unmittelbar in die Katastrophe hineingeführt. Das ist richtig. Aber der Nationalsozialismus hätte in Deutschland nicht zur Macht kommen können, wenn er nicht in breiten Schichten der Bevölkerung vorbereitetes Land für seine Giftsaat gefunden hätte. […] Das deutsche Volk krankt seit vielen Jahrzehnten in allen seinen Schichten an einer falschen Auffassung vom Staat, von der Macht, von der Stellung der Einzelperson. Es hat den Staat zum Götzen gemacht und auf den Altar erhoben. Die Einzelperson, ihre Würde und ihren Wert hat es diesem Götzen geopfert. Die Überzeugung von der Staatsomnipotenz, von dem Vorrang des Staates und der im Staat gesammelten Macht vor allen anderen, den dauernden, den ewigen Gütern der Menschheit, ist in zwei Schüben in Deutschland zur Herrschaft gelangt. Zunächst breitete sich diese Überzeugung von Preußen ausgehend nach den Freiheitskriegen aus. Dann eroberte sie nach dem siegreichen Krieg von 1870/71 ganz Deutschland. Der Staat wurde durch den von Herder und den Romantikern aufgedeckten Volksgeist, vor allem durch Hegels Auffassung vom Staat als der verkörperten Vernunft und Sittlichkeit, in dem Bewusstsein des Volkes zu einem fast göttlichen Wesen. Mit der Überhöhung des Staates war zwangsläufig verbunden ein Absinken in der Bewertung der Einzelperson. Macht ist mit dem Wesen des Staates untrennbar verbunden. Die Einrichtung, in der sich staatliche Macht am sinnfälligsten und eindruckvollsten äußert, ist das Heer. So wurde der Militarismus zum beherrschenden Faktor im Denken und Fühlen breitester Volksschichten. Nach der Gründung des Kaiserreichs unter preußischer Vorherrschaft wandelte sich der Staat aus seinem ursprünglich lebendig gefügten Wesen mehr und mehr in eine souveräne Maschine. Die großen äußeren Erfolge, die, wenn auch historisch gesehen nur für kurze Zeit dem Bismarckschen Reich, seiner Auffassung vom Staat und der Macht beschieden waren, die schnell zunehmende Industrialisierung, die Zusammenballung großer Menschenmassen in den Städten und die damit verbundene Entwurzelung der Menschen machten den Weg frei für das verheerende Umsichgreifen der materialistischen Weltanschauung im deutschen Volk. […] Wir wollen, dass Deutschland neu ersteht. Wir wollen nicht das Bismarcksche Reich unter preußischer Führung. Wir wollen nicht das zentralistische Deutschland des Nationalsozialismus, wir wollen nicht den deutschen Staatenbund […]. Wir wollen, dass ein Bundesstaat geschaffen wird, ein Bundesstaat, dessen Zentralgewalt alles das bekommt, was zum Bestehen des Ganzen vernünftigerweise nötig ist, aber auch nicht mehr als das. Wir wollen, dass die einzelnen Länder dieses Bundesstaates weitgehend eigene Verantwortung tragen auf allen Gebieten, in denen eine zentrale Verwaltung nach dem oben Gesagten nicht nötig ist. Das ganze Deutschland, sowohl die Zentralverwaltungen wie auch die Länderverwaltungen, soll möglichst dezentralisiert werden. Es sollen von den Gemeinden her die Menschen erfasst und zur Beteiligung an den öffentlichen Angelegenheiten aufgerufen werden. Die Gemeinde ist für uns die Keimzelle jedes staatlichen Lebens. In ihr üben sich die politischen Kräfte, und durch sie erst erhält der Bürger das konkrete Staatsgefühl. […] Die Vereinigten Staaten von Europa sind die beste, sicherste und dauerhafteste Sicherung der westlichen Nachbarn Deutschlands. […] Der Militarismus ist tot, wirtschaftliche Befriedigung und Beruhigung Deutschlands, Unterstützung des Prinzips der Demokratie und der Völkerverständigung in Deutschland, Verflechtung der wirtschaftlichen Interessen Deutschlands und seiner westlichen Nachbarn einschließlich derjenigen Englands [sind notwendig].

Schwarz, Hans-Peter (Hrsg.): Konrad Adenauer. Reden 1917-1967, Stuttgart 1975, S. 82ff.

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Konrad Adenauer als Präsident des Parlamentarischen Rates (1) M17 M18

Konrad Adenauer schreibt in einem Brief

Titelblatt „DER SPIEGEL“ v. 16.10.1948.

an Prof. Dr. Walther Fischer (CDU-Landesvorstandsmitglied in Hamburg) am 24.9.1948: Ich hatte mich zuerst entschlossen, unter keinen Umständen die Leitung des Parlamentarischen Rates zu übernehmen. Ich habe mich erst dazu verstanden auf dringende Bitten maßgebender Parteimitglieder, die mir erklärten, da bis auf weiteres der Präsident des Parlamentarischen Rates der alleinige Vertreter des deutschen Volkes gegenüber den Alliierten sei, dürfe ich nicht ablehnen. Ich betrachte es im übrigen als meine Aufgabe, mich aus der parteipolitischen Diskussion im Parlamentarischen Rat möglichst zurückzuhalten und im geeigneten Augenblick den Versuch zu machen, eine Einigung aller Fraktionen, mit Ausnahme der Kommunisten, herbeizu-führen.

Bestand: StBKAH 07.18.

M20 Konrad Adenauer stand an erster Stelle auf der CDU-Vorschlagsliste des nordrhein-westfälischen Landtages für die zukünftigen Vertreter des Parlamentarischen Rates. Er wurde am 1. September 1948 zum Präsidenten des Rates gewählt und war mit seinen 72 Lebensjahren der zweitälteste Abgeordnete.

Adenauer führt hierzu rückblickend aus:

Es war vor allem Karl Arnold, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, der mich bat, in den Parlamentarischen Rat zu gehen. Ich gab ihm erst auf sein starkes Drängen hin nach. Ich hatte beabsichtigt, meine politische Tätigkeit auf das Land Nordrhein-Westfalen zu beschränken und sie damit abzuschließen. […] Bei meiner Wahl zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates war maßgebend gewesen, dass ich in den Jahren 1920 bis 1933 Präsident des Preußischen Staatsrates, eines kleineren Parlaments, gewesen war und daher Erfahrungen in der Leitung einer solchen Körperschaft besaß. Ein weiterer Grund bestand darin, dass ich Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Parlamentarischen Rat war, die in gleicher Stärke vertreten war wie die SPD.

Adenauer, Konrad: Erinnerungen 1945-1953, Stuttgart 1965, S. 152.

M19

Bestand: StBKAH, Z-Au/B 14.

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Konrad Adenauer als Präsident des Parlamentarischen Rates (2)

M21

Der Historiker Rudolf Morsey schreibt zur Wahl Adenauers zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates: Die erste politische Weichenstellung, die der Rat am 1. September 1948 – unmittelbar nach seiner

feierlichen Eröffnung im Naturkundlichen Museum Koenig in Bonn – in seiner Arbeitsstätte, der Pädagogischen Akademie, traf, war die Wahl seines Präsidenten und seiner Stellvertreter, am 8. September 1948 dann die des Vorsitzenden des Hauptausschusses. Zum Präsident wurde, auf Grund einer interfraktionellen Absprache, Adenauer gewählt, zum Vorsitzenden des Hauptausschusses der Tübinger SPD-Politiker Carlo (damals noch Karl) Schmid. Adenauer war mit seinen 72 Jahren – nach dem Abgeordneten Adolph Schönfelder (Jahrgang 1875) – der zweitälteste Abgeordnete unter den 65 Delegierten (plus fünf nichtstimmberechtigte Berliner) und das bekannteste Mitglied der Weimarer Politikergeneration. Er gehörte ferner einer der beiden großen, mit je 27 stimmberechtigten Abgeordneten gleich starken Fraktionen der CDU/CSU bzw. SPD an.

5 10 Angesichts seiner früheren Tätigkeit als Oberbürgermeister von Köln (1917-1933) – in dieser Eigenschaft

leitete er auch die mehr als 90köpfige Kölner Stadtverordnetenversammlung – und als Präsident des Preußischen Staatsrats (1921-1933) sowie als Vorsitzender der CDU-Fraktion des Landtags von Nordrhein-Westfalen (seit 1946) gab es keinen anderen Abgeordneten mit annähernd vergleichbarer Erfahrung in der Leitung parlamentarischer Gremien. Hinzu kam, dass Adenauer Vorsitzender der CDU des (nördlichen) Rheinlands und der britischen Zone war, ferner Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Landesvorsitzenden der CDU und CSU.

15 Seine herausragenden parteipolitischen Funktionen mussten jedoch eher gegen seine Wahl zum

Präsidenten des Parlamentarischen Rats sprechen. Deswegen kam es entscheidend auf die Stimmabgabe der SPD an. Der Präsident des Wirtschaftsrats in Frankfurt, der führende hessische CDU-Politiker Erich Köhler, war noch am 20. August 1948 davon ausgegangen, dass das Ziel seiner Partei, im Parlamentarischen Rat den Präsidenten zu stellen, nur in einer Koalition gegen die SPD zu erreichen sein werde. Für das Votum der sozialdemokratischen Abgeordneten zugunsten Adenauers waren zwei Gründe ausschlaggebend. Zum einen schien das Alter ihres bedeutendsten politischen Kontrahenten Sicherheit dafür zu bieten, dass sie mit ihm bei der künftigen Besetzung von Regierungsämtern nicht mehr rechnen müssten. Zum anderen galt angesichts des zahlenmäßigen Gleichgewichts mit der Unionsfraktion – das allerdings durch das Hinzutreten von drei der insgesamt fünf Berliner Abgeordneten, wenn auch ohne Stimmrecht, zugunsten der Sozialdemokratie verschoben war – und der dem Parlamentarischen Rat übertragenen Aufgabe der Verfassungsschöpfung ein anderes Amt als politisch erstrebenswerter, nämlich der Vorsitz im Hauptausschuss, dem eigentlichen Arbeitsgremium. Für diesen Posten stand ein geeigneter Kandidat bereit: Carlo Schmid, Justizminister von Württemberg-Hohenzollern. Vermutlich glaubten nicht wenige Sozialdemokraten, Adenauer auf dem „Ehrenplatz“ des Präsidenten auf elegante Weise kaltgestellt zu haben. Bei vielen Sozialdemokraten, die den „alten Fuchs“ – wie „Der Spiegel“ am 4. September 1948 formulierte – zum ersten Mal erlebten, bestand die Vorstellung, dass ihm alles zuzutrauen sei.

20 25 30 35 Die klare Ämterteilung zwischen den beiden großen Fraktionen setzte auf der anderen Seite voraus, dass

die Abgeordneten der Unionsfraktion, die Adenauer zu ihrem Vorsitzenden gewählt hatten, ihrerseits das Amt des Präsidenten für erstrebenswert hielten. Bei ihnen spielte die Überlegung eine Rolle, Adenauer nicht nur einen „ehrenvollen Abschied“ aus dem politischen Leben vor einem „honorigen Wechsel in das Rentnerdasein“ verschaffen zu können – so Franz Josef Strauß später in seinen Memoiren –, sondern ihn mit dem neuen Amt zugleich von der Detailarbeit am Grundgesetz fernhalten bzw. davon entlasten zu können. Er galt nicht als ein Mann staatstheoretischer und verfassungsrechtlicher Erörterungen. Der bayerische Staatsminister Anton Pfeiffer (CSU) soll bei seinen Kollegen von der SPD so für Adenauer eingetreten sein: „Wir haben da so einen alten, etwas eigenwilligen Mann aus Köln. Für repräsentative Zwecke ist er recht gut geeignet, für die praktische Mitwirkung weniger.“

40 45 Welche dieser Überlegungen innerhalb der beiden großen Fraktionen auch immer den Ausschlag gegeben

hat, das Ergebnis kam ungewollt den Intentionen Adenauers entgegen. Allerdings unterlag er sogleich mit seinem Vorschlag, den Koblenzer Staatsminister Adolf Süsterhenn zum Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion zu wählen. Dieses Amt erhielt Anton Pfeiffer, der Chef der bayerischen Staatskanzlei. Er nominierte dann in der ersten Sitzung des Plenums am 1. September 1948 namens seiner Fraktion Adenauer als Kandidaten für das Amt des Ratspräsidenten. Dessen Wahl erfolgte, entsprechend einer vorausgegangenen interfraktionellen Absprache, einstimmig durch Akklamation, bei Stimmenthaltung der beiden KPD-Vertreter.

50 Vermutlich hat Adenauer seine Wahl in Rechnung gestellt und vielleicht auch mit vorbereitet, falls das

überhaupt notwendig gewesen sein sollte. Am 24. September 1948 teilte er einem Hamburger CDU-Mitglied mit, dass er zuerst entschlossen gewesen sei, „unter keinen Umständen die Leitung des Parlamentarischen Rates zu übernehmen“. Dazu habe er sich erst „verstanden auf dringende Bitten maßgebender Parteimitglieder, die mir erklärten, dass bis auf weiteres der Präsident des Parlamentarischen Rates der alleinige Vertreter des deutschen Volkes gegenüber den Alliierten sei, dürfe ich nicht ablehnen“. Ob es wirklich einer solchen „Erklärung“ von dritter Seite bedurfte? Adenauer hatte seit Anfang 1946 in allen politisch relevanten Gremien der CDU, denen er angehörte, jeweils den Vorsitz erstrebt und erreicht.

55

Morsey, Rudolf: Die Rolle Konrad Adenauers im Parlamentarischen Rat 1948/49 (Rhöndorfer Hefte. Publikationen zur Zeitgeschichte. Heft 5), Bad Honnef 1998, S. 12-14.

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Konrad Adenauer als Präsident des Parlamentarischen Rates (3)

M22 Konrad Adenauer blickt in seinen Erinnerungen auf seine Tätigkeit als Präsident zurück:

Als Präsident des Parlamentarischen Rates hatte ich vor allem die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass seine Arbeit zu einem positiven Ergebnis führte. Man setzte uns von Seiten der Militärgouverneure, aber auch von Seiten der Ministerpräsidenten unter großen Zeitdruck. Eine übermäßige Beschleunigung der Arbeit des Parlamentarischen Rates war im Hinblick auf die große Zahl von schwierigen Fragen, die beim Grundgesetz und beim Wahlgesetz zu behandeln waren, unmöglich.

5

Bestand: StBKAH; © Bundesbildstelle.

Konrad Adenauer im Gespräch mit dem SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher - kein Mitglied des Parl. Rates - (unten links) und Carlo Schmid (SPD).

10 15 20 25

Wir waren uns unserer Verantwortung bewusst und waren nicht gewillt, unter Zeitdruck einen oberflächlichen Entwurf zu fertigen, dessen Fehler und Mängel sich in der Praxis für unser Volk verhängnisvoll auswirken müssten. […] Als Präsident des Parlamentarischen Rates war ich bestrebt, für die Verabschiedung der Artikel eine möglichst breite Mehrheit zu erreichen. Da aber bei wesentlichen Punkten in den Auffassungen der einzelnen Fraktionen große Meinungsverschiedenheiten bestanden, war es oft nötig, in langwierigen und zeitraubenden Verhandlungen dieses auszuräumen und Kompromisslösungen zu finden. Im Laufe unserer Arbeit fanden viele Verhandlungen mit den Militärgouverneuren oder deren Vertretern über eine Anzahl von Punkten des Grundgesetzes statt. Wir mussten zahlreichen Wünschen von Seiten der Militärregierung Rechnung tragen, aber wir setzten auch viele Wünsche und Grundsätze gegenüber den Militärgouverneuren durch. Die Arbeit für den Parlamentarischen Rat war dadurch sehr erschwert, dass wird den Inhalt des Besatzungsstatuts, in dem das Verhältnis der künftigen Bundesrepublik zu den alliierten Besatzungsmächten festgelegt werden sollte, nicht kannten. Während wir an dem Grundgesetz arbeiteten, fand zur gleichen Zeit die Ausarbeitung des Besatzungsstatus durch die Regierung der Besatzungsmächte statt. Die Militärgouverneure ließen sich von Zeit zu Zeit über den Fortschritt unserer Arbeit berichten, waren jedoch nicht imstande, uns Auskunft zu geben über den Inhalt des Besatzungsstatuts, dessen Kenntnis eine der wesentlichen Grundlagen unserer Arbeit hätte sein müssen.“

Adenauer, Konrad: Erinnerungen 1945-1953, Stuttgart 1965, S. 152f.

M23

Carlo Schmid (SPD), Vorsitzender des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, schildert in seinen Erinnerungen:

War die CDU mit dem Vorsitz eines Sozialdemokraten im Hauptausschuss einverstanden, wollten wir für den Kandidaten der CDU für das Präsidentenamt stimmen. Dass die Union dafür Konrad Adenauer vorschlagen würde, war klar; […] Damit beging die Sozialdemokratische Partei einen entscheidenden Fehler. […] Der Parlamentarische Rat war nur legitimiert, sich mit der Herstellung eines brauchbaren Textes für das Grundgesetz zu befassen; sein Präsident werde sich demzufolge auf die Leitung der Beratungen und die Wahrnehmung repräsentativer Pflichten zu beschränken haben.

5

Konrad Adenauer hat die sich dem Präsidenten bietenden Möglichkeiten besser erkannt und vom ersten Augenblick an genutzt. […] Den Parlamentarischen Rat sahen sie [die westlichen Besatzungsmächte] als legitimierten Verhandlungspartner an. Damit war seinem Präsidenten eine entscheidende politische Schlüsselstellung zugefallen. Für die Öffentlichkeit und die Besatzungsmächte wurde er damit zum ersten Mann des zu schaffenden Staates, noch ehe es ihn gab und ehe noch feststand, ob aus der Arbeit des Parlamentarischen Rates ein Staat hervorgehen würde, der imstande sein konnte, Politik zu machen, oder lediglich ein Verwaltungskörper, bei dem die politischen Entscheidungen den Besatzungsmächten und ihrem Besatzungsstatut überlassen bleiben würden. Dieses Vorspiel hat es möglich gemacht, dass Konrad Adenauer unmittelbar nach seiner Wahl zum Kanzler den ersten Platz im politischen Leben Deutschlands einnehmen konnte.

10 15

Schmid, Carlo: Erinnerungen, Bern/München/Wien 1979, S. 355f.

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Konrad Adenauer - Prägungen und Überzeugungen Anregungen für die Arbeit mit den Materialien A1: Erstelle eine bebilderte Zeitleiste mit dem Thema: Konrad Adenauer – ein Leben im Rahmen von vier Epochen deutscher Geschichte. [M1, Bildmaterial findest Du z.B. unter www.dhm.de/lemo] A2: Trage zusammen, welche kommunalpolitischen Ziele Konrad Adenauer während seiner Zeit als Kölner Oberbürgermeister verfolgt hat. [M2-5] A3: Erkundige Dich – mit Hilfe der Internetrecherche (z.B. www.dhm.de/lemo) – nach den Aufgaben und dem Stellenwert des Preußischen Staatsrates. Leuchte dabei auch die Rolle Konrad Adenauers genauer aus. [M1, vgl. M5,13,20,21] A4: Arbeite heraus, auf welche Weise und mit welcher Begründung die Nationalsozialisten gegen Konrad Adenauer vorgegangen sind. Entwirf ein fiktives Interview: Du befragst als Journalist Konrad Adenauer hinsichtlich seiner Erfahrungen im „Dritten Reich“. [M5-9] A5: Kennzeichne das Verhältnis Konrad Adenauers zu den US-amerikanischen und britischen Militärs. Schreibe einen kurzen Tagebucheintrag, den Adenauer am Abend des Tages seiner zweiten Absetzung als Kölner Oberbürgermeister durch die Briten notiert haben könnte. [M 10-12] A6: Halte schriftlich fest, welche Ziele und Prinzipien das politische Denken Adenauers bestimmt haben. [M15-16] A7: Kläre, warum die Wahl zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates gerade auf Konrad Adenauer gefallen ist. [M11, 13, 14, 20, 21] A8: Gestalte eine Mind-Map mit dem zentralen Thema: Wichtige Erfahrungen und Überzeugungen, die Konrad Adenauer in seine Tätigkeit als Präsident des Parlamentarischen Rates einbringen konnte. [M21, 22, vgl. M13, 16] A9: „Einem ehemaligen Oberbürgermeister fehlt doch der Weitblick für ein Amt auf einer höheren politischen Ebene!“ Kommentiere diese Aussage. [vgl. dazu M5, 13, 21] A10: „Das ganze Volk soll zu Verantwortungsbewusstsein und zu Selbständigkeit erzogen werden.“ Führe aus, welche Bedeutung diese Forderung Adenauers auch in der heutigen Zeit noch besitzen könnte. Lege dies an zwei konkreten Beispielen dar. [vgl. dazu M15] Weiterführende Impulse I1: Recherchiere (im Internet, in Deiner Schulbibliothek), auf welche Weise weitere wichtige Persönlichkeiten des Parlamentarischen Rates (z.B. Theodor Heuss oder Carlo Schmid) die NS-Herrschaft überstanden haben bzw. welche Erfahrungen für ihren politischen Einsatz in der Nachkriegszeit wichtig waren. I2: Informiere Dich über die Neu- bzw. Wiedergründungen der Parteien seit dem Jahr 1945. Es bietet sich an, z.B. einen tabellarischen Vergleich der Aspekte Zulassung, Ziele/Programme, Mitglieder etc. vorzunehmen. Neugierige können auch das Stadt-/Zeitungsarchiv nutzen, um Näheres über die Parteien und deren Persönlichkeiten in ihrer Heimatstadt herauszufinden. I3: Konrad Adenauer wurde in der ZDF-Sendung „Unsere Besten“ (2003/4) von den Zuschauern auf Platz 1 gewählt. Viele erinnern sich dabei insbesondere an seine erfolgreiche Kanzlerzeit (1949-1963), die NS-Zeit wird jedoch kaum beleuchtet. Fertige deshalb ein Infoplakat an, das den Lebensabschnitt zwischen 1933 und 1945 in den Mittelpunkt rückt. Weiterführende Informationen findest Du unter www.adenauerhaus.de oder unter www.konrad-adenauer.de.

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Zielsetzungen Konrad Adenauers im Jahr 1948

Konrad Adenauer (*5.1.1876, †19.4.1967)

1894-1901: Juristisches Studium/Referendariat 1906-1916: hoher Kölner Verwaltungsbeamter 1917-1933: Kölner Oberbürgermeister 1933-1945: wiederholte Überwachung und Inhaftierung

durch NS-Stellen/Gestapo 1945: kurze Zeit Kölner Oberbürgermeister, seit 1946: Vorsitzender der CDU in der britischen Besatzungszone 1.9.1948 Wahl zum Präsidenten des Parlamentarischen

Rates

Foto: Konrad Adenauers als Präsident des Parlamentarischen Rates (11/1948). Bestand: StBKAH; © Erna Wagner-Hehmke/ Hehmke-Winterer, Düsseldorf; Haus der Geschichte, Bonn.

Werte und Ziele

Konrad Adenauer äußert sich am 28. August 1948 in seiner Eröffnungsrede zum Zweiten Parteitag der CDU der Britischen Zone:

Die persönliche Freiheit ist und bleibt das höchste Gut des Menschen! Dieser wesentliche Satz des abendländischen Christentums vom Wert und der Würde eines jeden einzelnen Menschen, von der Freiheit der Person, ist eine der Hauptthesen unserer politischen Arbeit. […] Vom Boden unserer christlichen Weltanschauung aus müssen wir betonen, dass das Recht vor der Macht gilt, dass die Macht an sich nichts Böses ist, aber dass die Macht den Menschen sehr leicht dazu verführt, Missbrauch mit ihr zu treiben und dass sie dann böse wird. Weil wir für die Freiheit des Einzelnen eintreten, müssen wir auch auf sozialem Gebiet alles tun, was in unserer Macht steht, um eine menschenwürdige Existenz jedem zu ermöglichen. […] Wenn wir nicht alle Kraft daran setzen, wieder geistig, moralisch und wirtschaftlich in die Höhe zu kommen, dann wird Deutschland der Aufstieg nicht gelingen. In unserer Hand liegt unser Geschick. Was uns vom Ausland geboten wird, ist eine hilfreiche Hand, die wir gern und freudig ergreifen, aber wir müssen dann die Hauptsache selber tun. Wir wissen, dass das Geschick unseres Volkes für eine jetzt nicht zu schätzende Zeit sehr ernst und sehr hart ist. Wir alle hier im Saale und alle anderen in Westdeutschland wünschen nichts sehnlicher, als dass der eiserne Vorhang möglichst bald zerrissen und dass die politische und wirtschaftliche Einheit unter dem Stern der Freiheit - nicht unter dem Sowjetstern - wieder hergestellt wird. Aber gerade, weil wir das alles wissen und davon überzeugt sind, und weil wir alle Kraft daran setzen wollen, dieses Ziel, ein freies und einiges Deutschland, zu erreichen, deswegen dürfen wir meines Erachtens keine Gelegenheit vorübergehen lassen, um wenigstens etwas aus dem jetzigen Zustand der politischen Ohnmacht herauszukommen. Gegenüber manchen anderen Meinungen habe ich von Anfang an mit Entschiedenheit den Standpunkt vertreten, dass - solange es uns Russland durch seine Politik unmöglich macht, eine Organisation ganz Deutschlands herbeizuführen - wir wenigstens den Teil Deutschlands, der nicht unter russischer Herrschaft steht, politisch neu organisieren müssen. Daher begrüße ich das Zusammentreten des Parlamentarischen Rates in Bonn am 1. September. Ich hoffe und wünsche, dass damit der Anfang einer guten politischen Entwicklung für die drei Westzonen gegeben ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nur dann den Osten wieder mit dem Westen zu einer Einheit verbinden können und werden, wenn wir wenigstens zunächst den Westen politisch und wirtschaftlich wieder erstarken lassen.

5 10 15 20 25

Schwarz, Hans-Peter (Hrsg.): Konrad Adenauer. Reden 1917-1967, Stuttgart 1975, S. 124ff. Arbeitsanregungen: A1 „Bericht vom CDU-Parteitag“ – Du vertrittst als Reporter eine westdeutsche Nachrichtenagentur und hast die Aufgabe, einen bündigen Bericht zu verfassen. Schreibe eine maximal halbseitige informative Zusammenfassung des vorliegenden Redeauszuges. A2 Konrad Adenauer wird am 1. September 1948 zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates bestimmt. Entwirf eine – wohlgemerkt damals nicht gehaltene – Vorstellungs-/Bewerberrede Adenauers für dieses Amt.

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Konrad Adenauer als Präsident des Parlamentarischen Rates

„In der Zwischenzeit habe ich mich in den Parlamentarischen Rat wählen lassen, der ja eine Art von Verfassung für die drei westdeutschen Zonen entwerfen soll.“

„Was aus diesem Rat wird, wissen wir nicht. Wenn auch alles in der Schwebe ist, so ist doch, alles in allem genommen, eine Besserung der Situation unverkennbar.“

Adenauer an seine Söhne Georg und Paul am 13.8.1948; StBKAH I 07.04.

Adenauer an P. Silverberg am 30.8.1948; StBKAH I 07.06.

„Ich hatte mich zuerst entschlossen, unter keinen Umständen die Leitung des Parlamentarischen Rats zu übernehmen. Ich habe mich erst dazu verstanden auf dringende Bitten maßgebender Parteimitglieder, die mir erklärten, da bis auf weiteres der Präsident des Parlamentarischen Rats der alleinige Vertreter des deutschen Volkes gegenüber den Alliierten sei, dürfe ich nicht ablehnen. Ich betrachte es im übrigen als meine Aufgabe, mich aus der parteipolitischen Diskussion im Parlamentarischen Rat möglichst zurückzuhalten und im geeigneten Augenblick den Versuch zu machen, eine Einigung aller Fraktionen, mit Ausnahme der Kommunisten, herbeizuführen.“

„Auch die Arbeit im Parlamentarischen Rat, der ja eine Verfassung für die drei Zonen schaffen soll, ist nicht gerade erfreulich. Zunächst sind die Deutschen unter sich nicht einig, namentlich die Ansichten der sozialdemokratischen Partei halte ich für falsch.“

Adenauer an Prof. Fischer am 24.9.1948; StBKAH I 07.18.

Adenauer an S. Heineman am 22.11.1948; StBKAH I 07.05.

„Die Arbeit im Parlamentarischen Rat ist nicht leicht, und ich weiß auch jetzt noch nicht, wie sie auslaufen wird. Ich würde es für sehr unklug halten, wenn nicht alle Parteien gemeinsam sich bemühten, möglichst bald eine Verfassung zu schaffen.“

„Die Arbeiten im Parlamentarischen Rat sind zwar langsam fortgeschritten, aber wir nähern uns jetzt doch den entscheidenden Abstimmungen im Plenum. Möglicherweise beginnen sie schon am 31. Januar. Es wird dann auf jede Stimme ankommen.“

Adenauer an S. Vogel am 27.11.1948; StBKAH I 07.06.

Adenauer an H. Rönneburg am 22.1.1949; StBKAH I 09.03.

„Im Parlamentarischen Rat, dessen Präsident ich ja bin, sind große Schwierigkeiten entstanden zwischen meiner Partei und der sozialdemokratischen Partei, und zwar hat die Sozialdemokratie sehr heftige Angriffe gegen mich gerichtet. Zugrunde liegen aber parteitaktische Manöver. Es ist sehr schade, dass infolge solcher parteitaktischen Schwierigkeiten die sachliche Arbeit leidet. Auf sachlichem Gebiete bestehen zwischen diesen beiden Parteien verschiedene große Meinungsverschiedenheiten. Ob und wie sie sich überbrücken lassen werden, weiß ich noch nicht. Dringend nötig ist aber, dass wir so schnell wie möglich eine westdeutsche Bundesregierung bekommen.“

Arbeitsanregungen: A1 Konzipiere unter der Überschrift „Konrad Adenauer – seine Ziele als Präsident des Parlamentarischen Rates“ einen kurzen Informationstext für ein Schulbuch. A2 Innerhalb von 265 Tagen wurde in Bonn die Grundlage für den neuen westdeutschen Staat debattiert und letztlich verabschiedet. Halte schriftlich fest, welche Aufgaben dabei dem Präsidenten zugekommen sind.

Adenauer an S. Heineman am 30.12.1948; StBKAH I 07.05.

Ziehe jeweils ggf. die Zeittafel zur Arbeit des Parlamentarischen Rates mit heran.

„Die Beratungen im Parlamentarischen Rat treten in dieser Woche in ihr entscheidendes Stadium. Den bevorstehenden Verhandlungen kommt größte allgemeinpolitische Bedeutung insbesondere im Hinblick auf die Wahlen zum Bundestag zu.“

Adenauer an R. Heinen u.a. am 31.1.1949; StBKAH I 02.02.

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Zeittafel zur Arbeit des Parlamentarischen Rates

• 1. September: Eröffnung des Parlamentarischen Rates im Museum Koenig in Bonn, konstituierende Sitzung in der Pädagogischen Akademie, als Präsident wird Konrad Adenauer gewählt

• 8./9. September: Einrichtung der Fachausschüsse des Parlamentarischen Rates und erste Plenarberatungen

• 30. September: Gespräch zwischen Adenauer und Vertretern der alliierten Verbindungsbüros in Rhöndorf; Übergabe des Schreibens der Militärgouverneure an Adenauer vom 29. September 1948, dem zufolge der Parlamentarische Rat keine Ermächtigung hat, von der ihm übertragenen Aufgabe (Erarbeitung eines Grundgesetzes) abzugehen

• 20./21. Oktober: Erste Lesung im Plenum

• 11. November bis 10. Dezember: Erste Lesung im Hauptausschuss

• 18. November: Gespräch zwischen Adenauer und General Robertson in Bad Homburg über Stand der Grundgesetzarbeit, internationale politische Lage, Einbindung Berlins in den Bund, Ankündigung eines neuen alliierten Memorandums

• 22. November: Memorandum der Alliierten zur bisherigen Beratung der Fachausschüsse zum Grundgesetz (Angelegenheiten u.a.: Länderkammer, Zuständigkeiten von Bund und Ländern)

• 15. Dezember bis 20. Januar: Zweite Lesung im Hauptausschuss

• 16./17. Dezember: Besprechungen von Vertretern des Parlamentarischen Rates mit den Militärgouverneuren in Frankfurt a.M. (resultierende „Frankfurter Affäre“ bzw. Vorwürfe an die Adresse von Adenauer)

• seit 26. Januar: Beratungen des interfraktionellen „politischen Fünferausschusses“ (jeweils zwei CDU- und SPD-Abgeordnete, ein FDP-Vertreter) zur Findung von Kompromissen u.a. zur Bundesratsfrage

• 8. bis 10. Februar: Dritte Lesung im Hauptausschuss

• 11. Februar: Militärgouverneure erhalten Grundgesetzentwurf und ein begleitendes Memorandum (zur föderalen Ausgestaltung des Entwurfes)

• 2. März: Besprechung von Mitgliedern des Parlamentarischen Rates mit den Militärgouverneuren in Frankfurt/M.; Memorandum der Alliierten zum Grundgesetzentwurf betont Föderalismus; zugleich Wahlgesetzentwurf

• 3. März bis 6. April: Beratungen des Siebenerausschusses (zwei CDU- und SPD-, jeweils ein FDP-, DP- und Zentrumsabgeordneter), zwischenzeitlich Beratungen mit alliierten Vertretern in Frankfurt a.M.

• 5. April bis 10. April: Konferenz der Außenminister der drei Mächte in Washington; Beschlussfassung zum Zusammenschluss der drei westlichen Besatzungszonen zu einem einheitlichen Wirtschafts- und Verwaltungsgebiet (Washingtoner Abkommen über die Drei-Mächte-Kontrolle - „Trizone”); Beschlussfassungen über ein Besatzungsstatut

• 10. April: Besprechung von Mitgliedern des Parlamentarischen Rates mit alliierten Vertretern in Bonn; Bekanntgabe des Besatzungsstatuts und des Washingtoner Abkommens

• 20. April: Parteivorstand der SPD in Hannover; Beschluss über einen „verkürzten Grundgesetzentwurf“

• 24. April: interfraktionelle Einigung zum Grundgesetzentwurf

• 8. Mai: Dritte Lesung im Plenum; Verabschiedung des Grundgesetzes durch den Parlamentarischen Rat mit 53 gegen 12 Stimmen (Ablehnung durch sechs CSU, zwei DP-, zwei Zentrums- und zwei KPD-Abgeordnete)

• 10. Mai: Verabschiedung des Wahlgesetzes und Beschluss über Bonn als vorläufigen Bundessitz (geheime Abstimmung: 33 Stimmen für Bonn und 29 für Frankfurt a.M.)

• 12. Mai: Genehmigung des Grundgesetzentwurfes durch die Militärgouverneure in Frankfurt a.M.

• 23. Mai: Unterzeichnung und Verkündung des Grundgesetzes

Adenauer macht Schule

Fundament unserer Demokratie – der Parlamentarische Rat und das Grundgesetz Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, Bad Honnef-Rhöndorf

Lückentext: Warum gerade Adenauer?

Füge die unten stehenden Begriffe passend in die Lücken ein: Es war nicht von langer Hand vorbereitet, dass Konrad Adenauer am 1. September 1948 einstimmig zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates gewählt wurde. Adenauer bringt aber eine gehörige Portion politischer Erfahrung mit: Von 1917 bis 1933 hatte er als ____________________ der Millionenstadt Köln gewirkt und zugleich einige Jahre den Preußischen Staatsrat in Berlin als Präsident geleitet. Nach der Überwindung der NS-Diktatur setzte er sich seit 1945 in Gremien der neu gegründeten CDU im Rheinland und in der britischen Besatzungszone sowie als Abgeordneter und ___________________ im nordrhein-westfälischen Landtag für den demokratischen Neuaufbau ein. Nun schickte sich Adenauer an, die von ihm angestrebte Gründung eines westdeutschen Staates energisch voranzubringen. Das Jahr 1948 war für ihn ein Jahr des Aufbruchs, aber auch zugleich eines herben persönlichen Rückschlags. Am 3. März war seine Frau Gussie an den Spätfolgen der vormaligen ____________________ gestorben. Adenauer wandelt seine tiefe Trauer in die Kraft um, die notwendig war, um für den zu gründenden westdeutschen Staat eine ____________________ zu erarbeiten. Der erfahrene Kommunalpolitiker stützt sich bei seiner politischen Arbeit auf eine feste Basis an Überzeugungen und Zielsetzungen. So führt er vor Studenten in der Aula der Kölner Universität am 24. März 1946 aus: „Die menschliche Person hat eine einzigartige __________________, und der Wert jedes einzelnen Menschen ist unersetzlich.“ Damit verband er das Ziel, die Deutschen zu „_______________________ und Selbstständigkeit“ zu erziehen. Er stellte sich gegen jede Form der Diktatur. Die braune, die nationalsozialistische Alleinherrschaft lehnt er ebenso entschieden ab wie die rote, die _______________________. Freiheit und Einheit waren Zentralbegriffe seiner politischen Grundhaltung. Als Präsident des insgesamt neun Monate tagenden Parlamentarischen Rates achtet Adenauer darauf, zwischen den verschiedenen politischen Kräften zu vermitteln und „_______________________ zu finden“, wie er in seinen „Erinnerungen“ schreibt. Nicht immer bleibt sein Handeln unumstritten. So kritisiert die SPD mehrere Male, dass er an den Abgeordneten des Rates vorbei Abstimmungen mit Vertretern der westlichen ___________________, vor allem den US-Amerikanern, vorgenommen habe. Letztlich gelingt es ihm aber, seine Rolle als Moderator der Verhandlungen des Rates zu einem Erfolg zu führen: Am 8. Mai 1949 wird das Grundgesetz mit einer breiten Mehrheit verabschiedet und am 24. Mai tritt es in Kraft. Der Vorsitzende des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, der SPD-Vertreter Carlo Schmid, führt später in seiner Autobiographie aus, dass „dieses Vorspiel“ als Präsident es möglich gemacht habe, dass „Konrad Adenauer unmittelbar nach seiner Wahl zum Kanzler den ___________________ im politischen Leben Deutschlands einnehmen konnte“.

Besatzungsmächte / CDU-Fraktionsvorsitzender / ersten Platz / Gestapohaft

kommunistische Diktatur / Kompromisslösungen / Oberbürgermeister

provisorische Verfassung / Verantwortungsbewusstsein / Würde

Adenauer macht Schule Fundament unserer Demokratie – der Parlamentarische Rat und das Grundgesetz

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Adenauer-Quiz

1. Während seiner Oberbürgermeisterzeit in Köln zielte Konrad Adenauer vor allem darauf ab, … A. so schnell wie möglich auf der Reichsebene Karriere als Kanzler zu machen. B. Köln zu einer modernen und lebenswerten Großstadt umzugestalten. C. Beschlüsse des Rates nur auf die Zustimmung der Zentrumspartei zu gründen.

2. Zu Zeiten der Herrschaft der Nationalsozialisten wurde Konrad Adenauer … A. zu einem aktiven Mitglied des politischen Widerstandes. B. zuletzt im Jahr 1944 im Zuge der „Aktion Gewitter“ von der Gestapo verhaftet. C. in Köln als Oberbürgermeister geduldet.

3. Aus der Erfahrung mit dem nationalsozialistischen Regime zog Adenauer den Schluss, dass … A. zukünftig Vorkehrungen zu treffen sind, damit das Recht immer über der Macht steht. B. politisches Engagement häufig aussichtslos ist. C. eine Wiederholung des NS-Unrechts ausgeschlossen ist.

4. Konrad Adenauer stand vor allem deshalb auf der „weißen Liste“ der US-Amerikaner, weil er … A. ihnen für seine Integrität und demokratische Ausrichtung bekannt war. B. sich den vorrückenden westlichen Truppen rechtzeitig als Demokrat empfohlen hatte. C. während des Krieges Kontakt zu den Alliierten aufgenommen hatte.

5. Zu den wesentlichen politischen Prinzipien Adenauers gehörte, dass er … A. sich für eine stärkere Verantwortungsübernahme des Staates in allen Lebensbereichen einsetzte. B. große Skepsis gegenüber der Freiheit des Individuums hegte. C. die Beachtung der Würde des einzelnen Menschen als wichtigste Leitschnur anerkannte.

6. Mit Blick auf die Schaffung eines vereinten Europa … A. warnte Adenauer frühzeitig vor dem Verlust der Nation. B. bevorzugte Adenauer entschieden die wirtschaftliche und politische Verflechtung der Staaten. C. befürchtete Adenauer die Schwächung der Verteidigungsfähigkeit der Staaten.

7. Konrad Adenauer wurde zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates gewählt, weil … A. die Sozialdemokraten es unterschätzt hatten, welche Möglichkeiten ihm das Amt letztlich bot. B. er bereits Monate zuvor Absprachen vorgenommen hatte. C. er das älteste Mitglied des Parlamentarischen Rates war.

8. Adenauer sah seine Aufgabe als Präsident des Parlamentarischen Rates im besonders darin, … A. CDU-Positionen durchzusetzen. B. die westlichen Alliierten möglichst außen vor zu lassen. C. so schnell wie möglich ein konsensfähiges Grundgesetz zu beschließen.

Korrekte Lösungen: 3xA, 3xB, 2xC Adenauer macht Schule

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