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by EY Magazin für unternehmerische Exzellenz 01/2016 Kontinuität — Jenseits des vertrauten Terrains / Heritage Heroes / Mit Teilhabe gegen Fanatismus / Innovatoren in Flora und Fauna / Vor dem Sprung ein langer Marsch Prof. Stefan Hell, Abberior Instruments „Unser Vorteil ist, dass wir uns ohne historischen Ballast ständig erneuern können.“

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by EY Magazin für unternehmerische Exzellenz

01/2016

Kontinuität — Jenseits des vertrauten Terrains / Heritage Heroes / Mit Teilhabe gegen Fanatismus / Innovatoren in Flora und Fauna / Vor dem Sprung ein langer Marsch

Prof. Stefan Hell,

Abberior Instruments

„Unser Vorteil ist, dass wir uns ohne historischen Ballast ständig erneuern können.“

Disrupt – der Name ist Programm bei den mittlerweile welt- weit wichtigsten Gipfeltreffen der digitalen Gründerszene. Die mehrtägigen Events finden auf Initiative des Online-Technologie- Magazins TechCrunch jährlich in San Francisco, New York, London und Peking statt. Ihr Logo ist ein zerreißendes Band. Störe die gewohnten Abläufe – der neue kategorische Imperativ? Hunderte von Entrepreneuren nehmen die Herausforderung an. Es ist eine ganz eigene Szene, die sich da entwickelt hat, die rasend schnell wächst und viele etablierte Unternehmen das Fürchten lehrt. Eine Branche nach der anderen, so prophezeien Marktstudien, werde sich in den kommenden Jahren durch die disruptive Wir-kung der Digitalisierung vollkommen verändern. Und die kleinen, agilen Start-ups, die ohne historischen Ballast unterwegs sind, könnten dabei manchen Industrieriesen ins Wanken, wenn nicht gar zu Fall bringen. Also keine Rettung, nirgends?

Doch! Ein Schlüsselwort in diesem Zusammenhang lautet Kon-tinuität – und das ist nur scheinbar ein Widerspruch. Erfolgreiche Unternehmen haben sich auch in der Vergangenheit stets da-durch ausgezeichnet, dass sie sich ständig verändern und an neue Bedingungen anpassen, sich fortwährend häuten und neu erfin-den, ohne dabei – und das ist entscheidend – ihren Kern aufzu-geben. Wenn wir also diese Ausgabe des ENTREPRENEUR dem Thema „Kontinuität“ widmen, dann hat das nichts Rückwärts-gewandtes. Vielmehr wollen wir an vielen Beispielen zeigen, dass es zwischen Verdrängung und Aktionismus einen goldenen Mittelweg der permanenten Selbsterneuerung gibt.

Wie man dabei proaktiv vorgeht und selbst zum Treiber der Ent- wicklung werden kann, zeigt etwa der Medizintechnik-Hersteller B. Braun Melsungen. Der Dialog zwischen Braun-CEO Heinz-Walter Große und dem tschechischen Wirtschaftswissenschaftler Tomáš Sedláček dreht sich um die dazu notwendige Geschmeidig- keit eines Unternehmens. Innovations- und Anpassungsfähig-keit sieht auch Kai Furler, Chef der traditionsreichen Spezial- und

Feinpapiermühle August Koehler SE, als Klammer zwischen Vergangenheit und Zukunft seines Unternehmens. „Tradition lebt durch Veränderung“, bestätigt Abdullah Kenan Karaca. Der leidenschaftliche junge Theatermann mit muslimisch-türki-schen Wurzeln ist Co-Regisseur einer der ältesten christlichen Traditionen Deutschlands, der Oberammergauer Passionsspiele.

Kontinuität bedeutet aber auch Durchhaltevermögen. Stefan Hell, Chemie-Nobelpreisträger von 2014, hätte ohne die Überzeu-gung von der Richtigkeit seiner wissenschaftlichen Thesen gegen jahrelange Widerstände weder den angesehensten Wissen-schaftspreis der Welt gewinnen noch sein Unternehmen Abberior Instruments gründen können.

Wenn Kontinuität also die Bereitschaft zu ständiger Veränderung beinhaltet, dann darf auch die Digitalisierung nicht als Bedro-hung empfunden, sondern muss als völlig neue Entwicklungschan-ce verstanden werden. Eine EY-Studie zur Industrie 4.0 zeigt, dass die Mehrheit der Unternehmen dieses Potenzial inzwischen grundsätzlich erkannt hat. Nur wird es nicht reichen, bestehende Prozesse digital zu modernisieren. Vielmehr geht es darum, die Herausforderung mutig anzunehmen, mit Phantasie Chancen auszuloten und dabei über neue Geschäftsmodelle nachzudenken.

Ich wünsche Ihnen eine inspirierende Lektüre.

Georg Graf Waldersee Vorsitzender der GeschäftsführungEY Deutschland

Editorial

D ie F ir m a A b b er io r h at sic h au f su p er h o c h au f lö sen d e L ic h t -m ik r o sk o p e sp ez ialisier t . H ier wu r d en B est an d t eile d es Z ell sk elet t s ein er S ä u g et ier - z elle g ef ä r b t u n d m it ein em S T E D - Mik r o sk o p au f g en o m m en .

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Kai Furler

An kurzfristige Bilanzkosmetik verschwendet Kai Furler keine Zeit. Warum auch? Dem Vorstandsvorsitzenden der Papierfabrik August Koehler SE sitzen keine Investoren und Analysten im Nacken. Seit acht Generationen befindet sich der erfolgreiche, im Schwarz-wald-Städtchen Oberkirch behei- matete Papierspezialist in Familienhand. Bei Koehler ist man stolz auf die Tradition – aber auch auf der Suche nach neuen Wachstumsnischen. Eine kleine Task Force prüft ständig Investments in inno- vative Start-ups. In welche Richtung die Papiermacher gerade ihre Fühler ausstrecken, erklärt Kai Furler ab Seite 20.

In dieser Ausgabe

Evolution

Im ewigen Kampf ums Dasein sind jene im Vorteil, die sich am besten anpassen können – das ist die Quintessenz der Darwin’schen Evolutionstheorie. Doch hin und wieder kann auch ein Mangel an Modernität durchaus den Fortbestand einer Art sichern. Lebender Be-weis: der Quastenflosser, jener 1938 entdeckte Urzeitfisch, der schon die Meere bewohnte, als die Dinosaurier noch die Erde beherrschten. Die Saurier starben aus, die Säugetiere gerieten ins Rampenlicht der Evolution, der Mensch betrat die Bühne – und der Quasten-flosser blieb, wie er war. Mehr über die Vor- und Nachteile von Wandel und Kontinuität in der Evolution lesen Sie ab Seite 58.

David Hung

„Unsere Mitarbeiter wissen, wie wichtig ihre Arbeit hier ist“, sagt David Hung, der Gründer des US-amerikani-schen Pharmaherstellers Medivation. „Jedem ist klar, dass er nicht nur einen Job macht.“ Mit seinen Medika-menten will der 58-Jährige die Spielregeln im Umgang mit Krankheiten wie Krebs und Alzheimer grundsätzlich ändern. Das erste Präparat allerdings erwies sich als teurer Flop. Doch anstatt aufzugeben, startete Hung durch. Und er hatte Erfolg: Das nächste Medikament, ein Präparat zur Behandlung von Prostatakrebs, erhöhte die Lebenserwartung der Patienten signifikant – und sicherte den Fortbestand des Unternehmens. Seite 40.

Tomáš Sedláček, Heinz-Walter Große

„Wachstum ist wie gutes Wetter“, sagt Tomáš Sedláček, der tschechische Ökonom und Gegenwartsdiagnostiker. „Es ist unrealistisch, anzuneh-men, dass es nie regnen wird.“ Sofort kontert sein Gegenüber: „In unserer langen Unterneh-mensgeschichte gibt es nicht viele Jahre, in denen wir nicht gewachsen sind.“ Heinz-Walter Große, Vorstandschef des Pharmaherstellers B. Braun Melsungen, analysiert die gro-ßen Sujets der Ökonomie – Wachstum und Schulden, Ord-nung und Unordnung, Regeln und ihre bewusste Durch- brechung – streng aus der Sicht des Unternehmenslenkers. Sedláček nimmt Anleihen bei Philosophie, Geschichte und Psychoanalyse. Ein inspirieren-der Dialog ab Seite 32.

Heritage Heroes

Mit einfachem Werkzeug – Spa-tel und Wasserspritze – kämpft die Peruanerin María Mercedes Mendoza Chavarría Tag für Tag gegen die fortschreitende Zerstörung der weltweit einzig-artigen Ruinenstadt Chan Chan durch Starkregen und Sandstürme. „Ich bin sehr stolz, das Erbe meiner Vorfah-ren wiederherzustellen“, sagt sie. Die 61-Jährige gehört zu jenen couragierten Menschen, die sich weltweit für den Erhalt bedrohter Kultur- und Natur- erbestätten einsetzen – und dabei mitunter Risiken für Leib und Leben auf sich nehmen. Die Unesco hat einen sehr treffenden Begriff für sie ge-prägt: „Heritage Heroes“. Mehr darüber ab Seite 53.

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Big World – Small Planet

Wir sind mittendrin: im Anthropozän. In einer Ära, in der der Mensch das Klima und das Leben auf Erden massiv beeinflusst. Einer Ära, in der wir die Zukunft der Welt, wie wir sie kennen, und letztlich auch unser eigenes Schicksal in der Hand haben. Denn unser bisheriger Lebensstil könnte das hochkomplexe und bisher erstaunlich stabile System Erde an einen Punkt des Umkippens bringen, von wo es kein Zurück gibt. So lautet die wenig anheimelnde Ausgangsthese des im März erschienenen Buches „Big World, Small Planet. Wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten“ (Ullstein 2016) des schwedischen Nach-haltigkeitsforschers Johan Rockström, zu dem der Fotograf Mattias Klum eindrückliche Bilder beisteuerte, von denen einige auf diesen Seiten zu sehen sind. Doch Rockström, Direktor des Stockholm Resilience Centre an der Universität Stockholm und letztjähriger Träger des Deutschen

Umweltpreises, ist durchaus kein Prophet des Weltuntergangs. Er lehnt die Vorstellung, Wohlstand sei nur auf Kosten der Um-welt zu haben, ebenso ab wie die Annahme, Nachhaltigkeit sei gleichbedeutend mit Verzicht. Rockström propagiert vielmehr ein drittes, sehr viel optimistischeres Credo vom Wachstum inner- halb der biologischen und physikalischen Grenzen des Planeten. Dies erfordere einen tiefgreifenden Bewusstseinswandel, tech-nologische Innovationen und – ja, auch dies – Änderungen un-seres Lebensstils.Die düstere Zustandsbeschreibung und die Gefahren einer Über-forderung der Resilienz sozialer und ökologischer Systeme be-schreibt Rockström ebenso anschaulich wie viele Beispiele Mut machender Entwicklungen. Den notwendigen Paradigmenwech- sel glaubt Optimist Rockström in jüngster Zeit in den führenden Köpfen von Wirtschaft und Politik auszumachen. Zunehmend erkenne man, so Rockström, „dass es nicht darum geht, eine Spe-zies oder ein Ökosystem zu retten. Es geht darum, uns selbst zu retten, und um die Fähigkeit der Menschheit, wirtschaftliche Entwicklung, Wohlstand und ein gutes Leben zu verfolgen. Es ist unsere Welt, die auf dem Spiel steht.“

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03 Editorial04 In dieser Ausgabe

herstellers B. Braun Melsungen, und der tsche- chische Ökonom und Gegenwartsdiagnostiker Tomáš Sedláček im Dialog über Kontinuität und Diskontinuität, Stillstand und Bewegung.

38 Was bleibt. Tobias Ragge, Chef des Hotelpor-tals HRS, stellt herausragende Persönlichkeiten und Orte vor, die aus seiner Sicht Kontinuität und Erneuerung ideal vereinen.

40 „Wir machen weiter!“ Das erste Medikament des amerikanischen Pharmaunternehmens Medivation war ein teurer Flop. Danach setzte Firmengründer David Hung alles auf eine Karte.

Expertise43 Neuer Kompass. Gesellschaftlicher Wert und Unternehmenszweck als Grundlagen unterneh-merischer Kontinuität.

48 Industrie 4.0 – das unbekannte Wesen? Die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Industrie aus der Sicht der Unternehmer.

Impulse53 Sind wir Helden? Vielerorts kämpfen Men-schen für den Erhalt bedrohter Welterbestätten. Eine Ausstellung erzählt einige ihrer Geschichten.

56 „Bildung ist wie ein Titan.“ Beharrlich setzt sich Königin Rania von Jordanien für sozialen Wandel, Toleranz und die Gleichberechtigung von Frauen in der arabischen Welt ein.

58 Der Fluch der Roten Königin. Im Laufe der Erdgeschichte setzten viele Lebensformen nicht auf Wandel um jeden Preis, sondern auf Kontinuität – und fuhren damit sehr gut.

66 Obenauf. Wie Ralf Zastrau von der Nanogate AG mit schlauen Schichten Nutzen stiftet.

68 Darf man an Traditionen rütteln? Zehn Fragen an Kenan Karaca, den zweiten Spielleiter der nächsten Oberammergauer Passionsspiele.

Entrepreneure10 Tanz der Moleküle. Abberior Instruments, Technologieführer bei extrem hochauflösenden Mikroskopen, ist ein junges Unternehmen – doch die Gründer schufen die Fundamente des Erfolgs bereits vor Jahrzehnten.

16 Zwischen zwei Welten. Mohed Altrad führt einen weltweit erfolgreichen Hersteller von Gerüsten und Baumaschinen. In seiner syrischen Heimat war ihm einst ein Leben als Viehhirte zugedacht.

20 Denken und Lenken in langen Zyklen. In der Papierfabrik August Koehler SE ist man stolz auf mehr als 200 Jahre Firmengeschichte. Doch für Behäbigkeit und Vergangenheitsseligkeit ist bei dem Schwarzwälder Papiermacher kein Platz.

26 Loblied auf die Evolution. Seit mehr als zwei Jahrzehnten lenkt das gleiche Duo die Geschicke des niederländischen Logistik- und Großhandels-unternehmens B&S.

32 Innehalten und Unsicherheiten akzeptieren. Heinz-Walter Große, Vorstandschef des Pharma-

Thema Kontinuität

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Kontinuität — Jenseits des vertrauten Terrains / Heritage Heroes / Mit Teilhabe gegen Fanatismus / Innovatoren in Flora und Fauna / Vor dem Sprung ein langer Marsch

Prof. Stefan Hell,

Abberior Instruments

„Unser Vorteil ist, dass wir uns ohne historischen Ballast ständig erneuern können.“

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Tanz der Moleküle

L an g lä u f er : I n j ah r elan g er F o r sc h u n g sar b eit f an d S t ef an H ell h er au s, d ass u n d wie m an b est im m t e Mo le-k ü le m it L aser st r ah len an - u n d au ssc h alt en k an n , u n d ü b er wan d d am it d ie B eu g u n g sg r en z e d es L ic h t s.

Fotos Matthias Ziegler und Sigrid Reinichs

Auch eine disruptive Technologie entsteht nicht aus dem Nichts, sondern ist oft das Ergebnis jahre-langer, kontinuierlicher Arbeit. Die junge Abberior Instruments GmbH in Göttingen, die sich anschickt, den Markt für extrem hochauflösende Mikroskope zu revolutionieren, ist selbst zwar erst wenige Jahre alt, doch ihre Gründer, darunter der Chemie-Nobelpreisträger Prof. Stefan Hell, schufen die Fundamente für ihre heutigen Erfolge bereits vor Jahrzehnten.

ie Versuchsanordnung: links eine ziemlich große schwarze Kiste mit kleinem oran-gen Namenszug, in der Mitte ein Mikro-skop, rechts ein Rechner mit Monitor. Das Ensemble in einem fensterlosen, en-gen Raum im Gebäude des Göttinger Laser-Laboratoriums wirkt unspektakulär, hat so gar nichts vom cleanen Chic, der manche Hochtechnologie umgibt. Wo also steckt das Erfolgsgeheimnis? „Entschei-dend“, klärt Dr. Gerald Donnert seine Be-

sucher auf, „ist die schwarze Kiste.“ Unter deren Deckel verbirgt sich ein verwirrendes Labyrinth von Lasern, Linsen und Leitungen und zugleich – für den Laien nicht leicht erkennbar – eine wissenschaft- liche Sensation, die sich inzwischen auch zu einer wirtschaftlichen Erfolgsstory entwickelt hat. Denn hier im kargen, kleinen Showroom von Abberior Instruments (AI) stehen die leistungsfähigsten Licht-mikroskope der Welt. Mit ihrer Hilfe kann man in das Innerste von lebenden Zellen blicken, selbst feinste Strukturen in bisher unerreich-ter Schärfe erkennen und den Zellen sogar bei der Arbeit zusehen – unschätzbare Vorteile für die Medizin oder die Pharmaforschung, die Lebenswissenschaften allgemein. „Wir können künftig beispielsweise an den Zellstrukturen erkennen, was gesund bedeutet und was krank“, beschreibt Donnert, Mitbegründer und Geschäftsführer von Abberior

D

Instruments, eine Einsatzmöglichkeit seiner Geräte. „Krankheiten sind ja oft nichts anderes als Abweichungen oder Veränderungen in der Struktur von Proteinen.“

Die junge AI, 2012 von sieben Wissenschaftlern gegründet, macht mit ihren Geräten inzwischen etablierten Firmen wie Nikon, Leica, Zeiss und Olympus Konkurrenz. Ihre Verfahren zur Hochauflösung erwei-sen sich zunehmend als disruptive Technologien, die die herkömmli-chen Methoden ablösen. Auf 1 000 bis 1 500 Stück schätzen Experten den weltweiten jährlichen Bedarf für High-End-Mikroskope. Bis zu 700 000 Euro kann so ein Gerät kosten. Donnert nennt zwar weder aktuelle Absatz- noch Umsatzzahlen von Abberior Instruments, aber Ziel seines Unternehmens ist es, an diesem Zukunftsmarkt einen Anteil von 15 bis 20 Prozent zu erreichen. Und die Chancen dafür ste-hen sehr gut. Es brauchte allerdings einen langen Atem, kontinuier- liche Forschungsarbeit und viel Durchhaltevermögen, um bis hierher zu kommen. Denn die wissenschaftlichen Grundlagen für die Hoch-auflösung legte Prof. Stefan Hell, einer der Mitbegründer von Abberior Instruments und Spiritus Rector der hochauflösenden Mikroskopie, schon vor Jahrzehnten.

Bereits Ende der 80er-Jahre hatte der frisch promovierte Physiker die Idee, dass es möglich sein müsste, die scheinbar unüberwindlichen Grenzen der Lichtmikroskopie zu sprengen. Als Auflösungslimit für op-tische Mikroskope galt mehr als 100 Jahre die sogenannte Beugungs-grenze des Lichts, die der deutsche Wissenschaftler Ernst Abbe 1873 entdeckt hatte. Seither galt als unumstößliches Gesetz der Optik, dass nichts, das kleiner ist als eine halbe Lichtwellenlänge, also rund 200 Nanometer oder 0,2 Mikrometer, scharf erkennbar ist. Viren, Proteine und andere Moleküle, die etwa zehnmal kleiner sind, waren deshalb unter einem Lichtmikroskop nur als verschwommene Punkte zu sehen – ihre Feinstrukturen blieben dem Auge verborgen. Dieses Defizit ließ Hell keine Ruhe. Er wollte den Molekülen beim Tanzen zu-sehen. Dabei ist der Physiker keineswegs der Typus des weltfremden Wissenschaftlers, der sich in eine fixe Idee verrennt und nicht mehr von ihr lassen kann. „Realitätssinn“ ist eines der Substantive, die Hell häufig und gern gebraucht. Und genau dieser Realitätssinn sagte ihm, dass es eigentlich unwahrscheinlich war, dass in einer so langen Zeit mit vielen physikalischen Weiterentwicklungen und Durchbrüchen aus-gerechnet die Optik an eine Grenze gestoßen sein sollte. „Ich habe mich gefragt, ob es dabei um fundamentale oder um technische Probleme ging“, erklärt Hell seinen wissenschaftlichen Ansatz heute. Er habe fest-gestellt, dass es eigentlich nur um Hürden technischer Art ging. Er musste also lediglich den richtigen Weg finden, die entscheidende Idee haben, um diese zu überwinden – oder besser zu umgehen. Und die hatte er 1993. „An der Optik konnte man nichts mehr verbessern, das war mir schnell klar“, stellt Hell fest. Licht ließ sich nicht noch stärker bündeln, schärfer fokussieren. Wenn also die Physik nichts mehr hergab, vielleicht ging es auf einem anderen Weg? Den entdeckte der Forscher in den Molekülen, die man sich im Mikroskop letztendlich anschaute.

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Hell fand heraus, dass und wie man bestimmte Moleküle mit Laser-strahlen an- und ausschalten kann. Statt einer verschwommenen Masse treten nun wie auf einer Theaterbühne einzelne Strukturen, farbig markiert, nacheinander ins Spotlight. Mit diesem Trick gelang es dem Wissenschaftler, das Auflösungsvermögen des Fluoreszenzmikro- skops von der Beugung des Lichts zu entkoppeln. Plötzlich waren Ob-jekte erkennbar, die nur Bruchteile der Lichtwellenlänge groß sind; um das Zehnfache kleiner – und prinzipiell noch winziger. Hell hatte das Tor zur Nanoskopie aufgestoßen.

Es war ein wissenschaftlicher Sprung mit großer Bedeutung auch für andere Wissenschaftsbereiche. Als Krönung seiner Forschungsarbeit erhielt Hell neben vielen anderen renommierten Ehrungen und Aus-zeichnungen dafür 2014 gemeinsam mit den US-Wissenschaftlern Eric Betzig und William E. Moerner, die anschließend in verwandten Bereichen geforscht hatten, den Nobelpreis für Chemie. Doch vor dem großen Sprung lag ein langer Marsch – einer, der vielleicht schon in Hells Jugend begonnen hatte. Denn Hell stammt als Sohn Banater Schwaben aus einem kleinen Dorf in Rumänien, kam erst als Teenager nach Deutschland. Zwar empfand er Deutschland nach den Repres-salien des Ceaușescu-Kommunismus als große Befreiung, aber leicht hatte es der junge Spätaussiedler Ende der 70er-Jahre in der neuen Heimat auch nicht immer. Doch er war ein hervorragender Schüler, vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern seinen Klassenka-meraden deutlich voraus. Ohne diesen Hintergrund könne man ihn wahrscheinlich gar nicht verstehen, bemerkte Hell einmal in einem Interview. Vielleicht ist in diesem Werdegang tatsächlich die Wurzel zu suchen für Hells stilles Durchhaltevermögen, zurückhaltend zu

sein und dennoch resolut und unnachgiebig, was seine wissenschaft-lichen Vorstellungen angeht.

So ließ sich Hell auch nicht davon entmutigen, dass seine revolutionäre Idee zunächst in Deutschland keine Unterstützung und damit keine Geldgeber fand. Stattdessen ergriff er die Chance, ein nicht sehr gut dotiertes Stipendium an der Universität Turku anzunehmen, weil er dort zugleich den Freiraum hatte, an seiner Grundidee der ein- und ausschaltbaren Moleküle weiter forschen zu können. Seine Arbeit finanzierte er durch den Verkauf von Patenten und Lizenzen an inter-essierte Unternehmen und Forschungsinstitute. Dabei kam er in Kon-takt mit dem Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie in Göttingen. Nach vier Jahren in Finnland konnte er dort als Leiter einer sogenannten Nachwuchsgruppe, die jungen Wissenschaftlern mit ungewöhnlichen Denkansätzen die Chance bot, ihre Ideen zu realisieren, das vom ihm entwickelte STED-Prinzip (STED: Stimulated Emission Depletion) endlich in die Praxis umsetzen. Im Jahr 2000 war das erste STED-Mikroskop fertig. Auch wenn bis zur Gründung des eigenen Unternehmens noch einige Jahre vergehen sollten, war Hell im Gegensatz zu vielen anderen Wissenschaftlern der wirtschaftliche Wert seiner Arbeiten sehr früh klar. Und nicht nur das: Er war ihm auch wichtig. Denn anders als viele Forscherkollegen sieht Hell durch-aus Parallelen zwischen Wissenschaftler und Unternehmer. Beide brauchen aus seiner Sicht die Bereitschaft, mit offenen Augen und Realitätssinn ein gewisses Risiko einzugehen. „Man weiß viele Dinge nicht so genau, aber man versucht abzuschätzen, wie es laufen könnte – nicht zu pessimistisch, nicht zu optimistisch, um so das Risiko zu mini-mieren und dann sein Verhalten entsprechend anzupassen.“

Schon während seiner Promotion in Heidelberg hatte Hell im damaligen Start-up seines Doktorvaters miterlebt, wie man Forschungsergebnis-se in marktfähige Produkte umsetzt – und was man dabei falsch machen kann. Mangelnder Praxisbezug etwa kann eine gefährliche, manch-mal tödliche Stolperfalle sein. Als Hell gemeinsam mit einigen seiner Doktoranden die zunehmenden Anfragen interessierter Unterneh-men im Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, des-sen Leitung er inzwischen übernommen hatte, nutzte, um 2011 ein erstes Start-up zu gründen, war ein Asset deshalb unabdingbar: be-triebswirtschaftlicher Sachverstand. Und über den verfügte vor allem einer im Hause – Gerald Donnert. Der gebürtige Oberfranke hatte sich schon während des Studiums in Bayreuth nicht nur für Physik inter-essiert, sondern auch für Betriebswirtschaft, hatte sich während seiner anschließenden Promotion bei Professor Hell in Göttingen nebenher an Businessplan-Wettbewerben beteiligt – und gewonnen. Gleich nach der Promotion wechselte Donnert für drei Jahre als Consultant zu McKinsey – eine Zeit, in der er, wie er selbst sagt, wertvolle Erfahrungen für das eigene Unternehmen sammelte, erlebte, nach welchen Krite-rien Entscheidungen in Firmen getroffen werden. Nämlich ganz anders als in der Wissenschaft: Dort suche man – so Donnert – immer nach

N it p r aep r a v elen d e lest o r r u m q u ias et es eiu n t , c o n ser iasp id et q u isit au d io n p lib u sm , su m q u i c u s as ev en t o t asp ed q u o ev elen t . ar is iu m d e v o lessu s et es en im i, sit ash k j h p e, c o n sed q u is v o lu p t u s eu m ap it , sit o f f ic t i

N eu est e E r k en n t n isse au s C h em ie, B io lo g ie u n d P h y sik f ü h r en in d en H o c h au f lö su n g s-m ik r o sk o p en v o n A b b er io r I n st r u m en t s z u im m er weit er en L eist u n g sst eig er u n g en .

Dr. Gerald Donnert

Gerald Donnert, Jahrgang 1977, hat in Bayreuth Physik studiert und kam 2004 als Doktorand an das Göttinger Max-Planck-Institut von Prof. Stefan Hell. Nach seiner Promotion wechselte Donnert für drei Jahre als Management Consultant zu McKinsey. Dort beriet er vor allem Unternehmen der High-tech-Industrie und hatte einen funktionalen Schwer- punkt in der strategischen Wachstumsberatung von Klienten in Europa und Asien. 2011 kehrte er nach Göttingen zurück und gründete zusammen mit seinem Doktorvater Hell und anderen Wissen- schaftlern die Abberior GmbH und 2012 die Abberior Instruments GmbH. In beiden Unternehmen ist Donnert geschäftsführender Gesellschafter. Gemein- sam mit Stefan Hell wurde Gerald Donnert zum Entrepreneur Of The Year 2015 in der Kategorie Start-up gewählt.

„ Als Berater habe ich ein Gefühl dafür bekommen, wie viele Fakten man braucht und wie viele Unsicherheiten akzeptabel sind, um eine unternehmerische Entscheidung zu fällen.“D r . G er ald D o n n er t

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fast hundertprozentiger Sicherheit, während man in der Wirtschaft Unsicherheiten mit einkalkuliere. „Ich habe ein Gefühl dafür bekommen, wie viele Fakten man braucht und wie viele Unsicherheiten akzeptabel sind, um eine unternehmerische Entscheidung zu fällen“, sagt Donnert. Außerdem hat er bei McKinsey gelernt, wie man in Teams arbeitet. Auch während seiner Beraterjahre in München hielt Donnert immer Kontakt zu seiner wissenschaftlichen Heimat Göttingen – und war von Anfang als geschäftsführender Gesellschafter mit dabei, als 2011 zunächst Abberior und 2012 Abberior Instruments gegründet wurde: Die ältere Schwester von Abberior Instruments hat sich auf die Herstel-lung von Fluoreszenzfarbstoffen spezialisiert, mit denen Moleküle für die mikroskopische Untersuchung mithilfe der AI-Geräte markiert wer-den. Sowohl Donnert als auch Hell sehen in der einzigartigen Kombi-nation aus Farbstoffen und Hochleistungsmikroskopen einen deutlichen Wettbewerbsvorteil für beide Start-ups. Für die Anfangsfinanzierung ihrer Unternehmen, eine sechsstellige Summe, legten die Gründer ihre privaten Ersparnisse zusammen. Auch Hells Nobelpreisgeld floss in die Firmen. Alle weiteren Investitionen konnten die Gründer bisher aus dem Cashflow finanzieren – und sichern sich damit Beweglichkeit und Unabhängigkeit. Wenn es dem weiteren Wachstum des Unternehmens dienlich ist, ist aber auch fremdes Geld oder ein externer Investor kein Tabu. Wichtig sei bei solchen Überlegungen einfach, dass das Primat des technologischen Know-hows dabei nie gefährdet werde, sagt Hell.

Zurzeit gehören knapp 25 Mitarbeiter zum Team. Gezielt sprachen Donnert und Hell ehemalige Institutswissenschaftler an, warben sie sogar aus dem Ausland zurück, um umfassende Expertise im Unter-nehmen zu versammeln: Physiker, Chemiker, Biologen. Stefan Hell berät heute beide Firmen weiterhin strategisch, hält sich aber aus dem operativen Geschäft heraus. Allerdings sehen er und Donnert sich mehrfach in der Woche und tauschen sich aus. Denn nachdem ihr Potenzial erkannt worden ist, entwickelt sich die Hochauflösung nun sehr schnell. „An allen wichtigen Instituten weltweit wird intensiv daran geforscht“, weiß Gerald Donnert. Etwa im Halbjahresrhyth- mus will AI mit eigenen Innovationen auf den Markt kommen. „Tech-nologisch haben wir noch eine Menge in der Pipeline“, sagt der AI-Geschäftsführer. Die Abberior-Mikroskope zeichnen sich vor allem durch hohe Flexibilität aus, die eine bestmögliche Anpassung an die spezifischen Bedürfnisse der Kunden in Laboren weltweit ermöglicht. Diese Flexibilität garantiert zudem, dass sich die AI-Mikroskope leicht auf den neuesten Stand aufrüsten lassen. Und damit die Leistungsfä-higkeit der AI-Geräte kein Geheimtipp bleibt, haben Hell und Donnert mit ihrer Mannschaft eine aufwendige Roadshow konzipiert, mit der sie Universitäten und forschungsintensive Firmen besuchen. In ei- nen Container haben sie dafür eine komplette Laborausrüstung ein- gebaut, in dem potenzielle Kunden die AI-Produkte bei sich vor Ort unter Praxisbedingungen testen und ausprobieren können.

Davor, dass die etablierte Optik-Konkurrenz, die natürlich längst auch die Hochauflösung im Visier hat, die kleine, feine Göttinger Manu- faktur mit Marktmacht und Finanzkraft aus dem Geschäft drängen könnte, ist Hell und Donnert nicht bange. Und sie kennen auch keine Berührungsängste. Die High-End-Mikroskopie sei ein Wachstums-markt, in dem noch reichlich Platz sei. Wenn es sinnvoll sei, könne man sich selbst Kooperationen mit den Konzernen vorstellen. Einen Vorteil, den Hell und Donnert für ihr junges Unternehmen sehen, sei, dass es keinen historischen Ballast mit sich schleppen müsse. Etab-lierte Firmen wie Zeiss, Leica, Olympus oder Nikon haben dagegen durch das gesamte 20. Jahrhundert hindurch Mikroskope entwickelt, haben Produktlinien, die sich immer relativ gut verkauft haben und im Markt akzeptiert sind, von denen sie sich nun nicht einfach trennen können, weil sie von ihren Stammkunden immer noch nachgefragt werden. „Wir können da viel radikaler agieren“, sagt Hell. „Wir können diese neuen hochauflösenden Verfahren optimieren und brauchen keine beugungsbegrenzten Systeme zu bauen, nur weil wir die schon über Jahre verkauft haben und es noch Kunden mit einer gewissen antiquierten Haltung gibt, die gar nicht einschätzen können, was die neuen Systeme eigentlich leisten.“ Da ist der Firmenname sozusagen Programm. Er ist ein Wortspiel aus dem Namen Abbe, dessen Gesetz die neuen Göttinger Sieben brachen, und dem Begriff „superior“ – „überlegen“. Ein bisschen klingt das ja auch nach Warrior – einem Krieger, der sich anschickt, einen traditionellen Markt zu erobern.

Prof. Stefan Hell

Stefan Hell, Jahrgang 1962, wuchs in der Nähe von Arad in Rumänien auf. 1978 übersiedelte seine Familie nach Deutsch- land. Ab 1981 studierte Hell Physik in Heidelberg und war nach seiner Promotion 1990 kurzzeitig als freier Erfinder tätig. Schon zu dieser Zeit beschäftigte er sich mit Möglichkeiten, Lichtmikroskope zu konstruieren, die eine höhere Auflösung ermöglichten als die bis dahin entwickelten. Doch für seine Idee der Überwindung der Beugungsgrenze des Lichts fand er zunächst in Deutschland keine Geldgeber. In der Abteilung für Medizinische Physik der Universität Turku, Finnland, gelang es ihm schließlich, das Prinzip der STED-Mikroskopie (STED: Stimulated Emission Depletion) zu entwickeln und damit das Tor zur Nanoskopie aufzustoßen. Hells Habilitation in Physik erfolgte 1996 in Heidelberg. 1997 übernahm Hell am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie eine sogenannte Nachwuchsgruppe und konnte dort das STED-Prinzip in die Praxis umsetzen. 2002 wurde Hell zum Direktor des MPI er-nannt. Neben seiner Tätigkeit in Göttingen wurde er 2003 als außerplanmäßiger Professor an die Universität Heidelberg berufen und zudem Leiter der Abteilung „Hochauflösende Optische Mikroskopie“ am Deutschen Krebsforschungszent-rum. 2014 wurde Hell als Krönung seiner Forschungsarbeit gemeinsam mit den US-Wissenschaftlern Eric Betzig und William E. Moerner der Nobelpreis für Chemie verliehen. Mit anderen MPI-Forschern sowie Wissenschaftlern des Deut-schen Krebsforschungszentrums gründete Hell 2011 die Abberior GmbH. Das Start-up produziert Fluoreszenzfarbstof-fe. Ein Jahr später folgte die Abberior Instruments GmbH, die sich auf superhochauflösende Lichtmikroskope spezialisiert hat. Die Schwesterunternehmen, beide mit Sitz in Göttingen, können eine optimale Kombination aus Farbstoff und hochauf-lösender Hardware anbieten. Mit dem RESOLFT-Mikroskop, einer Weiterentwicklung der STED-Mikroskopie, setzt sich das junge Unternehmen deutlich von der Konkurrenz ab. Keine andere Firma bietet heute diese Methode an. Das RESOLFT-Mikroskop benötigt deutlich weniger intensives Licht und ist deshalb besonders gut geeignet, um lebende Zellen über lange Zeiträume zu untersuchen. Insgesamt hat AI in zwei Jahren mehr als 20 hochauflösende Lichtmikroskope in Europa und Asien verkauft.

„ Wir können diese neuen hoch- auflösenden Verfahren opti- mieren und brauchen keine beugungsbegrenzten Systeme zu bauen, nur weil wir die schon über Jahre verkauft haben.“P r o f . S t ef an H ell

Entrepreneure Report 15

01/2016 Entrepreneur

Zwischen zwei Welten

Mohed Altrad, EY World Entrepreneur Of The Year 2015, hat aus bescheidenen Anfängen einen weltweit erfolgreichen Hersteller von Gerüsten und Baumaschinen geformt. Dem in der Wüste Syriens aufgewachsenen Gründer der französischen Altrad-Gruppe war in seiner Heimat ein Leben als Viehhirte zu ge dacht. Diesem Schicksal hat Altrad sich mit aller Kraft widersetzt – sein ganzes bisheriges Leben lang.

Fotos Laura Stevensohed Altrad sollte nie im Leben eine Schule besuchen. Ein Dasein als Vieh- hirte, das war für ihn vorgesehen. Wie seine Väter und Großväter würde er mit den Beduinen durch die Wüs-tenlandschaften im Norden Syriens

ziehen und die Ziegen, Schafe und Kamele des Stammes hüten. Dazu brauchte man keine Schule, fand Moheds Großmutter, die sich um den Jungen kümmerte. Viel wichtiger als Bücher waren der Wechsel der Jahreszeiten und der Regen, dem man mit der Herde folgte. „Ich weiß bis heute nicht, wie alt ich wirklich bin“, erzählt Mohed Altrad, Gründer und Präsident der nach ihm benannten fran- zösischen Unternehmensgruppe. Im Beduinenlager wurden keine Geburtsurkunden ausgestellt. „Als ich 1969 nach Frankreich kam, entschied ich mich für 1948 als Geburtsjahr.“

Vom Hirtenjungen aus der Wüste zum erfolgreichen Entrepreneur, zum „König der Baugerüste“, wie manche ihn respektvoll nennen – das klingt nicht nach einem Lebenslauf, der allzu viel Kontinuität aufweist. Und so ist es vor allem eine Konstante, die Mohed Altrads Leben seit früher Kindheit prägt: „Das Widerstreben, mein mir zugewiesenes Schicksal anzunehmen.“ Altrad sträubte sich dagegen, sein Leben von dem Diktat der überlieferten Traditionen bestimmen zu lassen. Er war entschlossen, es selbst in die Hand zu nehmen. Die Großmutter verbot zwar den Schulbesuch – aber Mohed machte sich frühmorgens, wenn sie noch schlief, auf den Weg durch die Sanddünen hin zur Schule, wo er den Unterricht von draußen durch einen Riss in der Wand verfolgte.

Dieser nie versiegende Drang, Architekt seiner eigenen Biografie zu werden, hat Mohed Altrad vor Jahrzehnten aus Syrien nach Frankreich geführt und ihn dort zu einem der angesehensten Unter- nehmer werden lassen, dessen Rat beispielsweise in der Integra- tionspolitik auch bei Staatspräsident François Hollande gefragt ist. Heute zählt die Altrad-Unternehmensgruppe weltweit zu den Markt-führern bei Geräten und Anlagen für den Bausektor. Zum Produkt-portfolio des Unternehmens, das weltweit 17 000 Mitarbeiter be-schäftigt, einen jährlichen Umsatz von rund 1,8 Milliarden Euro erwirtschaftet und Kunden in mehr als 100 Ländern beliefert, zäh-len Gerüste, Betonmischer, Schalungssysteme und Baumaschinen,

M

D em er st en S t ü c k f r an z ö sisc h en B o d en s, d as er ein st b et r at , b lieb Mo h ed A lt r ad t r eu . D ie Z en t r ale d er U n t er n eh m en sg r u p p e lieg t in ein em r u h ig en W o h n g eb iet in Mo n t p ellier .

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Entrepreneur 01/2016

heute. „Ich spürte, dass die Schule meine einzige Chance war.“ Er lernte so vorbildlich, dass die anderen Kinder bald von Neid ge-packt wurden. Eines Tages, nach Schulschluss, packten sie ihn, gruben in der Wüste ein tiefes, enges Loch, in das er gerade hin-einpasste, steckten ihn mit dem Kopf voran hinein und liefen weg. Mit letzter Kraft schaffte der Junge es, sich hinauszuwinden. Sein Glück war es, dass ein kinderloses Paar aus Rakka, heute eine Hoch- burg der IS-Terrormiliz, ihn aufnahm. Mit 17 legte er sein Abitur ab. Seine hervorragenden Leistungen brachten ihm ein Stipendium ein. In Frankreich. Mit 200 Francs in der Tasche kam Mohed Altrad an einem kalten Novemberabend des Jahres 1969 in Montpellier an, der Mini-Metropole an der französischen Mittelmeerküste. Dem ersten Stück französischen Bodens, das er betrat, blieb er treu. Heute noch beherbergt Montpellier die mit nur 25 Mitarbeitern extrem schlanke Zentrale der Holding, in einem ruhigen Wohngebiet in direkter Nachbarschaft zum Wohnanwesen Altrads gelegen.

Als Altrad in Frankreich ankam, sprach er kein Wort Französisch. „Ich fand mich in einer völlig fremden Welt wieder“, erinnert er sich. „Und mir war schnell klar, dass nicht Frankreich mich akzep-tieren musste, sondern ich Frankreich.“ Ein gewollt deutlicher Hinweis an die Zehntausende Flüchtlinge aus Syrien, die in den vergangenen Monaten nach Europa und auch nach Frankreich gekommen sind. Mohed Altrad spürte, dass Bildung Chancen ver-spricht. Er lernte schnell und begierig. Sein Streben nach Bildung, allen Widerständen zum Trotz, das ist auch so eine Konstante in

seinem Leben. An der altehrwürdigen Universität von Montpellier studierte er Mathematik und Physik und promovierte in Computerwissenschaf-ten. Danach arbeitete er einige Jahre für renom-mierte französische Unternehmen wie Alcatel und Thomson.

Er war angekommen. Mohed Altrad erhielt die französische Staatsbürgerschaft. Später wurde er ob seiner Verdienste als Unternehmer zuerst zum Ritter, dann sogar zum Offizier der Ehren-legion ernannt – eine der ranghöchsten Auszeich-nungen, die der französische Staat vergibt. Aber trotz alledem bleibt bis heute ein „gewisses Ge-fühl der Fremdheit im Blut und im alltäglichen Leben“. Es beginnt immer wieder schon bei der Frage, was für ein Landsmann er ist. Franzose? Ja, natürlich, aber irgendwie auch nicht, jeden-falls nicht so richtig. „In den meisten Artikeln über mich heißt es: ‚Er ist Franzose syrischer Her-kunft‘“, erzählt Altrad. „Warum müssen sie das immer erwähnen? Hin und wieder erinnern mich die Leute daran, dass ich kein ‚richtiger Franzose‘ bin.“ Seine innere Zerrissenheit hat Mohed Altrad vor Jahren in dem autobiografischen Roman

wenig Geld zu haben. Mit den Jahren wurden die Zukäufe aus dem In- und Ausland größer – und Altrad entwickelte sich zum Mover & Shaker im Konsolidierungs- und Konzentrationsprozess der bislang vorrangig lokal ausgerichteten Branche. Vorläufiger Höhepunkt war die Übernahme des niederländischen Industriedienstleisters Hertel mitsamt 70 Auslandsniederlassungen Anfang vorigen Jahres. Allein durch diesen Merger konnte die Altrad-Gruppe ihren Umsatz nahezu verdoppeln. Altrad selbst räumt ein, dass sein Expansionsdrang nicht allein von der ökonomischen Ratio genährt wird. Wieder ist es seine Vergangenheit, die ihn antreibt. „Meine eigene Erfahrung“, erklärt er, „mein eigener Weg aus der Lebens-feindlichkeit der Wüste in die europäische Zivilisation haben mich gelehrt, welch immense Bereicherung es ist, einer bis dato fremden Kultur zu begegnen, sie zu respektieren und lieben zu lernen.“ So ist jede Akquisition für ihn bis heute ein kulturelles Abenteuer: Welche Identität hat das gekaufte Unternehmen? Was können wir von ihm lernen? Welche Werte und Traditionen müssen wir auf jeden Fall unangetastet lassen?

Der Konzernchef lässt den übernommenen Unternehmen, wenn immer es geht, größtmögliche Eigenständigkeit – auch dies ein Reflex der Zwänge und Konventionen, des Mangels an Freiheit seiner frühen Jahre. Das beginnt schon damit, dass die erworbenen Unternehmen grundsätzlich ihre angestammten Namen behal-ten. „Mit jeder Akquisition erwerben wir ein individuelles Wesen mit einer eigenen Persönlichkeit“, erklärt Altrad seine Merger- Philosophie. „Die meisten Unternehmen unserer Größe zwingen die zugekauften Firmen in ihre bestehende Kultur und löschen alles aus, was an die frühere Unternehmenskultur erinnert. Diesen Weg lehne ich für unsere Gruppe strikt ab.“ Sein Unternehmens-gefüge beschreibt er als weit verzweigte Familie – mit unterneh-merisch weitgehend eigenverantwortlich agierenden Töchtern und Söhnen, Nichten und Neffen, die ihr Ohr stets am Puls ihrer an-gestammten Märkte haben.

Ein für alle Familienmitglieder verbindlicher Wertekanon hält die Zentrifugalkräfte unter Kontrolle. Beachtliche 605 Seiten stark ist das Grundgesetz der Altrad-Gruppe, „Pathways to the possible“ genannt. Die zentralen Werte, so der frühere französische Kultur- und Verteidigungsminister François Léotard, ein Freund Altrads, seien „anspruchsvoll, trocken und simpel“. Der Grundsatz der Subsidiarität findet sich dort genauso an vorderster Stelle wie ein klares Bekenntnis zu Respekt, Vertrauen, Eigenverantwortung, Solidarität und Teamfähigkeit. Gemeinsam an etwas und für etwas arbeiten – das ist für den Konzernchef eine absolut unverzicht-bare Tugend. Die Werte bilden das unerschütterliche Fundament der Gruppe. „Sie sind die Garanten der Nachhaltigkeit“, sagt Mohed Altrad – und ist damit beim eigentlichen Ziel seines unternehmeri- schen Wirkens angelangt. Würde es ihm um persönlichen Reichtum gehen, hätte er längst alles verkauft, „und ich könnte ein sorgen-freies Leben in Wohlstand genießen“. Nein, etwas ganz anderes sei maßgeblich: der Wunsch, nach all den Widernissen seines Lebens-laufes etwas zu schaffen, „das meinen Namen trägt und Bestand hat – auch über meinen Tod hinaus“.

Altrad Group

Die Altrad-Gruppe zählt weltweit zu den Markt-führern im Gerüstbau sowie bei Baustellen-Equipment wie Betonmischern und Schubkarren. Weltweit erwirtschafteten die 17 000 Beschäf-tigten im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund 1,8 Milliarden Euro. 2015 wurde Firmen-gründer Mohed Altrad von EY als World Entre-preneur Of The Year ausgezeichnet.

aber auch vergleichsweise profanes Equipment wie Schubkarren. In den vergangenen Jahren hat sich die Vermietung insbesondere von Großgerüsten zum zweiten Standbein entwickelt. „Wir wollen Weltmarktführer in allen Geschäftsbereichen werden, in denen wir tätig sind“, definiert der Unternehmensgründer selbstbewusst das Ziel.

In Interviews weigert Altrad sich freundlich, aber bestimmt, Arabisch zu sprechen, auch wenn der Interviewer ihn in der Sprache sei-nes Geburtslandes anspricht. Wo sind seine Wurzeln, wohin fühlt er sich zugehörig, wo ist Heimat? „Genau genommen gibt es kein Land, zu dem ich gehöre“, sagt er. Syrien? „Das ist nur noch ein Torso, um den sich verbrecherische Organisationen bekriegen.“ Da gibt es nichts, woran er erinnert werden möchte. Nichts, das ihm Orientierung vermittelt, kulturelle Traditionen etwa, ein Ver-mächtnis der Beduinenkultur, die er einst zurückließ. Seine Kind-heit war ein einziges Trauma. Die Mutter lernte er nie kennen. Sie war selbst noch ein Kind, als sie den Jungen gebar, erst zwölf oder 13 Jahre alt, und da hatte sie schon einen Sohn. Vom Vater der beiden Söhne wurde sie zurückgewiesen und sie starb kurz nach Moheds Geburt. Der Vater, Führer ihres Beduinenstammes, miss-handelte Moheds Bruder so schwer, dass er starb. Mohed selbst wur-de von seinem Vater verstoßen und wuchs bei der Großmutter auf.

Nachdem der Junge endlich die Schule besuchen durfte, avancier-te er schnell zum Klassenbesten. „Es war purer Instinkt“, sagt er

„Badawi“, Arabisch für „Beduine“, aufgearbeitet. Das Buch, mitt-lerweile Lektüre an vielen französischen Schulen, ist die Geschichte eines Menschen, der zwischen zwei Welten seinen Weg durchs Leben sucht.

Das Jahr 1985 markiert den Beginn der Unternehmerkarriere Altrads. Aus dem Bekanntenkreis ereilte ihn die Anfrage, ob er vielleicht am Erwerb einer insolventen Gerüstbaufirma mit 200 Mit-arbeitern und passabler Auftragslage, aber einer Menge Schul-den interessiert sei. Während einer vierjährigen, gut dotierten Tätig-keit für die staatliche Erdölgesellschaft in Abu Dhabi hatte Altrad einige hunderttausend Dollar beiseitegelegt; etwas Geld zur Sanie-rung war also da. „Du hast keinen Schimmer von Baugerüsten“, dachte sich Altrad, der seine unternehmerische Zukunft bis dato eher in der Computerbranche gesehen hatte. Andererseits – Gerüste werden überall gebraucht, bei jedem Bau, auf Flughäfen, in Raffinerien. Und warum sollte man das Sortiment nicht gleich ergänzen – um all die nützlichen Dinge, die Bauunternehmen benötigen, Betonmischmaschinen beispielsweise oder auch Schub- karren? Alles aus einer Hand. „Es war mehr eine Intuition, der drängende Wunsch, etwas zu wagen, als ein präzise ausgearbei-teter Plan“, erinnert sich Altrad. Er schaffte den Turnaround der Firma innerhalb eines Jahres. Auch durch Einsparungen, aber vor allem, indem er den Lebensgeist der Firma und ihrer Beschäftig-ten wieder erweckte. „Die Leute sahen: Da ist einer, der steckt seine gesamten Ersparnisse in unseren Laden. Der glaubt tatsächlich an uns. Also los, an die Arbeit!“

Von Beginn an richtet Altrad sein unternehmerisches Wirken auf Expansion aus – vor allem durch gezielte Akquisitionen. Kein an-deres Unternehmen im europäischen Bausektor hat in den vergan-genen 30 Jahren auch nur annähernd so viele Firmen gekauft. Anfangs standen vor allem notleidende, regional agierende Nischen- player aus Frankreich im Fokus des Entrepreneurs; sie waren für

„ Mir war schnell klar, dass nicht Frankreich mich akzeptieren musste, sondern ich Frankreich.“Mo h ed A lt r ad

V o n sein em S c h r eib t isc h au s h at Mo h ed A lt r ad d ie F o t o s sein er f ü n f K in d er st et s im B lic k .

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01/2016 Entrepreneur

Denken und Lenken in langen Zyklen

In der Papierfabrik August Koehler SE ist man stolz auf mehr als 200 Jahre Firmengeschichte. Doch für Behäbigkeit und

Vergangenheitsseligkeit lässt Vorstandschef Kai Furler keinen Platz. Auf der Suche nach neuen Wachstumsfeldern sind

die Schwarzwälder Papiermacher mittlerweile auch außerhalb ihres angestammten Terrains fündig geworden.

Fotos Robert Fischer

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01/2016 Entrepreneur

ie Maschine schwitzt. Warmes Wasser läuft in langen Rinnsalen an ihr herunter. Pap-pig ist der Brei, mit dem sie pausenlos ge-füttert wird. Kaum zu glauben, dass sie die-se wabernde Masse

aus Zellstoff und Wasser nur wenige Sekun-den später als fein geglättete, aufgerollte Papierbahn am anderen Ende wieder aus-spucken wird. Auf dem Weg durch den gut 30 Meter langen stählernen Lindwurm wird die Feuchtigkeit im Eiltempo aus dem „Zeug“ – so nennen die Papiermacher von alters her den Zellstoffbrei – gepresst. Mit mehr als 60 Stundenkilometern jagt das anfangs noch klatschnasse Papiervlies im Slalomkurs über eine Reihe dampfbeheiz-ter Trockenzylinder seiner Vollendung ent-gegen. Seit 1924 verrichtet diese Maschine hier, im Oberkircher Werk der Papierfabrik August Koehler, ihren Dienst. Die größere Apparatur gleich nebenan nimmt sich gegen den Oldtimer aus dem Todesjahr Lenins geradezu wie ein Jungspund aus. „Baujahr 1963“ verrät ein Blechschild. „Abgesehen vom stählernen Gerüst werden Sie an dieser Maschine kaum noch ein Originalteil finden“, erklärt Kai Furler, der Vorstandsvorsitzende des im Schwarzwald-Städtchen Oberkirch beheimateten Unternehmens. „Im Grunde genommen ist es eine fast neue Maschine, mit elektronischer Steuerung nachgerüstet, die ganz andere Papierqualitäten fertigen kann als damals.“ Kurz vor Weihnachten fin-de traditionell die jährliche Firmen-Jubilar-feier statt, erzählt er. „Vor zwei, drei Jahren hätten Sie dort vermutlich sogar noch den einen oder anderen Mitarbeiter gefunden, der 1963 bei der Inbetriebnahme mit dabei war.“ Und viele dieser „Silberrücken“ haben irgendwann zu ihren Söhnen und Töchtern gesagt: „Geh auch zum Koehler, das ist eine sichere Sache, mach dort deine Ausbildung!“

Bei Koehler denkt und lenkt man in langen Zyklen. Das im Tal des Flüsschens Rench ge-legene Fabrikensemble, eine Mischung aus der Architektur des beginnenden Industrie-zeitalters und modernen, lichtdurchfluteten Bauten, atmet noch den Geist eines uralten Gewerbes. Man fühlt sich dem Bewährten ver-pflichtet. „Wir stehen für Tradition und Quali-tät“, heißt es, wie in Stein gemeißelt, in den Firmengrundsätzen. Das Unternehmen, mittler-weile in achter Generation in Familienhand, gilt als der Spezialist unter den deutschen Pa-pierfabrikanten. Aus den vier Fabriken des Unternehmens kommen Spezial- und Fein- papiere, beispielsweise Thermopapiere für Kassenbons, Preisetiketten, Flugzeug-Bord-karten und Parktickets, Landkartenpapier,

D

Kai Furler

Der 41-Jährige leitet in achter Generation das im Schwarzwald-Städtchen Oberkirch beheimatete Familienunternehmen Papierfabrik August Koehler SE. Nach einem Studium der Europäischen Betriebs-wirtschaft war er in New York für den Aufbau eines Multimedia-Unternehmens mitverantwortlich und arbeitete dann in Hamburg bei einer Finanzbera-tung. 2001 trat er als Vorstandsassistent in das von seinem Vater und seinem Onkel gemeinsam ge-führte Unternehmen ein. 2007 übernahm er die Position des kaufmännischen Vorstands, 2011 den Vorstandsvorsitz. In vier deutschen Werken produ-ziert Koehler jährlich mehr als 500 000 Tonnen Spe-zial- und Feinpapiere, die weltweit in 120 Ländern vertrieben werden. 2014 erwirtschafteten knapp 1 800 Mitarbeiter einen Umsatz von 672 Mio. Euro.

Handpapierfabrication eingestellt“, heißt es in Franz Ignaz Koehlers handschriftlichen Aufzeichnungen. Die erste Papiermaschine hielt Einzug in Oberkirch.

Für Kai Furler ergibt sich aus der langen Ge-schichte des Unternehmens eine Verpflich-tung. „Die Leitung der Firma ist für mich ein Generationenauftrag“, sagt der 41-Jährige. „Da unterscheide ich mich sicher von so man-chem Manager börsennotierter Konzerne, die ihren Blick primär auf das Quartalsergeb-nis geheftet haben und nach drei, vier Jah-ren zu einem anderen Unternehmen wechseln.“ Er kennt sie ja, die Beispiele aus der eigenen Branche. „Da kriegen Sie keine Investition mit einem Return on Investment von mehr als zwölf Monaten durch. Und der Vorarbeiter muss den Mitarbeitern in der Produktion sa-gen, dass leider kein Geld da ist, um ein paar neue Besen zum Fegen zu kaufen.“ An kurz-fristige Bilanzkosmetik verschwenden Furler und seine beiden Vorstandskollegen keine Zeit. Warum auch? – Ihnen sitzen keine Inves-toren und Analysten im Nacken. Mit Blick nach vorne steuert Furler das Unternehmen durch die Wechselfälle der Zeiten – damit er es dereinst in bestem Zustand an die nächste Generation weitergeben kann. So denken of-fenbar auch die anderen Anteilseigner. „Nie-mand aus dem Kreis der etwa 20 Gesell-schafter hat in den vergangenen drei oder vier Jahrzehnten Gewinne abgeschöpft“, versi-chert der Firmenchef. „Alles wurde wieder in die Firma investiert.“

Bei Koehler nimmt man sich Zeit. Und man gibt Zeit. So erwarb das Unternehmen vor sieben Jahren die Katz-Gruppe, weltweit Nummer eins in der Produktion von Bierglasuntersetzern. Zwei Private-Equity-Firmen nacheinander, den schnellen Profit im Sinn, hatten den Herstel-ler immer tiefer in die Krise gewirtschaftet. Mittlerweile zählt Katz zu den Perlen der Koehler-Gruppe, auf die viele Wettbewerber etwas neidisch schauen. Den Unterschied spüren nicht zuletzt die knapp 1 800 Mitar-beiter. In guten Zeiten werden sie finanziell am Erfolg des Unternehmens beteiligt. In Kri-senzeiten, von denen die Papierindustrie auch in jüngerer Zeit nicht verschont blieb, versuchte die Unternehmensführung ge-meinsam mit dem Betriebsrat, Kündigungen zu verhindern – beispielsweise durch Mehr-arbeit ohne Lohnausgleich. Langjährige Be-triebsräte loben eine „selten gewordene Kultur, die geprägt war von gegenseitigem Vertrauen und dem gemeinsamen Ziel, das Unternehmen sowohl wirtschaftlich als auch menschlich weiterzuentwickeln“. Nur ein-mal ließ sich ein harter Schnitt trotzdem nicht vermeiden. Kurz nachdem Kai Furler im Jahr 2007 in den Vorstand aufgerückt war, muss-te er zwei kleine Werke in Ettlingen und

K o eh ler g ilt seit j eh er als d er S p ez ialist u n t er d en d eu t sc h en P ap ier f ab r ik an t en . V o r st an d sc h ef K ai F u r ler ist f r o h , d ass sein e V o r g ä n g er sic h au f d as v o lat ile G esc h ä f t m it Massen war e n ie ein - g elassen h ab en .

Dekorpapiere, Spielkarten für die weltweit größten Casinos, Selbstdurchschreibepapiere, Bierglasuntersetzer und Schießscheibenkar-ton. Auf das volatile Geschäft mit Massenware, Zeitungs- und Katalogpapier etwa, hat sich Koehler nie eingelassen.

Die Geschichte der Papiermacherei in Ober-kirch reicht weit zurück, weiter noch als bis 1807, ins Gründungsjahr des Unterneh-mens. Schon 1751 hatte der Oberkircher Bäckersohn Joseph Stöckle am Mühlbach eine Papiermühle errichtet, die jedoch bald überschuldet war und mehrfach den Besitzer wechselte. 1807 ersteigerte der aus dem 60 Kilometer entfernten Ettlingen stammende Otto Koehler die darbende Mühle. Das Papier wurde anfangs noch nach alter Handwerksart Bogen für Bogen von Hand aus der Bütte ge-schöpft. Unter dem Enkel des Gründers vollzog der Betrieb den Übergang ins Industriezeit-alter. „Den 10. September 1865 wurde die

„ Eine selten gewordene Kultur, geprägt von gegenseitigem Vertrauen und dem gemeinsa- men Ziel, das Unternehmen sowohl wirtschaftlich als auch menschlich weiter- zuentwickeln.“K ai F u r ler

Bensheim schließen. Die Lage war ernst. „Die beiden Fabriken waren nicht zukunftsfähig“, erinnert sich Furler, „ein börsennotiertes Unter-nehmen hätte sie schon viel früher stillgelegt.“ Hätte das Unternehmen die beiden Werke noch mit in die bald darauf hereinbrechende Wirtschafts- und Finanzkrise genommen, erklärt Furler, „wäre unser Schiff womöglich schwer ins Schlingern geraten“. Dank Sozial-plan und Transfergesellschaft hatte jeder Mit-arbeiter der beiden Werke binnen sechs Mo-naten wieder Arbeit. „Es ist gut ausgegangen“, sagt Kai Furler. „Aber das wissen Sie ja an-fangs nicht. Ich habe mich mit dieser Entschei-dung sehr schwergetan.“

Er sei „im Umfeld der Fabrik groß geworden“, erzählt der Betriebswirt Furler, der nach ersten beruflichen Stationen in New York und Ham-burg 2001 als Vorstandsassistent in das Fami-lienunternehmen eintrat. Auf die anstehende Wachablösung an der Firmenspitze konnte er sich in aller Ruhe vorbereiten. Anders als so

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sehe ich dort 30 Leute an der Papiermaschine stehen und bei uns vier.“ Furler bleibt wachsam. „Wir sind in der Lage, sofort zuzuschlagen.“

Dass die Oberkircher dies beherrschen, haben sie in den letzten beiden Jahrzehnten im In-land zweifach bewiesen: bei der Übernahme des Bierdeckelspezialisten Katz und 1998 beim Kauf einer Papierfabrik im thüringischen Greiz. Dort werden heute farbige Papiere und Kartons auf Recyclingbasis hergestellt. Doch nicht nur auf angestammtem Terrain versteht Koehler es, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. In den vergangenen Jahren hat das Unternehmen das Geschäft mit regenerativen Energien sukzessive zu einem zweiten Standbein ausgebaut. Die Wurzeln reichen auch hier weit in die Geschichte des Unternehmens zurück. Schon im 19. Jahr-hundert trieben Wasserräder die Mahlwerke der Koehler’schen Mühle und später die erste Papiermaschine an.

Das jüngere Energie-Engagement begann, als das Unternehmen im Jahr 2002 gemeinsam mit dem Stromversorger RWE auf dem Gelände der Kehler Fabrik ein Biomasseheizkraftwerk errichtete. Gefüttert mit Althölzern, erzeugt es Prozessdampf für die Papierproduk tion und speist regenerativ erzeugten Strom ins Netz ein. Mittlerweile betreibt die 2012 gegründete Unternehmenstochter Koehler Renewable Energy GmbH (KRE) sieben solcher Öko-Meiler. In Oberkirch und Weisenbach dient das Wasser von Rench und Murg zur Energiegewinnung, in Schottland hat sich KRE an einem Onshore- Windpark beteiligt, der gegen Ende dieses Jahres den ersten Strom ins Netz einspeisen soll. Weit über 120 Milli onen Euro aus den Erträgen des Papiergeschäfts flossen in den vergangenen drei Jahren in die Energie- tochter – ein Verzicht auf bereits realisierten Gewinn zugunsten des Aufbaus einer nach-haltigen Energieversorgung. Wo sich in Ober- kirch früher der Schlot des alten Kraftwerks gen Himmel reckte, residiert jetzt die KRE-Zentrale. Symbolträchtiger geht es kaum. Das Ziel der Energieaktivitäten hat Kai Furler klar definiert: „Langfristig wollen wir mehr grünen Strom erzeugen, als wir in der Papier- pro duktion verbrauchen.“

Mittlerweile haben die Oberkircher ihre Fühler schon wieder auf neue, weiter entfernt liegen-de fruchtbar scheinende Felder ausgestreckt. Eine kleine Task Force der Tochter firma Koehler Invest GmbH prüft ständig mögliche Invest-ments in innovative Start-ups. „Wir halten überall die Augen offen, sondieren Chancen und bewerten Risiken“, sagt Kai Furler. Das Konzept von SunCoal Industries aus Berlin, die aus Grasschnitt, Laub und Holz Biokohle herstellen, konnte überzeugen. Auch BigRep, ein Berliner Start-up, das kürzlich den größten serienmäßigen 3-D-Drucker der Welt präsen-tierte, kann die Weiterentwicklung der nächsten 3-D-Druckgeneration jetzt mit Koehler-Geld vorantreiben. „Vieles kommt auf den Tisch, vieles wird verworfen“, sagt Kai Furler. „Aber Sie können sicher sein: Von uns sind noch einige Überraschungen zu erwarten.“

an Kai Furler, den neuen kaufmännischen Vorstand. Vier Jahre später übernahm der Junior auch den Vorstandsvorsitz.

Von den fitten Maschinenveteranen in der Ober-kircher Fabrikhalle sollte sich übrigens nie-mand in die Irre führen lassen. Nichts bei Koehler erweckt – bei aller Traditionsverbundenheit – den Eindruck von Behäbigkeit oder Vergan-genheitsseligkeit. Ganz im Gegenteil: Es ist die Innovationsfähigkeit, die als Klammer mehr als 200 Jahre Firmengeschichte zusammen-hält. Eine hohe Adaptionsgeschwindigkeit ist überlebensnotwendig in einer Branche, die durch Verdrängungswettbewerb und Preis-verfall gekennzeichnet ist. Der Innovations-Newsletter kündet von den großen und kleinen Koehler-Erfolgsgeschichten. Vom neuen di- gital bedruckbaren Plakatpapier. Der beson-ders umweltfreundlichen Trittschalldämmung „Green Lignin“. Oder dem Dekorpapier, das mit deutlich reduziertem Titandioxidanteil aus- kommt. In puncto Qualität und Effizienz duldet Furler keine Kompromisse. In den vier Fabriken sind die letzten Nischen der Gemütlichkeit lange ausgekehrt. Interner Wettbewerb und gegenseitiger Ansporn seien an die Stelle des „Das haben wir doch schon immer so ge-macht“ getreten. „Wenn in einem unserer Werke im vorigen Jahr eine Papiermaschine einen neuen Effizienzrekord aufgestellt hat“, erklärt der Unternehmenschef, „dann wird die Mannschaft von der Maschine nebenan alles daransetzen, das Ergebnis zu toppen.“

Stets haben die Schwarzwälder Papiermacher ihr Ohr am Puls der Branche. Sie wissen, wann „Klotzen statt Kleckern“ angesagt ist. Sei es 1988, als es am Stammsitz in Oberkirch zu eng wurde und die Gebrüder Furler am Rhein-hafen in Kehl einen halben Jahresumsatz in den Bau einer neuen Fabrik investierten – ein Werk, das seit Jahren die weltweite Kosten-führerschaft in der Herstellung von Thermo-papier verteidigt. Oder im vorigen Jahr, als in Oberkirch ein komplett neues Logistikzen-trum mit Hochregallager in Betrieb ging. Die 40 Millionen Euro teure Baumaßnahme, finan-ziert aus dem Cashflow, war eine wegweisen-de Investition in die langfristige Sicherung des Standorts Oberkirch. Längst ist Koehler zu einem Global Player herangewachsen; das Unternehmen beliefert Kunden in 120 Ländern. Die Produktion in Deutschland stand nie zur Debatte, erklärt Kai Furler, „aber natürlich ha-ben wir in den vergangenen zehn Jahren im-mer wieder auch andere Standorte geprüft, in den USA, in China, Vietnam, Brasilien und Indien.“ Letztlich wurden sämtliche Optionen wieder verworfen. Die Effizienz der Anlage sei entscheidend, erklärt Furler, nicht so sehr der Lohnkostenvorteil oder ein preiswertes Grund-stück. „Und wenn ich mir da einen unserer chinesischen Wettbewerber anschaue, dann

manche Juniorchefs, die auf den Chefsessel gelangen, weil die Familie es von ihnen erwar-tet, begriff Furler „das Unternehmen immer als Chance, nie als Bürde. Nur den Zeitpunkt, an dem ich operative Verantwortung übernehme, wollte ich selbst bestimmen.“

Vor dem Wechsel auf der Kommandobrücke war Kai Furler dennoch ein wenig bange. Sein Vater Klaus und sein Onkel Wolfgang Furler hatten das Unternehmen schließlich fast 40 Jahre lang gemeinsam geführt. „Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass sie, die fast täglich 15, 16 Stunden im Unternehmen zuge-bracht hatten, sich von einem Tag auf den an-deren komplett aus dem operativen Geschäft in den Aufsichtsrat zurückziehen.“ Schließlich scheitern viele Generationswechsel daran, dass der Senior nicht loslassen kann und als „back-seat driver“ nach wie vor im Hinter-grund die Strippen zieht. Nicht so bei Koehler. Auf den Tag genau zum 200. Firmenjubiläum übergaben Vater und Onkel das Tagesgeschäft

K lat sc h n asses V lies v er wan d elt sic h in S ek u n d en sc h n elle in f ein st es P ap ier – K ai F u r ler v o r ein er sein er P ap ier m asc h in en in d er O b er k ir c h er F ab r ik .

V o n O b er k ir c h au s wer d en d ie K o eh ler - P ap ier e in 1 2 0 L ä n d er ex p o r t ier t . H ier im S c h war z -wald ist m an st o lz au f d ie alt en T r ad it io n en d es P ap ier m ac h er -h an d wer k s.

„ Niemand aus dem Kreis der Gesellschafter hat in den vergangenen Jahr-zehnten Gewinne abge-schöpft. Alles wurde wieder in die Firma investiert.“K ai F u r ler

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Loblied auf die Evolution

Seit mehr als zwei Jahrzehnten lenkt das gleiche Duo die Geschicke des niederlän- dischen Logistik- und Großhandelsunter-nehmens B&S – ein fast schon antiquiert anmutendes Beispiel personeller Kontinui-tät. Dabei hatten Willem Blijdorp und Bert Meulman es nicht immer leicht miteinan-der; dafür sind die Führungsstile der beiden Eigentümer des traditionsreichen Dienst-leisters einfach zu unterschiedlich. In einem waren sie sich allerdings stets einig: Die In-teressen des Kunden sind die Raison d’Être des Unternehmens. „Wenn wir uns das nicht täglich zu Herzen nehmen würden“, sagt Vorstandschef Meulman, „dann gäbe es uns schon lange nicht mehr.“

Fotos Matthias Ziegler

B & S - V o r st an d sc h ef B er t Meu lm an p f leg t lan g j ä h r ig e B ez ieh u n g en z u sein en K u n d en , „ P ar t n er sc h af t en “ sag t er d az u . „ U n ser e K u n d en f ü h len sic h wo h l m it u n s“ , er k lä r t er , „ sie sin d t r eu , sie k eh r en u n s n ic h t d en R ü c k en . “

us der Sicht von Kreuzfahrtreedereien gibt es vor al-lem ein Qualitätskriterium für Hamburger. „Sie müssen überall gleich schmecken und gleich aussehen, egal wo auf der Welt sich das Schiff gerade befindet“, sagt Bert Meulman. „Die Kreuzfahrtlinien bestehen darauf“, er-

klärt der Vorstandschef des niederländischen Lebensmittellogistikers B&S, „weil die Urlauber an Bord nicht jeden Tag etwas anderes auf dem Teller haben wollen, das zufälligerweise den Namen Hamburger trägt – mal platt, mal rundlich, mal kross, mal labberig, mal scharf gewürzt und mal laff.“ Klingt einfach, ist aber kompliziert. Und: „Wenn Sie jedes Mal in einem Hafen, den Sie gerade anlaufen, das Fleisch für die Buletten vor Ort kaufen, funktioniert es überhaupt nicht.“ Hack-fleisch aus Neapel und aus Kairo schmeckt in den seltensten Fällen gleich. Außerdem lägen die Schiffe ja manchmal nur wenige Stunden im Hafen. „Genau in diesem Zeitfenster muss das Fleisch angeliefert werden.“ Jetzt ist Meulman vollends in seinem Element: „Es gibt keine Entschuldigung für den Fahrer, wenn er zu spät kommt.“ Außerdem dürfe nichts angetaut sein, „sonst gibt es Probleme mit der Lebens-mittelhygiene“. Vor allem in südlichen Ländern sei das mitunter ein Problem. Und natürlich müssen die Frachtpapiere in Ordnung und alle Zollformalitäten geklärt sein. Meulmans Argumentationskette nähert sich dem Finale. „Wenn Sie das als Lieferant vergeigen, und der Food & Beverages Manager des Schiffes steht ohne Hackfleisch da, wird die Reederei den Vertrag mit Ihrer Firma kündigen, und zwar sofort.“ Meulman blickt von seinem Schreibtisch auf. „Sie brauchen einen Lieferanten, auf den Sie sich absolut verlassen können“, sagt er und nimmt Maß. „Ich leite so ein Unternehmen. Wir können das.“ Tief-gekühlte Rindfleischbuletten sind nur eines von 40 000 Produkten, die B&S per Flugzeug, Schiff und Lastwagen rund um den Erdball trans-portiert. Fast alle großen Kreuzfahrtlinien zählen zu den wichtigsten

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Kunden des Unternehmens, das im niederländischen Dordrecht behei-matet ist, in unmittelbarer Nähe zum Hafen von Rotterdam, dem größten Port Europas. Die Belieferung von Schiffen mit Lebensmitteln und Getränken gehört schon seit der Gründungszeit des ältesten Unternehmensvorläufers vor fast 150 Jahren zum Kerngeschäft von B&S. Damals, im Jahr 1872 war’s, gab ein deutscher Kapitän namens August Köpcke für seine große Liebe das unstete Seemannsleben auf und eröffnete in Rotterdam einen Lieferservice für die Frachtschiffe, die im stetig schneller wachsenden Hafen ihre Ladung löschten. An Stelle des Geschäfts mit Pökelfleisch und Rum traten später die be-liebten Butterfahrten, auf denen Tagesausflügler dem zollfreien Einkauf von Schnaps und Zigaretten frönten. Die meist feucht-fröhli-chen Trips sorgten lange für prächtige Umsätze.

In den vergangenen Jahrzehnten hat B&S sein Dienstleistungsport-folio stetig diversifiziert. Heute gehört das Unternehmen zu den Marktführern bei der Bordversorgung von Flugpassagieren mit Ge-tränken, Snacks und kompletten Menüs; es beliefert die Arbeiter auf den Öl- und Gasfeldern in Algerien, Angola und Kasachstan mit Lebensmitteln und Feierabendbier und betreibt in eigener Regie Duty-free-Stores und Läden für Parfümeriewaren, Tabak, Spirituosen und Elektronikerzeugnisse in Flughäfen sowie auf großen Fähren. Eine besondere logistische Herausforderung ist die Belieferung von Hilfskonvois nach Naturkatastrophen und von UN-Blauhelmtruppen in Krisengebieten. „Wir sind auch da, wo andere sich nicht hintrauen“, werben die Niederländer. Das Unternehmen, dessen Lagerhalle vor 30 Jahren kaum größer war als eine Garage, ist zu einem global tä-tigen Dienstleister herangewachsen, dessen 1 400 Beschäftigte im Jahr 2014 einen Umsatz von rund 1,4 Milliarden Dollar erwirtschaf-teten. Jährlich werden Waren im Gesamtgewicht von 100 Millionen Kilogramm transportiert, darunter allein zwei Millionen Eier – das

entspricht etwa 200 Lkw-Ladungen pro Tag. Bald wird Bert Meulman die nächste Wachstumsstufe zünden. In unmittelbarer Nachbarschaft der Firmenzentrale hat er ein Grundstück gekauft – groß genug für ein weiteres Kühl- und Lagerhaus.

„Bei uns steht der Kunde im Fokus“ – dieser allzu modisch gewordene Spruch ist für die Logistikspezialisten von B&S keine pflichtgemäß heruntergeleierte Werbefloskel. Sie ist nicht mehr und nicht weniger als die Raison d’Être des Unternehmens. „Wenn wir uns das nicht täglich zu Herzen nehmen würden“, sagt der Vorstandschef, „dann gäbe es uns schon lange nicht mehr.“ Meulman pflegt langjährige Beziehungen zu seinen Kunden, gern spricht er von Partnerschaften. Der Kunde wünscht individuellen Service, maßgeschneiderte Lösun-gen – kein Problem. Oder besser gesagt: Wenn es ein Problem gibt, müssen Meulmans Leute es lösen. Seine Gedanken kreisen unab-lässig um tatsächliche oder mögliche Kundenwünsche. „Für jeden unserer Kunden erstellen wir das aus seiner Sicht perfekte Sorti-

„Seid anpassungsfähig!“, lautet Meulmans Credo. „Seid immer be-reit, euch auf neue Gegebenheiten einzustellen.“ Seine Mitarbeiter, glaubt er, haben das schon ganz gut verinnerlicht. „Man sieht doch ständig, was passiert, wenn Unternehmen zu statisch sind, unfähig zur Veränderung. Dann gehen sie unter wie Schlecker oder haben große Probleme wie Karstadt.“ Bert Meulman ist jemand, der sich lieber überlegt, wie man Fische fängt, anstatt darauf zu warten, dass jemand anders ihm pünktlich zur Essenszeit einen Fisch auf den Teller legt. Wobei das richtige Tempo der Veränderung mit entscheidend ist. Schritt für Schritt, so ist es richtig. „Bei all dieser Dynamik darf man sich selbst und seine Identität nicht verlieren“, ist der 48-Jährige überzeugt. „Ich bin Verfechter einer evolutionären Entwicklung, viele kleine Veränderungen, Tag für Tag, aber wenn ich eines hasse, dann ist es Revolution.“

Bert Meulman weiß aus eigener Erfahrung, wie hoch der Preis sein kann, wenn man sich doch einmal zum beherzten Revoluzzen hin-reißen lässt – oder die Evolution nicht sorgfältig genug plant. Eine Großinvestition, mit der das Unternehmen eigentlich zu neuen Ufern aufbrechen wollte, stürzte B&S im Jahr 2000 in eine tiefe Krise. Da-mals zog man in das jetzige, großzügig dimensionierte Hauptquartier mit angeschlossener großer Lagerhalle um und erneuerte gleich auch die komplette EDV. Meulman war zu der Zeit schon Partner und

ment – und dann, wenn er die Waren benötigt, sorgen wir dafür, dass sie pünktlich zur Stelle sind.“ Die Buletten aus Rinderhack für die Ham-burger beispielsweise lagern, zu mehreren hundert Stück verpackt, im Tiefkühlbereich des Dordrechter Lagerhauses, genannt Global Transit Center. Sobald in den Büros gleich nebenan die Order einer Kreuzfahrtlinie eingeht – der Einkäufer der Reederei wählt dabei aus einem Warenkatalog ähnlich wie der Kunde eines Online-Lebens-mittellieferdienstes –, setzt B&S seine bestens geölte Logistikmaschine in Gang. Per Schiff, Lkw oder – wenn es schnell gehen muss, weil die Bulettenvorräte an Bord schneller weggebraten wurden als er-wartet – per Luftfracht bringen bewährte Logistikpartner das Fleisch exakt zum gewünschten Zeitpunkt genau dorthin, wo der Reeder es benötigt: entweder in den Heimathafen, bevor das Schiff in See sticht, oder in einen der auf der Kreuzfahrtroute liegenden Häfen.

Im Hafen von Rotterdam sind die Lieferfristen auf wenige Stunden zusammengeschmolzen: Was vor Mittag bestellt wird, kann noch am gleichen Tag geliefert werden – egal ob es sich um ein paar hun-dert Paletten Cola handelt oder eine einzige Packung Koriandersa-men. „Die Wünsche unserer Kunden sind für uns Gesetz.“ Das beginnt schon damit, dass beispielsweise die deutschen Kreuzfahrtunterneh-men Produkte aus deutschen Landen bevorzugen, weil die Mehrzahl der Passagiere auf ihren Schiffen Deutsche sind. Die trinken an der Bar nun mal lieber Beck’s als Heineken. Auf derartige Präferenzen stellt B&S sich vom ersten Moment einer neuen Geschäftsbeziehung an ein. Und der Dank für all dies? „Das ist ganz einfach“, sagt Meulman durchaus selbstbewusst. „Wenn du so kundenzentriert denkst und agierst, wird es dir äußerst selten passieren, dass du einen Kunden verlierst. Ich sage Ihnen: Unsere Kunden fühlen sich wohl mit uns, sie sind treu, sie kehren uns nicht den Rücken.“ Warum auch? Schließlich sind sie doch – so der B&S-Werbeslogan – „in guten Händen“.

B er t Meu lm an h at am b it io n ier t e W ac h st u m s- z iele v o r g eg eb en . D as G lo b al T r an sit C en t er am F ir m en sit z in D o r d r ec h t ist d as H er z st ü c k d es U n t er n eh m en s. V o n h ier au s g eh en j ä h r lic h r u n d 1 6 0 0 0 T r an sp o r t e in alle W elt . D ie B est ellu n -g en g eh en in d en B ü r o s g leic h n eb en an ein .

„ Ich bin Verfechter einer evolu- tionären Entwicklung, viele kleine Veränderungen, Tag für Tag, aber wenn ich eines hasse, dann ist es Revolution.“B er t Meu lm an

28 Entrepreneure Report Entrepreneure Report 29

Meulman, bilden in unterschiedlichen Funktionen seit mehr als 20 Jahren das Führungsduo. Ein fast antiquiert anmutendes Beispiel perso- neller Kontinuität. Blijdorp stieg 1976 in das B&S-Vorgängerunter- nehmen Rederij Kamstra ein und übernahm in den folgenden Jahren Zug um Zug die Mehrheit der Firmenanteile. 1992 stieß Meulman, der gerade seinen Hochschulabschluss in Human Resources Manage-ment abgelegt hatte, zu dem damals noch sehr überschaubaren Un-ternehmen. „Sie sollten mich einstellen“, sagte er angeblich beim Vorstellungsgespräch zu Blijdorp. Der erkannte nicht nur, dass sein neuer junger Händler ein Verkaufstalent war, er witterte auch das unternehmerische Blut des Jüngeren. Schon nach drei Jahren machte er Meulman zum Partner und baute ihn allmählich zu seinem Nach-folger auf. Nachdem Meulman im Jahr 2004 den Vorstandsvorsitz übernommen hatte, zog Blijdorp sich aus dem operativen Geschäft in den Aufsichtsrat zurück. Bequemlichkeit, Selbstgenügsamkeit und Schlendrian haben sich bei B&S trotz der langjährigen Vertrautheit zwischen den beiden Männern an der Spitze nie breitmachen können. Blijdorp und Meulman hätten das auch nie zugelassen. „Anderswo würde es vielleicht heißen: Solange da oben die gleichen Leute sitzen, können wir einfach so weitermachen wie immer“, erzählt Meulman vergnügt. „Das gibt es bei uns nicht. Wir wollen zwar, dass unsere Mitarbeiter bei uns bleiben – aber dass sie sich in der Komfortzone einrichten, dulden wir nicht.“ Wo stünde denn das Unternehmen heute, wenn seine Händler auf seinem, Meulmans, Niveau von vor 20 Jah-ren arbeiten würden? „Damals war ich der beste Händler der Firma, aber heute sind die mir alle weit überlegen“, kokettiert er. „Da wäre ich nicht mal guter Durchschnitt.“ Die von ihm vorgegebenen Wachs-tumsziele sind außerordentlich ambitioniert. In zehn Jahren soll B&S einen Umsatz von zehn Milliarden US-Dollar erwirtschaften – mehr als sieben Mal so viel wie heute. „Und ständig diskutieren wir mit den Mitarbeitern, was der Beitrag jedes Einzelnen ist, damit wir dieses Ziel erreichen.“

Mit Bert Meulman holte sich Willem Blijdorp keinen jüngeren Klon seiner selbst ins Chefbüro, sondern, wie sein Nachfolger es formuliert, „einen Menschen, der völlig anders denkt als er“. Blijdorp sei ein Geschäftsmann der alten Schule, dem Intuition wichtiger sei als nüch-ternes Zahlenwerk. „Er muss sich bei einer Entscheidung gut fühlen“, sagt Meulman. „Ich dagegen gehe sehr rational vor, ich lege vor allem Wert auf die harten Fakten, auf die Ergebnisse, die Bilanzen und Geschäftsverläufe.“ Es sei vorgekommen, dass Blijdorp beispiels-weise eine Akquisition befürwortet habe, „weil er ein gutes Gefühl hatte. Und dann kam ich und sagte: ‚Moment mal, ich hab das durch-gerechnet, das haut nicht hin.‘“ In solchen Fällen habe man das ausdiskutiert, „ehrlich, hart und offen“. Und sei – nach mitunter an-strengender Debatte – meist zu einem guten Resultat gekommen.

Meist – aber nicht immer. Zwei Beispiele fallen Meulman ein, in denen er mit Blijdorp keinen Konsens fand, sondern der eine sich gegen den anderen durchsetzte. Beide Akquisitionen kamen das Unterneh-men teuer zu stehen. Einmal sah die Sache von den Zahlen her durchaus vielversprechend aus; Meulman war zum Kauf entschlos-sen – gegen den Rat Blijdorps, der sich das Unternehmen angeschaut hatte „und mit einem schlechten Gefühl zurückgekehrt war“. In dem anderen Fall fand Blijdorp lobende Worte für die auserkorene Firma, während Meulman sich allen Ernstes fragte, „warum die Führungs-kräfte nicht in der Lage waren, mir in wenigen Sätzen aufzuschrei-ben, warum ihr Geschäftsmodell eine Zukunft haben soll. Für mich war das wie ein Sportwagen ohne Motor – hübsch anzuschauen, aber er fährt nicht.“ Beide Unternehmen wurden gekauft, beide Ak-quisitionen entpuppten sich als Flop. „Heute sind wir klüger“, sagt Bert Meulman. „Wir diskutieren das aus, aber wenn einer von uns bei-den dann immer noch definitiv nicht will, dann lassen wir lieber die Finger davon.“

Direktor in dem Unternehmen, das Projekt trug deutlich seine Hand-schrift. „Da gibt es auch aus heutiger Sicht nichts zu beschönigen“, erinnert er sich, „das neue Computersystem kam über Monate nicht richtig ans Laufen.“ Bestellungen blieben im EDV-Chaos unbearbei-tet, Lieferungen wurden fehlgeleitet. Mal war kein Nachschub da, mal das Lager zu voll, dann wieder wurden die falschen Produkte geor-dert. „Innerhalb eines halben Jahres hatten wir etliche unserer wichtigs-ten Kunden verloren“, zieht der Vorstandschef Bilanz des Desasters. „Wir haben fünf Jahre gebraucht, um das verlorene Vertrauen zu-rückzugewinnen.“ Der Umsatzeinbruch war derart gravierend, dass die Existenz des Unternehmens eine Zeitlang ernsthaft gefährdet schien.

Seitdem legt Meulman größten Wert auf Prozesssicherheit. „Und wir denken noch mehr darüber nach, wie wir uns unverzichtbar machen

Bert Meulman

Der heute 48-Jährige stieg gleich nach seinem Dip-lom in Human Resources Management 1992 in das von Willem Blijdorp geleitete Unternehmen Kamstra Shipstores ein, das sich auf die Versorgung von Schiffen mit Lebensmitteln spezialisiert hatte. Bald darauf ernannte Blijdorp Meulman zum Partner; 2004 trat Meulman die Nachfolge Blijdorps als Vor-standsvorsitzender an. Blijdorp und Meulman haben das Unternehmen zum integralen Bestandteil der Lebensmittellieferkette vor allem für Kreuzfahrt-linien und Fluggesellschaften entwickelt. Außerdem betreibt das heute unter B&S firmierende Unterneh-men, an dem Blijdorp und Meulman sämtliche Anteile halten, in eigener Regie Shops an internationalen Flughäfen und auf großen Fähren. Ein weiteres Ge-schäftsfeld ist die Versorgung heikler Missionen, beispielsweise von UN-Friedenstruppen und Hilfskon-vois nach Naturkatastrophen. B&S ist heute in mehr als 100 Ländern tätig und erwirtschaftete 2014 mit 1 400 Beschäftigten einen Umsatz von 1,4 Milliarden US-Dollar. Das Umsatzziel für das Jahr 2025 hat Meulman bereits gesetzt: 10 Milliarden US-Dollar.

können.“ Dies gelinge nur dem, der proaktiv ständig den Bedürfnissen seiner Kunden auf der Spur sei, jeden ihrer Schritte beobachtet, mit ihnen in die Zukunft denkt, möglichst ohne dass sie es merken. So gelang es B&S, Amazon als strategischen Kunden zu gewinnen, ein großer Coup. „Bevor auch nur einer unserer Wettbewerber auf die gleiche Idee kommen konnte, haben wir ein automatisiertes Lager gebaut“, erzählt Meulman. „Durch unsere Analysen wussten wir, dass für das schnelle und flexible Handling der vielen kleinen Pakete, in denen Amazon seine Parfümeriewaren verschickt, ein solches Lager gebraucht wird. Und wir haben richtig gelegen.“ Mit seiner Investition genau zum richtigen Zeitpunkt hat Meulman dem Unternehmen ein völlig neues Geschäftsfeld erschlossen – die passgenaue Kommissio-nierung von Waren für große Online-Versender. Bei den Parfümerie-artikeln wird es vermutlich auf Dauer nicht bleiben.

Dem Faktor Mensch misst der gelernte Personaler Meulman dabei erstaunlich wenig Bedeutung zu. Langjährige Geschäftsbeziehun-gen, Vertrauen von Mensch zu Mensch, von Manager zu Manager – „alles sehr schön, aber heutzutage selten“. Einen Großteil seines Umsatzes erwirtschafte B&S im Geschäft mit großen Unternehmen. „Da dominieren klassische Konzernstrukturen“, analysiert Meulman. „Die Leute, mit denen Sie heute noch zu tun haben, sind nächstes Jahr womöglich schon in eine andere Position gewechselt oder ha-ben das Unternehmen verlassen.“

Heute hier, morgen fort – für die Spitze von B&S gilt das auf keinen Fall. Die beiden Lenker und Eigentümer, Willem Blijdorp und Bert

B is v o r wen ig en J ah r en war B & S ein k lassisc h er G r o ß h ä n d ler m it L o g ist ik - K n o w- h o w. Mit t ler - weile b et r eib t d as U n t er n eh m en in eig en er R eg ie au c h P ar f ü m er ielä d en u n d D u t y - f r ee- S t o r es.

„ Anderswo würde es vielleicht heißen: Solange da oben die gleichen Leute sitzen, können wir einfach so weitermachen wie immer.“B er t Meu lm an

01/2016 EntrepreneurEntrepreneur 01/2016

Innehalten und Unsicherheit akzeptieren

Heinz-Walter Große und Tomáš Sedláček haben ja auf den ersten Blick wenig Gemeinsamkeiten: hier der gereifte Vorstandsvorsitzende des 176 Jahre alten deutschen Pharmaunternehmens B. Braun Melsungen, dort der bilder- stürmende 38-jährige tschechische Ökonom und Gegen wartsdiagnostiker. Aber: Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. Kaum haben die Männer Platz genommen – übrigens vor Teilen der Original apotheke, aus der B. Braun hervorging –, entspinnt sich ein lebhaftes Gespräch über Kontinuität und Diskontinuität, Wirtschaft und Unter nehmen, Stillstand und Bewegung.

Fotos Matthias Ziegler

Entrepreneure Perspektivwechsel 33

Entrepreneur 01/2016

Heinz-Walter Große: Herr Sedláček, der Be-griff „Kontinuität“ ist für Unternehmer und Manager durchaus positiv besetzt. Gilt das für Ökonomen auch?

Tomáš Sedláček: Kontinuität ist ein extrem interessantes Wort. Das Gegenteil aber auch: In Tschechien feierten wir ja gerade erst 26 Jahre der Diskontinuität vom kom-munistischen Regime. Diskontinuität war gewissermaßen das Mittel, um zur Demo- kratie und zur Marktwirtschaft zu gelangen. Sie können also etwas Neues erschaffen. So gesehen braucht man immer beide Seiten der Medaille: Kontinuität und Diskontinuität. Das ist eine dynamische Wechselbeziehung. Der große Psychoanalytiker Carl Gustav Jung war der Auffassung, dass sich außer-halb einer Krise nichts und niemand verän-dern kann, am allerwenigsten der Mensch.

Große: Menschen gehen gerne den einmal eingeschlagenen Weg weiter. Das gibt ihnen Stabilität und Sicherheit. Diskontinuität be-

Tomáš Sedlácek

Tomáš Sedláček (38) ist Volkswirt, Hochschul-lehrer, Autor und Agent Provocateur. Der Tscheche hat den Bestseller „Die Ökonomie von Gut und Böse“ geschrieben, unterrichtet an der Prager Karls- Universität, war ökonomischer Berater von Ex-Präsident Václav Havel und arbeitet für die Bank ČSOB als Chefvolkswirt. Für „Die Ökonomie von Gut und Böse“ hat er in den Klassikern der Welt- literatur und in der Bibel nach den Gründen für die Finanzkrise gefahndet – und die Gier nach Wachs- tum als uraltes Menschheitstrauma ausgemacht. Sedláček liebt die bewusste Grenzüberschreitung: In seinen Büchern und Analysen mischt er lustvoll Topoi aus Ökonomie, Geschichte, Psychoanalyse und populärer Kultur.

Heinz-Walter Große

Heinz-Walter Große wollte eigentlich Lehrer werden, aber sein Schulfreund Ludwig Georg Braun hin-derte ihn erfolgreich daran. Große studierte zwar Wirtschaftspädagogik, trat dann aber im Jahr 1978 in das Unternehmen B. Braun ein. Es folgte eine Karriere über mehrere Stationen im In- und Ausland. In den Vorstand rückte der promovierte Betriebswirt 2005 auf. Seine Schwerpunkte: Finanzen und die Personalarbeit. Seit 2011 steht er an der Spitze von B. Braun – als erster Vorstands-vorsitzender, der nicht aus der Gründer familie stammt. Der 1952 in Bad Emstal ge borene Manager ist verheiratet und hat zwei Kinder. Große spielt in einem Posaunenchor und schwärmt für Joseph Haydns Sinfonien.

deutet, innezuhalten und Unsicherheit zu akzeptieren. Ich beobachte das auch in unse-rem Unternehmen: B. Braun ist sehr erfolg-reich. Im Grunde dauert unser Wachstum seit 176 Jahren an. Viele sagen deshalb: Warum machen wir nicht weiter wie bisher? Warum müssen wir ständig etwas ändern? Ich sage: Weil eine Organisation nur dann erfolgreich ist, wenn sie in Bewegung bleibt. Wenn sie permanent daran arbeitet, besser, effizienter und innovativer zu werden. Auf der anderen Seite muss man die Ängste vor Diskontinuitäten natürlich ernst nehmen und versuchen, sie den Menschen zu nehmen.

Sedláček: Das erinnert mich an einen Gedanken des Philosophen und Mathematikers Alfred North Whitehead. Er schrieb: In der griechischen Tradition sind Stabilität und Vollkommenheit Attribute der Götter. Und weil deren Ordnung perfekt ist, muss und darf man sie nicht än-dern. Aber wir sind keine Götter, Unternehmen erst recht nicht. Wir brauchen deshalb beides: Ordnung und Unordnung. Das Leben ist einem konstanten Schütteln und Zittern unterwor-fen. Diese Dynamik ist wichtig, auch wenn sie manchmal unangenehm sein kann und viele Menschen Ruhe und Bequemlichkeit schätzen.

Große: Dazu kann ich ein Beispiel beisteuern: In unserem Verwaltungsgebäude am Stamm-sitz von B. Braun in Melsungen haben wir vor einigen Jahren damit begonnen, uns von der Idee des klassischen Büros zu verabschieden. Auch ich habe kein einzelnes Büro mit einer Tür, sondern eine Art Cockpit in einem großen, offen angelegten Raum. Ich persönlich halte das für die beste Umgebung. Man ist den Kollegen nah, kann leicht mit ihnen sprechen, sich austauschen und begegnen. Und wenn man in Ruhe arbeiten will, geht man in sein Cockpit. Wenn ich nicht in der Firma bin, kann ein anderer Mitarbeiter in diesem Cockpit ar-beiten. Wir rotieren gewissermaßen, je nach Bedarf und Anwesenheit. Das schafft neue Freiräume, aber solche Veränderungen werden anfangs nicht von jedem begrüßt. Deshalb muss man für sie werben.

ten und Fähigkeiten. Man sieht: Vielfalt ist eine wunderbare Sache.

Große: Das Stichwort Vielfalt führt mich zu einem anderen Punkt. Wissen Sie, ich liebe Regeln. Denn wir können, ja müssen diese Regeln hin und wieder brechen. Wenn ich je-manden sagen höre, dieses und jenes kön-nen wir nicht tun, weil es nicht nach unseren Regeln ist – so etwas macht mich verrückt.

Sedláček: Warum?

Große: Weil man nicht immer einfach nur blind Regeln folgen darf. Man sollte immer den Umständen entsprechend handeln. Sehen Sie, wir produzieren ja nicht einfach Schreibstifte. Unsere Produkte sind für den Gesundheits-markt bestimmt und auf dem benötigen Sie 100 Prozent Qualität. Diese Top-Qualität steht fraglos immer an erster Stelle, aber manch-mal lohnt es trotzdem, alte Regeln zu brechen. Ein gesundes Unternehmen benötigt erwachse-ne Menschen, die in der Lage sind, angesichts

Sedláček: Das klingt fast nach einem kleinen Comeback der vorindustriellen Zeit, bevor es Fabriken gab. Man lebte und arbeitete in ei-ner Familie und in einem Dorf. Wände waren rar. Das erzeugte eine starke Gemeinschaft. Kombiniert man diesen Gedanken nun im 21. Jahrhundert mit den neuen digitalen Technologien, entstehen ganz neue Arbeits-räume und -möglichkeiten. Das kann durch-aus inspirierend wirken …

Große: … aber nur dann, wenn im Unternehmen eine Kultur des Austauschs und des Dialogs herrscht. Das ist die Voraussetzung. Erst heute Morgen hatten wir ein Treffen mit Arbeitneh-mervertretern. Wir sprachen auch über Vor- schläge von Mitarbeitern, mit denen sich unsere internen Abläufe und Strukturen verbessern lassen. Dank dieser Ideen, die quasi aus dem Inneren von B. Braun kommen, realisierten wir im vergangenen Jahr Einsparungen in Höhe von 2,5 Millionen Euro. Wache Mitarbeiter, die sich einmischen, sind ein hohes Gut. Ich wün-sche mir, dass Menschen mit ihren eigenen Initiativen Teil des Wandels werden. Und ich denke nicht, dass das immer mit einem lauten Knall erfolgen muss. Es sind oft die kleinen Dinge, die zählen.

Sedláček: Vielleicht kann man diesen Gedan-ken sogar noch zuspitzen: Ein Unternehmen braucht nicht nur wache Mitarbeiter, sondern sogar Störer und Unterbrecher. Sind sie es nicht letztlich, die ein Unternehmen weiterbringen? Eben nicht jene, die alles so wie immer machen wollen und versuchen, mit einer „Copy and Paste“-Mentalität durchzukommen?

Große: Vielleicht würde ich diese Personen nicht Störer nennen, eher Menschen, die etwas in Frage stellen und sogar Freude daran ha-ben: Warum tun wir dieses und jenes? Warum machen wir es nicht anders? Besser? Gewiss, dieses Fragen und Bohren kann manchmal ner-ven, aber letztlich ist es für ein Unternehmen hilfreich und notwendig.

Sedláček: Das heißt: Damit ein Unternehmen stabil und gleichzeitig frisch bleibt, braucht man innerhalb dieser Struktur immer auch destabilisierende, erneuernde Elemente. Und sie brauchen eine entsprechende Kultur im Unternehmen, damit solch eine Vielfalt Wert-schätzung erfährt. Dazu fällt mir gerade et-was ein: Ich habe einen 8-jährigen Sohn und wir schauten uns kürzlich gemeinsam den Film „Ice Age“ an. Darin gelingt es einer Gruppe von Tieren in der Eiszeit, gemeinsam Prob- leme zu lösen und zu überleben. Das Beson-dere ist die seltsame Zusammensetzung der Gruppe: ein Mammut, ein Tiger, ein Nagetier. Auf den ersten Blick passen die gar nicht zu- einander, aber genau darin liegt ihr großer Vorteil: eine einzigartige Mischung an Talen-

„ Wir brauchen beides: Ordnung und Unordnung.“Tomáš Sedláček

Entrepreneur 01/2016 01/2016 Entrepreneur

Entrepreneure Perspektivwechsel 3534 Entrepreneure Perspektivwechsel

F r ag en , d eu t en , er k lä r en – u n d d ab ei im m er in B eweg u n g : H ein z - W alt er G r o ß e u n d Tomáš Sedláček auf ih r em R u n d g an g d u r c h d en H au p t sit z v o n B . B r au n in Melsu n g en .

scheidend ist, dass man dieses Instrument klug und punktuell als Hebel einsetzt, um zum Beispiel Investitionen voranzutreiben. Die Rentabilität darf aber nicht darunter leiden. Man muss die Dinge im Gleichgewicht halten.

Sedláček: Gleichgewicht ist ein gutes Stich-wort. Mich würde abschließend noch interes-sieren, wie Sie es persönlich mit den Themen „Kontinuität“ und „Diskontinuität“ handhaben? Dominiert einer der Begriffe Ihre Karriere?

Große: Ich bin jetzt seit 38 Jahren bei B. Braun und das spricht natürlich für ein hohes Maß an Kontinuität. Andererseits: Ich wollte gar nicht unbedingt Karriere machen. Es ergaben sich meist recht reibungslose Übergänge zu neuen Aufgaben und Herausforderungen. Ich lernte immer wieder Menschen mit mehr Erfahrung kennen, die mir ermöglichten, zu lernen und Verantwortung zu übernehmen, zum Beispiel in den USA, als ich für Logistik und Material-kontrolle verantwortlich war. Meine Karriere war unterm Strich eine stetige, kontinuierliche Entwicklung. Wie war es bei Ihnen?

Sedláček: Ich glaube, bei mir gibt es schon ei-nige Facetten und auch innere Widersprüche. Ich bin ein Ökonom, aber ich bin nicht wirklich ein Wirtschaftswissenschaftler. Ich bin ein bisschen Banker, aber nicht nur. Ich bin ein Philosoph, aber irgendwie auch nicht. Meine intellektuelle Neugier ist recht breit und – ehrlich gesagt – immer auch größer als mein tatsächliches Wissen. Gestern zum Beispiel hatte ich eine Diskussion in Wien über die Psychoanalyse der Wirtschaft. Heute rede ich mit Ihnen und morgen ist wieder etwas völlig anderes. Also, das Disruptive und Diskonti-nuierliche überwiegt schon bei mir. Hauptsa-che, es bleibt spannend und anregend, oder?

Große: Dem stimme ich gerne zu. Man muss in Bewegung bleiben!

einer Herausforderung zu unterscheiden und zu urteilen, ob es richtig ist, nach den bekann-ten Regeln zu handeln, oder ob etwas ganz anderes getan werden muss. Das ist es doch, was eine lebendige, innovative Organisation ausmacht. Dass dabei auch Diskussionen und Konflikte entstehen, gehört dazu. Wichtig ist nur, dass der Wille zu einer gemeinsamen Lösung obsiegt.

Sedláček: Und wie verhält es sich in einem solchen Fall mit Rationalität und Irrationalität? Oder zugespitzt gefragt: Wie gehen Sie mit Situationen um, in denen Sie wissen, dass Fakten und Zahlen letztlich nicht hilfreich für eine Entscheidung sind?

Große: Erfahrung, Bauchgefühl und Instinkt können ebenso wichtig sein wie Zahlen und Fakten. Am Ende geht es um einen offenen Dialog, in dem alle Fakten und Argumente zur Kenntnis genommen werden, und um Urteils-kraft. Letztlich aber muss man natürlich eine Entscheidung treffen: Gehen wir nach links oder nach rechts? Und vielleicht ist das der Punkt, wo der Vorstand eine Entscheidung zu treffen hat. Manchmal auch der Vorsitzende des Vorstandes.

Sedláček: Wie wichtig ist Ihnen das Ziel „Wachstum“?

Große: Das lässt sich schwer pauschal sagen. Wachstum ist wichtig, aber nicht immer das primäre Ziel.

Sedláček: Wachstum ist eines meiner Lieb-lingsthemen! Eine faszinierende Idee – ein Fetisch unserer Zeit. Ein Begriff, den man kritisch hinterfragen sollte, und dabei geht es auch um unser Hauptthema, nämlich inwiefern Kontinuität und Diskontinuität zu-sammenhängen. Ich habe nichts gegen Wachstum. Wachstum ist gut und schön, aber Wachstum ist kein Dauerzustand. Wachs- tum kommt und geht. Wir Ökonomen wissen das, denn wir beobachten Zyklen: Auf- und Abschwünge. Beides ist unumgänglich, nach guten Zeiten kommen schlechtere. Das aus den Augen zu verlieren, ist fahrlässig. Sehen Sie, in der Wirtschaft benutzen wir ja mitunter den Begriff „Wirtschaftsdepression“. Ich halte das für die falsche Diagnose. In Wirklichkeit ist unsere Wirtschaft manisch-depressiv. Und Manien können genauso gefährlich sein wie Depressionen, weil man sich total überschätzt. Was ich sagen will: Auch in den Phasen des Wachstums sollten wir uns bewusst sein, dass es nicht nur einfach ein Trend ist, sondern ein Zyklus, in dem auch wieder schlechtere Zeiten kommen werden, für die wir vorsorgen sollten.

Große: Das ist ein interessanter Gedanke, aber bei B. Braun machen wir andere Erfahrungen.

In unserer langen Unternehmensgeschichte gibt es nicht viele Jahre, in denen wir nicht gewachsen sind. Ich denke auch, dass Wachs-tum die Voraussetzung ist, um erfolgreich zu sein. In Asien zum Beispiel gibt es für uns einen Markt von vier Milliarden Menschen, den wir mit bislang einer Milliarde Umsatz nur teil- weise erschlossen haben. Das ist ein gewal- tiges Potenzial, das wir nutzen möchten – und müssen. Ein Beispiel: In diesem Jahr arbei-ten 56 000 Menschen für B. Braun und wir verzeichnen einen Anstieg der Lohnkosten um 230 Millionen Euro. Ein großer Teil davon be-ruht auf Gehaltssteigerungen. Und wenn wir derartige Zuwächse von Jahr zu Jahr haben wollen, dann geht das nicht ohne Wachstum.

Sedláček: Ich denke, B. Braun ist eine Ausnah-me. Eine Kombination aus Glück und gutem Management. Nicht vielen Unternehmen geht es dauerhaft so gut. Im Durchschnitt über-wiegt der normale Konjunkturzyklus, sprich: Einige Jahre geht es aufwärts, dann wieder nicht. Wachstum ist wie gutes Wetter, und es ist unrealistisch, anzunehmen, dass es nie regnen wird. In der Politik ist es eine gefähr- liche Strategie, immer von gutem Wetter auszugehen. Denn wenn man versucht, durch geliehenes Geld permanent künstliche Wachs- tumsraten zu erzeugen, um die Wähler bei Laune zu halten, untergräbt man die gesell-schaftliche Stabilität.

Große: Was Sie da gerade beschreiben, ist ja das klassische „deficit spending“ à la Keynes: Eine Regierung leiht sich Geld und injiziert es in bestimmte Bereiche der Gesellschaft, um die Konjunktur anzukurbeln. Das kann gelin-gen – aber nur, wenn sie die Schulden irgend- wann einmal zurückzahlt. Allzu häufig wird dies unterlassen und dann wird es auf lange Sicht gefährlich.

Sedláček: Sie haben völlig recht. Man darf Stabilität nicht permanent einer ausgehöhlten Idee von Wachstum opfern, wie es zum Bei-spiel in Irland und Griechenland geschah, denn dann droht der Konkurs. Im Grunde müsste ja jeder den Unterschied zwischen Eigentum und Schulden verstehen. Wenn sich eine Regierung drei Prozent ihres Bruttosozialpro- duktes leiht und dies in Straßen, Gebäude und Bildung investiert, dann ist das eben kein natürliches und echtes, sondern ein künst- liches, aufgeblähtes Wachstum. Ein Trick, weil er ein falsches Bewusstsein schafft und die Erwartung erzeugt, dass es kein Leben ohne Wachstum gibt.

Große: Andererseits sind Schulden an sich ja nichts Schlechtes. Wenn Sie in die Bilanz von B. Braun schauen, werden Sie sehen, dass wir natürlich Finanzschulden haben. Ich halte das auch für unbedingt sinnvoll. Ent-

„ Ich liebe Regeln vor allem aus einem Grund: Wir können, ja müssen sie hin und wieder brechen.“H ein z - W alt er G r o ß e

Entrepreneur 01/2016

3736 Entrepreneure Perspektivwechsel

Als Unternehmensnachfolger und Entre- preneur auf einem hart umkämpften Markt kennt Tobias Ragge das spannungsvolle Verhältnis von Bewahren und Erneuern. Hier stellt der Chef des Hotel portals HRS heraus-ragende Persönlichkeiten und Orte vor, die aus seiner Sicht Kontinuität und Moderni- sierung ideal vereinen.

Was bleibt

Familie Robert Ragge, Gründer von HRS

Bis heute bewundere ich die Leidenschaftlich-keit, mit der mein Vater das von ihm gegrün-dete Unternehmen mehr als drei Jahrzehnte lang geführt hat. Die von ihm gelebten Kern-werte – Loyalität, Integrität und Nachhaltig-keit – sind für mich bleibende Verpflichtung. Auf mich hat er nie Druck ausgeübt, die Füh-rung zu übernehmen. Wir haben einfach an-gefangen, miteinander zu arbeiten. Durch diese mehrjährige, beileibe nicht immer kon-fliktfreie Zusammenarbeit bekam ich das gesamte Know-how und den Erfahrungsschatz meines Vaters quasi geschenkt. Wäre er von einem auf den anderen Tag aus der Firma aus-geschieden und ich wäre an seine Stelle ge-treten, hätte ich das Unternehmen wohl kaum auf einen so erfolgreichen Weg führen können.

Reise Der Serengeti-Nationalpark

Von alters her zieht es Menschen in die Ferne. Un-bekannte Länder erkunden, in fremde Kulturen eintauchen, eine andere Perspektive einnehmen – all dies macht den Mythos des Reisens aus. Zu meinen schönsten und beeindruckendsten Reise-erfahrungen zählen die Fotosafaris durch den Serengeti-Nationalpark. Im Jeep unterwegs durch diese faszinierende Landschaft, begleitet von rie- sigen Tierherden, fällt alles ab, was im Alltag sonst wichtig sein mag. Man beobachtet, wie ein Ge-pard eine Gazelle verfolgt, wird Zeuge der Jagd, dieses elementaren Kampfes ums Überleben. Und man genießt die pure Schönheit der Natur: eine Löwenmutter mit ihren Jungen, eine Elefanten-herde an einer Wasserstelle. Zum Glück wurden die Weichen rechtzeitig richtig gestellt: Serengeti wird nicht sterben.

Kulturen Japan

Tokio ist weltweit die Stadt mit dem wohl schärfsten Kontrast aus Tradition und Moderne. Exemplarisch offenbart sich dieser Gegen - satz im Shopping- und Vergnügungsviertel Ginza, dessen Grund und Boden vor mehr als 500 Jahren dem Meer abgerungen wurde. Umringt von den glasglänzenden Gesichtern der Einkaufstempel, haben hier auch Enklaven der traditionellen Kultur ihren festen Platz – beispielsweise das große Theaterhaus Kabuki-za mit seiner Fassade im Stil der Reichseiniger des späten 16. Jahrhunderts. 1889 eröffnet und viermal durch Brände und Fliegerbom ben zerstört, wurde das prächtige Schauspielhaus jedes Mal wieder aufgebaut – mit modern- ster Technik und dabei doch ganz im Geist seiner ursprünglichen Erbauer.

Kino James Bond

In jedem James-Bond-Film gibt es etwas, das bleibt, wie für die Ewigkeit. In „Feuerball“, dem ersten 007-Streifen – ich habe ihn etwa 25 Jahre nach seiner Kinopremiere gese-hen –, war es Bonds Fahrzeug, ein Aston Martin DB 5 – für mich das schönste Auto, das je gebaut wurde. Die Geschichten um den smarten Top-Agenten zählen zu den ganz wenigen Konstanten in der schnelllebigen Kinowelt; ihr Mythos ist ungebrochen. Mit mittlerweile 24 Teilen in 53 Jahren sind sie zum längsten Serien-Blockbuster der Film-geschichte avanciert. Immer Kopf an Kopf mit dem Zeitgeist, ist Bond sich trotzdem auf eine fast altmodische Art stets treu geblieben – nicht nur wegen seiner Vorliebe für Wodka Martini, schöne Frauen und schnelle Autos. Und, ja, spannend waren sie doch alle.

Führung Nelson Mandela

Südafrikas erster Präsident nach dem Ende des Apartheid-Regimes verkörpert in meinen Augen besser als irgend- jemand sonst den Idealtypus eines von Unbeugsamkeit und dem festen Willen zur gegenseitigen Versöhnung und Ver-gebung geprägten politischen Führers. 50 Jahre Kampf ge-gen Rassentrennung und Unterdrückung, davon 27 Jahre in Haft – und als er dann endlich in Freiheit kam, wurde nicht etwa Rache sein Leitmotiv, sondern Aussöhnung. Nelson Mandela hat es geschafft, in einem zutiefst gespaltenen Land, das bis dato von Hass, Misstrauen und gegenseitigen Schuld-zuweisungen geprägt war, wieder Vertrauen zu säen und zu hegen. Das ist vielleicht die größte Lebensleistung dieses charismatischen Politikers.

Tobias Ragge

Der 39-jährige Geschäftsführer des Hotelportals HRS ist von Berufs wegen in den Metropolen der Welt zu Hause. Privat bereist er gern auch ruhigere Destinationen wie die Inselwelt der Malediven oder den Serengeti-Nationalpark. Vor acht Jahren übernahm er die Regie des 1972 von seinem Vater Robert Ragge gegründeten Unternehmens, das weltweit rund 1 500 Mit-arbeiter beschäftigt und rund 290 000 Hotels in 190 Ländern in seiner Datenbank führt.

Sport Boris Becker

Mir erging es in den 80ern wie Zehntau-senden deutscher Kinder: Vom Becker-Virus infiziert, begann ich mit dem Tennis-spiel. Fast anderthalb Jahrzehnte hat Boris Becker dieser Sportart seinen Stem-pel aufgedrückt – mit seinem emotions-geladenen Spiel, seinem unbedingten Wil-len und seiner Dynamik. Denkwürdige Matches wie die sechseinhalbstündige Schlacht gegen den Amerikaner John McEnroe zählen zu den Sternstunden der Sportgeschichte und sind längst zum Mythos verklärt. Im Privat- und Geschäfts-leben hatte er leider eine weniger glück-liche Hand als auf dem Centre Court. Dort hat er zum Glück in die Erfolgsspur zu-rückgefunden: 29 Jahre nach seinem ers-ten Triumph in Wimbledon führte er 2014 als Trainer seinen Schützling Novak Ðoković zum Sieg auf dem „heiligen Rasen“. Chapeau!

Architektur Kölner Dom

Wer heute vor dieser himmelstürmenden Kathedrale steht, kann sich kaum vorstellen, dass ihr unvollendeter Torso vor nicht einmal 200 Jahren fast zur Ruine verfallen war. Dass der Kölner Dom im Jahr 1880 doch noch vollendet wurde, ist nicht zuletzt dem damaligen Dombaumeister Friedrich Zwirner zu verdanken. Unter seiner Ägide nahm der Bau mehr als 600 Jahre nach Grundsteinlegung neuen Aufschwung. Die Dombaumeister sind das Kontinuum in der Geschichte dieser Kirche – von Meister Gerhard, der den ersten Gesamtplan ent-warf, über Richard Voigtel, der im 19. Jahrhundert den al-ten hölzernen Dachstuhl des Chors durch eine Konstruktion aus Eisen ersetzte, bis zu den Meistern unserer Tage, die gegen die Zerstörung durch sauren Regen und Taubenkot kämpfen. Der Wettlauf gegen den Zerfall – er wird nie enden.

01/2016 EntrepreneurEntrepreneur 01/2016

Entrepreneure Vorbilder 3938 Entrepreneure Vorbilder

o konnte es nicht weiterge-hen. Eine seiner Patientinnen war an Brustkrebs gestor-ben, mit erst 28 Jahren. Und er, David Hung, Facharzt für Krebserkrankungen, hatte ihr nicht helfen können. „Wie

oft werde ich das noch erleben müssen?“, fragte sich Hung damals, rund 20 Jahre ist das her. „Wie viele meiner Patienten werde ich noch sterben sehen, weil es ge- gen ihre Erkrankungen einfach noch keine wirksamen Therapien und Medikamente gibt?“ Wenn ein Patient mit einer schon weit fortgeschrittenen Krebserkrankung zu ihm kam, „fiel mir in der Regel nichts Besseres ein, als eine Chemotherapie zu empfehlen“, erinnert sich David Hung. „Ich wollte doch nicht den Rest meines Berufs-lebens frustriert sein über die begrenzte Wirksamkeit der Behandlungsmethoden, die ich anbieten konnte.“ Hung fasste einen

Sfolgenschweren Entschluss. Er würde fort-an nicht mehr als Arzt arbeiten, sondern sein Wissen und seine Erfahrung als Onko-loge und Molekularbiologe in den Dienst der Entwicklung neuer Therapien und Medi-kamente gegen lebensbedrohliche, schwer heilbare Krankheiten stellen. Krankheiten wie Krebs im Spätstadium oder Alzheimer. Vielleicht würde er sogar selbst eine eigene Firma gründen, die solche Medikamente entwickelt. Neue, bessere Wirkstoffe, die den Schwerkranken, Leidenden und Tod-geweihten Heilung versprechen oder zu-mindest den Gewinn einiger Lebensjahre. „Millionen Menschen leiden unter diesen Krankheiten, die derart fürchterlich sind, dass wir dringend einen Homerun brau-chen, nicht nur ein paar Hits“, erklärt Hung seine damaligen Gedanken mit einer Ana-logie aus dem Baseball. „Meine Idee war und ist es, mit neuen Medikamenten die Spielregeln im Umgang mit diesen Krank-

heiten grundsätzlich zu ändern.“ Das nöti-ge Business-Rüstzeug erwarb Hung bei einer großen Biotechfirma. Dann stellte ein Start-up, das bis dato aus den zwei Gründern bestand, ihn als wissenschaft-lichen Leiter ein. Schon bald übernahm Hung die Position des Vorstandschefs; ge-meinsam entwickelte man ein neues Ver-fahren zur Früherkennung von Brustkrebs, das sich als sehr erfolgreich erwies. Als das Unternehmen im Jahr 2000 für 168 Millionen Dollar an ein größeres Pharma- unternehmen verkauft wurde, stieg Hung aus. Finanziell hatte er jetzt ausgesorgt.

Die nächsten drei Jahre verbrachte er viel Zeit mit seiner kleinen Tochter und auf dem Golfplatz. Sein einstiges Ziel geriet fast ein wenig in Vergessenheit. Doch dann fragte seine damals sechsjährige Tochter ihn, als er sie eines Morgens an der Schule absetzte: „Sag mal, Dad, hast du eigent-lich nichts Besseres zu tun?“ Das war An-stoß genug. Im Jahr 2003 gründete Hung in San Francisco das Pharmaunternehmen Medivation; der Firmenname ist ein Wort- spiel aus Medicine und Innovation. Hung und sein Team entwickeln neue Präparate, sie erwerben aber auch vielversprechend erscheinende Wirkstoffe anderer kleiner

David Hung hatte das Gefühl, dass er als Arzt nicht genügend Patienten helfen konnte. Er wollte die Spielregeln im Umgang mit Krankhei-ten wie Krebs und Alzheimer grund sätzlich ändern – und gründete ein Pharma unternehmen. Doch das erste Medikament erwies sich als teurer Flop. Viele hätten nun aufgegeben. Doch Hung setzte alles auf eine Karte.

„Wir machen weiter!“

Dr. David Hung

Der 58-jährige Onkologe und Molekularbiologe ist Gründer und Vorstandsvorsitzender des in San Francisco behei- mateten Pharmaunternehmens Medivation Inc., das an der Technologiebörse Nasdaq notiert ist. Hung studierte Bio- logie und organische Chemie in Harvard; seinen Doktor der Medizin erwarb er an der University of California in San Francisco. Das 2003 gegründete Unternehmen hat sich auf die möglichst schnelle Entwicklung und Markteinführung von Therapien gegen lebensbedrohliche Krankheiten in fort- geschrittenem Stadium spezialisiert und zählt heute zu den führenden und innovativsten der Branche. Den Groß-teil seines Umsatzes erwirtschaftet Medivation mit Xtandi, einem Präparat gegen Prostatakrebs. Allein in den USA wur- den im vergangenen Jahr Xtandi-Packungen im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar verschrieben. Eine Reihe wei-terer Medikamente befindet sich derzeit im Stadium der klinischen Erprobung. Medivation beschäftigt rund 400 Mit- arbeiter und erwirtschaftete im Jahr 2014 einen Umsatz von rund 710 Millionen US-Dollar.

D av id H u n g , G r ü n d er d es P h ar m au n t er -n eh m en s Med iv at io n , set z t b ei d er E n t wic k lu n g n eu er Med ik am en t e au f T em p o . D er Z eit f ak t o r ist f ü r d ie b et r o f f en en P at ien t en leb en swic h t ig .

Fotos Jonathan Gayman

Man c h m al, wen n d ie A r b eit es z u lä sst , g r eif t D av id H u n g in sein em B ü r o m it B lic k au f d ie S an F r an c isc o B ay z u r V io lin e. F r ü h er sp ielt e er in ein em O r c h est er .

Entrepreneure Report 41

01/2016 Entrepreneur

Im Herbst 2015 veröffentlichte das Global Center for Digital Business Transformation, eine Initiative der Schweizer Business School IMD und des Netzwerkspezialisten Cisco Systems, eine Studie, die die Reihenfolge der Branchen auflistete, die von der digitalen Disruption bereits erfasst worden sind oder in den kommenden Jahren davon vollkom-men verändert werden. Zuerst erwischte es die Technologie branche selbst. Es folgten Medien und Unterhaltungsindustrie, Handel und Telekommunikation. Und die Welle rollt weiter: Die Tourismusbranche, Finanzdienst-leister und die produzierende Industrie sind die Nächsten. Etwa vier der bisher führenden Unternehmen pro Branche, so glauben zum Thema befragte Manager selbst, werden den Sturm nicht überleben. Geschäftsmodelle, die gestern noch stabile Umsätze und Gewinne versprachen, werden fast über Nacht obso-let. Schlimmer noch, sie erweisen sich oftmals als schwerer Klotz am Bein, weil einstige Erfolge den Bruch mit der Vergangenheit ver- oder zumindest behindern.

Ständige Veränderung und schnelle Anpassung sind also für die Unternehmen das Gebot der Stunde. Aber macht es tatsächlich Sinn, dem jeweils neuesten Digitalisierungshype atemlos hinterherzuhasten? Und es stellt sich auch die Frage – sowohl intern als auch extern –, wofür ein Unternehmen eigentlich steht, wenn es mehrfach hintereinander rigide Wechsel in sei-ner Ausrichtung vollzieht. Gibt es einen unver- änderlichen Kern, einen übergeordneten Sinn seiner Existenz und Tätigkeit? Wie also könnte eine Klammer aussehen, die hohe organisato-rische Beweglichkeit ermöglicht, Veränderung fördert und zugleich Kontinuität erlaubt?

Eine einfache und bequeme Antwort darauf wäre, dass der einzige Zweck eines Unter-

ihrer Forschungstätigkeit festgestellt, dass im Selbstverständnis langfristig sehr erfolg- reicher Unternehmen Menschen und Gesell-schaft nicht nach Nützlichkeitsgesichtspunkten oder als nachrangige Faktoren betrachtet werden, sondern Kern des Unternehmens-zwecks sind. Diese Unternehmen haben einen Rahmen geschaffen, in dem der gesellschaft-liche Wert ein wichtiges Entscheidungskrite-rium ist. Moss Kanter empfiehlt Unternehmen deshalb allgemein die Entwicklung einer „insti tutionellen“ Perspektive. Denn wenn sich eine Firma auch als soziale Institution ver-steht, schafft sie sich nicht nur einen weiteren Horizont, der öffentliche Belange und eigene ökonomische Interessen miteinander aus- balanciert, sondern sie entwickelt zugleich eine kohärente Identität, gibt Führung und Mitarbeitern Orientierung im Umgang mit Unsicherheit und Veränderung und legt damit den Grundstein für Kontinuität und die eige-ne Dauerhaftigkeit.

Wir haben es also mit zwei Begriffen zu tun: dem gesellschaftlichen Wert eines Unter-nehmens und einem daran orientierten Un-ternehmenszweck („purpose“). Doch wie lässt sich der gesellschaftliche Wertbeitrag eines Unternehmens erfassen, analysieren

V o n Mar k u s H ein en u n d R o b er t J u n g

nehmens als ökonomische Entität darin be-stehe, Gewinne zu machen – je mehr, desto besser, egal wie. Doch dieses traditionelle und rein auf die wirtschaftliche Perspektive reduzierte Verständnis trägt heute nicht mehr. Und es stimmte ja eigentlich noch nie. Denn schon immer haben Unternehmen mit ihrer Tätigkeit, mit den getroffenen und unterlassenen Entscheidungen ihrer Füh-rungen das Leben ihrer Mitarbeiter, ihre Kun-den, ihre Partner und ihr soziales und ökolo- gisches Umfeld beeinflusst. Nie zuvor aber sind sie dabei so kritisch beobachtet und bewertet worden wie heute. Diese öffentliche Beurteilung hat großen Einfluss auf ihren wirtschaftlichen Erfolg.

Langfristig sehr erfolgreiche Unternehmen haben deshalb nie nur den ökonomischen As-pekt ihres Tuns im Auge behalten, sondern viele andere Facetten, aus denen sie Daseins-berechtigung und Sinn definieren. So gelingt ihnen eine stete Erneuerung, sogar eine völlige Transformation, ohne dass sie ihr unterneh-merisches Erbe aufgeben. Selbst Rückschläge können sie so meistern. Diese Haltung zeich-net auffallend oft erfolgreiche Familienunter-nehmen aus und verschafft ihnen intern und extern hohes Ansehen.

Gerade die öffentliche Wertschätzung wird für Unternehmen zu einem immer wertvolle-ren Kapital. Entsprechend setzt sich für dieses Asset immer stärker ein Begriff durch, der zunächst zur Bewertung der Arbeit von öffentlichen Verwaltungen und Institutionen entwickelt worden ist: der Public Value oder gesellschaftliche Wert einer Organisation.

Die renommierte Organisationswissenschaft-lerin Rosabeth Moss Kanter, Professorin an der Harvard Business School, hat im Rahmen

Neuer Kompass

Gesellschaftlicher Wert und Unternehmenszweck als Grundlagen unternehmerischer Kontinuität.

Hersteller und führen sie durch die aufwän-digen Testverfahren. Mit Medivation hatte Hung endlich die richtige Wirkungsstätte gefunden. „Die Arbeit für das Unternehmen ermöglicht es mir, weit mehr zu bewirken und mehr Menschen zu helfen, als es mir als Arzt jemals möglich gewesen wäre“, sagt er. „Als Onkologe hätte ich bis zum Ende meines Berufslebens vielleicht eini-ge tausend Patienten erreicht. Mit Medi-vation, das hoffe ich zumindest, kann ich Medikamente entwickeln, die Millionen Menschen weltweit zugutekommen.“

Die erste Entwicklung des Medivation-For-scherteams war Dimebon, ein vielverspre-chendes Medikament gegen Alzheimer. Nachdem das Präparat die ersten beiden Phasen der klinischen Tests erfolgreich bestanden hatte, glaubten alle bereits an den großen Durchbruch. Doch dann riss Dimebon die finale Hürde vor der Zulassung durch die US-Arzneimittelbehörde: In der dritten klinischen Testphase konnte das Medikament seine Wirksamkeit nicht be-weisen. Innerhalb einer Stunde büßte Me-divation eine Milliarde Dollar Marktwert ein. Hung musste einen großen Teil seiner Mitarbeiter entlassen.

Wie sollte er jetzt weitermachen? Mit der Produktion von Nachahmermedikamen-ten, nicht innovativ, aber einträglich? Das hätte das Überleben des Unternehmens gesichert. Doch David Hung und sein Team entschieden sich für den Weg ins Risiko. Sie waren entschlossen, die Durststrecke durchzustehen, arbeiteten fast rund um die Uhr. „Wir hatten das innovative Know-how an Bord“, sagt er heute. „Warum sollten wir das an ‚copycat drugs‘ verschwenden?“ Hung hatte noch ein weiteres Produkt in der Pipeline, ein Präparat zur Behandlung von metastasierendem Prostatakrebs. Und er hatte Erfolg: Die Neuentwicklung meisterte sämtliche klinische Tests mit Erfolg und wurde 2012 zugelassen. Xtandi, das bereits im Namen einen Hinweis auf seine lebensverlängernde Wirkung trägt, erhöht die durchschnittliche Lebenser-

wartung von Patienten mit fortgeschritte-nem Prostatakrebs um fast fünf Monate; die Wahrscheinlichkeit, an dieser Krank-heit zu sterben, sinkt um ein Drittel.

Medivation brachte das Medikament in nur sieben Jahren vom Forschungslabor zur Zulassung; im Schnitt vergehen dafür 17 Jahre. „Der Zeitfaktor ist für die be-troffenen Patienten überlebenswichtig“, erklärt David Hung die Produktentwick-lung auf der Überholspur. „Wir haben es hier mit Menschen zu tun, die oft nur noch wenige Monate zu leben haben. Da kön-nen wir uns einfach nicht den Luxus leis-ten, uns alle Zeit der Welt zu nehmen.“ Ständig mache er seinen Mitarbeitern klar, „dass hier jeder mit absoluter Dringlich-keit arbeiten muss – so als würde bei sei-nem eigenen Kind Krebs entdeckt werden“.

Unter Zugzwang

Seit Ende 2014 beobachten wir auf dem weltweiten Pharmamarkt eine lange nicht dagewesene Dynamik. Das Gesamtvolu- men der Fusions- und Übernahmenaktivi- täten (M&A) stieg im Jahr 2015 auf den Rekordwert von mehr als 300 Milliarden US-Dollar. Die Unternehmen fokussieren sich zunehmend auf Bereiche, in denen sie zur absoluten Spitze gehören, und stärken diese Kernkompetenzen durch Zukäufe, während sie ihre Randaktivitäten kontinuierlich zu-rückschneiden. „Win or divest“ lautet die Devise. Fast alle großen Player sind an diesen Aufräumarbeiten beteiligt. So stärkte die amerikanische Merck mit der Übernahme des Wettbewerbers Cubist ihre Präsenz in der

Akutversorgung und veräußerte im Gegen-zug ihr Consumer-Care-Geschäft an Bayer. Pfizer trennte sich von Randsparten wie der Babynahrung und brachte sein Tiermedizin-Geschäft an die Börse. GlaxoSmithKline (GSK) und Novartis wiederum tauschten im großen Stil: Novartis kaufte von GSK das Onkologie-Portfolio, während GSK die Impfsparte von Novartis erwarb.Durch die ersten großen Transaktionen ge-riet der Rest der Branche stark unter Zug-zwang. Das führte dazu, dass die folgenden Kauf- und Tauschgeschäfte außerordent- lich schnell realisiert wurden. Es ist nahezu sicher, dass sämtliche großen Player im Vor-feld verschiedene M&A-Szenarien komplett durchgeplant hatten und dann – in Abhängig-keit von den Aktionen der First Mover – ihre eigenen Aktivitäten entsprechend platzierten.Kleine und mittlere Pharmaunternehmen wie etwa David Hungs Medivation spielen in den derzeitigen Fokussierungsstrategien der Kon- zerne eine wichtige Rolle. Alle großen Player sind unablässig auf der Suche nach neuen Wirk- stoffen und Produkten für die eigene Pipe-line. Die kleineren Unternehmen betreiben ihre F&E oft mit größerer Flexibilität und höherer Effizienz als die etablierten Konzerne; sie sind schneller und risikofreudiger. Für Novartis, Pfizer, Roche & Co. ist es daher eine interes-sante Option, sich die Kompetenz der kleine-ren, agilen Hersteller ins Haus zu holen – indem sie Partnerschaften mit ihnen eingehen und indem sie entweder die neu entwickelten Wirkstoffe oder gleich das ganze Unterneh-men aufkaufen.

Zum Weiterlesen: EY’s Firepower Index and Growth Gap Report 2016

Gerd Willi Stürz g er d . w. st u er z @ d e. ey . c o m

E Y Mar k et S eg m en t L ead er L if e S c ien c es, H ealt h c ar e & C h em ic als f ü r D eu t sc h lan d , Ö st er r eic h u n d d ie S c h weiz

Hin und wieder lädt Hung Patienten, die mit Xtandi behandelt werden, in das Unter-nehmen ein. „Dann erfährt jeder Mitar-beiter aus erster Hand, warum wir hier Druck machen müssen und wie wichtig unsere Therapie für das Leben von Men-schen ist, die sich bereits aufgegeben hat-ten.“ Kürzlich war ein Xtandi-Patient zu Besuch, dem die Ärzte ursprünglich noch drei Wochen zu leben gegeben hatten. Heute, knapp vier Jahre später, gilt er als geheilt; er hat keine Metastasen mehr. „In der Zwischenzeit hat er die Hochzeiten sei-ner drei Kinder erlebt“, erzählt David Hung, „und er konnte sich über drei Enkelkinder freuen.“ Wenn die Leute aus seinem Team so etwas sehen, ist Hung überzeugt, „dann verstehen sie noch besser, dass es wichtig ist, was sie hier tun, dass es auf sie ankommt. Und dass sie nicht nur einen Job machen.“

„ Unsere Mitarbeiter wissen, wie wichtig ihre Arbeit hier ist. Jedem ist klar, dass er nicht nur einen Job macht.“D av id H u n g

Public Value Scorecard

Wie ist der Public Value Ihres eigenen Unternehmens? Was sind Chancen, was Risiken? Laden Sie sich die PVSC App von EY herunter und machen Sie den Test mit der Public Value Score-card! Oder besuchen Sie uns auf der EY Public-Value-Webseite: http://public-value-scorecard.ey.com/

01/2016 Entrepreneur

42 Entrepreneure Report

Entrepreneur 01/2016

Expertise Public Value 43

und aktiv beeinflussen? Der Wissenschaftler Timo Meynhardt von der Universität St. Gallen hat sich intensiv mit den Faktoren befasst, die den öffentlichen Wert eines Unternehmens steigern oder senken können. Er hat den bis-her eher gefühlten öffentlichen Wert messbar gemacht und mit der Public Value Scorecard (PVSC) ein geeignetes Instrument entwickelt (siehe Box), mit dem Unternehmen ihn er-fassen und steuern können. Damit werden gleichzeitig die wirtschaftlichen und gesell-

zwecks neu formuliert oder überdacht wer-den sollten, um die erwünschte öffentliche Wahrnehmung und Wertschätzung zu be-wirken. Dabei enthält ein gut definierter und kommunizierter Unternehmenszweck nie nur sachliche und fachliche Motive, sondern ist immer auch emotional aufgeladen.

Denn welchen gesellschaftlichen Wert die Waren, Dienstleistungen und anderen Aktivi-täten des Unternehmens in den Augen der Öffentlichkeit haben, hängt nicht allein von objektiven Faktoren ab, sondern von der sub-jektiven Wahrnehmung des Publikums. Und die wird geprägt von der Erfüllung mehrerer psychologischer Grundbedürfnisse, die mora-lisch-ethische, soziale und emotional-ästhe-tische Dimensionen umfassen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Bild des Unternehmens in den Augen der Öffentlichkeit mit der Wirk-lichkeit übereinstimmt. Wichtig ist, dass diese öffentliche Wahrnehmung aus Unterneh-menssicht nicht als richtig oder falsch bewer-tet, sondern als Tatsache akzeptiert wird.

Es geht also um drei Dinge: die richtigen Maß-nahmen, das richtige Verständnis dessen, was den Menschen im jeweiligen Umfeld wichtig ist, und die glaubwürdige Kommunikation, da-mit Aktivitäten auch positiv wahrgenommen werden. Eine wirksame Klammer dafür bildet ein gut formulierter und aktiv gelebter Unter-

schaftlichen Auswirkungen von Unterneh-mensentscheidungen transparent gemacht.

Aber die PVSC zeigt nicht nur, ob und wie öf-fentlicher Wert durch bestimmte unterneh-merische Entscheidungen geschaffen oder gemindert wird, sondern sie kann bei der Definition eines Unternehmenszwecks oder bei der Überarbeitung des vielleicht schon bestehenden unterstützend wirken – indiziert sie doch, welche Aspekte des Unternehmens-

Big World – Small Planet Feldsteinmauer zwischen Weiden in Öland, Schweden. Schafe und eine vielfältige Flora und Fauna prägen diese alte Kultur-landschaft, die durch eine sich schnell wandelnde Umwelt in Gefahr ist (siehe Text auf Seite 7).

Am Puls der Gesellschaft

Unternehmen kennen leider oftmals ihren Public Value nicht. Alles und jedes wird gemessen, aber nicht die gesellschaftliche Wertschöpfung, die für Unternehmen im-mer wichtiger wird. Die bisherige Outside-

in-Perspektive ist zu eng. Kundenzufrieden- heitsumfragen und Stakeholderanalysen liefern wichtiges Feedback. Sie sagen aber nichts über den Puls der Gesellschaft. Wie reagiert diese auf eine Unternehmensakqui-sition? Worin besteht eigentlich der Public Value eines Produkts oder einer ganzen Unternehmung? Warum kommen unsere Aktivitäten in der allgemeinen Öffentlich-keit nicht an? Zwischen beabsichtigtem und realisiertem Public Value klafft oft eine eklatante Lücke. In diese stößt die Public Value Scorecard und macht für das Manage-ment sichtbar, wo die Chancen und Risiken einer strategischen Entscheidung liegen. Sie hilft, Selbst- und Fremdbild in Einklang zu bringen. Dies geschieht heute nicht mehr nur über Befragungen und Interviews, son-dern auch über Social-Media-Analysen, die zu einer Scorecard führen. Den Nutzen die-ses Ansatzes haben in den letzten Jahren schon der FC Bayern München und Frese-nius Medical Care, aber auch die Bundes-agentur für Arbeit für sich entdeckt.

Mehr dazu auf YouTube, Stichwort: Public Value – Common Good and the Society

Prof. Dr. Timo Meynhardt

Managing Director Center for Leadership and Values in Society Universität St. Gallen

Ein am gesellschaftlichen Wert orientierter Unternehmenszweck führt zu einer Neu ausrichtung des Denkens im Unternehmen, weil er die Perspektive der eigenen Betrachtung und Bewertung der Organisation grundlegend ändert.

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44 Expertise Public Value

• flexibel genug ist, um Veränderungen bis hin zu solchen des Geschäftsmodells zu erlauben;

• anspruchsvoll und verbindlich genug ist, um intern zu motivieren und Orientierung zu geben;

• klar genug ist, um das Unternehmen von anderen im Markt zu differenzieren und Kunden anzuziehen und zu binden.

Die US-Heimwerkermärkte von Kingfisher etwa konnten sich mit ihrem neu formulier-ten Purpose „We help to build a better home“ deutlich von ihren Wettbewerbern absetzen. Wie stark ein neu definierter Unternehmens-zweck auch nach innen wirkt und hilft, das eigene Geschäftsmodell zu überdenken und anzupassen, zeigt das Beispiel einer eben-falls in den USA behei mateten Drugstore-Kette. Neben Medikamenten hatte das Unterneh-men traditionell immer auch Zigaretten ver-kauft. Der neu formulierte Unternehmens-zweck „Gesundheitsförderung“ führte zum Verzicht auf den profitablen Geschäftszweig. Heute erzielt die Gruppe mit einem eindeutig am neuen Purpose ausgerichteten Produkt-portfolio weit höhere Umsätze und Gewinne.

Die Formulierung eines am gesellschaftlichen Wert orientierten Unternehmenszwecks führt vor allem zu einer Neuausrichtung des Denkens im Unternehmen, weil sie die Pers-pektive der eigenen Betrachtung und Bewer-tung der Organisation grundlegend ändert. Das Unternehmen und seine Akteure sehen sich quasi selbst zu – und das auch noch mit anderen Augen. Dieser neue Blickwinkel und der größere Rahmen, den etwa ein Unter-nehmenszweck wie der bei EY formulierte „To build a better working world“ gibt, bilden eine stabile Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einer Organisation.

nehmenszweck. Dabei zeigt sich in der Praxis immer wieder: Wo ein am Gemeinwohl ausge-richteter Unternehmenszweck fehlt, bleibt auch der Public Value unter dem Durchschnitt.

Doch Umfragen haben ergeben, dass bisher nur knapp die Hälfte der Unternehmen jenseits von Strategien und Visionen eine langfristige übergeordnete Zielsetzung ihrer Tätigkeiten für sich definiert haben. Rund 44 Prozent der befragten Unternehmen sind wenigstens da-bei, einen solchen Zweck zu entwickeln. Dies bietet eine entscheidende Chance, den not-wendigen ständigen Veränderungen bei Ge-schäftsmodell, Produkten und Prozessen einen ganz neuen Rahmen und Kompass zu geben, eine Klammer zu schaffen, die Flexibilität und Agilität mit Kontinuität und gesellschaftlicher Wertschätzung verbindet, sie zugleich fit macht für das digitale Zeitalter. Wir haben bei EY dafür eine neue Methodologie entwickelt, die Purpose Led Transformation (PLT), die Un-ternehmen helfen soll, einen Zweck zu entwi-ckeln, der zu ihnen passt, und diesen in der strategischen Ausrichtung der Organisation sowie in ihren Prozessen, Strukturen und Führungsinstrumenten zu verankern.

Damit ein solcher Zweck über lange Zeit sei-ne Gültigkeit behält, sollte er so formuliert werden, dass er

Statt als Bruch mit der Firmentradition kön-nen so selbst tiefgreifende organisatorische Ereignisse und Veränderungen wie etwa die Erschließung neuer Märkte und Kundengrup-pen, die Beschleunigung von Wachstum und Innovation, die Veränderung der hauseige-nen Marken und ihrer Kernaussagen oder die Integration bzw. der Zusammenschluss mit anderen Unternehmen als kontinuierliche Er-neuerungsprozesse verstanden und bewältigt werden. Selbst ein völlig neues Geschäftsmodell stellt aus dieser Perspektive nicht mehr die Aufgabe alles bisher Gewesenen dar, sondern die Transformation des Unternehmens in eine erfolgreiche Zukunft.

Die Wirkung des Unternehmenszwecks als wichtigen integrativen Bausteins wird inzwi-schen von immer mehr Führungskräften er-kannt und verstanden, wie eine aktuelle Studie von EY Global bestätigt hat. So sind 89 Pro-zent der befragten Führungskräfte davon überzeugt, dass ein gemeinsamer Unterneh-menszweck die Mitarbeiterzufriedenheit ver-bessert und ihre Loyalität erhöht. 84 Prozent der von EY befragten Manager meinen, dass Unternehmen Veränderungen leichter fallen, wenn sie ein Ziel verfolgen, das über die rei-ne Gewinnabsicht hinausgeht. Und 80 Prozent glauben, dass sich ein gut formulierter und kommunizierter Unternehmenszweck, der den gesellschaftlichen Nutzen berücksichtigt, positiv auf die Kundenbindung auswirkt. Und nicht nur das: Weitere Untersuchungen zeigen, dass Menschen sogar bereit sind, mehr für ein Produkt zu bezahlen, wenn der Hersteller einen hohen Public Value besitzt. Damit sorgt also ein am gesellschaftlichen Wert orientier-ter Unternehmenszweck für in jeder Bezie-hung gute Geschäfte – und damit für Bestand und Dau erhaftigkeit des Unternehmens.

Big World – Small Planet Oben: Nordlicht auf Spitzbergen, einer zu Norwegen gehörenden Inselgruppe am Rande der Arktis. Deren Eisdecke reflektiert Sonnenlicht und kühlt so die Erde. Unten: Tropische Mangrovenwälder sind Kinderstube für Fische und lebendiger Küstenschutz in einem – und durch das Anlegen von Garnelenzuchtfarmen weltweit gefährdet (siehe Text auf Seite 7).

Robert Jung [email protected]

Strategy Purpose Led Transformation

Markus Heinen [email protected]

EMEIA Strategy Leader Partner EY Advisory Services/Strategy

01/2016 Entrepreneur

Expertise Public Value 47

Noch auf der Hannover Messe 2011, als sich mit „Industrie 4.0“ erstmals eine Initiative aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft im Rahmen der Hightech-Strategie der Bun-desregierung präsentierte, beteiligten sich nur einige wenige ausgewählte Unterneh-men wie Bosch, Festo, Trumpf und Siemens, während sich die meisten (mittelständi-schen) Unternehmen zurückhielten. Und das zu einem Zeitpunkt, da private Haus-halte und Nutzer bereits eine Vielzahl der neuen internetbasierten Anwendungen für sich entdeckt hatten.

Zwischenzeitlich hat sich auch in der Indust-rie die Erkenntnis weitgehend durchgesetzt, dass Industrie 4.0 und Digitalisierung wirk-mächtige Trends sind, die die industrielle Re-alität prägen werden – und dabei Wertschöp-fungsketten zur Erosion bringen wie auch neue Chancen bieten können.

Bereits heute zeichnet sich ab, dass Industrie 4.0 und Digitalisierung keine rein unterneh-mensinternen Phänomene bleiben, sondern auch die Abläufe zwischen Marktteilnehmern verändern werden. Anhand der klassischen Dimensionen „Unternehmensebene“, „direk-tes Marktumfeld“ und „indirektes Markt um-feld“ kann jedes Unternehmen für sich selbst analysieren, wo sich welche Veränderungen durch Digitalisierung auswirken können:

auf den Gesamtmarkt erhoben. Ausgangspunkt der Betrachtung waren zunächst die Unterneh-mensebene und die daraus abgeleitete Sicht auf mögliche anstehende Veränderungen.

Das Interesse wächst exponentiell

Das aktuelle Meinungsbild in den befragten Unternehmen zeigt eine klare Richtung: Nahezu vier Fünftel der befragten Unterneh-men schätzen Industrie 4.0 als strategisch wichtig für ihr Geschäft ein. Vor zwei Jahren waren es noch weniger als die Hälfte. Bei den größeren Unternehmen (mindestens 500 Mit-arbeiter) sind es sogar 84 Prozent. Ein In-dustrievergleich zeigt, dass die Erwartungen im Maschinenbau am höchsten sind (mit 86 Prozent an der Spitze), gefolgt von der Konsumgüterindustrie, der Elektrotechnik und dem Automobilbau.

Über die potenziellen Vorteile von Industrie 4.0 herrscht bei den befragten Unternehmen überraschende Einigkeit: 62 Prozent der Industrieunternehmen erhoffen sich eine höhere Produktionsflexibilität. 57 Prozent er warten eine schnellere Reaktion auf Kun-den- und Marktanforderungen. Deutlich we-niger Bedeutung messen sie einer möglichen Erhöhung der Gesamtanlageneffektivität, Produktinnovationen oder besserer Kunden-unterstützung bei. Damit liegt der Fokus eindeutig auf einer Steigerung von Geschwin-digkeit und Kosteneffizienz des bestehenden Geschäftes. Überraschend ist, dass nur eine Minderheit der befragten Unternehmen das Potenzial der Digitalisierung für disruptive Innovation und neue Geschäftsmodelle sieht.

Von Stefan Bley, Dr. Christoph Kilger und Prof. Dr. Jochen Vogel

Industrie 4.0 – das unbekannte Wesen? Die Sicht der UnternehmerNichts wird momentan in der Wirtschaft so heiß diskutiert wie die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Industrie. Dabei hat es einige Zeit gebraucht, bis die Unternehmen sich diesem Trend genähert haben. Wo stehen sie heute?

Hier geht es z. B. darum, ob und wie Industrie 4.0 zu einer Veränderung und Anpassung der unternehmensinter-nen Prozesse führen kann.

Der Fokus liegt hierbei auf solchen Frage- und Aufgabenstellungen, bei denen Industrie 4.0 eine Anpassung z. B. der Kunden- und Lieferantenbeziehungen mit sich bringt.

Hier sind bereits heute Standardisierun-gen in (teil-)regulierten Umfeldern wie gemeinsamen Plattformen und ent-sprechender Austausch Realität. Durch Digitalisierung eröffnen sich zahlreiche weitere Möglichkeiten, gerade für regu- latorische Eingriffe der Staaten auf nationaler und supranationaler Ebene.

Unternehmensebene

Direktes Marktumfeld

Indirektes Marktumfeld

Zusammen mit dem Bitkom-Verband hat EY Unternehmer nach ihrer Einschätzung ge-fragt: Welche strategische Bedeutung messen sie Industrie 4.0 bei? Welche Vorteile sehen sie, welche Trends werden prägend sein, was sind die größten Hürden? Die repräsentative Befragung von 554 Unternehmen des verarbei-tenden Gewerbes ab einer Größe von 100 Mit-arbeitern gibt ein differenziertes Meinungsbild. Dabei hat sie auf eine Differenzierung zwi-schen den verschiedenen Ebenen verzichtet und die Trends stattdessen immer in Bezug

Trendanalyse sieht „Machine to Machine“ klar vorn

Welche technologischen Trends werden als besonders wichtig erachtet? Die kontinuierliche Verbesserung der Abläufe im Unternehmen durch „Machine to Machine“ (M2M) gehört

unter den Megatrends zu den führenden Ent-wicklungen. M2M bezeichnet einen auto- matisierten Informationsaustausch zwischen Endgeräten untereinander oder über eine zentrale Kommunikationsschnittstelle. Im Bereich M2M agieren intelligente Maschinen, Lagersysteme oder Betriebsmittel, die auto-

nom Daten miteinander austauschen, Ferti-gungsschritte veranlassen und sich gegen-seitig steuern. Auf diese Weise steuert sich eine Produktion selbst. Dabei wandelt sich auch die Rolle der Mitarbeiter in der Produk-tion von der Ausübung direkter Tätigkeiten im Produktionsprozess hin zu indirekten Tätig-

Gesamt Konsumgüter Elektrotechnik Automobilbau Maschinenbau Sonstiges

Erhöhung der Produktionsflexibilität 62 % 58 % 58 % 60 % 67 % 63 %

Erreichen schnellerer Reaktionszeiten 57 % 52 % 42 % 61 % 62 % 61 %

Erhöhung der Gesamt-anlageneffektivität 40 % 42 % 43 % 42 % 33 % 41 %

Entwicklung innovativer neuer Produkte 36 % 25 % 41 % 38 % 37 % 39 %

Kostenreduktion 30 % 30 % 33 % 26 % 31 % 30 %

Verbesserung der Kundenunterstützung 28 % 28 % 32 % 21 % 26 % 29 %

Entwicklung neuer Geschäftsmodelle 14 % 7 % 9 % 9 % 16 % 17 %

Ausweitung des existierenden Geschäftsmodells auf neue Märkte 10 % 9 % 14 % 12 % 16 % 7 %

Top-2-Box *

Gesamt 34 % 45 % 15 % 6 % 79 %

100 – 499 MA 32 % 46 % 15 % 7 % 78 %

500+ MA 41 % 43 % 10 % 5 % 84 %

Konsumgüter 29 % 54 % 11 % 5 % 83 %

Elektrotechnik 41 % 41 % 12 % 7 % 82 %

Automobilbau 31 % 49 % 15 % 5 % 80 %

Maschinenbau 36 % 50 % 10 % 4 % 86 %

Sonstiges verarbeitendes Gewerbe 33 % 41 % 18 % 7 % 74 %

0 % 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %

Quelle: EY

0 % 0 % 0 % 0 % 0 % 0 %

Angaben (gewichtet) in Prozent, Basis: alle befragten Industrieunternehmen (n = 554)

Angaben (gewichtet) in Prozent, Basis: alle befragten Industrieunternehmen (n = 554). Rundungsbedingt ergeben die Summen nicht zwingend 100.* Top-2-Box = „sehr wichtig“ und „eher wichtig“.

Sehr wichtig Eher wichtig Eher nicht wichtig Überhaupt nicht wichtig

Grafik 1: Die Mehrheit hat die strategische Bedeutung von Industrie 4.0 erkannt

Grafik 2: Nur zwei Vorteile von Industrie 4.0 werden mehrheitlich gesehen: Flexibilität und Reaktionszeit

01/2016 EntrepreneurEntrepreneur 01/2016

Expertise Digitalisierung 4948 Expertise Digitalisierung

können. Tauchen zum Beispiel zwei gleiche Fehler in kurzer Folge auf, kann das System das zuständige Werkzeug überprüfen und bei Bedarf austauschen lassen.

„Big Data Analytics“ hängt eng mit dem The-ma „Cloud“ zusammen. Dieser externe vir-tuelle Speicher, ein Pool nicht lokalisierbarer und von überall nutzbarer Speicherressour-cen, bietet sich als schnelle und sichere Spei-chervariante gerade für riesige Datenmen-gen an. Dort könnten auch Analyse-Tools extern vorgehalten werden, zumal Big Data Analytics noch nicht zu den Kernkompeten-zen produzierender Unternehmen gehört.

Das könnte sich in dem Moment ändern, in dem die Auswertung von „Big Data“ dem auswertenden Unternehmen detaillierte Informationen über das Anwendungs- und Nutzungsverhalten der Endnutzer ver-schafft. Der „Herr über die Daten“ könnte im Zuge der weiteren Digitalisierung und Vernetzung der verschiedenen Bereiche ei-ner Wertschöpfung hin zum „Internet der Dinge“ möglicherweise Dienstleistungen an-bieten, bei denen der Hersteller einer Ma-schine oder einer sonstigen Hardware kom-plett verdrängt wird.

Ein mögliches Beispiel stammt aus der Landwirtschaft, wo jahrzehntelang die Ma-schinenanbieter wichtige Ansprechpartner für die Landwirte waren. In nicht allzu ferner Zukunft könnten Anbieter mit den notwendi-gen Datenanalysen und daraus abgeleiteten Empfehlungen zu Wetter, optimaler Menge Saatgut, Dünger, günstigem Ausbringungs-zeitpunkt und geeigneten Maschinen die Landwirte für sich gewinnen und Komplett-pakete anbieten – zu denen auch die Land-maschinen gehören. Die Lieferanten der

mender Individualisierung immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Ein Praxisbeispiel findet sich im Werk von Bosch Rexroth in Homburg an der Saar. Auf seiner Fertigungslinie montiert das Unter-nehmen über 200 verschiedene Hydraulik-ventile aus mehr als 2.000 Komponenten. Die Werkstücke sind mit RFID-Funkchips ver-sehen, die ihren „Steckbrief“ enthalten. An-hand dieser Information erkennen die intelli-genten Stationen der Linie, wie das fertige Produkt zusammengestellt sein muss und welche Arbeitsschritte dazu notwendig sind. Displays zeigen den Mitarbeitern die zuge-hörigen Arbeitsanweisungen für die jeweils zu bearbeitende Variante. Im Extremfall kann jedes Ventil anders ausfallen.

Weitere Megatrends: „Big Data Analytics“ und „Cloud“

Weiterhin auf den vorderen Plätzen der nach ihrer Bedeutung eingeschätzten Trends befinden sich „Big Data Analytics“ (63 Pro-zent) und „Cloud“ (61 Prozent).

„Big Data Analytics“ steht für die Analyse großer Datenmengen unterschiedlicher Art, die neue Korrelationen und Informationen ermöglichen, mit denen sich Wettbewerbs-vorteile erzielen lassen. Schon heute wer-den auf Unternehmensebene zahlreiche Da-tenmengen in Produktionsprozessen (z. B. über Sensoren zu Temperaturen, Förderströ-men oder Energiedaten) gesammelt.

Mittels hochkomplexer Analysewerkzeuge lassen sich diese Daten in Echtzeit zu ihrer Er-hebung und Erfassung nutzen, so dass zum Beispiel Korrekturen an der Produktion noch im laufenden Prozess vorgenommen werden

keiten wie Aufrechterhaltung des Systems, z. B. um neue Produkte in das automatisierte Produktionssystem einzufügen.

Für unsere Trendanalyse wurden zusätzlich 72 Quellen, überwiegend Studien aus den Jahren 2013 und 2015, hinsichtlich der Häu-figkeit bestimmter Begriffe analysiert. M2M taucht am häufigsten auf. Fast genauso oft wird „Big Data“ erwähnt. Das Ergebnis der Häufigkeitsanalyse spiegelt sich auch in der Befragung wider.

Neben dem Thema IT-Sicherheit, das auf-grund der notwendigen Nutzung und Ver-fügbarkeit von Daten alle Diskussionen im Bereich neuer digitaler Anwendungen über-lagert, stuften die befragten Unternehmen mit 78 Prozent das Thema M2M als wichtig und wesentlich für ihr Geschäftsmodell ein. Die sinn verwandten „Social Machines“, die den Menschen in die Kommunikation einbe-ziehen, werden ebenfalls als wichtiger Tech-nologietrend eingeschätzt (70 Prozent).

Wirtschaftliche Fertigung einer Losgröße eins

Die „Einbeziehung“ von Produkten in die Kommunikation während eines Fertigungs-prozesses dank eingebauter Mikrointelli-genz vom Rohling bis zum Fertigteil ist das, was die bisherigen Abläufe einer Wert-schöpfung revolutionieren könnte. Produkte werden dadurch in die Lage versetzt, dem Produktionssystem ihren aktuellen Standort und den aktuellen Stand ihrer Fertigstellung und ggf. mögliche Produktionsfehler mitzu-teilen. Solche Produktionsanlagen können extrem flexibel arbeiten und je nach Konzepti-on selbst die „Losgröße eins“ wirtschaftlich fertigen – ein Aspekt, der in Zeiten zuneh-

Bereits heute zeichnet sich ab, dass Industrie 4.0 und Digitalisierung keine rein unternehmens internen Phänomene bleiben, sondern auch die Abläufe zwischen Marktteilnehmern verändern werden.

Nutzfahrzeuge gerieten dann in eine B2B-Beziehung mit hoher Austauschbarkeit.

Strategien für morgen – Auswirkungen auf Geschäftsmodelle

Es liegt auf der Hand, dass der Weg zur hoch automatisierten und intelligenten Fabrik auch Veränderungen zahlreicher Geschäfts-modelle mit sich bringen wird. Die Abgren-zungen im direkten Marktumfeld verschieben sich oder weichen zumindest auf, unterneh-mensinterne Prozesse werden enger mit Prozessen innerhalb des direkten Marktum-felds verzahnt.

Unternehmer sollten analysieren, ob und in welchem Ausmaß ihr eigenes Geschäftsmodell von der Entwicklung betroffen sein könnte:

• Welchen Einfluss erwarten sie zum Beispiel von den neuen digitalen Anwendungen für die eigene Wertschöpfungskette, für ihr direktes und indirektes Marktumfeld?

• Welche technischen Neuerungen werden angeboten? Was ist best-in-class?

• Kann das Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben, ohne zumindest Teile der eigenen Wertschöpfung auf Industrie-4.0-Techno-logien umzustellen?

• Kann das Unternehmen sich eine investiti-onsintensive Umstellung überhaupt leis-

ten oder muss es ein neues Geschäfts-feld finden – möglicherweise bis hin zur teilweisen Einstellung des Betriebs?

• Ist der Aufbau der notwendigen Kompe-tenzen aus eigener Kraft zu schaffen oder sollte die Innovationskraft eines Start-ups eingebunden werden?

Der Wettbewerb wird in Zukunft schärfer werden – trotz der Einbettung der Unterneh-men in Netzwerke und auch wenn zahlreiche Gemeinschaftsinitiativen von Politik und Wirt-schaft eine hochkooperative Industrie- und Unternehmenslandschaft suggerieren. Denn auch unter dem Schirm von Industrie 4.0 bleibt der Markt kompetitiv – und das umso

Im Zeitalter von Industrie 4.0 werden die Unternehmen die Rolle der Mitarbeiter neu definieren und zusammen mit der Politik entsprechende Ausbildungsberufe ent wickeln müssen.

Gesamt Konsumgüter Elektrotechnik Automobilbau Maschinenbau Sonstiges

Zu hoher Investitionsbedarf 64 % 70 % 57 % 67 % 60 % 64 %

Zu wenig qualifiziertes Personal 57 % 57 % 58 % 58 % 54 % 57 %

Mangelnde Standards 50 % 49 % 54 % 58 % 60 % 45 %

Sicherheitsbedenken 46 % 42 % 42 % 55 % 52 % 45 %

Unklarer wirtschaftlicher Nutzen 38 % 34 % 40 % 37 % 43 % 37 % Mangelndes IT-Know-how bei Kunden 37 % 51 % 42 % 39 % 29 % 34 %

Unklare Geschäftsmodelle 25 % 19 % 18 % 28 % 32 % 26 %

Quelle: EY

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Angaben (gewichtet) in Prozent, Basis: alle befragten Industrieunternehmen (n = 554)

Grafik 3: Meistgenannte Hemmnisse für Industrie 4.0 sind Investitionsbedarf und Fachkräftemangel

01/2016 EntrepreneurEntrepreneur 01/2016

Expertise Digitalisierung 5150 Expertise Digitalisierung

Stefan Bley st ef an . b ley @ d e. ey . c o m

P ar t n er , G S A A d v iso r y S er v ic es

Dr. Christoph Kilger c h r ist o p h . k ilg er @ d e. ey . c o m

P ar t n er , G S A A d v iso r y S er v ic es

mehr in einem globalen Umfeld. Schließlich ist die Initiative Industrie 4.0 eine Reaktion auf die Konkurrenz aus China und den USA. Und die zunehmende Datenfülle von Big Data führt zwangsläufig zu immer höherer Trans-parenz über Unternehmens- und Landes-grenzen hinweg.

Nach wie vor wird es also darum gehen, die eigene Firma zu schützen und ihr spezifische Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Jeder Unternehmer muss sich fragen, wie er sich in und gegenüber den für ihn relevanten Netz-werken positioniert. Dem Maschinenbau wird es dabei um die Erweiterung seines Netz-werks gehen. Er könnte zum Beispiel seine Bearbeitungszentren vollständig als Plug-and-Play-Maschinen für betrieb liche Netzwerke konzipieren, so dass er in Kooperation mit anderen Maschinenbau ern statt einer einzelnen Maschine komplette Fertigungslinien anbietet.

Ein Automobilzulieferer, seit jeher eng mit der Supply Chain seiner Lieferanten und Ab-nehmer verbunden, wird sich eher fragen, wie er es schafft, seine Produktionsprozesse autonom zu gestalten. Elektronikhersteller hätten die Möglichkeit, die Rolle eines Spezi-alisten für die Machine-to-Machine-Kommu-nikation anzunehmen und so eine vollständi-ge Palette kompatibler Sender, Empfänger und Leser für sämtliche Fertigungsprozesse zu offerieren.

Einstiegshürden: hohe Kosten und Mangel an qualifiziertem Personal

Die befragten Unternehmen sind sich der fi-nanziellen Einstiegshürden für Investitionen in Industrie 4.0 voll bewusst. Nahezu zwei Drittel von ihnen nennen den hohen Investi-tionsbedarf als primäres Hemmnis. Bei den

befragten Maschinenbauern sind es noch 60 Prozent.

Die zweite Einstiegshürde ist nach Einschät-zung von 57 Prozent der Mangel an quali-fiziertem Personal. In der Tat wird die ver-netzte Produktion die Anforderungen an Qualifikation weiter erhöhen. Denn neben Ingenieuren werden speziell qualifizierte Mitarbeiter mit Know-how im Bereich der Hardware ebenso wie in der Software be-nötigt. Einfache Hilfstätigkeiten für nicht oder gering qualifizierte Arbeitnehmer fallen zunehmend weg. Doch für angelernte Fach-kräfte wird genügend Arbeit bleiben, wenn sie sich flexibel auf die digitale Welt einlassen. Beim Automatisierungsspezialisten Festo AG zum Beispiel wird, sobald eine Kundenbe-stellung vorliegt, ermittelt, wie viele Mitar-beiter mit welchen Qualifikationen bis wann benötigt werden. Die Mitarbeiter werden dann per App angefragt und können auf die-sem Weg ab- oder zusagen.

Im Zeitalter von Industrie 4.0 werden die Un-ternehmen die Rolle der Mitarbeiter neu de finieren und zusammen mit der Politik ent-sprechende Ausbildungsberufe entwickeln müssen: Voraussetzung dafür ist, dass auf den Führungsebenen eine klare Vorstellung über Industrie 4.0 herrscht.

Eine Frage mangelnder Standards – und unzureichender Sicherheit

Als weitere Einstiegshürde werden von der Hälfte der Befragten (im Maschinenbau 60 Prozent) mangelnde Standards genannt. Deutschland könnte aufgrund der großen Normenerfahrung seiner Industrie hier eine internationale Führungsrolle übernehmen. Doch 62 Prozent der Befragten rechnen damit,

dass sich kein eindeutiger Standard durch-setzen wird, 22 Prozent verlassen sich darauf, dass Kooperationsinitiativen aus der Industrie hier erfolgreich voranschreiten werden.

Sicherheitsbedenken stehen mit 46 Prozent der Nennungen im Übrigen erst an Position vier der „Einstiegshürden“. Ganz anders be-urteilen das die Anbieter aus den Bereichen Software, IT-Services und Telekommunikation, sozusagen die Experten für vernetzte Syste-me. Gut drei Viertel sehen in Sicherheitsbeden-ken das größte Hindernis für die Einführung von Industrie-4.0-Anwendungen. Mangelnde Standards sehen zwei Drittel von ihnen be-reits an zweiter Stelle der Hemmnisse. Dass etwas mehr als die Hälfte der Systemanbie-ter einen Mangel an IT-Know-how bei ihren Kunden als Hindernis monieren, signalisiert akuten Handlungsbedarf. Damit korreliert die Selbsteinschätzung der Industrie, dass es ihr an qualifiziertem Personal mangelt.

Keine Frage: Auf dem Weg zur praktischen Umsetzung von Industrie 4.0 sind noch eini-ge Hürden zu nehmen. Dass man – unge-achtet der noch fehlenden Reife des Gesamt-systems – die Aufgabe in betrieblichen Teil-bereichen schon anpacken kann, illustrieren einzelne Beispiele. Entscheidend dürfte für jedes Unternehmen die Erarbeitung einer ge-eigneten Strategie für die eigene Industrie- 4.0-Zukunft sein – im Sinne eines proaktiven Auslotens der sich bietenden Chancen der Digitalisierung, und zwar über die bestehen-den Geschäftsmodelle hinaus.

Prof. Dr. Jochen Vogel j o c h en . v o g el@ d e. ey . c o m

P ar t n er , G S A T r an sac t io n A d v iso r y S er v ic es

Sind wir Helden?In vielen Ländern der Erde kämpfen unerschro- ckene Menschen für den Erhalt von Welterbestätten, die von der Zerstörung durch Kriege, Raubbau, Natur katastrophen und Fanatismus bedroht sind. „Heritage Heroes“ nennt die Unesco sie. Ein Recherche team aus Deutschland hat im vergangenen Jahr einige von ihnen an ihren Wirkungsstätten auf gesucht. Resultat der Expedition in fünf Erdteile ist eine Ausstellung, die viel über bedrohte Natur- und Kulturerbestätten erzählt – aber noch mehr über den wagemutigen Einsatz der couragierten Aktivisten.

Mit ein f ac h em W er k z eu g k ä m p f t d ie 6 1 - j ä h r ig e P er u an er in Mar í a Mer c ed es Men d o z a C h av ar r í a g eg en d ie Z er st ö r u n g d er welt weit ein - z ig ar t ig en R u in en st ad t C h an C h an d u r c h d ie E r o sio n . „ I c h b in seh r st o lz , d as E r b e m ein er V o r f ah r en wied er h er z u st ellen “ , sag t sie.( F o t o : A st r id P iet h an )

aría Mercedes Mendoza Chavarría war das alles furchtbar peinlich. Waren diese Leute wirklich nur für sie aus Deutschland nach Peru gekommen, in die Einöde der Ruinen-

stadt Chan Chan, um sie bei der Arbeit zu foto-grafieren? Um Himmels willen. Und dann würden die Fotos auch noch in einer Ausstellung zu se-hen sein, in Deutschland? „Anfangs mussten wir sie regelrecht überreden, für ein Foto zu posieren“, erzählt die Kölner Fotografin Astrid Piethan, die María Mercedes Mendoza Chavarría im Frühjahr vergangenen Jahres im Auftrag der Deutschen Unesco-Kommission an ihrer Wirkungsstätte in der Ruinenstadt Chan Chan besuchte. Im Interview traute sich die Mutter von acht Kindern kaum, etwas zu sagen. Sie war doch keine Heldin, ach was, sondern nur eine einfache Frau aus dem Volk, die seit Jahren unbeirrt, Tag für Tag, mit Spatel und Wasserspritze gegen die fortschrei-tende Zerstörung der historischen Bauten durch Regen, Wind und Sturm ankämpft – damit Chan Chan nicht vollends versinkt in einem Meer aus Sand. „Am Anfang war es für mich sehr hart, weil schon so viel zerstört war“, lautete einer der wenigen Sätze, die sie zu Protokoll gab, „aber jetzt bin ich sehr stolz, das Erbe meiner Vorfahren wiederherzustellen.“

Die um 1300 erbaute ehemalige Hauptstadt des Chimú-Reiches, fünf Kilometer westlich der Stadt Trujillo an der peruanischen Pazifikküste gelegen, ist mit Zehntausenden Gebäuden die weltweit größte gänzlich aus sonnengetrockne-ten Lehmbausteinen errichtete Stadt. Seit 1986 zählt Chan Chan zum Unesco-Weltkulturerbe – und wurde sofort auf die Liste der akut bedrohten Welterbestätten gesetzt. Das seit Anfang der 80er-Jahre verstärkt auftretende Klimaphäno-men El Niño brachte an der peruanischen Küste

M

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52 Expertise Digitalisierung Impulse Engagement 53

T essei S h ib a k ä m p f t e in d en 6 0 er - u n d 7 0 er - J ah r en er f o lg r eic h f ü r d ie R et t u n g d es ein z ig ar t ig en Ö k o - sy st em s au f d er j ap an isc h en I n sel Y ak u sh im a, in d em er U n iv er sit ä t en , Med ien u n d P ar t eien m o b ilisier t e. E in er d er ä lt est en W ä ld er d er E r d e war d o r t d u r c h A b h o lz u n g b ed r o h t . ( F o t o : Mic h ael S c h aab )

A b d o u lay e B o n c an a ( lin k s) r et t et e im J ah r 2 0 1 2 K u n st wer k e au s d em S ah el- Mu seu m im m alisc h en G ao v o r P lü n d er u n g en u n d d er Z er st ö r u n g d u r c h islam ist isc h e E x t r em ist en . A ld io u m a Y at t ar a ( r ec h t s) m o b ili- sier t e d ie ein h eim isc h e B ev ö lk er u n g , d as b er ü h m t e, au s d em 1 5 . J ah r - h u n d er t st am m en d e G r ab m al v o n A sk ia z u sc h ü t z en . ( F o t o : A lb r ec h t F u c h s)

Starkregen, Überschwemmungen und heftige Stürme mit sich, die Chan Chan sukzessive in eine Mondlandschaft verwandelten. Viele der Mauern und kunstvollen Ornamente aus Lehm wurden bereits weggewaschen und abge-schliffen; zurück blieben blankgefräste kahle Lehmfassaden, die sich kaum noch von der Um-gebung abheben.

Die Rote Liste der Unesco ist mittlerweile auf 48 Natur- und Kulturerbestätten angewachsen, bedroht durch Kriege, ethnische Konflikte, Raub- bau, Naturkatastrophen, Besiedlung und religi-öse Fanatiker. „Einzigartige Urwälder werden abgeholzt, Naturgebiete sind durch Wilderei, Ver- schmutzung oder Klimaerwärmung gefährdet“, bilanziert das Unesco-Welterbe-Komitee. „Bewaff-nete Konflikte haben verheerende Auswirkungen auf die Zeugnisse jahrtausendealter menschlicher Zivilisation, zerstören kulturelle Identitäten.“

María Mercedes Mendoza Chavarría ist fast täg-lich an ihrem Arbeitsplatz in Chan Chan zu finden. Durch einen weiten Umhang gegen die grelle Son-ne geschützt, ringt sie mit geradezu stoischer Geduld der Erosion Zentimeter um Zentimeter ab, befreit mit dem Spachtel Gebäudeteile von Sand- und Salzschichten, schält Ornamente heraus und sprüht eine schützende Glasur aus destilliertem Wasser und Kaktussaft auf die fragilen Lehmmau-ern. Die Besucherinnen aus Deutschland, Astrid Piethan und die Berliner Rechercheurin Ruth Wolter, waren beeindruckt von der „Hingabe und Leidenschaft, mit der diese einfache, bodenstän-dige Frau sich ganz in den Dienst dieser Aufgabe gestellt hat“. „Sie braucht niemanden, der ihr sagt, wie wichtig ihre Tätigkeit ist“, sagt Ruth Wolter, die sich mit der 61-Jährigen über ihre Arbeit unterhielt, „sie sieht es ja jeden Tag, wenn sie das Areal betritt.“

Da es an Geld für genügend professionelle Res-tauratoren mangelt, sind die wenigen Archäo- logen von Chan Chan auf Unterstützung durch freiwillige Aktivisten aus den umliegenden Dörfern dringend angewiesen. María Mercedes Mendoza Chavarría wiederum gibt die Fertigkeiten, die sie sich im Laufe der Jahre bei den Profis abge-schaut hat, an Frauen ihres Stadtteils weiter – und auch an eine ihrer Töchter, die jetzt eben-falls fast täglich in Chan Chan im Einsatz ist. Menschen wie sie „nehmen ihre Mitverantwor-tung als Weltbürger wahr“, lobt die Deutsche Unesco-Kommission.

Genau solche Persönlichkeiten, die Unesco präg-te für sie den Begriff „Heritage Heroes“, stan-den im Mittelpunkt einer Ausstellung, die vom 28. Juni bis 8. Juli vergangenen Jahres anläss-lich der Konferenz des Welterbe-Komitees in Bonn zu sehen war. Gemeinsam hatten die deut-sche Unesco-Kommission und das Auswärtige Amt die Idee entwickelt, einige jener couragierten Menschen vorzustellen, die es sich zur Aufgabe

sich geradezu auf“, erinnert sich Maria Wildeis. Der eine oder andere schied aus, weil man bei allem Engagement doch auch eigennützige Moti-ve sah. So hoffte ein Kandidat, als Heritage Hero sein gerade erschienenes Buch besser promoten zu können, ein anderer wollte mittels der Aus-stellung seine politische Karriere vorantreiben.

Als Destillat mehrwöchiger Recherchen ent-stand eine finale Liste mit Welterbe-Aktivisten aus zwölf Staaten und allen fünf Kontinenten. Zu finden ist dort beispielsweise der Biologe und Nashorn-Forscher Rudi Putra, ein engagierter Kämpfer für die durch Rodung, Bergbau und Wilderei bedrohte Tier- und Pflanzenwelt des Gunung-Leuser-Nationalparks auf Sumatra. Mwajuma Mbalawa und Rehema Htibu, zwei Frau-en aus Tansania, überzeugten mit ihrem Einsatz für die Erhaltung der aus dem 13. und 14. Jahr-hundert stammenden Festungs-, Palast- und

gemacht haben, „die Kultur- und Naturschätze der Welt vor der Vernichtung zu schützen und dabei sogar Risiken für Leib, Leben, Freiheit oder Karriere auf sich nehmen“. Als Projektleiterinnen gewann man die Kölner Kunsthistorikerin und freie Kuratorin Maria Wildeis sowie die Produkt- designerin und Projektmanagerin Tatjana Krischik. Zweierteams aus Interviewer und Fotograf soll-ten die Heritage Heroes an ihren Wirkungsstätten besuchen, sie interviewen und fotografieren.

In enger Abstimmung mit den Projektpartnern der Unesco und des Auswärtigen Amtes begaben sich die Teams an die Arbeit. Besonders die Ex- peditionen in abgelegene Regionen – beispiels-weise in die tasmanische Wildnis oder in den ugandischen Regenwald – mussten gut vorberei-tet werden. Und nicht zuletzt war zu entschei-den, wer überhaupt als Heritage Hero in Betracht kam. Aspiranten gab es viele; „manche drängten

Moscheeruinen auf der Insel Kilwa Kisiwani. Und was wäre von der historischen Altstadt von Dubrovnik übrig geblieben, hätten 1991 nicht 20 Feuerwehrmänner einen Großteil der durch Granatenbeschuss in Brand gesetzten Bauten unter Lebensgefahr vor der Zerstörung durch die Flammen gerettet?

Mitunter gewannen die Expeditionsteams vor Ort einen kleinen Eindruck von den widrigen Bedingungen, unter denen die Heritage Heroes arbeiten. So war die Sicherheitslage ausge- sprochen heikel, als der Kölner Fotograf Albrecht Fuchs nach Mali reiste, wo er in Timbuktu drei Kulturwissenschaftler treffen wollte, die 2012 einzigartige Bibliothekssammlungen und Kunst-werke vor der Zerstörung und Plünderung durch islamistische Extremisten in Sicherheit gebracht hatten. Die Gotteskrieger hatten zuvor bereits mehrere zum Welterbe zählende denkmalge-schützte Grabstätten verwüstet. Zum Zeitpunkt von Albrechts Expedition war an ein Durchkom-men nach Timbuktu allerdings nicht zu denken. Nachdem es erneute Überfälle islamistischer Milizen gegeben hatte, zerschlug sich auch die vage Hoffnung auf den Transport in einer Militär- maschine der UN. Das Treffen mit den Heritage Heroes kam schließlich in der vergleichsweise sicheren, 1 000 Kilometer südwestlich von Tim-buktu gelegenen Hauptstadt Bamako doch noch zu Stande.

Die Dimension der Herausforderung, mit der die Heritage Heroes sich konfrontiert sehen, wurde den Teams meist erst vor Ort bewusst – im Ange-sicht einer vom Verfall bedrohten mittelalterlichen Festung, eines Urwaldgebietes in Erwartung der anrückenden Kreissägen oder beim Gespräch mit ehemaligen Wilderern, die zu Wildschützern be-kehrt worden waren. „Als wir nach Japan aufbra-chen, wussten wir kaum etwas über die Heritage Heroes, die wir dort aufsuchen wollten“, erzählt Maria Wildeis. „Es gab nicht einmal einen Zeitungs- artikel über sie.“ Masahary Hyodo und Tessei Shiba, heute beide über 80 Jahre alt, hatten in den 60er- und 70er-Jahren erfolgreich für die Rettung des einzigartigen Ökosystems auf der abgelegenen Insel Yakushima gekämpft. Dort war einer der ältesten Wälder der Erde mit bis zu 3 000-jährigen Yakusugi-Zedern durch Abhol-zung bedroht. „Ihr jahrzehntelanges Engagement, ihre Leidenschaft und Beharrlichkeit – all das versteht man erst, wenn man vor einem solchen mächtigen Baum steht“, sagt Maria Wildeis. Der Baum ist vermutlich älter als die Geschichte der menschlichen Zivilisation auf dieser Insel. Ihn zu fällen kostet dagegen nur wenige Stunden. „Es ergreift einen ein Gefühl der Ehrfurcht, wenn man dort steht und sich vergegenwärtigt, dass dieser Wald längst nicht mehr existieren würde, wenn nicht zwei Männer vor mehr als 40 Jahren beschlossen hätten, der Zerstörung dieses ein-maligen Naturerbes durch den Menschen Ein-halt zu gebieten.“

01/2016 EntrepreneurEntrepreneur 01/2016

Impulse Engagement 5554 Impulse Engagement

Beharrlich setzt sich Königin Rania von Jordanien für sozialen Wandel, Toleranz und die Gleichberechtigung von Frauen in der arabischen Welt ein. Ihr Plädoyer für eine Bildungsoffensive ist gleichzeitig eine klare Kampfansage an die islamistischen Extremisten. Für ihr langjähriges gesellschaftspolitisches Engagement wurde sie kürzlich mit dem renommierten Walther-Rathenau-Preis ausgezeichnet.

Es war mit Sicherheit einer der klügsten Einwürfe, den die Welt bis dato zum Vordringen des islamistischen Terrorismus vernommen hatte. Woher all die fanatisierten Radikalen und ihre Gefolgschaft kommen? „Sie kommen aus unseren Klassenzimmern, in denen man den Kindern das Denken und das Fragenstellen abgewöhnt hat. Sie kommen aus Gesellschaften, in denen die Hälfte aller jungen Menschen arbeitslos ist.“ Gesagt hat das niemand Geringeres als Jordaniens Königin Rania. Mit ihrer aufrüttelnden Rede, gehalten ungefähr vor Jahresfrist beim Mediengipfel in Abu Dhabi, führte die Monarchin ihr ureigenes Thema, die dringende Notwendigkeit einer Bildungsoffensive in den arabischen Staaten, mit der aktuellen Bedrohung durch den religiösen Fundamenta- lismus zusammen. Nur wer der jungen Generation Arbeit, Teilhabe und vor allem Bildung vermittelt, so die Botschaft Ranias, bietet ihr eine echte Alternative zu den Verheißungen der Dschihadisten. Religiöse Fanatiker, schloss die Ehefrau des jordanischen Herrschers Abdullah II., könnten nicht mit Waffengewalt besiegt werden. „Es gilt, der Sieger auf dem philosophischen Schlachtfeld zu werden.“ Die denkwürdige Rede hallt bis heute nach – weil sie nicht nur eine aufgeklärte Pro- fessorenschaft und elitäre Debattierzirkel erreicht hat, sondern die normalen Leute auf der Straße. Vor allem über die sozialen Medien hat Rania, die auf Facebook und Twitter jeweils 3,5 Millionen Anhänger hat, ihr Credo verbreitet.

Auf Twitter charakterisierte Rania sich einmal als „Mutter und Ehefrau mit einem echt coolen Tagesjob“. Dieser „coole Tagesjob“ dreht sich immer wieder um ein großes Thema: das Recht auf Bildung und die Gleichstellung von Frauen in den arabischen Gesellschaften. „Bildung ist wie ein Titan“, erklärt die Königin wieder und wieder. „Sie gibt Men-schen und insbesondere Frauen die Kraft, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie ist die Voraussetzung für ihre Selbstbestimmung und Selbstentfaltung, für ihre Gesundheit, ihr eigenes Fortkommen und ihr Glück.“ Mit Bildung, so die Königin, lässt sich die Welt bewegen: „Bildung und Erziehung führen Länder und Gesellschaften aus der Armut in den Fortschritt und Wohlstand. Das Fundament dafür liegt in jedem einzelnen Kind, das gelernt hat, zu denken, zu entscheiden und die Welt in eine bessere Richtung zu lenken.“ Hier schließt sich der Kreis – zwischen den gesellschaftspolitischen Grundüberzeugun-gen Ranias und der Suche nach Antworten auf den Terror des „Isla-mischen Staates“.

Die Monarchin

Rania von Jordanien wurde 1970 in Kuwait als Tochter eines palästinensischen Arztes geboren. Zusammen mit ihren beiden Geschwistern, der älteren Schwester Dina und dem jüngeren Bruder Magdy, wuchs sie auf der Westseite der Bucht von Kuwait auf. Nach dem Besuch der New English School in Kuwait City schrieb sie sich an der American University in Kairo für Betriebs-wirtschaftslehre ein, wo sie 1991 ihren Bachelor machte. 1993 heiratete sie Prinz Abdullah von Jordanien. Mit ihm zusammen hat sie vier Kinder.

Das kontinuierliche Engagement der Regentin gegen Ehrenmorde, für Mädchenbildung und für ein besseres Miteinander von Orient und Okzident hat viel Beachtung gefunden – nicht nur bei ihren Followers, die Sätze wie diesen in das Blog der Königin schreiben: „Es ist bewun-dernswert, mit welcher Kraft Sie sich weltweit für die Rechte der Frauen einsetzen und dafür kämpfen, dass auch sie ihre Träume wahr machen können. Sie sind für alle Frauen ein großes Vorbild.”

Seit der Thronbesteigung ihres Mannes im Jahr 1999 hat sich Ihre Majestät Königin Rania Al Abdullah vom Haschemitischen Königreich Jordanien, so der offizielle Titel der Monarchin, zum Sprachrohr für politische und religiöse Toleranz, für Frieden und Völkerverständigung und insbesondere für die Rechte von Frauen und Kindern gemacht. Sie rief die Madrasati-Initiative (My School Initiative) ins Leben, mit der sie das jordanische Schulsystem verbessern will, engagiert sich in der Jordan River Foundation, die sich um sozial benachteiligte Familien und insbesondere deren Kinder in Jordanien kümmert, und ist eine der treibenden Kräfte der Arab Sustainability Leadership Group, die sich für ein nachhaltiges Denken und Handeln im Nahen Osten starkmacht.

Auch international ist die Monarchin bestens vernetzt. So ist sie Mitglied der Clinton Global Initiative und zählt zum Vorstand des World Eco-nomic Forum. Im vergangenen September wurde sie mit dem renom-mierten Walther-Rathenau-Preis für herausragendes außenpolitisches Engagement ausgezeichnet. Königin Rania habe ihre herausgehobene Stellung dazu genutzt, gesellschaftliche Veränderung zu bewirken, hob Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Laudatio hervor. Sie sei eine wahre „Brückenbauerin“ zwischen Kulturen und Religionen. Stets bewegt sich die bekennende Muslimin stilsicher und authentisch zwi-schen den verschiedenen Kulturen, egal ob sie mit jordanischen Kindern in deren Schulklasse, mit internationalen Managern in Davos oder mit Michelle Obama im Weißen Haus diskutiert. Den Zeugnissen des Terrors setzt sie entschiedene und bewegende Bilder der Humanität entgegen – etwa wenn sie die Witwe eines jordanischen Kampfpiloten, den die Terroristen des Islamischen Staates bei lebendigem Leib ver-brannt hatten, still umarmt.

„ Bildung ist wie ein Titan“

„ B ild u n g g ib t Men sc h en d ie K r af t , ih r L eb en selb st in d ie H an d z u n eh m en . “ U n b eir r b ar st r eit et J o r d an ien s K ö n ig in R an ia f ü r T o ler an z u n d d ie R ec h t e in sb eso n -d er e v o n F r au en u n d K in d er n im ar ab isc h en R au m .

01/2016 Entrepreneur

Impulse Statement 57

Der Fluch der Roten Königin

anchmal muss man einfach zur richtigen Zeit am richtigen Platz sein. Das wusste auch Marjorie Courtenay-Latimer. 1931, im Alter

von nur 24 Jahren, hatte die Tochter eines Bahn-hofsvorstehers und angehende Krankenschwester aus East London, Südafrika, eine interessante Stellenausschreibung in der Zeitung entdeckt. Das eben erst gegründete Naturkundemuseum ihrer Heimatstadt suchte einen Kurator für seine noch in den Anfängen steckende Sammlung. Die Tiere und Pflanzen ihrer Heimat waren seit Kindertagen die ganz große Leidenschaft der jungen Miss Latimer, also versuchte sie trotz des Fehlens einer formalen Ausbildung ihr Glück – und überzeugte mit ihrem profunden Fachwissen den Museumsvorstand, dass sie die Richtige für den Job war. Zur rechten Zeit am rechten Ort war sie auch sieben Jahre später, am Morgen des 22. Dezember 1938 – in diesem Fall war es ein-fach ihr Arbeitsplatz im Museum. Die 31-Jährige saß gerade beim Präparieren eines Reptilienfos-sils, da klingelte das Telefon. Am Apparat einer ihrer gut gepflegten Kontakte: Hendrik Goosen, Kapitän des Fischkutters „Nerine“. Er sei eben von einer Fangfahrt zurückgekehrt und habe ei-nige interessante Fische angelandet – ob sie mal einen Blick darauf werfen wolle? Miss Latimer wollte. Sie nahm ein Taxi zum Hafen, der Rest ist Wissenschaftsgeschichte: „Aus dem Haufen von Fischen ragte eine blaue, rundliche Flosse hervor“, erinnerte sie sich später an den Augen- blick, der ihr Leben verändern sollte. „Vorsichtig

M entfernte ich den ganzen Schleim und Schlamm und fand darunter den schönsten Fisch, den ich je gesehen hatte. Er war anderthalb Meter lang, in der Färbung blau mit hellen Flecken, und sei- ne harten Schuppen strahlten in einem bezaubern- den, silbrig schimmernden Blaugrün. Er hatte vier Flossen, die an Gliedmaßen erinnerten, und einen merkwürdigen, gelappten Schwanz. Da lag ein wunderschöner Fisch vor mir – wie auf Porzel-lan gemalt –, aber ich hatte nicht die geringste Ahnung, welcher Art er angehören könnte.“

Weil das geheimnisvolle Tier nach Stunden an Deck bereits ziemlich müffelte, weigerte sich der Taxifahrer zunächst, den Fund für weitere Untersuchungen zum Museum zu transportieren. Doch die zarte, aber resolute Wissenschaftlerin setzte sich durch. Im Labor erbrachten aller-dings auch ihre Fachbücher keinerlei Hinweis auf die Identität des Fischs. Der Vorsitzende des Verwaltungsrats tat ihn als abnormen Zacken-barsch ab und verabschiedete sich in den Feier-abend. Verzweifelt wandte sich Courtenay-Latimer in einem Brief an ihren Bekannten J. B. L. Smith, Chemiker und passionierter Fischkundler an der Rhodes University im 160 Kilometer entfernten Grahamstown. Doch Smith war leider nicht am rechten Ort, sondern bereits in den Weihnachts-ferien. Er erhielt den Brief erst am 3. Januar 1939. Doch dann schlug er ein wie eine Bombe. „Höchst wichtig. Erhalte Skelett und Kiemen des Fischs“ lautete sein sofort auf den Weg gebrach-tes Telegramm. Doch zu diesem Zeitpunkt waren

E b at im iu m f er b ef at . Q u am . I r t e, m an d e ac in se at u am in r est r u n c en at u r o eo t u s r es ser v iv ir m iu s ad d u m ab u lis er u m in t e es lo s m o c ae c r ic av o liam o c , d iu r o r aed em d iem si sen iq u e t at o ad iam t at u s sen E t r a, c o n t em ip t e c en at u r o u st e.

E in S c h wer t sc h n ab elk o lib r i g eh t f r em d : W ä h r en d d er V o g el au c h an an d er en B lu m en ( in d iesem F all ein e E n g elst r o m p et e) N ek t ar t r in k t , set z en ein ig e P assio n s- b lu m en sein er sü d am er ik an isc h en H eim at in S ac h en B est ä u b u n g allein au f ih n .

Im Ausleseprozess der Evolution besteht, wer sich besser anpasst. Das bedeutet durchaus nicht immer Wandel um jeden Preis. Im Laufe der Erdgeschichte setzten viele Lebensformen auf Kontinuität – und fuhren mit dieser Politik der ruhigen Hand auch nicht schlecht.

01/2016 Entrepreneur

Impulse Evolution 59

F ast sc h o n n ied lic h : Mar j o r ie C o u r t en ay - L at im er s ( g an z lin k s) er st e S k iz z e ih r es Q u ast en f lo sser s, d ie sie ih r em B r ief an J . B . L . S m it h ( lin k s u n t en ) b eif ü g t e. T r o t z aller A n -st r en g u n g en u n d ein er h o h en B elo h n u n g so llt en 1 4 J ah r e v er g eh en , eh e im D ez em b er 1 9 5 2 ein z weit es E x em p lar an d en H ak en g in g , d iesm al b ei d er I n selg r u p p e d er K o m o r en . D em h er b eig eeilt en S m it h ( u n t en , m it H an d am F isc h ) g elan g es m it H ilf e d er sü d af r i-k an isc h en L u f t waf f e, d as T ier in sein e H eim at z u v er f r ac h t en , seh r z u m Ä r g er F r an k r eic h s, z u d essen K o lo n ien d ie K o m o -r en d am als n o c h g eh ö r t en .

die Innereien des seltsamen Lebewesens längst auf dem Müll ge-landet: Das Tier war im südafrikanischen Hochsommer rasend schnell in Verwesung übergegangen und das Formalin war knapp. Alles, was Courtenay-Latimer und ein befreundeter Hobby-Tier-präparator hatten retten können, waren seine schuppige Haut und der knochige Kopf.

Am Ende reichten Latimers Skizzen des frisch gefangenen Tiers und drei per Eilpost gesendete Schuppen, um Smiths unglaub- lichen Verdacht auch aus der Ferne zu bestätigen: Bei dem Tier handelte sich um einen Quastenflosser, einen Vertreter einer nur in Form von Fossilien bekannten und für längst ausgestorben gehaltenen uralten Gruppe von Fischen. Ihre nächsten noch le-benden Verwandten sind die Lungenfische der Tropen, mit denen sie die archaische Klasse der Fleischflosser bilden. Seit dem Erd- altertum gehörten Quastenflosser mit vielen Arten zur Stamm-besetzung der Urmeer-Fauna, in ihre nähere Verwandtschaft gehörten auch jene amphibienartigen Fische, die vor 380 Millio-nen Jahren erstmals das Land eroberten und die Vorfahren aller Landwirbeltiere wurden. Ein Erfolgsmodell der Evolution, sollte man denken. Doch vor gut 66 Millionen Jahren verschwanden die Quastenflosser sang- und klanglos aus der fossilen Überlie-ferung – zeitgleich mit den ebenfalls lange dominierenden Dino-sauriern. Aber waren sie wirklich alle von der Erde verschwunden? Nein, in isolierten Lebensräumen in den Tiefen tropischer Meere hatten offenbar ein paar unbeugsame Quastenflosser den Unter-gang ihrer fleischflossigen Verwandtschaft überlebt und bis heute nicht aufgehört, dem Aussterben Widerstand zu leisten – eine Erkenntnis, die wir der Geistesgegenwart und Unbeirrbarkeit von Marjorie Courtenay-Latimer verdanken. Ihr zu Ehren taufte Smith das Tier auf den wissenschaftlichen Namen Latimeria chalumnae, heute auch bekannt als Komoren-Quastenflosser.

Es dauerte 14 Jahre, bis 1952 ein zweites Exemplar an den Haken ging, erst 1987 gelang es dem deutschen Biologen und Tauch- pionier Hans Fricke, in mehr als 100 Metern Tiefe unter großen Felsüberhängen lebende Komoren-Quastenflosser zu filmen und die versteckte Lebensweise der trägen Fischriesen zu doku-mentieren. Zehn Jahre später dann sorgte die Entdeckung des Manado-Quastenflossers (Latimeria menadoensis), einer zwei-ten, nahe verwandten Art, für Furore, der 10 000 Kilometer von seinen afrikanischen Vettern entfernt nördlich der Insel Sulawesi lebt.

Was Wissenschaftler wie Smith am meisten an den modernen Quastenflossern verblüffte, war ihr augenscheinlicher Mangel an Modernität: Anatomisch gleichen die beiden heute bekannten

„ Er hatte vier Flossen, die an Gliedma-ßen erinnerten, und einen merk- würdig gelappten Schwanz. Da lag ein wunderschöner Fisch vor mir – wie auf Porzellan gemalt –, aber ich hatte nicht die geringste Ahnung, welcher Art er angehören könnte.“Mar j o r ie C o u r t en ay - L at im er

Entrepreneur 01/2016

Impulse Evolution 6160 Impulse Evolution

Diktum der Roten Königin aus dem Kinderbuchklassiker „Alice hinter den Spiegeln“ von Lewis Caroll: „Hierzulande musst Du so schnell rennen, wie Du kannst, wenn Du am gleichen Fleck bleiben willst“?

Als „Red Queen’s race“ hat es van Valens Hypothese längst in die Lehrbücher der Evolution geschafft. Und tatsächlich liefert die Vielfalt des Lebens auf der Erde zahllose Beispiele für den ewigen Wettlauf zwischen konkurrierenden Spezies. Besonders seltsame Blüten hat er im Falle einiger Arten von Passionsblu-men aus den Hochlagen der Anden getrieben. Ihr Nektar sitzt am Ende extrem enger, fast zehn Zentimeter langer Blütenkelche und bleibt so für Bienen oder Schmetterlinge unerreichbar. Die Passionsblume hebt sich für ihren einzig wahren Bestäuber auf: den Schwertschnabelkolibri. Mit seinem mehr als die Hälfte sei-ner Gesamtlänge ausmachenden Schnabel erreicht er den Blü-tengrund gerade so, allerdings nicht ohne seinen Kopf zwischen den Staubgefäßen der Blume mit Pollen einzupudern und damit die nächste Blüte zu bestäuben. Ein unsinnig erscheinender Auf-wand auf beiden Seiten. Tatsächlich gehen Forscher davon aus, dass das seltsame Paar aus Blume und Bestäuber seinen Ursprung in wesentlich bescheidener bestückten Vorfahren hat. Längere Schnäbel machten es den Kolibris leichter, an Nektar zu kom-men, die Langschnäbel hatten geringfügig mehr Nachkommen und setzten sich nach und nach in der Population durch, so die Theorie. Das aber war für die Bestäubung kurzkelchiger Blüten von Nachteil, was wiederum die Pflanzen mit längeren Blüten begünstigte. Es entspann sich ein für beide Seiten nicht unbedingt vorteilhafter, vermutlich bis heute andauernder evolutionärer Wettlauf darum, wer den Längeren hat.

Während die Geschichte von der Blume und dem Kolibri letztlich doch von einer Koevolution zu gegenseitigem Nutzen erzählt, zeugen andere Beispiele von einem Wettrüsten im Kampf ums blanke Überleben. Ob Gepard und Gazelle, Kuckuck und Teich-rohrsänger, Malariaerreger und menschliches Immunsystem: Solche evolutionären Rennen enden meist in einem labilen Gleichgewicht der Kräfte, in dem sich keine der beiden Seiten auf ihren Lorbeeren ausruhen kann – die Rote Königin lässt grüßen. Aber nicht nur der klassische Kampf ums Überleben kann in der Evolution zu rasanten Veränderungen führen. Auch sich bietende neue Möglichkeiten befördern einen Schub von Wandel und Diversifikation. Klassisches Beispiel sind die Darwinfinken der Galapagosinseln. Als ihre südamerikanischen Vorfahren vor gut zwei Millionen Jahren durch einen Zufall auf den weitab im Pazifik gelegenen Inseln landeten, fanden sie einen Lebensraum ohne Feinde oder Konkurrenz vor. Allerdings waren auch die Ressourcen knapp, was sie vor neue Herausforderungen stellte. Innerhalb evolutionär kurzer Zeit fächerte sich die Gründerart in die heute bekannten 14 Spezies von Darwinfinken auf. Jede von ihnen hat ihre ganz bestimmte Nische gefunden: Es gibt dicke Körnerfresser mit besonders kräftigen Schnäbeln, schlanke Insektenfresser mit spitzen Schnäbeln und zwei Arten, die mit Hilfe von Kakteenstacheln Maden aus totem Holz pulen – eine Nahrungsquelle, die andernorts Spechte anzapfen. Einzigartig unter Vögeln ist der nur auf den besonders abgelegenen Inseln Wolf und Darwin vorkommende Vampirfink. Er ernährt sich unter anderem vom Blut dort brütender Seevögel, denen er mit seinem spitzen Schnabel kleine Wunden zufügt. Auf diese Weise deckt er auf den wasserlosen Inseln in Dürrezeiten seinen gesamten Flüssigkeitsbedarf. Darwins Finken verblassen vor der Innovations-freude der Buntbarsche in den ostafrikanischen Grabenseen: Innerhalb weniger zehntausend Jahre entwickelte sich beispiels-weise im Viktoriasee aus einer Handvoll Vorläuferarten eine

Arten in allen wesentlichen Merkmalen ihrer fossilen Verwandt-schaft aus der Zeit der Dinosaurier. „Lebendes Fossil“ nannte schon Charles Darwin solche Tierarten, deren Evolution Äonen lang scheinbar stillstand. Das ist gar nicht so selten: Auch von Ginkgo, Schachtelhalm und Baumfarn, Rüsselspringer, Nautilus und Knochenhecht gibt es uralte Fossilien, die den heute lebenden Arten zum Verwechseln ähnlich sehen. Mit dem „Urzeitkrebs“ Triops, dessen Eier früher dem Gimmick-Magazin „Yps“ beilagen, schaffte es ein lebendes Fossil sogar bis in die Kinderzimmer Deutschlands. Steht dieser zumindest äußerliche Stillstand nicht im Widerspruch zur Darwin’schen Theorie vom „Survival of the Fittest“, dem ewigen Kampf ums Dasein, in dem nur besteht, wer sich anpasst? Oder, wie es der amerikanische Evolutionsbiologe Leigh van Valen ausdrückte: Gilt für biologische Arten nicht das

V ik t o r iasee

T an g an y ik asee

Malawisee

S p ielwiese d er E v o lu t io n : I n d en g r o ß en S een d es o st -af r ik an isc h en G r ab en b r u c h s en t wic k elt en sic h i n n er - h alb ev o lu t io n ä r k u r z er Z eit au s wen ig en V o r lä u f er n H u n d er t e A r t en v o n B u n t - b ar sc h en . J ed e v o n ih n en h at ih r e eig en e k lein e N isc h e z u m Ü b er leb en g ef u n d en – f ü r s E r st e. D en n F o r sc h er st au n en , in welc h em T em p o d ie E v o lu t io n in „ D ar win s T r au m t ü m p eln “ n o c h im m er v o r an sc h r eit et .

01/2016 Entrepreneur

Impulse Evolution 63

unübersehbare Formenvielfalt aus Hunderten von Spezies, die sich wie die Finken auf Galapagos jeweils ihre ganz eigene Ni-sche suchten.

Evolutionäre Radiation nennen Biologen eine solche schnelle Ausbreitung und Diversifikation in neue Lebensräume. Doch selbst in solchen Phasen des Umbruchs kommt das Prinzip Konti-nuität zum Zuge. Denn auch in der Evolution gilt: Von nichts kommt nichts. Neue Strukturen wie der nussknackende Schnabel des Großgrundfinken der Galapagosinseln entstehen durch Ab-wandlung bereits bestehender. So lassen sich die Gliedmaßen von Mensch, Pferd, Fledermaus und Vogel trotz extremer äuße-rer Unterschiede sämtlich auf einen gemeinsamen Grundbau-plan zurückführen, der sich bereits bei den Fleischflossern des Urmeeres findet. Und selbst die blutrünstige Ernährungsweise des Vampirfinken hat vermutlich einen Vorläufer in der wesent-lich erfreulicheren Angewohnheit mancher Festlandsverwand-ten, anderen Tieren Parasiten aus Fell und Federn zu picken. Als vermeintliche Krone der Schöpfung sind auch wir Menschen letztlich das Produkt einer massiven Radiation: jener der Säuge-tiere, die vor 66 Millionen Jahren begann. Bis dahin hatten sich Säugetiere zu Füßen der Dinosaurier aus reptilienähnlichen Vor-fahren zu einer wenig bedeutenden Gruppe maus- bis katzen-großer Tiere entwickelt. Dann kam es zur globalen Katastrophe. Forscher diskutieren noch, ob es der Einschlag eines Meteoriten, gigantische Vulkanausbrüche oder eine Kombination aus beidem war – jedenfalls machte sie den Dinosauriern und mit ihnen etwa drei Vierteln aller damals lebenden Tierarten an Land und im Meer den Garaus und markierte das Ende der Kreidezeit.

Einige Säuger überlebten und fanden sich nach Jahrmillionen im Schatten der Dinos plötzlich im Rampenlicht der Evolution und auf einer Erde der unbegrenzten Möglichkeiten wieder. Es begann eine Phase der Expansion, in der Säuger die frei gewor-denen Nischen neu besetzten und innerhalb erdgeschichtlich kurzer Zeit zu einer nie dagewesenen Formenvielfalt und Domi-nanz aufliefen. Während all dieser Umwälzungen machten die überlebenden Quastenflosser einfach so weiter, als wäre nichts geschehen – und das erfolgreich bis heute. Innovation um ihrer selbst willen war offenbar ihr Ding nicht. Wozu auch? Die Lebens-bedingungen in ihren unterseeischen Höhlen waren vermutlich sehr stabil, Räuber hatten sie angesichts ihrer Größe und kräfti-gen Schuppen kaum zu fürchten. Uns Menschen als evolutionär blutjungen Emporkömmlingen mag das reaktionär erscheinen. Doch im Spiel des Lebens ist Fortschritt kein Selbstzweck: Erlaubt ist, was sich bewährt – und sei es auch ein Bauplan aus grauer Vorzeit. Ohnehin sind Äußerlichkeiten nicht alles: In einer 2013 im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlichten Analyse sei-nes Erbgutes zeigte sich, dass Evolution durchaus auch beim Quastenflosser stattfand – wenn auch langsamer als bei vielen anderen Tiergruppen und offenbar eher auf biochemischer Ebene wie in den Molekülen des Immunsystems, über die uns Fossilien naturgemäß keine Auskunft geben können. Ganz ohne Bewegung geht es also selbst für lebende Fossilien nicht, andernfalls hätten sie sich wohl bald in die Masse der ausgestorbenen Arten eingereiht. Schätzungen gehen davon aus, dass 99 Prozent der jemals auf der Erde existenten Arten früher oder später wieder ausstarben, so gesehen sind die sehr grob geschätzt 10 Millionen heute leben-den Tierarten nur eine Momentaufnahme der Evolution.

Ob nun Kontinuität oder Wandel der Schlüssel für diese momen-tan auf der Welle des evolutionären Erfolgs schwimmenden Arten ist, ist die falsche Frage – beide Prinzipien haben ihren Stellen-wert. Und wie man heute weiß, legten selbst die größten Innova-

S c h n ä b el m ac h en F in k en : D ar win selb st er k an n t e d ie B ed eu t u n g d er n ac h ih m b en an n t en F in k en f ü r d ie E v o lu t io n st h eo r ie er st J ah r e n ac h sein em A u f en t h alt au f d en G alap ag o sin seln . H eu t e g elt en sie als P ar ad eb eisp iel f ü r d ie A r t b ild u n g d u r c h u n t er sc h ied lic h e S p ez ialisier u n g .

toren unter den Tier- und Pflanzengruppen in der Evolutionsge-schichte unter stabilen Bedingungen immer wieder mal eine Pause ein, in der sich über Jahrmillionen wenig tat. Innerhalb dieses Kontinuums zwischen Umbruch und Stillstand gehört der Quastenflosser vielleicht doch eher zu den Postmaterialisten des Tierreichs und hält es mit dem Fischer aus Heinrich Bölls „Anek-dote zur Senkung der Arbeitsmoral“: Darin malt ein übereifriger Tourist dem in seinem Boot dösenden südländischen Fischers-mann aus, wie er mit vermehrter Anstrengung zu großen Reich-tümern kommen, sich schließlich zur Ruhe setzen und dann in aller Ruhe aufs wunderschöne Meer blicken und dösen könnte. „Aber das tue ich ja schon jetzt“, lautet die Antwort. Die könnte uns auch der Quastenflosser geben – wenn er es denn für evoluti-onär nötig befunden hätte, sprechen zu lernen.

Georg Rüschemeyer

Jahrgang 1970, mag Fische. Sein Jugendzimmer war voller Aquarien, in denen auch ostafrikanische Buntbarsche schwam-men. Später studierte er Biologie und wurde schließlich freier Wissenschaftsjournalist, unter anderem für die Frank-furter Allgemeine Sonntagszeitung sowie die Magazine mare und GEO. Er lebt mit seiner Familie im englischen York.

Entrepreneur 01/2016

64 Impulse Evolution

Wie Ralf Zastrau von der Nanogate AG mit schlauen Schichten Nutzen stiftet.

ObenaufNur so ein bisschen an der Oberfläche kratzen – damit hat sich Ralf Zastrau (50) noch nie zufriedengegeben. Der Vorstandsvorsitzende der Nanogate AG aus dem saarländischen Göttelborn (rechts, mit Nanogate-COO Michael Jung) besaß schon im Alter von 16 Jahren einen Gewerbeschein für den Handel mit Computerteilen, während seines Studiums der Wirtschaftsinfor-matik führte er ein eigenes kleines Softwareunternehmen. Dann machte er Karriere im Controlling einer mittelständischen Unternehmensgruppe und in der Geschäftsleitung eines Industriekonzerns. Eigentlich hätte das auch so weitergehen können – aber Zastraus Unternehmer-Gen setzte sich schließlich durch. Im Jahr 1999 übernahm er die Geschäftsleitung eines kleinen Spin-offs des Saarbrücker Leibniz-Instituts für neue Materialien. Und machte aus dem wissenschaftlichen Start-up mit drei Mitarbeitern die heutige Nanogate AG – ein international führendes Systemhaus für Hoch-leistungsoberflächen mit rund 600 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von prognostiziert mehr als 84 Millionen Euro.

Wenn schon, dann richtig, und immer dicht am Markt – unter diesem Motto haben Zastrau und sein langjähriger Vorstandskollege Michael Jung neue Materialien in den industriellen Alltag gebracht. Mit Nanogate-Prozessen und den entsprechenden Werkstoffen veredeln Unternehmen aus der Luft-fahrt, der Gebäudetechnik oder dem Automobil- und Maschinenbau ihre

KontinuitätTHEMA

Engagement

• Erfolg bedeutet Verantwortung – Strukturwandel gestalten, Mitmachkultur fördern, Nachwuchs stützen

• Umweltfreundliche Produkte und Prozesse

• Für Branche und Gesellschaft: Bildung in der Region und CSR-Netzwerke

• Nutzen: schafft Vertrauens- kultur auch im Unternehmen, sichert Fachkräfte und Inno- vationsfähigkeit

Unternehmertum

• Kontinuität ist Verlässlichkeit – die schafft Vertrauen und Selbstvertrauen

• Basiert auf Stabilität, Werten, Berechenbarkeit – und dem Willen zur Veränderung

• Bedeutet dynamische Entwicklung, aber nicht zwangsläufig linear

• Kann zum Vorwand für Bequemlichkeit werden – eine tägliche Herausforderung

• Also Strategien entwickeln und umsetzen – mit Beharrlichkeit und Wertschätzung

Unternehmen

• Kontinuität versus Wandel – ein antreibendes Spannungsfeld

• Einer Vision folgen: „Touch us every day“ – jeder Mensch soll mit uns in Berührung kommen

• Aber kein Wachstum um jeden Preis• Führung mit Offenheit und Teamgeist• Strategie ist Chefsache – der CEO als

Taktgeber und Coach• Aber auf breiter Basis – Mitarbeiter

sind Kreativ-, Verwantwortungs- und Umsetzungspersönlichkeiten

• Bewusst mit Dingen brechen, wenn Stillstand droht

Innovation

• Grundlage des Denkens: Unsere Welt ist nie fertig

• Innovation lässt sich nicht exakt vorausplanen

• Trotzdem wichtig: klare, übersichtliche Ziele

• Erfolg durch Symbiose: Wissenschaft, Ingenieurskunst, Marktorientierung

• Kultur des Vertrauens und Mut zu Fehlern

• Gestaltungsfreiheit macht Spaß, bisheriger Erfolg gibt Kraft

Persönlich

• Von jeher Mut, Türen ins Unbekannte zu öffnen• Erfolg hat nur, wer nicht aufgibt• Glück aber ist mehr – Symbiose aus Beruf, Familie,

Freunden, Engagement … Demut hilft dabei• Kraft gewinnen aus einfachen Dingen – ein

Sonnenaufgang an der Mosel

Kooperation

• Nur langfristige Partnerschaften sichern Erfolg• Werte als Grundlage: Offenheit, Transparenz,

Respekt und Eigenverantwortung• Wir wollen: Klarheit, Ehrlichkeit, eine Strategie• Wir geben: all das, zudem Begegnung auf

Augenhöhe und die Bereitschaft zu neuen Wegen

• Bei Konflikten: ansprechen, austragen, abschließen

Produkte, etwa aus Metall und Kunststoff, machen deren Oberflächen kratz-fest, antihaftend und schützen sie vor Korrosion. Kunststoffteile werden durch eine spezielle Beschichtung besonders glatt oder fest, was etwa den Leichtbau bei Fahrzeugen ermöglicht, am Ende den Treibstoffverbrauch verringert oder dem Design ganz neue Möglichkeiten eröffnet.

Mehrere hundert Lösungen hat die Nanogate AG bisher erfolgreich umge-setzt. Und wie bei den Oberflächen kommt es beiden Unternehmern vor allem auf das an, was man auf den ersten Blick nicht sieht – etwa die Konti-nuität, mit der sie ihr Geschäft betreiben. So versteht sich Nanogate aus-drücklich als langjähriger Innovationspartner für Unternehmen, der sich nicht nur um Werkstoffe und Technik, sondern auch um deren Implementie-rung in die Serienproduktion kümmert. Oder als Produktionspartner auch bei besonders anspruchsvollen Teilen – im Jahr 2013 hat Nanogate sein Portfolio erweitert und stellt seither auch Kunststoffkomponenten mit glasähnlichen Eigenschaften selbst her. Künftig will Nanogate Kunststoffe zudem metallisieren und zunehmend Lösungen zur Energieeffizienz entwi-ckeln. Bis zu 80 Millionen Tonnen CO2 jährlich ließen sich allein in Deutsch-land mit sanierten Gebäuden und neuartigen Heizsystemen einsparen, meint Ralf Zastrau, und der Wirkungsgrad etwa eines Wärmetauschers hän-ge stark von seiner Oberfläche ab. Und auch das ist keine Frage der Optik.

Impulse Mindmap 67

Impressum Herausgeber: Georg Graf WalderseeGestaltung und Realisation:Anzinger und Rasp, MünchenArt Direction:Markus RaspProjektmanagement:Maria Freundorfer

Bildnachweise:S. 5 links: Jonathan Gayman, S. 5 Mitte / S. 58: Mark Jones / Minden Pictures/National Geographic Creative, S. 5 rechts: Astrid Piethan, S. 38 Mitte: Aston Martin, S. 39 oben: Andy Mahr / Gallery Stock / laif, S. 39 rechts: Corbis, S. 39 Mitte: Jeremie Soutreyrat / laif, S. 39 unten: Patrick PIEL / GAMMA-RAPHO/laif, S. 56: REUTERS / Naser Ayoub, S. 60 / 61: South African Institute for Aquatic Biodiversity, S. 62: www.pisces.at, S. 63: Getty Images / Planet Observer, S. 64: Corbis, S. 65: Susan Middleton, S. 66: Katrin Binner, S. 68: Gabriela Neeb

Adresse der Redaktion:Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Flughafenstraße 6170629 Stuttgart [email protected]

Druck:Druck- und Verlagshaus Zarbock Frankfurt am Main

Sie sind muslimischen Glaubens – warum passt das trotzdem zu dieser christlichen Tradition?Dass ich aus einer anderen Religion stamme, ist sogar ein Vorteil. Für mich ist alles unge-wohnt, ich habe noch viel zu entdecken. Das gibt die Chance, neue Facetten zu beleuchten.

Inwiefern darf man an Traditionen wirklich rütteln?Tradition lebt durch Veränderung, und Fragen sind immer gut, will man erfolgreich Theater machen. Ich werde das Rad bestimmt nicht neu erfinden, aber den Charakter Jesu möchte ich schon weiterdenken.

Das Gewohnte infrage zu stellen kann Wider-stand erzeugen. Wie gehen Sie damit um?Ich finde Widerstände wunderbar, denn sie zwingen mich zum Nachdenken. Deshalb bewahre ich meist einen kühlen Kopf. Aber wenn es persönlich wird, kann ich auch laut werden.

In der Zusammenarbeit mit dem Regisseur Christian Stückl zeigen Sie außergewöhn-liche Kontinuität. Worin liegt der Reiz einer derart langjährigen Kooperation?Ich habe viel von ihm gelernt und wir pfle- gen ein ganz besonderes Vertrauensverhält-nis. Und Vertrauen ist die Grundlage dafür, dass man sich wirklich mit Inhalten beschäf- tigen kann.

Kontinuität bedeutet auch Sicherheit. Sie aber sagten einmal: „Was für mich Heimat ist? Ich bin immer auf der Suche.“Eines ist ganz klar: Ich bin Bayer. Ansonsten fühle mich mittlerweile ganz wohl zwischen den Stühlen, denn ich schöpfe daraus Kreati-vität. Ob Türke oder Deutscher, Theatermann oder Ghettokid – ich kann jederzeit die Rollen wechseln. Unterschiede sind eine Chance.

Abdullah Kenan Karaca Was ist dann die Klammer, die Ihr Leben zusammenhält?Meine Arbeit, aber auch meine Familie. Sie sorgt dafür, dass ich mich nicht im Theater-Kosmos verliere. Jeder Mensch braucht Erdung und muss deshalb wissen, wie das Leben draußen ist.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?Ich möchte vor allem Geschichten erzählen, und dafür will ich mich auch mal im Film ausprobieren. Irgendwann aber wäre ich gern Intendant eines Stadttheaters. Dann könnte ich meinen eigenen Spielplan entwerfen.

Aber Sicherheit darüber gibt es nicht. Haben Sie einen Plan B?Nein, denn ich halte es wie beim Sport: Wenn sich der Erfolg nicht in dieser Saison einstellt, dann eben in der nächsten. Man findet immer seinen Weg, und sich ständig Sorgen zu ma-chen bindet einfach zu viel Energie.

Irgendwann einmal selbst den Jesus in Ober-ammergau geben – wäre das was?Nicht unbedingt, denn es war nie mein Wunsch, selbst auf der Bühne zu stehen. Und ein Mus-lim ausgerechnet als Jesus?

Die Passionsfestspiele gibt es seit 1634. Worin liegt das Besondere dieser Tradition?Die letzten Tage Jesu ergeben eine Geschichte mit einer unglaub lichen Sogkraft, auch für Leute, für die das Religiöse nicht an erster Stelle steht. Zudem knüpfen die Spiele ein starkes Band zwischen Menschen. Die Oberammergauer lassen sich gemeinsam die Haare wachsen, erzählen diese Geschichte gemeinsam – das ist einmalig.

Er ist Muslim, und er prägt eine der ältesten christlichen Traditionen in Deutschland: Abdullah Kenan Karaca (26) wird die Oberammergauer Passionsspiele im Jahr 2020 als zweiter Spielleiter lenken, neben Christian Stückl, dem Regisseur und Chef des Münchner Volkstheaters. Seit 1634 bringen die Bewohner Oberammergaus alle zehn Jahre die Leidensgeschichte Jesu auf die Bühne, zuletzt im Jahr 2010, mit rund 2 000 Mitwirken- den und einer halben Million Besuchern aus aller Welt. Karaca selbst wuchs als Sohn türkischer Einwanderer in Oberammergau auf und spielte dort als Zehnjähriger das erste Mal bei den Passions-spielen mit, unter der Leitung Christian Stückls. Nach Schulzeit, Abitur und dem kurzen Versuch eines Germanistikstudiums in Ankara holte ihn Stückl 2009 als Regieassistent ans Volkstheater. Im Jahr 2012 gab Karaca dort mit „Arabboy“ sein Regie-debüt, weitere Publikumserfolge wie „Der große Gatsby“, „Woyzeck“ und „Die Präsidentinnen“ von Werner Schwab folgten. Bis heute hält Karaca dem Volkstheater als Hausregisseur die Treue.

Entrepreneur 01/2016

68 Impulse Zehn Fragen

EY | Assurance | Tax | Transactions | Advisory

Die globale EY­Organisation im Überblick Die globale EY-Organisation ist einer der Marktführer in der Wirtschafts- prüfung, Steuerberatung, Transaktionsberatung und Managementberatung. Mit unserer Erfahrung, unserem Wissen und unseren Leistungen stärken wir weltweit das Vertrauen in die Wirtschaft und die Finanzmärkte. Dafür sind wir bestens gerüstet: mit hervorragend ausgebildeten Mitarbeitern, starken Teams, exzellenten Leistungen und einem sprichwörtlichen Kundenservice. Unser Ziel ist es, Dinge voranzubringen und entscheidend besser zu machen – für unsere Mitarbeiter, unsere Mandanten und die Gesellschaft, in der wir leben. Dafür steht unser weltweiter Anspruch „Building a better working world“.

Die globale EY-Organisation besteht aus den Mitgliedsunternehmen von Ernst & Young Global Limited (EYG). Jedes EYG-Mitgliedsunternehmen ist rechtlich selbstständig und unabhängig und haftet nicht für das Handeln und Unterlassen der jeweils anderen Mitgliedsunternehmen. Ernst & Young Global Limited ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach englischem Recht und erbringt keine Leistungen für Mandanten. Weitere Informationen finden Sie unter www.ey.com.

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