Kontrollierte natürliche Lüftung für energieeffiziente Gebäude · PDF fileKontrollierte natürliche Lüftung für energieeffiziente Gebäude Prof. Dr. Ursula Eicker, Tobias Schulze

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    Rubriktitel

    Kontrollierte natrliche Lftung fr energieeffiziente Gebude

    Prof. Dr. Ursula Eicker, Tobias Schulze, Hochschule fr Technik Stuttgart

    Kontrollierte natrliche Lftung ermglicht eine sehr gute Raumluftqualitt und verbessert den sommerlichen Komfort von Brogebuden ohne elektrischen Aufwand fr Ventilatoren. Die Effizienz von natrlichen Lftungskonzepten ist dabei im hohen Mae abhngig sowohl von den dynamischen Umweltbedin-gungen wie Wind und Temperatur als auch vom Gebudeaufbau, dem Fenster-typ und der Position der ffnung.

    Bei der Projektierung und Auslegung der Belftung von Gebuden werden der-zeit die Mglichkeiten der kontrollierten natrlichen Lftung ber automatisch gesteuerte Fenster in der Fassade und im Dach nicht hinreichend genutzt, da weder Normen noch einfache Berechnungsverfahren fr die Auslegung von ff-nungsquerschnitten verfgbar sind.

    So wird beispielsweise in der novellierten Raumlufttechnik-Norm DIN 1946-6 die kontrollierte natrliche Lftung ber motorisch bettigte Fenster bei der Pla-nung lftungstechnischer Manahmen im Wohnbau nicht untersttzt, weil Planungsgrundlagen fehlen. Derzeit besagt die Norm: Mit manueller Fenster-lftung kann die Lftungs-Wirksamkeit von freien Lftungssystemen jederzeit untersttzt werden. Sie ist aber nur bei Anwesenheit der Nutzer mglich und notwendig. Fr die Auslegung der lftungstechnischen Manahmen wird der Auenluftvolumenstrom durch Fensterlftung nicht bercksichtigt.

    Aus Mangel an Planungsuntersttzung werden entweder Auenluftdurchls-se fr die freie Lftung, vermehrt aber auch mechanische Lftungsanlagen im Wohnungs- und Verwaltungsbau empfohlen. Die mechanische Lftung bietet zwar die Mglichkeit der Wrmerckgewinnung im Winter, erhht jedoch den technischen Anlagenaufwand sowie die Stromkosten im Sommer.

    Die vorliegende Studie, beauftragt durch den Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V. (ZVEI) mit seinem Fachkreis RWA und natrli-che Lftung (www.rwa-heute.de), schafft daher Grundlagen fr die Berechnung kontrollierter natrlicher Lftung, die zuknftig in einfachen Planungstools umgesetzt und in die Normung Eingang finden sollen. Ziel ist die Reduzierung des Primrenergieeinsatzes und die Erhhung der Raumluftqualitt vor allem im Nicht-Wohnungsbau.

  • Kontrollierte natrliche Lftung fr energieeffiziente Gebude Prof. Dr. Ursula Eicker, Tobias Schulze

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    Abb. 1: Wertebereiche von gemessenen und simulierten Luftwechseln bei natrlicher Lftung

    Aus dem Stand der internationalen Forschung werden zunchst die wesentlichen Aussagen zur Funktionalitt und Energieeffizienz zusammengefasst.

    Da vor allem Aussagen zur ganzjhrigen statistischen Verteilung der Luftmen-gen sowie zu den energetischen Einsparpotenzialen in der Fachliteratur fehlen, wurden dynamische thermische Simulationen mit integrierten (oder mit gekop-peltem) Strmungs-Netzwerk an drei deutschen Standorten fr moderne Bro-rume durchgefhrt.

    Ermittelt wurden die erreichbaren Luftmengen zur Bestimmung der Raumluft-qualitt sowie die thermischen Komfortbedingungen bei nicht klimatisierten, kontrolliert natrlich belfteten Rumen. Die Einsparungen an Khl- und Heiz-energie sowie an Ventilatorstrom wurden dann im Vergleich zu einem klima-tisierten und mit einer mechanischen Abluftanlage versehenen Broraum be-stimmt.

    Internationale Forschung zur natrlichen Lftung

    Ziel von natrlicher Lftung ist die Bereitstellung von ganzjhrig guter Raum-luftqualitt mit eher niedrigen Luftwechselraten im Winter sowie von gutem thermischen Komfort im Sommer durch hohe Luftwechsel zur Khlung.

    Die empfohlenen CO-Konzentrationen sollten etwa 1.000 Teile pro Million (parts per million, ppm) nicht berschreiten (DINEN15251 2007; DIN1946-6 2009, Berufsgenossenschaft). Es gibt jedoch keinen einheitlichen Grenzwert (die mittlere Luftqualitt nach EN 13799 liegt zwischen 400 und 600 ppm). Messwerte in dicht belegten Rumen liegen oft hher, z.B. um die 1.500 ppm in deutschen Schulen [Fromme, 2006], bei etwa 2.000 ppm in einer Berliner Schule [Mller et al., 2010] oder bei knapp 1.500 ppm in einer Zricher Schulstudie [Galli, 2009]. Bei manueller, also vom Nutzer abhngiger, natrlicher Lftung kann eine gute Raumluftqualitt vor allem in dicht belegten Rumen wie Schulen oder Bros nicht immer gewhrleistet werden.

    Die Analyse von Nicht-Wohngebuden in internationalen Projekten hat gezeigt, dass warme und gemigte Klimazonen mit einer groen Tag/Nacht-Tempera-turspanne von zehn bis zwlf Kelvin (K) bestens fr natrliche Nachtlftung geeignet sind. In gemigten Klimazonen kann eine gute thermische Behag-lichkeit durch Tag- und Nachtlftung bei gleichzeitiger Reduzierung von Khl-lasten durch Sonnenschutz oder hnliches erreicht werden. In heien Klimata mit moderaten Nachttemperaturen kann natrliche Nachtlftung verwendet werden, um den Energieverbrauch des aktiven Khlsystems zu senken. Typische gemessene Raumtemperaturabsenkungen durch Nachtlftung liegen bei einem bis drei K (bis zu sechs K sind mglich).

    Natrliche Lftung ist in feuchten Klimaregionen nicht zur Khlung zu empfeh-len (bei einem Wassergehalt der Luft von mehr als 15 Gramm pro Kilogramm). Khlung durch natrliche Lftung alleine funktioniert in Gebuden mit eher geringen Khllasten (weniger als 30 Watt pro Quadratmeter) und ausreichend thermischer Masse (mehr als 75 Kilogramm pro Quadratmeter) [siehe Berichte der IEA Task 28].

    Natrlich belftete Gebude knnen auch bei heien sommerlichen Bedin-gungen guten thermischen Komfort bieten. Beispielsweise lagen im Sommer 2003 im sddeutschen Brobau Lamparter in Weilheim/Teck weniger als zehn Prozent der Nutzungsstunden ber 26C [Eicker et al., 2006]. Atrien knnen leicht berhitzen [Fisch and Zargari, 2009].

    Die erreichbaren Luftwechselraten durch natrliche Lftung ber Fenster oder Klappen liegen bei richtiger Dimensionierung der ffnungen deutlich hher als mit mechanischer Lftung zur Nachtauskhlung, und dies ohne elektrischen Energieaufwand. Die Bandbreite von meist gemessenen, teilweise simulierten Luftwechseln in unterschiedlichen Brobauprojekten zeigt Abbildung 1.

    Je nach Lftungsart liegen typische ffnungsquerschnitte etwa zwischen ein und drei Prozent der Bodenflche: Bei einseitiger Lftung sollte der ffnungs-querschnitt etwa drei Prozent der Bodenflche betragen, bei Querlftung zwei Prozent und bei Kaminlftung um die ein Prozent [Breesch, 2006].

    Eine automatische Steuerung der ffnungen ist whrend der Nichtbelegung von Bro- und Schulgebuden essenziell, um Nachtlftung zu ermglichen. Wh-rend der Belegung werden andere Regelungsziele verfolgt. Thermischer Komfort und Raumlufthygiene haben dann Prioritt. Dies ist vor allem in Groraumb-ros wichtig. In Einzelbros kann auch nutzergesteuert gelftet werden.

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    Abb. 2:Geometrische Re-prsentation eines Kippfensters und die resultierende effek-tive ffnungsflche und Hhe berechnet nach Formeln von [vanPaassen, Liem et al., 1998]

    Konkrete und systematische Aussagen zu erreichbaren jhrlichen Energieeinspa-rungen durch natrliche Lftung sind noch selten und die Randbedingungen fr die Ermittlungen der Einsparungen fehlen. Die angegebenen jhrlichen Primr-energieeinsparungen liegen zwischen acht Kilowattstunden pro Quadratmeter fr Bros in Belgien [Breesch, 2006] und 50 Kilowattstunden pro Quadratme-ter [Froland-Larson, 2001]. Es mssen der eingesparte elektrische Energieauf-wand fr mechanische Lftung, die mgliche Khlenergie durch Nachtlftung mit erhhten Luftwechseln sowie eventuelle Energieverluste durch fehlende Wrmerckgewinnung im Winter bercksichtigt werden. Dabei mssen zwei identische Gebude oder Rume mit den verschiedenen Varianten (passiv/aktiv) miteinander durch Simulation verglichen werden, weil beispielsweise auch die Sollwerttemperaturen bei natrlicher Lftung anders sind als bei klimatisierten Gebuden.

    Im Wohnungsbau wird nach DIN 1946-6 erstmalig ein lftungstechnisches Konzept gefordert. Beispielsweise ist fr die Lftung zum Feuchteschutz fr eine mittelgroe Wohnung von 70 Quadratmetern insgesamt eine Luftmenge von 30 Kubikmetern pro Stunde erforderlich (Luftwechsel h-1 = pro Stunde = 1/h) mehr als der Infiltrationsluftwechsel! Hier kann kontrollierte natrliche Lftung ber motorisch bettigte Fenster (nutzerunabhngig gesteuert) zum Einsatz kommen und Abluftanlagen ersetzen.

    Simulation natrlicher Lftung

    In der vorliegenden Simulationsstudie wurden die Ergebnisse gekoppelter dyna-mischer Gebudesimulationen mit Luftstrmungsnetzwerken [EnergyPlus, 2001 ff.] mit einfacheren analytischen Verfahren verglichen, um Grundlagen fr ver-einfachte Planungstools zu erhalten.

    Dabei wurde als Typgebude ein Verwaltungsbau nach Energieeinsparverord-nung (EnEV) 2007 mit einer Nettogrundflche von 1.146 Quadratmetern einer Studie zur Energieeffi