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TREFFPUNKT FORSCHUNG | 68 | © 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2006, 40, 68 – 71 TREFFPUNKT FORSCHUNG | Wir befinden uns im Jahr 2006 n. Chr. Die ganze Welt ist von den Kapitalisten besetzt … Die ganze Welt ? Nein! Eine von unbeug- samen Kubanern bevölkerte Insel hört nicht auf, den Globalisierern Widerstand zu leisten … Nun, die Weltpolitik mag sich ein wenig verändert haben, seit Julius Cae- sar Gallien eroberte und das Dorf von Asterix und Obelix umzingel- te, doch auch heute noch gilt: wer klein ist und einen übermächtigen Gegner hat, der ihm den garaus machen will, muss eine Extrapor- tion Einfallsreichtum mitbringen. In Kuba kann man diesen Einfalls- reichtum allerorten besichtigen. Er ist Teil einer allgegenwärtigen Über- lebensstrategie: Man nehme, was im- mer man hat, und mache daraus et- was Nützliches.Abgewrackte Autos werden nicht verschrottet, sondern mit viel Liebe (und wenig Geld) wie- der aufpoliert und fahrtüchtig ge- macht, wobei die Renovierungsarbei- ten oft direkt auf den Straßen von Havanna stattfinden (Abbildung 1). Die in karibischen Pastelltönen lackierten Straßenkreuzer aus den 1950ern sind nicht nur Transportmit- tel, sondern inzwischen auch eine Touristenattraktion und das augen- fälligste Beispiel dafür, dass die Strate- gie: „Mach das Beste aus dem, was Du hast“ funktioniert. Mit dieser Strategie halten es auch die Forscher in Kubas Univer- sitäten und Forschungsinstituten. Durch clevere Nutzung einheimi- scher Resourcen und zielgerichteten Einsatz der stets knappen staatlichen Fördergelder zur Lösung dringender Probleme hat die kubanische Bio- technologie in vielen Bereichen das Niveau der meisten anderen Länder in Lateinamerika weit übertroffen. Die Artenviel- falt nutzen Ein wichtiger Standortvorteil für Biotechnolo- gen auf der Kari- bikinsel ist die einheimische Artenvielfalt. Mit seiner geradezu fraktalen Geo- graphie – 5000 km Küste,Tau- sende von Inseln und Halbinseln – bietet Kuba eine Vielfalt von Le- bensräumen für unzählige Arten, darunter über 6500 Arten höherer Pflan- zen, 86 Vogelarten, die dort brüten, und 153 Reptilien. Experten haben Kuba das „Kronjuwel der karibischen Artenvielfalt“ genannt. Seit den 1980er Jahren hat die Regierung Fidel Castros die Wissen- schaftler ermutigt, die reiche Flora und Fauna der Insel systematisch nach verwertbaren Substanzen abzu- grasen. Alberto Nuñez, der sowohl der Präsident der Chemischen Gesell- schaft Kubas als auch der Direktor des Instituts für Pharmazeutische Chemie (CQF) ist, erinnert sich an die Anfänge dieses Programms: „Zu- erst wurde eine Liste mit 54 Substan- zen erstellt, die mancherorts bereits als pflanzliche Heilmittel verwendet wurden,“ erläutert er. „Diese Substan- zen wurden dann systematisch ge- testet, in Datenbanken erfasst, und letztendlich an einheimische Produk- tionstätten vergeben, die jetzt pro Jahr mehr als 40 Millionen Einheiten von Heilmitteln liefern, die sich von einheimischen Arten ableiten.“ Zu den Bestsellern gehören Ime- fasma, ein Sirup aus Bananen-, Euka- lyptus- und Majagua-Extrakten (Abbil- dung 2), sowie Aloe, ein Aloe-vera- Extrakt, der bei Immunschwäche ein- gesetzt wird. Eine der jüngsten Entwicklungen aus diesem Bereich ist ein Extrakt aus der Rinde des Mango-Baums, der unter dem Namen Vimang gehandelt wird (siehe ChiuZ 2004, 38, 306) Dieses Präparat, das in Alberto Nuñez’ Arbeitsgruppe am CQF entwickelt wurde, ist in mehreren verschiede- nen Darreichungsformen verfügbar und dient als Antioxidans, Entzün- dungshemmer und schmerzlindern- des Medikament. Seine Hauptbe- standteile sind Polyphenole und Ter- penoide; zusätzlich enthält es Zucker, Polyalkohole, Fettsäuren und Spuren- elemente. Klinische Tests haben er- wiesen, dass es bei AIDS-Patienten die Lebensqualität verbessert. Es soll auch gegen Hautkrankheiten und all- gemeine Altersgebrechen helfen. Abexol ist ein weiteres Antioxi- dans aus kubanischer Produktion – wie der Name andeutet, wird es aus Bienenwachs gewonnen. Escozul, ein Mehr über Cyclo- dextrine finden Sie in ChiuZ 2005, 39, 137–9. K u ba I m p r o visation stale n tg e f r a g t Abb. 1 Erfolgrei- che kubanische Überlebensstrate- gie: „Mach das Beste aus dem, was du hast“

Kuba – Improvisationstalent gefragt

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Wir befinden uns im Jahr 2006n. Chr. Die ganze Welt ist von denKapitalisten besetzt … Die ganzeWelt ? Nein! Eine von unbeug-samen Kubanern bevölkerte Inselhört nicht auf, den GlobalisierernWiderstand zu leisten … Nun, dieWeltpolitik mag sich ein wenigverändert haben, seit Julius Cae-sar Gallien eroberte und das Dorfvon Asterix und Obelix umzingel-te, doch auch heute noch gilt: werklein ist und einen übermächtigenGegner hat, der ihm den garausmachen will, muss eine Extrapor-tion Einfallsreichtum mitbringen.

In Kuba kann man diesen Einfalls-reichtum allerorten besichtigen. Er istTeil einer allgegenwärtigen Über-lebensstrategie: Man nehme, was im-mer man hat, und mache daraus et-was Nützliches.Abgewrackte Autoswerden nicht verschrottet, sondernmit viel Liebe (und wenig Geld) wie-der aufpoliert und fahrtüchtig ge-macht, wobei die Renovierungsarbei-

ten oft direkt auf den Straßen vonHavanna stattfinden (Abbildung 1).Die in karibischen Pastelltönenlackierten Straßenkreuzer aus den1950ern sind nicht nur Transportmit-tel, sondern inzwischen auch eineTouristenattraktion und das augen-fälligste Beispiel dafür, dass die Strate-gie: „Mach das Beste aus dem, wasDu hast“ funktioniert.

Mit dieser Strategie halten esauch die Forscher in Kubas Univer-sitäten und Forschungsinstituten.Durch clevere Nutzung einheimi-scher Resourcen und zielgerichtetenEinsatz der stets knappen staatlichenFördergelder zur Lösung dringenderProbleme hat die kubanische Bio-technologie in vielen Bereichen dasNiveau der meisten anderen Länderin Lateinamerika weit übertroffen.

Die Artenviel-falt nutzenEin wichtigerStandortvorteilfür Biotechnolo-gen auf der Kari-bikinsel ist dieeinheimischeArtenvielfalt. Mitseiner geradezufraktalen Geo-graphie – 5000km Küste,Tau-sende von Inselnund Halbinseln –bietet Kuba eineVielfalt von Le-bensräumen fürunzählige Arten,darunter über6500 Artenhöherer Pflan-

zen, 86 Vogelarten, die dort brüten,und 153 Reptilien. Experten habenKuba das „Kronjuwel der karibischenArtenvielfalt“ genannt.

Seit den 1980er Jahren hat dieRegierung Fidel Castros die Wissen-schaftler ermutigt, die reiche Floraund Fauna der Insel systematischnach verwertbaren Substanzen abzu-grasen.Alberto Nuñez, der sowohlder Präsident der Chemischen Gesell-schaft Kubas als auch der Direktordes Instituts für PharmazeutischeChemie (CQF) ist, erinnert sich andie Anfänge dieses Programms: „Zu-erst wurde eine Liste mit 54 Substan-zen erstellt, die mancherorts bereitsals pflanzliche Heilmittel verwendetwurden,“ erläutert er. „Diese Substan-zen wurden dann systematisch ge-testet, in Datenbanken erfasst, undletztendlich an einheimische Produk-tionstätten vergeben, die jetzt proJahr mehr als 40 Millionen Einheitenvon Heilmitteln liefern, die sich voneinheimischen Arten ableiten.“Zu den Bestsellern gehören Ime-fasma, ein Sirup aus Bananen-, Euka-lyptus- und Majagua-Extrakten (Abbil-dung 2), sowie Aloe, ein Aloe-vera-Extrakt, der bei Immunschwäche ein-gesetzt wird.

Eine der jüngsten Entwicklungenaus diesem Bereich ist ein Extraktaus der Rinde des Mango-Baums, derunter dem Namen Vimang gehandeltwird (siehe ChiuZ 2004, 38, 306)Dieses Präparat, das in Alberto Nuñez’Arbeitsgruppe am CQF entwickeltwurde, ist in mehreren verschiede-nen Darreichungsformen verfügbarund dient als Antioxidans, Entzün-dungshemmer und schmerzlindern-des Medikament. Seine Hauptbe-standteile sind Polyphenole und Ter-penoide; zusätzlich enthält es Zucker,Polyalkohole, Fettsäuren und Spuren-elemente. Klinische Tests haben er-wiesen, dass es bei AIDS-Patientendie Lebensqualität verbessert. Es sollauch gegen Hautkrankheiten und all-gemeine Altersgebrechen helfen.

Abexol ist ein weiteres Antioxi-dans aus kubanischer Produktion –wie der Name andeutet, wird es ausBienenwachs gewonnen. Escozul, ein

Mehr über Cyclo-dextrine finden Siein ChiuZ 2005, 39,137–9.

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Abb. 1 Erfolgrei-che kubanischeÜberlebensstrate-gie: „Mach dasBeste aus dem,was du hast“

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wässriges Präparat, das sich von einereinheimischen Skorpionart ableitet,wird in der Krebstherapie getestet.„Etwa 30 weitere Naturstoffe sindzur Zeit in der Pipeline unserer Forschung und Entwicklung,“ ver-kündet Nuñez.

Alles aus ZuckerAbgesehen von der natürlichen Ar-tenvielfalt ist Zuckerrohr der wich-tigste Rohstoff für die kubanischeBiotechnologie (Abbildung 3). Zuckerist das Hauptprodukt der Landwirt-schaft und dementsprechend istalles, was daraus gemacht werdenkann, leicht erhältlich und billig. Dereinheimische Rum (Havana Club –nicht die Marke mit der Fledermaus!)ist zum Beispiel kaum teurer alsMineralwasser, und wird vom Bar-personal beim Cocktailmixen ent-sprechend großzügig eingesetzt.

Jene Chemiker und Biochemiker,die nicht gerade an den großzügig fi-nanzierten Vorzeigeinstituten im Wes-ten Havannas arbeiten (siehe Kasten

unten), sind deshalb auch immer aufder Suche nach weiteren Anwen-dungsmöglichkeiten für Chemikalien,die sich einfach und billig aus Zuckerherstellen lassen. Roberto Cao, Che-mieprofessor an der Universität vonHavanna (Abbildung 4), hat sich zumBeispiel auf Cyclodextrine speziali-siert, also ringförmige Oligosacchari-de aus sechs bis acht Glucose-Bau-steinen. In der Mitte dieser molekula-ren Ringe findet sich ein Hohlraumvon weniger als einem NanometerDurchmesser, der vielfach für Wirt-Gast-Chemie benutzt wird.

Darüber hinaus können dieseRinge auf Elektrodenoberflächenselbstanordnende Monoschichten bil-den, deren elektrochemische Eigen-schaften empfindlich auf die Aufnah-me eines Gastmoleküls reagieren.Aufdieser Grundlage versucht Cao ver-schiedene neuartige Biosensoren zuentwickeln, darunter auch elektro-chemische Sensoren für Stickstoff-monoxid (wichtig für die Diagnosevon Herzkrankheiten).Weitere For-

schungsprojekte in seinem Labor zie-len auf die Konstruktion von neuarti-gen Nano-Architekturen.

Ebenfalls an der Universität vonHavanna (Abbildung 4) arbeitet Vi-cente Verez-Bencomo, dessen „Laborfür Synthetische Antigene“ im vori-gen Jahr ein entscheidender Durch-bruch gelang, der ebenfalls mit

D I E VO R Z E I G E- I N S T I T U T E D E R KU BA N I S C H E N B I OT EC H - FO R S C H U N G |In den meisten Forschungsinstituten Kubas gibt esvor allem veraltete Geräte, bröckelnden Putz, so-wie den Einfallsreichtum der Forscher angesichtshoffnungsloser Geldknappheit zu besichtigen.Völlig anders sieht es allerdings in den Spitzen-instituten aus, die schwerpunktmäßig mit Millio-nenbeträgen gefördert werden. Die meisten die-ser Institute sind am westlichen Stadtrand derHauptstadt Havanna zwischen Palmen und Villenaus der Kolonialzeit zu finden. Die wichtigsten In-stitute sind die folgenden:

Centro de Inmunología Molecular(CIM, www.cim.sld.cu)Unter Leitung von Agustín Lage befassen sich diemehr als 300 Mitarbeiter dieses hochmodernen,Mitte der 1990er Jahre eingerichteten For-schungszentrums vor allem mit Antikörpern –von der grundlegenden Strukturforschung bis hinzur Produktion im Kilogramm-Maßstab sowohlfür die Versorgung des eigenen Gesundheits-systems als auch für den Export.

Centro de Ingeniería Genética y Biotecnología(CIGB, www.cigb.edu.cu)Dieses Forschungszentrum wurde 1986 eingerich-tet, mit dem Auftrag, auf der erfolgreichen Her-

stellung rekombinanten Interferons aufzubauen.Heute deckt das Institut einen weiten Bereich vonForschungsgebieten ab und entwickelt unter anderem neue Impfstoffe, z. B. gegen Hepatitisund gegen Zeckenstiche.

Instituto Nacional de Medicina Tropical PedroKouri (IPK, www.ipk.sld.cu)Dieses Institut wurde 1993 aus der medizinischenFakultät der Universität von Havanna ausgeglie-dert und in modernen Gebäuden im Westen derStadt untergebracht. Seine Forschungsschwer-punkte liegen in der Tropenmedizin, medizini-schen Mikrobiologie und Epidemiologie.

Instituto Finlay (www.finlay.sld.cu)Mit über 900 Beschäftigten ist das Finlay-Instituteines der größten Forschungszentren. Es konzen-triert sich vor allem auf die Entwicklung neuerImpfstoffe und Medikamente und betreibt For-schung in den Bereichen Infektionskrankheiten,Immunologie, Epidemiologie und Impfstoffwir-kung.

Centro de Quimica Farmaceutica(CQF, www.sld.cu/instituciones/cqf)Mit nur rund 60 Mitarbeitern ist dieses in einem

ehemaligen Kloster am Stadtrand untergebrachteInstitut eine kleine aber feine Einrichtung. Es er-forscht neuartige Medikamente sowohl auf derGrundlage von Naturstoffen, als auch auf synthe-tischer Basis.

Centro Nacional de InvestigacionesCientíficas (CENIC, www.cnic.edu.cu)Dieses Ur-Institut wurde 1965 gegründet. SeitGründung der neueren Institute spielt es in der ak-tuellen Forschung keine führende Rolle mehr, son-dern befaßt sich vor allem mit der Ausbildung vonWissenschaftlern und technischem Personal.Außerdem stellt es den anderen Instituten analy-tische Dienstleistungen zur Verfügung, vor allemin den Bereichen Biomedizin, Chemie, Biotechno-logie und Elektronik.

Übrigens: Alle kubanischen Websites können un-ter Umständen – wegen der schlechten Verbin-dungen zwischen der Insel und dem Rest der Welt– schwer zugänglich sein. Von Europa aus sollteman es am besten vormittags versuchen, wenndie Neue Welt noch schläft.

Abb. 2 Frucht des Majagua-Baumes Hampea platanifolia.

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Zuckerchemie und mit Kostenerspar-nis zu tun hat. Das Labor wurde inden 1990er Jahren eingerichtet, umeine preiswertere Alternative zu demHiB- (Haemophilus influenzae TypB) Impfstoff zu entwickeln, der in Eu-ropa allgemein angewendet wird,aber für Entwicklungsländer nicht er-schwinglich ist.Verez-Bencomo ent-wickelte zusammen mit Kollegen amFinlay-Institut in Havanna einenneuartigen Impfstoff, der nicht vonlebenden Erregern ausgeht, sondernvon der chemischen Synthese einesOberflächenantigens, das aus einemOligosaccharid und einem Protein

besteht. Der Impfstoff bestand die inZusammenarbeit mit kanadischenForschern ausgeführten klinischenTests und ist damit der erste vollsyn-thetische Impfstoff, dessen Wirksam-keit eindeutig nachgewiesen ist.(Ende der 1990er entwickelte derKolumbianer Manuel Patarroyo einenMalaria-Impfstoff aus synthetischenPeptiden, dessen Wirksamkeit bisheute umstritten ist.)

Die industrielle Produktion desHiB-Impfstoffs und Impfung kubani-scher Kinder hat bereits begonnen.Die Kubaner planen, das Produktauch in andere Entwicklungsländerzu exportieren oder es gar in Asienund Afrika vor Ort produzieren zulassen.An der von HiB ausgelöstenHirnhautentzündung sterben mehrals eine halbe Million Kinder proJahr. Die Verfügbarkeit des auch fürärmere Länder erschwinglichenImpfstoffs aus Kuba wird somit einenspürbaren Effekt auf die Gesundheits-lage der Weltbevölkerung haben.

Treibstoff aus AbfallDie Nützlichkeit des Zuckerrohrsmuss sich allerdings nicht auf die Ver-

wertung des Zuckers beschränken.Forscher an der Universität von Ma-tanzas, knapp 100 km östlich von Ha-vanna arbeiten an der Optimierungvon Verfahren zur Umsetzung von Ba-gasse, dem Cellulose-reichen Produk-tionsabfall der Zuckergewinnung, zuBioethanol.

In Brasilien, wo die Verwendungvon Alkohol als Treibstoff am weites-ten fortgeschritten ist und bereits50 % der Fahrzeugflotte mit reinemEthanol fährt, baut man Zuckerrohrspeziell zu dem Zweck an, denZucker zu Bioethanol zu vergären.Die Kubaner hingegen wollen einenoch billigere Rohstoffquelle anzap-fen: den Biomüll, der bisher über-wiegend mit sehr geringer Energie-effizienz verbrannt wird.

Carlos Martín und Marcelo Mar-cet an der Fakultät für Chemie undChemieingenieurwesen der Univer-sität von Matanzas haben deshalb en-zymatische Verfahren entwickelt, dieZellulose der Abfälle in löslicheZucker zu verwandeln, und diesedann zu Bioethanol zu vergären. In-zwischen haben sie einen hinrei-chend effizienten Aufschlussprozessentwickelt. Kürzlich erstellten sie mitsehr viel manueller Arbeit und Im-provisation eine kleine Pilotanlagefür die Destillation von Bioethanol.Ob die Chevys aus den 50ern sichauf den Biosprit umstellen lassen?Unmöglich scheint auf der Inselnichts mehr zu sein.

Kernspin-Tomograph im Eigen-bauDo-it-yourself ist auch die Devise derForschung des Instituts für medizini-sche Biophysik der Universität desOstens in Santiago de Cuba, am ande-ren Ende der Insel. Institutschef Car-los Cabal hat die unmöglich erschei-nende Aufgabe übernommen, diewichtigsten Krankenhäuser des Lan-des mit Kernspin-Tomographen aus-zustatten.

Da für einen Ankauf solcher Ge-räte keine Devisen verfügbar waren,entwickelte er mit seiner Arbeits-gruppe seine eigene Baureihe vonGrund auf. Berechnungen, Design,

Vom 16. bis zum20. Oktober 2006findet in der kuba-nischen Hauptstadtder Lateinamerika-nische Kongress derChemie statt. Ein-zelheiten gibt es(spanisch und eng-lisch) im Internetunter: www.loseventos.cu/XXVIICLAQ

WA S F E H LT ? |Forscher in Kuba sind dankbar für Spenden an (englisch-sprachigen) Fachbüchern, sowie an gebrauchten, aber nochfunktionstüchtigen Laborgeräten. Für letztere können dieEmpfänger den Transport übernehmen. Zum Beispiel gibt esim gesamten Land kein einziges CD-Spektrometer. Gesuchtwerden auch Chromatographie-Anlagen und ähnliches. Der Autor vermittelt Spenden jeder Art gerne weiter (Kontakt: [email protected]).

Abb. 3 Zucker-rohr: der wichtigs-te Rohstoff derkubanischenBiotechnologie

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Konstruktion, Installation,Testen,alles selbst gemacht.

Neben Routineuntersuchungenbenutzen die Kubaner die Scannerauch zur Entwicklung neuer Untersu-chungsmethoden. Ihr Vorzeigeprojektist die Diagnose der Sichelzellenanä-mie. Bei dieser unter Kubanern afri-kanischer Herkunft relativ häufigenErbkrankheit kann man mittels derMagnetresonanzuntersuchung besserzwischen verschiedenen Stadien derKrankheit unterscheiden als mit an-deren Methoden, und entsprechendbesser die angemessene Therapie-form wählen.

Do-It-Yourself ist auch die Devisefür Informatiker auf der Insel, wieetwa die Mitarbeiter des NationalenBioinformatik-Zentrums, das in denehrwürdigen Räumlichkeiten des Ca-pitolio Nacional (einer Kopie des Kapitols in Washington) unterge-bracht ist. Frühe Versuche derkubanischen Regierung, ein eigenesForschungs- und Entwicklungspro-gramm im Bereich Elektronik und In-formatik aufzuziehen, scheitertenbald an dem rasanten Tempo desFortschritts in den USA. Deshalb müs-sen die Bioinformatiker jetzt in Sa-chen Hardware mit den Computernauskommen, die sie sich gerade leis-ten können, doch sie machen denNachteil mit Einfallsreichtum bei derVernetzung und effizienten Nutzungder Ressourcen wett.

Human Resources Last but not least – eine der wichtig-sten „Rohstoffquellen“ Kubas sinddie gut ausgebildeten, hoch motivier-ten und grundsätzlich gut gelauntenForscherinnen und Forscher. In Ba-edeker-Nomenklatur ist schon alleinder Sportsgeist der kubanischen Be-völkerung „die Reise wert“. Unmög-lich gibt es nicht, und wenn man einProblem nicht lösen kann, dannkennt man jemanden, der jemandenkennt, der etwas beschaffen odersonstwie aushelfen kann.Auch wennes an vielem fehlt und alles improvi-siert werden muss, Kubaner lassensich nicht unterkriegen. Liegt das amkaribischen Klima, oder haben sie –

wie Asterix und seine Gallier –irgendwo einen geheimen Zauber-trank?

Zur weiteren Lektüre:J. Giles, Vive la revolución?, Nature 22000055, 436,322–324.H. Thorsteinsdóttir et al., Cuba – innovationthrough synergy, Nature Biotechnology 22000044,Bd. 22 (Supplement) DC19–DC24.

Der AutorMichael Groß ist Biochemiker a.D. undfreier Wissenschaftsjournalist in Oxford,England. Er interessiert sich unter anderemauch für die Forschungslandschaft Latein-amerika und hat außer Kuba auchKolumbien und Argentinien bereist. www.proseandpassion.com

Abb. 4 Haupt-gebäude der Universidad de La Habana, Kuba.

Abb. 5 Biotech-Labor mit vielLow-Tech (Univer-sität Matanzas)