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Der Weltgesundheitsbericht FINANZIERUNG DER GESUNDHEITSSYSTEME Der Weg zu universeller Absicherung KURZFASSUNG

KURZFASSUNG Der Weltgesundheitsbericht - who.int · 3 4 Aufruf der Generaldirektorin 7 Kurzfassung 7 Wozu universelle soziale Absicherung im Krankheitsfall? 8 Standortbestimmung 9

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Der Weltgesundheitsbericht

FINANZIERUNG DER GESUNDHEITSSYSTEMEDer Weg zu universeller Absicherung

KURZFASSUNG

Der Weltgesundheitsbericht

FINANZIERUNG DER GESUNDHEITSSYSTEMEDer Weg zu universeller Absicherung

KURZFASSUNG

© Weltgesundheitsorganisation 2010Alle Rechte vorbehalten. Publikationen der Weltgesundheitsorganisation können bezogen werden über: WHO Press, Weltgesundheitsorganisation, 20 Avenue Appia, 1211 Genf 27, Schweiz (Tel.: +41 22 791 3264; Fax: +41 22 791 4857; E-Mail: [email protected]). Genehmigungsanträge für die Vervielfältigung oder Übersetzung von WHO-Publikationen, ob zum Verkauf oder zur kostenlosen Verteilung, sind an WHO Press unter der oben angegebenen Anschrift zu richten (Fax: +41 22 791 4806; E-Mail: [email protected]).

Die verwendeten Angaben und die vorgestellten Materialien in dieser Publikation stellen in keiner Weise die Haltung der Weltgesundheitsorganisation bezüglich des rechtlichen Status eines Landes, eines Territoriums, einer Stadt oder eines Gebiets bzw. ihrer Regierungsinstanzen oder bezüglich des Verlaufs ihrer Staats- oder Gebietsgrenzen dar. Gestrichelte Linien bezeichnen ungefähre Grenzlinien, die möglicherweise noch nicht abschließend vereinbart wurden.

Die Erwähnung von einzelnen Unternehmen oder von Produkten bestimmter Hersteller besagt nicht, dass diese von der Weltgesundheitsorganisation gegenüber anderen, nicht erwähnten ähnlicher Art bevorzugt oder empfohlen werden. Die Namen von Markenprodukten werden durch Anfangsgroßbuchstaben hervorgehoben, Irrtümer und Änderungen bleiben vorbehalten.

Die Weltgesundheitsorganisation hat alle angemessenen Vorkehrungen getroffen, die in dieser Publikation enthaltenen Informationen auf Richtigkeit zu überprüfen. Dessen ungeachtet wird das veröffentlichte Material ohne jegliche ausdrückliche oder implizite Garantie verbreitet. Die Auslegung und Nutzung des Materials liegt ausschließlich in der Verantwortung des Lesers. Die Weltgesundheitsor-ganisation übernimmt keinerlei Haftung für Schäden aus dessen Verwendung.

Dieser Weltgesundheitsbericht wurde unter der Gesamtleitung von Carissa Etienne, Assistenzgeneraldirektorin, Gesundheitssysteme und -dienst-leistungen, sowie Anarfi Asamoa-Baah, stellvertretender Generaldirektor, erstellt. Die Hauptverfasser des Berichts waren David B. Evans, Riku Elovainio und Gary Humphreys; mit Unterstützung von Daniel Chisholm, Joseph Kutzin, Sarah Russell, Priyanka Saksena und Ke Xu.

Beiträge in Form von Kastentexten oder Analysen von: Ole Doetinchem, Adelio Fernandes Antunes, Justine Hsu, Chandika K Indikadahena, Jeremy Lauer, Nathalie van de Maele, Belgacem Sabri, Hossein Salehi, Xenia Scheil-Adlung (IAO) und Karin Stenberg.

Anregungen und Kommentare kamen von Regionaldirektoren, Assistenzgeneraldirektoren und deren Mitarbeitern.

Analysen, Daten und Bewertungen der Gliederung, unterschiedlicher Entwürfe oder einzelner Abschnitte wurden (neben den oben genannten) von folgenden Personen beigetragen: Dele Abegunde, Michael Adelhardt, Hector Arreola, Guitelle Baghdadi-Sabeti, Dina Balabanova, Dorjsuren Bayarsaikhan, Peter Berman, Melanie Bertram, Michael Borowitz, Reinhard Busse, Alexandra Cameron, Guy Carrin, Andrew Cassels, Eleonora Cavagnero, John Connell, David de Ferranti, Don de Savigny, Varatharajan Durairaj, Tamás Evetovits, Josep Figueras, Emma Fitzpatrick, Julio Frenk, Daniela Fuhr, Ramiro Guerrero, Patricia Hernandez Pena, Hans V Hogerzeil, Kathleen Holloway, Melitta Jakab, Elke Jakubowski, Christopher James, Mira Johri, Matthew Jowett, Joses Kirigia, Felicia Knaul, Richard Laing, Nora Markova, Awad Mataria, Inke Mathauer, Don Matheson, Anne Mills, Eduardo Missoni, Laurent Musango, Helena Nygren-Krug, Ariel Pablos-Mendez, Anne-Marie Perucic, Claudia Pescetto, Jean Perrot, Alexander Preker, Magdalena Rathe, Dag Rekve, Ritu Sadana, Rocio Saenz, Thomas Shakespeare, Ian Smith, Peter C. Smith, Alaka Singh, Ruben Suarez Berenguela, Tessa Tan-Torres Edejer, Richard Scheffler, Viroj Tangcharoensathien, Fabrizio Tediosi, Sarah Thomson, Ewout van Ginneken, Cornelis van Mosseveld und Julia Watson.

Die Erstellung dieses Berichts wurde durch Informationen vieler Einzelpersonen aus unterschiedlichen Institutionen unterstützt, die Hinter-grunddokumente bereitgestellt haben; diese Hintergrunddokumente sind abrufbar unter http://www.who.int/healthsystems/topics/financing/healthreport/whr_background/en

Redaktion des Berichts durch Michael Reid, Zahlen von Gaël Kernen, Evelyn Omubuki leistete wertvolle Sekretariats- und Verwaltungsunter-stützung. Design und Layout von Sophie Guetaneh Aguettant und Cristina Ortiz. Illustration von Edel Tripp (http://edeltripp.daportfolio.com).

Wir danken für die finanzielle Unterstützung der Rockefeller-Stiftung, der US-amerikanischen internationalen Entwicklungsagentur (USAID) und des Bundesministeriums für Gesundheit, Deutschland.

Gedruckt in Deutschland auf FSC-zertifiziertem 100 % Recyclingpapier

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4 Aufruf der Generaldirektorin

7 Kurzfassung7 Wozu universelle soziale Absicherung im Krankheitsfall?

8 Standortbestimmung

9 Was ist zu tun?

11 Beschaff ung ausreichender Ressourcen für Gesundheit

13 Beseitigung von fi nanziellen Risiken und Zugangsbarrieren

17 Förderung der Effi  zienz und Abbau der Verschwendung

19 Ungleichheiten in der Absicherung

20 Ein Aktionsplan

20 Wandel ermöglichen und unterstützen

21 Praktische Schritte für externe Partner

23 Eine Botschaft der Hoff nung

Inhalt

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Ich habe diesen Weltgesundheitsbericht als Antwort auf den von reichen und armen Ländern gleichermaßen geäußerten Bedarf an einem praktischen Leitfaden zur Gesundheitsfi nanzierung in Auft rag gegeben. Ziel war es dabei, die Erkenntnisse aus Studien unter ganz unterschiedlichen Gegebenheiten in eine Reihe von Optionen umzusetzen, wie sich ausreichende Mittel aufb rin-gen und fi nanzielle Zugangsbarrieren insbesondere für die Armen beseitigen lassen. Wie der Untertitel erkennen lässt, liegt die Betonung klar auf dem Aufb au universeller Absicherung, einem Ziel, das derzeit im Mittelpunkt der Diskussionen über Gesundheitsversorgung steht.

Der Beratungsbedarf auf diesem Gebiet wird umso größer in einer Zeit wirtschaft lichen Abschwungs bei gleichzeitig steigenden Gesundheitskosten, denn die Bevölkerungen werden immer älter, chronische Krank-heiten nehmen zu und neue und teurere Behandlungen stehen zur Verfügung. Wie in diesem Bericht zu Recht ausgeführt, verstärkt die wachsende öff entliche Nach-frage nach hochwertiger bezahlbarer Versorgung den politischen Druck, umsichtige strategische Entschei-dungen zu treff en.

In einer Zeit, in der Geld knapp ist, lautet mein Rat an die Länder: Bevor Sie Möglichkeiten zur Kür-zung der Gesundheitsausgaben erwägen, suchen Sie zunächst nach Ansätzen zur Verbesserung der Effi -zienz. Alle Gesundheitssysteme überall in der Welt könnten ihre Ressourcen besser einsetzen, sei es durch bessere Beschaff ungsverfahren, stärkeren Einsatz von Generika, bessere Anreize für Leistungserbringer oder effi zientere Finanzierungs- und Verwaltungsmethoden.

Dieser Bericht kommt zu der Einschätzung, dass gegenwärtig 20 – 40 % aller Gesundheitsausgaben durch Ineffi zienz verloren gehen, und zeigt 10 spezifi sche Bereiche auf, in denen bessere Methoden und Praktiken die Wirkung der Ausgaben teilweise dramatisch steigern könnten. Eine klügere Verwendung dieser Ressourcen kann Ländern helfen, universeller Absicherung ohne Mehraus-gaben näher zu kommen.

Auf dem Weg zu universeller Absicherung im Krankheitsfall macht der Bericht die anhal-tende Abhängigkeit von Direktzahlungen einschließlich Zuzahlungen als bei weitem größtes Hindernis aus. Es ist vielfach belegt, dass die Mittelaufb ringung durch verpfl ichtende Vor-auszahlungen die effi zienteste und sozial gerechteste Grundlage für die Ausweitung der Bevölkerungsabsicherung ist. Faktisch bedeuten solche Mechanismen, dass die Reichen die

Aufruf der Generaldirektorin

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Armen und die Gesunden die Kranken fi nanziell unterstützen. Die Erfahrung zeigt, dass dieser Ansatz am besten funktioniert, wenn eine große Personenzahl an der Vorauszahlung beteiligt ist und anschließend die Bündelung dieser Mittel zur Deckung der Gesundheitskosten aller erfolgt.

Niemand, der medizinische Behandlung oder Gesundheitsvorsorge braucht, sollte dadurch fi nanziellem Ruin ausgesetzt sein.

Es ist belegt, dass Länder stabile und hinreichende Gesundheitsressourcen brauchen, natio-naler Wohlstand ist jedoch keine Vorbedingung einer Annäherung an universelle Absicherung. Länder mit vergleichbaren Gesundheitsausgaben erzielen mit ihren Aufwendungen erstaunlich unterschiedliche gesundheitliche Ergebnisse. Diese Unterschiede lassen sich zu einem großen Teil mit politischen Entscheidungen erklären.

Gleichzeitig gibt es keine bestimmte Mischung an politischen Optionen, die unter allen Umständen funktioniert. Der Bericht gibt zu bedenken, dass jede wirksame Gesundheitsfi nan-zierungsstrategie im jeweiligen Land entwickelt sein muss. Gesundheitssysteme sind komplexe, sich anpassende Systeme, und ihre unterschiedlichen Komponenten können unerwartete Wechselwirkungen hervorrufen. Durch die Beleuchtung von Fehlern und Rückschlägen wie von Erfolgen hilft der Bericht Ländern, unerwünschte Überraschungen vorherzusehen und zu vermeiden. Zielkonfl ikte sind unvermeidlich, und Entscheidungen müssen das richtige Gleich-gewicht zwischen dem abgesicherten Bevölkerungsanteil, dem Umfang an eingeschlossenen Leistungen und den anfallenden Kosten wahren.

Ungeachtet dieser und weiterer Warnungen ist die allumfassende Botschaft jedoch optimis-tisch. Alle Länder in allen Entwicklungsstadien können direkte Schritte in Richtung universeller Absicherung und Beibehaltung von Errungenschaft en unternehmen. Unabhängig vom Umfang der Ausgaben können Länder, die die richtigen politischen Maßnahmen ergreifen, einen deut-lich besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung und bessere Absicherung gegen fi nanzielle Risiken erreichen. Es ist mein aufrichtiger Wunsch, dass die praktischen Erfahrungen und Rat-schläge in diesem Bericht politischen Entscheidungsträgern den richtigen Weg weisen werden. Das Streben nach universeller Absicherung ist ein bewundernswertes und zudem ein erreich-bares Ziel – überall.

Dr. Margaret ChanGeneraldirektorinWeltgesundheitsorganisation

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Wozu universelle soziale Absicherung im Krankheitsfall*?

Gesundheitsförderung und -sicherung sind wesentliche Voraussetzungen für menschliche Wohlfahrt und nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Dies konstatierten bereits vor mehr als 30 Jahren die Unterzeichnerstaaten der Erklärung von Alma-Ata mit ihrer Feststellung, Gesundheit für Alle wäre sowohl ein Beitrag zu besserer Lebensqualität als auch zu weltweitem Frieden und globaler Sicherheit.

Es überrascht nicht, dass Gesundheit auch bei den meisten Menschen eine der höchsten Prioritäten genießt, die in den meisten Ländern gleich nach wirtschaftlichen Belangen wie Arbeitslosigkeit, geringen Löhne und hohen Lebenshaltungskosten rangiert (1, 2). Daher wird Gesundheit häufig zu einem Anliegen der Politik, denn die Regierungen sind bestrebt, die Erwartungen der Bevölkerung zu erfüllen.

Es gibt vielfältige Möglichkeiten, die Gesundheit zu fördern und zu erhalten. Diese liegen zum Teil außerhalb des Gesundheitssektors. Die „Umstände, unter denen Menschen aufwachsen, leben, arbeiten und älter werden“ haben großen Einfluss darauf, wie sie leben und sterben (3). Bildung, Wohnverhältnisse, Ernähr-ung und Berufstätigkeit haben allesamt Einfluss auf die Gesundheit. Beseitigt man bestehende Ungleichheiten in diesen Bereichen, verringern sich auch die gesundheit-lichen Ungleichheiten.

Ebenso entscheidend ist aber auch der rechtzeitige Zugang zu Gesundheits-leistungen**, d.h. zu Gesundheitsförderung, Prävention, Therapie und Rehabilitation. Außer für eine kleine Minderheit der Bevölkerung ist dies nicht zu erreichen, solange

*    In  der  internationalen  Diskussion  spricht  man  üblicherweise  von  universal coverage.  Das bedeutet, „jeder hat Zugang zu angemessener und erschwinglicher Gesundheitsversorgung“ (vgl. WHO-Resolution zu „Universeller Absicherung und Sozialer Krankenversicherung“ von 2005). Uni-versal coverage impliziert somit die soziale Absicherung gegen finanzielle Risiken, den chancen-gleichen Zugang zu qualitativ angemessenen Gesundheitsleistungen und die gerechte Verteilung der Finanzierungslast, d.h. die Beiträge richten sich nach der Zahlungsfähigkeit und nicht nach dem Versorgungsbedarf.

**    Der im vorliegenden Bericht verwendeten Begriff ”Gesundheitsleistungen” umfasst Gesund-heitsförderung, Prävention, Behandlung und Rehabilitation. Er beinhaltet individuelle (z.B. Kinder-schutzimpfungen oder Tuberkulosebehandlungen) ebenso wie bevölkerungsbezogene Leistungen (z.B. Nichtraucherkampagnen in den Massenmedien).

Kurzfassung

kein gut funktionierendes Gesundheitsfinanzierungssystem besteht. Ein solches System entscheidet darüber, ob es sich die Menschen leisten kön-nen, im Bedarfsfall Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen. Und es entscheidet darüber, ob solche Leistungen überhaupt zur Verfügung stehen.

Dies würdigten die Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), als sie sich 2005 verpflichteten, ihre Gesundheitsfinanzierungssys-teme so auszubauen, dass alle Menschen Zugang zu Gesundheitsleistungen haben und nicht durch dafür anfallende Kosten in finanzielle Not geraten (4). Dieses Ziel definierte man als universelle soziale Absicherung, manch-mal auch bezeichnet als universelle Absicherung gegen Gesundheitsrisiken.

Auf dem Weg zu diesem Ziel stehen Regierungen vor drei grund-legenden Fragen:

1. Wie lässt sich ein solches Gesundheitssystem finanzieren?2. Wie kann man die Menschen vor den finanziellen Folgen von Krankheit

und den Kosten der Gesundheitsversorgung schützen?3. Wie lässt sich ein optimaler Einsatz verfügbarer Ressourcen fördern?

Außerdem müssen sie dafür sorgen, dass die soziale Absicherung gerecht ist, und verlässliche Maßnahmen ergreifen, um Fortschritte zu mes-sen und zu evaluieren.

Im vorliegenden Bericht skizziert die WHO, wie Länder ihre Finan-zierungssysteme so umgestalten können, dass sie schneller auf dem Weg zu universeller sozialer Absicherung im Krankheitsfall vorankommen und die entsprechenden Erfolge aufrechterhalten können. Der Bericht verknüpft neue Forschungsergebnisse und Erfahrungswissen zu einem Bündel mög-licher Maßnahmen, die Länder in ihrem jeweiligen Entwicklungsstand prüfen und ihren eigenen Bedürfnissen anpassen können. Er zeigt Wege auf, wie die internationale Gemeinschaft die Bemühungen um universelle soziale Absicherung im Krankheitsfall in Ländern mit niedrigem Einkom-men unterstützen kann.

Nie war der Bedarf an universeller sozialer Absicherung im Krank-heitsfall und einer Strategie zu ihrer Finanzierung größer als jetzt, wo die Welt mit einer Abschwächung der Konjunktur, der Globalisierung von Krankheiten wie der Volkswirtschaften und einem teilweise auf alternde Gesellschaften zurückzuführenden, steigenden Bedarf an Pflegeleistungen zu kämpfen hat.

StandortbestimmungDer Resolution 58.33 der Weltgesundheitsversammlung 2005 zufolge soll jeder Mensch Zugang zu Gesundheitsleistungen haben und dabei keiner fi-nanziellen Härte ausgesetzt sein. In beiden Punkten ist die Welt noch weit von universeller sozialer Absicherung im Krankheitsfall entfernt.

Hinsichtlich dem Zugang zu Gesundheitsleistungen kann beispielsweise der Anteil der von Fachpersonal begleiteten Geburten in einigen Ländern bei lediglich 10 % liegen, während er in Ländern mit der geringsten Müttersterb-lichkeit nahe bei 100 % ist. Auch innerhalb der Länder kann es ein ähnliches

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Der Weltgesundheitsbericht Finanzierung einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall

Kurzfassung

Gefälle geben. Egal wo sie leben, genießen reiche Frauen im Allgemeinen gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen, aber arme Frauen kommen zu kurz. Bei Frauen aus dem einkommensreichsten Fünftel der Bevölkerung ist die Wahrscheinlichkeit einer professionell begleiteten Geburt bis zu 20 Mal größer als bei armen Frauen. Würde man diese Kluft zwischen arm und reich in 49 armen Entwicklungsländern schließen, ließe sich bis 2015 das Leben von mehr als 700.000 Frauen retten (5). Gleichermaßen leben reiche Kinder länger als arme; und die Überwindung des Gefälles beim Zugang zu einer Reihe von Leistungen für Kinder unter fünf Jahren, insbesondere zu den üblichen Schutzimpfungen, würde mehr als 16 Millionen Leben retten.

Aber das Einkommen ist nicht der einzige Faktor, der über den Zugang zu Gesundheitsleistungen entscheidet. Vielerorts nehmen Migranten, ethnische Minderheiten und indigene Gruppen trotz vermutlich höherem Bedarfs weniger Leistungen in Anspruch als andere Bevölkerungsgruppen.

Andersherum sind die Menschen oftmals hohen und manchmal ruinierenden Kosten ausgesetzt, wenn sie Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen. In einigen Ländern geraten jedes Jahr bis zu 11 % der Bevölkerung krankheitsbedingt in finanzielle Not, und bis zu 5 % fallen dadurch in Armut. Weltweit sind Jahr für Jahr rund 150 Millionen Men-schen ruinierenden Gesundheitsausgaben ausgesetzt und 100 Millionen fallen aus diesem Grund unter die Armutsgrenze.

Ein weiterer finanzieller Nachteil, der Kranke (und oft auch ihre Betreu- er) belastet, ist der Einkommensausfall. Wenn auch in geringem Umfang, sind Angehörige in den meisten Ländern in der Lage, ihre Familienmit-glieder während einer Erkrankung finanziell zu unterstützen. Weniger verbreitet sind formalere finanzielle Transferleistungen zum Schutz von Personen, die krankheitsbedingt nicht arbeiten können. Nach An gaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verfügt weltweit nur einer von fünf Menschen über eine umfangreiche soziale Absicherung, die auch Lohn-ausgleichsleistungen im Krankheitsfall umfasst, und mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung hat überhaupt keine formale soziale Absicherung. In afri-kanischen Ländern südlich der Sahara sowie im südlichen Asien verfügen nur 5 bis 10 % der Bevölkerung über eine soziale Sicherung, während dieser Anteil in Ländern mit mittlerem Einkommen zwischen 20 und 60 % liegt.

Gesundheitsfinanzierung ist ein wichtiger Bestandteil umfassende-rer Bemühungen um soziale Absicherung im Krankheitsfall. Daher ist die WHO gemeinsam mit der ILO die federführende Behörde im Rah-men der UN-Initiative zur Unterstützung der Länder bei der Entwicklung umfassender Mindeststandards an sozialer Absicherung, die auch den im vorliegenden Bericht erörterten Schutz vor finanziellen Risiken sowie wei-tergehende Aspekte der Lohnersatzleistungen und sozialen Unter stützung im Krankheitsfall umfasst (6).

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Was ist zu tun?Drei grundlegende, eng miteinander verbundene Probleme hindern die Län-der daran, einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall näher zu kommen. Das erste ist die Verfügbarkeit von Ressourcen. Kein Land, wie wohlhabend es auch sein mag, vermag jedem Bürger unmittelbaren Zu-gang zu sämtlichen gesundheitsverbessernden bzw. lebensverlängernden Technologien und Maßnahmen zu gewährleisten. Am anderen Ende des Spektrums stehen in den ärmsten Ländern nur wenige Leistungen für alle zur Verfügung.

Das zweite Hindernis auf dem Weg zu universeller sozialer Absiche-rung im Krankheitsfall ist die große Abhängigkeit von Direktzahlung im Moment der Inanspruchnahme. Hierzu gehören Barzahlungen für Medikamente und Nutzergebühren für Arztbesuche und medizinische Maßnahmen. Selbst wer irgendeine Art von Krankenversicherung hat, muss häufig absolute oder anteilige Zuzahlungen oder jährliche Eigenbeteilig-ungen aufbringen.

Die Verpflichtung, Leistungen direkt zum Zeitpunkt der Inanspruch-nahme zu bezahlen – egal ob diese Zahlung formalisiert ist oder informell (bzw. inoffiziell) erfolgt – hält Millionen Menschen davon ab, Gesundheits-leistungen dann in Anspruch zu nehmen, wenn sie sie benötigen. Wer sich trotzdem behandeln lässt, kann schweren finanziellen Härten bis zur Ver-armung ausgesetzt sein.

Die dritte Hürde auf dem Weg zu universeller sozialer Absicherung im Krankheitsfall ist der ineffiziente und ungerechte Mitteleinsatz. Vor-sichtigen Schätzungen zufolge gehen 20 – 40 % der Gesundheitsressourcen durch Vergeudung verloren. Weniger Verschwendung würde ganz erheb-lich die Kapazität der Gesundheitssysteme erhöhen, qualitativ hochwertige Leistungen zur Verfügung zu stellen und die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern. Erhöhte Effizienz macht es einem Gesundheitsministerium oft leichter, dem Finanzministerium Argumente für zusätzliche Mittel-zuweisungen zu liefern.

Der Weg zu universeller sozialer Absicherung im Krankheitsfall ist eigentlich relativ einfach – zumindest auf dem Papier. Die Länder müssen ausreichende Mittel aufbringen, die Abhängigkeit von Direktzahlungen bei der Finanzierung von Gesundheitsleistung verringern und die Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit verbessern. Diese Aspekte kommen in den nächs-ten Abschnitten zur Sprache.

Viele Länder geringen und mittleren Einkommens haben im Laufe des letzten Jahrzehnts gezeigt, dass die Annäherung an universelle sozi-ale Absicherung im Krankheitsfall nicht alleiniges Vorrecht von Ländern mit hohem Einkommen ist. So haben z.B. Brasilien, Chile, China, Mexiko, Ruanda und Thailand in jüngster Zeit große Fortschritte bei der Lösung aller drei oben dargestellten Probleme gemacht. Gabun hat innovative Wege eingeführt, Mittel für die Gesundheitsversorgung aufzubringen, einschließlich einer Abgabe für Handynutzer; in Kambodscha hat man einen Gesundheitsgerechtigkeitsfonds geschaffen, um daraus die Gesund-heitsversorgung der armen Bevölkerung zu finanzieren, und der Libanon hat die Leistungsfähigkeit und Qualität der Primärversorgung verbessert.

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Der Weltgesundheitsbericht Finanzierung einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall

Mittlerweile ist klar, dass jedes Land zumindest in einem der drei Schlüsselbereiche mehr leisten kann. Selbst in Ländern mit hohem Ein-kommen hat sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass man die weitere Entwicklung angesichts steigender Kosten und Erwartungen stän-dig neu bewerten muss. So hat man z.B. in Deutschland erkannt, dass auf Grund der alternden Bevölkerung der Anteil der Erwerbsbevölkerung an der Gesamtbevölkerung abnimmt, was die Finanzierung des gesetzlichen Krankenversicherungssystems aus den herkömmlichen Quellen einkom-mensabhängiger Versicherungsbeiträge erschwert. Aus diesem Grunde hat die Regierung zusätzliche Steuermittel für das Gesundheitswesen zur Ver-fügung gestellt.

Beschaffung ausreichender Ressourcen für Gesundheit

Auch wenn die finanzielle Stützung universeller sozialer Absicherung im Krankheitsfall mit inländischen Ressourcen entscheidend für die Nachhaltigkeit ist, wäre es unrealistisch, von den meisten armen Ent-wicklungsländer zu erwarten, ohne Unterstützung von außen kurzfristig soziale Sicherungssysteme für alle Bürger aufbauen zu können. Die in-ternationale Gemeinschaft wird die eigenen Anstrengungen der ärmsten Länder finanziell unterstützen müssen, um eine rasche Ausweitung des Zugangs zu Gesundheitsleistungen zu erreichen. Dabei ist es wichtig, die zu erwarten den Kosten zu kennen. Nach neueren Schätzungen des Be-trags, der zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele (MDG) und zur Gewährleistung des Zugangs zu lebenswichtigen medizinischen Maßnahmen einschließlich der Aufwendungen für nicht-übertragbare Krankheiten in 49 Niedrigeinkommensländern nötig ist, müssten diese Länder im (ungewichteten) Durchschnitt bis 2015 pro Kopf etwas mehr als 60 US $ ausgeben, also beträchtlich mehr als die derzeitigen 32 US $. Diese Zahl umfasst auch die Kosten für den Ausbau der Gesundheitssysteme, um die genannte Bandbreite medizinischer Maßnahmen zur Verfügung zu stellen.

Der erste Schritt zu universeller sozialer Absicherung im Krankheits-fall besteht somit darin sicherzustellen, dass die ärmsten Länder über die er forderlichen Mittel verfügen und die Finanzierung stetig über die nächs-ten Jahre hinweg ansteigt, um den erforderlichen Ausbau zu ermöglichen.

Doch selbst Länder, die derzeit mehr als das geschätzte Minimum ausgeben, dürfen nicht in ihren Bemühungen nachlassen. Das Erreichen der MDG im Bereich Gesundheit und die Sicherstellung des Zugangs zu den hier genannten Kostenschätzungen enthaltenen lebenswichtigen medizinischen Maßnahmen mit Schwerpunkt auf nicht-übertragbaren Krankheiten ist nämlich nur der Anfang. Auf die zunehmende Verbes-serung der Ge sundheitssysteme wird unweigerlich die Nachfrage nach Leistungen, besserer Qualität und/oder umfassenderer finanzieller Risi-koabsicherung folgen. Die reichen Länder sind ständig auf der Suche nach Mitteln, um die wachsende Nachfrage und Erwartungen der Bevölkerung

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Kurzfassung

zu befriedigen und rasch expandierende Technologien und Möglichkeiten zur Verbesserung der Gesundheit zu finanzieren.

Sofern sich Regierung und Bevölkerung dafür einsetzen, verfügen alle Länder über Spielraum, um selber mehr Geld für Gesundheit aufzubrin-gen. Dafür gibt es drei grundsätzliche Methoden sowie einen vierten Ansatz zur Erhöhung und zum besseren Einsatz der Entwicklungshilfe für gesund-heitliche Ziele.

1. Größere Effizienz bei der Ressourcenmobilisierung. Selbst in einigen reichen Ländern mit hohem Einkommen können Steuervermeidung und eine ineffiziente Einziehung von Steuern und Versicherungsbeiträ-gen schwerwiegende Probleme darstellen. Die praktischen Schwierig-keiten bei der Erhebung von Steuern und Krankenversicherungsbeiträ-gen in Ländern mit großem informellem Sektor sind gut belegt. Eine Effizienzsteigerung bei der Erhebung öffentlicher Abgaben würde die Mittel für die Erbringung oder den Einkauf von Leistungen für die Be-völkerung erhöhen. So hat Indonesien sein Steuerwesen vollkommen neu geordnet, was den gesamten Regierungs- und insbesondere den Ge-sundheitsausgaben sehr zu gute kommt.

2. Verlagerung der Schwerpunkte im Staatshaushalt. Bei der Budget-vergabe gestehen Regierungen dem Gesundheitsbereich bisweilen nur geringe Priorität zu. So erreichen beispielsweise nur wenige afrikanische Länder die von ihren Staatsoberhäuptern in der Erklärung von Abuja im Jahr 2001 vereinbarte Vorgabe, 15 % des Staatshaushaltes für Gesundheit aufzuwenden; 19 Länder der Region, die diese Erklärung unterzeichnet haben, stellen heute sogar weniger Gelder bereit als 2001. Die Verei-nigte Republik Tansania hingegen teilt dem Gesundheitssektor 18,4 % und Liberia 16,6 % zu (darin enthalten sind Zuwendungen ausländi-scher Partner, die über die Regierung laufen und schwer herauszurech-nen sind). Gemeinsam könnten die 49 einkommensschwachen Länder zusätzlich 15 Milliarden US $ für die Gesundheit aus einheimischen Quellen aufbringen, indem sie den Anteil des Gesundheitsbudgets an den gesamten Staatsausgaben auf 15 % erhöhen.

3. Innovative Finanzierung. Bislang lag das Augenmerk hauptsächlich darauf, reiche Länder bei der Beschaffung von mehr Geld für Gesund-heit in armen Gegenden zu unterstützen. Die hochrangige Arbeits-gruppe für Innovative Internationale Finanzierungsmechanismen im Gesundheitswesen erwähnt in ihrer Liste der Maßnahmen, mit denen sich jährlich zusätzlich 10 Milliarden US $ für die globale Gesundheit einnehmen ließen, u.a. eine Erhöhung der Steuern auf Flugtickets, Devi-sentransaktionen und Tabak. Länder mit hohem, mittlerem und niedri-gem Einkommen sollten gleichermaßen einige dieser Mechanismen für die Beschaffung von Finanzen im eigenen Land prüfen. Eine Abgabe auf Devisentransaktionen könnte in einigen Ländern beträchtliche Summen einbringen. Indien beispielsweise verfügt über einen bedeu-tenden Devisenmarkt mit einem Tagesumsatz von 34 Milliarden US $. Eine Währungstransaktionsabgabe von 0,005 % könnte bei diesem Han-delsvolumen jährlich rund 370 Millionen US$ einbringen, sofern Indien diesen Weg für gangbar hielte. Andere Optionen sind z.B. Diaspora-

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Der Weltgesundheitsbericht Finanzierung einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall

Anleihen, die von Staatsangehörigen im Ausland erworben werden können, sowie Solidaritätszuschläge auf eine Reihe von Produkten und Dienstleistungen wie Mobilfunkanrufe. Jede Steuer hat ein Verzerrungs-potenzial für die Volkswirtschaft und die Besitzstandswahrer gegen sich. Regierungen müssen solche Steuern einführen, die sich am besten für ihre Volkswirtschaften eignen und mit politischer Unterstützung rech-nen können. Darüber hinaus haben Steuern auf gesundheitsschädliche Produkte den doppelten Nutzen, durch Senkung des Verbrauchs die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und gleichzeitig für höhere Einnahmen zu sorgen. Eine 50-prozentige Erhöhung der Tabaksteuer würde in 22 Ländern mit geringem Einkommen, für die Daten vor-liegen, zusätzliche Mittel von 1,42 Milliarden US $ einbringen. Flösse die gesamte Summe in das Gesundheitswesen, würde dies in eini-gen Ländern eine Erhöhung der staatlichen Gesundheitsausgaben um mehr als 25 und im Extremfall um 50 % ermöglichen. Eine Anhebung der Alkoholsteuer auf 40 % des Einzelhandelspreises würde noch stär-ker zu Buche schlagen. Nach Schätzungen für 12 Länder mit geringem Einkommen, für die Daten vorliegen, ginge der Verbrauch um mehr als 10 % zurück, während sich die Steuereinnahmen verdreifachen und auf 38 % der gesamten Gesundheitsausgaben dieser Länder belaufen. Die Möglichkeit zur Erhöhung von Tabak- und Alkoholsteuern ist in vielen Ländern gegeben. Selbst wenn nur ein Teil des Erlöses in das Gesundheitswesen ginge, ließe sich damit der Zugang zu Gesundheits-leistungen erheblich verbessern. Einige Länder erwägen auch Steuern auf andere gesundheitsschädliche Produkte wie zuckerhaltige Getränke und Lebensmittel mit einem hohen Gehalt an Salz oder Transfettsäuren (7, 8).

4. Entwicklungshilfe im Gesundheitsbereich. Zwar könnten alle Länder, ob reich oder arm, mehr für die Erhöhung der Gesundheitsfinan-zierung oder eine Diversifizierung ihrer Finanzquellen tun, aber nur acht der oben genannten 49 Länder mit geringem Einkommen haben die Chance, die für die Erreichung der MDG bis 2015 erforderlichen Mittel allein aus einheimischen Quellen aufzubringen. Hier ist weltweite Solidarität gefordert. Die Finanzierungslücke in diesen Ländern unter-streicht die Notwendigkeit, dass Länder mit hohem Einkommen ihren Verpflichtungen zu öffentlicher Entwicklungshilfe (ODA) nachkommen und größere Anstrengungen unternehmen, die Effektivität der Hilfe-lei stungen zu verbessern. Innovative Finanzierungsformen können zwar die traditionelle ODA ergänzen, kämen aber die Länder ihren laufenden internationalen Zusagen unverzüglich nach, würden sich allein dadurch die ausländischen Mittel für den Gesundheitsbereich in Ländern mit niedrigem Einkommen über Nacht mehr als verdoppeln und die geschätzte Finanzierungslücke für die Erreichung der MDG wäre praktisch behoben.

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Kurzfassung

Beseitigung von finanziellen Risiken und Zugangsbarrieren

Über ausreichende Mittel zu verfügen ist zwar wichtig, aber die Annähe-rung an universelle soziale Absicherung im Krankheitsfall bleibt solange unerreichbar, wie Menschen finanziellen Härten ausgesetzt sind oder vor der Inanspruchnahme von Leistungen zurückschrecken, weil sie diese un-mittelbar vor Ort bezahlen müssen. In diesem Fall tragen die Kranken das ganze finanzielle Risiko, das mit kostenpflichtiger Versorgung verbunden ist. Sie stehen vor der Entscheidung, ob sie sich eine Behandlung leisten kön-nen; oft bedeutet das, sich zwischen Ausgaben für Gesundheit und andere Grundbedürfnisse wie Lebensmittel oder die Bildung ihrer Kinder entschei-den zu müssen.

Fallen Behandlungsgebühren an, zahlen alle unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Lage denselben Betrag. In diesem Fall gibt es keine etab-lierte Solidarität zwischen Gesunden und Kranken oder zwischen arm und reich. Solche Systeme machen es unmöglich, die Kosten über die Lebens-zeit zu verteilen: Beitragszahlung im jungen Alter und gesunden Zustand und Inanspruchnahme im Krankheitsfall zu einem späteren Zeitpunkt im Leben. Damit besteht ein großes Risiko von Zahlungsunfähigkeit und Ver-armung, und die universelle soziale Absicherung im Krankheitsfall bleibt unerreicht.

Fast alle Länder erheben irgendeine Form von Direktzahlung, manch-mal als Selbstbeteiligung bezeichnet, wobei der Anteil der aus eigener Tasche finanzierten Gesamtausgaben umso höher ist, je ärmer ein Land ist. Die extremsten Beispiele finden sich in 33 Ländern mit meistenteils gerin-gem Einkommen, wo die Direktzahlungen der Patienten 2007 mehr als 50 % der gesamten Gesundheitsausgaben ausmachten.

Die einzige Möglichkeit, die Abhängigkeit von Direktzahlungen zu reduzieren, besteht für Regierungen in der Förderung des Risikoteilungs- und Vorauszahlungsansatzes, also dem Weg, den die meisten Länder beschritten haben, die universeller sozialer Absicherung gegen Gesund-heitsrisiken am nächsten gekommen sind. Hat eine Bevölkerung Zugang zu Risiko streuender kollektiver Vorauszahlung, wird das Ziel einer universel-len sozialen Absicherung im Krankheitsfall realistischer. Diese Strukturen beruhen auf Zahlungen vor dem Eintritt von Krankheiten, ihrer irgendwie gestalteten Zusammenführung und ihrer Verwendung für die Bezah-lung von Gesundheitsleistungen aller abgesicherten Personen, sprich für Behandlung und Rehabilitation Kranker und Behinderter sowie Vorsorge und Gesundheitsförderung für alle.

Erst wenn die Direktzahlungen auf 15 – 20 % der gesamten Ge sund-heitsausgaben gesunken sind, geht die Häufigkeit von finanzieller Über forderung und Verarmung auf ein vernachlässigbares Maß zurück. Das ist ein hoch gestecktes Ziel, das reichere Länder anstreben können; andere Länder möchten sich vielleicht bescheidenere und kurzfristige Ziele setzen. So haben sich z.B. die Länder in den WHO-Regionen Süd-ostasien und Westpazifik kürzlich auf Zielwerte zwischen 30 und 40 % verständigt.

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Der Weltgesundheitsbericht Finanzierung einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall

Die Ressourcen können aus verschiedenen Quellen stammen – Ein-kommens- und Lohnsteuer, breiter angelegte Mehrwertsteuern oder Verbrauchssteuern auf Tabak und Alkohol, und/oder Versicherungsbeiträge. Die Finanzierungsquelle ist nicht so entscheidend wie die Politikinstru-mente zur Verwaltung von Vorauszahlungssystemen. Soll Beitragspflicht bestehen? Wer soll wann wie viel zahlen? Was soll mit den Menschen ge schehen, die keine Beitragszahlungen aufbringen können? Auch die Frage der Zusammenführung der Mittel verlangt nach Entscheidungen. Sollen die Gelder Teil der konsolidierten Staatseinnahmen sein oder über eine oder mehrere Krankenkassen laufen, seien es soziale, private, gemeinschaftliche oder Kleinstversicherungen?

Ländererfahrungen legen drei grundlegende Lehren für die Entwick-lung entsprechender Strategien nahe.

Erstens ist in jedem Land ein Teil der Bevölkerung zu arm, um Bei-träge in Form von Einkommenssteuern oder Versicherungsbeiträgen zu leisten. Diese Menschen brauchen Unterstützung aus gemeinschaftlich aufgebrachten Mitteln, im Allgemeinen aus Steuereinnahmen. Eine solche Unterstützung kann in Form direkten Zugangs zu staatlich finanzierten Leistungen oder durch Bezuschussung von Versicherungsbeiträgen erfolgen. Länder, in denen die gesamte Bevölkerung Zugang zu einem bestimmten Leistungspaket hat, verfügen üblicherweise in einem relativ hohen Maße über gemeinschaftlich aufgebrachte Mittel in einer Größenordnung von 5 – 6 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Zweitens muss Beitragspflicht bestehen, denn sonst machen die Rei-chen und die Gesunden nicht mit und es fehlt an Finanzmitteln, um den Bedarf der Armen und Kranken abzusichern. Freiwillige Versiche-rungssysteme können zwar auch ohne breit angelegte Vorauszah-lungen und gemeinschaftliche Finanzierung gewisse Geldmittel aufbringen und außerdem dazu bei-tragen, Menschen mit den Vorzügen einer Versicherung vertraut zu machen; sie sind jedoch nur begrenzt in der Lage, ein erforderliches Paket von Leistungen für jene zu finanzie-ren, die zu arm sind, selber Beiträge aufzubringen. Wichtig sind daher längerfristige Pläne für die Auswei-tung der Vorauszahlung und die Einbettung von gemeindebasierten und Kleinst versicherungen in brei-tere Absicherungsstrukturen.

Drittens sind Pools, die den gesundheitlichen Bedarf einer klei-nen Zahl von Personen absichern, langfristig nicht überlebensfähig. Schon wenige Fälle kostspieliger

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Kurzfassung

Abb. 1. DreiDimensionen,dieaufdemWegzuuniversellerAbsicherungimKrankheitsfallzuberücksichtigensind

Direct costs:proportion of the costs covered

Population: who is covered?

Includeother services

Extend to non-covered

Reduce cost sharing and fees

Services: which services are covered?

Current pooled funds

Quelle: Auf der Grundlage von (9, 10).

Erkrankungen treiben sie in den Ruin. Multiple Risikopools, die alle ihre eigenen Verwaltungs- und Informationssysteme unterhalten, sind zudem ineffizient und erschweren die Umsetzung von Fairness. Üblicherweise bieten einzelne Versicherungsfonds ein großes Leistungsspektrum für relativ wohlhabende Menschen, die möglicherweise die Kosten ärmerer, weniger gesunder Menschen nicht mittragen wollen.

Quersubventionierung ist möglich, wenn es mehrere Kassen gibt, aber sie erfordert politischen Willen und fachliche wie verwaltungstechnische Kapazitäten. In den Niederlanden und der Schweiz überweisen beispiels-weise Versicherungen mit Mitgliedern mit geringem Behandlungsbedarf (was niedrigere Kosten bedeutet) Geld an Versicherungen mit Personen höheren Risikos, die mehr Leistungen in Anspruch nehmen.

Auch wenn die Finanzierung weitgehend auf Vorauszahlung und kol-lektiv aufgebrachten Mitteln beruht, besteht die Notwendigkeit fort, den abzusichernden Bevölkerungsanteil, das bereit zu stellende Leistungspaket und den Anteil der Kostenübernahme an den Gesamtkosten gegeneinander auszutarieren (Abb. 1). Der Würfel mit dem Titel “derzeitige Gemein-schaftsmittel” veranschaulicht die Situation in einem fiktiven Land, in dem rund die Hälfte der Bevölkerung eine Absicherung für etwa die Hälfte der möglichen Leistungen besitzt, von deren Kosten die gemeinschaftlich auf-gebrachten Mittel aber weniger als die Hälfte übernehmen. Um universeller sozialer Absicherung im Krankheitsfall näher zu kommen, müsste das Land die Deckungsbreite auf mehr Menschen ausweiten, mehr Leistungen bieten und/oder für einen größeren Anteil der Kosten auf ommen.

In Ländern mit lange bestehender sozialer Absicherung im Krankheits-fall wie in Europa oder Japan füllt der Würfel der zurzeit zusammengelegten Mittel den größten Teil des Raumes aus. Allerdings sichert keines der rei-chen Länder, die gemeinhin als Beispiele für universelle soziale Absicherung im Krankheitsfall gelten, 100 % der Bevölkerung mit 100 % der verfügbaren Leistungen und 100-prozentiger Kostenübernahme – und ohne Wartelis-ten – sozial ab. Jedes Land füllt den Würfel auf seine eigene Weise und tariert dabei die gemeinschaftlich finanzierten Leistungs- und Kostenanteile aus.

Nichtsdestoweniger hat die gesamte Bevölkerung in diesen Ländern Anspruch auf ein definiertes Paket von Leistungen (Prävention, Gesund-heitsförderung, Therapie und Rehabilitation). Praktisch jeder ist dank der auf Vorauszahlung und kollektive Mittelaufbringung beruhenden Finan-zierungsmechanismen vor großen finanziellen Risiken geschützt. Die Grundzüge sind dieselben, auch wenn die Besonderheiten voneinander abweichen, die von dem Zusammenspiel der Erwartungen von Bevölkerung und Leistungserbringern, der politischen Landschaft und den verfügbaren Ressourcen geprägt sind.

Die einzelnen Länder werden unterschiedliche Wege zu universeller sozialer Absicherung im Krankheitsfall einschlagen und je nach Ausgangs-lage und -bedingungen bei der Entwicklung entlang den drei in Abb. 1 dargestellten Achsen unterschiedliche Entscheidungen treffen. Hat bei-spielsweise niemand außer der Elite Zugang zu Gesundheitsleistungen, kann die Priorität darauf liegen, rasch auf dem Weg zu einem System voran zu kommen, das alle Bürger absichert, egal ob arm oder reich, selbst wenn dann Leistungsumfang und Kostenübernahme vergleichsweise gering

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Der Weltgesundheitsbericht Finanzierung einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall

sind. In einem breit angelegten System mit nur wenigen Versorgungslü-cken kann das betreffende Land unterdessen mit dem gezielten Ansatz beginnen, alle derzeit Ausgeschlossenen zu erfassen und Schritte zu ihrer Absicherung einzuleiten. In derartigen Fällen kann man ein umfangreiche-res Leistungspaket für die Armen absichern und/oder einen höheren Anteil der Kosten übernehmen.

Letztlich erfordert universelle soziale Absicherung im Krankheitsfall die Verpflichtung, 100 % der Bevölkerung einzuschließen, und man braucht von Anfang an Pläne mit dieser Zielsetzung, auch wenn das Ziel nicht gleich erreichbar ist.

Sonstige Hindernisse beim Zugang zur Gesundheitsversorgung

Die Beseitigung der impliziten finanziellen Hürden von Direktzahlungs-systemen fördert zwar den Zugang ärmerer Menschen zur Versorgung, garantiert ihn aber nicht. Neuere Untersuchungen zu den Ursachen un-vollständiger Behandlungen chronischer Erkrankungen zeigen, dass Transportkosten und Verdienstausfall eine höhere finanzielle Hürde dar-stellen können als die anfallenden Nutzergebühren. Außerdem kann man selbst dann keine Leistungen in Anspruch nehmen, wenn sie kostenlos sind, solange Versorgungseinrichtungen gar nicht oder nicht wohnortnah ver-fügbar sind.

Viele Länder suchen nach Möglichkeiten, diese Hindernisse zu über-winden. Konditionierte Transferleistungen, bei denen Menschen Bargeld erhalten, wenn sie bestimmte Dinge zur (meist präventionsbezogenen) Verbesserung ihrer Gesundheit tun, haben in einigen Fällen die Inanspruch-nahme von Gesundheitsversorgungsleistungen ansteigen lassen. Andere Optionen sind Gutscheine und die Erstattung von Transportkosten sowie Mikrokreditsysteme, die Mitgliedern armer Haushalte (oft den Frauen) die Möglichkeit geben, Geld zu verdienen, das sie unterschiedlich verwenden können, u.a. für die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen.

Förderung der Effizienz und Abbau der Verschwendung

Die Einziehung ausreichender Mittel für Gesundheit ist zwingend er forder lich, aber Geld allein garantiert noch keine universelle soziale Ab-sicherung im Krankheitsfall. Ebenso wenig wie die Beseitigung finanzieller Zugangshindernisse durch Vorauszahlungs- und kollektive Finanzierungs-mechanismen. Letztlich ist es unerlässlich, den effizienten Einsatz der Mittel sicherzustellen.

In allen Ländern bestehen Möglichkeiten, mit gleichen Ressour-cen mehr zu bewirken. Oft kommen anstelle verfügbarer günstigerer und ebenso wirksamer Optionen kostspielige Medikamente zum Einsatz. In vie-len Bereichen ist eine Überversorgung mit Antibiotika und Injektionen zu

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Kurzfassung

beobachten, man findet schlechte Lagerhaltung und Verschwendung sowie große Unterschiede bei den Preisen, die Beschaffungsstellen mit Anbietern aushandeln. Mit dem Abbau unnötiger Ausgaben für Arzneimittel und ihrem sinnvolleren Einsatz sowie besserer Qualitätskontrolle könnten die Länder bis zu 5 % ihrer Gesundheitsausgaben einsparen.

Arzneimittel stellen drei der häufigsten im vorliegenden Bericht auf-geführten Ursachen für Ineffizienz dar. Lösungen für die anderen sechs Ursachen lassen sich unter folgenden Überschriften zusammenfassen:

■ Bemühung um maximale Ausschöpfung von Technologien und Gesundheitseinrichtungen

■ Motivierung des Gesundheitspersonals ■ Verbesserung der Effizienz von Krankenhäusern ■ Richtige Behandlung von Anfang an durch Reduzierung

von Behandlungsfehlern ■ Ausmerzen von Verschwendung und Korruption ■ Kritische Bewertung des tatsächlich benötigten Leistungsumfangs

Bei zurückhaltender Schätzung sind etwa 20-40 % der im Gesund-heitsbereich ausgegebenen Ressourcen überflüssig, die allesamt bei der Einführung universeller sozialer Absicherung im Krankheitsfall zum Ein-satz kommen könnten.

Unabhängig von ihrem Einkommensstand können alle Länder etwas unternehmen, um die Ineffizienz zu verringern. Das erfordert zunächst eine auf der Analyse des vorliegenden Berichts beruhende Einschätzung von Charakter und Ursachen landestypischer Ineffizienzen. Ineffizienz geht bis-weilen eher auf ungenügende als auf zu hohe Gesundheitsausgaben zurück. So führen beispielsweise niedrige Löhne dazu, dass Gesundheitsfachkräfte ihr Einkommen durch einen parallel laufenden Zweitjob aufbessern, was ihre Leistungen bei der Haupttätigkeit schmälert. In diesen Fällen ist es erforderlich, die Kosten und wahrscheinlichen Auswirkungen möglicher Lösungen abzuschätzen.

Anreize zur Effizienzsteigerung lassen sich in die Methoden der Hono-rierung von Leistungserbringern einbauen. Einzelleistungsvergütung fördert die Überversorgung der Patienten, die es sich leisten können oder deren Kosten aus Gemeinschaftsmitteln (z.B. Steuern und Versicherung) gedeckt sind, und eine Unterversorgung derjenigen, die nicht zahlungs-fähig sind.

Viele Alternativen sind bereits erprobt, und alle haben Vor- und Nachteile. Wo Einzelleistungsvergütung die Norm ist, mussten Staat und Versicherungen Kontrollmechanismen einführen, um der Überversorgung zu begegnen. Die Einführung dieser Kontrollen kann kostspielig sein, denn sie erfordert zusätzliches Personal und Infrastruktur, um die Nutzung (und eventuelle Übernutzung) von Leistungen zu messen und zu überwachen.

Andernorts haben in der Grundversorgung (d.h. Prävention und allgemeinärztliche Versorgung) Kopfpauschalen oder im Krankenhaus-bereich fallbezogene Vergütungsformen wie Diagnostic-Related Groups (DRG) die Einzelleistungsvergütung abgelöst. Kopfpauschalenhonorierung bedeutet die Zahlung eines festen Betrags für jeden bei einem Leistungs-

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Der Weltgesundheitsbericht Finanzierung einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall

erbringer in einem bestimmten Zeitraum eingeschriebenen Bürger und ist völlig unabhängig von den erbrachten Leistungen. Fallpauschalen sehen pro Behandlungsfall die Zahlung eines festgelegten Betrags vor, der ebenfalls von Aufwand oder Dauer der Krankenhausbehandlung unabhängig ist.

Beide verringern den Anreiz zur Überversorgung. Allerdings war der Einwand zu hören, Fallpauschalen (d.h. Zahlung eines einheitlichen, von der Dauer des Krankenhausaufenthalts unabhängigen Satzes für eine medizinische Maßnahme) könnten die Krankenhäuser zur vorzeitigen Ent-lassung der Patienten ermutigen, um sie kurz darauf wieder aufzu nehmen und so zwei anstatt nur ein Mal abzurechnen.

Die Honorierung von Leistungserbringern ist ein komplexer, in ständi-gem Wandel begriffener Prozess, und einige Länder haben ein ge mischtes Vergütungssystem entwickelt, und zwar unter der Annahme, es sei effizien-ter als ein einziger Vergütungsmodus.

Es ist möglich, effizientere Ansätze für Beschaffung und Einkauf von Leistungen zu finden, was man oft als strategischen Einkauf bezeichnet. Das traditionelle System, bei dem die Leistungserbringer ihre Leistungen erstattet bekommen (und Zentralregierungen den verschiedenen Ver-waltungsebenen weitgehend auf Vorjahresbudgets beruhende Haushalte zuweisen) bezeichnet man auch als passive Beschaffung. Ein aktiverer Einkauf kann Qualität und Effizienz verbessern, indem man den gesund-heitlichen Versorgungsbedarf der Bevölkerung explizit erfragt: Welche Interventionen und Leistungen werden unter Berücksichtigung vorhande-ner Ressourcen dem Bedarf bzw. den Erwartungen am ehesten gerecht? Wie sieht die geeignete Mischung aus Gesundheitsförderung, Prävention, The-rapie und Rehabilitation aus? Wer soll wie diese Interven tionen einkaufen bzw. erbringen?

Strategischer Einkauf bedeutet mehr als die bloße Entscheidung zwi-schen passivem und aktivem Einkauf. Auf Grundlage ihrer Fähigkeit, die erforderlichen Informationen zu erstellen, zu überwachen und zu interpretie-ren sowie Qualitäts- und Effizienzstandards zu fördern und durchzusetzen, werden die Länder ihren Handlungsspielraum abstecken. Passiver Einkauf schafft Ineffizienz. Je mehr sich ein Land aktiven Einkaufsstrategien annä-hert, desto effizienter dürfte sein System sein.

Ungleichheiten in der AbsicherungRegierungen sind in der Verantwortung sicherzustellen, dass alle staatlichen wie privaten Leistungserbringer angemessen und zweckmäßig handeln und die Patienten kosteneffektiv und effizient betreuen. Sie müssen auch ein Paket von bevölkerungsbezogenen Leistungen mit Schwerpunkt auf Prävention und Gesundheitsförderung zur Verfügung stellen, so wie groß angelegte Werbekampagnen zur Verringerung des Tabakkonsums oder die Empfehlung an Mütter, ihre Kinder impfen zu lassen.

Regierungen sind auch dafür verantwortlich sicherzustellen, dass jeder die Leistungen in Anspruch nehmen kann, die er oder sie benötigt, und dass alle gegen die damit verbundenen finanziellen Risiken abgesichert sind. Dies kann mit dem Streben nach Effizienz in Konflikt geraten, denn der

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effizienteste Weg des Ressourceneinsatzes ist nicht immer der gerechteste. So ist es z.B. üblicherweise effizienter, Versorgungseinrichtungen in bevöl-kerungsreichen Gebieten anzusiedeln; will man aber die arme Bevölkerung auf dem Land erreichen, muss man die Leistungserbringer näher an sie her-anbringen.

Die Regierungen müssen sich auch bewusst sein, dass Bessergestellte kostenlose öffentliche Leistungen nutzen könnten, die sie trotz vermutlich geringeren Bedarfs üblicherweise stärker in Anspruch nehmen als Arme. In einigen Ländern haben nur die Reichsten Zugang zu einem angemesse-nen Leistungspaket, während anderswo bloß die Ärmsten ausgeschlossen sind. Einige Personengruppen fallen in den meisten Systemen durch die Maschen, und die Muster der Ausgrenzung von Gesundheitsleistungen sind unterschiedlich. Besonderes Augenmerk muss den Zugangsproblemen von Frauen, ethnischen und Migrantengruppen sowie den besonderen Proble-men indigener Bevölkerungen gelten.

Ein AktionsplanKein Land fängt bei der Gesundheitsfinanzierung bei Null an, denn alle Länder verfügen über irgendein System und müssen dies gemäß ihren Wert-vorstellungen, Zwängen und Möglichkeiten weiterentwickeln. In diesen Prozess sollten nationale wie internationale Erfahrungen einfließen.

Alle Länder können mehr tun, um Mittel für die Gesundheitsver-sorgung aufzubringen oder ihre Finanzierungsquellen zu diversifizieren, um durch die Förderung von Vorauszahlungen und kollektive Finanzierung die Abhängigkeit von direkten Zahlungen zu verringern und um vorhan-dene Ressourcen effizienter und gerechter einzusetzen. Voraussetzung dafür ist der politische Wille.

Der Gesundheitsbereich kann eine Vorreiterrolle bei der Steigerung von Effizienz und Gerechtigkeit einnehmen. Entscheidungsträger im Gesund-heitssektor können beispielsweise viel dazu beitragen, Lecks insbesondere im Beschaffungswesen abzudichten. Unter Einschluss von Regulierung und Gesetzgebung können sie auch Schritte einleiten, die Leistungs er bringung und Effizienz des Systems insgesamt zu verbessern. Das sind allesamt Schritte, bei denen ihnen andere Sektoren folgen könnten.

Einfach aus einer Liste von Möglichkeiten auszuwählen oder zu importieren, was andernorts funktioniert hat, wird nicht ausreichen. Gesundheitsfinanzierungsstrategien müssen von innen wachsen und aus-gehend von den Bedingungen im eigenen Land die universelle soziale Absicherung im Krankheitsfall vorwärts bringen. Es ist daher unerlässlich, dass die Länder ihre Fähigkeiten zur Analyse und zum Verständnis der Stärken und Schwächen des vorhandenen Systems weiter entwickeln, damit sie ihre Gesundheitsfinanzierungsstrategien dementsprechend anpassen, umsetzen, kontrollieren und im Laufe der Zeit verändern können.

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Der Weltgesundheitsbericht Finanzierung einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall

Wandel ermöglichen und unterstützenDie oben dargestellten Erkenntnisse konzentrieren sich auf die technischen Herausforderungen einer Neuordnung der Gesundheitsfinanzierung. Tech-nische Aspekte sind allerdings nur ein Bestandteil der Strategieentwicklung und -umsetzung; ebenfalls notwendig sind vielfältige flankierende Maß-nahmen, die Reflektion und Wandel erleichtern.

Diese Maßnahmen sind in Abb. 2 im Entscheidungsprozeß zur Ge sund heitsfinanzierung dargestellt. Diese Darstellung ist eher als Ori-entierungshilfe denn als Blaupause gedacht; außerdem ist anzumerken, dass die von uns ins Auge gefassten Prozesse zwar als konzeptionell für sich allein stehend dargestellt sind, sich jedoch fortlaufend überlagern und weiter entwickeln.

Die sieben hier beschriebenen Maßnahmen beziehen sich nicht nur auf Länder mit geringem und mittlerem Einkommen. Auch reiche Länder, die ein hohes Maß finanziellen Risikoschutzes und umfangreiche Absicherung erreicht haben, müssen sich fortlaufend selbst bewerten, um sicherzustellen, dass ihr Finanzierungssystem angesichts ständig wechselnder diagnos-tischer Verfahren, Behandlungspraktiken und -technologien, steigender Nachfrage und finanzieller Engpässe seine Ziele erreicht.

Die Gestaltung und Umsetzung einer Gesundheitsfinanzierungsstrate-gie ist eher ein ständiger Anpassungsprozess als eine lineare Entwicklung zu einer imaginären Vollkommenheit. Dieser Prozess muss mit einem klaren Bekenntnis zu den elementaren Grundsätzen und Idealen des Finanzie-rungssystems beginnen, einer Verständigung über die jeweilige Bedeutung von universeller sozialer Absicherung im Krankheitsfall in einem Land. Dies bereitet das Fundament für eine Situationsanalyse (Maßnahme 2). Maßnahme 3 bestimmt den finanziellen Rahmen und seine im Lauf der Zeit zu erwartenden Veränderungen. Dies schließt die Berücksichtigung der Patientendirektzahlungen und der Ausgaben im nicht-staatlichen Sektor ein. Maßnahme 4 untersucht die möglichen Engpässe bei der Entwicklung und Umsetzung von Plänen zur Annäherung an universelle Absicherung im Krankheitsfall, während die Maßnahmen 5 und 6 die Formulierung und Um setzung detaillierter Strategien enthalten.

Der Ablauf, wie wir ihn uns vorstellen, ist dann vollendet (Maßnahme 7), wenn ein Land seine Fortschritte in Bezug auf die erklärten Ziele über-prüft (Maßnahme 1) und dabei die Neubewertung seiner Strategien und den Entwurf neuer Pläne zur Behebung ausgemachter Probleme ermöglicht. Es ist ein Prozess kontinuierlichen Lernens, wobei die praktischen Gegeben-heiten des Systems ständig Anlass zu Neubewertung und Nachjustierung geben.

Gesundheitsfinanzierungssysteme müssen sich anpassen, und zwar nicht nur, weil es immer Verbesserungsmöglichkeiten gibt, sondern weil sich die Länder, in deren Diensten sie stehen, ebenfalls verändern: Krank-heitsmuster entwickeln sich, verfügbare Ressourcen steigen und fallen, Institutionen kommen und gehen.

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Praktische Schritte für externe PartnerWie eingangs erwähnt, werden viele der ärmsten Länder noch viele Jahre nicht einmal eine universelle Absicherung im Krankheitsfall mit beschei-denem Leistungsumfang aus eigenen Mitteln finanzieren können. Um den ärmsten Ländern hier einen schnelleren maßgeschneiderten Fortschritt zu gestatten, müssen externe Partner ihre Beiträge aufstocken, um ihren in der Vergangenheit vereinbarten internationalen Verpflichtungen nachzukom-men. Das allein würde schon fast die gesamte Finanzierungslücke in den bereits erwähnten 49 Ländern mit geringem Einkommen schließen und bis 2015 mehr als weitere drei Millionen Menschenleben retten.

Traditionelle öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) lässt sich mit innovativen Finanzierungsquellen aufstocken. Wie von der hoch-rangigen Arbeitsgruppe angeregt, könnten einige der zuvor erörterten neuen Wege zur Beschaffung von Geldern auch auf internationaler Ebene Anwen-

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Der Weltgesundheitsbericht Finanzierung einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall

Abb. 2. DerGesundheitsfinanzierungsentscheidungsprozeß

Action 1Establishing the vision

Action 7Monitoring & evaluation

Action 2Situation analysis

Action 5Strategy

for change

Action 4Constraint

assessment

Action 6Implementation

Action 3Financial

assessment

Direct costs:proportion of the costs covered

Includeother services

Extend to non-covered

Services: which services are covered?

Current pooled funds

Population: who is covered?

Reducecostsharingand fees

dung finden. Einige befinden sich bereits in der Umsetzung, wie man an der MassiveGood-Kampagne der Millennium-Stiftung erkennen kann. Viele innovative Finanzierungsmechanismen benötigen keinen inter nationalen Konsens. Wenn jedes Land mit hohem Einkommen nur eine der genannten Optionen einführt, würde dies erhebliche zusätzliche Mittel zur Förderung schnellerer Fortschritte auf dem Weg zu universeller Absicherung in den bedürftigsten Ländern erbringen.

Externe Partner könnten auch dabei helfen, die Finanzsysteme in den Empfängerländern zu stärken. Geber nutzen derzeit vielfältige Finanzie-rungskanäle, was die Transaktionskosten sowohl auf Landes- als auch auf internationaler Ebene beträchtlich erhöht. Eine Angleichung der Systeme würde der Vielfalt an Buchprüfungs-, Kontroll- und Auswertungsme-chanismen ein Ende bereiten, die mit den einheimischen Systemen um Buchhalter, Rechnungsprüfer und Versicherungsmathematiker wett-eifern. Auch würde dies beim Personal von Gesundheitsministerien und anderen Regierungsstellen Zeitreserven freisetzen, die sie stärker zur Ausweitung der Absicherung gegen Gesundheitsrisiken nutzen könnten.

Mit der Einführung der Pariser Erklärung über die Wirksamkeit der Entwicklungshilfe und den anschließenden Aktionsplan von Accra hat die internationale Gemeinschaft Fortschritte erzielt. Die Internationale Gesundheitspartnerschaft und ähnliche Initiativen versuchen, die in die-ser Erklärung und dem Aktionsplan verankerten Grundsätze umzusetzen. Es bleibt allerdings noch viel zu tun. Vietnam meldet für das Jahr 2009 mehr als 400 Gebermissionen zur Begutachtung von Gesundheitsprojek-ten oder des Gesundheitswesens. Ruanda muss jedes Jahr verschiedenen Gebern über 890 Gesundheitsindikatoren Bericht erstatten, 595 davon allein in Bezug auf HIV und Malaria, während neue weltweite Initiativen mit Sekretariaten entstehen.

Eine Botschaft der HoffnungDie erste Kernbotschaft dieses Weltgesundheitsberichts ist die Erkennt-nis, dass es kein Wundermittel für die Einführung universellen Zugangs zur Gesundheitsversorgung gibt. Vielfältige Erfahrungen aus der ganzen Welt zeigen aber: die Länder können schneller vorankommen als in der Vergangenheit bzw. Maßnahmen zur Absicherung ihrer Errungenschaften ergreifen. Es ist möglich, zusätzliche Mittel aufzubringen und die Finanzie-rungsquellen zu diversifizieren. Möglich sind auch die Abkehr von direkten Zahlungen hin zu Vorauszahlung und gemeinschaftlicher Finanzierung (bzw. die Gewährleistung, dass Kostendämpfungsbestrebungen wiederum nicht die Abhängigkeit von Direktzahlungen erhöhen) sowie größere Effizi-enz und mehr Gerechtigkeit beim Einsatz der Ressourcen.

Die Grundprinzipien stehen fest. Man hat von Ländern gelernt, die diese Grundsätze in die Praxis umgesetzt haben. Nun ist es an der Zeit, diese Lehren zu beherzigen und darauf aufzubauen, denn in jedem Land ist Spielraum vorhanden, etwas zu tun, um die Fortschritte auf dem Weg zu universeller sozialer Absicherung im Krankheitsfall zu beschleunigen bzw. aufrecht zu erhalten. ■

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Quellenverzeichnis1.  A global look at public perceptions of health problems, priorities, and donors: the Kaiser/Pew global health survey. 

The Henry J Kaiser Family Foundation, 2007 (http://www.kff.org/kaiserpolls/upload/7716.pdf, aufgerufen am 23. Juni 2010).

2.  Eurobaromètre standard 72:  l’opinion publique dans  l’Union Européenne,  2010  (http://ec.europa.eu/pub-lic_opinion/archives/eb/eb72/eb72_vol1_fr.pdf, aufgerufen am 23. Juni 2010).

3.  Closing the gap in a generation – health equity through action on the social determinants of health. Genf, Welt-gesundheitsorganisation, 2008 (http://whqlibdoc.who.int/hq/2008/WHO_IER_CSDH_08.1_eng.pdf, aufge-rufen am 23. Juni 2010).

4.  Resolution WHA58.33. Nachhaltige Gesundheitsfinanzierung und universelle soziale Krankenversicherung. In:  58.  Weltgesundheitsversammlung,  Genf,  16.–25.  Mai  2005.  Genf,  Weltgesundheitsorganisation,  2005 (http://apps.who.int/gb/ebwha/pdf_files/WHA58/WHA58_33-en.pdf, aufgerufen am 23. June 2010).

5.  Arbeitsgruppe  für  innovative  internationale  Finanzierungsmechanismen  im  Gesundheitswesen,  Arbeits-gruppe  1.  WHO  Hintergrundpapier:  constraints  to  scaling  up  and  costs.  Internationale  Gesundheitspart-nerschaft,  2009  (http://www.internationalhealthpartnership.net/pdf/IHP%20Update%2013/Taskforce/Johansbourg/Working%20Group%201%20Report%20%20Final.pdf, aufgerufen am 23. Juni 2010).

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7.  Leonhardt D. The battle over taxing soda. The New York Times, 18. Mai 2010, B:1.8.  Holt  E.  Romania  mulls  over  fast  food  tax.  Lancet,  2010,375:1070-  doi:10.1016/S0140-6736(10)60462-X 

PMID:203526589.  Weltgesundheitsbericht 2008: primary health care – now more than ever. (Gesundheitliche Grundversorgung –

heute mehr denn je) Genf, Weltgesundheitsorganisation, 2008.10.  Busse R, Schlette S, eds. Focus on prevention, health and aging, new health professions. Gütersloh, Verlag Ber-

telsmann Stiftung, 2007.

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Gute Gesundheit ist für das menschliche Wohlerge-hen und für eine anhaltende wirtschaft liche und soziale Entwicklung unverzichtbar. WHO-Mitgliedsländer haben sich zum Ziel gesetzt, ihre Gesundheitsfi nanzie-rungssysteme weiter zu entwickeln um sicherzustellen, dass alle Menschen Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen können und dabei vor den anfallenden fi nan-ziellen Belastungen geschützt sind.

In diesem Bericht zeigt die Weltgesundheitsorganisa-tion auf, wie Länder ihre Finanzierungssysteme verändern

können, um das Ziel universeller Absicherung schneller zu errei-chen und die erzielten Erfolge zu erhalten. Der Bericht stützt sich auf neue Forschungsergebnisse und gewonnene Erkenntnisse aus den Erfahrungen der Länder. Er enthält einen Aktionsplan für Länder jedes Entwicklungsstands und schlägt Wege vor, wie die internationale Gemeinschaft Anstrengungen in Ländern mit geringem Einkommen besser unterstützen kann, universelle Absicherung zu erreichen und die Gesundheit zu verbessern.

FINANZIERUNG DER GESUNDHEITSSYSTEMEFINANZIERUNG DER GESUNDHEITSSYSTEMEFINANZIERUNG DER GESUNDHEITSSYSTEMEDer Weg zu universeller Absicherung