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La Défense ist Frankreich, nicht Paris

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Author Hubertus Adam, Architese, may 2012, p.56-59

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Page 2: La Défense ist Frankreich, nicht Paris

56 archithese 5.2012 57

«LA DÉFENSE IST FRANKREICH, NICHT PARIS»Hubertus Adam im Gespräch mit Mathias Armengaud (AWP Architectes) und Simon Frommen-

wiler (HHF Architekten) Wie umgehen mit La Défense, dem Hochhaus- und Bürokomplex, der seit den

späten Fünfzigerjahren nordwestlich von Paris entstanden ist? Heute ist die Défense eine monofunktionale

Insel innerhalb des urbanen Gefüges. Doch bei genauer Analyse bietet sie ungeahnte Potenziale.

Hubertus Adam: 2011 habt ihr den internationalen Wett-

bewerb für einen plan guide der öffentlichen Räume von La

Défense gewonnen, an dessen Ausarbeitung neben AWP

und HHF noch weitere Büros, aber auch Spezialisten anderer

Disziplinen beteiligt sind. Wie nehmt ihr heute die Défense

wahr, die seit den späten Fünfzigerjahren als Central Busi-

ness District ausserhalb der Stadt Paris errichtet worden ist?

Simon Frommenwiler: Bei der Défense handelt es sich gleich-

sam um ein grosses Gebäude – ein mehrgeschossiges Volu-

men mit Infrastruktur, Shopping Mall und einem Dach darü-

ber, auf dem Hochhäuser stehen. Wer heute La Défense

besucht und mit dem Auto, der Metro oder der RER ankommt,

hat das Gefühl, sich zunächst endlos durch den Untergrund

zu bewegen, bevor er ans Tageslicht gelangt. In Wahrheit

bewegt man sich aber in einem gigantischen Infrastruktur-

bauwerk, das nicht in die Erde eingegraben ist, sondern auf

dem vorhandenen Terrain errichtet wurde.

MA: La Défense ist ein seltsames Gebilde. Hunderttausende

von Personen steigen dort um, viele arbeiten dort; auch wir

kannten La Défense von diversen Besuchen, doch zur Le-

benswirklichkeit von Paris gehört es eigentlich nicht. Es ist

völlig abgekoppelt.

In der Zeit von de Gaulle entstand La Défense aufgrund

der Initiative und mit der vollen Macht des Staates. Sie be-

steht aus Beton, ist grau und hermetisch – und hat sich sozu-

sagen planlos entwickelt. Natürlich ist alles geplant – aber

Stück für Stück und ohne umfassenden Gesamtplan. Ein Bei-

spiel dafür sind zwei Wohnbauten in der Mitte der Défense.

Diese spätmodernen Gebäude sind gar nicht schlecht, aber

sie sind sozusagen ohne Autoren entstanden. Eine Reihe von

Ingenieuren und Architekten war an der Planung beteiligt,

sie erhielten Geld, waren aber von der Umsetzung ausge-

schlossen. Ähnlich verhielt es sich mit der Grande Arche von

Johan-Otto von Spreckelsen unter Mitterrand: Das Projekt

wurde dem Architekten schliesslich entzogen. Man ist in La

Défense nicht gewöhnt mit Architekten zusammenzuarbei-

ten. La Défense ist Frankreich, nicht Paris; sie funktioniert

wie ein rechtsfreier Raum und steht dem Selbstverständnis

des Staates nach in einer globalen metropolitanen Konkur-

renz zu London, New York oder Tokio. Mit der Kapitale zu

ihren Füssen hat es eigentlich nichts zu tun.

SM: Symptomatisch für diese Entwicklung ist, dass es keinen

Masterplan gibt. Und damit ist auch völlig unklar, wo sich die

Schnittstelle zwischen dem öffentlichen Bereich der Infra-

struktur und den aus diesem herauswachsenden privaten Bau-

ten befindet. Eine unserer Aufgaben bestand daher darin, hier

Klarheit zu schaffen. Das ist um so wichtiger, als derzeit in La

Défense eine grosse Anzahl neuer Bauvorhaben geplant wird,

auch wenn einige von diesen wohl auf dem Papier bleiben.

HA: Warum wird dieses Problem erst heute angegangen? Die

aus der Monofunktionalität resultierenden Probleme bestan-

den auch schon früher.

MA: Der Handlungsbedarf wurde tatsächlich schon früher

erkannt; so wurde vor langer Zeit auch OMA mit einem Kon-

zept zur Revitalisierung beauftragt. Das Projekt ist fantas-

tisch, verschwand aber wirkungslos in den Schubladen wie

eine Reihe anderer Studien.

Heute sehen auch die Verantwortlichen die Notwendig-

keit, das geschlossene System von La Défense zu öffnen, und

daher fand der Wettbewerb statt. Weil in La Défense in den

kommenden Jahren an verschiedenen Stellen etwa 15 neue

Hochhäuser entstehen sollen, galt es, den Infrastrukturso-

ckel einer grundsätzlichen Analyse zu unterziehen und zu

überdenken. Eine weitere Aufgabe besteht darin, das aut-

arke System La Défense mit der städtischen Umgebung zu

verbinden.

SF: In La Défense geht es darum, den öffentlichen Raum

überhaupt erst zu entdecken und Vorschläge für seine Nut-

zung zu machen. Der öffentlich nutzbare Raum existiert

zwar, aber mehr oder minder unsichtbar – man muss ihn

überhaupt erst als Qualität wahrnehmen.

HA: Wie geht ihr mit eurem plan guide um? Und was sind die

wesentlichen Ziele?

MA: Unser Projekt begann mit einer Analyse der bestehen-

den Substanz: Mehr als Touristenpläne zur allgemeinen Ori-

entierung gibt es nicht. So beauftragten wir zunächst einen

Ingenieur, ein AutoCAD-Modell der Défense anzufertigen. In

einem zweiten Schritt galt es, Potenziale für Interventionen

auszuloten und zu definieren. Und der dritte Schritt besteht

nun darin, Vorschläge für die Öffnung zu entwickeln. Wir

arbeiten mit einem grossen Team an dem Projekt, haben vor

Ort ein Büro installiert und wollen unsere Ideen im kommen-

den Jahr in einem temporären Ausstellungsort der Öffent-

lichkeit vorstellen. Es geht darum, von Geschichten und Vi-

sionen zu erzählen. La Défense ist ein technisches Konstrukt,

und seit den Sechzigerjahren gibt es keine Geschichten und

Visionen, die damit verbunden sind: keine Bücher, keine

Filme, keine Fiktionen. Alle hassen La Défense. Hier muss

man ansetzen.

SF: Dabei geht es auch darum, sinnvoll mit dem Bestand an

Bauten und Infrastruktur umzugehen. Das Schnellstrassen-

system, das La Défense umzingelt, erweist sich heute als

völlig überdimensioniert. Aus diesem Grund sollen Teile ab-

gerissen werden. Wir aber plädieren dafür, diese umzunut-

zen: in Wegeverbindungen für Fussgänger und Radfahrer

oder öffentliche Parks. Der Loop der Schnellstrasse, den wir

erhalten möchten, befindet sich direkt neben einer Parzelle,

auf dem Investoren aus Katar einen zweihundert Meter ho-

hen Turm errichten möchten. Unsere Aufgabe besteht auch

darin, mit den Investoren zu verhandeln und ihnen die Vor-

teile unseres Konzepts und des Parks zu vermitteln.

HA: Ihr strebt urbanistische Lösungen ab, die nicht im klas-

sischen Sinne top-down implementiert werden, sondern be-

stehende Räume analysieren, nutzen und uminterpretieren.

1 Gesamtkonzept plan guide für die öffentlichen Räume von La Défense (Grafiken: AWP)

softscape

eau

végétation

nouveau revêtement

cheminement

cheminement

piste cyclable

opportunité foncière

projets immobiliers

dessus/dessous dalle

gare

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«LA DÉFENSE IST FRANKREICH, NICHT PARIS»Hubertus Adam im Gespräch mit Mathias Armengaud (AWP Architectes) und Simon Frommen-

wiler (HHF Architekten) Wie umgehen mit La Défense, dem Hochhaus- und Bürokomplex, der seit den

späten Fünfzigerjahren nordwestlich von Paris entstanden ist? Heute ist die Défense eine monofunktionale

Insel innerhalb des urbanen Gefüges. Doch bei genauer Analyse bietet sie ungeahnte Potenziale.

Hubertus Adam: 2011 habt ihr den internationalen Wett-

bewerb für einen plan guide der öffentlichen Räume von La

Défense gewonnen, an dessen Ausarbeitung neben AWP

und HHF noch weitere Büros, aber auch Spezialisten anderer

Disziplinen beteiligt sind. Wie nehmt ihr heute die Défense

wahr, die seit den späten Fünfzigerjahren als Central Busi-

ness District ausserhalb der Stadt Paris errichtet worden ist?

Simon Frommenwiler: Bei der Défense handelt es sich gleich-

sam um ein grosses Gebäude – ein mehrgeschossiges Volu-

men mit Infrastruktur, Shopping Mall und einem Dach darü-

ber, auf dem Hochhäuser stehen. Wer heute La Défense

besucht und mit dem Auto, der Metro oder der RER ankommt,

hat das Gefühl, sich zunächst endlos durch den Untergrund

zu bewegen, bevor er ans Tageslicht gelangt. In Wahrheit

bewegt man sich aber in einem gigantischen Infrastruktur-

bauwerk, das nicht in die Erde eingegraben ist, sondern auf

dem vorhandenen Terrain errichtet wurde.

MA: La Défense ist ein seltsames Gebilde. Hunderttausende

von Personen steigen dort um, viele arbeiten dort; auch wir

kannten La Défense von diversen Besuchen, doch zur Le-

benswirklichkeit von Paris gehört es eigentlich nicht. Es ist

völlig abgekoppelt.

In der Zeit von de Gaulle entstand La Défense aufgrund

der Initiative und mit der vollen Macht des Staates. Sie be-

steht aus Beton, ist grau und hermetisch – und hat sich sozu-

sagen planlos entwickelt. Natürlich ist alles geplant – aber

Stück für Stück und ohne umfassenden Gesamtplan. Ein Bei-

spiel dafür sind zwei Wohnbauten in der Mitte der Défense.

Diese spätmodernen Gebäude sind gar nicht schlecht, aber

sie sind sozusagen ohne Autoren entstanden. Eine Reihe von

Ingenieuren und Architekten war an der Planung beteiligt,

sie erhielten Geld, waren aber von der Umsetzung ausge-

schlossen. Ähnlich verhielt es sich mit der Grande Arche von

Johan-Otto von Spreckelsen unter Mitterrand: Das Projekt

wurde dem Architekten schliesslich entzogen. Man ist in La

Défense nicht gewöhnt mit Architekten zusammenzuarbei-

ten. La Défense ist Frankreich, nicht Paris; sie funktioniert

wie ein rechtsfreier Raum und steht dem Selbstverständnis

des Staates nach in einer globalen metropolitanen Konkur-

renz zu London, New York oder Tokio. Mit der Kapitale zu

ihren Füssen hat es eigentlich nichts zu tun.

SM: Symptomatisch für diese Entwicklung ist, dass es keinen

Masterplan gibt. Und damit ist auch völlig unklar, wo sich die

Schnittstelle zwischen dem öffentlichen Bereich der Infra-

struktur und den aus diesem herauswachsenden privaten Bau-

ten befindet. Eine unserer Aufgaben bestand daher darin, hier

Klarheit zu schaffen. Das ist um so wichtiger, als derzeit in La

Défense eine grosse Anzahl neuer Bauvorhaben geplant wird,

auch wenn einige von diesen wohl auf dem Papier bleiben.

HA: Warum wird dieses Problem erst heute angegangen? Die

aus der Monofunktionalität resultierenden Probleme bestan-

den auch schon früher.

MA: Der Handlungsbedarf wurde tatsächlich schon früher

erkannt; so wurde vor langer Zeit auch OMA mit einem Kon-

zept zur Revitalisierung beauftragt. Das Projekt ist fantas-

tisch, verschwand aber wirkungslos in den Schubladen wie

eine Reihe anderer Studien.

Heute sehen auch die Verantwortlichen die Notwendig-

keit, das geschlossene System von La Défense zu öffnen, und

daher fand der Wettbewerb statt. Weil in La Défense in den

kommenden Jahren an verschiedenen Stellen etwa 15 neue

Hochhäuser entstehen sollen, galt es, den Infrastrukturso-

ckel einer grundsätzlichen Analyse zu unterziehen und zu

überdenken. Eine weitere Aufgabe besteht darin, das aut-

arke System La Défense mit der städtischen Umgebung zu

verbinden.

SF: In La Défense geht es darum, den öffentlichen Raum

überhaupt erst zu entdecken und Vorschläge für seine Nut-

zung zu machen. Der öffentlich nutzbare Raum existiert

zwar, aber mehr oder minder unsichtbar – man muss ihn

überhaupt erst als Qualität wahrnehmen.

HA: Wie geht ihr mit eurem plan guide um? Und was sind die

wesentlichen Ziele?

MA: Unser Projekt begann mit einer Analyse der bestehen-

den Substanz: Mehr als Touristenpläne zur allgemeinen Ori-

entierung gibt es nicht. So beauftragten wir zunächst einen

Ingenieur, ein AutoCAD-Modell der Défense anzufertigen. In

einem zweiten Schritt galt es, Potenziale für Interventionen

auszuloten und zu definieren. Und der dritte Schritt besteht

nun darin, Vorschläge für die Öffnung zu entwickeln. Wir

arbeiten mit einem grossen Team an dem Projekt, haben vor

Ort ein Büro installiert und wollen unsere Ideen im kommen-

den Jahr in einem temporären Ausstellungsort der Öffent-

lichkeit vorstellen. Es geht darum, von Geschichten und Vi-

sionen zu erzählen. La Défense ist ein technisches Konstrukt,

und seit den Sechzigerjahren gibt es keine Geschichten und

Visionen, die damit verbunden sind: keine Bücher, keine

Filme, keine Fiktionen. Alle hassen La Défense. Hier muss

man ansetzen.

SF: Dabei geht es auch darum, sinnvoll mit dem Bestand an

Bauten und Infrastruktur umzugehen. Das Schnellstrassen-

system, das La Défense umzingelt, erweist sich heute als

völlig überdimensioniert. Aus diesem Grund sollen Teile ab-

gerissen werden. Wir aber plädieren dafür, diese umzunut-

zen: in Wegeverbindungen für Fussgänger und Radfahrer

oder öffentliche Parks. Der Loop der Schnellstrasse, den wir

erhalten möchten, befindet sich direkt neben einer Parzelle,

auf dem Investoren aus Katar einen zweihundert Meter ho-

hen Turm errichten möchten. Unsere Aufgabe besteht auch

darin, mit den Investoren zu verhandeln und ihnen die Vor-

teile unseres Konzepts und des Parks zu vermitteln.

HA: Ihr strebt urbanistische Lösungen ab, die nicht im klas-

sischen Sinne top-down implementiert werden, sondern be-

stehende Räume analysieren, nutzen und uminterpretieren.

1 Gesamtkonzept plan guide für die öffentlichen Räume von La Défense (Grafiken: AWP)

softscape

eau

végétation

nouveau revêtement

cheminement

cheminement

piste cyclable

opportunité foncière

projets immobiliers

dessus/dessous dalle

gare

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MA: Der hermetische Charakter, der den Infrastruktursockel

heute bestimmt, bestand nicht von Anfang an. Doch die Öff-

nungen, Durchbrüche und Parks, die ursprünglich existier-

ten, sind im Verlauf des Ausbaus von La Défense sukzessive

verschwunden. Mit vergleichsweise einfachen Mitteln kann

man aber Abhilfe schaffen.

Der Sockel dient heute lediglich dem Verkehr und der An-

lieferung. Von den Parkplätzen, die in der Hochzeit der auto-

mobilen Ära geplant wurden, wird nur ein Bruchteil benö-

tigt. Interessanterweise werden alle diese Bereiche nicht

einmal videoüberwacht: Selbst Obdachlose verirren sich

nicht hierher. Unser erstes Ziel ist es, das Podium an strate-

gischen Stellen aufzubrechen und Verbindungen für Fuss-

gänger und Radfahrer zu schaffen, die hier bislang nicht

vorgesehen waren. Man kann La Défense bis dato mit dem

Fahrrad überhaupt nicht erreichen, es ist eine absolute Insel

Das erinnert an eure erste gemeinsame Arbeit, die Restruk-

turierung des Areals Praille Acacias Vernets (PAV), die euch

seit 2009 beschäftigt. Auch dort geht es um eine Gesamtana-

lyse, die dann in einer Strategie der kleinen Schritte ihre

Umsetzung findet.

MA: Anhand des Projektes in Genf haben wir gelernt, dass

sich die Grundlagen und Entscheidungen zwar jeden Tag

ändern, damit aber auch vieles möglich wird. Wir fungieren

als Mediatoren und Kommunikatoren.

HA: In La Défense ist der Infrastruktursockel euer eigentli-

cher Interventionsbereich. Welche Potenziale bietet dieser

Bereich?

erkennt und ihr dieser bei aller Kritik erkennbar Wertschät-

zung entgegenbringt. Wie man mit dem baulichen Erbe der

späten Moderne umgeht, ist derzeit ein wichtiges Thema.

MA: Ohne Frage: Für uns zählt La Défense zum patrimoine,

zum kulturellen Erbe. Aber in Frankreich gibt es mit dem

baulichen Erbe der Sechzigerjahre ein viel grösseres Problem

als in der Schweiz – was auch mit dem Problem des Mass-

stabs zu tun hat. Dabei ist das Image von La Défense nicht

nur schlecht: Ein gewisser Stolz ist immer noch zu spüren,

auch wenn die meisten Menschen negative Empfindungen

damit verbinden …

HA: … vielleicht, weil dort bislang auch kaum jemand lebt.

Es ist keines der heute vielfach diskreditierten grands en-

sembles des sozialen Wohnungsbaus in der Banlieue.

HA: Von der Durchwegung und der Neudefinition öffentli-

cher Räume abgesehen: Wie reagiert ihr auf die Monofunk-

tionalität eines reinen Büroquartieres?

MA: Hunderttausend Quadratmeter an Fläche sind noch un-

genutzt. Das bietet ungeahnte Potenziale, insbesondere für

das Wohnen. Gerade der Sockel ist interessant, weil achtzig

Prozent der Parkplätze nicht benötigt werden. Nutzt man die

Möglichkeiten des Sockels geschickt, liessen sich Häuser in-

tegrieren, zum Teil sogar mit einem fantastischen Blick über

Paris.

HA: Euer Konzept ist jenseits der Frage, wie sich die Defizite

von La Défense vermittels vergleichbar einfacher und vor

allem machbarer Interventionen korrigieren lassen, auch

deswegen bemerkenswert, weil es die gebaute Realität an-

im städtischen Gefüge. Natürliches Licht in den «Unter-

grund» zu bringen, ist dafür Voraussetzung.

Eine wichtige Aufgabe besteht des Weiteren in der Imp-

lentierung einer neuen Bahnstation. Gemäss dem Grand-

Paris-Plan wird La Défense in wenigen Jahren eine neue

Bahnlinie zum Flughafen und eine weitere RER-Linie auf-

nehmen, und das bedeutet für die bestehende Station dann

den Kollaps.

SF: Generell ist Belebung ein wichtiges Thema, die Verbin-

dung mit der Umgebung. Am Wochende wirkt La Défense

wie ausgestorben. Deshalb sind unter anderem weitere Ide-

enwettbewerbe nötig, wie der Monofunktionalität des Quar-

tiers begegnet werden kann.

MA: Genau. Eigentlich wäre La Défense der richtige Ort, um

eine Universität für die Probleme der Spätmoderne zu grün-

den. Créteil ist architektonisch interessanter, aber La Dé-

fense besitzt letztlich die wirtschaftliche Kraft, welche diese

Idee ermöglichte.

La Défense erinnert mich an Versailles: ein gigantisches

Gebäude, viel grösser, als die eigentlichen Funktionen es er-

fordern. La Défense ist das Versailles des 20. Jahrhunderts.

Bearbeitung und Übersetzung: Hubertus Adam

2 Verbindung der Défense mit der Umgebung

3 Stärkung der Achse im Bereich von La Défense

4 Integration von Wohnnutzungen in den Sockel

5 Durchgrünung von La Défense

2 3 4 5

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MA: Der hermetische Charakter, der den Infrastruktursockel

heute bestimmt, bestand nicht von Anfang an. Doch die Öff-

nungen, Durchbrüche und Parks, die ursprünglich existier-

ten, sind im Verlauf des Ausbaus von La Défense sukzessive

verschwunden. Mit vergleichsweise einfachen Mitteln kann

man aber Abhilfe schaffen.

Der Sockel dient heute lediglich dem Verkehr und der An-

lieferung. Von den Parkplätzen, die in der Hochzeit der auto-

mobilen Ära geplant wurden, wird nur ein Bruchteil benö-

tigt. Interessanterweise werden alle diese Bereiche nicht

einmal videoüberwacht: Selbst Obdachlose verirren sich

nicht hierher. Unser erstes Ziel ist es, das Podium an strate-

gischen Stellen aufzubrechen und Verbindungen für Fuss-

gänger und Radfahrer zu schaffen, die hier bislang nicht

vorgesehen waren. Man kann La Défense bis dato mit dem

Fahrrad überhaupt nicht erreichen, es ist eine absolute Insel

Das erinnert an eure erste gemeinsame Arbeit, die Restruk-

turierung des Areals Praille Acacias Vernets (PAV), die euch

seit 2009 beschäftigt. Auch dort geht es um eine Gesamtana-

lyse, die dann in einer Strategie der kleinen Schritte ihre

Umsetzung findet.

MA: Anhand des Projektes in Genf haben wir gelernt, dass

sich die Grundlagen und Entscheidungen zwar jeden Tag

ändern, damit aber auch vieles möglich wird. Wir fungieren

als Mediatoren und Kommunikatoren.

HA: In La Défense ist der Infrastruktursockel euer eigentli-

cher Interventionsbereich. Welche Potenziale bietet dieser

Bereich?

erkennt und ihr dieser bei aller Kritik erkennbar Wertschät-

zung entgegenbringt. Wie man mit dem baulichen Erbe der

späten Moderne umgeht, ist derzeit ein wichtiges Thema.

MA: Ohne Frage: Für uns zählt La Défense zum patrimoine,

zum kulturellen Erbe. Aber in Frankreich gibt es mit dem

baulichen Erbe der Sechzigerjahre ein viel grösseres Problem

als in der Schweiz – was auch mit dem Problem des Mass-

stabs zu tun hat. Dabei ist das Image von La Défense nicht

nur schlecht: Ein gewisser Stolz ist immer noch zu spüren,

auch wenn die meisten Menschen negative Empfindungen

damit verbinden …

HA: … vielleicht, weil dort bislang auch kaum jemand lebt.

Es ist keines der heute vielfach diskreditierten grands en-

sembles des sozialen Wohnungsbaus in der Banlieue.

HA: Von der Durchwegung und der Neudefinition öffentli-

cher Räume abgesehen: Wie reagiert ihr auf die Monofunk-

tionalität eines reinen Büroquartieres?

MA: Hunderttausend Quadratmeter an Fläche sind noch un-

genutzt. Das bietet ungeahnte Potenziale, insbesondere für

das Wohnen. Gerade der Sockel ist interessant, weil achtzig

Prozent der Parkplätze nicht benötigt werden. Nutzt man die

Möglichkeiten des Sockels geschickt, liessen sich Häuser in-

tegrieren, zum Teil sogar mit einem fantastischen Blick über

Paris.

HA: Euer Konzept ist jenseits der Frage, wie sich die Defizite

von La Défense vermittels vergleichbar einfacher und vor

allem machbarer Interventionen korrigieren lassen, auch

deswegen bemerkenswert, weil es die gebaute Realität an-

im städtischen Gefüge. Natürliches Licht in den «Unter-

grund» zu bringen, ist dafür Voraussetzung.

Eine wichtige Aufgabe besteht des Weiteren in der Imp-

lentierung einer neuen Bahnstation. Gemäss dem Grand-

Paris-Plan wird La Défense in wenigen Jahren eine neue

Bahnlinie zum Flughafen und eine weitere RER-Linie auf-

nehmen, und das bedeutet für die bestehende Station dann

den Kollaps.

SF: Generell ist Belebung ein wichtiges Thema, die Verbin-

dung mit der Umgebung. Am Wochende wirkt La Défense

wie ausgestorben. Deshalb sind unter anderem weitere Ide-

enwettbewerbe nötig, wie der Monofunktionalität des Quar-

tiers begegnet werden kann.

MA: Genau. Eigentlich wäre La Défense der richtige Ort, um

eine Universität für die Probleme der Spätmoderne zu grün-

den. Créteil ist architektonisch interessanter, aber La Dé-

fense besitzt letztlich die wirtschaftliche Kraft, welche diese

Idee ermöglichte.

La Défense erinnert mich an Versailles: ein gigantisches

Gebäude, viel grösser, als die eigentlichen Funktionen es er-

fordern. La Défense ist das Versailles des 20. Jahrhunderts.

Bearbeitung und Übersetzung: Hubertus Adam

2 Verbindung der Défense mit der Umgebung

3 Stärkung der Achse im Bereich von La Défense

4 Integration von Wohnnutzungen in den Sockel

5 Durchgrünung von La Défense

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