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herausgegeben von
der Stadt Landau in der Pfalz
mit Beiträgen von
Karl Georg Berg
Thomas Fandel
Falko Heinz
Hans Kirsch
Christine Kohl-Langer
Michael Martin
Christmut Präger
Walter Rummel
Erich Schunk
Paul Warmbrunn
Landau und derNationalsozialismus
Schriftenreihe zur Geschichte
der Stadt Landau in der Pfalz
Band 10
� Landau und der Nationalsozialismus
Abbildungsnachweis: Sofernnichtandersangegeben,stammenalleAbbildungen
ausdenBeständendesStadtarchivsLandau.
Titel: LandauundderNationalsozialismusHerausgeber: StadtLandauinderPfalzHerstellung: verlag regionalkulturLayout: KlugeGestaltung,LandauinderPfalzUmschlaggestaltung: KlugeGestaltung,LandauinderPfalzSatz: KatjaLeschhorn,vr
SchriftenreihezurGeschichtederStadtLandauinderPfalzBand10
ISBN978-3-89735-757-0
BibliographischeInformationderDeutschenBibliothekDieDeutscheBibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschenNationalbiblio-graphie;detailliertebibliographischeDatensindimInternetüberhttp://dnb.ddb.deabrufbar.
DiesePublikationistaufalterungsbeständigemundsäurefreiemPapier(TCFnachISO9706)gedrucktentsprechenddenFrankfurterForderungen.
AlleRechtevorbehalten.©2013verlag regionalkultur
verlag regionalkulturUbstadt-Weiher•Heidelberg•Neustadta.d.W.•Basel
Korrespondenzadresse:
Bahnhofstraße2•D-76698Ubstadt-WeiherTel.0725136703-0•Fax0725136703-29E-Mail [email protected]•Internet www.verlag-regionalkultur.de
Landau und der Nationalsozialismus 11Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
„Man kann darauf gespannt sein, wie sich die Bewegung weiterentwickelt“. Die Landauer NSDAP 1923 bis 1933 ....................................................................15Christine Kohl-Langer
Wer wählte warum Hitler? ............................................................................49Christine Kohl-Langer
Die „braune Revolution“ in der Stadt:Stadtrat, Verwaltung, Polizei, Archiv ..........................................................73Michael Martin
„Es fehlt ihnen nichts als die Freiheit“. Schutzhaft in Landau ....................................................................................101Christine Kohl-Langer
Die Mitglieder der NSDAP und ihrer Organisationen ............................107Michael Martin
Die pfälzische Gestapo 1933–1945. Von der klassischen Politischen Polizei zur Weltanschauungsexekutive ........................................................................ 117Hans Kirsch
„Wir müssen das Herz der Jugend gewinnen“. Die Erziehung der Landauer Jugend .........................................................139Michael Martin
Siedlungsbau nach 1933 in Landau ............................................................179Christmut Präger
Der Landauer Löwe – ein Beispiel nationalsozialistischer Kriegstoten-Ehrung .........................187Christmut Präger
Das Landauer Kulturleben in der NS-Zeit ................................................199Karl Georg Berg
1� Landau und der Nationalsozialismus
Die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 .................................................221Michael Martin
„Die wahren Schuldigen sind in der Presse zu suchen“. ........................225Erich Schunk
Die Landauer Justiz in der NS-Zeit ............................................................245Paul Warmbrunn
Verfolgung und Widerstand ......................................................................273Michael Martin
Die Landauer KPD .......................................................................................293Michael Martin
Die Landauer SPD ........................................................................................299Christine Kohl-Langer
Freimaurer und Logen ................................................................................303Michael Martin
Die „Zigeuner“ .............................................................................................307Michael Martin
„Die Ernsten Bibelforscher“. Die Zeugen Jehova ....................................313Michael Martin
„Ein derartiges Wesen gehört für die Menschheit unschädlich gemacht (…)“. Die Verfolgung von Behinderten ...................................................................315Michael Martin
„Was der Nationalsozialismus Christentum nennt, ist nicht mehr Christentum Christi“. Aspekte des Verhältnisses von katholischer Kirche und Nationalsozialismus in Landau unter besonderer Berücksichtigung oppositionellen Verhaltens .........................................321Thomas Fandel
„Christliche Verkündigung im Zeichen des Kampfes“.Der Landauer Protestantismus im Dritten Reich ....................................357Erich Schunk
Landau und der Nationalsozialismus 1�Inhaltsverzeichnis
Zwangsarbeit in Landau .............................................................................385Michael Martin
Der Weg in die Vernichtung. Vorstufen des Terrors ..................................................................................401Michael Martin
Die Nacht vom 9./10. November 1938 .....................................................427Michael Martin
Die Deportation der badisch-pfälzischen Juden nach Gursund die Judenpolitik der Vichy-Regierung ..............................................493Michael Martin
„Arisierung“ in Landau ..............................................................................509Walter Rummel
„Nachgeprüft und als wahrheitsgetreu befunden“.Entnazifizierung in Landau in der Pfalz 1945–1949 ...............................535Falko Heinz „Stacheldraht-Kur“. Das Internierungslager Fortkaserne in Landau in der Pfalz 1945–1949 ..............................................................565Falko Heinz
Gedenkstein ..................................................................................................591Michael Martin
Who is Who ...................................................................................................593Michael Martin
Prototypen:Heinrich Renner. Der FeingeistDr. Friedrich Griesbach. Der NationalistDr. Robert Mühl-Kühner. Der FanatikerJakob Bosch. Der Antisemit ........................................................................635Michael Martin
Chronologie ..................................................................................................657Michael Martin
1� Landau und der Nationalsozialismus
Landauer Straßennamen im Wandel der Zeit .........................................703Michael Martin
Abkürzungen ................................................................................................705Michael Martin
Die Quellenüberlieferung ...........................................................................707Michael Martin
Bibliographie ..................................................................................................711
Autoren ..........................................................................................................719
Landau und der Nationalsozialismus 1�Die Landauer NSDAP 19�� bis 19��
Einzug franzö-
sischer Truppen im
Dezember 1918
„Man kann darauf gespannt sein, wie sich die Bewegung weiterentwickelt“. Die Landauer NSDAP 1923 bis 1933
C h r i s t i n e K o h l - L a n g e r
Das Jahr 1923 – Mehr als eine Krise
„Wird das Jahr das letzte unserer Leiden sein, das letzte der Trostlosigkeit und des wachsenden Elends“, fragte der Reichstagsabgeordnete der Deut-schen Volkspartei Otto Hugo in einem Leitartikel am 30. Dezember 1922 im „Landauer Anzeiger“ und traf damit mitten in die Stimmung der Landauer Bevölkerung. Kaum ein Zeitgenosse hatte die frühen Jahre der Weimarer Republik als eine politisch stabile und wirtschaftlich prosperierende Ära empfunden. Zu groß schienen die Herausforderungen und Probleme im Nachkriegsdeutschland der 20er Jahre, als dass man mit Zuversicht und Vertrauen in ein neues Jahr geblickt hätte. Die letzten Tage des Jahres 1922 ließen nichts Gutes erwarten. Bang fragte man sich in Landau, was das neue Jahr bringen würde.
Seit vier Jahren hielten französische Truppen der VIII. französischen Armee unter General Gérad die Stadt besetzt. Bereits die ersten Tages-befehle hatten verdeutlicht, dass die Franzosen als Sieger und Besatzer aufzutreten gedachten, mit dem Ziel, das linke Rheinufer langfristig an
16 Landau und der Nationalsozialismus
Frankreich zu binden. Die Strategie der französischen Besatzer durchlief in den kommenden Jahren mehrere Phasen, von der völligen Isolierung des Besatzungsgebietes vom Reich und der offenen Unterstützung sepa-ratistischer Bewegungen bis hin zur subtileren „pénétration pacifique“, dem Versuch, die Bewohner des linken Rheinufers mithilfe gezielter Kul-turpropaganda auf die Seite Frankreichs zu ziehen, etwa mit kostenlosem Französischunterricht, Theateraufführungen, Konzerten, Kunstausstel-lungen oder deutsch-französischen Kulturzeitschriften. Requirierungen von Wohnraum, Übergriffe auf die Bevölkerung und ein geradezu absurder Bestrafungskatalog für die geringsten Vergehen führten indessen in der Landauer Bevölkerung zu zunehmender Ablehnung der französischen Streitkräfte. Zumal niemand die genaue Stärke der Besatzung kannte, die Stadtverwaltung ging von 5 000 Soldaten und 2 000 französischen Militäran-gehörigen aus, auch andere Stellen hatten ähnliche Zahlen zugrunde gelegt. Auch wenn Landau als ehemaliger Garnisonsstandort durchaus gerüstet schien, waren nun noch zusätzliche Militärorganisationen in der Stadt ansässig, so zum Beispiel eine französische Autokompanie, eine Train- und Telegrafenabteilung, eine Gendarmerie- und eine Geheimpolizeistation, das Kriegsgericht des 32. Armeekorps und das Militärpolizeigericht.
Das Desaster kulminierte im Jahr 1923: In der Auseinandersetzung um die deutschen Reparationszahlungen besetzten französische und belgische Truppen ab dem 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet, um die dortige Kohle- und Koksproduktion als „produktives Pfand“ zur Erfüllung der deutschen Re-parationszahlungen zu sichern. Die französische Regierung verfolgte dabei nicht nur die Erfüllung der Reparationsverträge, man intendierte vielmehr
Französischer Lesesaal
in der Kronstraße
Landau und der Nationalsozialismus 1�Die Landauer NSDAP 19�� bis 19��
eine politische Sonderstellung des linken Rheinufers mit dominierendem politischen Einfluss Frankreichs. Die Besetzung des Rheinlandes löste einen Aufschrei nationaler Empörung aus. Die Reichsregierung unter Kanzler Wilhelm Cuno rief die Bevölkerung zum „passiven Widerstand“ nicht nur im Rheinland, sondern auch in der Pfalz auf. Schon am kommenden Sonntag stimmte ein deutschlandweiter „vaterländischer Trauertag“ die Bevölkerung auf den bevorstehenden passiven Widerstand ein. Die Inter-alliierte Rheinlandkommission verbot daraufhin jegliche Aktivitäten, so durfte auch in Landau an jenem Sonntag kein Theater gespielt und kein Kino besucht werden.
Dieser passive Widerstand betraf zunächst in erster Linie die Eisenbah-ner, die den Transport von beschlagnahmter Ruhrkohle boykottierten und sich weigerten, die Züge zu fahren und abzufertigen. Bereits Anfang Februar rechnete man in der Pfalz mit ansteigender Ausweisung der Eisenbahner und baute die rechtsrheinische Beratungsstelle in Mannheim für ausgewie-sene Pfälzer aus. Bis Anfang November 1923 wurden rund 6 000 Beamte und Eisenbahner mit ihren Familien von französischen Stellen aus der Pfalz ausgewiesen – und das oft innerhalb kürzester Zeit. Die Landauer Zeitungen berichteten täglich über die Ausweisungen, die für die betroffenen Familien außerordentlich schwer zu meistern waren. Innerhalb nur weniger Stunden musste der Hausrat verpackt werden, die Landauer Umzugsfirmen hatten Hochkonjunktur. Nachdem der passive Widerstand anhielt, verlangten die Franzosen außerdem eine Wertabgabe von 10 Prozent des Hausrates, der dann im Sommer 1923 ganz in Landau zurückbleiben und dessen Vollständigkeit von den jeweiligen Bürgermeistern persönlich garantiert werden musste. Diejenigen, die im Rechtsrheinischen bei Freunden oder Verwandten unterkommen konnten, hatten dabei noch Glück, schwierig war es für jene, die auf die Flüchtlingsfürsorge in Heidelberg oder auf die Hilfsstelle im Luxhof bei Speyer angewiesen waren. Natürlich hoffte die französische Besatzungsmacht, dass der passive Widerstand bald in sich zusammenfallen würde, doch die Bevölkerung blieb standhaft, nicht zuletzt von Durchhalteparolen aus Berlin und München unterstützt.
Auch das alltägliche Straßenbild änderte sich durch die „Militarisierung der Eisenbahnen“ im Verlauf des Jahres 1923. Alles, was sich bewegen konnte, wurde nun instand gesetzt und benutzt, und „Fußgänger waren mit Beförderungsmitteln der primitivsten Art“ unterwegs. Einem kleinen Bruchteil der Bevölkerung gelang es, mit den Postomnibussen ihr Reiseziel zu erreichen, nur wenige waren es, denen dieses mit eigenem Fuhrwerk gelang, andere suchten auf hochgeladenen Wagen vom Lande in die Stadt zu kommen. Der „Landauer Anzeiger“ berichtete von „Frauen jeglichen