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VII. DIE LANGOBARDISCHEN HERZOGSTITEL BIS 774 1. Der langobardische Funktionstitel „dux" Die fränkische Invasion von 774 bewirkte sowohl Ende wie Änderung der langobardischen Staatlichkeit in Italien. Das selbständige Königtum ging zugrunde; das Herzogtum von Spoleto verlor mehr und mehr auch die formalen Möglichkeiten, sich als Staat im Staate zu manifestieren. Hingegen stieg das Herzogtum Benevent zum Prinzipat auf, der sich als Erbe des langobardischen Regnum gab und, von Byzanz wie dem Karolingerreich weitgehend unabhängig, bis 1050 behaupten konnte 1 ). Obwohl es paradox wirken muß, wenn man die Behandlung der italischen „Fürstentitel" dort schließt, wo der erste eigentliche Princeps-Titel auftritt, so sollen die unter- italienischen Fürstentitel doch dem nächsten Band vorbehalten bleiben, da ihr Typus weit in das Hochmittelalter hinein fortlebt. Schon allein aus formalen Gründen hat man die langobardischen Her- zogstitel vor 774 in zwei Gruppen einzuteilen; ihnen ist nur der Funktions- titel „dux" gemeinsam. Ein einfacher Titeltypus, der sachlich wie dem Worte nach der Intitulatio der fränkischen „Amtsherzöge" gleicht 2 ), steht den reich ausgestatteten und kompliziert aufgebauten Fürstentiteln der Herzöge von Benevent und Spoleto gegenüber. Während diese „duces" eine verhält- nismäßig große Zahl echter Urkunden hinterließen, bleibt die Überlieferung zum „Amtsherzogstitel" auf kümmerliche Reste beschränkt. Die urkund- lichen Selbstaussagen der einen wie der anderen Gruppe von Herzögen setzen erst mit dem Beginn des 8. Jahrhunderts ein. Die auffallende Differenzierung der beiden möglichen Grundformen langobardischer Herzogstitel kann man sich jedoch aus der langobardischen Geschichte des 8. Jahrhunderts nicht erklären. Mit Liutprand wuchs die Macht des langobardischen Königtums beträchtlich und konnte seinen Ein- fluß erfolgreich auch über den Süden der „Langobardia" ausdehnen. Spoleto, ja sogar das ferne Benevent gerieten in dauernde oder zumindest vorüber- gehende Abhängigkeit von Pavia; der König setzte seine Leute als Herzöge ein oder nahm, wie Aistulf im Dukat von Spoleto, die unmittelbare Ausübung der Herrschaft in Anspruch. In den letzten Dekaden des langobardischen Regnum begann also der Unterschied zwischen den Herzögen von Benevent und Spoleto einerseits und den Herzögen des eigentlichen Reichsgebietes Belting, Studien zum beneventanischen Hof 143 f., bes. Anm. 2. ») Siehe oben 141 ff. Brought to you by | New York University Bobst Library Technical Services Authenticated Download Date | 12/9/14 3:55 AM

Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts () || VII. DIE LANGOBARDISCHEN HERZOGSTITEL BIS 774

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VII. D I E LANGOBARDISCHEN HERZOGSTITEL B I S 774

1. Der langobardische Funktionstitel „dux"

Die fränkische Invasion von 774 bewirkte sowohl Ende wie Änderung der langobardischen Staatlichkeit in Italien. Das selbständige Königtum ging zugrunde; das Herzogtum von Spoleto verlor mehr und mehr auch die formalen Möglichkeiten, sich als Staat im Staate zu manifestieren. Hingegen stieg das Herzogtum Benevent zum Prinzipat auf, der sich als Erbe des langobardischen Regnum gab und, von Byzanz wie dem Karolingerreich weitgehend unabhängig, bis 1050 behaupten konnte1). Obwohl es paradox wirken muß, wenn man die Behandlung der italischen „Fürstentitel" dort schließt, wo der erste eigentliche Princeps-Titel auftritt, so sollen die unter-italienischen Fürstentitel doch dem nächsten Band vorbehalten bleiben, da ihr Typus weit in das Hochmittelalter hinein fortlebt.

Schon allein aus formalen Gründen hat man die langobardischen Her-zogstitel vor 774 in zwei Gruppen einzuteilen; ihnen ist nur der Funktions-titel „dux" gemeinsam. Ein einfacher Titeltypus, der sachlich wie dem Worte nach der Intitulatio der fränkischen „Amtsherzöge" gleicht2), steht den reich ausgestatteten und kompliziert aufgebauten Fürstentiteln der Herzöge von Benevent und Spoleto gegenüber. Während diese „duces" eine verhält-nismäßig große Zahl echter Urkunden hinterließen, bleibt die Überlieferung zum „Amtsherzogstitel" auf kümmerliche Reste beschränkt. Die urkund-lichen Selbstaussagen der einen wie der anderen Gruppe von Herzögen setzen erst mit dem Beginn des 8. Jahrhunderts ein.

Die auffallende Differenzierung der beiden möglichen Grundformen langobardischer Herzogstitel kann man sich jedoch aus der langobardischen Geschichte des 8. Jahrhunderts nicht erklären. Mit Liutprand wuchs die Macht des langobardischen Königtums beträchtlich und konnte seinen Ein-fluß erfolgreich auch über den Süden der „Langobardia" ausdehnen. Spoleto, ja sogar das ferne Benevent gerieten in dauernde oder zumindest vorüber-gehende Abhängigkeit von Pavia; der König setzte seine Leute als Herzöge ein oder nahm, wie Aistulf im Dukat von Spoleto, die unmittelbare Ausübung der Herrschaft in Anspruch. In den letzten Dekaden des langobardischen Regnum begann also der Unterschied zwischen den Herzögen von Benevent und Spoleto einerseits und den Herzögen des eigentlichen Reichsgebietes

Belting, Studien zum beneventanischen Hof 143 f., bes. Anm. 2. ») Siehe oben 141 ff.

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186 VII. Die Iangobardischen Herzogstitel bis 774

andrerseits immer mehr zu schwinden3). Wenn aber die Herzogsurkunden in den beiden südlichsten Dukaten die reiche fürstliche Intitulatio weiterhin gebrauchten, so hielt sich diese der politischen Entwicklung nahezu zum Trotz. Auf jeden Fall können ihre Herzogstitel nicht damals erst entstanden sein. Auch muß die Ursache für die starke Differenzierung innerhalb der Iangobardischen Herzogstitel vor dem Zeitpunkt liegen, da die ersten ur-kundlichen Belege dafür vorhanden sind, weil sie die politische Situation des achten Jahrhunderts nicht erlaubt hätte.

Die Quellen, die von der Iangobardischen Landnahme in Italien be-richten, erwähnen gleichzeitig auch „duces". Der erste von ihnen war nach Paulus Diaconus Herzog von Friaul; seine Einsetzung erfolgte planmäßig auf Grund einer königlichen Willenserklärung. Schon Muratori unterschied die Herzöge von Benevent und Spoleto als „maiores duces" von den übri-gen4). Bei Paulus Diaconus werden nach Gisulf I. von Friaul als nächste Herzöge die ersten „maiores duces" genannt, und zwar in der umgekehrten Folge ihres späteren Ranges5). Nach der Ermordung Klefs, des zweiten Langobardenkönigs in Italien, blieb die „gens" durch rund ein Jahrzehnt „sub ducibus"6). Davon weiß nicht allein Paulus Diaconus, sondern auch andere Autoren berichten dieses Faktum7) , das sich auch im amtlichen Brief-wechsel päpstlicher und byzantinischer Kanzleien widerspiegelt8). a) Pabst, Geschichte des Iangobardischen Herzogthums 474 ff. Hartmann, Geschichte

Italiens im Mittelalter 2, 2, 132 ff. F. Hirsch, Das Herzogthum Benevent 36 ff. Jenny, Geschichte des Herzogtums Spoleto. Die deutschsprachigen Gesamtdarstel-lungen wirken in Aufbau und Verarbeitung des Materials schon etwas veraltet. Die intensive italienische Forschung zum Thema (vgl. Dupre—Theseider, Literatur-bericht 635 ff.) bietet in Einzelfragen eigenständige Untersuchungen. Eine aus-gezeichnete, wenn auch sehr knappe Übersicht zum Thema erarbeitete jüngst erst Belting, Studien zum beneventanischen Hof 143 ff.

*) Pabst 452. Wenn sie Savigny mit den bayerischen und alemannischen Herzögen des Frankenreiches vergleicht, so verwischt diese Gegenüberstellung die grundlegende Differenz, die zwischen den Iangobardischen Herzögen von Benevent und Spoleto und den zu Stammesherzögen werdenden fränkischen „Amtsherzögen" besteht. Die Spoletaner und Beneventaner sind nicht wie die Bayern, Alemannen, Thüringer usw. von den übrigen Reichsbewohnern der Theorie nach stammesverschieden.

5) Paul. Diac. I I 9; S. 91 (Friaul). I I I 13; 122 (Spoleto; vor der Königserhebung Autharis, die I I I 16; S. 123 berichtet wird). I I I 33; S. 138: „Fuit autem primus Langobardorum dux in Benevento nomine Zotto, qui in ea principatus est per curricula viginti annorum". Vorher I I I 32; a. a. O. hat Paulus von einem angebli-chen Zug Autharis durch Spoleto und Benevent bis an die Südspitze der Halbinsel erzählt. Eine Einsetzung Zottos kann man daraus allerdings nicht ableiten, weil sein Nachfolger Arichis bereits 592 (Reg. Greg. I I 45; S. 145) genannt wird. Rechnet man von diesem Datum die zwanzig Regierungsjähre Zottos zurück, so kommt man in eine Zeit, die auf jeden Fall noch vor dem Interregnum liegt. (Alboin starb 572; Klef 574: Holder-Egger, Langobardische Regesten 229 ff.).

·) Paul. Diac. I I 32; S. 108 f. ') Bognetti, L'influsso 174. 8) Paul. Diac. gebraucht häufig die Variante „ductor" zu „dux". Bognetti 201 Anm.

83 bemerkt richtig zu II 9; S. 91 „ma esiterei a vedervi il riflesso dell'uso vivo della parola Herzog". Vgl. auch Bognetti 202. Wenn Paulus Diaconus ein langobardi-sches Wort für „dux" gekannt hätte, hätte er es uns sicher mitgeteilt. Denn daß er

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1. Der langobardische Funktionstitel „dux" 187

Das Interregnum von 574 auf 5849) bedeutete für die römische Zivil-bevölkerung eine Zeit des Schreckens10). Gleichzeitig führten jedoch byzan-tinisches Gold und der Partikularismus der „duces" das Langobardenreich an den Rand der Auflösung. Der Untergang dieses jüngsten der barbarischen Regna schien unmittelbar bevorzustehen11). Wohl noch im Jahre 590 schrieb der Exarch Romanus an seinen fränkischen Verbündeten Childe-bert II. einen Brief12). Der byzantinische Beamte analysierte darin die poli-tische Situation Italiens und die Möglichkeiten, sie zu beeinflussen und zu kontrollieren. Unter anderem kann Romanus auf die Tendenz der lango-bardischen Großen und „duces" hinweisen, sich dem durch Authari wieder-errichteten13) Königtum zum Trotz der „respublica" anzuschließen. Die Terminologie, deren sich der Exarch zur Darstellung der Ereignisse bediente, ist nun höchst aufschlußreich.

Romanus spricht nämlich wie selbstverständlich von den „duces Lango-bardorum". Wird dieser Begriff in einer literarischen Quelle gebraucht, so kann er die einfache Zugehörigkeit eines Anführers zu einer „gens" meinen14). In einem amtlichen Schreiben besitzt der Ausdruck größeren Wert, nahezu so viel wie ein Terminus technicus. Auch merkt man keine Spur davon, daß Romanus langobardische Einrichtungen „römisch" interpretiert hätte, wenn er Aufgabenbereich und Rang dieser „duces" beschreibt: Diese sind in bestimmten Städten der Poebene eingesetzt — „constituti"15) —, um die dort stationierten Truppen zu befehligen und die zivile Verwaltung zu organisieren. Außerdem führen sie die ordnungsgemäßen Rangprädikate des byzantinischen Amtsschematismus. Der „vir magnificus dux" Gisulf steht

für die volkssprachlichen Termini des Verfassungslebens Interesse hatte, geht aus der Quellenzusammenstellung hervor, die Anm. 28 versucht wurde. Man könnte „ductor" vielleicht für eine Analogiebildung zu „rex-rector" halten, die im Kreise Karls des Großen üblich war: MGH Capit. i, 53 n. 22. Eher möchte ich jedoch meinen, daß „dux" über „ductor" schließlich zu „herzog" führte als umgekehrt. Diese Überlegung sowie die Herkunft von „ductor" belegt Isid. Etym. IX 3, 21, wo es heißt: „dux dictus eo quod sit ductor exercitus". Die Verbindung von „dux-ductor" und „exercitus" ist jedoch sowohl Paulus Diaconus wie etwa auch dem Edictus Langobardorum allgemein: Vgl. nur Paul. Diac. VI 24; S. 223 und Ro. 20—25; Beyerle 12 ff. Zur Terminologie des amtlichen Brief Verkehrs siehe Anm. 12 und 25 f.

·) Holder—Egger, Langobardische Regesten 230 f. 10) Wie Anm. 6. n ) Bognetti, L'influsso 174. Dupre—Theseider, Literaturbericht 638. 12) Ep. Austras. 41; S. 147. Zur Datierung und Bestimmung der erwähnten Personen,

im besonderen Nordulfs, Gisulfs II. , Grasulfs und Ossos, siehe Goubert, Byzance et les Francs 195 ff.

13) Paul. Diac. I I I 16; S. 123 (a. 584). 14) Marius von Avenches (a. 573); S. 238: „Hoc anno dux Langobardorum nomine

Clebus genti ipsius rex ordinatus est." In diesem Falle, d. h. bei der Interpretation des untechnischen Sprachgebrauchs der Literatur, stimme ich Rolf Sprandel, Dux und comes 51, gerne zu.

15) Daß „duces" eingesetzt werden — „constituere ducem" — entspricht der techni-schen Terminologie der Zeit, die sich überhaupt auf die Bestellung von „Amts-trägern" erstreckt; vgl. etwa Reg. Greg. IX 66; 2, 86. Paul. Diac. I I 9; S. 91. Ernst Mayer, Verfassungsgeschichte 2, 267 ff. 271 ff. Levison, NA 27, 351 Anm. 1.

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188 VII. Die langobardiechen Herzogstitel bis 774

um eine Stufe tiefer als der früher schon in byzantinische Dienste eingetretene Langobarde „gloriosus Nordoulfus patricius". Dieser ist wieder einem „vir gloriosus" gleichrangig, der den „exercitus Romanus" befehligte; doch bleibt Nordulf trotz seines Patriziats1®) dem „excellentissimus patricius et exarchus" nachgeordnet, der auch alle Unternehmungen gegen das Lango-bardenreich koordinierte und leitete17).

Der Chef des auf Befehl des Exarchen operierenden römischen Heeres dürfte wohl jener „magister militum et dux" gewesen sein, den Papst Pelagius im Oktober 584 für die Verteidigung der Stadt vom Kaiser erbat18). Darstellung und Interpretation der geschilderten Absichten und Ereignisse entdecken die wichtige Gleichung „magister militum — dux". Am Ende des 6. Jahrhunderts konnte nämlich ein römischer „dux" mit dem militäri-schen Magistrat ausgezeichnet werden, ohne daß sich dadurch seine Aufgaben und Machtmittel geändert hätten19). Hingegen läßt der amtliche Brief-verkehr der Zeit erkennen, daß an der faktisch inhaltslos gewordenen Amts-bezeichnung „magister militum" immer noch das höhere Rangprädikat „vir gloriosus" hing und diesen Militärbefehlshaber mit einem als Titular-patrizius geehrten „dux" nahezu gleichsetzte20).

Die Umwandlung der politischen Terminologie ging der Themenorgani-sation des 7. Jahrhunderts voraus, zielte jedoch schon deutlich darauf und damit auf die Bezeichnung „dux et patricius" ab. Die Veränderung ergab sich notwendig aus der politischen Lage nach dem Einbruch der Langobar-den. Die Halbinsel war von Grenzen und Fronten durchzogen und in kleine und kleinste Teile aufgespalten. Befehligten bisher die „duces" als rang-niedere Chefs von Grenzarmeen die „limitanei" in den bedrohten Grenz-provinzen, so benötigte nun Italien selbst „duces provinciae". Diese mußten

") Nordulf war wohl ein langobardischer „dux", der mit seinen Leuten zum Kaiser übergegangen war: Goubert (wie Anm. 12). Reg. Greg. II 45; S. 144: „ . . . quia Ariulfus exercitum Auctarit et Nordulfi habens eorum sibi dari precaria desiderat, . . .". Siehe auch V 36; S. 318. Den Patriziat dürfte er sich in byzantinischen Diensten verdient haben. Hartmann, Untersuchungen 138, kennt ihn nicht und übergeht ihn auch 154 f.; vgl. Hartmann, Untersuchungen 30: „patricius et dux" als Bezeichnung des Themenbefehlshabers.

") Die Titulatur stammt aus dem Liber Diurnus n. 59; S. 49. Zur Organisation der byzantinischen Militärverwaltung in Italien siehe Hartmann, Untersuchungen 55 ff. und die dazugehörigen Anmerkungen, sowie 28 mit den Anmerkungen. Vgl. Koch, Beamtentitel 92 f.

18) Reg. Greg. Append. II; 2, 441: „. . . vel unum magistrum militum et unum ducem dignetur concedere (sc. imperator)." Vgl. Reg. Greg. II 45; S. 145: „. . . et valde insidiatur eidem civitati (sc. Neapolitanae), in qua, si celeriter dux non mittitur, omnino iam inter perditas habeatur."

") Besonders gut stellte Hartmann, Untersuchungen 154 f., das entsprechende Mate-rial vom Ende des sechsten Jahrhunderts zusammen. Vgl. Sprandel, Dux und comes 51 ff. Hingegen wurde die Bezeichnung „magister militum (et dux)" im achten Jahrhundert etwa auch für den Befehlshaber des römischen Dukats in „patricius et dux" umgewandelt und damit an den „Titel des Themenbefehlshabers" ange-glichen: Hartmann 30.

20) Hartmann 154.

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1. Der langobardische Funktionstitel „dux" 189

in ihrem jeweiligen Amtsbereich meist völlig selbständig operieren, um ihren militärischen Aufgaben einigermaßen gerecht zu werden. Bis zur Reorgani-sation des byzantinischen Italiens, die Leo III. (717/18—741) nach der Niederschlagung der „italischen Revolution" durchführte, unterstanden alle jene „viri gloriosi" und „viri magnifici (illustres)" dem Exarchen von Ravenna21). Und wie dieser als „vir excellentissimus" dem Langobarden-könig zum Vorbild diente, so daß sein Rangtitel auch in die königliche In-titulatio aufgenommen wurde22), so zogen die langobardischen „duces" mit denen der Römer gleich. Noch im 8. Jahrhundert konnten die langobardi-schen Großen je nach ihrer Bedeutung mit dem Gloriosissimat oder Magnifi-kat ausgezeichnet werden23), wobei der zweite Rang mit dem Illustrat im engeren Sinne auf einer Stufe stand24).

Der Exarch Romanus, der für die Beurteilung der Rangverhältnisse seiner Zeit der sicherste Richter ist, nannte den „Überläufer" Gisulf II. von Friaul einen „vir magnificus dux". Damit stimmt auch völlig die Titulatur überein, die Gregor der Große den „duces" von Neapel, Campanien, Sardi-nien und anderer Gebiete gegenüber anwendete, solange diese noch keine „magistri militum" ehrenhalber waren25). Gregors Einschätzung des Herzogs Arichis I., des zweiten „dux" von Benevent, muß daher um so mehr auf-fallen. Dieser „dux" wurde zwar nachweisbar vom König eingesetzt und stammte überdies nicht aus Benevent. Aber er hatte unabhängig vom König-tum den „Staat" geschaffen, den das Herzogtum Benevent in Zukunft bilden sollte. Der Inhaber eines so auffallend großen Dukats gilt dem Papst wie selbstverständlich als „vir gloriosus"; seine Anrede ist „gloria vestra"24).

" ) A. a. O. 56 f. Zur Themen Verfassung: ebendort 30. '*) Man vgl. etwa Reg. Greg. IX 66; 2, 86 (Anrede an den Langobardenkönig Agilulf:

„Gratias excellentiae vestrae referimus") und XI I I 36; S. 399 (Anrede an den Exarchen Smaragdus: „Olim novimus, excellentissime fili, . . ."). Siehe oben 66 f.

83) Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 113. Schiaparelli, Codice diplomatico 1, 182 n. 56 (a. 736). A. a. Ο. 1, 48 n. 17 (a. 714). Troya 3, 124 n. 393. „Vir magnificus" ist jedoch im achten Jahrhundert besonders das Rangprädikat für den Spoletiner Gastalden: Regesto di Farfa 2, 35 n. 26 und öfters. Zum Ver-hältnis von „vir inluster" und „vir magnificus "siehe Anm. 24. Vgl. auch oben 162 Anm. 34.

M) Koch, Beamtentitel 49, 51, besonders jedoch 54 f. Es gibt jedoch auch einen Illustrat, der schon der Abwertung unterworfen ist — im Obertext wurde er als „im eigentlichen Sinn" bezeichnet —; dieser ist dem Magnifikat gleich: Koch a. a. 0 . 43 f. Hartmann, Untersuchungen 154.

") Reg. Greg. IX 70; 2, 89 und 195; 2, 183: derselbe „dux" wird einmal als „magni-tudo", dann aber als „gloriosus magister militum" angesprochen. X 5; 2, 240. XIV 10; 2, 429. Siehe auch Hartmann wie Anm. 24.

2e) Reg. Greg. IX 126; 2, 127. Zur Geschichte des Arichis siehe etwa auch F. Hirsch, Das Herzogthum Benevent 6 ff. und 18 ff. Unklar bleibt jedoch, ob er schon oder noch sein Vorgänger Zotto vor 592 mit Byzanz in Verbindung stand. Reg. Greg. I I 45; S. 145 müßte jedenfalls mit Bognetti, L'influsso 175 Anm. 13 konfrontiert werden. Der Brief Gregors an Arichis schien freilich Paulus Diaconus so wichtig, daß er ihn IV 19; S. 153 ausschrieb. A. a. O. 18; S. 152 f.: „Mortuo igitur Zottone Beneventanorum duce Arigis in loco ipsius a rege Agilulfo missus successit; qui ortus in Foroiulii fuerat et . . . Gisulfo (duci; vgl. I I 9; S. 91) consanguineus erat."

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190 VII. Die langobardischen Herzogstitel bis 774

Vergleicht man die Wertung, die Arichis und dem „patricius" Nordulf einerseits und Gisulf II. andrerseits von den „Römern" zuteil wurde, so findet man die drei langobardischen „duces" völlig in die Ordnung einge-schlossen, die sich im byzantinischen Militär Italiens während der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts entwickelt hatte. Es gab ranghöhere, den ehe-maligen „magistri militum" gleichgestellte „duces", und rangniedere, deren Rangprädikate dem eigentlichen Dukat zustanden. Die Herzöge von Bene-vent zählten wie selbstverständlich zu den „duces maiores".

War nun der langobardische Dukat nichts anderes als die Übertragung eines byzantinischen Ausdrucks auf eine militärisch-politische Einheit der Langobarden ? Oder hat der byzantinische Dukat, der vor seiner Umwand-lung in die Themenverfassung stand, diese langobardische Einheit ganz oder teilweise erst geschaffen ?

Die erste Frage ist verhältnismäßig leicht zu beantworten. Das bisher vorgelegte Material deckt sich mit der Einsicht G. P. Bognettis, wonach das an sich reiche langobardische Vokabular zur Darstellung gentiler Einrich-tungen keine volkssprachliche Variante zu „dux" aufzuweisen hat27). Paulus Diaconus, der erstaunlich großes Interesse an den staatsrechtlichen Termini der von ihm erwähnten Völker entwickelte, teilte mit Vorliebe auch die volkssprachlichen Ausdrücke der gentilen Verfassungswirklichkeit mit. Von Gisulf I. von Friaul weiß er zu berichten, dieser sei vor seiner Einsetzung als „dux" Alboins „strator, quem lingua propria ,marpahis' appellant" ge-wesen. Für „dux" und „comes" kannte er hingegen keine langobardische Begriffe, wobei man diese Unkenntnis in bezug auf „comes" auch positiv belegen kann28). Daraus folgt aber der Schluß, daß der wichtige langobardi-

Die Unabhängigkeit des Arichis erkennt man nicht zuletzt daran, daß er im Frie-denschluß Agilulfs mit Gregor zunächst nicht eingeschlossen war, wie es der Papst — Reg. Greg. IX 66; 2, 86 —- wohl erwarten zu dürfen glaubte. Der Sohn des Herzogs wurde jedenfalls von den „Samnites" gewählt: Paul. Diac. IV 44; S. 170.

") Bognetti, L'influsso 201. 28) Paulus Diaconus hatte großes Interesse an Übersetzungen und Sprachproblemen.

Vgl. Anm. 8. Die im folgenden gegebene Zusammenstellung von Zitaten, aus denen diese Haltung hervorgeht, ist zwar unvollständig; sie läßt jedoch vermuten, daß Paulus uns den langobardischen Namen des „dux" mitgeteilt hätte, wenn es einen solchen gegeben hätte. I I 9; S. 91 berichtet von der Einsetzung Gisulfs I. von Friaul; man erfährt, daß er Alboins „strator, quem lingua propria ,marpahis' appellant" war. VI 6; S. 214 kehrt dieser Satz fast wörtlich wieder. VI 24; S. 222 wird der „rector" eines Platzes als „sculdahis" vorgeführt. A. a. 0 . wird erwähnt, daß zwei Männer „vulgaria verba locuti" sich gegenseitig als Feiglinge — „arga" — bezeichnet hätten. Siehe auch S. 223. Paulus V 36; S. 200 kennt die volkssprach-liche Ubersetzung von „comes", aber mir von den Bayern: „Hic (sc. Alahis) dum dux esset in Tredentina civitate, cum comite Baioariorum, quem illi gravionem dicunt, qui Bauzanum et reliqua castella regebat, conflixit. . ." Vgl. Bognetti 202. Bei der Gegenüberstellung des langobardischen „dux" von Trient und des fränkisch-baye-rischen „comes-gravio" von Bozen hätte Paulus auch Gelegenheit gehabt, das langobardische Wort für „dux" zu nennen. V 29; S. 196 wird von den Bulgaren erzählt, die unter Grimoald bei dessen Sohn Romoald von Benevent Aufnahme fanden. „Qui usque hodie in his, ut diximus, locis habitantes, quamquam et Latine loquantur, linguae tarnen propriae usum minime amiserunt." IV 44; S. 170:

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1. Der langobardische Funktionstitel ,,dux" 191

sehe Dukat dem Wort nach römisch-byzantinischer Herkunft sein muß, und zwar dem späten Stadium der italischen Verfassungsentwicklung im be-sonderen entnommen wurde.

Die zweite Frage erschöpfend zu beantworten, bereitet hingegen große Schwierigkeiten. Eine Begriffsübertragung kann, muß aber nicht erst die davon erfaßte Sache geschaffen haben. Aber auch dann, wenn ein fremder Begriff prägend wirkte, kann er in vielfältiger Weise an Vorhandenes ange-knüpft haben. Man darf wohl von der Annahme ausgehen, daß der byzanti-nische Einfluß auf die Langobarden vor 568 verhältnismäßig schwach und kurz war29). Als zweite Prämisse wäre der Satz aufzustellen, den allerdings fast jeder Abschnitt des Edictus Langobardiorum stützt, nämlich der, daß die „gens Langobardorum" ein ausgesprochen konservatives Selbstverständ-nis und ein starkes Festhalten an der herkömmlichen VerfassungsWirklich-keit kennzeichnen. Daraus folgt notwendig, daß besonders die gentile Unter-abteilung, die an und für sich schon Änderungen gegenüber widerstands-fähiger als die polyethnische Gefolgschaft eines Heerkönigs sein muß, noch weitgehend intakt war, als die langobardische Invasion Italiens begann.

Aus dem benachbarten fränkischen Burgund kommt auch, gleichsam erwartungsgemäß, die Nachricht, die Langobarden hätten die Halbinsel ,,in fara" besetzt30). Dieser Begriff ist ganz offenkundig ein langobardisches Wort, das eine gentile Unterabteilung meint. Paulus Diaconus wußte noch fast zweihundert Jahre später, daß „fara" den lateinischen Worten „gene-ratio vel linea" und „prosapia" entspreche. Wenn die jüngeren Bedeutungs-formen von „fara", die dann auf italischem Boden nachweisbar ausgebildet wurden, die alten völlig verdrängt hätten, dann hätte Paulus seine anti-quarischen Interessen nicht befriedigen können31).

Was immer man sich auch unter „fara" im einzelnen vorstellen mag und welche semantischen Varianten dazu auch zu belegen sind32), so muß

Radoald, ein Herzog von Benevent, lockt dalmatinische Seeräuber, die in Benevent gelandet sind, in einen Hinterhalt. Paulus motiviert das Gelingen dieser Tat — Radoald war ein Sohn Gisulfs von Friaul — mit „eisdem Sclavis propria illorum lingua locutus est". VI 4; S. 213 wird von einer Synode berichtet, die „Greco ser-mone conscripta" wurde. I 19; S. 65 überliefert die berühmte Gleichung „Rugiland quae Latino eloquio Rugorum patria dicitur".

") Zöllner, Völker im Frankenreich 134 f. Schmidt, Ostgermanen 579 ff. Bognetti, L'influsso 191 ff. Doch nimmt dieser a. a. O. 200 an, die Langobarden hätten bereits vor 568 den Dukat als Modell ihrer Stammesgliederung übernommen. Dagegen spricht die im Obertext vorgetragene Überlegung ebenso wie etwa auch Marius von Avenches (wie Anm. 30).

30) Marius von Avenches (a. 569); S. 238. Der Hinweis auf Burgund ist deswegen wichtig, weil auch die Burgunder den Begriff „fara", frankisiert „faro", kennen. Bognetti, L'influsso 178, und die dort angeführte Literatur, besonders Beyerle, Gesetze der Burgunden 190 f., ist durch Zöllner, Herkunft der Agilulfinger 110 ff., zu ergänzen; d. h. man muß bei der Wertung des Begriffes ungefähr die Richtung einschlagen, in die Beyerle weist.

31) Vgl. Paal. Diac. II 9; S. 91 mit den Anm. 28 angeführten Stellen. 32) Vgl. die kritische Prüfung der Bedeutungsmöglichkeiten bei Ernst Mayer, Italieni-

sche Verfassungsgeschichte 1, 14 Anm. 62, und 2, 440. Nur die dort vorgetragene

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192 VII. Die langobardischen Herzogstitel bis 774

man doch anerkennen, daß die „fara" der Landnahme durch Paulus als Abstammungsgemeinschaft definiert wurde.

Paulus Diaconus erwähnt die „fara" gerade dann zum ersten Male, wenn er von der Gründung des ersten langobardischen Dukats auf italischem Boden spricht. Demnach würden Dux und Fara zwei politische Größen verkörpert haben, die irgendwie zusammengehören. Eine Verbindung, die Rothari 177 zu erhärten scheint. Hier wird die Möglichkeit bedacht, daß ein freier Mann mit seiner Fara in die Dienste eines Großen tritt und diese mit des Königs Erlaubnis auch wieder verlassen kann. Zunächst beschreibt der Edictus Rothari allgemein den Personenkreis, mit dem ein solches Dienstverhältnis eingegangen werden kann. An erster Stelle wird darin freilich der „Amtsträger" genannt, dem man sich als „homo liber" im Regelfall an-schloß, nämlich der „dux". Die Garantie des Königs für den „homo liber", „ut liceat eum migrare", erstreckte sich wohl nicht auf alle Dukate.

Gisulf I. wurde vom König in Friaul als „dux" eingesetzt und durfte sich mit dessen Erlaubnis eine nicht näher bezeichnete Anzahl von „farae" auswählen. Gisulf war der „nepos" Alboins und als „marpahis-strator" zugleich Mitglied der engsten Gefolgschaft eines siegreichen Heerkönigs. Mit Alboin erlosch seine „Dynastie"; aber seine Sippe behielt Friaul. Obwohl Gisulf II. noch nach dem Ende des Interregnum die Fronten wechselte und vorübergehend ein „byzantinischer" Dux wurde, mußte doch König Agilulf, der Nachfolger Autharis, Arichis I., einem Mitglied dieser Sippe, Benevent übergeben, nachdem Zotto gestorben war. Auch in Zukunft kamen immer wieder friaulische Herzöge aus Alboins Sippe vom Norden nach Benevent, um ihre Vettern zu unterstützen und oft auch abzulösen. Noch jener Arichis, den König Desiderius 758 nach Benevent sandte, stammte aus Friaul; er war der erste „princeps" der beneventanischen Langobarden. Paulus Dia-conus erinnerte sich seiner als eines „Stirpe ducum regumque satus"33).

Interpretation von Ro. 177 (Beyerle 62) möchte ich auf jeden Fall anders gedeutet wissen. Siehe Obertext.

33) Zum Zitat siehe Belting, Studien 144 Anm. 5. Die im Obertext vorgetragene Ent-wicklung wird belegt: Paul Diac. II 9; S. 91 (Einsetzung Gisulfs). Beyerle, Gesetze der Langobarden 4 (Wechsel der Königsfamilie nach Alboins Tod). Ep. Austras. 41; S. 147: Gisulf II., der Sohn Grasulfs, des Bruders Gisulfs I., wechselte zum Unter-schied von seinem Vater auf die Seite der Byzantiner. Goubert, Byzance 197 f.: 602 Schloß er sich wieder Agilulf an. Paul. Diac. IV 18; S. 152 f. (Einsetzung des Arichis in Benevent). Reg. Greg. II 45; S. 145 (vgl. Anm. 26 und Bognetti, L'in-flusso 175 Anm. 13): Arichis erst kürzlich (vor 592 VII) wieder (? oder noch sein Vorgänger Zotto) auf die Seite der Römerfeinde geschwenkt. Paul. Diac. IV 39; S. 167. 44 und 46; S. 170 f. Radoald und Grimoald, die Söhne Gisulfs I. von Friaul, die Grasulf von der Nachfolge verdrängte, kommen zu ihrem „consanguineus" Arichis nach Benevent und werden hintereinander nach dem Tode von dessen Sohn Aio seine Nachfolger. Grimoald wird schließlich sogar noch König: Paul. Diac. V 1; S. 179 f. Holder—Egger, Langobardische Regesten 23 f. und 26. Wie sehr aber Alboin zu einem traditionsbildenden Heros der Langobarden wurde, bezeugt Paulus mehrmals. Paul. Diac. II 28; S. 106 berichtet davon, daß ein Herzog seiner Tage den Tumulus Alboins öffnen ließ und dessen Schwert an sich nahm. Dieselbe Ein-schätzung Alboins bezeugt I 27; S. 81: „Alboin vero ita praeclarum longe lateque

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1. Der langobardische Funktionstitel „dux" 193

Es war also eine Art von „stirps regia", die in Friaul und Benevent herrschte und die besonders das zweite Herzogtum als eine widerstands-fähige Einheit führte, die trotz aller vorübergehenden Niederlagen das starke langobardische Königtum des 8. Jahrhunderts und sogar die fränki-sche Invasion von 774 erfolgreich überdauern konnte. Hrodgaud von Friaul war weniger glücklich, als er wie seine beneventanischen „Vettern" den Widerstand gegen Karl organisierte.

Paulus Diaconus stammte aus Friaul; sein Bruder und sein Großvater hießen Arichis, wie die Herzöge aus der Sippe Alboins34). Daß er aber die Einsetzung Gisulfs an so hervorgehobener Stelle berichtet, wird wohl mehr als Patriotismus gewesen sein. Vielmehr dürfte man an der Art und Weise der geschilderten Investitur des Herzogs, dem einige „farae" zugeteilt werden, die allerdings stark verkürzte Entstehungsgeschichte des lango-bardischen Dukats ablesen können.

Der König setzte einen vornehmen Mann aus seiner Umgebung und Sippe zum „Beamten" und Beauftragten für eine römische Verwaltungs-einheit ein; diese ist hier eine italische „civitas". Er wiederholt dabei nur das Vorgehen gotischer Könige, von dem sich dies aber insofern unterschei-det, als die „civitas" der Gotenkönige noch nicht von „duces" geleitet wurde. Es entsprach der vorletzten Entwicklungsstufe der spätrömischen Organisa-tion, daß ein ,,comes civitatis" oder ein „comes provinciae" —• „civitas" steht schon weitgehend für „provincia" und umgekehrt — mit der Leitung einer binnenländischen Verwaltungseinheit betraut wurde, während „duces" nur im Grenzgebiet standen. Der Prozeß der Militarisierung, der die furcht-baren Gotenkriege begleitete und ihnen folgte, zerstörte die Ordnung der Zivilverwaltung und ließ den „dux" an die Stelle des „comes" oder über ihn treten, was die Umkehr des alten Rangsystems bewirkte35).

Wenn nun Gisulf seine Aufgaben erfüllen sollte, so bedurfte er zunächst militärischer Machtmittel. Dazu benötigte er als „dux" eine Anzahl lango-bardischer Krieger, die ihm jedoch nur die „farae" stellen konnten. Sicher hatte auch Theoderich seine „Amtsträger" mit entsprechenden Truppen

nomen percrebuit, ut hactenus etiam tarn aput Baioariorum gentem quamque et Saxonum sed alios eiusdem linguae homines eius liberalitas (vgl. II 9; S. 91) et gloria bellorumque felicitas et virtus in eorum carminibus celebretur. Arma quoque praecipua sub eo fabricata fuisse a multis hucusque narratur."

M) Paul. Diac. IV 37; S. 166. Zu Hrodgaud siehe Annal. regni Franc, (a. 775/76); S. 32. äs) Mommsen, Ostgothische Studien 441 (502) Anm. 6: „Comes rei militaris finde ich

freilich in gotischen Quellen nicht, aber dafür comes provinciae". A. a. 0 . Anm. 7: „Comes Pannoniae Sirmiensis" und der „comes Dalmatiae et Suaviae" stehen dem „comes Syracusanae civitatis" gegenüber. Siehe besonders auch Schmidt, Comites Gothorum 130 ff. Vgl. dazu den „dux Raetiae", den Befehlshaber einer noch aus vorgotischer Zeit stammenden Grenzprovinz: Mommsen a. a. 0 . 442 (503) und Sprandel, Dux und comes 56 ff. Ob jedoch, wie hier behauptet wird, die übrigen „Dux-Nennungen" alle untechnisch sind, möchte ich bezweifeln; besonders dann, wenn man bedenkt, wie rasch sich dann in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts die Ausdrücke „dux provinciae" und „dux civitatis" durchsetzen: Hartmann, Untersuchungen 56 f. und 151 f., 156 f. Literatur kann so etwas nicht bewirken.

13 Wolfram, In ti tulatio [

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194 VII . Die langobardischen Herzogstitel bis 774

ausstatten müssen. Der Unterschied zur gotischen „Politik" besteht jedoch darin, daß die langobardische „fara" als mehr oder weniger feste Abstam-mungsgemeinschaft die Unterabteilung der „gens" bildet und nun einem Dukat eingegliedert wird. Nicht, daß die „farae" Gisulf zu ihrem „Herzog" gemacht hätten, wie es die sagenhaften „duces" Ibor und Aio im eigentlichen Sinne waren, als sie das Volk zum ersten Male auf große „Fahrt" führten38). Sondern ein italischer „dux civitatis" wird vom König eingesetzt und erhält mit dessen Zustimmung eine Anzahl von „farae", die es ihm erlauben, ein römisches Amt mit einem neuen Inhalt und neuen Möglichkeiten der Macht-ausübung auszustatten. Die Inhaber der auf diese Weise entstehenden Dukate unterschieden sich daher de facto kaum oder gar nicht von den Heerführern Reichsitaliens. Es hing von ihrer Politik ab, ob sie als „duces Langobardorum" einem König gehorchten oder dem Exarchen von Ravenna und byzantinischen „Vizekönig" ihre Dienste antrugen.

Nach der Überwindung der schweren Krise um 600 und mit der Kon-solidierung der langobardischen Herrschaft im Verlaufe des 7. Jahrhunderts entwickelte sich analog zur spätrömischen Einrichtung des Dukats, aber vielfach zeitlich vor der Gründung byzantinisch-italischer Dukate37), eine neue, äußerst widerstandsfähige Gliederung der „gens Langobardorum", die das gentile Königtum nicht immer und überall auch kontrollieren konnte. Eine vorgegebene Organisationsform nahm also die gentilen Einheiten der „farae" in sich auf, gestaltete sie den neuen Erfordernissen gemäß um, ließ sie aber erst allmählich in sich aufgehen38). Daß dieser Prozeß den spätrömi-schen Amtscharakter der Dukate zerstörte, ging nicht im besonderen auf die „farae" zurück; er entspricht der allgemeinen Entwicklung der italischen und europäischen Staatlichkeit, die vom Magistrat zur Herrschaft tendierte.

2. Der Titel der Herzöge von Benevent

Der beneventanische Herzogstitel lautet im überwiegenden Teil der überlieferten Urkunden nos domnus vir gloriosissimus Ν. surnmus dux gentis Langobardorum,1). Das älteste echte Stück, in dem dieser Herzogstitel vor-

' · ) Wenskus, Stammesbildung 486. Paul. Diac. I 3; S. 53. In der Kapiteleinteilung a. a. O. 50 werden sie als „primi duces Winilorum"bezeichnet.

" ) So möchte ich die Bitten der Päpste Pelagius und Gregor verstehen, gegen die angreifenden Langobarden einen „dux" zu senden. Wie Anm. 18.

3e) Siehe Anm. 32. Mayer, Verfassungsgeschichte 2, 264 f.: Zur Kontrolle des „dux" im Reichsgebiet, wovon Benevent und Spoleto meist ausgenommen bleiben, diente dem König der Gastalde. In den beiden südlichen Herzogtümern gelingt es dem „dux" im Regelfall, den Gastalden zu seinem Untergebenen, ja sogar Amtsträger zu machen: Mayer 271 f. vgl. aber ders. 2, 630. Siehe auch Paul. Diac. V 29; S. 196 f.: Der „dux Vulgarum Alzeco" bat König Grimoald (662—671) um Auf-nahme; dieser schickte ihn zu seinem Sohn Romoald nach Benevent. Der Herzog nahm das Volk samt seinem dux auf, aber „ipsumque Alzeconem, mutato digni-tatis nomine, de duce gastaldium vocitare praecepit".

*) Dank der ausgezeichneten Untersuchung, die Chroust über die langobardische Königs- und Herzogsurkunde anstellte, kann der Abschnitt, der der diplomatischen

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2. Der Titel der Herzöge von Benevent 195

kommt, wurde im Juli 715 von Romoald I I . (706—731) ausgestellt2). Die letzte Urkunde mit der herzoglichen Intitulatio stammt vom April 769; sie hat Arichis I I . zum Urheber, der nach der Katastrophe von 774 seinen Titel änderte3). Unter den 39 echten Herzogsurkunden, die man kennt, befindet sich kein einziges Original4). Trotzdem ist die Überlieferung glaubwürdig genug: Sie besteht aus zwei ,,Privat"-Urkunden, in denen der Herzog nur objektiv tituliert wird; doch deckt sich die Fremdaussage mit dem Titelwort-laut5). Die restlichen 37 Urkunden gliedern sich in vier Judikate®) und 33 Präzepte, wie sie Anton Chroust bestimmte und damit in die Gruppe der Herrscherurkunden einteilte7). Die 37 Urkunden enthalten in 18 Fällen eine Intitulatio, die mit dem zitierten Typus wörtlich übereinstimmt; neun Her-zogstitel weichen nur ganz geringfügig von ihm ab und sechs unterscheiden sich etwas stärker von der Grundform. Vier Präzepte bieten schließlich einen Doppeltitel im Sinne eines Verwandtschaftstitels, der sich jedoch wieder ganz auf den Typus stützt8). Würde nicht die ausgezeichnete Unter-suchung Chrousts auch die Kanzlei ausführlich behandeln, so müßte man schon wegen der auffälligen Beständigkeit des verwendeten Titelwortlautes schließen, daß es eine solche gegeben hat.

Der Herzogstitel ,,nos domnus vir gloriosissimus N. summus dux gentis Langobardorum" wirkt in den meisten seiner Titelelemente wie eine Kopie des gentilen Königstitels, die der Langobardenkönig im Edictus gebrauchte9). Erstens stellt man fest, daß in den Gesetzen wie im beneventanischen Präzept die Intitulatio das Subjekt des dispositiven Hauptsatzes bildete und daher in beiden „Akten" mit dem Personalpronomen eingeleitet wurde. Der

Sicherung des Titelwortlautes dient, kurz gehalten werden. Zur Intitulatio der beneventanischen Herzöge siehe Chroust 109 ff.

2) Chroust 194 f. n. 2. 3) Chroust 200 f. n. 44. A. a. O. 110 gibt den Wortlaut des geänderten Titels wieder.

Belting, Studien 151 und a. a. O. Anm. 58. *) Chroust 89. s) Chroust 194 f. n. 4 und 198 f. n. 29. ') Da Chroust die Judikate nicht numeriert, müssen sie nach Holder-Egger,

Langobardische Regesten zitiert werden. Bei den vier Judikaten handelt es sich um a. a. O. nn. 134, 172, 277, 338.

') Zur Begründung dieser terminologischen Zuweisung siehe Chroust 87 ff. «) Chroust nn. 5, 7, 9, 11, 16, 17, 21, 26. Holder-Egger n. 172. Chroust nn. 27, 28,

30, 31, 32, 33, 42, Holder-Egger n. 338. Chroust n. 43: Typus. Chroust nn. 6, 8, 12, 14. Holder-Egger n. 134. Chroust nn. 20, 22, 23, 25: leicht

veränderter Typus, der fast immer darin besteht, daß „dominus" seinen Platz in der Wortfolge der typischen Intitulatio verläßt und zum Namen rückt.

Chroust nn. 2, 10, 18, 44: „dominus" fehlt; n. 19: „ego" statt „nos". Holder-Egger n. 277: „gentis" fehlt.

Chroust nn. 38—41 sind vier Urkunden, die von Scauniperga und ihrem Sohn gemeinsam ausgestellt wurden. Dazu siehe unten 201.

·) Siehe oben 90 Anm. 8; etwa Gr. prol. (Beyerle 160): „ego vir excellentissimus Grimouuald gentis Langobardorum rex" (die Umkehr der Folge von Bereichs-bezeichnung und Funktionsbezeichnung dürfte keine andere als formale Bedeutung besessen haben; vgl. Beyerle 168 und 188), der der einzige Benenventaner auf dem Königsthron gewesen ist (662—671).

13·

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196 VII. Die langobardischen Herzogstitel bis 774

König redete im Prolog seiner Gesetze und Novellen von sich im Majestäts-plural; trotzdem beginnt die Intitulatio mit ,,ego". Für diese Form gibt es unter den erhaltenen Herzogsurkunden aus dem Benevent vor 774 nur ein einziges Beispiel10). Sonst steht immer die Mehrzahl „nos". Die Mischform „Ego—Majestätsplural" dürfte aber — entgegen aller Erwartungen — als etwas Besonderes angesehen worden sein, da Arichis mit 774 seinen Titel „princeps gentis Langobardorum" nicht mehr von ,,nos", sondern von „ego" einleiten läßt11).

Die Gewohnheit, eine Intitulatio mit dem Personalpronomen zu begin-nen, stammte ursprünglich aus der Privaturkunde12). Der gentile Königstitel der Gesetze konnte diese Verbindung allein schon vom Sachlichen her zurück-drängen — wenn eine ,,Ego-Intitulatio" in der Mitte eines Prologs steht, der nach dem spätantiken Prooimienstil aufgebaut ist und dessen Subjektsaus-sagen fast durchwegs die Mehrzahl regiert, dann kann man eben auch formal nicht mehr von einem „privaten" Titel sprechen. Gegenüber einem Herzog von Modena aber, der sich noch in einer „privaten" Carta des 8. Jahrhunderts „Ego in Dei nomine dux" nannte13), bedeutete das „nos" der beneventani-schen Intitulatio eine machtvolle Demonstration der Sonderstellung des „summus dux gentis Langobardorum".

Das Titelelement „domnus" findet in der königlichen Intitulatio keine Entsprechung14), weshalb es zunächst übergangen wird. Hingegen ent-spricht zweitens der herzogliche Rangtitel „vir gloriosissimus" dem „vir excellentissimus" des Königstitels. In seiner antiken Form, die aus Sub-stantiv und Adjektiv besteht, kommt er im Edictus Langobardorum nur in der Intitulatio Rotharis und Grimoalds vor15). Es ist jedoch merkwürdig, daß König Grimoald, der ehemalige Herzog von Benevent, den Titel von 668 ein wenig anders formulieren läßt, als es dem Titeltypus des Edictus entsprechen würde. Während nämlich dessen Grundform, ,Ego—Name—(vir) excellentissimus—Funktionstitel—ethnische Bereichsbezeichnung" lautet, rückt die Intitulatio Grimoalds den Rangtitel vor den Namen des Titelträgers, wodurch dieselbe Reihenfolge wie im beneventanischen Herzogstitel erzielt wird16). Ein solches Zusammentreffen von Form und Sachbezug kann man wohl nicht als bloßen Zufall erklären. Hatte aber Grimoald seine königliche Intitulatio tatsächlich dem einstigen Herzogstitel nachgebildet, dann muß 10) Chroust n. 19. Vgl. Ders. 112. " ) Chroust 110. Doch setzt sich der Plural „nos" in der Folge wieder durch: Voigt,

Beiträge zur Diplomatik der langobardischen Fürsten 32 ff. 12) Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 24. Vgl. oben 141 Anm. 5. " ) Chroust 113. " ) Der Versuch in Chroust 27, eine solche Entsprechung herzustellen, ist nicht

gelungen; siehe auch Anm. 26—28. u ) Beyerle, Gesetze der Langobarden 2 und 160. Vgl. oben 91 Anm. 17. " ) Beyerle 160: „Ego vir excellentissimus Grimouuald gentis Langobardorum rex"

(zur Umstellung von Funktionstitel und ethnischer Bereichsbezeichnung siehe Anm. 9) ist mit „nos (domnus) vir gloriosissimus N. dux gentis Langobardorum", dem beneventanischen Herzogstitel, zu vergleichen. Zu Grimoald siehe etwa Hartmann, Geschichte Italiens 2, 1, 244—248, 252 ff.

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2. Der Titel der Herzöge von Benevent 197

es diesen zu seiner Zeit schon gegeben haben, und zwar zumindest was den Rangtitel und wohl auch was den Funktionstitel und die ethnische Bereichs-bezeichnung betrifft.

Der beneventanische Herzog nimmt als erster nichtköniglicher „Herr" einen Rangtitel in seine Selbstaussage auf, den bis dahin nur die Spitzen der römischen Bürokratie und die Könige geführt hatten. Der Burgunder-könig Gundobad, der beide Funktionen in sich vereinigte, nannte sich auch „vir gloriosissimus"17). Doch darf man nicht annehmen, die Herzöge von Benevent hätten erst im ausgehenden 7. Jahrhundert dieses königliche Rangprädikat gleichsam usurpiert und danach als Titel subjektiviert. Als besonders mächtige italische „duces" standen nämlich diese Herzöge schon am Ende des 6. Jahrhunderts in derselben hohen Rangstufe wie die byzanti-nischen „magistri militum et duces", wodurch sie automatisch zu „viri gloriosi(ssimi)" wurden. Daher redete Gregor der Große den Beneventaner Arichis I. mit „gloria vestra" und „gloriose fili" an18). Auf Grund einer solchen Fremdaussage von kompetenter Seite, die auch die Terminologie der ravennatischen Kanzlei deckte19), konnten die Herzöge von Benevent ihre Selbstaussage bilden. Diese hatte die Stufe einzunehmen, die unterhalb des königlichen und „vizeköniglichen" Ranges war. Da man im Verlauf des 7. Jahrhunderts — früher wird auch ein möglicher Archetypus des beneven-tanischen Herzogstitels nicht entstanden sein — wieder den Superlativ „vir gloriosissimus" gegenüber dem grundsätzlich gleichwertigen Positiv bevor-zugte20), wurde auch jene Form zum Rangtitel der herzoglichen Selbstaus-sage.

Den Kern der Intitulatio bildete aber das Element „summus dux gentis Langobardorum". Wie der Langobardenkönig der „rex gentis Langobardo-rum" war, so beanspruchte der Herzog von Benevent den ersten Platz unter den „duces" dieser „gens". Die formale wie sachliche Analogie zum Königs-titel des Edictus Langobardorum liegt auf der Hand 21). Der Anspruch jedoch, den der ergänzende Rangtitel „summus" implicite erhebt, wurde vom Spoletiner Herzog einzuschränken, aber nicht ganz aufzuheben gesucht. Allerdings stellt dessen Titel eine entwicklungsgeschichtlich jüngere Intitu-latio dar22).

Die Titelelemente „ego vir gloriosissimus summus dux gentis Lango-bardorum" entsprechen also einerseits Formen, die seit der Mitte des 7. Jahr-hunderts nachweisbar im gentilen Königstitel verwendet wurden, und andrer-seits einer Wertung durch das offizielle Italien, die bereits am Ende des 6. Jahrhunderts ausgesprochen wurde. Grimoalds Titel von 668 scheint mir überdies zu zeigen, daß der beneventanische Herzogstitel zu dieser Zeit bereits eine politische Wirklichkeit war23). In dieses Schema läßt sich aber der Domnus-Titel nur schwer einordnen.

") Siehe oben 87 Anm. 59. ") Reg. Greg. IX 126; S. 127. Koch, Beamtentitel 59 f. Vgl. 189 Anm. 25 f. ") Wie 187 f. Anm. 12 und 16. 20) Koch, Beamtentitel 59. ") Siehe oben 93 ff. 22) Siehe unten 202 ff. 23) Vgl. Anm. 16.

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198 VII. Die langobardischen Herzogstitel bis 774

Vom Standpunkt der Formengeschichte aus betrachtet ist die Folge der Titelelemente „domnus vir gloriosisismus" ebenso einmalig wie hyper-troph. Denn „domnus" und „vir" schließen einander, abgesehen davon, daß „domnus" zunächst24) kein Titel, sondern eine Titulatur ist, logischerweise aus. Man ist als „Herr" entweder ein „vir gloriosissimus etc." und wird als solcher selbst auftreten und vom Kaiser tituliert werden, während die Unter-gegebenen und Gleichgestellten in der Anrede „dom(i)nus" dieses Herren-tum als Fremdaussage anzuerkennen haben. Oder aber man ist der Kaiser selbst, dann nennt man sich nicht „dominus", weil sich das von selbst ver-steht, noch weniger aber wird man die Stellung eines von außen nicht mehr relativierbaren Dominate dadurch mindern, daß man sich etwa als „vir serenissimus" vorstellt25).

Der beneventanische Domnus-Titel und „vir gloriosissimus" gehören daher zwei verschiedenen Entwicklungsreihen an und dürften schon darum nicht gleichzeitig in den Herzogstitel aufgenommen worden sein. Eine Über-legung, die vielleicht auch vom Königstitel Grimoalds gestützt wird. Da einerseits der Gloriosissimat den „internationalen" Bang des Herzogs fest-legt und „summus dux" dessen „nationale" Stellung bestimmt, möchte ich in „domnus" nicht auch noch eine Rangbezeichnung sehen. Es besteht viel-mehr Grund zur Annahme, die Bedeutung des beneventanischen Domnus-Titels aus der konkreten Herrschaft des Herzogs zu erfassen.

Chroust glaubte zu bemerken, daß „domnus" in der beneventanischen Intitulatio den Platz einnimmt, der im Titel der Langobardenkönige für „Flavius" vorgesehen ist. Eine überholte Etymologie Starks aufgreifend, hielt er es daher nicht für ausgeschlossen, daß „Flavius" über got. frauja— Herr zu „dominus" wurde28). Abgesehen davon, daß ganz allgemein eine solche volksetymologische Angleichung mitten im Süden Italiens sehr un-wahrscheinlich ist, überzeugt die Ableitung Starks wenig27). Aber auch Chroust hätte nicht den „universalen" Königstitel der Präzepte, der sich grundlegend vom gentilen Titel der beneventanischen Herzöge unterscheidet, mit diesem vergleichen dürfen. Mögen auch beide urkundliche Selbstaussagen

" ) Die hoch- und spätmittelalterlichen „herren, seigneurs, sires, domini", in deren lateinischen Urkunden ein Dominus-Titel gebraucht wird, stellten selbstverständlich einen ganz anderen Personenkreis dar, als ihn die beneventanischen „Fürsten" bildeten. Wenn aber der Babenberger Friedrich II. im Laufe des Jahres 1232 (vgl. BUB nn. 294 ff.) den Titel „dominus Carniole" annahm, so bestimmte dieser Dominus-Titel in keiner Weise seinen Herzogstitel „dux Austrie et Stirie". Jener bezieht sich nur auf die „Carniola". Hingegen interpretiert „domnus" im bene-ventanischen Herzogstitel dessen Kern „summus dux gentis Langobardorum". Und deswegen besitzt der Dominus-Titel in diesem Falle an sich schon die Qualität eines Fürstentitels.

25) Ein allerdings nur denkbarer und niemals wirklicher kaiserlicher Rangtitel hätte „vir serenissimus" oder „vir tranquillissimus" gelautet; vgl. Ewig, Christlicher Königsgedanke 17.

ίβ) Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 27. " ) Immerhin gehen Kaufmann, Untersuchungen zu altdeutschen Rufnamen, und

Bruckner, Sprache der Langobarden, auf diese Ableitung überhaupt nicht ein.

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2. Der Titel der Herzöge von Benevent 199

sein, so folgt doch der Herzogstitel dem gentilen Königstitel der Gesetze, der „theoretisch" den Namenstitel „Flavius" nicht enthalten kann und ihn auch tatsächlich nicht enthält28).

Eine Überlegung, die vielleicht ein wenig weiter führt, kann man über die Tatsache anstellen, daß der Herzog den spätrömischen Dominialbeamten „vicedominus"29) in seine Verwaltungsorganisation übernommen hatte, wo sich dieser wahrscheinlich dem langobardischen „stolesaiz" anglich und dadurch aufgewertet wurde. Dieser „Amtsträger" war nicht selten Chef der Kanzlei und ein hoher Herr, wie manche politischen Ereignisse zeigen30). Sein eigentlicher Auftrag, der nicht ganz genau beschrieben werden kann, lag jedoch in der zentralen Sorge für die herzoglichen, das heißt in Benevent, für die öffentlichen Domänen31).

Der „vicedominus" war jedenfalls als italischer Beamter schon längst eingeführt32), bevor noch die Langobarden kamen. Der Domnus-Titel in der herzoglichen Intitulatio würde daher nach dieser Amtsbezeichnung gebildet worden sein, was an sich höchst unwahrscheinlich ist. Noch im 8. Jahrhundert wurde die Amtsbezeichnung „viceprinceps" in Analogie zum „princeps gentis Langobardorum" Benevents für den Stadtrichter von Capua geprägt33). Der Domnus-Titel hätte aber genau umgekehrt entstehen müssen, würde seine Ableitung aus dem Vicedominat stimmen. Ist also die formale Gleichung „vicedominus (Beamter) —domnus (Herzog)" nicht aufzustellen, so könnte der Domnus-Titel doch dieselbe Sache betreffen.

Jedem Langobarden, der in irgendeiner Form „Herrschaft" ausübte, sei es, daß er einen „gasindius" hielt oder daß man in sein „obsequium" eintreten konnte34), stand die Anrede „dom(i)nus" zu35). Die Herzöge von Benevent besaßen selbstverständlich einen „gasindius"; sie hatten jedoch auch die volle Verfügungsgewalt über den öffentlichen Grund und Boden, über die Gefalle und die Gerichtsbarkeit sowie über eine „Beamtenschaft", die den Gastalden einschloß und einen „vicedominus" für ein Teilgebiet ihrer Herrschaft aufwies3*). In keiner frühmittelalterlichen Intitulatio findet ") Siehe oben 68 f. und 75 f. *') Mayer, Italienische Verfassungsgeschichte 2, 95. Das ursprünglich kaiserliche Amt

ging auch in die päpstliche Verwaltungsorganiaation über. >·) Ders. 1, 222 f. 2, 185. Chroust 102 f. 3I) Mayer 2, 271 f. Mommsen, Ostgothische Studien 402 f. (465). Hingegen ist die

lateinische Bezeichnung des Spoletiner „stolesaiz" nicht bekannt (Mayer 272). " ) Wie Anm. 29. M) Mayer 2, 336. Zum Titel der beneventanischen Fürsten nach 774 siehe etwa Belting,

Studien 151. Chroust 110. Siehe auch Änm. 37. M) Diese Unterscheidung geht zurück auf Ro. 225 (Beyerle 90): „in gasindio ducis

aut privatorum hominum (zum Gegensatzpaar „duces et privati" vgl. Paul. Diac. Hist. Lang. VI 37; S. 229) obsequium . . . " Die weitere einschlägige Gesetzgebung siehe Mayer, Italienische Verfassungsgeschichte 1, 440 f. Vgl. auch den Versuch bei Pabst, Geschichte des langobardischen Herzogthums 502 ff.

n ) Diese Behauptung stützt sich wieder auf den Edictus Rothari, und zwar auf Ro. 226 (Beyerle 92). Die unmittelbare Aufeinanderfolge dieser Satzung auf die in Anm. 34 genannte stellt sicher einen Sinnzusammenhang dar.

M) Wie Anm. 31. Siehe oben 194 Anm. 38.

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200 VII. Die langobardischen Herzogstitel bis 774

man den Herrentitel „domnus" auf dieselbe Weise wie in Benevent und dann auch in Spoleto verwendet. Er muß wohl die Manifestation einer Machtstel-lung gewesen sein, die mit einem bloßen „dux" kein Auslangen fand, weil jene schon so etwas wie unser hoch- und spätmittelalterlicher Begriff „Landes-herr" oder „Landesfürst" auszudrücken hatte.

Eine solche Auslegung gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn man be-denkt, daß die Verbindung „domnus . . dux" im Princeps-Titel der lango-bardischen Fürsten nach 774 rasch verschwindet, während sich dessen ethnische Bereichsbezeichnung gleichzeitig in eine territoriale Bereichs-bezeichnung umzuwandeln beginnt37). Außerdem sieht man, daß „princeps" und „domnus" im Frühmittelalter einen weitgehend gemeinsamen Begriffs-inhalt besitzen38). Der Domnus-Titel der Beneventaner Herzöge dürfte daher die konkrete, königsgleiche Herrschaft über den Teil der „gens Langobar-dorum" gemeint haben, der den Dukat von Benevent bewohnte. Er weist bereits auf den „princeps huius terrae" der späteren Entwicklung hin. Dieser „princeps gentis Langobardorum" hatte sich, dem Zug der Zeit und dem karolingischen Vorbild folgend, bereits in der ersten Generation salben lassen und führte seit der dritten Generation eine der Fürstenweihe ent-sprechende, das heißt eine solche Stellung legitimierende Gratia-Dei-Formel in seine Intitulatio ein39).

Unter den geringfügigen Abweichungen vom Typus des beneventani-schen Herzogstitels findet man zwei Formen, deren Darstellung lohnt40). Nach dem Tode Romoalds I I . (706—731) hätte der noch unmündige Gisulf Herzog werden sollen. Er war der Sohn aus der Ehe seines Vaters mit einer Nichte des Königs Liutprand. Gegen Gisulf erhob sich jedoch eine Adels-partei um Audelais und suchte ihn zu beseitigen. Gestützt auf die allgemeine Meinung im „populus Beneventanorum", „der seinen Herzögen immer treu ergeben war", benützte Liutprand 732 die günstige Gelegenheit, in die Politik des südlichsten langobardischen Herzogtums einzugreifen. Nach Vertrei-bung des Gegenherzogs setzte der König dort zunächst seinen Neffen Gregor ein. Nach einem weiteren Intermezzo durch Godescalc, der offensichtlich gegen Liutprands Willen eine Zeitlang „dux" sein konnte, betraute der König endlich seinen Verwandten Gisulf, den Sohn Romoalds II. , mit der Leitung des beneventanischen Herzogtums41). Dessen erste echte Urkunde vom November 742 beginnt mit der üblichen Invocatio42) und setzt dann 37) Voigt, Diplomatik der langobardischen Fürsten 32 f. Poupardin, Etude sur la

diplomatique des princes lombards 119 ff. 3e) Siehe oben 69 Anm. 77.

*·) Hartmut Hoffmann, Französische Fürstenweihen 93 ff. Zur Salbung des Tassilo-sohnes Theodo siehe oben 184 Anm. 167. Zur Devotionsformel im beneventanischen Fürstentitel siehe Pochettino, I Langobardi nell' Italia meridionale 164 ff., 179, 182 ff. Voigt, Diplomatik 3, 29, 31 ff. Poupardin (wie Anm. 37) 121. Bertolini, Carlomagno e Benevento 616 ff. Belting, Studien 151. Zum „Landesfürstentum" des Herzogs siehe Gisulf II. , 747 V, für Santa Maria in Cingla: „. . . venistis (drei Pilgerinnen) peregrinare in terra nostra Beneventana, . . . " (Troya 4, 250; n. 604).

40) Vgl. die Aufstellung in Anm. 8. " ) Pabst, Geschichte des langobardischen Herzogthums 478—480. F . Hirsch, Herzog-

thum Benevent 36 ff. Ölsner, Jahrbücher 444. 42) Chroust 89.

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2. Der Titel der Herzöge von Benevent 201

mit den Worten fort: „Dum divina omnipotentis domini Dei nostri gratia desuper inspirante misericordia nostri piissimi domini reges nos in nostro solio revocati dignati sunt, firmamus atque concedere providimus nos dominus vir gloriosissimus Gisolphus summus dux gentis Langobardo-rum. . ."«)

Dieser Hinweis auf die Gnade Gottes, der der Urkundenausteller seine Herrschaft verdankt, ist weder mit den etwas jüngeren angelsächsischen „Devotionsformeln"44), noch mit der karolingischen Legitimitätsformel zu vergleichen45). Gleichsam in einer Art von Narratio wird die Auffassung vorgetragen, die Könige Liutprand und Hildeprand hätten, von der Gnade Gottes berührt, ihren „Mann"18) Gisulf wieder auf den ihm gebührenden Thron berufen. Weder formal noch sachlich liegt hier ein Prototyp der späteren Gratia-Dei-Formel vor, aus dem der Anspruch eines Gesalbten auf eine von Gott begründete irdische Autorität abzulesen ist47). Die Abhängig-keit des Herzogs geht vielmehr deutlich aus jenem Satz hervor, der zugleich eine Formel darstellt, die auffallende Ähnlichkeit zu Gegenstücken in der Diplomatik besitzt, die die Normannen Süditaliens im 12. Jahrhundert entwickelten48).

König Liutprand hatte diesen Gisulf von Benevent mit Scauniperga verheiratet; beider Sohn bekam nach seinem königlichen Verwandten den Namen Liutprand. Im Jahre 752 starb Gisulf II., während dieser Liutprand noch unmündig war49). Zwischen 752 und 756 zeigen die herzoglichen Prä-zepte an, daß die Herzoginmutter Scauniperga die wahre Herrin Benevents war. Die Intitulatio aller vier bekannten Urkunden lautet nos gloriosissima domna Scauniperga et domnus vir gloriosissimus Liutprand summi duces gentis Langobardorum; eines jener Stücke wurde überhaupt nur „ex iussione et dictatu suprascriptae domnae Scaunipergae" ausgefertigt50).

Die Titelform, deren sich Scauniperga bediente, läßt einmal erkennen, daß sie mit „domna gloriosissima" den Widerspruch von „domnus vir gloriosissimus", den die Tradition verlangte, in dieser geschlossenen Sekun-därbildung aufheben konnte. Zum andern aber tritt Scauniperga als „dux gentis Langobardorum" auf. Bereits 751, also ein Jahr vor dem ersten beneventanischen Verwandtschaftstitel, kam in Spoleto die Intitulatio

") Chroust n. 16. Die Echtheit wird a. a. Ο 112 erwiesen. Die beiden Könige sind Liutprand und sein Neffe und kurzfristiger Nachfolger Hildeprand (Holder-Egger, Langobardische Regesten nn. 105 ff.).

44) Schmitz, Devotionsformel 175 ff. 45) Siehe unten 217. Zu Anm. 44 und 45 vgl. oben 27 ff. ") Dieser Ausdruck ist im Hinblick auf die Benennung der Langobardenkönige als

„domini" zu verstehen (wie Anm. 43). ") Vgl. oben 28 f. *·) Vgl. etwa Erich Caspar, Roger II. 22 Anm. 3. Wahrscheinlich werden die Titel

der normannischen Fürsten in Verbindung mit denen der von Benevent nach 774 behandelt werden.

") ölsner, Jahrbücher 444. Hirsch, Herzogthum 42. Holder-Egger, Langobardische Regesten n. 233.

60) Chroust nn. 38—41. Die zitierte Subscriptio befindet sich in n. 39.

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202 VII. Die langobardischen Herzogstitel bis 774

„Domnus Lupo et domna Hermelinda gloriosi et summi duces" vor51). Die Urkunde betrifft eine gemeinsame Schenkung der beiden Ehegatten; Her-melinda nimmt bei der Erwähnung der Titelträger den zweiten Platz ein; die Titel, die sie mit ihrem Gemahl gemeinsam führt, müssen schon wegen der Grammatik im Pluralis masculini stehen52). Scauniperga verstärkte hin-gegen ihren Domna-Titel noch durch den entsprechenden Rangtitel und stellte überdies ihren Namen vor den ihres Sohnes. Die etwa gleichzeitige Karolingerin Hiltrud hatte auf eine Demonstration dieser Art verzichtet. Scauniperga war aber durch vier Jahre hindurch der „Herzog von Benevent", was zum Unterschied von der Spoletiner Gelegenheitsbildung des Jahres 751 eine Reihe von Präzepten bestätigt. Jedenfalls findet man um die Mitte des 8. Jahrhunderts bei den süditalienischen Langobarden eine Auffassung von der Herrschaft weiblicher Personen vertreten, die sich mit der politi-schen Theorie des πιστός βασιλεύς Eirene (797—802) berührte, ja noch im „archidux" Maria Theresia einen späten Niederschlag finden sollte53).

3. Der Titel der Herzöge von Spoleto

Der Spoletiner Herzogstitel lautete Domnus N. gloriosus et summus dux1). Alle Zeugnisse dafür stammen aus dem Register von Farfa; ein Umstand, der den Eindruck der Gleichmäßigkeit der Titelform, die eine ohnehin gut ausgebildete Kanzlei hervorbrachte, noch verstärkt2). Die geschichtlichen Ereignisse des 8. Jahrhunderts bedingen einen Bruch in der Stellung und Bedeutung der Herzogsurkunde Spoletos, deren echte Überlieferung mit dem Jahre 725 beginnt. Um die Jahrhundertmitte verlor Spoleto mehrmals seine Unabhängigkeit, ja mitunter sogar seinen eigenen „dux". Mit der Einsetzung Gisulfs gelingt Desiderius 759 die nahezu völlige Gleichschaltung des einen der beiden südlichen „Großdukate". Das herzogliche Präzept Spoletos hatte sich, wie auch der Titel zeigt, viel stärker als die beneventa-nische Herzogsurkunde an die Königsurkunde und ihre Formen gehalten. Mit 759 beginnt die „zweite Periode" der Spoletiner Präzepte, die von solchen mehr und mehr zu einer Art von gehobenen „Privat"-Urkunden absinken3). Auch datieren von nun an alle Herzogsurkunden an erster Stelle nach den Regierungsjahren fremder Mächte, sei es nach denen der lango-bardischen oder karolingischen Könige, sei es nach denen des Papstes4). Allerdings wurde der eigentliche Titelwortlaut von diesen Veränderungen

" ) Chroust n. 12; S. 204. Siehe auch unten 203. " ) Holzmair, Die „männlichen" Titel 128. 53) Vgl. Ders. 122 ff. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates 147 Anm. 1.

Zu Hiltrud siehe oben 170 und 177. ') Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 137. 2) A. a. O. 202 ff. und 143 ff. 3) Chroust 135 f. Pabst, Geschichte des langobardischen Herzogthums 478 ff. Ölsner,

Jahrbücher 440 ff. 4) Chroust 140 f. Reg. Farfa nn. 100; S. 85 und 106 ff.; S. 86 ff.

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3. Der Titel der Herzöge von Spoleto 203

nicht betroffen. Hingegen reihte man der Intitulatio, die an den königlichen Urkundentitel erinnert5), nach 759 die Formel „ego in Dei (omnipotentis) nomine" wie in einer „privaten" Carta voran®).

Aus der Zeit zwischen 725 und 774 liegen drei Judikate und 19 Präzepte vor7). Davon gehören zwölf Präzepte und ein Judikat der ersten Periode an. Unter diesen haben nicht weniger als neun, rechnet man Domnus Lupo et domna Hermelinda gloriosi et summi duces dazu8), sogar zehn Urkunden die oben zitierte Wortfolge9). Ein Stück ändert den gewöhnlichen Titeltypus nur unwesentlich10). In einem Präzept von 745 findet man hingegen die wichtige Variante Domnus Lupo gloriosus et summits dux gentis Langobar-dorum11). In ähnlicher Form tritt diese Intitulatio noch einmal in einem Judikat Lupos aus dem Jahre 750 auf12). Die eben erwähnte Sonderform des Spoletiner Herzogstitels nähert sich dem beneventanischen Vorbild am stärksten; doch werden die Rangtitel der Spoletiner Intitulatio nicht gegen die Formel „vir gloriosissimus" im beneventanischen Herzogstitel ausge-tauscht13).

Die Analyse der verhältnismäßig gut überlieferten Intitulatio „Dom-nus N. gloriosus et summus dux" kann in vielen Punkten die Ergebnisse der Untersuchung übernehmen, die bereits am Herzogstitel von Benevent ge-wonnen wurden. Als Ganzes gesehen ähnelt der Spoletiner Herzogstitel mehr als jener dem Urkundentitel der Langobardenkönige, wie ja auch das könig-liche Präzept vom Spoletiner Herzogspräzept ungleich nachhaltiger imitiert wurde14). Da in Spoleto ein „universaler "Königstitel zum Vorbild genom-men wurde, brachte man einen Fürstentitel ohne ethnische Bereichsbe-zeichnung hervor. Um einen solchen handelt es sich bei dem Herzogstitel aus Spoleto aber schon deswegen, weil er mit „domnus" beginnt. Spoleto besaß dieselben Voraussetzungen für die Entstehung eines Dominus-Titels wie Benevent; daher wird dieser hier wie dort dasselbe bedeutet haben. Dann darf man allerdings auch für Spoleto die Gleichung „domnus—prin-ceps" aufstellen und kommt dadurch mittelbar zum Verständnis des Her-zogstitels als Fürstentitel18).

In der zitierten Sonderform, deren sich Herzog Lupo als Titel bediente, wie in den Fremdaussagen Spoletiner Privaturkunden findet man aber auch immer wieder den Versuch unternommen, den „verkürzten" Fürstentitel

6) Der Königstitel der Präzepte lautete „Flavius N. vir excellentissimus rex": Chroust 28 und oben 64 Anm. 51.

e) Chroust 137 f. Die von Brunner, Zur Rechtsgeschichte, erarbeitete Scheidung der italienischen Urkundengebiete betrifft diese Formel nicht. Zur Invocatio in Bene-vent und Spoleto siehe Chroust a. a. 0 . und 89.

') Chroust 202 ff. 8) Chroust (Spoleto) n. 12 (751 IV). e) Chroust nn. 1—12. Unter den Urkunden besitzen Chroust nn. 3 und 8 sowie

Holder-Egger n. 319 nicht diesen Titeltypus. N. 12 variiert ihn in der wie Anm. 8 besprochenen Weise.

10) Chroust n. 8: „summus" fehlt. ") Chroust n. 3; vgl. a.a.O. 137. 12) Holder-Egger n. 319; vgl. Chroust 137. la) Siehe oben 197. ») Chroust 135 f. 15) Vgl. oben 200.

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204 VII. Die langobardischen Herzogstitel bis 774

um die ethnische Bereichsbezeichnung zu erweitern und dadurch gleichsam zu vervollständigen18). Der Rangtitel „summus", der für gewöhnlich in der Spoletiner Intitulatio vorkommt, paralysierte ohnehin ständig den Anspruch Benevents, den „summus dux gentis Langobardorum" zu stellen. Denn es konnte innerhalb der „Langobardia" nicht gleichzeitig zwei Herzöge geben, für die der Superlativ „summus dux" sinnvoll war. Zur Gänze verlor hin-gegen der beneventanische Titel „summus dux gentis Langobardorum" seine eigentliche Bedeutung, wenn auch der Herzog von Spoleto als solcher auftrat. In den Augen der Spoletiner muß daher das Wort „summus" seine Einmaligkeit, die andere „duces" gleichen Ranges von vornherein aus-schließt, eingebüßt haben. „Summus dux" dürfte vielmehr als gehobener Positiv im Sinne von „Großherzog" aufgefaßt worden sein.

Eine solche Überlegung verhindert auch, im Rangtitel „gloriosus" einen geringeren Rang zu sehen, als ihn der beneventanische Superlativ „vir gloriosissimus" gemeint hat. Wenn diese Form des Gloriosissimats während des ganzen 7. Jahrhunderts auch überwog, so war doch auch der grundsätz-lich gleichwertige Positiv im Gebrauch17). Hingegen besitzt man erst vom Beginn des 8. Jahrhunderts an Belege dafür, daß die aus der Antike über-lieferten Rangtitel das Substantiv „vir" abstießen18). Der Kern des Spole-tiner Titels „gloriosus et summus dux" muß daher später entstanden sein als der Herzogstitel Benevents; dafür spricht auch die sorgfältige und bewußt auswählende Bildung der Spoletiner Intitulatio, die „domnus" zum Namen stellt und die Rangtitel an den Funktionstitel heranzieht. Der „domnus vir gloriosissimus N. summus dux gentis Langobardorum" wirkt dagegen „archaisch", ja sogar ein wenig roh. Anton Chroust wird man deshalb gerne zustimmen, wenn er den Spoletiner Herzogstitel als Nachahmung des Titels der Herzöge von Benevent versteht19). Als mögliche Entstehungszeit wäre die Zeit um 700 denkbar, vielleicht aber auch schon einige Jahrzehnte früher, will man das Jahr 668 als terminus ante quem für einen beneventanischen Herzogstitel annehmen20). Die Katastrophe von 774 konnte die überlieferte Form des Herzogstitels von Spoleto, das in das fränkische Regnum Lango-bardorum einbezogen wurde, noch einige Jahre überleben21).

4. Der Titel der langobardischen „Amtsherzöge"

Obwohl man keinen wie immer gearteten Beweis dafür erbringen kann, wird man wohl per analogiam annehmen dürfen, daß der Titel der lango-le) Wie Anm. Ii f. Außerdem wäre als urkundliche Selbstaussage auch die Unter-

fertigung in Farfa n. 53; S. 52 f. (a. 761), vgl. Chroust 153, zu nennen, die „Ego Gisolphus in Dei nomine dux gloriosus Langobardorum . . ." lautet.

") Koch, Beamtentitel 59 f. I8) Siehe oben 91 Anm. 17. ») Chroust 135—137. 20) Vgl. oben 196. 21) Vgl. Farfa n. 106 und die folgenden Stücke; S. 86 ff. Nur tritt seither zum Funk-

tionstitel „dux" die territoriale Bereichsbezeichnung „ducatus Spoletini", die bisher schon in den Titulaturen der Privaturkunden Spoletos gebräuchlich war. Chroust 137.

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4. Der Titel der langobardischen „Amtsherzöge" 205

bardischen „Amtsherzöge" im wesentlichen den Typus stellte, dessen sich auch die Herzöge von Benevent und Spoleto vor der Ausbildung ihrer eige-nen Titelformen bedienten. Während sich jedoch die „domni" der beiden südlichen Dukate in der entscheidenden Phase ihrer Entwicklung zur Staat-lichkeit vom langobardischen Regnum emanzipieren konnten, unterstanden die „Amtsherzöge" des Regnum dem König und seiner unmittelbaren Herr-schaftsgewalt. Obwohl das 8. Jahrhundert die Unterschiede in der Praxis, die bis dahin zwischen Norden und Süden zumeist bestanden hatten, mehr und mehr nivellierte, da ein starkes Königtum auch in den „Großdukaten" Benevents und Spoletos seine Rechte geltend machen konnte, blieb die Differenz in der Theorie, ausgedrückt durch die verschiedenen Herzogstitel, bestehen.

Die „Amtsherzöge" besaßen als „illustres iudices" selbstverständlich den Illustrat und konnten auch als „gloriosus dux" angeredet werden1). Die urkundliche Überlieferung kennt jedoch nur Ego in Dei nomine (vir Muster) N. dux2). Eine solche Formel unterscheidet sich in nichts von den Titeln der fränkischen „Amtsherzöge". Da jedoch die Fremdaussagen, die in italischen „Akten" vorkommen, auch die langobardischen „duces" des Nordens mit dem Gloriosissimat bedenken, dürfte das langobardische Herzogtum als Ganzes und nicht nur Benevent und Spoleto dafür verantwortlich sein, wenn der „europäische" Dux allmählich in die Gruppe der „gloriosi(ssimi)" gelangte3).

' ) Chroust 113. Mayer, Italienische Verfassungsgeschichte 2, 256 ff. und 264. 2) Chroust 113. Der Herzog von Modena nannte sich ζ. B. überhaupt nur „ego in

Dei nomine dux". Troya 3, 342 n. 438 (a. 722), vgl. oben 161 Anm. 26 f., ge-braucht die im Obertext zitierte Formel als Fremdaussage. Da auf der Ebene der „Amtsherzöge" die Fremdaussage mit der Selbstaussage identisch ist (vgl. oben 144), darf dieser AnalogieschluB ausnahmsweise gezogen werden.

3) Die Einschätzung der „Amtsherzöge" des Inlandes wie des Auslandes durch die italische Politik drückt sehr anschaulich die Adresse eines Papstbriefes aus dem Jahre 753 aus. Die dort gebrauchte Adresse überträgt die italisch-langobardische Terminologie auf die „duces" der Franken. Codex Carol. 5; S. 488: „Stephanus episcopus servus servorum Dei viris gloriosis nostrisque filiis omnibus ducibus gentis Francorum." Vgl. auch oben 162 und 169 ff. (Tassilo, ein fränkischer „Amts-herzog", dessen Selbstaussagen auf den „importierten" langobardischen Fremd-aussagen über die Stellung eines Herzogs aufbauen).

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