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Studium und Ausbildung Legal Tech Bedrohung oder Chance? https://doi.org/10.1515/jura-2018-2065 Finanzkrise, sinkende Zin- sen und schrumpfende Margen der Kostendruck auf die Anwaltsbranche und vor allem auf Wirt- schaftskanzleien ist in den letzten Jahren ständig ge- stiegen. Außerdem ver- geht in letzter Zeit kaum ein Tag, ohne dass der Be- griff »Legal Tech« in der einschlägigen Wirtschafts- presse auftaucht. Die Rechtsberatungsbran- che ist nicht für revolutionäre Entwicklungen bekannt. So wie sich Gesetze im Laufe der Zeit durch vielfache Ände- rungen und Anpassungen durch Rechtsprechung oder Gesetzgebung weiterentwickeln, so ändert sich auch der Anwaltsberuf eher in kleinen Schritten denn in Quanten- sprüngen. Sicher aber ist: Arbeit und Arbeitsweise in Kanz- leien werden sich in zehn Jahren deutlich von den heuti- gen unterscheiden. KI »schlägt« Anwälte Lawgeex, eine speziell trainierte Künstliche Intelligenz (KI), hat z.B. 20 erfahrene US-Anwälte bei der Vertrags- analyse deutlich geschlagen. Aufgabe war es, innerhalb von vier Stunden fünf Geheimhaltungserklärungen zu überprüfen und rechtliche Probleme zu identifizieren. Die KI hat innerhalb von 26 Sekunden mit einer Genauigkeit von 94 Prozent deutlich gegenüber den Anwälten gewon- nen. Diese brauchten im Schnitt 92 Minuten mit einer Genauigkeit von (nur) 85 Prozent. Stellen also Legal Tech und KI eine Bedrohung für Juristen und besonders in größeren Kanzleien dar? Lässt sich das Beispiel auf alle Wirtschaftskanzleien projizieren und wird KI eines Tages Anwälte ersetzen? Die Thesen für die juristische, v.a. die Anwaltsbranche, schwanken zwi- schen düsteren Prognosen und der Überzeugung, dass gar nichts passieren wird. Fest steht: Wegen der umfassenden weltweiten Digita- lisierung, des anhaltenden Kostendrucks durch Mandan- ten, einem immer intensiveren Wettbewerb und des welt- weiten Heranwachsens alternativer Beratungsdienstleister dürfen Innovation und Legal Tech auf den strategischen Agenden der Wirtschaftskanzleien nicht fehlen. Angehen- de Juristen sind daher gut beraten, sich früh mit Legal Tech auseinanderzusetzen, um die Materie verstehen zu lernen. Das eröffnet ihnen die Möglichkeit, die Rechtspraxis der Zukunft aktiv mitzugestalten. Marktbeobachtung und -entwicklung Die Branche war jahrzehntelang von einer starken Nach- frage verwöhnt, abgerechnet wurde auf Stundenbasis. Heute gibt es drei wesentliche Treiber für den sich ändern- den Rechtsmarkt 1 : »More for Less« Seit einiger Zeit bereits wächst der Druck auf anwaltliche Honorare, »billing by the hour« wird oft nicht mehr akzep- tiert. Arbeit, die keine anwaltliche Kerntätigkeit ist oder Silke Fritz 1 Siehe hierzu auch Richard Susskinds Ausführungen in seinen Wer- ken The End of Lawyers? Rethinking the nature of legal services, Oxford University Press, Oxford, 2013 und Tomorrows Lawyers, S.3ff., Oxford University Press, Oxford, 2.Auflage 2017. Juristische Ausbildung 2019(3): IVI Bereitgestellt von | Freie Universität Berlin Angemeldet Heruntergeladen am | 02.02.19 13:39

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Studium und Ausbildung

Legal Tech – Bedrohung oder Chance?

https://doi.org/10.1515/jura-2018-2065

Finanzkrise, sinkende Zin-sen und schrumpfendeMargen – der Kostendruckauf die Anwaltsbrancheund vor allem auf Wirt-schaftskanzleien ist in denletzten Jahren ständig ge-stiegen. Außerdem ver-geht in letzter Zeit kaumein Tag, ohne dass der Be-griff »Legal Tech« in dereinschlägigen Wirtschafts-presse auftaucht.Die Rechtsberatungsbran-

che ist nicht für revolutionäre Entwicklungen bekannt. Sowie sich Gesetze im Laufe der Zeit durch vielfache Ände-rungen und Anpassungen durch Rechtsprechung oderGesetzgebung weiterentwickeln, so ändert sich auch derAnwaltsberuf eher in kleinen Schritten denn in Quanten-sprüngen. Sicher aber ist: Arbeit und Arbeitsweise in Kanz-leien werden sich in zehn Jahren deutlich von den heuti-gen unterscheiden.

KI »schlägt« Anwälte

Lawgeex, eine speziell trainierte Künstliche Intelligenz(KI), hat z. B. 20 erfahrene US-Anwälte bei der Vertrags-analyse deutlich geschlagen. Aufgabe war es, innerhalbvon vier Stunden fünf Geheimhaltungserklärungen zuüberprüfen und rechtliche Probleme zu identifizieren. DieKI hat innerhalb von 26 Sekunden mit einer Genauigkeitvon 94 Prozent deutlich gegenüber den Anwälten gewon-nen. Diese brauchten im Schnitt 92 Minuten mit einerGenauigkeit von (nur) 85 Prozent.

Stellen also Legal Tech und KI eine Bedrohung fürJuristen und besonders in größeren Kanzleien dar? Lässtsich das Beispiel auf alle Wirtschaftskanzleien projizierenund wird KI eines Tages Anwälte ersetzen? Die Thesen fürdie juristische, v. a. die Anwaltsbranche, schwanken zwi-schen düsteren Prognosen und der Überzeugung, dass garnichts passierenwird.

Fest steht: Wegen der umfassenden weltweiten Digita-lisierung, des anhaltenden Kostendrucks durch Mandan-ten, einem immer intensiveren Wettbewerb und des welt-weiten Heranwachsens alternativer Beratungsdienstleisterdürfen Innovation und Legal Tech auf den strategischenAgenden der Wirtschaftskanzleien nicht fehlen. Angehen-de Juristen sind daher gut beraten, sich frühmit Legal Techauseinanderzusetzen, um die Materie verstehen zu lernen.Das eröffnet ihnen die Möglichkeit, die Rechtspraxis derZukunft aktiv mitzugestalten.

Marktbeobachtung und-entwicklung

Die Branche war jahrzehntelang von einer starken Nach-frage verwöhnt, abgerechnet wurde auf Stundenbasis.Heute gibt es drei wesentliche Treiber für den sich ändern-den Rechtsmarkt1:

»More for Less«

Seit einiger Zeit bereits wächst der Druck auf anwaltlicheHonorare, »billing by the hour« wird oft nicht mehr akzep-tiert. Arbeit, die keine anwaltliche Kerntätigkeit ist oder

Silke Fritz

1 Siehe hierzu auch Richard Susskinds Ausführungen in seinen Wer-ken The End of Lawyers? – Rethinking the nature of legal services,Oxford University Press, Oxford, 2013 und Tomorrow’s Lawyers,S. 3 ff., Oxford University Press, Oxford, 2. Auflage 2017.

Juristische Ausbildung 2019(3): I–VI

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die Berufsanfänger ausüben, bezahlen Mandanten un-gern. Die Folge: Die Nachfrage nach alternativen Ge-schäfts- und Abrechnungsmodellen steigt.

Viele Mandanten wünschen sich heute – statt des An-walts im traditionellen Sinne – einen Geschäftspartnerund Service-Dienstleister, der das Geschäft versteht undseinen Fokus auf ökonomisch sinnvolle Lösungen legt. Sieverlangen außerdem, dass ihr Anwalt allzeit verfügbar istund schnelle Turnaround-Zeiten sowie eine ausgeprägteService-Orientierung mitbringt. Der Anwalt soll Geschäfts-partner sein, der demMandanten hilft, erfolgreich zu sein.

Zudem verlagern Unternehmen diverse Tätigkeitenwieder mehr ins Unternehmen selbst, statt eine externeKanzlei zu beauftragen. Das bedeutet, dass Rechtsabtei-lungen in Unternehmen wieder wachsen oder Unterneh-men kurzfristige Unterstützung i. S. v. Leiharbeit externeinkaufen (sog. Insourcing).

Liberalisierter Rechtsmarkt

Durch die Liberalisierung des Rechtsmarktes und niedrige-re Markteintrittsbarrieren – das Anwaltsmonopol wurdeaufgeweicht, Beratungsverbote aufgebrochen – dringenviele alternative Anbieter, sog. alternative service pro-viders, auf den Markt. Sie bieten diverse Dienstleistungenan, wie z. B. Unterstützung bei Vertragsanalysen, E-Dis-covery und Due Diligence-Prüfungen, Insourcing undkomplexere Projektmanagementtätigkeiten. Auch Unter-nehmensberatungen haben hier Nischen entdeckt, die siefüllen können. Die neueste Forderung nach einer weiterenLiberalisierung auf dem deutschen Markt kommt vom Ver-band Deutsche Startups. Dieser fordert, die Rahmenbedin-gungen zu verbessern, z. B. indem das Rechtsdienstleis-tungsgesetz geändert wird.

Viele Wirtschaftskanzleien haben daher schon seitJahren Service-Center in Ländern mit niedrigerem Lohn-niveau etabliert. Diese nehmen verschiedene juristischeund nicht-juristische Arbeiten wahr, soweit das rechtlichzulässig ist. Ohne eine Plattformtechnik wäre das kaummöglich gewesen.

Digitalisierung undInformationstechnologie

Die deutsche Wirtschaft befasst sich seit geraumer Zeit mitdem Thema Digitalisierung. Es gibt kaum noch Unterneh-men, die sich dem entziehen können. Das Stichwort be-herrscht auch den Rechtsmarkt und man scheint um das

Thema Legal Tech nicht mehr herumzukommen. Juristenwerden täglich mit Begriffen wie Künstliche Intelligenz,Machine Learning, Big Data oder Blockchain konfrontiert.Häufig ist nicht klar, ob die Entwicklung positiv oder nega-tiv zu bewerten ist. Jedenfalls scheint sie viele zu verunsi-chern.

Legal Tech setzt das traditionelle Geschäftsmodell un-ter Druck und zwingt Wirtschaftskanzleien, ihr bisherigesModell zu überdenken. Das Paradigma der technologi-schen Disruption besagt, dass die technologische und digi-tale Revolution bald so weit fortgeschritten sein wird, dassJuristen durch Algorithmen, Künstliche Intelligenz und BigData ersetzt werden.2 Es gibt z. B. bereits seit einiger ZeitOnline-Anwendungen, um Fluggastrechte durchzusetzen,wie flightright.de. Massenweise vorkommende Fälle, dieeinzeln kaumdenAufwand lohnen, werden durch digitale,automatisierte Prozesse zur rentablen Dienstleistung. Eswürde der Juristenzunft ähnlich ergehen wie den Taxifah-rern, denen Uber das Gewerbe zerstöre. Maßgeblich ge-prägt wird auch diese Sichtweise von Richard Susskind.3

Große Unternehmen wie Google, Apple, IBM etc. in-vestieren Milliarden, um die Differenz zwischen MenschundMaschine immer weiter zuminimieren.

Eine Studie mit dem Titel »How Legal Technology WillChange the Business of Law«, die die Bucerius Law Schoolgemeinsam mit der Boston Consulting Group (BCG) 2016erarbeitet hat, geht davon aus, dass Software in Zukunft 30bis 50 Prozent der Aufgaben von Junior Associates über-nehmen könnte.

Das zeigt, dass auch das Organisationsmodell derWirtschaftskanzleien sich ändern muss. Das lange Zeitgeltende Pyramidenmodell, bei dem es eine starke Basisan Junior Associates, einen soliden Mittelbau mit erfahre-nen Juristen und wenige Partner an der Spitze gibt, hatausgedient.

Viel zeitgemäßer erscheint bereits jetzt das sog. Rake-tenmodell: Hier bilden zwar immer noch die Juristen dasZentrum. Doch diese werden flankiert von Legal Tech Ma-nagern, Professional Support Lawyers, Legal Techniciansund Data Visualizers. Das ermöglicht es, eine sehr vielkomplexere Dienstleistung anzubieten.

2 So beispielhaft auch Richard Susskind: Tomorrow’s Lawyers, S. 52,Oxford University Press, Oxford, 2. Auflage 2017.3 Richard Susskind: The End of Lawyers? – Rethinking the nature oflegal services, Oxford University Press, Oxford, 2013 und Tomorrow’sLawyers, S. 3 ff., Oxford University Press, Oxford, 2. Auflage 2017.

II JURA Info

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Innovation needs Tools – Legal Techim Einsatz

Mit Hilfe von Legal Tech könnenWirtschaftskanzleien ihreBeratung effektiver und kosteneffizienter gestalten. LegalTech hilft zunächst intern, indem Software z. B. Dinge erle-digt, die Junior Associates auf Dauer oft als wenig heraus-fordernd betrachten (Datenräume, Document Review).

Legal Tech Tools werden eine bedeutende Rolle spie-len. Sie werden die Arbeit in Wirtschaftskanzleien beein-flussen, Datenmengen werden zuverlässiger und wohlauch zutreffender analysiert werden können. Sie werdenAnwälte bei der Erstellung von Verträgen, genauso wie beider Recherche, der Kommunikation bzw. beim Bereitstel-len und Austausch von Daten mit den Mandanten unter-stützen.

Die bereits vorhandenen Technologien werden imWe-sentlichen in folgenden drei Gruppen eingeteilt: EnablerSoftware, die für die Infrastruktur der Kanzlei erforderlichist, Support-Process Lösungen (Practice Management,Back Office Software, i.e. HR, Business Development, Bil-ling etc.) und Substantive Law Solutions, die die anwalt-liche Arbeit selbst unterstützen und teilweise ersetzen.

Ein großes Thema im Bereich Legal Tech sind Auto-mationsanwendungen wie Contract Express oder Lawlift.Mit ihrer Hilfe lassen sich Dokumente, v. a. Verträge, auto-matisieren. Eine Automatisierung ist für repetitive Auf-gaben zunehmend zu erwarten. Wissensbasierte Arbeitwird aber nicht durch Tools oder KI ersetzt werden, zumin-

dest zunächst nicht. Hier kommt den Juristen der Umstandzu Gute, dass Recht nicht immer logisch ist und auch beiVertragsverhandlungen das kommunikativ-empathischeElement (s. dazu weiter unten) eine wichtige Rolle spielt.Der erfahrene Jurist wendet nicht nur das geltende Rechtan, sondern kann beispielsweise auch abwägen, welchePunkte seines Mandanten besonders wichtig sind und aufwelche Punkte er, ggf. im Austausch für andere Punkte, zuverzichten bereit ist. Es lassen sich aber Verträge generie-ren, mit denen auch weniger erfahrene Nutzer selbst einenVertrag erstellen oder vorbereiten können.

Legal Tech unterstützt auch bei Due Diligence-Prüfun-gen. Hier kommt vermehrt die selbstlernende Datenraum-software zum Einsatz. Sie ermöglicht es, durch integrierteInhaltsanalysen eine Risikoeinschätzung vorzunehmen.So können juristische Berater schneller Entscheidungenauf Basis relevanter Informationen treffen, die die Softwarebereitstellt. Ein weiterer Vorteil dieser Software liegt darin,dass der Anwender recht schnell thematisch ähnlicheKlauseln in verschiedenen Verträgen miteinander verglei-chen kann. Die Software liefert zudemmit relativ geringemAufwand Vertragszusammenfassungen, die sich als Textoder Übersicht darstellen und in herkömmliche Anwen-dungenwieWord, Excel und PDF extrahieren lassen.

Viele Anwendungen bieten jedoch noch nicht das,wasman sich von ihnen erhofft. Umsowichtiger ist es, sichintensiv mit diesen Programmen zu beschäftigen. Dennviele von ihnen lassen sich auf die eigenen Bedürfnisseanpassen. Sie »lernen« bzw. man kann sie »anlernen«.Man kann ihnen z. B. »beibringen«, bestimmte Klauseln zu

Darstellung aus BCG Studie »How Legal TechnologyWill Change the Business of Law«, 2016, S. 10, abgerufen über:http://www.bucerius-education.de/fileadmin/content/pdf/studies_publications/Legal_Tech_Report_2016.pdf.

JURA Info III

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erkennen und zu prüfen. So entsteht im Laufe der Zeit einTool, das auf den Anwender angepasst ist.

Der Jurist der Zukunft – ein Ausblick

Verschiedene Faktoren führen dazu, dass Wirtschafts-kanzleien sich auf die anwaltliche Kerntätigkeit konzen-trieren bzw. ihre Dienstleistung günstiger und effizienteranbieten müssen. Gefordert sind außerdem andere Pro-dukte als noch vor wenigen Jahren. Diese sind nach innenkomplexer, nach außen hin (vermehrt) interaktiv erstellt –oft mit einfacherer Bedieneroberfläche. Möglich wird dasdurch den Einsatz von Legal Tech.

Kann Legal Tech Juristen oder Anwälte ersetzen? Hierstellt sich die Frage, was juristische Arbeit ausmacht. Mankann nach aktuellem Stand davon ausgehen, dass einNotebook im Jahre 2050 eine größere Rechenkapazität alsdie gesamte Menschheit haben wird. Es wächst also nichtnur die Datenmenge, sondern es steigen auch die tech-nischen Möglichkeiten, diese zu verarbeiten. Ohne dieUnterstützung von Maschinen ist dies nicht darstellbar, soviel ist klar. Daher klingt es unrealistisch, wenn Anwältesich nach wie vor für so einzigartig hielten, dass dieseGröße keinen Einfluss auf sie bzw. ihre Arbeit habe. Aller-dings gibt es vielfältige und gleichzeitig wenig konkreteAussagen, was genau KI ist bzw. was sie ausmacht – undauch, wieman juristische Arbeit definiert.4

Versuchenwir es, andemUnterschied zwischenWissenund Intelligenz festzumachen. Es steht außer Frage, dass esSoftware und Tools gibt, die in unserem Arbeitsalltag, Ar-beitsschritte »automatisch« erledigen können. Das gilt vorallem für solche Tools, mit deren Hilfe man große Daten-mengen untersuchen, kategorisieren und systematisierenkann – und das schneller, zuverlässiger und damit kosten-günstiger als Menschen es jemals könnten. Für den Juristenminimieren sich wiederholende Arbeiten und er kann sichstattdessen anspruchsvolleren Aufgaben widmen. LegalTech ist alsodazu imstande,die juristischeArbeitwesentlichzuunterstützenund in gewissenBereichen zuvereinfachen.

KI kann jedoch nicht mit emotionaler Intelligenz undmenschlichem Urteilsvermögen mithalten. Aber kommt esnicht gerade darauf an?Macht nicht der Mehrwert, der sichdurch die Kombination von Wissen und Erfahrung ergibt,einen guten Juristen aus?Hinzu kommtdas kommunikativ-empathische Element – der Instinkt und das Verständnis

darüber, was der Mandant in einer bestimmten Situationbraucht. Aktuell erscheint es noch relativ unrealistisch,dass ein Computer in einer solchen Situation empathischentscheiden kann. Daher kann er nach heutigem Stand dieanwaltlicheArbeit nicht ersetzen.

Eine besondere Herausforderung für Wirtschaftskanz-leien liegt auch darin, Effizienzsteigerungen zu realisieren,um konkurrenzfähig zu bleiben oder im Wege der Koope-ration mit alternativen Anbietern wettbewerbsfähige An-gebote zu erstellen. Die Entwicklung geht hin zum »onestop shop«. Der Anwalt ist es, der das Mandat zentral koor-diniert, für die Qualitätssicherung sorgt und die Gesamt-verantwortung für das Projekt trägt.

Die nächste Generation Juristen unterscheidet sich we-sentlich von den vergangenen Generationen: Die Generati-on Y ist technologieaffin, hat aber auch ein starkes Bedürf-nis nach Individualisierung und einer ausgewogenenWork-Life-Balance. Spätestens diese Generation sollte dieVorteile von Anwendungen sehen, die technologiebasier-te, effiziente Unterstützung liefern können.

Chance von Legal Tech nutzen

Wirtschaftskanzleien sollten die Chance nutzen, von denErkenntnissen zu profitieren, um sich verstärkt auf hochqualifizierte und persönlich lohnenswerte Aktivitäten kon-zentrieren zu können. Legal Tech ist definitiv als Chancezu verstehen – auch, weil sie den Umgang mit dem sichänderndenMarktumfeld inKombinationmit denErwartun-gen sowohl von Mandanten als auch Nachwuchsjuristenerleichtert unddas unterstützt, was ohnehin verlangtwird.

Der Anwalt der Zukunft wird kein reiner »Bediener vonMaschinen« sein, sondern erwird vonMaschinenbei seinerArbeit unterstützt. Er muss die Grenzen der KI erkennen,die Risiken für falsche Ergebnisse einschätzen,minimierenund allgemein deren Ergebnisse kritisch hinterfragen so-wie ggf. korrigieren. Künstliche Intelligenz, die den Men-schen ersetzt, wird uns zunächst wohl nur in Hollywood-Filmenbegegnen.

Silke Fritz, LL.M5

4 Siehe auch Markus Hartung: Wie wahrscheinlich ist es, dass einComputer mich ersetzt? LTO 31. 3. 2015 und Richard Susskind: Tomor-row’s Lawyers, z. B. S. 54, Oxford University Press, Oxford, 2. Auflage2017.

5 Silke Fritz ist Associate der Banking & Finance Gruppe von BakerMcKenzie Frankfurt, gehört zu den Innovation Ambassadors derKanzlei und dem Associate Innovation Incubator Team in Frankfurt.Innovation Ambassadors bringen inner- und außerhalb der KanzleiKollegen, Mandanten und Nachwuchsjuristen näher, wie sie neueIdeen umsetzen und in der Praxis gestalten können oder entwickelngemeinsam Produkte. Innovation Incubators sind Associates diverserPraxisgruppen, die sich zu technischen und digitalen Entwicklungenauf dem Legal Tech Markt und deren Umsetzung in der Kanzlei aus-tauschen und diese vorantreiben.

IV JURA Info

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Tagebuch einesMoot Courts – der ELMC 18/19 ander FU Berlin (Teil 3)

Die erste Phase des European Law Moot Courts ist ge-schafft: Wir als Team der Freien Universität Berlin habenEnde November unsere Schriftsätze endlich eingereicht!Jetzt heißt es aber erst einmal abwarten, denn das Ergebnisdieser schriftlichen Phase wird erst zum Jahresbeginn aufder Homepage der European Law Moot Court Society ver-öffentlicht.

Aus allen Einsendungen werden in den nächsten Wochendie 48 besten Teams ausgewählt und zu den mündlichenVerhandlungen der sogenannten Regional Finals einge-laden. Die vier Regional Finals finden an verschiedenenUniversitäten mit jeweils 12 konkurrierenden Teams stattundwerden imZeitraumvonFebruarbisMärz ausgetragen.Jedes Team muss darauf vorbereitet sein, die Positionendes Klägers und des Verteidigers sowie des Generalanwaltsoder eines Vertreters der Europäischen Kommission zu ver-treten und somit den diesjährigen Fall mündlich vor einemGericht, das mit verschiedenen internationalen JuristenIn-nenbesetzt ist, zu verhandeln.

Von ersten Argumenten zurReinschrift

Die letzten Wochen waren eine sehr aufregende, aberauch besonders arbeitsintensive Zeit. Nachdem wir unsin den letzten Monaten vor allem mit der intensivenRecherche, der Ausarbeitung von Argumenten und dergezielten Analyse des Falles beschäftigt hatten, musstenwir uns nunmehr auf das Erstellen einer Reinschrift kon-zentrieren, die materiell und auch formell unseren ei-

genen sowie den Ansprüchen des Moot Courts gerechtwird.

Bei der Ausformulierung unserer Schriftsätze orien-tierten wir uns an der zuvor von uns erstellten Tabelle,die unsere gesammelten und vorformulierten Argumentebeinhaltet. So konnten wir sicherstellen, dass wir keinewichtigen Punkte vergessen und den Überblick behalten.

Allerdings waren aufgrund der sehr komplexen Fall-stellung noch letzte detaillierte Recherchen zu einzelnenPunkten notwendig. Insbesondere für die Position desKlägers Illiberania erwies es sich als schwierig, Argumen-te auszuformulieren und in eine logische Reihenfolge zubringen, weil dort nicht auf etablierte Positionen im euro-päischen Recht oder auf das case law des EuropäischenGerichtshofs zurückgegriffen werden konnte. Vor allemIlliberanias zentrales Argument der Verfassungsidentitätmusste näher erörtert werden und verlangte uns kreativeDenkprozesse ab. Gemeinsam konnten wir aber noch in-teressante und nützliche Artikel finden, die sich mit die-sem Thema auseinandersetzen. Es war eine große Hilfe,dass man durch das Team und die Coaches nicht auf sichallein gestellt war, sondern sich gegenseitig unterstützenund Fragen und Probleme gemeinsam lösen konnte.

In unseren wöchentlichen Team-Meetings haben wirdie Struktur und die Formulierungen der Schriftsatzent-würfe und die Gewichtung der verschiedenen Argumentediskutiert, erarbeitet und festgehalten. Unsere Coachesstanden uns während der »heißen Phase« jederzeit beiFragen zur Verfügung und gaben uns bei den Meetingswertvolles Feedback, das wir direkt in unsere Ausarbeitun-gen implementieren konnten.

Der Feinschliff vor Abgabe

Mit Fertigstellung des ausformulierten Entwurfs unsererSchriftsätze kam dann der nächste Schritt: Das Erstelleneiner Finalversion.

Die Ausarbeitungen zu den verschiedenen Fragensollten sprachlich und grammatikalisch einwandfrei seinund untereinander eine gewisse Kohärenz aufweisen, umden Lesefluss zu gewährleisten. Da wir die Ausformulie-rung der verschiedenen Fragen untereinander aufgeteilthatten, um zeitgleich an den Texten zu arbeiten undsomit auf jeden Fall rechtzeitig fertig zu werden, war esnotwendig, diese untereinander abzugleichen und an-

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zupassen. Bei unseren regelmäßigen Treffen informiertenwir uns gegenseitig über den aktuellen Stand und halfenuns bei Verständnis- oder Formatierungsproblemen wei-ter.

Unsere Coaches kümmerten sich parallel dazu umunsere Registrierung als Team und um die formale Anmel-dung zum European LawMoot Court.

Mitte November haben wir uns noch ein letztes Malmit den Coaches getroffen und sind beide Schriftsätze Satzfür Satz durchgegangen. So konntenwir noch einige kleineFehler korrigieren, dieWortwahl ändern und die Fußnotenüberprüfen. Außerdem haben wir auch einige Passagengekürzt, um die vorgegebene Seitenzahl von 15 Seitennicht zu überschreiten, denn das würde in einem Punkt-abzugmünden.

Das war wohl das zeitintensivste, aber auch produk-tivste Meeting, doch am Ende des Abends waren unsereSchriftsätze dann fertig. Um unsere Energiereserven wie-der aufzufrischen und uns für die Arbeit zu belohnen, gabes für alle dann noch leckere Pizza. Die gegenseitige Unter-stützung beim Korrekturlesen hat sich ausgezahlt, denn sokonnten wir sicherstellen, dass sich in unseren Schriftsät-zen weder Tippfehler befinden oder Verständnisschwierig-keiten auftreten.

Ein wichtiger letzter Arbeitsschritt war dann noch dieAusarbeitung einer französischen Zusammenfassung un-serer Argumente, denn der European Law Moot Court istein bilingualer Moot Court und wird sowohl auf Englischals auch auf Französisch ausgetragen. Mit vereinten Fran-zösischkenntnissen und der Fokussierung auf die schlag-kräftigsten Punkte des jeweiligen Schriftsatzes war aberauch das zügig erledigt.

Am 23. November 2018 lasen wir dann beide Schrift-sätze noch ein letztes Mal Korrektur, kümmerten uns umdie Einhaltung der Formatvorgaben und stellten sicher,dass wir mit dem Resultat allesamt zufrieden sind. Am24. November 2018 erhielten wir dann die erleichterndeMail von unseren Coaches – die Schriftsätze sind zur Be-wertung eingereicht!

Nur nicht nachlassen: Vorbereitungauf die mündlichen Verhandlungen

Wir werden bereits in den kommenden Dezemberwochenanfangen, uns auf die mündliche Verhandlung der Regio-nal Finals vorzubereiten und uns erste Strategien zurecht-zulegen. Die Hauptaufgabe wird es sein, Plädoyers für denKläger, die Verteidigung und den Generalanwalt oder ei-nen Vertreter der Europäischen Kommission zu erstellen.

Im neuen Jahr werden wir insbesondere unsere Rheto-rik, unsere Argumentationstechnik und das Auftreten vorder Richterbank trainieren. Ein Plädoyer ist nämlich erstdann richtig überzeugend, wenn auch der Vortrag auf einestichhaltige Art undWeise gehalten wird.

Vor den Weihnachtsfeiertagen findet auch noch eineWeihnachtsfeier mit anderen Moot Court Teams der FreienUniversität Berlin statt. Das ist eine schöne Möglichkeit,unsmit anderen »Mooties« zu vernetzen, Erfahrungen aus-zutauschen, den Stress der letzten Wochen hinter uns zulassen unduns auf dieWeihnachtsfeiertage einzustimmen.

Ein Moot Court ist für uns alle eine einzigartige Mög-lichkeit, mit KommilitonInnen aus anderen Semesternoder Fachrichtungen zusammenzuarbeiten. In unseremTeam verstehen wir uns sehr gut, das stärkt unsere Motiva-tion und erhöht den Spaß. Nur durch diese gegenseitigeUnterstützung und die intensive Zusammenarbeit mit denCoaches konnten wir die schriftliche Phase des EuropeanLawMoot Courts abschließen.

Wir sind gespannt auf das Ergebnis der Bewertung derSchriftsätze!

Johanna Eilebrechtim Namen des gesamtenMoot Court Teams1

Danksagung: Ein großer Dank geht an die FU und ins-besondere an den Lehrstuhl von Herrn Prof. Dr. Calliess fürdie Möglichkeit an einem solchen Wettbewerb teilnehmenzu können.

1 Find us on Facebook: European Law Moot Court – FU Berlinhttps://www.facebook.com/elmc.fuberlin/. Our website: http://www.jura.fu-berlin.de/fachbereich/einrichtungen/oeffentliches-recht/lehren-de/calliessc/European_Law_Moot_Court/index.html.

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