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9 Fortbewegung und sensomotorische Integration Gemot Wend/er Fortbewegung ist einer der Schlüssel zum Ver- ständnis der weiten Verbreitung der Insekten und ihres Erfolges bei der Besiedlung unterschiedlich- ster Lebensräume. Insekten können sich auf und im Boden, auf und im Wasser, in der Luft oder an selbsterzeugten Abseilfäden fortbewegen. Die Un- terschiedlichkeit dieser Substrate hat eine Vielfalt an Mechanismen zur Kraftübertragung vom Kör- per auf das Substrat und zur Stabilisierung der Körperlage entstehen lassen. Das Substrat beein- flusst auch den Energieaufwand, der zum Durch- messen einer Strecke oder zum Erreichen einer Geschwindigkeit nötig ist. Ein wesentlicher Aspekt der Fortbewegung ist dementsprechend der Stoffwechsel (s. Kap. 3), der die Energie be- reitstellt. Für das Verständnis der Fortbewegung ist von grundlegender Bedeutung, auf welche Art und Weise die Skelettmuskulatur die chemische Energie in Bewegung umwandelt (s. Kap. 3) und wie dieser Prozess vom Zentralnervensystem ge- steuert wird. Die optimale Umsetzung der Mus- kelkontraktionen in eine Fortbewegung erfordert ferner, je nach Medium, ganz unterschiedliche Konstruktionen der Lokomotionsorgane. Auch die räumlich-zeitlichen Bewegungsabläufe hängen davon ab, ob die Fortbewegung auf oder im festen Substrat , auf oder im Wasser oder in der Luft stattfindet. Darüber hinaus unterliegen die Bewegungen der Lokomotionsorgane keinem völlig starren Schema. Sie werden von Sinnesorganen kontrol- liert, die den Ablauf von Bein- oder Flügelbewe- gungen oder die Körperlage im Raum ermitteln oder die Fortbewegung im Raum (Orientierung) registrieren und eine Kompensation eventuell auf- tretender Störungen bewirken. Motorik und Sen- sorik arbeiten bei der Lokomotion derartig eng zusammen, dass man von sensomotorischer In- tegration spricht. 9.1 Skelettmuskulatur und ihre Kontrolle 9.1.1 Funktionsmorphologie Die Skelettmuskeln dienen der Bewegung von Körperanhängen, der Veränderung der mechani- schen Verspannung des Thorax, den Abdomenbe- wegungen, dem Schließen der Stigmen, den Pump- bewegungen bei der Atmung und den Schall- deckelbewegungen bei den Zikaden, während die Visceralmuskeln innere Organe wie den Darm oder das Herz bewegen. Da die Insekten ein Außenskelett besitzen, in- serieren ihre Skelettmuskeln an diesem Außen- skelett, entweder direkt am Integument oder an Integumenteinstülpungen. Diese Einstülpungen werden je nach ihrem histologischen Bau als Apo- physenoder Apodeme bezeichnet (s. 1.3.9). Sie sind entweder sehr massiv ausgebildet wie z. B. die Furca , der Pleuralarm, die Spina, oder dünn breit- flächig, wie z. B. die Phragmata (Abb. 9-1 A), oder sie können sehr langgestreckt sein wie manche Sehnen, insbesondere in den Beinen (Abb. 9-1 B), und sich weit ins Innere vorwölben. Die Muskulatur, die ein Beingelenk bewegt, liegt stets proximal zum Gelenk, niemals distal. Diese Regel gilt auch für andere Arthropoden ebenso wie für Tetra- poden. Als Konsequenz dieser Anordnung bleibt die Masse der distalen Glieder gering, und die Beweglichkeit wird erhöht. Es ergeben sich zudem kürzere Wege für die Nervenleitung in den Motoneuronen und für die Ener- gieversorgung des Muskels.So liegt einer der drei vonein- ander getrennten Abschnitte des Krallenbeugermuskels (M. retractor unguis; M 139 A) bei Heuschrecken sogar im proximalen Teil des Femur. Er setzt an einer Sehne an, die durch Femur und Tibia sowie durch die Tarsal- glieder hindurch zieht (Tab. 9-1, Abb. 9-1). In der Regel erfolgt die Bewegung eines Gelenks durch antagonistisch wirkende Muskeln oder Mus- kelgruppen . Manche Muskeln besitzen jedoch keinen Antagonisten , z. B. der oben erwähnte Krallenbeugermuskel oder der Tymbal-(Trommel-) Muskel der Zikaden. In diesen Fällen wird die Rückstellkraft von der elastischen Gelenkmem- bran bzw. der Cuticula erzeugt.

Lehrbuch der Entomologie || Fortbewegung und sensomotorische Integration

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Page 1: Lehrbuch der Entomologie || Fortbewegung und sensomotorische Integration

9 Fortbewegung und sensomotorischeIntegrationGemot Wend/er

Fortbewegung ist einer der Schlüssel zum Ver­ständnis der weiten Verbreitung der Insekten undihres Erfolges bei der Besiedlung unterschiedlich­ster Lebensräume. Insekten können sich auf undim Boden, auf und im Wasser, in der Luft oder anselbsterzeugten Abseilfäden fortbewegen. Die Un­terschiedlichkeit dieser Substrate hat eine Vielfaltan Mechanismen zur Kraftübertragung vom Kör­per auf das Substrat und zur Stabilisierung derKörperlage entstehen lassen. Das Substrat beein­flusst auch den Energieaufwand, der zum Durch­messen einer Strecke oder zum Erreichen einerGeschwindigkeit nötig ist. Ein wesentlicherAspekt der Fortbewegung ist dementsprechendder Stoffwechsel (s. Kap. 3), der die Energie be­reitstellt. Für das Verständnis der Fortbewegungist von grundlegender Bedeutung, auf welche Artund Weise die Skelettmuskulatur die chemischeEnergie in Bewegung umwandelt (s. Kap. 3) undwie dieser Prozess vom Zentralnervensystem ge­steuert wird. Die optimale Umsetzung der Mus­kelkontraktionen in eine Fortbewegung erfordertferner, je nach Medium, ganz unterschiedlicheKonstruktionen der Lokomotionsorgane. Auchdie räumlich-zeitlichen Bewegungsabläufe hängendavon ab, ob die Fortbewegung auf oder im festenSubstrat , auf oder im Wasser oder in der Luftstattfindet.

Darüber hinaus unterliegen die Bewegungender Lokomotionsorgane keinem völlig starrenSchema. Sie werden von Sinnesorganen kontrol­liert, die den Ablauf von Bein- oder Flügelbewe­gungen oder die Körperlage im Raum ermittelnoder die Fortbewegung im Raum (Orientierung)registrieren und eine Kompensation eventuell auf­tretender Störungen bewirken. Motorik und Sen­sorik arbeiten bei der Lokomotion derartig engzusammen, dass man von sensomotorischer In­tegration spricht.

9.1 Skelettmuskulatur undihre Kontrolle

9.1.1 Funktionsmorphologie

Die Skelettmuskeln dienen der Bewegung vonKörperanhängen, der Veränderung der mechani­schen Verspannung des Thorax, den Abdomenbe­wegungen, dem Schließen der Stigmen, den Pump­bewegungen bei der Atmung und den Schall­deckelbewegungen bei den Zikaden, während dieVisceralmuskeln innere Organe wie den Darm oderdas Herz bewegen.

Da die Insekten ein Außenskelett besitzen, in­serieren ihre Skelettmuskeln an diesem Außen­skelett, entweder direkt am Integument oder anIntegumenteinstülpungen. Diese Einstülpungenwerden je nach ihrem histologischen Bau als Apo­physenoder Apodeme bezeichnet (s. 1.3.9). Sie sindentweder sehr massiv ausgebildet wie z.B. dieFurca , der Pleuralarm, die Spina, oder dünn breit­flächig, wie z. B. die Phragmata (Abb. 9-1 A), odersie können sehr langgestreckt sein wie mancheSehnen, insbesondere in den Beinen (Abb. 9-1 B),und sich weit ins Innere vorwölben.

Die Muskulatur, die ein Beingelenk bewegt, liegt stetsproximal zum Gelenk, niemals distal. Diese Regel giltauch für andere Arthropoden ebenso wie für Tetra­poden . Als Konsequenz dieser Anordnung bleibt dieMasse der distalen Glieder gering, und die Beweglichkeitwird erhöht. Es ergeben sich zudem kürzere Wegefür dieNervenleitung in den Motoneuronen und für die Ener­gieversorgung des Muskels. So liegt einer der drei vonein­ander getrennten Abschnitte des Krallenbeugermuskels(M. retractor unguis; M 139 A) bei Heuschrecken sogarim proximalen Teil des Femur. Er setzt an einer Sehnean, die durch Femur und Tibia sowie durch die Tarsal­glieder hindurch zieht (Tab. 9-1, Abb. 9-1).

In der Regel erfolgt die Bewegung eines Gelenksdurch antagonistisch wirkende Muskeln oder Mus­kelgruppen. Manche Muskeln besitzen jedochkeinen Antagonisten , z.B. der oben erwähnteKrallenbeugermuskel oder der Tymbal-(Trommel-)Muskel der Zikaden. In diesen Fällen wird dieRückstellkraft von der elastischen Gelenkmem­bran bzw. der Cuticula erzeugt.

Page 2: Lehrbuch der Entomologie || Fortbewegung und sensomotorische Integration

230 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

A

I Dll

B

quer

posterior

M 136

Abb.9·1: Lage und Ansatzstellen von Skelettmuskeln. A Medianschnitt durch Kopf und Thorax des TabakschwärmersManduca sexta. (In Anlehnung anEaton 1988) I DI, IIDI, 111 DI dorsaler längsmuskel des Pro-, Meso- bzw. Metathorax. Der mächtigedorsale längsmuskel des Mesothorax ist in 5 Muskelbündel geteilt (a- e), deren jedes von einem anderen Motoneuron innerviertwird. Die metathorakalen dorsalen längsmuskeln sind wesentlich schwächer ausgebildet. Die Hinterflügel sind durch ihrRetinaculum und das Frenulum der Vorderflügel so an die Vorderflügel gekoppelt, dass sie deren Bewegungen in nahezu allenFlugphasen mitmachen müssen. Dies gilt u.a. für alle Schwärmer. Die Schwärmer können deshalb funktionell annähernd alsZweiflügler betrachtet werden. Die zwischen rechtem und linkem dorsalen längsmuskel verlaufende Aorta spielt eine wichtige Rollebeim Abtransport der Muskelwärme während des Flugs. B Einige Muskeln und Sehnen des linken Hinterbeines der HeuschreckeDissosteira carolina. (Nach Snodgrass 1935) Die flache und breite Sehne des M. extensor tibiae ist in der längsansicht schrägangeschnitten (siehe Querschnitt). Zur Funktion des Knopfes s. 9.2.3. Zur lage des femoralen Anteils des Krallenbeugermuskels(M. retractor unguis; M 139A) s. Tab. 9-1 .

Die Muskeln und die Anordnung der einzelnenMuskelfasern innerhalb eines Muskels können jenach ihrer Aufgabe und Einsatzweise außerordent­lich unterschiedliche Formen annehmen. Bei lang­gestreckten Muskeln bzw. Muskelfasern sind sehrviele Sarcomere (Kontraktionseinheiten, s. 9.1.2)hintereinander angeordnet. Aufgrund dieser An­ordnung addieren sich deren Verkürzungen. Grö­ßere Kräfte werden hingegen durch eine größereAnzahl von Muskelfasern erreicht, die parallelangeordnet sind und somit einen großen Muskel­querschnitt ergeben. Der Muskelquerschnitt spieltz.B. für die Sprungleistungen von Insekten einegroße Rolle (s. 9.2.3).

Je mehr Muskelfasern parallel angeordnet sind,desto größer muss die cuticuläre Ansatzflächesein, wie z.B. bei den mächtigen Flugmuskeln derPterygoten (Abb. 9-1 A). Hier entspricht die Zug-

richtung des gesamten Muskels derjenigen der ein­zelnen Fasern . Ganz anders sind die Verhältnissebei der Bewegung langgestreckter Körperanhängewie den Beinen, die über den Zug dünner undlanger Sehnen erfolgt, die durch das enge Lumendes Gelenks in das nächste Glied hindurchgeführtwerden.

Werden große Kräfte übertragen wie z. B. in Sprung­beinen oder in Mand ibeln, dann findet man oft auffälliggefiederte Muskeln (Abb.9-1 B). Bei ihnen sind dieeinzelnen Muskelfasern kurz und haben deshalb keinenlangen Verkürzungsweg. Es lassen sich auf diese Weiseaber wesentlich mehr Fasern parallel im gleichen Volu­men unterbringen , die zusammen eine höhere Kraft er­zeugen können. Allerdings setzen die Muskelfasernschräg an der Sehne an und können ihre Kraft deshalbnicht vollständig in die Zugrichtung der Sehne über­tragen.

Page 3: Lehrbuch der Entomologie || Fortbewegung und sensomotorische Integration

9.1 Skelettmuskulatur und ihre Kontrolle 231

TransversalerTubulus

Trachee SarcoplasmatischesReticulum

Abb. 9·2: Querschnitte von Muskelfasern. Die im Querschnitt sichtbaren feinen Gitterstrukturen der Myofibrillen sind nichtgezeichnet (s. Abb. 9-3). A Zylindrische Faser, B tubuläre Faser. (Aus Seifert 1995)

9.1.2 Bau der Muskeln

Ein Skelettmuskel enth ält meist mehrere bis vieleMuskelfasern (~ 4 11m bis 42 11m beim Antennen­retraktor von Ameisen). Die Muskelfasern sindSyncytien aus vielen Muskelzellen. Oft sind etwa10 bis 20 Muskelfasern zu einem Bündel zusam­mengefasst, das von einer Membran umgeben istund von einem oder mehreren Ästen des Tra­cheensystems versorgt wird. Kleine Muskeln kön­nen ein einziges Bündel enthalten, während großeaus vielen Bündeln bestehen (Tab. 9-1). Jede Mus­kelfaser gliedert sich in eine Reihe von Myofi­brillen, zylindrisch oder leistenförmig angeordne­ten Streifen von parallel angeordneten Myofila­menten, die den eigentlichen kontraktilen Apparatdarstellen. Die Myofibrillen sind von sehr großenMitochondrien, von dem sarcoplasmatischen Re­ticulum und den transversalen Tubuli umgeben.Die Zellkerne sind meist an der Peripherie derMuskelfaser zu finden (Abb. 9-2 A).

Bei einer Reihe von Muskeln liegen die Zell­kerne hingegen in einem zentralen Zylinder imInnern der Muskelfaser. Bei diesen tubulären Fa­sern sind die Myofibrillen meist, aber nicht immer,leistenförmig und radial angeordnet (Abb. 9-2 B).Tubuläre Fasern finden sich z.B. bei den unter­suchten Odonata nur in den dorsoventralen unddorsolongitudinalen Flugmuskeln . Bei den holo­metabolen Diptera und Hymenoptera bestehenalle Muskeln aus tubulären Fasern , mit Ausnahmeder indirekten Flugmuskeln, die aus wenigen sehrdicken fibrillären Fasern bestehen (etwa 70 11mbeim dorsalen Längsmuskel der Wanze Lethoce­rus), deren Kerne unregelmäßig verteilt sind. Ver­gleichende Untersuchungen der tubulären Fasern

bei den Insekten ergaben, dass sehr schnell kontra­hierende Muskeln besonders dicke Zentralzylinderbesitzen, wie z.B. der Tergo-Trochanter-Muskelder Fliegen (s. 9.2.3) oder der Triggerrnuskel, dereinen schnellen mandibulären Schnappreflex beiden Ameisengattungen Odontomachus und Ano­chetus auslöst (Gronenberg 1995).

Im Längsschnitt zeigen alle Muskelfasern derInsekten lichtmikroskopisch eine klare Querstrei­fung, die wie bei den quergestreiften Skelettmus­keln der Wirbeltiere auf die regelmäßige Anord­nung der Proteine in den Myofibrillen zurückgeht.Lichtmikroskopisch erscheint ein bestimmter Be­reich doppelbrechend (Anisotrop) , das A-Band. Esist der Bereich der dicken Myosin-Filamente. DasI-Band ist nicht doppelbrechend (Isotrop). Hierliegen die dünnen Actin-Filamente frei. Sie sind anden Z-Scheiben befestigt. Der Abschnitt zwischenzwei Z-Scheiben wird Sarcomer genannt. DieLänge eines Sarcomers kann zwischen 1,5 11m beiAntennenmuskeln von Ameisen, bis über 9 11m beiMuskeln des Heuschreckenbeins betragen . Bei derKontraktion, die durch ein Ineinandergleiten derbeiden Filamentarten erfolgt (s. 9.1.4), verkürztsich das Sarcomer. Je größer die Anzahl derhintereinanderliegenden Sarcomere in einer Mus­kelfaser, umso größer der Betrag, um den sie sichverkürzen kann . Aber auch andere Faktoren spie­len eine Rolle, insbesondere der Weg, um den sichdie Filamente ineinanderziehen können . Bei denfibrillären Flugmuskeln ist dieser Weg äußerst ge­ring, da die Myosin-Filamente bereits im Ruhezu­stand bis nahe an die Z-Scheibe heranreichen.Trotzdem ist die Amplitude der resultierendenFlügelbewegungen aufgrund eines an der Flügel­basis sitzenden Hebelsystems sehr groß.

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232 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

GiE Uo <:o ~

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c

Abb. 9·3: Längs- und Queransichtvon Muskelfibrillen. A Nichtfibrillärer,B fibrillärer Muskel eines Insekts. (AusGewecke 1995) Bei den quergestreiftenMuskelfasern der Wirbeltiere dringen dieT-Tubuli in Höhe der Z-Scheiben in dieFibrille ein. C Feinstruktur im Quer­schnitt. Oben: Fibril lärer Flugmuskel vonMusca domestica. Unten: Intersegmen­talmuskel von Periplaneta americana.Die Myosinfilamente sind stets hexago­nal angeordnet. Die Adinfilamente sindbei fibrillären Muskeln stets, bei ande­ren Muskeln manchmal ebenfalls hexa­gonal angeordnet. Im Mittel kommendann 4 Adinfilamente auf 1 Myosinfila­ment. Es kommen jedoch auch andereAnordnungen der Adinfilamente vor. SRSarcoplasmatisches Reticulum; TTrans­versaler Tubulus; Z Z-Scheibe; M Myo-sinfilament; AAdinfilament.

Die Grundanordnung des Kontraktionsappa­rates ist bei Wirbeltieren und Insekten gleich. DieLage der trans versalen Tubuli und ihre Beziehungzum sarcoplasmatischen Reticulum unterscheidetsich jedoch erheblich. Bei den fibrillären Muskelnist das sarcoplasmatische Reticulum stark redu­ziert (Abb. 9-3).

9.1.3 Steuerung der Kontraktion

Die Kontraktion von Skelettmuskeln wird in derRegel durch Motoneuronen gesteuert. Verglichenmit den Wirbeltieren besitzen die Insekten nur einegeringe Anzahl vonMotoneuronen. So wird z. B. einproximaler Beinmuskel der Säuger in der Regelvon jeweils mehr als 100 Motoneuronen versorgt,während es beim Insekt 2 bis etwa 13 Motoneu­ronen sind. Die gesamte Muskulatur eines Heu­schreckenbeins wird von insgesamt nur etwa70 Motoneuronen gesteuert. Ein Muskel emp­fangt immer die gleiche Anzahl von Motoneu­ronen. Soma und Dendriten jedes Motoneuronsnehmen stets eine charakteristische Lage imGanglion ein. Jedes Motoneuron ist deshalb beijedem Individuum auch in gleicher Position aufzu­finden (Abb. 8-3, Tab. 9-1). Diese Lage ist überArt- und Klassengrenzen hinaus bemerkenswertkonstant. Da die Motoneuronen individuell iden­tifizierbar sind, ist es prinzipiell möglich, ihre An­zahl und Funktion für die gesamte Skelettmusku ­latur vollständig zu erfassen.

Die geringe Anzahl von Motoneuronen wird oft mit dergeringen Körpergöße der Insekten in Zusammenhanggebracht. Ganz ähnliche Innervationsverhältnisse sindjedoch auch bei anderen Arthropoden und Krebsen zufinden, die z.T. beträchtliche Körpergrößen erreichen

können . Darüber hinaus ist das Prinzip der Feinkontrolle(s.u.) in nahezu gleicher Weise bei den Krebsen ver­wirklicht. Diese Verhältnisse mögen also ursprüngl ich aneine geringe Körpergröße angepasst sein, sind bei denInsekten jedoch auch als phylogenetisches Erbe zu be­trachten.

Trotz der geringen Anzahl von Neuronen, die dieKontraktion eines Muskels steuern , können In­sekten ihre Gelenke mit einer Präzision und genaudosierten Geschwindigkeit bewegen, die denen derWirbeltiere nicht erkennbar nachsteht. Diese Fä­higkeit geht auf eine hoch entwickelte Arbeits­teilung zwischen den einzelnen Neuronen und denvon ihnen innervierten Muskelfasern zurück. Imfolgenden wird die Steuerung der Kontraktion dernichtfibrillären Muskeln durch Motoneuronen be­schrieben. Bei den fibrillären Flugmuskeln dermyogenenen Flieger wird die Kontraktion hinge­gen durch eine schnelle Dehnung des Muskelsausgelöst (s. 9.4.3.2).

Man unterscheidet vier Grundtypen von Moto­neuronen (Tab. 9-1):• "Schnelle" Motoneuronen, die schnelle und

starke Muskelkontraktionen erzeugen. JedesAktionspotenzial im Motoneuron erzeugt in denMuskelfasern eine starke Depolarisation (Abb.9-4), die eine starke Kontraktion des Muskelsauslöst. Bei höheren Frequenzen der Aktionspo­tentiale im Motoneuron überlagern sich dieseKontraktionen zu einem Tetanus, der etwa dasFünffache der Einzelkontraktion erreichen kann.

• "Langsame" Motoneuronen, die langsame, feindosierbare Kontraktionen bewirken. Jedes Akti­onspotential im Motoneuron erzeugt in denMuskelfasern eine geringe Depolarisation, dieeine schwache und länger dauernde Kontraktiondes Muskels auslöst. Bereits bei relativ niedrigenFrequenzen im Motoneuron überlagern sich die

Page 5: Lehrbuch der Entomologie || Fortbewegung und sensomotorische Integration

9.1 Skelettmuskulatur und ihre Kontrolle 233

Tab.9-1: Prinzip der Kontraktionssteuerung am Beispiel des M. extensor tibiae der Wüstenheuschrecke Schistocerca gregaria.Oben links: Femur des linken Hinterbeins, von ventral aufpräpariert. M.flexor tibiae entfernt. Gezeichnet sind die fiederförmigangeordneten Muskelfaserbündel in ihrer natürlichen Lage und richtigen Anzahl. Die Muskelabschnitte 135A!B a-fsowie 135C und135D der Tabelle beziehen sich auf diese Zeichnung. Grau unterlegt sind diejenigen Innervationsmuster, die bei mehr als 5% derFasern des Gesamtmuskels vorliegen (Spalte %, nach Hoyle 1978). Die vier Motoneuronen liegen im Metathorakalganglion.Dargestellt sind die auf die Horizontalebene projizierten Dendriten, die seitlich etwas abgesetzten Somata (Zellkörper) sowie diedurch die Nerven 3, 5 oder auch 4 ziehenden Axone (nach Burrows 1996). Es gibt inhibitorische Neuronen, die nur einen Muskelinnervieren. Andere versorgen gleichzeitig mehrere Muskeln, darunter auch antagonistisch wirkende. Hierauf bezieht sich dieBezeichnung als .cornrnon inhibitor". So innerviert das C11 -Neuron zusätzlich zum M 135 fast alle proximalen Beinmuskeln,während zwei andere Inhibitoren, C12 und C13, den M. flexor tibiae und die weiter distal sitzenden Muskeln versorgen .

M. extensor tibiae - M 135 NervenfasertypM 135A

anterior

~-J ~,-~-.~a b ..-L, 1..2..... e M ? 5 CExtensor Inhibitor 1 " Unpaired •

f

~- TIb iae TIblae (CIl) Median ... ,.

~ =-- (FETI) (SETI) 3-~

M" 35 0• 5 Extensor

r'" M. retractor unguis M 135 BTIbiae

10mm posterior (OUMETI) 05 lTYIl

L-Glulamat - L-Glulamat · öffnet1 ·Aminobutter5äure Oetopamin • erhöht

Neuromuskulärer Transmitteröffnet Na-·KanAle Na-·Kanäle

(GABA) • öffnet intrazellulAre

Cr -Kanäle Ca""-Konzentranoo

Wirkung auf den Muskelschnelle, starke langsame. schwache Hemmung der lang andauernde

Kontraktion Kontraktion Kontraktion Modulation der Kontraktion

Muskelfasertyp Muskelabschnitt %

135NB a.b.c.d .e.t 68 X

135NB b.c .d 6 X Xschne ll

135NBa.d 0.5' X X X

135NB a.d.e .t 2 X X

135NB a.d.e ,f 3 X Xintermediär

135NB a.c.d.ej 12 X X X

135NB a.r. 135C. 1350 8 X Xlangsam

135Aa 0.5 X

Depolarisationen in den Muskelfasern , und dieEinzelkontraktionen verschmelzen zu einer glat­ten Kontraktion. Sie erreicht bei weitem nichtdie Höhe des Tetanus, der von den schnellenMotoneuronen erzeugt wird.Schnelle und langsame Motoneuronen stellenExtremformen dar. Wenn ein Muskel von mehrals zwei solcher Motoneuronen innerviert wird,dann findet man zusätzlich Neuronen mit inter­mediären Eigenschaften.

• Hemmneuronen erzeugen in der Muskelfasereine Hyperpolarisation, die sich den Depolari­sationen durch die aktivierenden Motoneuronenüberlagert , Sie verringern also die Wirkung deraktivierenden Motoneuronen und beschleuni­gen zusätzlich die MuskelerschlatTung (Abb. 9­5). Eine derartige periphere Hemmung ist beiWirbeltieren nicht bekannt. Die Hemmneuro­nen der Insekten innervieren oft mehrere Mus­keln gleichzeitig, darunter oft auch Antagonis­ten. Sie werden deshalb als "common inhibi­tors" bezeichnet. In der Ontogenese entstehensie aus den gleichen Neuroblasten wie inhibitori­sehe Interneuronen. Sie sind als abgewandelteinhibitorische Interneuronen aufzufassen , deren

Terminalien im Laufe der Evolution in die Peri­pherie verlagert wurden .

• Modulatorneuronen (s, 8.2.2). Diese besitzenneurosekretorische Endigungen an der Muskel­faser und modulieren die Kontraktionsstärkeund -geschwindigkeit. Solche Neuronen sind beiWirbeltieren ebenfalls nicht bekannt. Für dieLokomotion bedeutsam sind in erster Linie dieoctopaminergen DUM-Neurone ("dorsal un­paired median").

Anders als bei Säugern terminiert ein Motoneuronbei Insekten nicht mit einer einzigen Synapse, dermotorischen Endplatte, an einer Muskelfaser, son­dern formt viele Synapsen entlang der Faser (mul­titerminale Innervation, Abb. 9-4). Dementspre­chend bildet die Muskelfaser auch kein Alles-oder­Nichts-Potential aus, das über die Faser weiter­geleitet wird, sondern erzeugt entlang der Faserviele lokale und nicht aktiv fortgeleitete postsy­naptische Potentiale . Ein weiterer wichtiger Un­terschied zum Säuger besteht darin, dass eineMuskelfaser nicht ausschließlich von einem ein­zigen Motoneuron, sondern von mehreren Moto­neuronen innerviert werden kann (polyneurale In-

Page 6: Lehrbuch der Entomologie || Fortbewegung und sensomotorische Integration

234 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

Abb.9-4: Prinzip der multiterminalen und polyneuralen Innervation von Insektenmuskeln. A Die synaptischenEndigungen sind gleichmäßig miteinem typischen Abstand von 50bis 80 11m über die Muskelfaser verteilt. Einzelne Muskelfasernkönnen von unterschiedlichen Kombinationen von Motoneuronen innerviert werden. sschnell, I langsam, i inhibitorisch. (Nach Hoyle1974) B Beispiele von intrazellulär gemessenen postsynaptischen Potentialen während spontaner Aktivität der Motoneuronen beimM 92 von Locusta migratoria. Depolarisationen durch aktivierende Motoneuronen (s und I) werden als Ausschläge nach obendargestellt, Hyperpolarisierungen durch inhibitorische Neuronen als Ausschläge nach unten (Pfeile). (Nach Müller et al. 1992) EinHemmneuron kann ein aktivierendes Motoneuron auch präsynaptisch hemmen, wobei die Weiterleitung der Aktionspotentialeverhindert wird. In diesen Fällen lässt sich die Hemmung nicht intrazellulär in der Muskelfaser nachweisen.

nervation, Abb. 9-4) . Die Innervation folgt einigenRegeln, die sich funktionell interpretieren lassen.So werden Muskelfasern nie durch ein inhibito­risches oder modulatorisches Motoneuron alleinversorgt. Ferner versorgt ein inhibitorisches Mo­toneuron vorzugsweise Fasern, die auch von einemlangsamen Motoneuron innerviert sind, währenddie DUM-Neurone häufig mit schnellen Moto­neuronen assoziiert sind.

Als Beispiel für einen polyneural innervierten Muskel istder sehr gut untersuchte M. extensor tibiae der Wander­heuschrecke zu nennen (Tab.9-1), der von vier Motoneu-

I ~0.3hinten t

~ 1 111"11111111 111111 I

.x .ClU

0.2 A-c:.~ •s: •0

~'" •QlCl •'"c: 0.1 •0~ •~ •e . •o,

0 I I

0 5 10 15

Anzahl von Cll - Aktionspolentialen

Abb.9·5: Zeitlicher Einsatz und Bedeutung desCommonInhibitor Neurons (11 beim Laufen. Die Aktivität des Cll­Neurons eines Mittelbeins von Locusta migratoria konnte durchintrazelluläre Hyperpolarisation quantitativ manipuliert werden .Abszisse: Anzahl der Cll-Aktionspotentiale im Zeitraum von200 ms bevor das Bein nach der Protraktion wieder aufsetzt(Pfeile im Einschub). Einschub: Beispiele zur Aktivität des Cl l­Neurons und der Protraktion des Beins beim unbeeinflusstenLaufen (oben) und bei teilweiser Hemmung des Cll-Neurons(unten). (Nach Daten von Wolf 1990)

ronen innerviert wird. Bei ihm werden über 90% allerMuskelfasern durch ein schnelles Motoneuron (FETi,Tab. 9-1) entweder allein oder in Kombination mit an­deren Neuronen innerviert. Diese herausragende Rolledes FETi hängt vermutlich mit der zusätzlichen Spezia­lisierung dieses Muskels für den Sprung zusammen. Beianderen Muskeln kann die Rolle des FETi geringer sein,wie z. B. beim mesothorakalen vorderen Rotator derCoxa (M 92 nach Snodgrass 1929), der vorzugsweisebeim Laufen in der Schwingphaseeingesetztwird, in derdas Bein nach vorn schwingt. Bei ihm sind nur zweiDrittel der 90 bis 100Muskelfasern von einem schnellenMotoneuron innerviert (1/3 allein, 1/3 zusammen miteinem langsamen und dem "common inhibitor" (CII ,Tab. 9-1) und 1/3 vom langsamen zusammen mit demCIl . Andere Muskeln werden von fünf oder mehr Molo­neuronen innerviert, wobeimehrere Hemmneuronen undneben den schnellenund langsamen aktivierenden Moto­neuronen auch intermediäre Formen beteiligt sein kön­nen.

Die Muskelfasern besitzen je nach der Innervationunterschiedlichehistologische, enzymatischeund mecha­nische Eigenschaften und werden entsprechend inschnelle, langsame und intermediäre Fasern eingeteilt.Hinsichtlich der Kontraktionsstärke und -geschwindig­keit ähneln die intermediären Fasern mehr den schnellenFasern als den langsamen.

In der Regel sind diejenigen Muskeln von meh­reren Motoneuronen innerviert, die fein dosierteKräfte und einen präzisen Zeitverlauf der Kraft­entwicklung erzeugen müssen, z. B. beim Laufenund bei der genauen Positionierung des Beinsbeim Klettern . Flugmuskeln werden hingegen vonwenigen, oft nur einem und meist schnellen Moto­neuron innerviert, da bei der Steuerung von Flug­manövern weniger die Kontraktionsstärke im Vor­dergrund steht als vielmehr der relative Kontrak­tionszeitpunkt innerhalb des Flügelschlag­rhythmus (s. 9.4 .3.1) .

Page 7: Lehrbuch der Entomologie || Fortbewegung und sensomotorische Integration

9.2 Fortbewegung an Land 235

Die Spezialisierung eines Muskels dr ückt sich nicht nurin den oben genannten morphologischen und physio­logischen Merkmalen aus, sondern auch im Ausmaß undin der zeitlichen Reihenfolge der Aktivierung der ver­schiedenen Motoneurone innerhalb des Muskels. So wirdbei der Wand erheuschrecke der FETi des Hinterbeinsnicht beim Laufen eingesetzt, wohl aber in der Endphasedes Aufbaus der mechanischen Spannung kurz vor demSprung (s. 9.2.3). Der den M. flexor tibiae innervierendeCI2 wird in dem Moment eingesetzt , in dem die Erre­gung der aktivierenden Motoneu ronen nachlässt. Damitbeschleunigt er die Erschlaffung des Flexormuskels undunterstützt infolgedessen die schnelle Streckung der Ti­bia durch den M. extensor tibiae. - Eine ähnliche Funk­tion hat der CII bei der Beinbewegung beim Laufen , z. B.während der Protrakti on. Da er bevorzugt diejenigenMuskelfasern innerviert, die auch von einem langsamenMot oneuron versorgt werden, beschleunigt er die Er­schlaffung dieser Muskelfasern , aber nicht derjenigenFasern, die vom schnellen Motoneuron innerviert sindund die die schnelle Protrakti on bewirken. So konntenachgewiesen werden, dass die Geschwindigkeit der Pro­trakt ion eines Beins unmittelbar von der Aktivität desCII abhängt (Abb. 9-5).

9.1.4 Kontraktionsmechanismus

1000 Hz. Bei ihnen wird die einzelne Kontrakt ionnicht durch einen schnellen Anstieg der Ca++­Ionenkonzentration ausgelöst, sondern durch eineschnelle passive Strecku ng bei der rhythmischenForm veränderung des Thorax im Flug (s. 9.4.3.2).Die mit einer niedrigen Frequenz auftretendenMuskelpotenziale bewirken lediglich eine langan­dauernde erhöhte Konzentrat ion von Ca++-Ionenin den Myofibrillen. Der Mechanismus dieserStreckaktivierung ist noch nicht geklärt. Mögli­cherweise ist ein lediglich bei fibrillären Muskelngefundenes Protein beteiligt, das Flightin. Eben­falls weitgehend unklar ist, ob der Mechanismusbei den fibrillären Muskeln der unterschiedlichenInsektenklassen einheitlich ist.

Je genauer Bau und Physiologie der Skelettmu skeln un­tersucht werden , umso deutl icher wird die unglaublicheVielfalt der Passungen zu den jeweiligen Aufgaben aufallen Ebenen, sei es auf der Ebene der Funktionsmor­phologie, der neuronalen Ansteuerun g (Tab. 9-1), derEigenschafte n der Muskelfasern oder der molekularenTransform ation der chemischen in mechanische Energie.So sind wir derzeit trotz der Kenntnis einiger grund­legender Prinzipien von einer befriedigenden und imRahmen des Sinnvollen vollständigen Beschreibung nochweit entfernt.

9.2.1 Kriechen

9.2 Fortbewegung an Land

Kriechbewegungen werden bei bestimmten Lar­venstadien, die nur mit einem Hautmuskel­schlauch ohne festes Exoskelett ausgestattet sind,

BA

Abb.9·6: Fortbewegung von Lepidopterenlarven. AKriechbewegung einer Lepidopterenraupe mit peristaltischerWellenbewegung von hinten nach vorn unter Benutzung derAfterfüße und des Nachschiebers. B Schreitbewegung einerSpanner-Raupe (Geometridae). (Nach Weber 1954)

Die molekul aren Vorgän ge bei der Kontraktionder Insektenmuskeln entsprechen in den wesentli­chen Punkten den Verhältni ssen beim querge­streiften Muskel der Säuger. Sie werden deshalbim Folgenden lediglich in den Grundzügen darge­stellt. Weitere Deta ils mögen in den einschlägigenPhysiologie-Lehrbüchern nachgelesen werden.

Die Depolarisation der Muskelfaser-Membrandurch die aktivierenden Motoneuronen dringtelektrotonisch durch Membraneinstülpungen(transversale Tubuli , Abb. 9-3) in das Innere derMuskelfaser und führt auf eine noch nicht ganzgeklärte Weise zu einem Ausstrom von Ca++-Io­nen aus dem sarcoplasmatischen Reticulum in denBereich der Myofibrillen. Dort führt die erhöhteCa++-Konzentration zu einer Konformationsän­derung der Actinfilamente, wodurch Bindungs­stellen für die Myosinköpfe frei werden. In Anwe­senheit von ATP beginnt nun der Querbrücken­zyklus, bei dem die Myosin-Köpfe an Actin bin­den, um einen bestimmten Betrag kippen unddadurch die Actin- und Myosin-Filamente inei­nanderziehen. Dies führt zu einer Verkürzung desSarcom ers. Danach lösen sich die Köpfe, findeneine neue Bindungsstelle und so fort , bis der Zyk­lus durch das Zurückpumpen der CaT -Ionen indas sarcoplasmatische Reticulum und die rück­läufige Konform ationsänderun g des Actins been­det wird, sodass die Faser rc1axieren kann.

Die fibrillären Flugmuskeln kontrahieren sich inder Regel mit einer Frequenz zwischen 100 und

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236 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

durch Kontraktionswellen der Körpermuskulaturerzeugt, die man als Peristaltik bezeichnet. DieWellen laufen meist, aber nicht bei allen Arten,von hinten nach vorn . Wir finden diese ausgespro­chen langsame Art der Fortbewegung überwie­gend bei Larven holometaboler Insekten. Bei Rau­pen der Schmetterlinge sind meist die Afterfüßeam 3.-6 . und ein Paar von Nachschiebern (Pygo­podien) am 10. Hinterleibsring am Kriechen be­teiligt (Abb. 9-6 A). Die Thorakalbeine haben da­bei eine vorwiegend stützende Funktion. Die Rau­pen der Spanner (Geometridae) haben diese Fort­bewegungsform unter Verlust der mittlerenAfterfüße zu einer Schreitbewegung entwickelt(Abb. 9-6 B). Diese wird mithilfe der Rumpfmus­kulatur und durch abwechselndes Festhalten undLoslassen der Thorakalbeine und des letztenBauchfuß- und Nachschieberpaares zustandege­bracht.

Bei vielen beinlosen Larven , den sog. Maden,wird die Festigkeit des Körpers weitgehend hydro­statisch durch spezialisierte Turgormuskeln auf­rechterhalten (Hydrostatisches Skelett). Die peri­staltische Bewegung selbst wird auf komplizierteWeise durch aufeinanderfolgende Kontraktionender dorsalen Längsmuskeln, der Dorsoventral­muskein und der ventralen Längsmuskeln er­zeugt.

Manche unterirdisch lebenden Larven wie z. B. die vonDiptera (Tippulidae, Bibionidae) und Lepidoptera (He­pialidae) bewegen sich ähnlich wie Regenwürmer durchdas Medium. Die peristaltische Welle beginnt bei ihnenam Vorderende als abwechselnde Verjüngung und Ver­dickung und setzt sich nach hinten fort.

9.2.2 Laufen

Als Laufen bezeichnet man die Fortbewegung mitHilfe gegliederter Thorakalbeine. Laufen erlaubtim Gegensatz zum Kriechen eine sehr schnelleFortbewegung (etwa 15 cm/s, Abb. 9-12) bis über50 cm/s bei der Wüstenameise Cataglyphis) . Er­möglicht werden diese hohen Geschwindigkeitenu.a. durch drei konstruktive Merkmale, die allemit der Ausbildung eines festen Skeletts und ge­gliederter Schreitbeine zusammenhängen:• Geradlinige Fortbewegung des Rumpfs und Ver­

meidung des Körper-Bodenkontakts. Die Schreit­beine besitzen genau so viele Glieder mit denentsprechenden Freiheitsgraden der Bewegung,wie erforderlich sind, um den Körper bei schnel­lem Lauf geradlinig vorwärts zu bewegen, alsomit nur minimalen Seitwärtsbewegungen.Gleichzeitig heben die Beine den Körper von derUnterlage ab und ermöglichen so einen Lauf,der von kleineren Bodenunebenheiten unabhän-

gig ist. Der Abstand zum Boden wird beimstehenden wie beim laufenden Tier mithilfe vonProprioceptoren geregelt (Abb. 9-7) mit dem Re­sultat, dass sich wechselnde Belastungen z. B.durch Nahrungsaufnahme oder Eireifung in derBodenfreiheit gering auswirken.

• Starke Reduktion der inneren Reibung. Bei jederperistaltischen Welle verschieben sich nachei­nander sämtliche Gewebe entlang der Längs­achse gegeneinander, d. h. ein Teil der verwende­ten Energie muss zur Überwindung der innerenReibung aufgebracht werden. So ist der Trans­portaufwand (gemessen als benötigte Energiepro Masseneinheit und zurückgelegter Entfer­nung) z. B. bei der Raupe des SchwammspinnersLymantria dispar 4,5 mal und bei der Larve derSchmeißfliege Protophormia terraenovae zehn­mal höher als bei einem vergleichbaren Insektmit gegliederten Beinen. Aufgrund der Ausbil­dung eines festen Skeletts und der Beschränkungder Lokomotionsbewegungen auf die Beine wirddie innere Reibung beim Laufen auf die Bein­muskulatur und insbesondere auf die flexiblenBeingelenke (s. Kap. 2) reduziert.

• Verminderung der zu beschleunigenden Massen.Beim peristaltischen Kriechen wird jeder Kör­perteil bei jeder Wellenacheinander vorwärtsbe­wegt und wieder abgestoppt. Beim Lauf mitBeinen dagegen kann der gesamte Rumpf mitverhältnismäßig gleichförmiger Geschwindig­keit bewegt werden. Die Beschleunigungswech­sel bleiben daher auf die schreitenden Beinebeschränkt, die eine viel geringere Masse be-

Sinnesborslen-:

Abb.9-7: Prinzip der Abstandsregelung vom Boden.Querschnitt durch ein beintragendes Segment einer Stabheu­schrecke (Carausius morosus), stark schematisiert. Der Rumpf istzwischen den Beinen aufgehängt und drückt mit seinem Ge­wicht nach unten. Bei der resultierenden Beugung des Coxa­Trochantergelenks werden u.a. Sinnesborsten abgebogen undgereizt. Deren Erregung aktiviert reflektorisch die Streckermus­kulatur dieses Gelenks, die den Rumpf wieder anhebt. (NachWendler 1961)

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sitzen . Bei adulten Schaben (Blattella germanica)machen die Beine z. B. nur 16% des Körper­gewichts aus.

Zudem muss berücksichtigt werden, dass sich die Beinemeist nach distal verjüngen. So konzentriert sich dieHauptmasse der Beine auf den proximalen Bereich, des­sen Geschwindigkeit relativ zum Körper geringer ist alsdiejenige der distalen Beinglieder. Beiauffälligen Abwei­chungen von der Verjüngung kann man stets Anpassun­gen an andere Funktionen erwarten, wie z.B. bei denGrabbeinen der Maulwurfsgrille (Abb. 25-l6F) und beiSingzikadenlarven (Abb.25-27E), bei den Raubbeinenmancher Landwanzen (Phymata crassipes) oder denNahrung schaufelnden Vorderbeinen der Corixidae(Wasserwanzen) oder den Verbreiterungen des FemurbeiPhylliidae (Wandelndes Blatt), die der Mimikri dienen.

9.2.2.1 Schreitbewegungen einzelner Beine

Die Schreitbewegung eines einzelnen Beins setztsich aus zwei Phasen zusammen, der Stemmphase(Remotion) und der Schwingphase (Promotion)(Abb. 9-8, 9-9). In der Stemmphase steht das Beinmit den Tarsen auf dem Boden , unterstützt denKörper und stemmt nach hinten. In der Schwing­phase hebt das Bein ab, schwingt unter Anhebenim Coxa-Trochantergelenk und vorübergehenderStreckung im Femur-Tibiagelenk nach vorn undsetzt wieder auf. Bei der Stabheuschrecke Carau­sius morosus, bei der alle Beine dem Grundschemades Schreitbeins sehr nahe kommen, sind die Ver­hältnisse besonders übersichtlich. Die Beineschwingen im Subcoxalgelenk vor und zurück. BeiPeriplaneta americana und anderen Arten, derenBeine mit der Dorsalseite etwas nach vorn gekipptsind, wird diese Funktion weitgehend vom Coxa­Trochantergelenk übernommen.

Das Abwechseln zwischen Schwing- undStemmphasen wird durch einen Aktivitätswechselzwischen den antagonistischen Promotor- und Re­motormuskeln bedingt (Abb. 9-9 A). Beim Über­gang von der Stemm- zur Schwingphase findetman keine zeitliche Überlappung der Aktivitätbeider Muskelgruppen, während die Promotorer­regung beim Übergang zur Stemmphase oft nochin den Beginn der Remotoraktivierung hinein­reicht. Diese Koaktivierung kann so stark sein,dass der Beginn der effektiven Remotion (Stemm­bewegung) verzögert wird und der Lauf ruckartigerscheint, z.B. beim "Stapfen" junger Stabheu­schrecken (Abb.9-12) oder der WasserwanzeNepa . Dieser Effekt trägt auch zu den kleinen,unregelmäßig erscheinenden Schwankungen derLaufgeschwindigkeit während der Laufschübe beiden Schaben und Grillen in Abb. 9-12 bei. Die inAbb. 9-12 ebenfalls beschriebenen Laufstops sindhingegen auf kurzzeitige Unterbrechungen der ge­samten Laufaktivität zurückzuführen.

9.2 Fortbewegung an land 237

Sowohl der Bewegungsablauf als auch der Zeit­punkt des Wechsels zwischen Schwing- undStemmphase werden durch eine Vielzahl von Pro­prioceptoren an und in den Beinen (s. 11.1) starkbeeinflusst. So wird die Schwingbewegung einesStabheuschreckenbeins durch die Reizung der vor­deren Borstenfelder im Subcoxalgelenk gehemmtund die Stemm bewegung des Beins eingeleitet.Campaniforme Sensillen sorgen während derStemmphase durch Aktivierung der Remotormus­kein für mehr Stemmkraft, sofern das Bein einenmechanischen Widerstand findet. Solche Rück­meldungen von mechanosensorischen Organensind für das Generieren eines Schritts so wichtig ,dass ein normales Schreiten ohne sie nicht zu­stande kommt (Abb. 9-9 B, vergleiche hierzu dieEigenschaften der Flugsysteme in 9.4.3). JederSchrittgenerator (Abb. 9-11) besteht also sowohlaus zentralnervösen Elementen (hierzu gehörenlokale Interneuronen und Motoneuronen), alsauch aus peripheren Elementen, zu denen dasgesamte Bein mit seinen Muskeln und mechani­schen Eigenschaften sowie vielfaltigen Proprio­ceptoren gehören. Ein Insekt kann die Bewegun­gen seiner Beine aufgrund dieser Konstruktion desSchrittgenerators sehr fein auf die unterschied­lichsten Bedingungen abstimmen, z. B. beim Klet­tern oder beim Laufen auf unebenem Unter­grund.

9.2.2.2 Koordination der Schreit­bewegungen der Beine

Insekten laufen auf festem Boden meist mit allensechs Beinen. Auch wenn einzelne Beinpaare fürspezielle Aufgaben abweichende Formen haben,werden diese oft beim Laufen mitverwendet, wiez.B. die zu Fangbeinen ausgebildeten Vorderbeineder Gottesanbeterin Mantis religiosa, die Vorder­beine von Wasserwanzen (z. B. Nepa rubra), oderdie hinteren Sprungbeine der WanderheuschreckeLocusta migratoria. Die zeitliche Ordnung der Ge­lenkbewegungen und der Bewegungen der sechsBeine untereinander ist von essenzieller Bedeutungfür die mechanische Stabilität beim Laufen. Siefolgt bestimmten Regeln, von denen einige imfolgenden beschrieben werden .

In der als typisch für Insekten angesehenenGangart werden drei Beine nahezu gleichzeitignach vorn bewegt, nämlich das Vorder- und Hin­terbein der einen Körperseite und das Mittelbeinder Gegenseite, während die drei anderen Beineauf dem Boden stehen und den Körper unter­stützen (Abb. 9-8). Das bedeutet, dass rechtes undlinkes Bein eines Segments stets miteinander al­ternieren. Dasselbe gilt für benachbarte Beine der

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238 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

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Die Steuerung von Richtung und Geschwindigkeiteines Laufs erfolgt unter Mitwirkung von Sinnes­organen wie Augen und antennalen Rezeptoren im

9.2.2.3 Organisation des Laufsystems

den, wie z. B. beim Klettern oder bei einer Ver­minderung der Laufgeschwindigkeit (Abb. 9-9 C).Sucht man nach einer allgemeingültigen Regel fürdie zeitliche Koordination, so ergibt sich, dass diegegenüberliegenden Beine eines Segments tatsäch­lich ungefähr alternieren, die benachbarten Beineder gleichen Körperseite aber nicht immer. Für siegilt, dass sie stets in der Reihenfolge Hinten-Mitte­Vorn abheben (Abb. 9-9 C). Dabei hebt ein Beinerst kurz nach dem Aufsetzen des nächst hinterenBeins ab. Der Zeitabstand bleibt weitgehend kon­stant. Er verlängert sich erst bei extrem lang­samem Schreiten. Auch die Dauer der Schwing­phase bleibt annähernd konstant. Eine Verringe­rung der Laufgeschwindigkeit wird in erster Liniedurch die Verringerung der Stemmgeschwindigkeitjedes Beins erreicht, die sich - bei gleichbleibenderBewegungsamplitude - als eine verlängerte Dauerder Stemmphase auswirken muss (Abb. 9-9 C).Durch diese unsymmetrischen Veränderungen derSchrittstruktur wird auch die Koordination ipsila­teraler Beine verändert. Sie führen bei schnellemLauf automatisch zur Dreibeinkoordination.

Die zeitliche Koordin ation der Beinbewegun­gen sorgt dafür, dass der Körperschwerpunkt inden meisten Situationen räumlich inmitten derBeinaufsetzpunkte liegt und der Rumpf deshalbandauernd vom Untergrund abgehoben werdenkann . Dies gilt auch für den Kurvenlauf (Abb. 9­10). Sie steht zudem in enger Beziehung zur räum­lichen Koordination. Da das jeweils hintere Beindicht hinter dem vorderen Bein aufsetzt (Abb. 9-8,9-10), und zwar bevor dieses zur Schwingphaseabhebt, ist von vornherein dafür gesorgt, dass einBein selbst beim Klettern den vom davorliegendenBein gefundenen festen Halt erreichen kann . DieAufsetzpunkte der drei Beine einer Körperseiteliegen also dicht beieinander (Abb. 9-10). Es bleibtdie Frage, wie das vorderste Bein sicheren Haltfindet. Bei der Wüstenheuschrecke Schistocercagregaria konnte gezeigt werden, dass das Seh­system den Aufsetzpunkt der Vorderbeine beein­flussen kann .

Da rechte und linke Beine alternieren , liegenderen Aufsetzpunkte zueinander räumlich ver­setzt. Diese Beziehungen bleiben sogar beim Kur­venlauf erhalten (Abb. 9-10). Kurvenlauf wird alsodadurch erreicht, dass die kurvenäußeren Beinegrößere Schritte machen als die kurveninneren .Die Schrittfrequenz bleibt dabei außer in sehrengen Kurven auf beiden Seiten gleich.

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gleichen Körperseite. Man kann diese Dreibein­koordination leicht mit bloßem Auge bei einemlangsam laufenden Insekt beobachten, z. B. beieiner jungen Stabheuschrecke oder bei einemMistkäfer. Dem Kreuzgang der vierfüßigen Wir­beltiere entspricht diese Dreibeinkoordination,wenn man sich das vordere oder das hintere Bein­paar wegdenkt. Unterschiedliche Gangarten, d.h.verschiedene, trotz variierter Laufgeschwindigkeitüber längere Zeit stabil eingehaltene Koordina­tionen der Beine, entsprechend dem Galopp oderdem Trab der Pferde, sind für Insekten bishernicht nachgewiesen worden.

Die Dreibeinkoordination wird bei vielen In­sekten jedoch nur beim Lauf auf ebenem Grundsowie in einem bestimmten Geschwindigkeitsbe­reich eingehalten. Sie kann in Anpassung an äu­ßere Bedingungen beträchtlich abgewandelt wer-

Abb. 9·8: Beinbewegungen einer freilaufenden Stab­heuschrecke (Carausius morosus). Dargestellt ist die Bewe­gung aller sechs Beine relativ zum Rumpf während eines vollenSchritts. Die Kreise stellen die Positionen der Tarsen während desSchritts im Zeitabstand von jeweils 1/25 s dar. Gefüllte Kreise:die Tarsen berühren den Boden und stemmen (Stemmphase).Offene Kreise: die Tarsen werden in der Luft nach vorn ge­schwungen (Schwingphase). Die Beine sind in ihrer Position aufdem Filmbild Nr. 1 dargestellt. Wie die Positionen der Tarsen inden Bildern Nr. 5, 10, 15 und 20 zeigen, führen das linkeVorderbein, das rechte Mittelbein und das linke Hinterbeinzunächst die Stemmphase durch, während die drei anderenBeine nach vorn schwingen (Pfeile), Das Mittelbein setzt hinterdem Vorderbein, und das Hinterbein hinter dem Mittelbein auf(s. auch Abb. 9-10). (Nach Jander 1985)

Page 11: Lehrbuch der Entomologie || Fortbewegung und sensomotorische Integration

9.2 Fortbewegung an Land 239

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Abb. 9-9: Schreitbewegungen und Beinkoordination. Die Schwing- und Stemmbewegungen von Stabheuschrecken (Carau­sius morosus) wurden in Höhe des Femur mit einem optischen Abtastverfahren gemessen. Als Ergebnis dieser Registrierung ergibtsich eine Darstellung der Beinbewegungen über der Zeit als fortlaufende zusammenhängende oder gepunktete Linie, bei der dieAuslenkungen nach oben die nach vorn gerichtete Schwingbewegung des Beins und nach unten die nach hinten gerichteteStemmbewegung des Beins anzeigen. ASchreitbewegungen eines Mittelbeins (oben). Gleichzeitig wurde die elektrische AktivitätdesPromotornervs (Mitte) - erenthält mindestens drei Motoneuronen und einen Common Inhibitor - und des Remotornervs (unten)reg istriert - er enthält mindestens fünf Motoneuronen und denselben Common Inhibitor (s. 9.1.3). B Drei aufeinander folgendeAufzeichnungen von Schreitbewegungen eines Mittelbeins. Aufgrund elektrischer Reizung eines Remotormuskels (horizontalerBalken) während der Schwingphase verlangsamte sich dieSchwingbewegung. Anstatt nach Reizende nach hinten zu stemmen, wiees der zeitl ichen Koordination mit den anderen Beinen entsprechen würde (gepunktete Linien), vollendet das Bein zunächst dieSchwingbewegung und erzeugt dadurch die noch fehlenden Sinnesrückmeldungen, bevor es mitder Bewegung beginnt. Die richtigeKoordination zu den anderen Beinen wird erst danach mit einem kürzeren Zwischenschritt erreicht. C Zeitliche Koordination allerBeine bei schnellem (links) und verlangsamtem Lauf (rechts). Die senkrechten Linien auf der linken Seite verdeutlichen, dass dieSchwingbewegung derjenigen Beine zeitgleich beginnt, die das Dreibein bilden. Die Dreibeinkoordination wird umso stärkerverändert und aufgelöst, je langsamer das Tier läuft (senkrechte Linien aufderrechten Seite). Wie die durch Umrandung markiertenBeispiele zeigen, bleibt jedoch die Sequenz der ipsilateralen Beine (hinten - Mitte - vorn) über den gesamten Geschwindigkeitsbe­reich erhalten.

Wesentlichen über das Gehirn und das Unter­schlundganglion , die durch deszendierende Inter­neuronen mit den Thorakalganglien verbundensind (s. Kap. 8). Die zeitliche und räumliche Koor­dination der sechs Beine untereinander wird hin­gegen nicht durch ein übergeordnetes Koordina­tionszentrum festgelegt, sondern durch weitge­hend selbstständige Schrittgeneratoren, die unter­einander mehr oder weniger stark gekoppelt sind(Abb. 9-11). Die Selbstständigkeit der Schrittge­neratoren erkennt man daran, dass verschiedeneBeine unter bestimmten Umständen durchaus un­terschiedliche Schrittfrequenzen haben können,z.B. bei manchen Käferlarven (Cantharis fusca) ,bei Stabheuschrecken (Carausius morosus) nach

Verlust eines oder mehrerer Beine oder bei bergauflaufenden Laubheuschrecken (Tettigonia viridis­sima). Normalerweise sind die Schrittgeneratorenjedoch so stark untereinander verkoppelt, dass siesich gegenseitig in die gleiche Schrittfrequenzzwingen. Die Art der Signale, mit der sich dieGeneratoren beeinflussen und dadurch die mo­mentane Koordination festlegen, ist weitgehendbekannt (Abb.9-11). 2: Die Schrittgeneratorenwiederum lassen sich in je einen Rhythmusge­nerator für jedes Beingelenk untergliedern . Diesekönnen unter pharmakologischem Einfluss mitunterschiedlicher Frequenz schwingen, wenn sen­sorische Rückmeldungen fehlen (Büschges et a1.1995).

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240 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

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Abb. 9-' 0: Kurvenlauf. Räumliche Darstellung eines optomo­tarisch (s. 9.5.2.1) induzierten Kurvenlaufs einer frei beweg­lichen Stabheuschrecke (Carausius morosus) nach Filmen ent­sprechend Abb. 9-8. Durchgezogene Linie mit Pfeil: Weg eineszwischen den Mittelbeincoxen liegenden Rumpfabschnitts.Kreise: Fußstapfen der kurveninneren rechten sowie der kur­venäußeren linken Beine. Die Stabheuschrecke ist in einemMoment gezeigt, in dem drei Beine Bodenkontakt haben(schwarze Kreise) und den Körper nach vorn stemmen, währenddie drei anderen Beine nach vorn schwingen. Die gestricheltenPfeile weisen auf denjenigen Ort, auf dem sie aufsetzen werden.(Nach Daten von Jander 1985)

9.2.2.4 Laufstil

Rüsselkäfer, Laufkäfer oder Stabheuschreckenkönnen sich auf ebenem Grund mit recht gleich­förmiger Geschwindigkeit fortbewegen. AndereArten haben einen saccadischen Laufstil, d. h. sielegen häufig kurze Zwischenstops ein, wie die Sil­berfischchen Lepisma saccharina, Grillen, Schaben(Abb. 9-12) und manche Heuschrecken. Eine all­gemeingültige funktionelle Erklärun g für dieseauffälligen Zwischenstops ist bisher nicht gefun­den worden. Bei Gryllus bimaculatus wurde ver­mutet, dass die Weibchen beim phonotaktischenLauf in Richtung eines singenden Männchenskurze Laufstopps einlegen, da die in den Vorder­beinen liegenden Gehörorgane (s. 11.1) stark vonden Laufgeräuschen gestört werden und der Ge­sang deshalb während eines Laufstops besser er­kannt werden könnte. Allerdings zeigen andereArten wie die Deutsche Schabe (Blattella germa­nica) den gleichen Laufstil, obwohl sie keine ent­sprechende akustische Kommunikation besitzen.Bei einigen Laubheuschreckenarten (z. B. Poecili­mon ornatus) ist hingegen ein funktioneller Zu­sammenhang zwischen den Stopps und dem Ge-

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Abb. 9-": Organisation des Laufsystems bei Stabheu­schrecken, stark vereinfacht. Dieses Schema gilt auch weitge­hend für die ebenfalls gut untersuchten Schaben (Periplanetaamericana). USG Unterschlundganglion. Rechtecke: Schrittge­nerataren, die die Schreitbewegung generieren. Der Bewe­gungsverlauf ist innerhalb der Rechtecke symbolisiert. Die Zah­len charakterisieren die übertragenen Signale in Kurzform.1Promotion inhibiert den Schwingphasenbeginn des anderenBeins. 2 Aufsetzen fördert den Schwingphasenbeginn des an­deren Beins. 3 Posteriore Position fördert den Start derSchwing­phase des anderen Beins. 4 Position steuert AufsetzsteIle desnächst hinteren Beins. 5 Mechanischer Widerstand erhöht dieStemmkraft des anderen Beins. (Nach Wendler 1977, Dean1991)

sang nachweisbar (s. 9.5.2.2, akustische Orientie­rung).

9.2.3 Springen

Eine besonders schnelle Fortbewegungsart aufkurze Entfernungen ist das Springen. Mechanis­men zur Optimierung des Sprungvermögens sindin mehreren Insektengruppen entstanden. Spring­schwänze (Collembola) verwenden die Springga­bel (Furca), Schnellkäfer (Elateridae) einenSchnellapparat zwischen Pro- und Mesothorax,während Heuschrecken, Flöhe, Blattflöhe (Psyl­lidae), "Erdflöhe" (Halticinae, Coleoptera) , Klein-

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9.2 Fortbewegung an Land 241

20 20

Zwelfleckgrille (Oryflus b1maculatus) Goldlaulkäler (Ctvebus tMJrtltUs)

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Abb. 9-12: Gleichmäßiger und schubartigerlaufstil mit laufstops bei Insekten. Die imEinschub bei der Stabheuschrecke(3. Larvenstadium) mithöherer zeitlicher Auflösung gezeigten Geschwindigkeitsmodulationen gehen auf eine zeitliche Überlappungder Promotor- und Remotoraktivität zurück (Abb. 9-9 A). Als Beispiel für die Grille wurde ein Weibchen gewählt, das auf eineSchallquelle mit Lockgesang eines Männchens zuläuft.

zikaden und Fliegen besonders spezialisierte Beineentwickelt haben.

Die überraschend große Sprunghöhe und -weite bei vie­len Insekten gibt immer wieder Anlass zum Staunen. Sokann ein Floh, der knapp 2 mm lang ist, aus dem Standmehr als das Hundertfache seiner Länge überspringen,während selbst ein trainierter Mensch kaum das Ein­fache seiner eigenen Körperlänge erreicht. In Wirklich­keit ist jedoch die Sprungleistung des Flohs nicht höherals die des Menschen zu bewerten, da man solche Leis­tungen nicht auf die Körperlänge, sondern auf das Volu­men bzw. die Körpermasse beziehen muss.

Unter der vereinfachten Annahme, dass die Propor­tionen zwischen den einzelnen Körperbestandteilen beikleinen und großen Tieren gleich sind, ist auch derprozentuale Anteil des Volumensder Sprungmuskulaturam Körpervolumen gleich groß. Die bei einer Muskel­kontraktion erzeugte mechanische Energie ist das Pro­dukt aus Kraft (die Muskelkraft ist proportional zumMuskelquerschnitt) mal Weg (der Verkürzungsweg desMuskels proportional zur Ausgangs-Muskellänge). DieEnergie ist also proport ional zum Muskelvolumen unddamit auch zum Körpervolumen, das seinerseits der

Körpermasse proportional ist. Pro Masseneinheit stehtkleinen wie großen Tieren also die gleiche Energie zurVerfügung. Formgleich gebaute kleine und große Tieresollten demnach gleich hoch springen können. Tab. 9-2zeigt, wie ähnlich die Sprunghöhe und die Absprungge­schwindigkeit verschieden großer und sogar nicht form­gleich gebauter Tiere tatsächlich sind.

Beim Sprung hat die geringe Körpergröße einesInsekts jedoch einen gravierenden N achteil, dersich auf die Beschleunigung beim Absprung be­zieht. Der Körper muss beim Sprung so beschleu­nigt werden, dass er mit einer Mindestgeschwin­digkeit abheben kann . Tatsächlich ist die Ab­sprunggeschwindigkeit bei großen und kleinenTieren etwa gleich groß (Tab. 9-2). Ungleich großist jedoch die Strecke, die den Tieren für die Be­schleunigung des Körpers zur Verfügung steht.Während dieser Beschleunigung müssen sie Bo­denkontakt haben . Bei Sprungbeinen wird die Be­schleunigungsstrecke von der Bewegungsspanneder Tarsen beim Strecken der Beine bestimmt. Siebeträgt beim Floh weniger als I mm (Tab. 9-2). Er

Tab. 9·2: Vergleich von Sprungleistungen. Ausgewählt sind Arten, deren Körpermasse einen Bereich von etwa 1 : 100Millionen umfasst. *9 Erdbeschleunigung (9,81 m. S-2) . Astronauten werden beim Start eines Space Shuttle mit etwa 3,4*9beschleunigt. (Nach Schmidt-Nielsen 1984, verändert)

Floh(Pu/ex)

Schnellkäfer(Athaus)

Heuschrecke(Lo(usta)

Mensch(Homo)

KörpermasseSprunghöheAbsprunggeschwindigkeitBeschleunigungsstreckeBeschleunigungsdauerBeschleunigung

0,49 mg20cm

190 cm . S· 1

0,075 cm0,79 ms245 *g

40mg30cm

240 cm . S· 1

0,077cm0,64 ms382 *g

3g59cm

340 cm . S- l

4cm2,35ms

15 's

70 kg60cm

343 cm . S· l

40cm233 ms1,5 *g

Page 14: Lehrbuch der Entomologie || Fortbewegung und sensomotorische Integration

242 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

A B

Strec kermuskel

Drehgelenk

Abb. 9-13: Sprungmechanismus beim Kaninchenfloh Spilopsyllus cuniculus. Schwarz hervorgehoben sind Sehnen undversteifte Cuticulapartien im Bereich des Metanotums (N), der Pleuren (P) sowie der Coxa (Co). Tr Trochanter; Fe Femur; Ti Tlhia, AWichtig ist die mit Resilin verstärkte Partie. Ferner ist das für den Sprung wichtige Coxa-Trochanter-Gelenk mit dessen Drehwinkel(Doppelpfeil) eingetragen. BGenauere Darstellung des inA umrandeten Bereichs unterhalb des Resilinpolsters. Die Skizze entsprichtdem Zustand vor Sprungbeginn, in dem der Sehnenansatz des Dorsoventralmuskelsdurch die Kontraktion des Beugermuskels nochposterior des Coxa-Trochantergelenks liegt. (Nach Bennet-C1ark und lucey 1967)

muss sich auf dieser kurzen Strecke in weniger alsI ms beschleunigen, um die nötige Absprungge­schwindigkeit zu erreichen - das bedeutet mehr alsdas 200fache der Erdbeschleunigung (Tab. 9-2)!Eine normale aktive Kontraktion dauert bis zurmaximalen Kraftentfaltungjedoch wesentlich län­ger als I ms. Würde der Floh seine Sprungmuskelnalso wie der Mensch kontrahieren, könnte er nichtabspringen, weil er die erforderliche Beschleuni­gung nicht erzeugen könnte . Die Lösung des Prob­lems liegt in einer vorübergehenden Energiespei­cherung durch die Kompression von Resilin, ei­nem hochelastischen Protein (s. 1.3.3), das dieEnergie zu 97%, also nahezu vollständig , wie ineinem Katapult, zurückgibt, wenn der Sprung aus­gelöst wird. Eine effektive Energiespeicherung imResilin setzt sowohl morphologische wie verhal­tensphysiologische Anpassungen voraus, die beieinigen Insekten gut untersucht sind:

Beim Floh (Abb. 9-13) zieht ein coxaler Beuger­muskel das Trochanter-Femur während einer Zeit­spanne von etwa 100 ms so weit an, bis das Femurdorsoventral ausgerichtet ist. Der Floh sitzt dann20 ms unbeweglich bis zum Absprung. In dieserZeit wird der als Hauptsprungmuskel benutzteDorsoventralmuskel angespannt, der dorsal amTergum entspringt und über seine Sehne an einemverstärkten ventralen Teil des Trochanter inseriert.Diese Anspannung führt zunächst noch nicht zumAbwärtsschnellen des Trochanter-Femur, da derBeugermuskel den Insertionspunkt der Sehne über

das Drehgelenk hinaus gezogen hat, sodass dieentwickelte Kraft sich nur als eine elastische Ver­formung auswirken kann. Tergum, Pleuron unddie Außenseite der Coxa sind geradlinig und pa­rallel zur Sehne extrem versteift und sorgen aufdiese Weise dafür, dass die Verformung auf einResilinpolster zwischen den Verstärkungs leistendes Tergums und des Pleurons übertragen wird.Die Strukturen um das Resilinpolster herum sindaus dem ursprünglichen Flügelgelenk ableitbar.Zur Sprungauslösung zieht der Streckermuskel dieSehne über den Drehpunkt des Gelenks hinausnach vom, woraufhin die vom Dorsoventralmus­kel aufgebaute Spannung und das Freiwerden derVerformungsenergie im Resilinpolster zum Ab­wärtsschnellen des Beins führen.

Auch Wüstenheuschrecken (Schistocerca gregaria) sprin­gen bei der Flucht nicht sofort ab, sondern ziehen zu­nächst die langen Hinterbeine an und bleiben bis zu 0,5 sunbeweglich sitzen. Der Sprung erfolgt dann durchgleichzeitige Streckung beider Hinterbeintibien , wobeidie maximale Kraft bereits 3-8 ms nach Sprungbeginnerzeugt wird. Bei normaler, durch Motoneuronen ausge­löster Kontraktion erreicht der Streckermuskel für dieTibia (M. extensor tibiae) seine maximale Kraft jedocherst nach etwa 20-30 ms. Die so erzeugte Muskelkraft istzudem viel zu gering, um die beobachteten Beschleuni­gungen und Sprungweiten zu erklären . Der Rekord liegtbei 30 cm Höhe und 70 cm Weite. Die Erklärung liegt ineinem regelrechten Spannmechanismus wie etwa beimFingerschnipsen, bei dem zunächst durch eine isometri­sche Muskelkontraktion eine mechanische Spannung

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9.3 Fortbewegung in und aufdem Wasser 243

Vorderbein

/O·

B

..

Abb.9-14: Beinbewegungen eines schwimmenden Wasserskorpions Nepa rubra.A Bewegungskurven der Tarsen relativzum Körper während einer vollen Schlagperiode. nach Filmaufnahmen. Die Kreise stellen die Positionen der Tarsen der beidenhinteren Beinpaare im Zeitabstand von jeweils 14ms dar. Gefüllte Kreise: die Beine werden ausgestreckt nach hinten geschlagen(Ruderschlag). Offene Kreise: die Beine werden angewinkelt und nach vorne gezogen (Vorzug). Die Beine befinden sich in derPosition des Filmbilds Nr. 1.Wie die Position der Beine in den Bildern Nr. 5, 10, 15 und 20 zeigen, führen zunächst die beidenHinterbeine den Ruderschlag durch, während die beiden Mittelbeine nach vorn schwingen (Pfeile). B Beinkoordination beimSchwimmen. Auf der Ordinate ist jeweils der Winkel zwischen der Verbindung Tarsenendpunkt - Einlenkung der Coxa und derKörperlängsachse angegeben (0· ist die Richtung nach vorn). Die Mittelbeinkurven sind gestrichelt. Die senkrechten Linien fassendie beiden Mittelbeine bzw. die beiden Hinterbeine beim gleichzeitigen Beginn des Vorzugs zusammen. (Nach Wendler et al.1985)

aufgebaut wird. Der relativ schwache Beugermuskelzieht zuerst die Tibia an . Dabei wird seine gegabelte undmit einer Tasche versehene Sehne über einen Knopf(Abb. 9-1. B) gezogen und in diesen eingehakt. Bei dernun zusätzlich einsetzenden Kontraktion des antagonis­tischen Streckermuskels wird das System gespannt. DieEnergie wird in der Dehnung der Streckersehne und inder Verformung eines Ringes aus Resilin gespeichert, zudem auch der Knopf gehört . Dieser Speicherprozessfindet in der Zeit des Stillsitzens vor dem Sprung statt.Der Sprung selbst wird durch eine Erschlaffung desBeugermuskels ausgelöst, wodurch die Beugersehne ausder Verankerung gelöst wird.

Den Sprungmechanismen beim Floh, bei derWanderheuschrecke, aber auch z. B. beim Schnell­käfer, ist gemeinsam, dass Energie zunächst alsVerformungsenergie gespeichert wird. Erst an­schließend wird der weite Sprung mit relativ gerin­gem Kraftaufwand ausgelöst . Diese für die Kraft­entwicklung vorteilhafte Energiespeicherung hatallerdings den Nachteil einer verlängerten Reak­tionszeit. Es gibt aber auch Spezialisierungen, diestattdessen für eine kurze Reaktionszeit optimiertsind. Bei einer Reihe von Fliegen, z. B. Drosophilaund Calliphora wird bei visuell erkannter Gefahrein sehr dickes und deshalb schnelleitendes des­cendierendes Interneuron aktiviert, das bewe­gungssensitive visuelle Neuronen des Gehirn s miteinem Mittelbeinmotoneuron verbindet. Dieses istebenfalls sehr dick und schnelleitend und inner­viert den Tergo-Trochanter-Muskel (TTM) , der

ebenso wie der Dorsoventralmuskel des Flohs dasBein nach unten schlägt. Auf diese Weise kannz.B. Drosophila bereits etwa 30 ms nach Erschei­nen eines visuellen Reizes abspringen, allerdingsnicht sehr hoch oder weit. Die Kontraktion desTTM bewirkt außerdem eine Abplattung des Ter­gums und in Folge eine Streckaktivierung (s. 9.1und 9.4.3.2) der dorsalen Längsmuskeln, derHauptflügelsenker. Damit wird das Flugsystemgestartet. Zusätzlich aktiviert das descendierendeRieseninterneuron mit geringer zusätzlicher Ver­zögerung die Motoneuronen des dorsalen Längs­muskels (s. 9.4). Einmal aufgrund des Sprungs inder Luft , kann die Fliege also sofort weiterfliegen.Die Kontraktion des TTM ist allerdings nicht alsnotwendige Bedingung für den Abflug anzusehen,da Fliegen auch nach Durchschneiden des TTMabfliegen können . Zudem besitzen viele anderemyogene Flieger wie z.B. Hymenoptera keinenstark ausgebildeten TTM .

9.3 Fortbewegung in undauf dem Wasser

Insekten haben für die aquatische Lebensweiseeine außerordentliche Vielfalt von Lokemotions­typen entwickelt, von denen sich einige vom ter-

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244 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

Abb. 9·15: Anpassungen bei Schwimmbeinen. A Hinter­bein von Dytiscus beim Ruderschlag (oben) und beim Vorzug(unten), von caudal gesehen. B Rechtes Hinterbeinvon Gyrinusbeim Ruderschlag (oben) und beim Vorzug (unten), von caudalgesehen. (Nach Eidmann und Kühlhorn 1970)

restrisehen Laufen ableiten lassen, andere aber aufvöllig anderen Prinzipien beruhen.

Einige Wasserkäfer wie die Hydrophilidae (z. B.der Kolbenwasserkäfer Hydrous piceus) oder dieLarven de s Gelbrandkäfers Dytiscus marginalisschwimmen unter Wasser, indem sie ihre Bein e inder Dreibeinkoordination der Landinsekten be­wegen. Die meisten Arten bewegen die beidenBeine eines Segments jed och nicht in Gegenphasesondern gleich sinnig, während ipsilateral hinter­einanderliegende Beine etwa in Gegenphaseschwi ngen . Manchmal sind nur die Hinterbeine inBewegung (z. B. bei Dytiscus beim Schnellschwim­men), me ist jedoch die Mittel- und H interbeine.

Der Wasserskorpion Nepa rubra läuft an Land nach demnormalen Dreibeinschema (Abb. 9-8), bewegt seineBeine unter Wasser aber deutlich anders (Abb. 9-14). DieVorderbeine nehmen an den Ruderbewegungen nicht teil.Der Bewegungsbereich der Mittel- und Hinterbeine istweit nach hinten verlagert, wobei ipsilaterales MitteI­und Hinterbein alternierend schlagen und dabei räumlichstark überlappen. Eine Kollision wird dadurch vermie-

den, dass das Mittelbein unter dem Hinterbein durch­geführt wird. Die gegenüberliegenden Beine eines Seg­ments rudern in gleicher Phase. Beim Ruderschlag sinddie Beine ausgestreckt und erhöhen auf diese Weise diewirksame Ruderfläche, während sie beim Vorziehen an­gewinkelt werden. Im Gegensatz dazu werden beim Lau­fen an Land die Beine beim Vorziehen (Schwingphase)ausgestreckt (Abb. 9-8)!

Bei vielen schnellschw immenden Wasserwanzenund -käfern wird die wirksame F läc he beim Ru­de rschlag zusä tzlich durch abgeflachte Beingliederund Borsten (z. B. Corixa, Dytiscus Abb. 9-15 A)vergrö ßert, die beim Vorziehen einklappen . DerTaumelk äfer Gyrinus besitzt an seinen extrem ab­geflachten Hinterbeinen außerdem Schwimm­plättchen (Abb. 9-15 B). Beim Vorziehen dreht erdie Beine mit der flachen Seite nach vorn undminimiert den Wasserwiderstand. Beim Beginnde s Ruderschlags werden sie so zurückgedreht,dass sie mit der Breitseite schlagen, wobei sich dieSchwimmplättchen entfalten und gegen da s Um­schlagen mechanisch arretiert werden . D ie Schl ag­frequenz der Hinterbeine kann bei Gyr inus 50-60pro Sekunde erreichen. Die Mittelbeine schlagenmit der halben Frequenz.

Rückstoßschwimmen kommt bei Larven derGroßlibellen (A nisoptera) vor. Bei ihnen dient derEnddarm als Respirationsorgan. Seine sta rkeMuskulatur pumpt ständig Wasser ein und aus.D as Wasser kann aber auch schnell und mit großerKraft ausgesto ßen werden, sodass ein e großeAeschnalarve sich durch Rückstoß mit ein em Ruck6-8 cm weit vorwärtssc hießen kann. Andere Fort­bewegungsarten sind das Schnicksschwimmen vonLarven der C ulicidae, d ie durch abwechselndeKontraktionen der linken und rechten Längsmus­kulatur zustandekommen oder Schlängelbewegun­gen (z. B. bei Larven der Ceratopogonidae [Gnit­zen]).

Insekten können sich auf der Wasseroberfläche aufhal­ten, wenn sie aufgrund morphologischer Besonderheitenoder hydrophober Sekrete nicht benetzt werden. Aller­dings ist der Wasserwiderstand in horizontaler Richtungzu gering, um für eine normale Schreit- oder Schwimm­bewegung eine effektive Kraftübe rtragung auf das Me­dium zu erreichen. Dennoch können Wasserläufer (Ger­ris) sogar weite Sprünge durchführen. Die extrem langenMittelbeine werden zunächst nach unten gedrückt underzeugen auf diese Weise eine kleine sich ausbreitendeWelle, an deren Rückseite die Tiere sich dann mit demMittel- und Hinterbeinpaar gleichzeitig abstoßen. Beieinem solchen Sprung können von Gerris lacustris etwa7 cm in 140 ms zurückgelegt werden.

Eine andere Form der Vorwärtsbewegung auf derWasseroberfläche ist das Expansionsschwimmen(Spreitungsschwimmen) des Bachläufers Velia ca­praii (Abb. 9-16) . Velia spritzt mithilfe seinesSte chrüssels Speichel nach hinten aus, der a ls Ten­sid wirkt und die Oberflächen sp annung herab-

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setzt. Der sich schnell ausbreitende Sekretfleckschiebt das Tier mit beachtlichen 10 bis 25 cm/svor sich her. Noch schneller können sich einigeStaphylinidae mittels Expansionsschwimmen fort­bewegen. Stenus bipunctatus und St . biguttuluserreichen Geschwindigkeiten von 40 bis 75 cm/sund können mit einem Sekretvorrat der paarigenHinterleibsdrüsen 10 bis 15 m zurücklegen (s.17.2.2.1).

9.4 Fortbewegung in der Luft

9.4.1 Aerodynamik und Kinematik

Bei der Aerodynamik des Insektenflugs handelt essich um ein sehr komplexes Gebiet, dessen Erfor­schung keineswegs abgeschlossen ist. Die aerody­namischen Grundlagen des Insektenflugs werdenhier lediglich soweit dargestellt, dass man versteht,warum ein fliegendes Insekt bestimmte Flügelbe­wegungen ausführt. Kinematik ist die Lehre vonden Bewegungsabläufen.

Aerodynamik. Will ein Insekt aktiv vorwärtsfliegen, so muss es eine Luftkraft erzeugen, dienach vorn und oben gerichtet ist (Abb. 9-17 A).Diese Luftkraft hat eine vertikal nach oben ge­richtete Komponente, den Hub, sowie eine nachvorn gerichtete Komponente, den Vortrieb. Wenndas Insekt mit konstanter Geschwindigkeit und inkonstanter Höhe vorwärts fliegt, ist der Vortriebgerade so groß wie der Luftwiderstand des Tieres,und der Hub kompensiert gerade das Körper­gewicht. Eine Vergrößerung des Vortriebs würdezu einer vorwärts gerichteten Beschleunigung füh­ren, und jede Vergrößerung des Hubs zum Steig­flug.

Luftkräfte werden erzeugt, wenn sich ein Profil in einerLuftströmung befindet (Abb. 9-17). Bei Flugzeugen mitstarren Tragflächen wird die Strömung durch Propelleroder Düsen erzeugt , die von den eigentlichen Luftkraft­erzeugern, den Tragflächen, getrennt sind und die dasFlugzeug gegenüber der Luft beschleunigen . Bei Tieren,die sich mit Flügeln fortbewegen , werden dagegen beideFunktionen von ein und demselben Organ erfüllt, denFlügeln . Allerdings breiten z. B. Käfer wie Maikäfer,Marienkäfer oder Bockkäfer ihre Elytren unbewegt ausund nutzen diese zusätzlich zur Auftriebserzeugung.

Für die Luftkrafterzeugung ist ein gewölbtes Profildes Flügels, wie wir es von Flugzeugtragflächen oderVogelflügeInkennen, nicht erforderlich. Die Flügel man­cher Schmetterlinge sind zwar geringfügig gewölbt, wasinsbesondere beim Segelflug Bedeutung haben könnte.Die Hauptluftkräfte werden beim Flügelschlag jedochanders erzeugt. Auch Platten ohne jede Wölbung könnenden nötigen Auftrieb erzeugen, sofern sie einen von Null

9.4 Fortbewegung in der Luft 245

Abb. 9-16: Expansionsschwimmen bei Velia. Die Wasser­oberfläche war mit Bärlappsporen bedeckt (punktiert). Die ent­spannte Oberfläche (weiß) hat die Sporen verdrängt. (NachLinsenmair und Jander 1963)

verschiedenen und nicht zu großen Anstellwinkel (s.u.:"verzögerter Str örnungsabriss") zu ihrer eigenen Flug­bahn einnehmen (Abb. 9-17 D und 9-18).

Kinematik. Betrachtet man die Bahn eines naheder Flügelspitze liegenden Flügelquerschnitts ei­ner Fliege, die mit konstanter Geschwindigkeitgeradeaus fliegt, dann wird deutlich , dass der Flü­gel beim Abschlag von der Unterseite her ange­strömt wird (Abb. 9-18). Der aerodynamisch wich­tige Anstellwinkel des Flügels zur Luftströmungwird von drei Komponenten beeinflusst: von derSchlagrichtung des Flügels, der Bewegungsrich­tung des Tiers und der induzierten Luftströmungdurch den schlagenden Flügel. Der Anstellwinkelist so eingestellt, dass sowohl Hub als auch Vor­trieb erzeugt werden. Am unteren Umkehrpunktseiner Bewegungskurve wird der Flügel derart umseine Längsachse gekippt, dass die Vorderkantenach oben kommt (Supination) und er nun vonseiner morphologischen Oberseite her angeströmtwird. Dadurch wird der Anstellwinkel wiederumso günstig, dass zumindest zu Beginn des Auf­schlags sowohl Hub als auch Vortrieb erzeugtwerden.

Diese günstige Konstellation kann allerdingsnur erreicht werden, wenn der Flügel während desAufschlags rückwärts bewegt wird, und zwarschneller als die Fliege nach vorn fliegt. DieseRückwärtsbewegung beim Aufschlag käme nicht

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246 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

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Abb. 9·17: Kräfteverhältnisse und Luftkrafterzeugung an starren Platten. (Nach Nachtigall 1980 und Lehmann 2000,verändert). A Kräfteverhältnisse beim stationären Flug einer Fliege. B-O Die Situation einer in ruhender Luft senkrecht nach untengeschlagenen Platte entspricht einer festgehaltenen Platte, die imWindkanal von unten angeströmt wird. (0) Aufder Oberseite derPlatte entsteht eine schnellere Strömung als auf der Unterseite, die zu einer senkrecht zur Oberseite stehenden aerodynamischenKraft führt. Diese setzt hier %Plattentiefe hinter der Vorderkante an. Sie lässt sich vektoriell in eine senkrechte Komponente (beimaktiven Abwärtsschlag als Hub wirkende) und eine horizontale (als Vortrieb wirkende) Komponente aufteilen.Auch die Umströmunglässt sich in zwei Komponenten zerlegen (Kutta-Joukowski-Theorem): in eine translatorische (B) und eine rotatorische (C). Allein dierotatorische Komponente, die Zirkulation, führt zum auftriebserzeugenden Geschwindigkeitsunterschied zwischen Ober- undUnterseite. Die rotatorisehe Komponente spielt eine herausragende Rolle bei den instationären Effekten wie z. B. bei Encarsia(Abb. 9-19) und Drosophila (Abb. 9-20). G Körpergewicht; H Hub; VVortrieb; WWiderstand; LLuftkraftresultierende.

zustande, wenn der Flügel exakt dorsoventral aufund ab schlüge. Die Flügelschlagebene muss alsoschräg zur Körperlängsachse stehen (Abb. 9-17A).Diese Schrägstellung beträgt bei der betrachtetenFliege etwa 45°. Da die Fliege in diesem Falle inrichtung ihrer Körperlängsachse fliegt, ist dieseSchrägstellung zugleich der Winkel bezüglich derFortbewegungsrichtung.

Andere Insekten wie z. B. Wanderheuschreckenstellen die Körperlängsachse etwas gegen die Fort­bewegungsrichtung an . Hinzu kommt eine Kip­pung der Flügelschlagebene gegen die Körper­längsachse von etwa 30°. Eine Verringerung desVortriebs bis zum reinen Schwirrflug lässt sichdurch eine Veränderung beider Winkel erzeugen(Abb. 9-20).

Stimmen die aus dem Bewegungsablauf ermit­telten Luftkräfte mit den tatsächlich erreichtenLeistungen eines fliegenden Insekts überein? Üb­licherweise werden Flügel oder entsprechende Pro­file im Windkanal bei unterschiedlichen Anstell­winkeln zur Strömung untersucht. Die jeweils ent­stehenden Luftkräfte entsprechen den Werten imGleitflug (stationäre Aerodynamik). Sie werdenals unabhängig voneinander betrachtet und ent­sprechend dem tatsächlichen Bewegungsablauf imFlügelschlag aufsummiert (quasistationäre Aero­dynamik). Die so errechneten mittleren Luftkräfteentsprechen ungefähr den bei größeren undschnell fliegenden Tieren wie Locusta gemessenenLuftkräften (lensen 1956).

Insbesondere für kleine Insekten mit hoherFlügelschlagfrequenz sind jedoch weitere luft-

krafterzeugende Mechanismen zu fordern. Bei denhohen Flügelschlagfrequenzen wirkt sich beson­ders stark aus, daß die Luftkräfte bei den successi­ven Anstellwinkeln nicht unabhängig voneinandersind (instationäre Aerodynamik). Dies ist ver­stärkt dann der Fall, wenn sich Lage und Orientie­rung des Flügels im Raum besonders schnell än­dern , wie z.B. bei der schnellen Pro- und Supina­tion im oberen und unteren Umkehrpunkt(Abb. 9-18). Die hierbei auftretenden Zirkulatio­nen werden derzeit als Schlüssel zum Verständnisder Vorgänge angesehen. Ausführliche Darstellun­gen der komplizierten Verhältnisse sind z. B. in denMonographien von Brodsky (1994) und Dudley(2000) zu finden. Im Folgenden wird der gegen­wärtige Stand der Erkenntnisse auszugsweise undstark vereinfacht dargestellt.

Zusammenklappen und Auseinanderreißen (clapand Ding). Die kleine Schlupfwespe Encarsia for­mosa schlägt die beiden Flügel am obersten Punktder Aufwärtsbewegung mit der morphologischenOberseite zusammen (Abb. 9-19). Der Abschlagbeginnt mit einer Drehbewegung um die Flügel­längsachse, bei der sich die Flügel auseinander­drehen, beginnend mit den Vorderkanten. Die inden sich öffnenden Spalt hineinströmende Lufterzeugt eine Zirkulation um jeden Flügel. Dieseerzeugt beim nun beginnenden Abschlag einenAuftrieb, der größer ist als er sich bei quasistatio­närer Betrachtung ergeben würde (Weis-Fogh1973). Nach neueren Untersuchungen von F.-O.Lehmann kann der Beitrag dieser Mechanismusbis zu 25% der mittleren Flügelkraft ausmachen.

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9.4 Fortbewegung in der Luh 247

Abb. 9·18: Flügelkinematik. Kinematische Analyse eines typischen Flügelschlags einer Fliege (Phormia regina) im Streckenflugvor dem Windkanal, aufgenommen mit einer Hochfrequenz-Filmkamera. Die Ziffern beziehen sich auf aufeinander folgendeFilmbilder (Zeitabstand 1/6400 s) und kennzeichnen die jeweilige Position des Körperschwerpunkts entlang seiner Fortbewegungs­richtung (horizontal von rechts nach links) sowie des betrachteten Flügelquerschnitts aufder dick ausgezogenen Bewegungskurve.Beim Filmbild Nr. 4 befindet sich der betrachtete Flügelquerschnitt also oberhalb und hinter dem Körperschwerpunkt. Die Lage desFlügelquerschnitts istals Strich im Flügel der Fliege dargestellt, der relativ zur Flügelbahn verkleinert gezeichnet ist. Gefüllte Kreise:morphologische Oberseite der vorderen Flügelkante. (Nach Nachtigall 1966)

Verzögerter Strömungsabriss (delayed stall),Wenn der Anstellwinkel (unter dem eine Trag­fläche die Luft durchschneidet) des Flügels zu steilwird, dann legt sich die Strömung nicht mehr derOberseite an, sondern bildet einen Wirbel an derVorderkante (leading edge vortex), der zwar kurz­zeitig den Auftrieb erhöht, sich dann aber vomFlügel ablöst und einen Abfall des Auftriebs zurFolge hat. Dieser Effekt ist bei Flugzeugen alsAbsturzursache gefürchtet. Ellington (1984) ent­deckte beim auf der Stelle schwirrenden Tabak­schwärmer Manduca sexta, dass der Vorderkan­tenwirbel während des Abschlags stabilisiert undder resultierende zusätzliche Auftrieb nutzbar ge­macht wird. Dafür sorgt vermutlich eine Luft­strömung von der Flügelbasis zur -spitze, die aus

der weitaus höheren Bahngeschwindigkeit derSpitze resultiert. Der dann erfolgende Abriss spieltkeine Rolle, da sich inzwischen die Schlagrichtungdes Flügels umgekehrt hat.

Weitere instationäre Effekte beim Schwirrflug.Auch wenn die Untersuchung aerodynamischerVerhältnisse beim Schwirrflug auf der Stelle leich­ter ist als beim Streckenflug, die geringe Größeund die hohe Flügelschlagfrequenz bietet dennocherhebliche experimentelle Schwierigkeiten. Diesekönnen weitgehend vermieden werden, wenn mandie Verhältnisse mit stark vergrößerten Modellennachbildet, wobei die Flügelbewegung in einemMedium vergleichbarer Zähigkeit erfolgen muss,also auf gleiche Reynoldszahlen geachtet werdenmuss. Bei solchen Modellen mit nachgebildeten

..

Abb. 9-19: Der Clap und Fling- Mechanismus bei Encarsia formosa. Ventralseite der Flügel punktiert. Gestrichelte Pfeile:Flügelbewegungen. Durchgezogene Pfeile: Rotatorische Komponente. Einzelheiten imText. Nach Wilkin 1985, verändert.

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248 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

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Abb. 9-20: Instationäre Effektebeim Schwirrflug. Gezeichnet ist dieFlügelspitzenbahn einer auf der Stelleschwirrenden Drosophila. Es sind dieungefähren Bereiche angegeben, in de­nen nach Modellversuchen der Vorder­kantenwirbel (1), der Magnuseffekt (2)und das Wiedereinfangen des Wirbels(3) erfolgen. Weitere Einzelheiten imText. (Nach Dickinson 2001 , verändert)

Drosophila-Flügeln entdeckten Dickinson undLehmann (1999) zwei weitere auftriebserzeugendeMechanismen beim Schwirrflug (Abb. 9-20): einedurch die schnelle Flügeldrehung erzeugte Kraft(die dem Magnus-Effekt bei einem geschnittenenBall beim Tennis entspricht) und ein Einfangender Strömung (wake capture), die vom vorherge­henden Halbschlag erzeugt wurde. Der zusätzlicheAuftrieb trägt bei Drosophila 35% zur Gesamt­flugkraft bei.

Diese Effekte dürften im Wesentlichen beimSchwirrflug, jedoch in weitaus geringerem Maßebeim Streckenflug auftreten. Bei vierflügeligen Ar­ten ist mit Interaktionen zwischen Vorder- undHinterflügeIn zu rechnen . Bei größeren Insektenmuß zudem berücksichtigt werden, dass die Flügelbiegsam sind und z.T. auch ihr Profil aktiv verän­dert werden kann .

Bei den Flügeln mancher Insekten, z.B. bei Schmetter­lingen oder bei den HinterflügeIn von Locusta, ist ledig­lich der vordere Flügelbereich durch Flügeladern ver­steift, während der hintere Flügelbereich weich mem­branös ausgebildet ist und der Schlagbewegung der Vor­derkante passiv und zeitverzögert folgt. Ähnlich wie beiundulierenden Membranen wird dadurch eine zusätz­liche Vortriebskomponente erzeugt. Nach dem gleichenPrinzip fliegen manche mit einem Gummimotor betrie­benen Spielzeugvögel.

Kleine Insekten. Die bisher geschilderten Mechanis­men der Auftriebserzeugung gelten nicht für alle In­sekten. Je kleiner ein bewegter Gegenstand ist, destostärker wirkt sich die Zähigkeit (Viskosität) des ihn um­gebenden Mediums aus. In einem solchen Fall ist dieFortbewegung mit Ruderbewegungen effektiver als dienach dem Auftriebsprinzip. In der Tat besitzen sehrkleine Insekten häufig fächerartig untergliederte Flügel,mit denen sie in der für sie zähen Luft rudern . Die Flügelerinnern an die mit Schwimmhaaren besetzten Beine derWasserinsekten. Diese Flügeleigenschaften sind in ver­schiedenen Insektengruppen offenbar konvergent ent­standen . Als Beispiele seien aus der Gruppe der Thysa­noptera (s. Abb. 25-38, 39) der Getreideblasenfuß (Ge­witterfliege) Limothrips cerealium (1,4 mm Körperlänge),

aus der Gruppe der Hymenoptera die Zwergwespe My­mar regalis (1,2 mm) und aus der Gruppe der Coleo­ptera der Federflügler Acrotrichis serieans (0,7 mm) ge­nannt.

9.4.2 Funktionsmorphologie desFlugapparates

Bei vierflügeligen Insekten sind die beiden Flügel­paare stets Ausbildungen des Meso- und Meta­thorax, niemals des Prothorax. Bei zweiflügeligenInsekten kann das Flügelpaar entweder zum Me­sothorax (z. B. Diptera, Männchen von Schildläu­sen und einige Ephemeroptera) oder zum Meta­thorax gehören (Männchen der Strepsiptera). DieFlugmuskulatur liegt in den entsprechenden Tho­raxsegmenten. Man unterscheidet zwischen direk­ten Flugmuskeln, die an Strukturen ansetzen, diewie die Axillar-, Basalar- und Subalarsklerite zumFlügel gerechnet werden können, und indirektenFlugmuskeln, die an Thoraxelementen ansetzenund den Flügel indirekt durch die Verformung desThorax bewegen. Oft ist eine mehr oder minderstarke Arbeitsteilung zwischen solchen Muskeln zubeobachten, die sehr kräftig ausgebildet sind unddie Hauptkraft für den Flügelschlag erzeugen(Hauptantriebsmuskeln), und anderen Muskeln,die als Steuermuskeln fungieren .

Bei den Hauptantriebsmuskeln unterscheidetman Flügelheber und Flügelsenker, die im Wechselaktiviert werden. Als Flügelheber dienen immerdie indirekt wirkenden, zwischen Tergum undSternum aufgespannten Dorsoventralmuskeln, diedas Tergum nach ventral ziehen und damit dieFlügel anheben (Abb. 9-21). Als Flügelsenker kön­nen unterschiedliche Muskeln wirken:

Bei den Odonata (Libellen) wird der Flügelab­schlag von den Basalar- und Subalarmuskeln er­zeugt, die direkt am Flügel ansetzen . Weitere,

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9.4 Fortbewegung in der Luft 249

Dorsoventralmuskeln

Tergum

Dorsale Langsmuskeln

Abb.9-21: Wirkungsweise der Hauptantriebsmuskeln beim Flug von Ephemeroptera und Neoptera. Seitenansichteines flügeltragenden Segments nach Entfernung der pleuralen Cuticula. Die Steuermuskeln sind nicht gezeichnet. Die sichkontrahierenden Muskeln sind dunkel gezeichnet. Bei der Kontraktion der Dorsoventralmuskeln wird das Segment dorsoventralabgeplattet. Dabei schwingt der Flügel über ein kompliziertes Hebelgelenk aufwärts. Die Kontraktion der dorsalen Längsmuskelnverkürzt das Segment und beult das Tergum auf, wobei der Flügel nach unten schlägt. Aufgrund der Formveränderung des Tergumswird der Vorgang als Tergalwölbungsmechanismus bezeichnet. Bei den Odonaten (siehe auch Text) wird das Tergum als Ganzesdorsoventrad bewegt. Dieser Mechanismus wird als Tergalplattenmechanismus bezeichnet (Pfau 1986). (Nach Pfau 1991 ausWendler 2000)

ebenfalls direkt am Flügel ansetzende schwächereMuskeln dienen lediglich der Feinkontrolle derFlügelsteIlung und -bewegung. Die schwachendorsalen Längsmuskeln ziehen den jeweiligen Flü­gel nach vorn. Bei den übrigen pterygoten In­sekten, den Ephemeroptera und den Neoptera, ha­ben dagegen die dorsalen Längsmuskeln die Rollevon Flügelsenkern übernommen (Abb. 9-21).Diese indirekt wirkenden Muskeln liefern dieHauptkraft für den Flügelabschlag und sind ent­sprechend mächtig ausgebildet . Anders als viel­fach dargestellt wird, dienen die dorsalen Längs­rnuskein generell bei vielen Neoptera wie z. B. denOrthoptera und Lepidoptera als Hauptabschlag­muskeln, und nicht nur bei denjenigen Arten , dienach dem myogenen Prinzip fliegen (s. 9.4.3.2).

Die indirekte Wirkung der Hauptantriebsmus­keln beruht auf einer Formveränderung des Tho­rax (Abb. 9-21). Dessen elastische Eigenschaften,an denen Resilin (s. 9.2.3 u. 1.3.3) beteiligt ist, sindmitentscheidend für den zeitlichen Ablauf der Fl ü­gelbewegung. Erzeugt man z,B. bei einem nichtfliegenden Tabakschwärmer (Manduca sexta) eineKontraktion der Senkermuskulatur durch elek­trische Reizung, so zucken die Flügel nach untenund schnellen passiv fast ebenso schnell in dieAusgangslage zurück . Ein Teil der Kontraktionwird also als Verformungsenergie gespeichert undgleich anschließend wieder in eine Gegenbewe­gung umgesetzt. Damit beeinflussen die mechani­schen Eigenschaften des Thorax die Resonanzfre­quenz des Skelettmuskelsystems einschließlich derFlügel. Die Flügelschlagfrequenz der myogenen

Flieger (s.u.) und wahrscheinlich auch neurogenerFlieger (s.u.) entspricht dieser Resonanzfrequenz.Bei ihr wird eine optimale Kraftübertragung andie umgebende Luft erreicht.

Die Arbeitsteilung zwischen den Hauptan­triebsmuskeln und den Steuermuskeln ist oft un­vollständig . So beeinflussen die Basalarmuskelnder Heuschrecken (Orthoptera) und Schwärmer(Lepidoptera) den Grad der Pronation (Kippender Flügelvorderkante nach unten) und die Sub­alarmuskeln den Grad der Supination (Kippen derFlügelvorderkante nach oben) des jeweiligen Flü­gels. Gleichzeitig sind diese Muskeln so stark aus­gebildet, dass sie zusätzlich einen Teil der Kraftfür den Flügelabschlag liefern. Andere, wie der 3.Axillarmuskel, dienen hingegen fast ausschließlichals Steucrmuskeln . Lage und Wirkungsweise derSteuermuskeln variieren je nach Flugweise derbetreffenden Art außerordentlich stark. Bei denebenfalls sehr gut untersuchten Fliegen (Diptera)ist die Arbeitsteilung zwischen den indirekten An­triebsmuskeln (Dorsoventralmuskeln und dorsa­len Längsmuskeln) und den Steuermuskeln (z. B.Basalar- und Subalarmuskeln) nahezu vollstän­dig.

9.4.3 Physiologie des Flugsystems

Vergleicht man die zeitliche Koordination derBeine beim Laufen mit der Koordination der Flü­gel beim Flug, so wird deutlich, dass alle Flügel

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250 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

Abb. 9-22: Vergleich der Zeitbezie­hungenzwischen Muskelpotentia­len und Flügelschlag bei neuroge­nen (A) und myogenen (8) Flie­gern. JedesAktionspotentiai eines Mo­toneurons erzeugt ein Muskelpotentialim zugehörigen Muskel (s. 9.1). DLMdorsalerLängsmuskel; DVM Dorsoven­tralmuskel derselben Körperseite. (NachMessungen von Suder sowie Völker undHeide, verändert)

Tabakschwärmer (Manducasexta)

_______l_--

~-----'I\.~----~1-----11 Schmeißfliege (Calliphora erythrocepha/a)

Aoben

Flügel

OLM (Senker)

OVM (Heber)

I0.1 s

B

Flügel oben

unten

OLM (Senker) 1LOVM (Heber) 1.

0.1 s

eines Insekts stets mit identischer Frequenzschwingen, während die Beine unterschiedlicheSchrittfrequenzen zeigen können. Schon aufgrundder elastischen Eigenschaften des rundum ge­schlossenen Thorax können die gegenüberliegen­den Flügel desselben Thoraxsegments nicht mitunterschiedlicher Frequenz schwingen. Die me­chanische Kopplung zwischen Meso- und Meta­thorax ist hingegen meist schwächer und lässtdeshalb zumindest unterschiedliche Phasenlagenzu.

So schwingen die Vorder- und Hinterflügel bei Locustamigratoria zwar mit gleicher Frequenz, aber mit einerkonstanten Phasenverschiebung von etwa 30°. Männ­chen der gebänderten Prachtlibelle (Calopteryx splen­dens) können während des Balzflugs sogar die Phasezwischen dem Vorder- und dem Hinterflügelpaar ver­stellen und ihre Flügelflecken auf diese Weiseprägnanterzur Schau stellen.

Die Kontraktionen der Hauptantriebsmuskelnkönnen auf zweierlei Weise ausgelöst werden:

durch die Flugmotoneuronen. Man sprichtdann von neurogener Aktivierung. Dieses An­steuerungsprinzip ist bei Odonata, Blattodea,Orthoptera und Lepidoptera gut untersucht.Die Muskeln sind stets vom nichtfibrillären Typ(s.9.1).durch eine schnelle, passive Dehnung , also einemechanische Anregung. Man spricht dann vonmyogenerAktivierung. Dieses Prinzip ist bei denDiptera, Hymenoptera, Coleoptera und Hete­roptera verwirklicht. Die beteiligten Muskelnsind stets vom fibrillären Typ (s. 9.1).

9.4.3.1 Neurogener Flugrhythmus

Die Flügelschlagfrequenz der neurogenen Fliegerliegt meist im Bereich von 10 bis 30 Hz, nachneueren Untersuchungen am TabakschwärmerManduca sexta in der Regel nahe oder bei derResonanzfrequenz des Skelettmuskelsystems. Dierhythmischen Schlagbewegungen der Flügel wer­den durch eine abwechselnde motoneuronale Ak­tivierung der Heber- und Senkermuskulatur er­reicht. Diese Art der Muskelaktivierung wird auchsynchron genannt, da der Flügelschlag mit ihrsynchronisiert ist (Abb. 9-22 A).

Für Flugmanöver jeder Art sind jedoch dieSteuermuskeln von besonderer Bedeutung , derenKontraktionen auf die gleiche Weise durch Moto­neurone ausgelöst werden. Bei Locusta migratoriasind dies die beiden Basalarmuskeln , der Sub­alarmuskel und vor allem der 3. Axillarmuskel.Der Zeitpunkt, zu dem diese Muskeln innerhalbdes Rhythmu s aktiviert werden, bestimmt das je­weilige Flugmanöver. Die Darstellung der Akti­vierungszeitpunkte aller Muskeln innerhalb derFlügelschlagperiode wird auch als Pa rtitur be­zeichnet.

Der Rhythmus und die zeitliche Koordinationder Kontraktionen werden allerdings nicht vonden Motoneuronen allein erzeugt , sondern durchein Netzwerk , an dem außerdem intra- und inter­ganglionäre Interneuronen (s. 8.3.1) sowie diversePropriozeptoren (s. 11.1.4.1) der Flügel und an­derer KörpersteIlen beteiligt sind (s. 9.4.3.3 undAbb.9-23).

Bei Heuschrecken (z. B. Locusta migratoria) und Schwär­mern (z. B. Manduca sexta) ist es gelungen, nach Aus­schaltung dieser Propriozeptoren die über alle drei Tho­rakalganglien verteilten Fluginterneuronen und Flug-

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9.4 Fortbewegung in der Luft 251

extern verursachteTranslation und Rotationder visuellen Umwelt

Thorakalganglien

Intemeuroneund

Motoneurone

\

Skelettmuskelsystem

campanif. Sensillen (+ John­stonsches Organ, Haarpolster)

Ä Windhaareauf~d~V~d,"opl

\Streckrezeptor(+ campaniformeSensillen + Tegula­rezeptoren)

Flügelbewegungrh thmischeLuflströmun

Translationen und Rotationen

Abb. 9-23: Organisation des Flugsystems bei Locusta migratoria als Vertreter der neurogenen Flieger undMechanismen der Flugstabilisierung. Flügelschlagfrequenz 17-25/s. Die beteil igten Strukturen sind innerhalb der weißenRechtecke symbolisiert. Ihre physiologischen Eingangs- Ausgangsbeziehungen sind in den dazugehörigen grau unterlegtenRechtecken als elektrische Aktivität bzw. als mechanisches Eingangs- (hellgrau) oder Ausgangssignal (dunkelgrau) dargestellt. AlsBeispiel für ein antennales Ausgangssignal ist die Aktivität des TCD-lnterneurons dargestellt (Tyrer et al. 1988), für den Ausgangeines lateralen Ocellus die Reaktion eines Rezeptors (unten) und eines sp ikenden Interneurons auf Belichtung (Wilson 1978).Beispiel eines der am Generieren des Flugrhythmus beteiligten interneuronen: Neuron 301 (Robertson 1985). Beispiel einesMotoneurons: 113, einen Hinterflügelheber innervierend (Nach Burrows 1973).

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252 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

motoneuronen (Abb. 9-23) zu einer z.T. lang andau­ernden rhythmischen Aktivität zu veranlassen. Dieserzentralnervöse Anteil des Netzwerks, oft auch als "zen­traler Mustergenerator" oder ePG ("central pattern ge­nerator") bezeichnet, schwingt mit etwa halbierter Fre­quenz, verglichen mit der Flügelschlagfrequenz des in­takten Tiers. Die zeitliche Koordination der einzelnenMotoneuronen ist jedoch der des intakten Systems soähnlich,dass man an solchen Präparaten einige wichtigeSchaltprinzipien aufdecken konnte. Der Gesamtrhyth­mus scheint nach diesen Ergebnissen weniger auf derrhythmischen Aktivität einzelner, führender Interneu­ronen (Schrittmacherneuronen) zu beruhen als vielmehreineNetzwerkeigenschaft zu sein.

9.4.3.2 Myogener Flugrhythmus

Viele Hymenoptera, Coleoptera und Diptera er­reichen Flügelschlagfrequenzen von bis zu 1000Hz, also weitaus höhere als neurogene Flieger. Beidiesen Arten wird der Flügelschlagrhythmus nichtneuronal erzeugt, sondern durch die mechanischeResonanz des aus dem elastischen thorakalen Ske­lett, aus den Flügeln und aus der Hauptantriebs­muskulatur bestehenden schwingungsfähigen Sys­tems. Der Rhythmus wird durch eine Eigenschaftder fibrillären Muskeln aufrechterhalten, die alsStreckaktivierung bezeichnet wird (s. 9.1): Jedesruckartige Ziehen am Muskel führt zu einer ak­tiven Kontraktion. Wenn nun eine Kontraktionder dorsalen Längsmuskeln das Tergum bei gleich­zeitiger Flügelsenkung aufbeult (Abb. 9-21, rechteSeitansicht), führt dies zu einer ruckartigen Deh­nung der antagonistischen Dorsoventralmuskeln.Diese reagieren mit einer Kontraktion, die wie­derum eine Dehnung der dorsalen Längsmuskelnzur Folge hat , die sich nun ihrerseits kontrahierenusw. Zum Mechanismus des Flugstarts bei myoge­nen Fliegern (s. 9.2.3).

Da sowohl die Kontraktionen der Hauptan­triebsmuskeln als auch ihr Rhythmus nicht vonden Motoneuronen, sondern mechanisch be­stimmt wird, wäre ein Netzwerk wie bei den neu­rogenen Fliegern im Prinzip überflüssig, zumin­dest der zentralnervöse Anteil, soweit er dieHauptantriebsmuskeln steuert. Tatsächlich findetman eine Reihe von bedeutsamen Unterschiedenzu den neurogenen Fliegern. So ist die Innervationder Antriebsmuskeln zwar erhalten und bis inEinzelheiten mit der Innervation bei neurogenenFliegern homologisierbar; auch ihre Motoneuro­nen sind während des Flugs aktiv. Sie feuern je­doch in keinem strengen Rhythmus und vor allemmit wesentlich geringerer Frequenz als der Flügel­schlagfrequenz. Sie sind nur bei jedem zwanzigstenbis vierzigsten Flügelschlag aktiv und können mitdurchaus unterschiedlicher Frequenz feuern(Abb. 9-22, 9-24). Da die Muskelpotentiale nur

sporadisch und zudem oft nicht phasengekoppeltmit dem Flügelschlag auftreten, wird die fibrilläreMuskulatur als asynchrone Flugmuskulatur be­zeichnet. Die motoneuronale Aktivierung der fi­brillären Muskeln sorgt im Wesentlichen dafür,dass die Konzentration der für den Kontraktions­mechanismus nötigen Calciumionen im Muskelauf einem hohen Niveau bleibt (s. 9.1.4).

Im Unterschied zu den neurogenen Fliegern wird dieAktivität der Motoneuronen der Hauptantriebsmuskelnbei den myogenen Fliegern vorwiegend in diesen Moto­neuronenselbsterzeugt.Siesinduntereinanderauf kom­plizierte Weise schwach gekoppelt. Bisher sind keineInterneuronenbekannt, die beidieserKopplungbeteiligtsind. Eineinteressante Zwischenstellung zwischen neuro­genen und myogenen Fliegern nehmendie als ursprüng­licheDiptera angesehenen großenSchnaken der GattungTippula ein, die eine niedrige Flügelschlagfrequenz von50-60 Hz besitzen. Bei ihnen treten die Aktionspoten­tiale der fibrillären Muskeln bei etwajedem dritten Flü­gelschlag auf, und zwar immer in bevorzugten Phasendes Flügelschlags.

Die Steuermuskeln gehören nicht zum fibrillärenTyp. Sie können durch ihre Motoneuronen mitsehr hoher Frequenz, bis zu einmal pro Flügel­schlag, aktiviert werden und bewirken je nachFlugmanöver eine Modifikation der mechani­schen Eigenschaften des Thorax. Anders als diefibrillären Muskeln stehen sie im Zusammenhangmit der Flugstabilisierung unter Kontrolle vonPropriozeptoren, insbesondere der Halteren undder Flügel.

9.4.3.3 Mechanismen der Flugstabilisierung

Ein fliegendes Insekt bewegt sich - verglichen miteinem kletternden Insekt - in einem relativ ho­mogenen Medium. Es könnte also zumindest denGrundrhythmus der Hauptantriebsmuskeln ohneBeteiligung von Sinnesrückmeldungen erzeugen.Beim myogenen Flugtyp ist dies in nahezu voll­kommener Weise verwirklicht, da der Rhythmusallein durch die mechanischen Resonanzeigen­schaften des Skelett-Muskelsystems bestimmtwird . Aber auch der neurogene Flug ist unab­hängiger von sensorischen Rückmeldungen als dasLaufen, da z. B. Locusta migratoria und Manducasexta auch dann einen flugähnlichen Rhythmusgenerieren können, wenn alle sensorischen Rück­meldungen fehlen (s. 9.4.3.1).

Für die Regelung der Flugstabilität werden hin­gegen sowohl bei neurogenen Fliegern (Abb. 9-23)als auch bei myogenen Fliegern (Abb. 9-24) hoch­entwickelte Sinnesorgane eingesetzt. Sie messenden Bewegungsablauf jedes einzelnen Flügels, dievom Flügelschlag erzeugte Luftströmung sowiedie resultierenden Translationen und Rotationen

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des Körpers wie z.B. die Vorwärt sbewegung oderDrehungen um die Hoch- oder Längsachse. Siekönnen zugleich Störungen registrieren und sehrschnell Korrekturbewegungen mittels der Steuer­rnuskeIn auslösen. Diese Stabilisierungsmechanis­men werden im Folgenden für je einen Vertreterder neurogenen und myogenen Flieger ausführli­cher dargestellt. Sie zeigen, trotz erheblicher Un­terschiede im Detail, eine große Übereinstimmungim Organisationsprinzip. Man findet Regelungs­prozesse, die sich auf der Ebene einzelner Flügel ­bewegungen abspielen bis zu solchen , die sich aufdie Bewegungen des gesamten Tiers beziehen .

I . Bei Locusta migratoria, einem neurogenen Flie­ger, sind Proprioceptororgane der Flügel undder Antennen, die windempfindlichen Haar­felder am Kopf, die Ocellen und die Komplex­augen die wichtigsten Sinnesorgane für dieFlugstabilisierung (Abb. 9-23).

• Flügelrezeptoren. Diese mechanischen Sinnesor­gane werden von der Flügelbewegung rhyth­misch gereizt und beeinflussen wiederum rück­wirkend intraganglionä re Elemente des Flug­motors. Sie sind ebenso Elemente des rhythmus­generierenden Netzwerks wie die Interneuronenund Motoneuronen. Ihre besondere Lage in derPeripherie befähigt sie, zusätzlich extern verur­sachte Störungen der normalen Flügelbewegun­gen zu registrieren und eine sehr schnelle, in diezeitliche Koordination aller Flugmuskeln ein­greifende Korrektur auszulösen.

• Der Streckrezeptor ist ein einzeIliges Sinnesorgan ander Basis jedes Flügels, dessen Dendriten in einemelastischen Bändchen verzweigt sind, das zwischendem Phragma und einer Membran zwischen Pterale3und 4 aufgespannt ist. Das Bändchen wird durch eineAufwärts- und Pronationsbewegung des Flügels ge­dehnt und reizt damit den Streckrezeptor. Die Rolleeines mit dem Streckrezeptor assoziierten Chordoto­nalorgans für den Flug ist noch nicht geklärt. Weiter­hin werden Gruppen von campaniformen Sensillen ge­reizt, die auf den Adern der Flügelbasis positioniertsind und die Durchbiegung des Flügels messen. Auchdie Rezeptoren der Tegula werden gereizt. Die Tegulaistein bewegliches Kissenvorder Fl ügelbasis. das zweisensorische Gebiete umfasst: ein posterior liegendesFeldvonetwa40 Haaren und ein inneres Chordotonal­organmit etwa 30 Scolopidialzellen.

• Windhaare. Die Windhaare am Kopf, die in fünfbilateralsymmetrischen Feldern angeordnetsind, messen den vom Tier selbst erzeugtenFlugwind. In der Höhe der Windhaare ist dieseraufgrund der rhythmischen Schlagbewegungenaller vier Flügel rhythmisch moduliert. Die Erre­gung der Windhaare aktiviert ein Paar von In­terneuronen (TCG ="tritocerebral commissuregiants") mit großem Axondurchmesser, die we­gen ihres rhythmischen Eingangs ebenfallsrhythmisch aktiv sind und ihrerseits wieder auf

9.4 Fortbewegung in der Luft 253

Neuronen des Flugmotors einwirken . Auch dieWindhaare sind peripher gelegene Elemente desFlugmotors. Anders als die Streckrezeptorenverarbeiten sie allerdings nicht nur die Bewegun­gen einzelner Flügel , sondern ein Signal, dassich aus der Bewegung aller vier Flügel ergibt.Die Windhaare signalisieren zusätzlich äußereStörungen, die das gesamte Tier betreffen unddie sehr schnell korrigiert werden. In Frage kom­men Böen, die bereits am Kopf registriert wer­den, noch bevor sie auf den Körper wirken . Diebeiden TCG-Neuronen kodieren zusammen dieRichtung, aus der ein Windstoß kommt.

• Antennenrezeptoren. Die Antennen werdenebenfalls durch den Flugwind abgebogen, des­sen Rhythmik sich hier kaum noch auswirkt. Sietragen eine Vielzahl unterschiedlicher Mechano­rezeptoren. Die Rezeptoren des Pedicellus, zudenen das Johnstonsche Organ und campani­forme Sensillen gehören, sind an der Regelungder Fluggeschwindigkeit beteiligt (s. Il.l) .

• Visuelles System. Das visuelle System, das ausden Ocellen und Komplexaugen (s. 11.4) sowieden optischen Loben (Abb. 8-3, 8-8, 8-9) be­steht , ermittelt Relativbewegungen zwischen dervisuellen Umwelt und dem Kopf sowie insoferndem gesamten Tier, als Kopfbewegungen mit­hilfe von Mechanorezeptoren berücksichtigtwerden können. Da der rhythmische Einflussder Flügelschläge auf die Körperbewegungengering ist, sind die Signale, die durch deszendie­rende intersegmentale Interneuronen (s. 8.3.1)an den Flugmotor übermittelt werden , vorwie­gend nichtrhythmisch. Jede Relativbewegungder visuellen Umwelt wird mit einer Korrekturder Lage oder der Flugrichtung beantwortet(optomotorische Reaktion, s. 9.5.2.1 und Abb. 9­25). Die Ocellen sind vorwiegend an der Korrek­tur von Drehungen um die Querachse (Nicken)und um die Längsachse (Rollen) beteiligt. DieseDrehungen führen zu Verschiebungen des Hori­zonts, die als Veränderung der Erregungsba­lance zwischen den Ocellen gemessen werden .Die Komplexaugen werden zur Messung undKorrektur aller Translations- und Rotationsbe­wegungen eingesetzt (s. 9.5.2.1).

2. Bei Calliphora erythrocephala, einem myogenenFlieger, ist das Flugstabilisierungssystem trotzdes andersartigen Flugmechanismus und derviel höheren Flügelschlagfrequenz ähnlich wiebei den neurogenen Fliegern organisiert (Abb.9-24).

• Auch hier dienen Flügelrezeptoren, in erster Li­nie Gruppen von campaniformen Sensillen, zurKontrolle der Bewegung der einzelnen Flügel.Die Sensillen werden im Rhythmus des Flügel­schlags erregt und wirken auf die Motoneuronender Steuermuskeln zurück.

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254 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

externe Windreize

externe Drehmomente

Störungen des Flügelschlags

~Oc'","

campanif.Sensillum(+Johnston­sches Organ)

campanif. Sensillen, Haarsens.

Flügelbewegungen

TranslationenundRotationen

Thorakalganglien

extern verursachte Translation und Rotationder visuellen Umwelt

Abb. 9-24: Organisation des Flugsystems bei Calliphora erythrocephala als Vertreter der myogenen Flieger undMechanismen der Flugstabilisierung. Flügelschlagfrequenz etwa 120/s. Symbole wie inAbb. 9-23. Bei Calliphora werden dieHauptantriebsmuskeln durch Motoneuronen angesteuert, die mit geringer Frequenz feuern . Die Steuermuskeln können jedoch mitder hohen Flügelschlagfrequenz aktiviert werden. Diesensorischen Rückmeldungen beeinflussen überwiegend die Steuermuskulatur.Als Beispiel für ein antennales Ausgangssignal istdie Aktivität des campaniformen Sensillums dargestellt (Schlegel 1970), für denAusgang eines lateralen Ocellus die Reaktion von zwei Fasern des Ocellusnerven auf Belichtung (Metschi 1963). Als Beispiel fürNeuronen sind zwei descendierende Interneuronen und ein Motoneuron eines Steuermuskels gewählt. (Nach Färbungen vonHausen)

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• Die zu Halteren (Schwingkölbchen) umgewan­delten Hinterflügel schwingen mit derselbenFrequenz wie die Flügel. Ihre verdickte Basis istmit etwa 400 campaniformen Sensillen in 7Gruppen unterschiedlicher Orientierung besetzt.Sie messen die Geschwindigkeit von aktiven undpassiven Drehungen des gesamten Körpers an­hand der auftretenden Corioliskr äfte und derdamit verbundenen geringfügigen Cuticulaver­biegungen. Ihre rhythmische Erregung wirkt wiebei den Flügelrezeptoren unmittelbar auf dieMotoneuronen der Flugsteuermuskeln zurück. ­Die Männchen der parasitischen Strepsipterabesitzen ebenfalls Halteren mit einer entspre­chenden Funktion. In diesem Fall handelt essich um umgewandelte Vorderflügel.Antennale Rezeptoren wie das Johnstonsche Or­gan und ein großes campaniformes Sensillumdes Pedicellus messen den Flugwind und sind ander Regelung der Fluggeschwindigkeit beteiligt.Die Ocellen und Komplexaugen sind ähnlich wiebei Locusta in das Flugsteuersystem eingebun­den. Zwischen Komplexaugen und Halteren be­steht eine interessante Arbeitsteilung : Währenddie Halteren ihren optimalen Arbeitsbereich beischnellen Körperdrehungen besitzen und mitkurzer Latenz, d.h. innerhalb weniger als 20 mseine Flugkorrektur bewirken, benötigen die Sig­nale aus dem visuellen System, das bei lang­sameren Drehungen optimal arbeitet, hierfüretwa 100 ms. Dafür sind die Halteren im Gegen­satz zum visuellen System für eine Korrekturtranslatorischer Bewegungen nicht geeignet.

9.5 Orientierung derFortbewegung im Raum

Insekten haben eine außerordentlich große Anzahlunterschiedlicher, z. T. hochspezialisierter Sinnes­organe entwickelt, mit denen sie eine breite Palettevon Eigenschaften ihrer Umwelt erfassen (s. Kap.11) und mit deren Hilfe sie ihre Fortbewegung imRaum kontrollieren und steuern können. Bei die­sen Orientierungsvorgängen handelt es sich in derRegel um sehr komplexe Vorgänge, bei denen oftmehrere Sinnesmodalitäten beteiligt sind. Bei derexperimentellen Analyse der Orientierung imRaum hat man deshalb zunächst stark verein­fachte Reizsituationen verwendet. Dabei wurdeneinige grundlegende Mechanismen entdeckt , dieals Bestandteile von komplexeren Orientierungs­vorgängen zu betrachten sind. Die folgende Dar­stellung beginnt deshalb ebenfalls mit stark verein­fachten Situationen.

9.5 Orientierung der Fortbewegung im Raum 255

9.5.1 Fortbewegung bei fehlendenexternen Orientierungs­merkmalen

Wenn ein Insekt keinerlei Merkmale der Umge­bung zur Verfügung hat, an denen es sich orientie­ren kann, bewegt es sich niemals längere Zeitgeradeaus. Stets registriert man enge oder weiteBögen oder Kreise konstanter oder wechselnderBewegungsrichtung. Ähnliche Phänomene sindauch für andere Arthropoden und für Wirbeltierebekannt. So laufen Menschen, die sich im Nebel inErmangelung von Orientierungsmarken verirren,annähernd im Kreise. Rechts-Links-Asymmetrienkennt man nicht nur bei der Fortbewegungsrich­tung, sondern auch bei der Körperhaltung und beider Lage des Körpers im Raum. Als Ursachekommen insbesondere Asymmetrien in der neu­romuskulären Aktivität beider Körperseiten inFrage, die eine offenbar unvermeidliche Eigen­schaft bilateralsymmetrischer Tiere sind.

Viele Tiere haben jedoch Mechanismen entwickelt, diedie Auswirkungen solcher Asymmetrien reduzieren. Sokönnen selbstverursachte Körperwendungen durch Ge­lenkrezeptoren gemessen und zu einer Kurskorrekturverwendet werden. Die Korrektur kann auch ohne Sin­nesorgane, nur unter Verwendung einer internen Kopiederjenigen neuronalen Aktivität erfolgen, die eine Wen­dung verursacht hat (ElTerenzkopie, v. Holst u. Mittel­staedt 1950). Eine solche Orientierung mithilfe von In­formation , die aus dem Tier selbst stammt, wird alsidiothetisehe Orientierung bezeichnet, während Orientie­rungsvorgänge mithilfe externer Reize allothetische Ori­entierung genannt werden (Mittelstaedt 1978). Erkenn ­bar werden idiothetische Mechanismen u.a. am Gegen­wendeverhalten: zwingt man einem laufenden Insekt, z. B.einem Mehlkäfer Tenebrio molitor, durch ein Hinderniseine Wegabweichung auf, so führt er nach Verlassen desHindernisses sofort eine kurskorrigierende Gegenwen­dung durch , die proportional zu dem aufgezwungenenWinkel ist. Solche Gegenwendungen treten auch dannauf, wenn keine Landmarke zur Verfügung steht , an derder Ablenkwinkel gemessen werden könnte.

9.5.2 Fortbewegung mithilfeexterner Orientierungs­merkmale

Eine rein idiothetische Orientierung führt jedochnur sehr beschränkt zu einem stabilen Kurs, da siestark streut , sodass der ursprüngliche Kurs bereitsnach wenigen Ablenkungen verlassen ist. Daherbesitzen die meisten Tiere gut ausgebildete Me­chanismen, um sich nach äußeren Merkmalen zuorientieren . Sobald die Umgebung eines Insekts sostrukturiert ist, dass es seine Fortbewegungen rela-

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256 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

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Abb. 9-25:Prinzipder Bewegungsperzeption bei Insekten.A Fliege, aufeiner kleinen Plattform sitzend, umgeben von einemdrehbaren Streifenzylinder. (Nach Mittelstaedt 1964) BWenn sich ein Helligkeitskontrast von Rezeptorelement a nach Rezeptorele­ment b bewegt, dann erzeugt er zunächst einen Erregungsverlauf in a (Kurve 1)und später einen gleichen Erregungsverlauf in b(Kurve 2). Der zeitliche Abstand zwischen den beiden Erregungsverläufen hängt von der Bewegungsgeschwindigkeit ab. DieErregung in leitung a wird um einen festen Betrag von ~ t zeitverzögert (Kurve 3), während die Erregung in leitung b unverzögertbleibt. Diese Erregungen werden nun in einem weiteren Schritt miteinander multipliziert (M) und führen zum Erregungsverlauf amAusgang der Multiplikationseinheit (Kurve 4). Die Bewegungsgeschwindigkeit des Kontrasts ist im Beispiel so gewählt, dass derZeitunterschied zwischen 1 und 2 genau der festen Verzögerung in leitung a entspricht, sodass die Erregungsverläufe in beidenleitungen zeitgleich vorliegen und das Multiplikationsergebnis (Kurve 4)deshalb maximal ist. Je geringer die Geschwindigkeit, destospäter erscheint die Erregung in b und desto geringer istdas Multiplikationsergebnis (gestrichelte Zeitverläufe). Bei extrem geringerGeschwindigkeit ist das Multiplikationsergebnis im Modell Null, da die Signale in den beiden leitungen nicht mehr zeitlichkoinzidieren. CErfolgt dieBewegung indie entgegengesetzte Richtung von b nach a, dann ergibt sich keine zeitliche Koinzidenz derSignale ina und b.Inelektrophysiologischen Ableitungen aus den riesigen bewegungssensitiven interneuronen der lobula Platte beiFliegen findet man dementsprechend nur ganz geringe Erregungen (Kurve 4). Der elementare Bewegungsdetektor arbeitet alsorichtungsabhängig . D, E Man nimmt einen symmetrischen Aufbau der Bewegungsdetektoren an, wobei die Multiplikations­ergebnisse der beiden leitungen mitunterschiedlichem Vorzeichen additiv verrechnet werden. Es ergibt sich bei einer Bewegung vona nach b ein positives Signal (D) und bei einer Bewegung in Gegenrichtung ein Signal mit umgekehrten Vorzeichen (E).

tiv zu diesen Strukturen messen kann, äußert sichdies in einer erhöhten Geradlinigkeit seiner Fort­bewegung. Dabei spielen das visuelle System,Schwererezeptoren, Hörorgane und Windmessor­gane sowie Geruchsorgane eine wichtige Rolle.

Bereits Loeb (1913) versuchte, ein Begriffssystem für dieBeschreibung der beobachtbaren Orientierungsweisen zuentwickeln. Es wurde durch Kühn (1919) und Fraenkel u.Gunn (1961) weiterentwickelt und von Schöne (1980)zusammenfassend und kritisch diskutiert. WichtigeGrundbegriffe sind Tropismus (Ausrichtung eines sessi­len Lebewesens zu einem Reiz), Kinesis (von einem Reizabhängige Fortbewegungsgeschwindigkeit) und Taxis(durch Reize ausgelöste, gewöhnlich gerichtete Ortsver­änderung), wobei mit entsprechenden Präfixen (z. B. po-

sitive Phonotaxis = Bewegung auf eine Schallquelle zu,Abb. 9-27) die spezielle Verhaltensweise gekennzeichnetwird. Das Interesse an einer Weiterführung dieses Be­griffssystems hat heute stark nachgelassen, da es bei derDetailanalyse der Orientierungsmechanismen wenig hilf­reich ist. Die Begriffe werden jedoch nach wie vor zureinfachen Kennzeichnung einer Orientierungsform ver­wendet.

9.5.2.1 Optomotorik

Unter bestimmten Umständen kann die visuelleUmgebung so fein und gleichmäßig strukturiertsein, dass das Insekt zwar seine Dreh- oder Line­argeschwindigkeit relativ zu diesen Strukturen

Page 29: Lehrbuch der Entomologie || Fortbewegung und sensomotorische Integration

messen und korrigieren, aber kein einzelnes Struk­turelement fixieren kann. Im Experiment wirddiese Situation durch Streifenzylinder (Abb. 9-25)oder ähnliche Anordnungen simuliert. Wenn maneinen Streifenzylinder mit senkrechten schwarz­weißen Streifen um das Tier herumdreht und ihmauf diese Weise vortäuscht, es sei passiv verdrehtworden, so dreht es sich mit den Streifen mit undkompensiert dadurch die Abweichung. Dieses Ver­halten wird als optomotorische Reaktion bezeich­net. Es setzt voraus, dass das Insekt Bewegungendes visuellen Umfelds relativ zu seinen Augenermitteln kann.

Das Prinzip dieser Bewegungsperzeption be­ruht auf der Auflösung der kontinuierlichen Bewe­gung optischer Kontraste in eine sukzessive Erre­gung benachbarter Sehelemente des Auges. DieGrundeinheit für die Bewegungsperzeption be­steht jeweils aus zwei Sehelementen, deren Erre ­gungen nach einem Verfahren verrechnet werden,das in der Technik als Autokorrelationsanalysebekannt ist (Abb. 9-25). Bei dem RüsselkäferChlorophanus viridis, bei dem Hassenstein (1951)und Reichardt dieses Prinzip entdeckten, sind esdie Retinulazellen von zwei jeweils benachbartenbzw. übernächsten Ommatidien, deren Erregun­gen in dieser Weise verschaltet werden . Bei denneuralen Superpositionsaugen der Diptera sind esRetinulazellen des gleichen Ommatidiums, dieLicht aus unterschiedlichen Richtungen empfan­gen (s. 11.4). Nach Vorverarbeitung wird die In­formation an die riesigen Tangenzialneurone derLobula Platte übertragen (Abb.8-10). Die Ent­deckung dieses Prinzips der Bewegungsperzeptionbei Insekten hat eine Fülle von neuroanatomi­schen und physiologischen Untersuchungen insbe­sondere bei Dipteren zur Folge gehabt. Das Prin­zip ist von allgemeiner und grundlegender Bedeu­tung, da es auch für die Bewegungsperzeption beiWirbeltieren zu gelten scheint.

Die optomotorische Reaktion erlaubt es denInsekten zwar, innere oder äußere Störungen biszu einem gewissen Grade zu kompensieren, abernoch nicht, eine Reizquelle zu lokalisieren odereinen bestimmten Kurs zu einer Landmarke ein­zuhalten, da eine Information über die Positioneinzelner Kontraste im System mit den Großfeld­neuronen der Lobula Platte nicht vorhanden ist.Ein Fixieren einzelner Kontraste ist jedoch ver­mutlich mit bewegungssensitiven Kleinfeldneuro­nen der Medulla möglich .

9.5.2.2 Kursregelung mitSymmetrieeinstellung

Wenn ein Insekt einen Reiz wahrnehmen kann,dessen Richtung bestimmbar ist, dann bewegt es

9.5 Orientierung der Fortbewegung im Raum 257

sich meist für kürzere oder längere Zeit geradlinig.Häufig werden Kurse gewählt, bei denen die Kör­perlängsachse mit der Reizrichtung überein­stimmt, die also auf einen Reiz zu oder von ihmweg führen . So kriechen z. B. Fliegenmaden voneiner Lichtquelle weg (negative Phototaxis) . Bie­nen, Stabheuschrecken und andere Insekten laufenauf einer geneigten oder senkrecht stehenden Flä­che entgegen der Schwerkraft aufwärts (negativeGeotaxis) . Die Motivation für die Orientierungnach solchen raumstrukturierenden physikalischenGrößen ist vielfach noch unklar. So ist bisher nochkein biologischer Sinn für die Eigenschaft nacht­aktiver Insekten bekannt, auf Lichtquellen zuzu­fliegen. Man nutzt dieses Verhalten allerdings aus,um Lichtfallen zu konstruieren. Andere Reaktio­nen werden als Tests für die physiologische Ana­lyse von Orientierungsleistungen verwendet.

Für die Orientierung nach biogenen Signalquel­len ist die Motivation des Insekts hingegen in derRegel gut bekannt. Solche Signale gehen von Fut­terpflanzen (s. Kap. 15), von Beute (s. 11.1.5.3 u.16.1.2), von Fressfeinden (s. 11.1.5.2), Geschlechts­partnern oder Orten für die Eiablage aus. Aus derVielzahl der bisher untersuchten Orientierungs­weisen werden im Folgenden einige charakteristi­sche Beispiele aus den verschiedenen Sinnessy­stemen dargestellt.

Fluchtreaktionen

Insekten haben eine Fülle von Strategien zurFeindvermeidung entwickelt, darunter die schnelleFlucht. Eine Flucht erfolgt meist in die dem Feindabgewandte Richtung, wie z. B. bei fliegendenGrillen (s. 11.1.5.2) oder bei der Schabe Peri­planeta americana, die in den tropischen GebietenSüd- und Mittelamerikas häufig von der großenAga-Kröte Bufo marinus gejagt wird.Nach einer kurzen Vorwärtsbewegung versucht dieKröte die Schabe mit ihrer vorschnellenden klebrigenZunge zu treffen. In etwa 55 % der Fälle vermag dieSchabedemAngriffder Krötejedochzu entkommen. Siebemerkt die Annäherung mit etwa 220 hochempfindli­chen Fadenhaaren auf der Ventralseite jedes Cercus undreagiert bereits etwa 40 bis 50 ms nachdemsie den Luft­zug der sich annähernden Kröte perzipiert hat mit einerAbwendung und rennt anschließend weg (Abb. 9-26 A).Die Richtung des Luftzugs wird durch eine besondereAnordnungder Fadenhaare auf den Cerci ermittelt. Bisauf die Anfangs- und Endsegmente trägt jedes der 19Cercus-Segmente eine Reihe von neun, 0,5 bis I mmlangen Fadenhaaren mit unterschiedlicher Richtcharak­teristik (Abb. 9-26 B), sodass Wind aus jeder Richtungein eindeutiges Aktivitätsmuster erzeugt. Die kurze Re­aktionszeit wird durch eine besonders schnelle Signal­übertragung vonder Sensorik zur Motorik gewährleistet:Die Axone der Windhaare werden im Terminalganglionauf drei dorsale und vier ventrale paarige Rieseninter­neurone umgeschaltet (Abb. 9-26 D). Diese leiten die

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258 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

cMetathoraka~

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ventral

Abb. 9·26: Fluchtreflex von Periplaneta americana.A Beispiel einer erfolgreichen Flucht, nach einem Hochgeschwindigkeits­filmgezeichnet. Zeitabstand der Filmbilder: 16ms. 1,2,3 zeitlich entsprechende Positionen des Krötenvorderendes (links) und derSchabe (rechts). 2dievorschnellendeZungewirdgeradesichtbar. BVentralansichtderAbdomenspitze. Lageder 9 Fadenhaareauf jeeinem Segment mit der jeweiligen Windrichtung (Pfeile), die zu maximaler Erregung führt. C Signalweg beim Fluchtreflex. 0Schematische Darstellung eines Querschnittsdurch einAbdominalganglion, in dem lediglich die Lage der Riesenfasern angegebenist. (Nach Camhi 1983)

Signale aufgrund ihres großen Durchmessers besondersschnell und übertragen sie im Metathorakalganglionunmittelbar auf Mot oneurone der Beinmuskeln (Abb, 9­26 C) .

Schaben flüchten allerdings nicht immer exakt indie der Kröte abgewandte Richtung (Abb. 9-26A). Auch beim Heimchen Acheta domesticus undbeim Fluchtsprung von Heuschrecken findet maneine auffällige Streuung der Fluchtrichtungen. Sieist möglicherweise der Ausdruck eines Mechanis­mus, der eine exakte Vorhersage der Fluchtrich­tung durch den Räuber verhindert. So lässt beimanchen Nachtschmetterlingen die Fluchtrich­tung vor einer jagenden Fledermaus sogar jedeRichtungsbeziehung zur Fledermaus vermissen (s.11.1.5.2). Der südamerikanische Zipfelfalter Thec­la togarna ist mit auffälligen, augen- und fühler­ähnlichen Strukturen am Hinterende ausgestattet.Er dreht sich beim Niedersetzen blitzschnell um

seine Hochachse, sodass das Hint erende mit demfalschen Kopf in die vorherige Flugrichtung weist(Curio 1965). Beim Start fliegt er jedoch in dieentgegensetzte Richtung ab, die für einen visuelljagenden Räub er unerwartet ist (s. Abb. 17-5 M,N).

Die Fortbewegungsrichtung bei der akti ven An­näherung an Signalquellen ist dagegen meist we­sentlich genauer geregelt.

Akustische Orientierung

Eine Orientierung in die Richtung einer Schall­quelle (positive Phonotaxis) findet man bei In­sekten sehr häufig im Kontext der Geschlechter­findung, wobei die Schallsignale entweder von ei­nem oder von beiden Geschlechtern erzeugt wer­den können. Manchmal ist der Schall ein bloßesNebenprodukt, wie der Flugton von Mückenweib-

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9.5 Orientierung der Fortbewegung im Raum 259

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Abb. 9-27: Phonotaxis bei Grillen und laubheuschrecken. A Lokomotionskompensator. (Nach Kramer 1975) Eine Kugel von50 cm Durchmesser wird motorisch so entgegen der Laufrichtung des TIers gedreht, dass dieses sich zwar frei bewegen kann, aberstets aufdem jeweils obersten Punkt der Kugel bleibt. Aus den Gegendrehungen der Kugel wird die tatsächliche Laufspur mithoherGenauigkeit rekonstruiert. IK Infrarot-Abtastkamera für die Positionsbestimmung des Insekts. AB Abtastbereich der Kamera. LLautsprecher. M1,M2 unter 90° zueinander angeordnete Motoren mit Reibrädern. Tx, Ty Messräder fürdie Kugeldrehung in x- undy-Richtung. R Rahmen. K Kugel-Gegenlager. B Laufspur eines Grillenweibchens (Gry/lus campestris) bei Beschallung mit demLockgesang eines arteigenen Männchens (Einschub).Aufzeichnung miteinem Lokomotionskompensator. Versuchsdauer: 20rnin , DiePosition der Schallquelle wechselte nach einiger Zeit jeweils um 90°. (Nach Schmitz et al. 1982) C Richtcharakteristik derGehörorgane von Grillenweibchen (Gry/lus campestris). Aufgetragen istdie relative Empfindlichkeit des rechten (Kreise) und linkenGehörorgans (Punkte) in Abhängigkeit von der Richtung, aus der das Tier beschallt wird. Die Messungen sind bezogen auf dieEmpfindlichkeit bei Beschallung von vorn, die auf0 dB gesetzt wird. Negative Werte: geringere Empfindlichkeit. Mittelwerte ausMessungen am Hörnerven von 8 Tieren. (Nach Messungen von Löhe u. Kleindienst 1994) 0 Phonotaxis eines Laubheu­schreckenmännchens (Poecilimon affinis). Untere Spuren: Auftreten des Männchengesangs und der Weibchenantwort. DieSchallquelle lag bei 65°. Mittlere Spur: Momentane Laufgeschwindigkeit des Männchens. Obere Spur: Laufrichtung des Männchens.Während der Laufstops und bei sehr langsamem Lauf fehlen die Punkte, dadie Laufrichtung dann unbestimmt ist. Die senkrechtenLinien verdeutlichen den zeitlichen Bezug zwischen den Laufstopps und den Wechseln der Laufrichtung (siehe Text). Die Werte fürdieLaufgeschwindigkeit und die Laufrichtung wurden alle 0,2 s bestimmt. Rechts: räumlicher Bezug der Laufrichtung zur Schallquelle.Die Punkte liegen an denjenigen Stellen gehäuft, an denen sich die Laufrichtung ändert. Hier stoppen die Tiere. (Nach v. Helversen u.Wendler 2000, verändert)

chen, der schwärmenden Mückenmännchen alsSignal dient , das sie mithilfe ihres JohnstonschenOrgans an der Antennenbasis erfassen. In denmeisten Fällen wird der Schall jedoch als Signalmithilfe spezieller Strukturen erzeugt.

Eine Schallorientierung ist auch ohne unmittel­bare Sicht der Signalquelle, in unübersichtlicherVegetation und im Dunkeln möglich. Entspre­chend findet man Phonotaxis vorzugsweise beiInsekten, die in dichter Vegetation wie auf Wiesenoder in Baumkronen leben oder dämmerungs- undnachtaktiv sind. Hierzu gehören insbesondere Zi­kaden, Heuschrecken und Grillen . Je nachdem obeines der beiden Geschlechter oder beide Schallproduzieren, ob die Ortung kontinuierlich odernur in bestimmten Intervallen erfolgen kann und

ob das Männchen oder das Weibchen den Such­lauf durchführt, ergeben sich recht unterschied­liche Orientierungsabläufe, von denen im folgen­den zwei dargestellt sind.

Bei den nahe verwandten Grillenarten Grylluscampestris und G. bimaculatus erzeugt das Männ­chen mit den Vorderflügeln einen Lockgesang . Erbesteht aus Versen, die etwa dreimal pro Sekundeaufeinanderfolgen. Jeder Vers besteht aus drei bisvier Silben, jeweils 15 bis 20 ms dauernden Schall­pulsen von 4,5 bis 5 kHz (Abb. 9-27 B). Paarungs­bereite Weibchen laufen auf diese Signalquelle zu.Der Gesang reicht als alleinige Orientierungshilfeaus, wie Regen bereits 1913 in Versuchen mittelephonischer Übertragung des Lockgesangs be­wiesen hat und wie auf einem Lokomotionskorn-

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260 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

pensator in Versuchen mit variierter Position desLautsprechers quantitativ gezeigt werden konnte(Abb. 9-27 A, B).

Die Bestimmung der SchalleinfaUsrichtung er­folgt durch die beiden Gehörorgane, die bei Gril­len in den Vorderbeinen hinter einem Tympanumauf der Tibia- Hinterseite liegen (Abb. 11-16 B).Der Schall trifft nicht nur von außen auf dasTympanum, sondern erreicht auf einem längerenWeg durch die prothorakalen Spirakel und schall­leitenden Tracheen auch die Innenseite des Tym­panums. Dies führt zu einer bestimmten Richt­charakteristik jedes Gehörorgans: es reagiert jenach der Richtung des einfallenden Schalls unter­schiedlich stark (Abb. 9-27 C). Diese Richtcharak­teristik des Einzelohrs reicht nicht allein zur Rich­tungsbestimmung aus, da die Erregung zusätzlichvon der Lautstärke abhängt. Diese Lautstärkenab­hängigkeit wird jedoch unwirksam, weil die Gril­len die Richtung der Schallquelle durch einenVergleich der Erregungen beider Gehörorgane er­mitteln. Befindet sich die Schallquelle vor demTier, werden beide Gehörorgane gleich stark er­regt. Die Differenz der Erregungen ist Null, unddie Grille läuft geradeaus. Je weiter seitlich sich dieSchallquelle befindet, desto größer wird der Diffe­renzbetrag (Abb. 9-27 C) und desto schneller drehtsich die Grille in die Richtung der Schallquelle.Nach einem Maximum bei 900 nimmt der Betragder Differenz wieder ab und ist bei 1800 Null .Dieser Kurs mit hinten liegender Schallquelle istjedoch nicht stabil, da jede zufällige Wendung derGrille zu einer Drehung in die Nullrichtung führt.Das Weibchen wird durch diesen Regelmechanis­mus automatisch zu dem singenden Männchenhingeführt. Es läuft allerdings nicht geradlinig undstetig, sondern oszilliert um einen mittleren Kurs.Es handelt sich dabei vermutlich um eine Regel­schwingung.

Ganz andere Bedingungen für die Ortung desGeschlechtspartners findet man bei manchenLaubheuschrecken, bei denen die Weibchen mitextrem kurzen Klicklauten auf den Vers desMännchens antworten. Anders als bei Grillen istes hier das Männchen, das auf das Weibchenzuläuft. Bei Poecilimon affinis stoppt das Männ­chen alle 4 bis 5 s und singt jeweils einen Vers.Wenn es die Weibchenantwort etwa nach 50 bis150 ms hört, noch innerhalb der Laufpause, danndreht es sich in die Richtung der Antwort underhöht seine Laufgeschwindigkeit (Abb. 9-27 D) .Das Männchen kann das Weibchen also nur ein­mal pro 4-5 s orten, während das Grillenweibchen(s.o .) sein Männchen nahezu kontinuierlich hört.Wenn die visuelle Umgebung wenig strukturiertist, drehen sich die Poecilimon-Männchen oft überdie richtige Richtung hinaus, drehen nach dernächsten Ortung wieder zu weit zurück usw.. Dies

führt zu einer Laufspur, die aus Kreisbögen zu­sammengesetzt ist (Abb. 9-27 D). Bleibt die Ant­wort des Weibchens aus, ist die Laufgeschwindig­keit gering, und die Stopps werden unregelmä­ßiger. Die Laufgeschwindigkeit, die Regelmäßig­keit und die Frequenz der Stopps können als Maßfür die Motivation des Männchens dienen.

Dieakustische Kommunikation wirdnichtnur vonartei­genen Individuen zur Partnerfindung benutzt. Sie dientauch parasitierenden Arten als Wegweiser, wie z.B. beiFliegen (s. 11.1.5.3) oder Wespen, die auf Grillen undHeuschrecken parasitieren. Eine Reihe von Fressfeindenwie Vögel nutzen ebenfalls die innerartliehen Kommu­nikationssignale von Insekten.

Vibrationsorientierung

Auch die Orientierung nach Vibrationsreizen kannohne unmittelbare Sicht der Quelle stattfinden.Die Erzeugung von Vibrationen im Dienste derGeschlechterfindung durch Schlagen von Beinen,vom Kopf oder Abdomen auf die Unterlage ist beiPlecoptera, Coleoptera, Psocoptera, Isoptera, Or­thoptera und Hymenoptera weit verbreitet (s.11.1.4 .5, Bailey 1991).

Bei einigen Steinfliegen (Plecoptera) finden die Männ­chenden Weg zu paarungsbereiten Weibchen nacheinemähnlichen Mechanismus wie bei Poecilimon. Die Kom­munikation erfolgt jedoch vibratorisch. Die Männchentrommeln, indemsiemit demAbdomenende rhythmischgegen die Unterlage - eine Pflanze - schlagen. DerRhythmus ist artspezifisch. Unbegattete Weibchen ant­worten mit Trommeln. Bei Per/a marginata bleibt dasWeibchen am Ort, während das Männchen, vom Ant­worttrommeln des Weibchens geleitet, mithilfe der Sub­genualorgane in den Beinen die richtigen Abzweigungenauf der Pflanze findet (Rupprecht 1968).

Orientierung anhand von Wasserwellen

Oberflächenwellen breiten sich auf dem Wassermit so geringer Geschwindigkeit aus (s. 11.104.5),dass Insekten die Richtung der Reizquelle aus derReihenfolge ermitteln können, in der Vibrations­rezeptoren der Beine erregt werden. Wasserwellenwerden sowohl zur innerartliehen Kommunikationverwendet, als auch zum Beutefang. So kann derRückenschwimmer Notonecta, mit dem Rückennach unten unter der Wasseroberfläche hängend,eine auf der Wasseroberfläche zappelnde Beutemit hoher Genauigkeit orten (Abb. 9-28).

Visuelle Zielorientierung

Die visuelle Orientierung ist ein essentieller Be­standteil vieler Verhaltensweisen. Sie kann ein In­sekt über größere Entfernung zum Ziel führen ,schließt sich aber auch oft an die Fernorientierungnach anderen Signalquellen an, sei es an eine

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9.5 Orientierung der Fortbewegung im Raum 261

Abb. 9-28: Wendereaktion von Rückenschwimmern(Notoneeta undulata) zur Beute. Die Beute bestand in einerDrosophila, diein weniger als 5cm Entfernung aufdem Wasserzappelte. Messungen von drei Notoneeta-Individuen. (NachMurphy und Mendenhall 1973)

Olfaktorische Orientierung

Insekten orientieren sich nach vielfältigen Duft­quellen wie z. B. einer Wirtspflanze, nach Aas odereinem mit Pheromon lockenden Weibchen (s.11.3). In der Nähe der Duftquelle und bei Wind­stille kann sich ein Insekt im Prinzip am Konzen­trationsgradienten orientieren, der durch die Dif­fusionsgeschwindigkeit der flüchtigen Substanz

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akustische, vibratorische oder olfaktorische Orien­tierung. So werden blütenbesuchende Insekten wiez. B. Bienen im Nahbereich durch die Saftmalemancher Blüten an das Ziel geleitet (s. Kap. 10).

Zu den Beispielen mit visueller Fernorientierung(Insektenwanderungen siehe weiter unten) gehö­ren neben Leuchtkäfern (s. 18.2) eine Reihe flug­fähiger Insektenarten, die auf der Wasserober­fläche, im Wasser oder im Feuchtbiotop leben.Letztere werden bei ihren Verbreitungsflügen vonWasserflächen angezogen, auf denen sie landen.Neben dem polarisierten Himmelslicht, das z. B.Bienen und Ameisen für ihre Orientierung nutzen,sind solche Wasserflächen die einzigen größerenQuellen polarisierten Lichts in natürlicher Umge­bung. Die Polarisation entsteht bei der Reflexiondes hellen Himmels und der Sonne auf der Wasser­oberfl äche, Die Schwingungsrichtung des reflek­tierten Lichts ist für Tiere, die über dem Wasserfliegen , stets horizontal. Da auch Glasscheibendas Licht bei der Reflexion polarisieren, lassensich Insekten, die sonst von Wasserflächen ange­zogen werden, durch ausgelegte Glasscheiben fan­gen. Hierzu gehören unter den Wanzen (Heterop­tera) im Wasser lebende Ruderwanzen (Corixi­dae), Rückenschwimmer (Notonectidae), Zwerg­rückenschwimmer (Pleidae) und auf dem Wasserlebende Wasserläufer (Gerridae), unter den Kä­fern (Coleoptera) Wasserkäfer (Hydrophilidae)und Schwimmkäfer (Dytiscidae) (Schwind 1985) .

Beim Rückenschwimmer Notonecta glauca sind das An­flugverhalten und die Anpassungen des Auges genaueruntersucht. Beim Flug über einer Wasserfläche richtendie Rückenschwimmer ihre Körperlängsachse zunächstauf und verlangsamen den Flug. Danach kippen sie nachvorn, spreizen die Ruderbeine seitlich ab und lassen sich,Kopf voran, ins Wasser fallen. Sie besitzen im ventralenAugenbereicheine spezialisierte Region, mit der sie hori­zontal polarisiertes Licht im UV-Bereich wahrnehmenkönnen (Schwind 1991).

Einen Sonderfall stellt der Prachtkäfer Melanophi/aacuminata dar, der mithilfe seiner Tnfrarotsinnesorganean den Mittelbeincoxen Waldbrände auf weite Entfer­nungen präzise anfliegt und seine Eier in verkohlteBaumstämme ablegt. Die Infrarotsinnesorgane reagierenauf die von Waldbränden ausgehenden Wärmestrahlen.Bei den Rezeptoren handelt es sich jedoch nicht umspezialisiertePhotorezeptoren sondern um abgewandelteMechanorezeptoren (Vondran et al. 1995).

Auch für die visuelle Nahorientierung ist eineReihe von morphologischen und physiologischenAnpassungen bekannt. Paarungsbereite Männ­chen mehrerer Fliegenarten wie Calliphora ery­throcephala und Musca domestica verfolgen jedeFliege, die im Abstand von etwa 10-20 cm vor­beifliegt (Abb. 9-27 A). Sie fixieren das verfolgteTier im frontodorsalen Sehfeld. Wenn das Männ­chen sein Ziel erreicht und wenn es sich dabei umein Weibchen handelt, so versucht es zu kopu-

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262 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

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Abb. 9·29: Verfolgungsjagd bei Fliegen. A Stereoskopbild einer Verfolgungsjagd bei Musca domestica. Das verfolgendeMännchen ist durch leere, das verfolgte Weibchen durch gefüllte Kreise gekennzeichnet. Kreise: Kopf; Striche: Körperlängsachse.Zeitabstand der Tierpositionen: 10ms. Die Zahlen geben die jeweilige Position alle 100 ms an. Das Männchen saß zunächst an derWand. Nach dem Start unterflog es das Weibchen und trafes von unten. Danach flog es eine weite Kurve und trafdas Weibchen einzweites Mal. (Nach Wagner 1985) Um die Bewegungen dreidimensional zu sehen, kann man die zwei Einzelbilder dicht vor dieAugen bringen, bis die Nasenspitze auf die Skalierung 5 cm stößt. Man starrt geradeaus, als würde man durch das Buchhindurchblicken und entfernt das Buch nun langsam bis in die normale Leseentfernung. Währenddessen sollten statt der zweiEinzelbilder drei sichtbar werden. Wenn man sich aufdas mittlere konzentriert und gleichzeitig das Starren in die Ferne beibehält,wird sich bald die Tiefenwahrnehmung entwickeln. B Teilansicht eines Frontalschnitts durch das Hirn eines Fliegenmännchens((al/iphora erythrocephala, s.a. Abb. 8-11). MLGl ("male lobula qiant") - ein bei Männchen vorkommendes visuelles Interneuronder Lobula. Die gestrichelten Pfeile weisen aufdas rezeptive Feld des linken MLG 1.Je dunkler die Fläche, umso stärker die lokaleEmpfindlichkeit. Schwarze Fläche - über 90% der maximalen Empfindlichkeit. Der Kopf der Fliege befindet sich im Zentrum derKugel und istaufden Betrachter gerichtet. Eckige Struktur - nach Filmaufnahmen von Wagner berechneter Bereich des Sehfelds, indem die verfolgte Fliege während 75% der Verfolgungszeit fixiert wird. (Nach Wachenfeld 1994)

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9.5 Orientierung der Fortbewegung im Raum 263

Abb. 9-30: Olfaktorische Orientierung bei Schmetterlingen. ATypische Flüge beim Tabakschwärmer Manduca sexta. DasWeibchen flog gegen eine Duftquelle in Form eines frisch geschnittenen Tabakblatts, das Männchen gegen eine Duftquelle mit demPheromon des Weibchens. (Nach Willis und Arbas 1991) B Schematische Darstellung der Verteilung des Pheromons, das von einemlockenden Schmetterlingsweibchen abgegeben wird, sowie der Flugbahn eines anfliegenden Männchens. Wenn das Männcheneinen duftführenden Bereich der Luft durchflogen hat, dreht es unmittelbar anschließend stets gegen den Wind (verdickte,pfeilförmige Abschnitte der Flugbahn). (Nach Kaißling und Kramer 1990) CPrinzip der optomotorischen Anemotaxis. Der Schwärmerfliegt zunächstschräg zum Wind und erfährt deshalb eine Seitwärtsdrift, die seine Geschwindigkeit über Grund verringert und die zueiner Veränderung seiner Flugrichtung überGrund um den Driftwinkel a führt. Er erkennt die Drift visuell an der Querkomponenteder Untergrundbewegung. Um gegen den Wind zu fliegen, muss er sich lediglich so drehen, dass diese Querkomponente zu Nullwird.

bestimmt wird. Im Nahbereich dominiert aller­dings meist die visuelle Orientierung über die ol­faktori sche. Für die Duftausbreitung über größereDistanzen sind die weit höheren Geschwindig­keiten von Luftströmungen und die Turbulenzender Luft bestimmend . Relativ kleine Duftquellenwie die Pheromondrüse eines Schmetterlingsweib­chens erzeugen einen Duftfaden, der durch Tur­bulenzen verwirbelt wird, wobei Teile des Fadensverengt werden (Abb. 9-30 B) und so eigenstän­dige Duftpakete bilden. Mit zunehmender Entfer­nung verbreitert sich zudem der Bereich, in demsich der Duftfaden und die Duftpakete befinden(s. Abb. 21-9). Die Duftpakete enthalten keineInformation über die Position der Duftquelle. EineInformation hierüber erhält das Insekt jedoch an­hand der Windrichtung, da der Duft mit der Luft-

strömung mitgetragen wird. Die Duftquelle mussdeshalb stets windaufwärts liegen. Die olfaktori­sche Fernorientierung beinhaltet daher zwei Kom­ponenten: Durch den Duft wird ein richtungs­unabhängiges Suchverhalten ausgelöst. Die Such­richtung wird durch die Windrichtung bestimmt(Anemotaxi s, Abb. 11-9).

Ein Insekt , das sich auf festem Grund befindet,kann die Windrichtung mithilfe seiner Luftströ­mungssinnesorgane messen (s. 11.1.4.4). Im Flugkann dieses Prinzip allerdings nicht funktionieren ,da das Insekt mit der Luftströmung mitgetragenwird. Seine Luftströmungssinnesorgane messendeshalb lediglich die Relativgeschwindigkeit ge­genüber der umgebenden Luft, nicht aber dieRichtung der Luftströmung gegenüber Grund.Wie ermittelt ein fliegendes Insekt die Windrich-

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264 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

paralleles Sonnenlicht

I I I I I I I I I I ISpiegel Spiegel Spiegel Spiegel

Abb. 9-31: Menotaktische Orientie­rung einer Ameise auf dem Heim­weg zum Nest. Das Tier bewegte sichso, dass es die Sonne stets auf seinerlinken Seite sah. Der Nachweis erfolgtedurch Spiegel, die für jeweils kurze Zeitso aufgestellt waren, dass dieAmeisedie Sonne in dieser Zeit aus der ent­gegengesetzten Richtung sah, währenddie Sonne selbst verdeckt war. Beim ers­ten Spiegel drehte dieAmeise rechts­herum, beim zweiten linksherum, beimdritten wieder rechtsherum und erreich­te damit, dass sie die Sonne wiederumauf der linken Seite sah. Nach Weg­nahme des Spiegels drehte sie wieder indie ursprüngliche Laufrichtung. (NachSantschi 1911)

tung über Grund? Versuche an einer Reihe vonSchmetterlingsarten haben gezeigt, dass dieseRichtung indirekt mithilfe der Augen gemessenwird. Man nennt eine derartige Orientierung des­halb optomotorische Anemotaxis. Auf diese Weisekann jede windbedingte Seitwärtsverdriftung fest­gestellt werden. Um windaufwärts zu fliegen, musssich das Tier lediglich so drehen, dass die visuellgemessene Seitwärtsdrift Null wird (Abb.9-30C).

Schmetterlinge fliegen allerdings nicht geradlinig, son­dern im Zick-Zack-Kurs auf eine Duftquelle zu (Abb. 9­30 A). Ihr Anflugverhalten besteht aus mehreren Kom­ponenten . Sobald das Tier ein Duftpaket durchfliegt,wendet es sich windaufwärts (Abb. 9-30 B). Wenn dieAntennen keinen weiteren Duftpuls erhalten , mäandertdas Tier nach einem inneren Programm in weiten Schlei­fen quer zur Windrichtung hin und her ("casting"). Trifftes auf ein weiteres Duftpaket. dreht es sofort gegen denWind, also früher als nach dem inneren Programm zuerwarten wäre. Auf diese Weise kann das Tier innerhalbdesjenigen Bereichs bleiben, in dem sich der Duft be­findet. Der Bereich verengt sich, je näher es dem Zielkommt. Dieses Verhalten führt mit Sicherheit zum Ziel.Es ist sehr gut an die Verwirbelung des Duftfadensangepasst, denn die Orientierung ist immer dann be­sonders gut, wenn der Duft nicht kontinuierlich, sondernin Form kurzdauernder Pulse angeboten wird. Hierzupasst, dass bereits die Riechzellen als erste Glieder dertierinternen Signalkette bei dieser Art der Reizung maxi­mal erregt werden.

9.5.2.3 Regelung beliebiger Kurse

Menotaxis

Die Eroberung unzähliger Lebensräume und dieunglaubliche Fülle von Verhaltensweisen wärennicht möglich, wenn Insekten sich nur symme­trisch zu Reizquellen einstellen könnten, also inRichtung eines Helligkeitsschwerpunkts, eines Ge-

genstands oder sich auf geneigten Flächen nur inLotrichtung fortbewegen könnten. Die Stuben­fliege, die sich offensichtlich frei im Raum bewegt,oder eine in beliebiger Richtung zur Sonne überden Weg kriechende Schmetterlingsraupe belehrenuns eines besseren. Totengräber oder Laufkäferlaufen oft (Abb. ll-9), aber nicht immer windab­wärts, sondern können jeden beliebigen Winkelzum Wind einnehmen. Die Frage, ob sie sich dabeiweiterhin am Reiz orientieren, ihren Kurs alsoregeln, oder ob sie diese Regelung ausschalten undsich stattdessen idiothetisch orientieren, ist fürAmeisen durch das klassische Spiegelexperimentvon Santschi beantwortet worden. Santschitäuschte auf dem Heimweg befindlichen Ameisendurch vorübergehendes Aufstellen eines Spiegelseinen falschen Sonnenstand vor. Sie drehten sichsofort in eine neue Richtung, durch die sie denvorherigen Kurs zur Sonne wiederherstellten(Abb.9-3l) . Die Tiere schalten ihren Orientie­rungsregelkreis also nicht ab , d . h . sie orientierensich nach wie vor an dem Reiz, können jedoch jedebeliebige Richtung einhalten. Diese Orientierungwird Menotaxis genannt.

Für diese Leistungen reichen die bisher besprochenenMechanismen zur symmetrischen Ausrichtung der Kör­perlängsachse bzw. der Fortbewegungsrichtung zur Reiz­quelle nicht aus. Liegen strukturelle Spezialisierungenwie bei den Augen männlicher Fliegen vor, (siehe Ab­schnitt visuelle Zielorientierung) , die keine starken Rich­tungsabweichungen erlauben , dann wird der betreffendeOrientierungsmechanismus vorwiegend in ganz be­schränkten Verhaltenszusammenhängen verwendet. Fürandere, flexibler organisierte Systeme wie die Kursre­gelung nach Lichtquellen, Schwerkraft oder Schall, fürdie näherungsweise sinusförmige Kennlinien gelten, sindMechanismen diskutiert worden, die Abweichungen vonder Symmetrieeinstellung ermöglichen. Im einfachstenFall überlagert das Tier ein internes Drehkommando deneintreffenden Sinnesmeldungen. Diese so genannte Füh­rungsgröße bewirkt, dass ein anderer Kurs eingeregelt

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9.5 Orientierung der Fortbewegu ng im Raum 265

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Abb. 9·32: Vektornavigat ion bei der Wüst enameise Cataglyphis fort is. A Suchlauf bis zum Beutefang und Rücklauf zumNest. Die Punkte sind Zeitmarken im Abstand von 1 min. B Cataglyphis in typischer Laufhaltung während der Beutesuche. CPolarisationsmuster desHimmels beieiner Sonnenhöhe von60°. DieRichtung einesBalkensentspricht derPolarisationsrichtung desHimmelslichts an dieser Stelle. DerZenit ist durch den Kreis in derMitte, die Sonne durch den schwarzen Punkt markiert. D Prinzipder Vektoraddition. Gestrichelte Pfeile: resultierende Vektoren nach den Teilstrecken 5 und 6. Nach Tei lstrecke 8 ist der zu diesemZeitpunkt vorliegende Heimvektor gezeichnet. EVersetzungsexperiment bei Cataglyphis albicans. Punkte: Zeitmarken im Abstandvon 10s. N Nest; N' erwartete Nestposition bei Vektornavigation. (Kombiniert nach Wehner 1982 und 1994)

wird. Als Konsequenz einer derartigen additiven Soll­wertverstellung wird der Kurs allerdings umso instabiler,je weiter er von 0° oder 180° abweicht. Er geht schließlichin Schleifenläufe über. Solche Schleifenläufe sind tat­sächlich seit langer Zeit von Insekten bekannt. In derMehrzahl der Fälle sind menotakti sche Läufe jedochmehr oder weniger geradlinig und können deshalb nichtdurch eine additive Sollwertverstellung erklärt werden.Mittel staedt (1978) hat mit der Bikomponententheorieeine Lösung für dieses Problem entwickelt. Sie gehtdavon aus, dass das Insekt den Sinus und den Cosinusdes Winkels zur Reizquelle ermitteln kann und die Füh­rungsgröße nach Maßgabe eines Additionstheorems auf­schaltet. Zentralnervöse Mechan ismen für diese Orien­tierun gsleistung sind bisher weitgehend unbek annt.

Vektornavigation bei Ameisen

Die Fähigkeit , jeden beliebigen Kurs relativ zueinem Reiz einzuschlagen und zu regeln, wird beikomplexeren Orientierungsleistungen als wichtigerBaustein eingesetzt , z. B. bei der Heimorientierung

von Wüstenameisen der Gattung Cataglyphis.Diese Ameisen jagen mit Geschwindigkeiten vonbis zu 1 mls über die strukturarmen Böden ihrerWüstenh abitate in Nordafrika, dem Orient undZentralasien. Sie können sich bei ihrer Beutesucheauf gewundenen Pfaden bis 200 m (das ist daszwanzigtausendfache ihrer Körperl änge) von ih­rem nur auf kurze Entfernung sichtbaren Nestentfernen und kehren dann auf dem kürzestenWeg mit der Beute zum Nest zurück (Abb. 9-32A). Sie haben die Fähigkeit, auf dem HinwegRichtung und Länge jedes einzelnen Wegstückeszu messen und vektoriell zu addieren (Abb. 9-32D). Wehner konnte zeigen, dass Cataglyphis ­ebenso wie die Honigbi enen - spezialisierteRezeptoren in der dorsalen Randregion der Kom­plexaugen besitzen, mit denen sie ihre Laufrich­tung zum Polarisat ionsmuster des Himmels mes­sen. Die Laufstrecken erm itteln sie in erster Linieanh and ihrer Beinbewegungen und weniger an­hand der Summe der gesehenen visuellen Kontras-

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266 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

te, wie dies bei fliegenden Bienen der Fall ist(S. 267) . Beim Laufen über geneigte Flächen gehtdie Projektion der Laufstrecke auf die Horizontalein die Streckenermittlung ein , nicht aber die tat­sächliche Laufstrecke (Wohlgemuth et al. 2001) .

Mithilfe dieses Vektorintegrationsmechanismussind sie zu jedem Zeitpunkt über ihren Standortrelativ zum Ausgangspunkt informiert. Um zumNest zurückzukehren, müssen sie lediglich meno­taktisch der umgekehrten Richtung folgen, dieihnen der resultierende Vektor vom Hinweg vor­gibt, und die richtige Entfernung laufen.

Es ist charakteristisch für diese Vektornavigation, dasskeinerlei Ortserfahrung erforderlichund das Zielnicht ineinemerdfestenKoordinatensystemim Tier repräsentiertist, sondern in seiner relativen Lage zum Tier. Ver­setzungsexperimente belegen, dass Cataglyphis sich tat­sächlich nach dem Prinzip der Vektornavigation orien­tiert (Abb.9-32 E). Würden die Tiere eine Ortserfahrungbenutzen, um den Rückweg zu finden, oder hätten siedasZiel in einem erdfesten Koordinatensystem gespeichert,dann müssten sie in Richtung des wirklichen Nests lau­fen. Sie laufen jedoch paral1el zur ursprünglichen Heim­richtung und beginnen in der richtigen Entfernung mitder Suche nach dem Nesteingang.

Transposition

Die bei Insekten weit verbreitete Fähigkeit zumTransponieren wurde bei Experimenten zur Me­notaxis entdeckt, in denen man während einesmenotaktischen Laufs eine Reizmodalität durcheine andere ersetzte: läuft ein Insekt z. B. auf hori­zontaler Ebene einen konstanten Kurs zu einerLichtquelle (Photomenotaxis), so kann es diesenKurs in das Schwerefeld transponieren, wenn mandas Licht löscht und die Lauffiäche gegen dieHorizontale kippt. So hält ein Marienkäfer, derauf horizontaler Ebene im Winkel von z. B. 20°links zur Lichtquelle läuft, im Dunkeln einen Kursvon ebenfalls 20° zur Lotrichtung ein . Interessan­terweise ist diese Transposition insofern nicht ein­deutig, als er sowohl 20° nach oben rechts als auch20° nach unten links laufen kann. Köcherfliegentransponieren ebenfalls zweideutig, jedoch nichtim Winkelverhältnis 1:1, sondern 3:2 (Abb. 9-33).Ameisen transponieren ihren optischen Kurs so­gar vierdeutig in das Schwerefeld. Bei Bienen, die

Kippungum 90°

diese Fähigkeit zur Kommunikation im Bienen­tanz benutzen, ist diese Zuordnung im Sinne derverlässlichen Nachrichtenübertragung eindeutig(Abb. 9-36) .

Orientierung nach Landmarken

Es ist schon lange bekannt, dass Bienen sich aufdie Unterscheidung bestimmter Figuren dressierenlassen. In geeigneten Apparaturen lassen sich sol­che Leistungen aber auch bei anderen Insektennachweisen. So kann man Taufliegen (Drosophila)darauf dressieren, z. B. auf ein T zuzufliegen undein auf den Kopf gestelltes T zu meiden (Abb. 10­6). Diese Leistungen stehen in engem Zusammen­hang mit einer Art Selbstdressur, die insbesonderedann nachzuweisen ist , wenn es um das Wieder­auffinden von Nestern oder von bestimmten Lauf­oder Flugwegen geht. Neu ausfliegende Wespenprägen sich die Umgebung des Nests ein, indemsie sich, Kopf immer in Nestrichtung, rückwärts inimmer weiteren Halbkreisen vom Nest entfernen.Bienen verwenden bei bewölktem Himmel Land­marken zur Orientierung.

Auch nicht soziale Insekten können Landmarken zurOrientierung verwenden. Bienenwölfe (Philanthus trian­gulum, Sphecidae, Grabwespen) bauen ein tief in denSandboden führendes Brutnest mit mehreren Kammern,die mehreregelähmte Bienen und ein Ei enthalten. Wennsie zu einem neuen Raubzug vom Nest abfliegen, führendie Bienenwölfe zunächst einen Orientierungsflug aus, indem sie sich die Umgebung des unauffälligen Eingangseinprägen. Diese Orientierungsflüge sind besonders auf­fällig, wenn das Nest noch neu ist oder sich etwas in derUmgebung geändert hat. Wie Tinbergen nachweisenkonnte, lassen Bienenwölfe sich bei der Rückkehr miteiner erbeuteten Biene von den inzwischen versetztenLandmarken verleiten (Abb. 9-34) und finden den Nest­eingang nach längerem Suchen eher zufällig.

Informationsübermittlung zwischen Individuen: derBienentanz

Honigbienen (Apis mellifera) setzen viele der obenerwähnten Fähigkeiten als Bausteine bei der Nah­rungssuche und bei der Kommunikation mitStockgenossinnen ein. Sie können sich die Flug­richtung vom Stock zur Futterquelle nach dem

Abb. 9-33: Zweideutiges Transpo­nierenbei Köcherfliegen (limno­philus decipiens, L. subcentralis,L. f1avicornis). Pfeile: Laufrichtung desTiers. Links: menotaktischer Lichtkursaufhorizontaler Ebene. Rechts: die bei­den möglichen Laufrichtungen im Dun­keln aufvertikaler Fläche. Die Winkela:ß verhalten sich bei den Köcherflie­gen wie 3:2. (Nach Angaben von Jander1960)

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9.5 Orientierung der Fortbewegung im Raum 267

A B.~..

Abb. 9-34: Orientierung nach Landmarken am Beispiel des Bienenwolfs Philanthus triangulum. A Das Nest ist mitKiefernzapfen markiert, die einen Kreis von etwa 20 cm Durchmesser bilden. Der Bienenwolf prägt sich beim Abflug dieNestumgebung in einem Orientierungsflug ein. B Beim Rückflug mit der Beute sucht er den Nesteingang in der Mitte desZapfenrings, der zwischenzeitlich verstellt wurde. (Nach Tinbergen 1961)

Sonnenazimut, nach dem Polarisationsmuster desHimmels oder nach Landmarken merken. Sie kön­nen außerdem die Entfernung ermitteln und diesezusammen mit der Flugrichtung zur Futterquelleanderen Sammlerinnen im dunklen Stock in einemTanz auf der vertikal ausgerichteten Wabe mit­teilen. Der Tanz und gelegentliche Nektargabenmotivieren andere Sammelbienen zum Ausflugund versetzen sie in die Lage, die Futterquelle zufinden. Diese Zusammenhänge wurden von Karlv. Frisch (Nobelpreis 1973) entdeckt und in ge­nialen Experimenten quantitativ untersucht, in­dem er Sinnesphysiologie und Dressur kombi­nierte.

Nachweis der Informationsübermittlung: v.Frisch prüfte in getrennten Versuchen, ob Sam­melbienen anderen Stockgenossinnen die Entfer­nung einer Futterquelle und die Flugrichtung zurFutterquelle mitteilen können (Abb. 9-35). Ermarkierte die ersten Sammelbienen am Futter­platz. Es zeigte sich, dass die danach anfliegendenNeulinge, die ja die Entfernung bzw. die Richtungnicht aus eigener Erfahrung kannten, vorzugs­weise die Duftplatten in der Nähe des Futter­platzes aufsuchten. Neulinge wurden stets. weg­gefangen. Alle Neulinge mussten die Entfernungbzw. die Richtung deshalb durch die markiertenBienen erfahren haben, die ungehindert weitersammeln durften.

Prinzip der Informationsübermittlung: v. Frischentdeckte, dass die Sammelbienen auf der vertikalausgerichteten Wabe einen auffälligen "Schwän­zeltanz" ausführen, der aus einem mittleren Teilbesteht, in dem die Tänzerin schwänzelt, und ei­nem bogenförmigen Rücklauf, der abwechselndrechts und linksherum durchgeführt wird (Abb. 9­36). Nach neueren Hochgeschwindigkeitsaufnah­men von Tautz bleiben die Tänzerinnen oft immittleren Teil stehen und schieben ihren Körper

langsam vorwärts oder machen maximal zweilangsame Schritte, wobei sie sich an den Stegen derWabenzellen festkrallen . Sie erzeugen außerdemVibrationen , die sich auf der Wabe fortpflanzen.Gleichzeitig erzeugen sie Nahfeldschall durch Flü­gelvibrationen und schaukeln ihren Körper nachrechts und links (s. 11.1.4.6 und Abb. 11-14). Un­markierte Stockgenossinnen interessieren sich of­fensichtlich für diesen Tanz und folgen den Bewe­gungen nach . v. Frisch vermutete daher, dass die­ser Tanz der Informationsübermittlung dient. Inder Tat sind einige Merkmale des Tanzes mit derEntfernung der Futterquelle vom Stock, anderemit der Richtung korreliert :

Die Laufspur der tanzenden Biene verändertsich mit der Entfernung. Bei nahen Futterquellenführt die Biene einen "Rundtanz" durch . Diesergeht bei zunehmenden Entfernungen, je nach Bie­nenrasse bei etwa lOO bis 150 m, allmählich in den"Schwänzeltanz" über (Abb. 9-36 A). BeimSchwänzeltanz zeigte sich, dass das Tanztempomit der Entfernung zum Ziel korreliert ist: Jeweiter entfernt die Futterquelle, desto wenigerUmläufe pro Zeiteinheit werden getanzt (Abb. 9­36 B). Jeder Umlauf lässt sich in mehrere Teil­komponenten zerlegen wie z. B. die Schwänzelzeit,die Zeit des Rücklaufs oder die Frequenz derSchwänzelbewegungen. Die Frage war, welchesdieser Merkmale von den Nachtänzerinnen tat­sächlich gemessen wird. v. Frisch kam zu demSchluß, dass die Schwänzelzeit das maßgebendeSignal für die Entfernung ist. Diese ist am bestenmit der tatsächlichen Entfernung korreliert undwird zudem von der Tänzerin akustisch markiert.- Für die Entfernungsschätzung der Bienen istnach früheren Experimenten mit Gegenwind derKraftaufwand von entscheidender Bedeutung, wo­bei der Hinflug stärker gewertet wird als der Rück­flug (v. Frisch 1965). Neuere Untersuchungen

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268 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

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SI

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0-1

Abb. 9·35: Nachweis derÜbermittlung von Entfernung undRichtung derFutterquelle. A Zwei Stufenversuche. St und SI'Beobachtungsstock. ' Futterplatz. + und 0 Duftplatten mit der Anzahl anfliegender Neulinge. Die ersten Bienen am Futterplatzwurden markiert. Der Futterplatz enthielt Schälchen mit Zuckerwasser und Duft wie z. B. Orangenblütenduft. In unterschiedlichenEntfernungen, aber gleicher Richtung zum Stock wurden weitere, mit dem gleichen Duft versehene Futterplatzattrappen(Duftplatten) aufgestellt und notiert, wieviele unmarkierte Bienen dort suchten. Diese Neulinge wurden weggefangen. Die Anflügevon Neulingen aufden Futterplatz selbst (88 beim ersten Versuch) wurden nicht gewertet, dahier durch den Verkehr der markiertenBienen ganz andere Verhältnisse als an den Duftplatten ohne Zuckerwasser herrschen. Die nächstliegenden Duftplatten wurdendaher nahe vor und hinter dem Futterplatz angelegt. B Zwei Fächerversuche. Versuchsdurchführung wie inA mit dem Unterschied,dassdie Futterplatzattrappen diesmal allediegleiche Entfernung vom Stock hatten, aber in unterschiedlichen Richtungen lagen. DieZahlen kennzeichnen die Zahl der Anflüge von Neulingen in den beiden Versuchen. (Nach v. Frisch 1965)

(Esch und Burns 1996, Esch et al. 200I) zeigenjedoch einen starken Einfluss des wahrgenomme­nen "optic flow", der Summe der beim Hinflugwahrgenommenen visuellen Kontraste .

Sammlerinnen tanzen manchmal auf dem hori­zontal liegenden Anflugbrettehen vor dem Stock.Die Schwänzelstrecke weist dann in die Richtungder Futterquelle, auch wenn diese nicht direktsichtbar ist. Die Tänzerin verwendet dabei dieSonne oder das polarisierte Himmelslicht als Refe­renz. Normalerweise erfolgt der Tanz jedoch aufder vertikalen Wabe im dunklen Stock. Die Tänze­rin transponiert dabei den Winkel der Futterquellezur Sonne auf den Winkel zum Lot (Abb. 9-36 C).Wenn die Nachtänzerinnen die Richtung derSchwänzelstrecke zum Lot messen, brauchen siebeim Abflug nur diesen Winkel zur Sonne ein­zuhalten, um in die richtige Richtung zu fliegen.

Die guten Korrelationen der Schwänzeldauer bei gleich­zeitiger Tonerzeugung mit der Entfernung einerseits undder Schwänzelrichtung mit der Richtung der Futter­quelle andererseits sind jedoch kein strenger Beweis da-

für, dass dies auch tatsächlich die signalgebenden Grö­ßen sind, die die Nachtänzerinnen messen. Dieser Beweisist erst später Michelsen und Mitarbeitern (1992) gelun­gen. Sie führten elegante Versuche mit aufwändigen At­trappen durch , mit denen sich die wesentlichen Merk­male des Tanzes unabhängig voneinander simulieren undvariieren ließen. Es gelang, die Bienen durch eine falscheRichtung der Schwänzelstrecke in die entsprechende fal­sche Flugrichtung zu schicken. Auch die Entfernung, inder die Bienen suchten , ließ sich durch die Dauer desSchwänzelns der Attrappe bestimmen, wobei die reineSchwänzelbewegung und der Nahfeldschall in kompli­zierter Weise in die Suchentfernung eingehen.

Kompensation der Sonnenwanderung: Wenn dieSonne (oder das Polarisationsmuster des Him­mels) bei der Orientierung als Bezugspunkt ver­wendet wird, muss ihre Wanderung im Laufe desTages berücksichtigt werden. Um eine eindeutigeRichtungsangabe zur ortsfesten Futterquelle zugewährleisten, muss sich auch der Tanzwinkel zurVertikalen im Laufe des Tages entsprechend derSonnenwanderung verändern. In der Tat verän­dern die Tänzerinnen ihren Tanzwinkel im glei-

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9.5 Orientierung der Fortbewegung im Raum 269

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Abb. 9·36: Prinzip der Informationsübermittlung bei Bienen. A Sammlerin mit zwei Nachtänzerinnen beim Schwänzeltanzauf der senkrecht hängenden Wabe. (In Anlehnung an Wenner 1964) B Korrelation des Tanztempos mit der Entfernung derFutterquelle vom Stock. CKorrelation der Tanzrichtung zur Vertikalen auf der dunklen Wabe mitder Flugrichtung zur Sonne. F1 , F2,F3 Futterplätze. (Nach v. Frisch 1965) 0 Tanzwinkel der Bienen nach Trachtflügen zu einem in Richtung 400 südwestlich, 6 kmentfernten Futterplatz (F). Punkte: Mittelwerte aller in je 2 min gemessenen Tanzwinkel. Zwischen Ausflug und Heimkehr verstrichenjeweils 35 bis 40 min. (Nach Bach 1956)

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270 9 Fortbewegung und sensomotorische Integration

Abb. 9-37: Wanderflüge des Mo­narch-Falters (Danaus plexipp us) inNord- und Mitte lamerika. Ergebnissevon Markierungsversuchen. A Herbst­zug. B Frühjahrszug. Dreiecke: Markie­rungsorte; Quadrate bzw. Punkte: Wie­derfunde beim Herbstzug bzw. Früh­jahrszug. Die Lin ien verbinden nur dieMarkier- mit den Wiederfundorten underlauben keinen unmittelbaren Rück­sch luss aufdie tatsächl iche Reiseroute!(Nach Urquhart und Urquhart 1978179)

chen Maße wie die Sonne wandert (im MittelISo/Stunde, Abb.9-36 D). Der Tanzwinkel ent­spricht dem Sonnenazimut zur Tanzzeit , also demSonnenstand, den die anschließend ausfliegendenNeulinge vorfinden. Diese Kompensation derSonnenwanderung erfolgt auch, wenn der Himmeleine Zeitl ang bedeckt ist. Aus diesen und vielenanderen Befunden ergab sich, dass die Bienen ihreinnere Uhr, die auch bei vielen anderen Insek­tenarten nachgewiesen ist , für die Kompensationder Sonnenwanderung einsetzen. Diese innere Uhrwird auch für das Auffind en mehrerer Futter­quellen eingesetzt. So können Bienen einen Futter­platz zu einer bestimmten Tageszeit aufsuchenund einen zweiten Futterplatz zu einer anderenTageszeit.

Wanderflüge

Wanderflüge sind von Vertretern vieler Insekten­ordnungen wie Orthoptera, Lepidoptera, Diptera,Odonata und Hemiptera bekannt. Die bei denWanderflügen zurückgelegten Entfernungen rei­chen von wenigen hundert Metern bis zu mehrerentau send Kilometern. Als Ursach en für den Wan­derungsbeginn kommen in erster Linie Futter­mangel, eine hohe Populationsdichte undschlechte Überwinterungsbed ingungen in Frage.

Oft handelt es sich weniger um eine aktive Wanderung,als um eine passive Verfrachtung. Das spektakulärsteBeispiel solcher Wanderungen stellen die Wanderheu­schrecken (Locusta migratoria) und Wüstenheuschrecken(Schistocerca gregaria) des nördlichen Afrika und desmittleren Ostens dar. Sie bilden unter bestimmten Be­dingungenriesige Schwärme, die durch die Thermiksehrhoch getragen und je nach den Wetterbedingungen mitLuftströmungenweit verfrachtet werden können. So ge­langte im Oktober 1988 ein Schwarm von Westafrikaüber den Atlantik bis in die Karibik.

Bei anderen Arten handelt es sich jedoch umWanderungen, deren Richtung durch die Tiereselbst bestimmt wird. Hierher gehören Vertretermehrerer Schmetterlingsfamilien, die aus ihrenHauptvermehrungsgebieten im Mittelmeerbereichz.T. bis über die Alpen nach Norden wandern,dort aber selten dauerhafte Brutgebiete etablierenkönnen. Beispiele dafür sind da s Taubenschwänz­chen (Macroglossum stellatarum, Sphingidae), derTotenkopfschwärmer (A cherontia atropos, Sphin­gidae), die Gammaeule (Autographa gamma, Noc­tuidae), der PostilIon (Colias croceus, Pieridae)und der Harlekinbär(Utetheisa pulchella , Arcti­idae).

Am ausführlichsten ist die regelmäßige Ma s­senwanderu ng des nordamerikanischen Monarchs(Danaus plexippus) untersucht, allerdings erst inwenigen Einzelheiten verstanden. Durch Markie­rung Tausender von Individuen und durch Wie­derfunde gelang es, viele Einzelheiten wie indivi­duelle Fluggeschwindigkeiten und -strecken zumessen (Abb.9-37). Die Herbstgeneration wan­dert aus Kanada und den USA z. T. südwestwärtsbis in das mexikanische Winterquartier und über­wintert dort gesellig an immer den gleichen Stei­len. Im Frühjahr wandern die Falter wieder nord­ostwärts. Im Verlauf ihrer Wanderung legen dieWeibchen Eier. Einige Tiere dieser Generation unddie nächste Generation erreichen schließlich wie­der das nördliche Amerika. Als Or ientierunghilfeverwenden die Falter vermutlich die Sonne unddas Polar isationsmuster des Himmelslicht s. Da siedie generelle Wanderungsrichtung auch bei be­decktem Himmel beibehalten können, wird aucheine Orientierung nach dem Erdmagnetfeld dis­kutiert.

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