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»Leistung aus Leidenschaft« oder das Regime des Marktes? Das Institut für Sozialforschung untersucht den Wandel der gesellschaftlichen Leistungsbegriffe Forschung intensiv Forschung Frankfurt 3/2007 10 Der Arbeitsmarkt sucht sie – die teamfähigen, kreativen, eigenverantwortlichen Mitarbeiter, denen Leistung Spaß macht, die sich leidenschaftlich engagieren. Unsere Gesell- schaft hat ein neues Verständnis von Arbeit entwickelt, de- ren oberstes Ziel längst nicht mehr die klassische Pflichter- füllung ist. Selbstverwirklichung im Beruf, einst als wirklich- keitsfremde Utopie belächelt, ist heute offizielle Doktrin. Gleichzeitig werden jedoch Leistungen immer mehr nach Out- put und ökonomischen Erfolgskriterien bewertet. Nur was zählbar ist, zählt, und nur was sich ökonomisch rechnet, wird auch wertgeschätzt. Wissenschaftler des Instituts für Sozialforschung sind bei ihren Studien auf einen spannenden Zusammenhang dieser widersprüchlichen Entwicklungen ge- stoßen: Die »weichen« Faktoren machen es offenbar immer schwerer, individuelle Leistungen noch sinnvoll miteinander zu vergleichen und gerecht zu bewerten. Das hat bei Unter- nehmen wie Beschäftigten den Glauben an die Unfehlbarkeit objektiver Zahlen und ökonomischer Kennziffern nur weiter untermauert. von Kai Dröge

»Leistung aus Leidenschaft« oder das Regime des Marktes? · 2012. 5. 2. · »Leistung aus Leidenschaft ... immer war unser Verständnis von Leistung eng mit der Vorstellung von

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»Leistung aus Leidenschaft«oder das Regime des Marktes?

Das Institut für Sozialforschung untersucht den Wandel der gesellschaftlichen Leistungsbegriffe

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Der Arbe i t smark t sucht s ie – d ie teamfäh igen, k rea t i ven ,e igenverantwor t l i chen Mi ta rbe i te r, denen Le is tung Spaß

macht , d ie s ich le idenschaf t l i ch engag ie ren . Unsere Gese l l -schaf t ha t e in neues Vers tändnis von Arbe i t entwicke l t , de -ren obers tes Z ie l l ängs t n icht mehr d ie k lass i sche Pf l i chte r -fü l lung i s t . Se lbs tve rw i rk l ichung im Beruf , e ins t a l s w i rk l ich-ke i t s f remde Utop ie be läche l t , i s t heute o f f i z ie l l e Dokt r in .G le ichze i t ig werden jedoch Le is tungen immer mehr nach Out -put und ökonomischen Er fo lgsk r i te r ien bewer te t . Nur waszäh lbar i s t , zäh l t , und nur was s ich ökonomisch rechnet ,w i rd auch wer tgeschätz t . Wissenschaf t le r des Ins t i tu ts fü rSoz ia l fo rschung s ind be i ih ren Stud ien auf e inen spannendenZusammenhang d iese r w idersprüch l ichen Entwick lungen ge -s toßen: D ie »we ichen« Fakto ren machen es o f fenbar immerschwere r, ind iv idue l le Le is tungen noch s innvo l l mi te inanderzu ve rg le ichen und ge recht zu bewer ten . Das hat be i Unte r -nehmen wie Beschäf t ig ten den Glauben an d ie Unfeh lbarke i tob jek t i ve r Zah len und ökonomischer Kennz i f fe rn nur we i te runte rmauer t .

von Kai Dröge

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Leistung aus Leidenschaft« – dieser Slogan findetsich seit einiger Zeit in Zeitungsanzeigen, aufImagebroschüren und der Internetseite der Deut-

schen Bank. Damit möchte das Unternehmen seinenpotenziellen Kunden vermitteln, was sie von den Bera-tern des Hauses erwarten dürfen. Gleichzeitig bildet derWahlspruch den Kern der unternehmenskulturellenLeitsätze der Bank und definiert damit auch nachinnen, welche Ansprüche an die Leistung der Beschäf-tigten gerichtet werden. »Leidenschaft« im Bank-Busi-ness? Und dies gerade bei der Deutschen Bank, dem in-ternationalen Leuchtturm deutscher Gründlichkeit inGeldangelegenheiten? Dies mag zunächst erstaunen;und das soll es wohl auch. Aber es geht hier um mehrals den bloßen Überraschungseffekt. Tatsächlich ist dasMotto der Deutschen Bank nur eines von vielen Bei-spielen dafür, wie sich das gesellschaftliche Verständnisvon Arbeit und Leistung in den letzten Jahrzehnten ge-wandelt hat. Dieser Wandel betrifft keineswegs nur denFinanzsektor, sondern alle wirtschaftlichen und auchviele sonstige gesellschaftliche Bereiche. Wissenschaftleram Institut für Sozialforschung haben diesen Wandel inden vergangenen fünf Jahren breit untersucht – unteranderem in dem von der Deutschen Forschungsge-meinschaft geförderten Forschungsprojekt »›Leistung‹in der Marktgesellschaft – Erosion eines Deutungsmus-ters?«, von dessen Ergebnissen im Folgenden primärberichtet werden soll. Das Projekt wurde unter der Lei-tung von Prof. Dr. Sighard Neckel und unter Beteiligungvon Dr. Irene Somm im Institut für Sozialforschung ander Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurtdurchgeführt.

Ein neues Arbeitsverständnis

»Leidenschaft« – das suggeriert persönliches Engage-ment, emotionale Identifikation mit der Arbeit, Einsatzüber den Dienst nach Vorschrift hinaus. Andere Stich-worte weisen in eine ähnliche Richtung, »soft skills«sind gefragt: Emotionale Intelligenz, Teamfähigkeit,Kreativität und Selbstverantwortung – kaum eine Stel-lenanzeige, kaum ein Firmenleitbild und kaum ein Job-training für Arbeitslose kommen heute noch ohne dieseVokabeln aus. Wie bei vielen Modewörtern ist hiernatürlich ein gewisses Maß an rheto-rischer Schaumschlägerei im Spiel.Zugleich weisen diese Begriffeaber auch darauf hin, dass inder gegenwärtigen Arbeits-welt ein weit größeresRepertoire menschlicherFähigkeiten und Talente inden Stand belohnenswer-ter Leistungen erhobenwurde als noch vorwenigen Jahrzehnten.Was früher eher als Stö-rung der durchgeplantenAbläufe der »wissen-schaftlichen Betriebsfüh-rung« (Frederick W.Taylor) galt, wird heuteexplizit gefordert: DieBeschäftigten sollen diePersönlichkeit nicht am

Fabriktor abgeben, sondern sich mit ihrer Individualitätund Kreativität selbstgesteuert in den Arbeitsprozesseinbringen. »Subjektivierung von Arbeit« nennt das dieIndustrie- und Arbeitssoziologie. In unseren eigenenForschungen konnten wir beobachten, dass solche Ori-entierungen heute tatsächlich für viele Beschäftigteeinen wichtigen Bestandteil ihres Arbeits- und Leis-tungsverständnisses darstellen. Dabei geht es ihnen vorallem um Authentizität: Sie möchten sich in der Arbeitnicht verbiegen müssen, sondern ihren eigenen Weggehen – und zwar sowohl in der aktuellen Position alsauch in der Erwerbsbiografie insgesamt. Selbstverwirkli-chung gilt schon lange nicht mehr als Freizeitbeschäfti-gung, sondern soll auch im Erwerbsleben ihren Platzhaben. In der beruflichen Praxis treffen solche Erwar-tungen jedoch nicht selten auf Probleme. Trotz aller Be-kenntnisse zur Selbststeuerung verzichten heutige Ar-beitsorganisationen keineswegs auf straffe Führung;und die Leistungsanforderungen sind oft so hoch ange-setzt, dass für Selbstentfaltung wenig Raum bleibt. Au-ßerdem fällt es den Beschäftigten schwer, für ihre »au-thentischen« Leistungen auch eine angemessene Hono-rierung einzufordern. Wer allzu deutlich nach einerGehaltserhöhung ruft, präsentiert sich eher als »außen-geleiteter Charakter« (David Riesman) denn als authen-tisches, intrinsisch motiviertes Arbeitssubjekt.

Zwischen Selbstverwirklichung und harter Arbeit

Weit mehr hat uns in unserer Forschung jedoch über-rascht, wie ungleich das neue Arbeitsverständnis in derGesellschaft verteilt ist. Wir haben zahlreiche Gruppen-diskussionen mit Teilnehmerinnen und Teilnehmernaus ganz verschiedenen sozialen Schichten und berufli-chen Kontexten durchgeführt. Für einige Gruppenwaren Selbstverwirklichung und Authentizität in derArbeit konstitutiv für das eigene Leistungsverständnis,während für andere solche Orientierungen überhauptkeine Rolle spielten. Die gegenwärtige Bedeutung desSelbstverwirklichungsideals hat ihren Ursprung ineinem bestimmten Milieukontext, und bis heute hat es

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sich nicht gleichmäßig in der Gesellschaft verteilt. Hinzukommt, dass sich nicht jede berufliche Tätigkeit glei-chermaßen dafür anbietet, als authentischer Ausdruckdes eigenen Selbst interpretiert zu werden. Dies zeigtesich beispielsweise in einem kleineren Bankhaus, in dasuns unsere Untersuchung geführt hat. Hier kommt es invielen Bereichen weit mehr auf fachliche Korrektheit,Sorgfalt und Schnelligkeit in der routinierten Abwick-lung immer wiederkehrender Geschäftsprozesse an alsauf Kreativität und authentische Selbstentfaltung. Fürviele Bankbeschäftigte sind diese Fähigkeiten wichtigeBestandteile ihres beruflichen Selbstverständnisses.Schließlich kann allzu viel »Leidenschaft« und spekula-tives Heißblut ein Geldinstitut schnell in existenzielleSchwierigkeiten bringen, wie jüngst wieder an den

weltweiten Erschütterungen im Gefolge der amerikani-schen Immobilienkrise zu sehen war. Allerdings – sowichtig diese Leistungsbeiträge für eine Bank und fürviele andere Unternehmen sind, so schlecht lassen siesich in das heutige Leitbild des kreativen, dynamischenund auf Selbstverwirklichung bedachten Arbeitssubjektseinpassen. In der Folge drohen Leistungen, die sichnicht in dieses Bild fügen, innerhalb der Organisationunsichtbar zu werden. Tatsächlich haben wir beobach-tet, dass Beschäftigte, deren berufliches Selbstbewusst-sein wesentlich auf ihrer fachlichen Kompetenz undlangjährigen Erfahrung beruht, dieses Leistungsver-ständnis in den Gruppendiskussionen nur schwer ver-teidigen konnten. Dies kann zu Frustration über die Un-sichtbarkeit der eigenen Leistung sowie Motivationsver-lust bis zur »inneren Kündigung« führen.

Noch größer sind die Spannungen zwischen denIdealen der subjektivierten Arbeit und der konkretenberuflichen Praxis jedoch in anderen Bereichen. Sehrdeutlich wurde dies vor allem bei den niedriger qualifi-zierten Gruppen unseres Samples. Sie beziehen sich inihrem Leistungsstolz häufig auf ein eigentlich sehr klas-

sisches Kriterium: die harte körperliche Arbeit. Schonimmer war unser Verständnis von Leistung eng mit derVorstellung von individueller Verausgabung und Müheverbunden. Um etwas zu erreichen, soll man sich an-strengen müssen, und körperliche Arbeit hat den Vor-teil, diese individuelle Anstrengung in unvergleichlicherWeise anschaulich und greifbar zu machen. Hier span-nen sich Muskeln, Schweiß fließt, Material wird bewegtund bearbeitet – so zumindest unser etwas romantischverklärtes Bild von Leistung als körperlicher Verausga-bung. Für die Arbeiterschaft war das körperliche Mo-ment ihrer Tätigkeit immer Quelle eines ganz eigenenLeistungsstolzes, der sich etwa in derb-ironischen Be-merkungen über die »Sesselpupser« oder »Köfferchen-träger« in den oberen Etagen ausdrückte. Allerdingshaben sich weite Teile der Arbeitswelt schon lange vondiesem Idealbild körperlicher Leistung entfernt. »Ich seh’nicht, was ich leiste. Bei uns ist die ganze Produktion in

den Rohren, die fliegt durch die Rohre«, be-richtete uns beispielsweise ein Arbeiter auseinem Chemiewerk mit einer gewissen Frus-tration. Zwar ist seine Arbeit qualifizierter undfachlich anspruchsvoller geworden, seit er inder Messwarte für die Überwachung der weit-gehend automatisierten Produktionsabläufe

zuständig ist. Aber es fällt ihm schwer, diese Tätigkeitwirklich als eine Leistung anzusehen, auf die er stolzsein kann.

Noch weiter entfernt vom Idealbild der Leistung alskörperlicher Verausgabung sind natürlich viele Ange-stelltentätigkeiten. Allerdings war hier die körperlicheArbeit immer schon mit dem Stigma des Rohen, Un-qualifizierten und tendenziell Minderwertigen behaftet– sozusagen als Pendant zu den Vorurteilen der Arbei-terschaft, in den Büros werde eigentlich keine echte

Leistung erbracht. Die Angestellten haben jedoch ei-gene Formen entwickelt, Anstrengung und Auf-wand demonstrativ zum Ausdruck zu bringen: Derübervolle Terminkalender, teilweise extreme Aus-weitungen der Arbeitszeiten und das ständig klin-gelnde Mobiltelefon sind moderne Symbole undRituale, in denen die individuelle Verausgabung so-

zial sichtbar gemacht werden soll. Zu den neuen Idealeneiner subjektivierten Arbeitswelt steht dies nicht unbe-dingt in Widerspruch. Zwar ist hier der Spaß an der Ar-beit ein hoher Wert, trotzdem werden Mühe und An-strengung keineswegs tabuisiert – im Gegenteil: Vieleunserer Gesprächspartner werteten es gerade als einenbesonderen Ausweis von Authentizität, wenn eine Per-son im Dienste der eigenen Selbstverwirklichung auchSchwierigkeiten und Mühen in Kauf zu nehmen bereitwar. Die noch Anfang der 1980er Jahre häufig geäußer-te Befürchtung, der gesellschaftliche Wertewandel mitseiner Abkehr von der klassischen Pflichtorientierungund der Hinwendung zum Selbstverwirklichungsidealwürde in einen ungezügelten Hedonismus münden, derdie bürgerlichen Arbeitstugenden untergräbt, hat sichganz offensichtlich nicht erfüllt.

Vom Arbeitnehmer zum »internen Unternehmer«

Allerdings wird die Relevanz der individuellen Müheund Anstrengung heute durch eine ganz andere Ent-wicklung in Frage gestellt. Seit einigen Jahren ist zu be-

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obachten, dass sich die Maßstäbe, nach denen Leistun-gen beurteilt werden, immer mehr von der Aufwands-zur Ergebnisseite hin verschieben. Ein weit verbreitetesBeispiel dieser Tendenz sind Zielvereinbarungen undähnliche Formen der indirekten Steuerung: Hier wirddie Leistung der Beschäftigten am Grad der Erreichungeines vorher festgesetzten beziehungsweise mehr oderweniger gemeinschaftlich ausgehandelten Ziels bemes-sen, wobei es in der Eigenverantwortung des jeweiligenMitarbeiters oder Teams liegt, wie dieses Ziel erreichtwird. Dies bedeutet häufig auch, dass unerwartet auf-tretende Probleme durch eigene Mehrarbeit kompen-siert werden müssen. Letztlich ist es also aus der Sichtdes Unternehmens irrelevant, wie viel Zeit, Mühe undAufwand eine Person investiert; es zählt allein das Leis-tungsergebnis. Dies ist ein grundlegender Bruch mit derherkömmlichen Logik, nach der die Leistung vor allemnach dem Qualifikationsniveau und der Zeit bemessenwurde, für die ein Beschäftigter seine Arbeitskraft inden Dienst des Unternehmens stellte.

Noch einmal verschärft wird dieser Trend durch diewachsende Bedeutung marktbezogener Kriterien derLeistungsbewertung. In klassischen Industrieunterneh-men war das Innere der Organisation relativ stark vondem sie umgebenden Marktgeschehen abgeschottet. In-tern herrschte eine hierarchisch organisierte Produkti-onsökonomie, die Schnittstellen zum Markt waren inspezialisierten Abteilungen wie Verkauf und Marketinginstitutionalisiert. In den letzten Jahren sind diese Gren-zen jedoch stark aufgeweicht worden.

Viele neue Steuerungs- und Managementkonzeptesetzen darauf, den Markt in die Organisation hineinzu-holen. Abteilungen werden in Cost- oder Profitcenterumgewandelt, die untereinander und zum Teil auch mitexternen Anbietern konkurrieren; rendite- oder um-satzorientierte Prämiensysteme koppeln die Entlohnungder Mitarbeiter direkt an den ökonomischen Erfolg desGesamtunternehmens oder eines Teilberei-ches; Zielvereinbarungen werdenmit marktorientierten Erfolgsgrößenkombiniert. Heutige Beschäftigtesollen sich nicht primär als Arbeit-nehmer, sondern als »interne Un-ternehmer« begreifen, die ihr Leis-tungshandeln unmittelbar auf denMarkterfolg ausrichten. Das unter-nehmerische Risiko wird so stär-ker als früher direkt an die Be-schäftigten durchgereicht – unddies häufig, ohne dass dieseeinen entsprechenden Ein-fluss auf die langfristigenStrategien des Unter-nehmens erhalten. Vorallem aber radikalisiertsich die Entwertungvon aufwandsorientier-ten Leistungsmaßstä-ben. Die Preisbildungam Markt funktioniertnach dem Mechanismusvon Angebot und Nach-frage, Leistungsgerechtigkeitspielt hier keine Rolle. Ob einMarkterfolg sich der eigenen har-

ten Arbeit oder schlicht dem Zufall glücklicher Umstän-de verdankt, hat keinenEinfluss auf die Höhe des erzielbaren Gewinns. Ange-sichts der Wechselhaftigkeit und Unkontrollierbarkeitheutiger Märkte bedeutet dies für die Beschäftigten einewachsende Ungewissheit, welche Leistung sich auchtatsächlich mittel- oder langfristig auszahlen wird.

Grundsätzlich steht die Leistungsbewertung nachMarktkriterien in einer gewissen Spannung zu demneuen Leitbild des kreativen und selbstgesteuerten Mit-arbeiters. Wo Beschäftigte sich erweiterte Spielräumeder Selbstentfaltung in der Arbeit erhoffen, sehen siesich den unkontrollierbaren Wechselfällen des globalenMarktgeschehens ausgeliefert. Wo »Leidenschaft«, emo-

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Forschungsprogramm »Paradoxien der kapitalistischen Modernisierung«

Das Institut für Sozialforschung ist international be-kannt für seine kritischen Analysen der Entwicklungmoderner Gesellschaften. Diese grundlegende Per-spektive prägt auch die heutige Forschung. Allerdingsist seit den klassischen Arbeiten der Frankfurter Schu-le in den 1930er bis 1950er Jahren die theoretischeDebatte vorangeschritten, und es haben sich die so-zialen Verhältnisse in einer Weise gewandelt, die eineAnpassung des analytischen Instrumentariums erfor-derlich macht. Dies gilt auch für den Bereich vonÖkonomie und Arbeit, der seit langem einen wichti-gen Forschungsschwerpunkt des Frankfurter Institutsdarstellt.

Bisweilen hat es den Anschein, als seien in der ge-genwärtigen Arbeitswelt viele Forderungen der Ge-sellschaftskritik vergangener Jahre längst eingelöst.Wo die Beschäftigten früher entfremdeten und inhu-manen Arbeitsbedingungen ausgesetzt waren, wer-den sie heute explizit dazu aufgefordert, sich kreativund selbstgesteuert in die Arbeit einzubringen. Wo esfrüher um Ausbeutung und Klassenkampf ging, enga-gieren sich Beschäftigte heute oft freiwillig weit überihre reguläre Arbeitszeit hinaus. Wenn man allerdingsgleichzeitig beobachtet, dass diese hoch motiviertenMitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Grenzen ihrerkörperlichen Leistungsfähigkeit nicht mehr ernst neh-men und es zu Phänomenen der »Krankheitsverleug-nung« kommt, wie sie Hermann Kocyba und Stephan

Voswinkel in ihrem Beitrag beschreiben, dann wirddeutlich, dass auch in der gegenwärtigen Arbeitsweltnicht alles Gold ist, was glänzt. Dies gilt auch für denWandel des Leistungsbegriffes, den Kai Dröge in sei-nem Beitrag analysiert. Dieser Wandel verheißt einer-seits so wichtigen Fähigkeiten wie Kreativität, Team-fähigkeit und Selbststeuerung endlich die verdienteAnerkennung, befördert jedoch andererseits auch diegegenläufige Tendenz, Leistungen immer mehr nachOutput und ökonomischen Erfolgskriterien zu bewer-ten. Tatsächlich sind es häufig dieselben Prozesse, dieauf der einen Seite ein Mehr an Befriedigung und Er-füllung in der Arbeit versprechen, bei denen jedochauf der anderen Seite neue Formen der (Selbst-)Aus-beutung und Unterdrückung entstehen.

Dieses eigentümliche Muster sozialer Entwicklun-gen, das sich heute in vielen Bereichen der Gesell-schaft zeigt, analysiert das Institut für Sozialforschungmit dem Konzept der »Paradoxie«. Paradoxale Ent-wicklungen sind dadurch gekennzeichnet, dass einund derselbe gesellschaftliche Strukturwandel, dermoralische, rechtliche oder materielle Fortschrittehervorbringt, diese Fortschritte auch zugleich wiedergefährdet und konterkariert. Das Institut untersuchtdie »Paradoxien der kapitalistischen Modernisierung«nicht nur im Feld von Arbeit und Ökonomie, sondernebenso in Familie und Paarbeziehung, Kultur, Politikund Rechtsentwicklung.

tionale Kompetenz und Kreativität gefordert worden,zählt letztlich vor allem ökonomisches Kalkül. In unse-rem empirischen Material werden diese Widersprüchevielfach sichtbar. Personen scheitern in ihrem berufli-chen Selbstverwirklichungsprojekt an den Flexibilitäts-anforderungen heutiger Arbeitsmärkte; Authentizitäts-ansprüche kollidieren mit der Notwendigkeit, sich öko-nomischen Zwängen zu unterwerfen.

Doch zwischen den beiden zunächst widersprüchli-chen Entwicklungen scheint es einen inneren Zusam-menhang zu geben: Der Einbezug »weicher« Faktoren

hat die Leistungsdefinitionen noch diffuser gemacht, alssie immer schon waren. Wie will man Kreativität, sozia-le Kompetenz und Ähnliches im Arbeitsalltag konkretmessen und gerecht bewerten? Demgegenüber sindUmsatzstatistiken, Kostenrechnungen und Renditemaß-zahlen von einem Nimbus der Objektivität und Selbst-evidenz umgeben, der sie über jeden Zweifel erhabenerscheinen lässt. Die Ausweitung und Subjektivierungder Leistungsdefinitionen hat gleichzeitig zu einemwachsenden Bedürfnis nach objektiver Messbarkeit undVergleichbarkeit geführt – und zwar ganz offensichtlich

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Kai Dröge, Kira Marrs und WolfgangMenz (Hrsg.) 2008: Rückkehr der Leis-tungsfrage. Leistung in Arbeit, Unterneh-men und Gesellschaft. Berlin: Edition Sig-ma (erscheint Anfang 2008).

Kai Dröge 2007: »Jetzt lob’ mich dochendlich mal!« Subjektivierte Arbeit unddie Fallstricke ihrer Anerkennung. In:Christine Wimbauer, Annette Henningerund Markus Gottwald (Hrsg.): Die Gesell-schaft als »institutionalisierte Anerken-nungsordnung«. Anerkennung und Un-gleichheit in Paarbeziehungen, Arbeitsor-ganisationen und Sozialstaat. Opladen:Barbara Budrich, S. 97 – 117.

Sighard Neckel, Kai Dröge und IreneSomm 2005: Das umkämpfte Leistungs-prinzip. Deutungskonflikte um die Legiti-mationen sozialer Ungleichheit. In: WSI-Mitteilungen, Jg. 58, H. 7, S. 368 – 374.

Kai Dröge und Irene Somm 2005: Spurlo-se Leistung. Langsicht im flexiblen Kapita-lismus. In: bios, Jg. 18, H. 2, S. 215 – 235.

Sighard Neckel und Kai Dröge 2002: DieVerdienste und ihr Preis: Leistung in derMarktgesellschaft. In: Axel Honneth(Hrsg.): Befreiung aus der Mündigkeit. Pa-radoxien des gegenwärtigen Kapitalismus.Frankfurt am Main, New York: Campus, S.93 – 116.

Sighard Neckel 2001: »Leistung« und »Erfolg«. Die symbolische Ordnung derMarktgesellschaft. In: Eva Barlösius, Hans-Peter Müller und Steffen Sigmund (Hrsg.):Gesellschaftsbilder im Umbruch. Soziologi-sche Perspektiven in Deutschland. Opla-den: Leske & Budrich, S. 245 – 265.

Sighard Neckel, Kai Dröge und IreneSomm: Weitere Informationen zu dem

Forschungsprojekt »›Leistung‹ in derMarktgesellschaft – Erosion eines Deu-tungsmusters?«, unter: www.ifs.uni-frankfurt.de/forschung/leistung

Außerdem sind folgende Schwerpunkthef-te der vom Institut für Sozialforschung herausgegebenen Zeitschrift »WestEnd –Neue Zeitschrift für Sozialforschung« inte-ressant:

Heft 2/2005 zum Thema »Entgrenzung der Arbeit?«

Heft 2/2007 zum Thema »Herrschaft der Zahlen (1)«

Heft 1/2008 zum Thema »Herrschaft der Zahlen (2)« (erscheint im Frühjahr 2008)

Weitere Informationen unter:www.ifs.uni-frankfurt.de/westend

Veröffentlichungen zum Thema

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sowohl auf der Seite der Unternehmensleitung als auchbei den Beschäftigten. Diesem Bedürfnis trägt inzwi-schen eine ganze Armada von Consultingfirmen, Con-trollern und Softwarespezialisten Rechnung, die einzigdamit befasst ist, das betriebliche Geschehen bis in dieletzten Winkel quantifizierend zu erfassen. KomplexeKennziffernsysteme werden entworfen, ganze Betriebs-abläufe von der Lagerhaltung bis zu den Kundenretou-ren in Computermodellen nachgebildet und das interneControlling massiv ausgebaut. Zusätzliche Schubkrafterhält dieser Prozess durch den wachsenden Einflussdes Finanzmarktes auf die Unternehmensführung. In-zwischen hat sich die »gesellschaftliche Herrschaft derZahlen« – so auch der Titel einer Tagung, die das Institutfür Sozialforschung 2006 veranstaltete – zudem auf au-ßerwirtschaftliche Bereiche ausgedehnt und das Ge-sundheitswesen ebenso erreicht wie die Hochschulen,die öffentliche Verwaltung und die Politik.

Der enorme Aufwand, mit dem diese kalkulatorischeDurchdringung organisatorischer Abläufe betriebenwird, weist jedoch gleichzeitig darauf hin, dass diescheinbar objektive Realität der Zahlen immer aucheine sozial konstruierte ist. Es sind komplexe Rechen-operationen erforderlich, um die Leistung des einzelnenMitarbeiters, der in der Innenrevision, der Pförtnerlogeoder dem Immobilienmanagement tätig ist, in irgendei-ner Form mit dem Erfolg oder Misserfolg des Gesamt-unternehmens auf den Produkt-, Dienstleistungs- bezie-hungsweise Finanzmärkten in Verbindung zu bringen.Diese Rechenoperationen verlangen zudem viele mi-kropolitische Entscheidungen, in denen Faktoren ge-wichtet, Zukunftsaussichten geschätzt und Nicht-zählbares quantifiziert werden müssen. Aber derpolitische Charakter dieser Formen der Leistungs-bewertung ist weniger offensichtlich als bei ande-ren Managemententscheidungen; und daher zie-hen sie, so unsere Beobachtung, tendenziell auchweniger Kritik auf sich.

Welche Leistung soll sich eigentlich lohnen?

Das Leistungsprinzip ist eine fundamentaleGerechtigkeitsnorm der modernen Gesell-schaft. Aber wenn heute von sozialer Gerech-tigkeit die Rede ist, dann geht es zumeist umHilfen und Unterstützung für die »leistungs-schwachen« Mitglieder unseres Gemeinwe-sens. Das wirtschaftsliberale Lager setzt dage-gen die Forderung, Leistung müsse sich (wie-der) lohnen, und meint damit vor allem den

Abbau wohlfahrtsstaatlicher Regulierungen und eineStärkung des Marktes. Diese eingespielten politischenArgumentationsmuster versperren jedoch den Blick da-rauf, dass die Frage, wer in einer Gesellschaft »leistungs-schwach« ist und wessen Leistung sich lohnt, ganz ent-scheidend davon abhängt, was eigentlich als sozial wert-volle Leistung definiert und wie diese honoriert wird.Ein deregulierter Markt prämiert bestimmte Formen desökonomischen Erfolges, führt aber nicht notwendig zumehr Leistungsgerechtigkeit. Das subjektivierte Arbeits-verständnis verspricht der Kreativität, der Eigeninitiati-ve und vielleicht sogar der »Leidenschaft« endlich dieverdiente Anerkennung, macht aber gleichzeitig andereLeistungsbeiträge sozial unsichtbar und damit wertlos.Die Objektivität der Zahlen verheißt weniger Willkür alsdie Leistungsbeurteilung durch Vorgesetzte, verschleiertaber gleichzeitig die mikropolitischen Prozesse, in denendiese Objektivität erst erzeugt worden ist.

Viele soziale Konflikte der Gegenwart entzünden sichan solchen Verschiebungen innerhalb der gesellschaftli-chen Leistungsdefinitionen und den damit verbundenEntwertungen und Ungerechtigkeiten. Die grundlegendeKritik am Modell der Leistungsgesellschaft ist dagegenweitgehend verstummt. Nicht ob Leistung sich lohnensoll, sondern welche Leistung sich lohnt und warum –diese Frage gilt es heute politisch zu beantworten. ◆

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Kai Dröge M.A., 35, studierte an derUniversität Siegen Soziologie, Philo-sophie und Informatik. Nach zweiJahren an der Universität Wuppertalist er seit 2002 wissenschaftlicherMitarbeiter im Institut für Sozialfor-schung an der Johann Wolfgang Goe-the-Universität. Seine Forschungs-schwerpunkte liegen in der Soziolo-gie des Ökonomischen, der sozialen

Ungleichheitsforschung und neuerdings auch der Internetso-ziologie.Gemeinsam mit Prof. Dr. Sighard Neckel und Dr.Irene Somm hat er in dem von der Deutschen Forschungsge-meinschaft (DFG) geförderten Projekt »›Leistung‹ in derMarktgesellschaft – Erosion eines Deutungsmusters?« denWandel der gesellschaftlichen Leistungsverständnisse unter-sucht.

E-Mail: [email protected]: www.ifs.uni-frankfurt.de/people/droege

Der Autor

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