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Lektion 2 – Transkription “Multilingualität” In diesen Tagen wurden zwischen Journalisten und Intelektuellen die Debatte geführt, ob Multilingualität hilft, Brücken zwischen den Kultura zu bauen. Hilft es also weiter, im Alltag mehr als zwei Sprachen zu beherrschen. Die Antwort scheint offensichtlich, ist sie aber nicht. Leonard Orbar ist EU – Sprachenkommissar und spricht selbst vier Sprachen. Shara Islam ist Journalistin und Seniorenanalystin am Europäischen Politikzentrum in Brüssel. Sie stammt aus Pakistan und spricht auch mehrere Sprachen. In dieser Ausgabe von Agora nehmen sich die beiden der Frage an, ob nicht in einem so vielfältigen Europa Sprachen eigentlich eine Brücke bauen sollten. Shada Islam: Ich würde sofort sagen, dass Sprachen als Brücke fungieren. Je mehr Sprachen man spricht, desto mehr Menschen kann man erreichen. Insofern war ich schon sehr überrascht, dass jemand dieses als Barriere betrachten könnte. Jeder merkt doch, dass wir in einem sehr differenzierten Europa leben und diese multilinguistische Vielfalt ist doch etwas, was wir schätzen und pflegen sollten. Wo, würden Sie jetzt sagen, könnte das eine Barriere sein? Leonard Orban: Ich stimme mit Ihnen vollkommen überein, aber es ist nicht so offensichtlich, den manchmal wird diese Vielfalt auch als Bedrohung empfunden. Und deshalb ist es nun unsere Aufgabe, für diese Vielfalt zu werben. In Kürze werden wir eine neue Strategie für Multilingualismus präsentieren und eines der Ziele ist dann, dabei zu zeigen, dass Vielsprachigkeit zu einem größeren Zusammenhalt beitragen kann. Shada Islam: Ja, denn ich zum Beispiel bin im Alter von 18 Jahren nach Europa gekommen. Ich sprach nur meine Muttersprache, Onur, und Englisch. In Europa lernte ich dann Französisch und Spanisch und nun kann ich mich auch in diesen Sprachen unterhalten. Und das half mir, mich noch besser zu integrieren. Wir müssen den Menschen erklären, dass Vielsprachigkeit ein wichtiger Faktor für eine lebendige Integration ist. Leornard Orban: Das ist offensichtlich, aber leider ist das Angstpotential nicht überall gleich hoch. Deshalb ist es wichtig, dass wir über die Wichtigkeit des Multilinguismus aufklären. Zum Beispiel in Bezug auf den Arbeitsmarkt und die Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen. Shada Islam:

Lektion 2 – Transkription “Multilingualität” Web viewShada Islam: In meiner Heimat Pakistan zum Beispiel wird beim Kontakt mit Indern Englisch gesprochen, weil das in beiden

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Page 1: Lektion 2 – Transkription “Multilingualität” Web viewShada Islam: In meiner Heimat Pakistan zum Beispiel wird beim Kontakt mit Indern Englisch gesprochen, weil das in beiden

Lektion 2 – Transkription “Multilingualität”

In diesen Tagen wurden zwischen Journalisten und Intelektuellen die Debatte geführt, ob Multilingualität hilft, Brücken zwischen den Kultura zu bauen. Hilft es also weiter, im Alltag mehr als zwei Sprachen zu beherrschen. Die Antwort scheint offensichtlich, ist sie aber nicht.

Leonard Orbar ist EU – Sprachenkommissar und spricht selbst vier Sprachen. Shara Islam ist Journalistin und Seniorenanalystin am Europäischen Politikzentrum in Brüssel. Sie stammt aus Pakistan und spricht auch mehrere Sprachen.

In dieser Ausgabe von Agora nehmen sich die beiden der Frage an, ob nicht in einem so vielfältigen Europa Sprachen eigentlich eine Brücke bauen sollten.

Shada Islam: Ich würde sofort sagen, dass Sprachen als Brücke fungieren. Je mehr Sprachen man spricht, desto mehr Menschen kann man erreichen. Insofern war ich schon sehr überrascht, dass jemand dieses als Barriere betrachten könnte. Jeder merkt doch, dass wir in einem sehr differenzierten Europa leben und diese multilinguistische Vielfalt ist doch etwas, was wir schätzen und pflegen sollten. Wo, würden Sie jetzt sagen, könnte das eine Barriere sein?

Leonard Orban:Ich stimme mit Ihnen vollkommen überein, aber es ist nicht so offensichtlich, den manchmal wird diese Vielfalt auch als Bedrohung empfunden. Und deshalb ist es nun unsere Aufgabe, für diese Vielfalt zu werben. In Kürze werden wir eine neue Strategie für Multilingualismus präsentieren und eines der Ziele ist dann, dabei zu zeigen, dass Vielsprachigkeit zu einem größeren Zusammenhalt beitragen kann.

Shada Islam:Ja, denn ich zum Beispiel bin im Alter von 18 Jahren nach Europa gekommen. Ich sprach nur meine Muttersprache, Onur, und Englisch. In Europa lernte ich dann Französisch und Spanisch und nun kann ich mich auch in diesen Sprachen unterhalten. Und das half mir, mich noch besser zu integrieren. Wir müssen den Menschen erklären, dass Vielsprachigkeit ein wichtiger Faktor für eine lebendige Integration ist.

Leornard Orban:Das ist offensichtlich, aber leider ist das Angstpotential nicht überall gleich hoch. Deshalb ist es wichtig, dass wir über die Wichtigkeit des Multilinguismus aufklären. Zum Beispiel in Bezug auf den Arbeitsmarkt und die Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen.

Shada Islam:Ja, es gibt zum Beispiel eine Untersuchung, die besagt, dass Mehrsprachigkeit einen wichtigen Faktor für die Konkurrenzfähigkeit von europäischen Unternehmen darstellt. Ich führe an meinem Institut in Brüssel zum Beispiel gerade eine Diskussion darüber, dass es wichtig ist, Chinesisch zu können, wenn man beruflich in China unterwegs ist. Und man sollte auch in Europa die Sprache von dem Land sprechen, in dem man sich längere Zeit aufhält. Denn Business ist doch ein wichtiger Faktor. Oder?

Leornard Orban:Exakt. Als wir 2007 die Initiative starteten, gab es sehr viele, die die Wichtigkeit der innereuropäischen Mehrsprachigkeit im Geschäftsleben verneinten. Die standen dem Thema tatsächlich ablehnend gegenüber. Es gab viele Vertreter, die meinten, dass Englisch vollkommen ausreichend sei. Aber das ist nicht der Fall. Wir haben Untersuchungsergebnisse, die das aufzeigen. Die Unternehmen, die nicht über mehrere Sprachen verfügen, haben weniger Erfolg und verlieren Geld.

Shada Islam:Also, woher kommt denn das Kontra? Wer sind die Leute, die der Meinung sind, dass Englisch ausreicht.

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Lektion 2 – Transkription “Multilingualität”

Leornard Orban:Englisch ist insbesondere vom persönlichen Gesichtspunkt gesehen nicht allein ausreichend. In meinem Land, Rumänien, zum Beispiel muss jemand mindestens zwei Fremdsprachen sprechen, um einen Job zu bekommen. Und das ist in anderen Ländern genauso. Und vom kulturellen Gesichtspunkt ganz zu schweigen: Mehr als eine Sprache zu sprechen kann dir helfen, andere Menschen zu verstehen. Denn gerade die Verschiedenheit Europas ist doch eine Herausforderung. Und da gibt es aber nun Vertreter, die sagen, das Werbung für die Vielsprachigkeit ein zu teurer Prozess für die EU ist.

Shada Islam:Natürlich ist es sehr teuer.

Leonard Orban:Teilweise. Selbst in der Europäischen Union nur teilweise. Jeder spricht über sinnlose Machenschaften bei der EU und zum Beispiel, warum wir so viel Geld verschleudern, nur um so viele offizielle Sprachen zu haben. Wir haben tatsächlich 23 offizielle Sprachen. Aber jeder EU-Bürger zahlt davon vielleicht im Durchschnitt 5 Euro pro Jahr. Insofern ist es kein großer Beitrag, der da für jeden EU-Bürger anfällt, damit wir 23 offizielle Sprachen haben.

Shada Islam:In meiner Heimat Pakistan zum Beispiel wird beim Kontakt mit Indern Englisch gesprochen, weil das in beiden Ländern verstanden wird. Und untereinander reden sie dann in ihrer Muttersprache. Da scheint keiner Angst davor zu haben: Oh, mein Gott, ich muss doch meine Sprache schützen und vor dem Untergang bewahren. Nein. Sie lebt ja schon durch die Musik weiter, durch Bücher, Theater, Fernsehen. Aber dennoch fällt es den Menschen dort leichter, fremde Sprachen zu sprechen.

Leonard Orban:Lassen Sie uns in die Geschichte blicken. Und zwar in die noch sehr nahe. Denn die Situation ist in den Staaten sehr unterschiedlich. Da gibt es in der EU zum Beispiel Mitgliedsländer, deren jetzige offizielle Sprache früher verboten war. Diese wurde da nur zu Hause hinter verschlossenen Türen gesprochen. Insofern müssen wir auch eine gewisse Sensibilität in bestimmten Ländern verstehen. Und davon gibt es viele. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Als ich im Jahr 2004 nach Slowenien kam, war die Angst vor der EU dort sehr groß. Die Bürger waren besorgt, dass sie mit einem Beitritt zur Europäischen Union wieder ihre Identität verlieren könnten. Aber wenn ich das Thema jetzt mit den Menschen in Slowenien diskutiere, dann haben sie diese Angst nicht mehr. Sie haben gemerkt, dass Slowenisch inzwischen eine offizielle Sprache der EU ist und das Slowenisch nicht nur überlebt hat, sondern dass wir für diese Sprache auch darum kämpfen, sie zu behüten. Und wir werben sogar für sie. Wir müssen die Historie erkennen.

Shada Islam:Den Kontext.

Leonard Orban:Den Kontext, genau! Und die unterschiedliche Situation in den verschiedenen Ländern.

Shada Islam:Ja, sehr richtig. Ich denke da an die Mentalitäten und die Leute mögen es nicht, wenn jemand von außen an ihrer Identität rüttelt oder an ihrer Sprache. Sie haben Angst und ich glaube, dass wir in Europa zur Zeit in einer wahren Identitätskrise leben, wo die Bürger Angst haben, vor dieser globalisierten Welt ihre Sprache und ihre Tradition zu verlieren. Aber ich glaube an die Jugend und ich gehe davon aus, dass die jungen Leute die Idee der Vielsprachigkeit in Europa voranbringen werden.