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Laudatio von Dichter und Liedermacher Wolf Biermann www.zentralratdjuden.de/de/article/1466.html http://www.welt.de/politik/article1337090/Wolf-Biermann-lobt- die-promovierte-FDJlerin.html LEO BAECK PREIS für Merkel 2007 Im Redemanuskript stand natürlich nicht das Lied "Ach, die erste Liebe ..." , das ich zu Beginn ja nur improvisierte, weil mir am Vortag mein Ostberliner Freund Ekke Maaß Eizes gegeben hatte: „Die Merkel liebt die Lieder des "russischen Biermann": Bulat Okudshava. Ich kannte diesen "Barden" (so nennt man einen songwriter oder Liedermacher oder poète chanteur in Russland). Ich besuchte Bulat zweimal in Moskau, und er mich später auch in Hamburg. Ich sang ihm in seiner Datscha bei Moskau meine DDR-deutsche Version seines wahrscheinlich populärsten Liedes vor und war gespannt, wie er auf meine Fälschung der dritten Strophe reagiert, ("fartaitscht un farbessert", wie die Jidden sagen) - denn im russischen Original heißt der Text des Liedes wortwörtlich, soweit ich mich erinnere: Ach, bei der ersten Untreue Im Nebel kommt die rote Sonne nicht hoch. Und bei der zweiten Untreue Im Abenddämmer betrunkenes Schwanken... Doch die dritte Untreue (russisch: "obman") Ist schwärzer als Nacht, schlimmer als Krieg Als Okudshava also meine dritte Strophe gehört und unser Dolmetscher es ihm wortwörtlich übersetzt hatte, da grinste er und knurrte (zu meiner Verblüffung, Erleichterung und Freude): "Ja, ja, Biermann, so wollte ich es eigentlich schreiben." Der Unterschied zwischen uns lag wohl nicht im Talent oder im poetischen Stil, oder in der Haltung, sondern hat ganz andere und banale Gründe: Die politischen Preise waren damals in der Sowjetunion einfach viel höher. Wofür man in der DDR nur eingesperrt wurde, dafür wurde man in der UdSSR schon totgeschlagen. Wofür man in der DDR nur verboten wurde, dafür wurde man in der SU schon eingesperrt, so wie etwa die beiden Schriftsteller Julij Daniel und Andrej Sinjawski in Moskau, Mitte der 60er Jahre. Wenn Bulat Okudshava oder sein rabiaterer Kollege Wladimir Wyssotzki jemals solche politischen Pasquille wie „Die Stasi- Ballade“ oder „Die hab ich satt!“ oder „Ah-jaa!“ oder

Leo Baeck Preis -2007 für MERKEL-Laudatio von Dichter und Liedermacher Wolf Biermann

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Laudatio von Dichter und Liedermacher Wolf Biermannwww.zentralratdjuden.de/de/article/1466.htmlhttp://www.welt.de/politik/article1337090/Wolf-Biermann-lobt-die-promovierte-FDJlerin.htmlLEO BAECK PREIS fr Merkel 2007Im Redemanuskript stand natrlich nicht das Lied "Ach, die erste Liebe ..." , das ich zu Beginn ja nur improvisierte, weil mir am Vortag mein Ostberliner Freund Ekke Maa Eizes gegeben hatte: Die Merkel liebt die Lieder des "russischen Biermann": Bulat Okudshava.

Ich kannte diesen "Barden" (so nennt man einen songwriter oder Liedermacher oder pote chanteur in Russland). Ich besuchte Bulat zweimal in Moskau, und er mich spter auch in Hamburg. Ich sang ihm in seiner Datscha bei Moskau meine DDR-deutsche Version seines wahrscheinlich populrsten Liedes vor und war gespannt, wie er auf meine Flschung der dritten Strophe reagiert, ("fartaitscht un farbessert", wie die Jidden sagen) - denn im russischen Original heit der Text des Liedes wortwrtlich, soweit ich mich erinnere:

Ach, bei der ersten Untreue Im Nebel kommt die rote Sonne nicht hoch. Und bei der zweiten Untreue Im Abenddmmer betrunkenes Schwanken...Doch die dritte Untreue (russisch: "obman") Ist schwrzer als Nacht, schlimmer als KriegAls Okudshava also meine dritte Strophe gehrt und unser Dolmetscher es ihm wortwrtlich bersetzt hatte, da grinste er und knurrte (zu meiner Verblffung, Erleichterung und Freude): "Ja, ja, Biermann, so wollte ich es eigentlich schreiben."

Der Unterschied zwischen uns lag wohl nicht im Talent oder im poetischen Stil, oder in der Haltung, sondern hat ganz andere und banale Grnde: Die politischen Preise waren damals in der Sowjetunion einfach viel hher. Wofr man in der DDR nur eingesperrt wurde, dafr wurde man in der UdSSR schon totgeschlagen. Wofr man in der DDR nur verboten wurde, dafr wurde man in der SU schon eingesperrt, so wie etwa die beiden Schriftsteller Julij Daniel und Andrej Sinjawski in Moskau, Mitte der 60er Jahre.

Wenn Bulat Okudshava oder sein rabiaterer Kollege Wladimir Wyssotzki jemals solche politischen Pasquille wie Die Stasi-Ballade oder Die hab ich satt! oder Ah-jaa! oder Populrballade oder In China hinter der Mauer geschrieben und dann auch noch in den Hinterzimmern der Dissidenten gesungen htten, so wie ich es tat in den elf Jahren meines Totalverbots bis zur Ausbrgerung, dann wren diese "Barden" unter dem poststalinistischen Regime von Breshnew & Co. zehn mal totgeschlagen worden. Also konnte ich damals als DDR-Brger in Ostberlin deutlicher - wie die Juden sagen: Tacheles - reden und singen. Und also musste ich es auch tun. Dass der Dichter immer wieder zu weit gehn muss, das ist klar. Aber wie weit, zu weit gehn und wann - das ist eine variable Gre, hngt wesentlich vom Zeitpunkt und vom Ort ab im Streit der Welt, den Heine den ewigen Freiheitskrieg nennt.

Ach, die erste Liebe

Ach, die erste Liebe macht das Herz mchtig schwach Und die zweite Liebe weint der ersten nur nachDoch die dritte Liebe: Schnell den Koffer gepacktSchnell den Mantel gesackt und das Herz splitternackt

Ach, der erste Krieg, da ist keiner schuldUnd der zweite Krieg, da hat einer schuldDoch der dritte Krieg ist schon meine SchuldIst ja meine Schuld: meine Mordsgeduld

Ach, der erste Verrat kann aus Schwche geschehnUnd der zweite Verrat will schon Orden sehnDoch beim dritten Verrat mut du morden gehnSelber morden gehn - und das ist geschehnBeim Singen dieser Verse im Hotel Adlon - vor all diesen hochkartigen Politikern und Funktionren, vor den mchtigen Medienmenschen und vor etlichen berlebenden der Shoa und vor ein paar Rabbinern und sonstigen Geistlichen und Militrs und Diplomaten diverser Lnder - da merkte ich erst, wie gespenstisch gut die zweite Strophe auf das brennende Problem mit dem Iran des Atombombenbauers Achmedineshad pat: Der Dritte Krieg. Das verblffend genaue Wort "Mordsgeduld" ist natrlich ein Gratisgeschenk unserer starken deutschen Sprache, das mir die Muse Erato zusteckte, als ich die bersetzung anfertigte. Im Russischen gibt es solch eine erhellende Wortkombination nicht. (the day after, zuhause in Hamburg-Altona)

Liebe Angela Merkel, verehrte Bundeskanzlerin und gelernte Physikerin, soll heien: gestandene Christin, promovierte FDJlerin und gut geratenes Kind der DDR - und unterdes machen Sie auch noch eine Karriere als Kmpferin in dem, was Heinrich Heine in seinem Gedicht Enfant Perdu den ewigen Freiheitskrieg der Menschheit nannte - mich freut, dass grade Sie mit dem Leo Baeck-Preis ausgezeichnet werden. Dieser Preis schmckt Sie, denn er schmckt sich mit dem Namen des vielleicht deutschesten aller Rabbiner und gilt als die hchste Ehrung, die der Zentralrat der Juden in unserem Land zu vergeben hat. Ihnen die obligate Lobrede zu liefern, ist mir eine peinliche, soll heien: schmerzhafte Ehre - ja, Ehre sage ich und gebrauche dieses heikle Wort ohne ironisches Augenzwinkern - etwa zur Besnftigung fr mein links-alter-na-ives Klientel. Und schmerzhaft, denn ich bin ein geborener Linker, Sie sind eine geborene Rechte, Sie Christin, ich Atheist. Wir passen schn schlecht zusammen, und das macht die Konstellation interessant.

Aus den Liedern und Gedichten knnen Sie es erfahren: Meine ganze jdische Familie aus Hamburg wurde in der Nazizeit nach Minsk deportiert und dort in die Grube geschossen, das war November 1941. Im Februar 1943 wurde dann auch noch mein kommunistischer Vater aus dem Nazi-Gefngnis leider entlassen, entlassen allerdings nach Auschwitz, weil er ja nicht nur Widerstandskmpfer war, sondern nebenbei auch noch Jude, und so geriet er in die Gaskammer und flog durch den Schornstein in werwei welche Himmel. Weder Sie noch ich, kein Ei kann sich das Nest aussuchen, in dem es ausgebrtet wird. Sie sind die Tochter eines evangelischen Pfarrers, der in der DDR-Diktatur dem Kaiser gab, was des Kaisers ist. Aber wenn er Ihnen einen tiefen Glauben an den Christen-Gott eingepflanzt hat, dann ist seine Tochter Angela dem Gott der Juden noch nher als ich Sohn eines gottlosen Juden.

Hier, unter uns, in der paradoxen Intimitt der ffentlichkeit, lassen Sie mich in meiner Lobrede ungeniert Tacheles reden. Ich bin als Laudator heute eigentlich im Wortsinn gar kein Lobredner, sondern fast schon ein Bittsteller, bin fr die lebenden und die toten Juden der berbringer und Dolmetzsch einer Petition. Als einzigen Juden unter den bisherigen Leo-Baeck-Preistrgern entdeckte ich den Schriftsteller Ralph Giordano, meinen vershnungsschtigen, aber dennoch streitbaren Freund, der grade in Kln gegen den Bau einer riesigen Moschee anreitet, wie einst Don Quichote von La Mancha gegen eine Windmhle, die er fr einen Riesen hielt.

Wenn ich mir die lange Liste der Preistrger anschaue, dann lese ich fast ausschlielich die Namen von hchst einflureichen Politikern in Deutschland.

Ich hoffe, Sie sehen mir das offene Wort nach: Mir kommt auch Ihre Auszeichnung heute mit dem Leo-Baeck-Preis vor wie eine Bitte um Beistand, ein Appell an Menschen in Deutschland, die Einflu haben auf die Politik der Bundesrepublik gegenber den Juden im eigenen Lande und gegenber dem Staat der Juden im Nahen Osten.

Ich finde auch die Namen so mchtiger Medienmenschen wie Friede Springer und Hubert Burda. Zudem fand ich in der Liste der Leo-Baeck-Preistrger den Namen des Generalbevollmchtigten des Krupp-Konzerns, Berthold Beitz, der im Nazi-Krieg - in der Manier von Oskar Schindlers Liste - seine Juden schtzte. Als Beitz in den eroberten lfeldern der Beskiden wirkte und in Galizien jdische Hftlinge fr Hitlers Kriegswirtschaft ausbeutete, rettete er damit etlichen dieser Arbeitssklaven zugleich das Leben. Voil, man wird bescheiden in diesem weltpolitischen Bestiarium und ist dankbar fr jede menschliche Geste, sogar fr jede Untat, die auf dialektische Weise zum Guten ausschlug.

Der Leo-Baeck-Preis scheint also eine Auszeichnung zu sein, speziell gedacht fr Deutsche, die man bei den Ostjuden a mensch nennt, und a mensch, das heit, wenn man es aus der jiddischen Sprache ins Deutsche bersetzt, nicht etwa ein Mensch, sondern bedeutet immer genau dies: ein guter Mensch. Sie jedenfalls, mssen weder ermahnt, noch gentigt werden. Ihre Reden zum Nahostkonflikt, verehrte Bundeskanzlerin, hren sich in meinem Ohr nicht so sophisticated an wie die Ihres Vorgngers im Amte. Sie bewegen sich in bester Luther-Tradidion: Eure Rede aber sei Ja, ja; Nein, nein. Heilfroh war ich, als ich in diesen Tagen Ihr groes Interview in der Springer-Zeitung DIE WELT las. Ich habe mir die Stelle ausgeschnitten und in mein Arbeitsbuch geklebt wie einen babylonischen Talisman. Sie wurden da zitiert mit einem Statement zum Konflikt mit dem Iran. Nun habe ich es von der Bundeskanzlerin also schwarz auf wei in meiner Kladde:

Wir knnen die Augen vor einer Gefhrdung nicht verschlieen. Ich trete mit Nachdruck dafr ein, dass wir das Problem auf dem Verhandlungsweg lsen, aber dazu mssen wir auch bereit sein, weitere Sanktionen zu verhngen, wenn der Iran nicht einlenkt. Er bedroht die Sicherheit Israels, die fr mich als deutsche Kanzlerin niemals verhandelbar ist. Er bedroht die Region, Europa und die Welt. Das mssen wir verhindern.

Und neben diesen Zeitungsschnipsel notierte ich mir:Im Grunde alles Selbstverstndlichkeiten, die aber leider gar nicht selbstverstndlich sind. Die deutschen Export-Interessen auf dem arabischen Weltmarkt stehn auf dem Spiel! Die Abhngigkeit vom islamischen l lehrt uns das Frchten! Und gleichzeitig fliegt der kleine Zar Wladimir Putin vom date mit der deutschen Bundeskanzlerin direkt von Berlin nach Teheran zu seinem Freund, dem kleinen Hitler A. (Achmedineshad) und verbndet sich demonstrativ mit diesem fanatischen Todfeind der Juden. Unter uns: Ich halte Russlands Stabilisatoren Putin aus deutscher Sicht fr hchst instabil, denn Gasmann Schrders lupenreiner Demokrat kopiert mit solch einer Liaison dangereuse seinen blutigen Vorgnger Stalin, als der sich mit Adolf Hitler 1939 ins Bett legte. Putin vereinbarte grade jetzt ungeniert weitere technische Hilfe und Lieferungen frs iranische Atomprogramm und verspricht den Mullahs obendrein modernere Raketen, mit denen die Atomsprengkpfe, die der Iran bald haben wird, auch weit genug nach Israel und noch weiter nach Europa transportiert werden knnen. Und in der UNO sichert der gelernte Geheimdienstler das Milliarden-Geschft ab durch sein Veto im Sicherheitsrat: Eine perverse Form der Globalisierung. So absurd passieren die Tragdien der Weltgeschichte: Die blinden Helden fhren ihr Schicksal herbei, indem sie es abzuwenden trachten.

Aber der grausame Gott des Zufalls wtet im Geschichtsprozess auch manchmal so verrckt, dass manches sich zum Guten wendet.

Sie, Angela Merkel, kommen mir vor, wie solch ein gelungenes Zufallsprodukt der Weltgeschichte. Der Philosoph Hegel wrde sich schieflachen! Was frn wunderbar meschuggener Weltgeist: Ausgerechnet das Menschenkind Angela aus dem Pfarrhaus, das prima Russisch gelernt hat in der DDR, wo kein normaler Schler Russisch lernen wollte, redet nun Tacheles mit den Russen. Eine Frau, die die Gesetze der Physik studierte in einem Land, wo 2 mal 2 nicht 4 sein durfte - ausgerechnet sie bringt den Grokopfeten der Europischen Union lebensklug wie eine erfahrene Grundschullehrerin das kleine Einmaleins der politischen Moral bei - und dazu das groe Einmaleins einer moralischen Politik. Ausgerechnet eine Frau aus der grten DDR der Welt zeigt den Machtmnnern, dass unsere Erde tatschlich immer kleiner wird, dass unser Planet in Blde eine globale Dorfregierung braucht und dass also die verteufelte Globalisierung die einzige Chance fr uns ist, als Menschheit womglich noch ein paar Jahrtausende auf diesem Erdball durchs Universum zu rollen.

Warum hassen so viele Europer dermaen malos die Juden? Warum halten sie das bedrohte Israel, die einzige Demokratie in der arabischen Region, fr den gefhrlichsten Kriegstreiber in der Welt? Und woher kommt dieser hysterische Ha gegen die USA? Ich wte gern, verehrte Angela Merkel, Ihre Meinung. Eine mgliche Antwort: Die Deutschen haben zwei verbrecherische Kriege vom Zaun gebrochen und verloren, also ziehen sie daraus die dummschlaue Lehre: Pfoten weg! Ich kriegsgebranntes Kommunisten- und Judenkind war immer fr den Frieden, konnte aber niemals ein Pazifist sein. Also hat es mein Herz gefreut, als ich las, was Sie zu diesem heiklen Thema ffentlich uern:

Ein Blick zurck in unsere eigene Geschichte mahnt dazu, den Frieden als wertvolles Gut zu erhalten und alles zu tun, um kriegerische Auseinandersetzungen zu vermeiden. [] Ein Blick in die gleiche Geschichte mahnt aber auch, dass ein falsch verstandener, radikaler Pazifismus ins Verhngnis fhren kann und der Einsatz von Gewalt trotz des damit einhergehenden Leides in letzter Konsequenz unausweichlich sein kann, um noch greres bel zu verhindern. Auch die jngere europische Geschichte zeigt, dass Krieg im Umgang mit Diktatoren zur ultima ratio werden kann. [] Beim Kosovo-Krieg hat eine coalition of the willing durch den Einsatz von Gewalt noch greres Leid [] verhindert.

Ich vermute, dass alle Europer, die Russen eingeschlossen, den USA einfach viel zu viel verdanken. Manchmal kommt es mir so vor, als ob der Mensch Untaten besser aushlt als Wohltaten. Es klingt paradox - aber wir alle wollen doch uns dankbar erweisen fr unsere Helfer und Retter. Der Mensch schmt sich aber, und er wird aggressiv vor allem dann, wenn er keine Chance sieht, sich jemals zu revanchieren. Ohne die groherzige Hilfe der USA htte Hitler in Westeuropa und dann gegen Stalins Sowjetunion den Weltkrieg wahrscheinlich gewonnen. bermchtige Grnde zur Dankbarkeit machen womglich auch die Vlker seelenkrank. Und der Judenha? Er ist so alt, so grauenhaft gediegen. Denken Sie an den genialen Luther , den geifernden Todfeind der Juden. Ja, die Opfer knnen wohl ihren Ttern verzeihn. Aber die Juden werden vor allem gehat wegen der Shoa, weil umgekehrt die Tter ihren Opfern niemals verzeihen knnen, was sie ihnen antaten.

Sie, Frau Merkel, sind in diesem fatalen Zusammenhang etwas gnstiger dran, weil Sie - in echt - die Gnade der spteren Geburt genieen und sich auch nicht noch damit ffentlich berhmen, dass Sie sich beknirschen.

Ihr verblffender Aufstieg vom belchelten Ostmdchen des Kanzlers Kohl zu Schrders Fiasko und nun zu einer weltweit respektierten Frau, das hat, vermute ich, seinen Grund auch in Ihrer lehrreichen Erfahrung als Unterthan in einem totalitren Regime, wie es die DDR war.

Wer von klein auf in einer totalitren Diktatur lebte, hat die Freiheit, weil er sie frchtet, oder aber: er liebt die Freiheit mit umso grerer Inbrunst.

Gewiss, Sie sind ein Ostmensch, aber kamen mir nie wie ein Ossi vor. Sie sind lngst eine Deutsche geworden, die in keine West- oder Ost-Schublade reinpat. Mit Verlaub, mein Fall ist hnlich. Unsereins qult die Frage wohl noch tiefer als einen geborenen Demokraten: Wo sind die Grenzen der Freiheit. Darf unsere Toleranz immer wieder so weit gehn, dass die Intoleranz triumphiert? Gelten demokratische Freiheitsrechte auch fr Freiheitsfeinde?

Gut, das wre die Freiheitsfrage - wie aber steht es mit der Judenfrage. Auch diese Erfahrung haben Sie und ich gemein: Wir lebten in einem Staat, dessen Politik nach innen wie nach auen ein praktizierter Antisemitismus war, der allerdings so cool funktionierte wie bei Orwell im Roman 1984 die Neusprech-Sprache: Offiziell wurde den Brgern jeglicher Antisemitismus verboten, aber als Antizionismus umgetauft, war der Judenha Staatsdoktrin nach innen und auen. Das Ministerium fr Staatssicherheit unter Mielke und Markus Wolf baute dem fanatischen Todfeind Israels, einem der eifrigsten Endlser der Judenfrage, Yassir Arafat, seine diversen untereinander abgeschottet verschachtelten Geheimdienste auf.

Wer den Nahen Osten kennt, der wei: Wenn die Araber endlich ihre Waffen niederlegen, wird es dort keinen Krieg mehr geben. Wenn aber Israel die Waffen niederlegt, wird es kein Israel mehr geben.

Viele Europer neigen dazu, Juden und Araber als Streithhne zu sehn, als Raufbolde, die man mit der Rute der Vernunft zur Raison bringen mu. Den Israelis wird zudem raffinierte Hinterlist unterstellt, und den Arabern eine aufbrausende Unmndigkeit zuerkannt.

Sie, Frau Bundeskanzlerin, brechen mit dieser infamen und infantilen quidistanz. Als ich mir Ihre statements zu Israel anschaute, fand ich ein Wort, das mich berhrte:

Wir haben erst spt gelernt - und ich sage das fr mich auch persnlich - wie unermelich viel Deutschland durch die Shoa verloren hat und wie viel Liebe deutscher Juden zu diesem Land unerwidert geblieben ist.

Einer von den Juden, die zu Deutschland eine dermaen tragisch unerwiderte Liebe lebten, war der Rabbiner Leo Baeck. Ja, er war das Musterexemplar eines extrem deutschen Juden. Er liebte Deutschland ber alles. Und er verkrperte alle deutschen Tugenden, fr die so deutsche Juden in Israel bis heute von den lebensklgeren Ostjuden und von den lebenslustigen sephardischen Juden bewundert werden und belchelt und verspottet. So preuisch korrekt, so pflichtbewut, so pnktlich, so penibel, dermaen gutbrgerlich und ordnungsliebend bis ber den Rand der Lebensdummheit waren nur diese assimilierten und akkulturierten Juden aus Deutschland.

Wre Leo Baeck bei seinem Besuch noch im Jahre 1936 in Palstina geblieben, dann htte man ihn dort in Erez Israel als einen dieser typischen Jekke-Juden angesehn. Er kehrte von der kurzen Reise aber zurck nach Nazi-Deutschland, weil er, zweitens, so extrem deutsch war und erstens, weil er sich als Seelsorger und als vterlicher Helfer in grter Not den Juden im deutschen Vaterland verpflichtet fhlte. Auch als er 1939 die Gelegenheit hatte, zu Verhandlungen nach London zu reisen, brachte er sich dort nicht in Sicherheit, sondern kehrte zu seinen Leidensgenossen in die Mrdergrube Deutschland zurck. Er organisierte die Rettung von jdischen Kindern ins Ausland, verhandelte mit der Gestapo, besorgte Psse, Genehmigungen, soziale Hilfe und Geld.

So kam es, dass Leo Baeck 1943 als Nr. 187894 deportiert wurde ins KZ Theresienstadt, ein so genanntes Sonder- oder auch Vorzugs-KZ in der Nhe von Prag, wo die Juden massenhaft starben an Hunger und Krankheiten und von wo die Menschen zur Vergasung nach Auschwitz in Gterzge gepfercht wurden. Ein Wunder: Im KZ Theresienstadt gehrte der Greis Leo Baeck am Tag der Befreiung zu den berlebenden. Und ich glaube, er berlebte nur, weil er den Todgeweihten dort mit stoischer Disziplin und treudeutscher Innigkeit die Werke von Goethe und Immanuel Kant und Gottes Tora predigte.

Ja, dieser Leo Baeck war der Typ eines national gesinnten Patrioten. Von meinem Freund, dem Historiker des jdischen Widerstandes in der Nazizeit, von Professor Arno Lustiger in Frankfurt am Main, wei ich, dass Leo Baeck freiwillig in den 1. Weltkrieg zog. Als Front-Rabbiner ritt er furchtlos bis zu den vordersten Schtzengrben und betreute seelsorgerisch das jdische Kanonenfutter: deutsche Soldaten, die dort fr Kaiser und Vaterland in den sinnlosen Tod gingen. Es wird vom Namenspatron des Preises, der Ihnen heute bergeben wird, berichtet, dass er in letzter Minute vor seinem Abtransport ins KZ, als er im Jahre 1943 die Schlssel seiner Wohnung und eine vollstndige Liste mit dem Inventar an Bchern, Mbeln, Geschirr, Wertsachen und Sparbcher und Bargeld hatte abgeben mssen, noch schnell vorher seine letzte Gasrechnung bezahlt hat.

Es gab vor einiger Zeit Streit um eine Expertise, an der Leo Baeck gearbeitet hat, eine Auftragsarbeit der Gestapo des Reichssicherheitshauptamtes. Er arbeitete von 1938 bis 1941 an dieser Schrift: Die Entwicklung der Rechtsstellung der deutschen Juden in Europa, vornehmlich Deutschland. Nach dem Ende des Krieges hatte Leo Baeck gelogen, dies sei eine wissenschaftliche Arbeit gewesen, die er im Auftrage rechtskonservativer Nazi-Gegner (also im Auftrage des in Pltzensee hingerichteten deutschnationalen Widerstndlers Friedrich Goerdeler) verfat habe.

Hanna Arendt schimpfte ihn... the Fuehrer of the german jews . Dass Hannah Arendt den Rabbiner Beck im englischen Text als Fhrer schmhte, zeigt den Grad der Erbitterung in dem Streit um die herzzerreiende Frage: Waren solche Leute wie etwa auch der Vorsitzende des Judenrates im Warschauer Ghetto, der Ingenieur Adam Tschernjakow, Kollaborateure der Nazis oder nicht.

Ich kenne dies Problem ganz gut aus dem Poem des Jizchak Katzenelson Dos Lid funem ojsgehargetn jidischn volk. Der jiddische Dichter Katzenelson verurteilt in seinem Groen Gesang vom ausgerotteten jdischen Volk den Vorsitzenden des Judenrates im Ghetto Warschau als Kollaborateur der Deutschen. Die historischen Dokumente und berlebende Zeitzeugen wie Marcel Reich-Ranicki beweisen indes, dass dieses vernichtende Urteil zwar verstndlich, aber dennoch ganz und gar falsch und ungerecht war.

Soweit die Forschung inzwischen wei - und soweit ich es beurteilen kann - war der Rabbiner Leo Baeck ganz und gar kein jdischer Hund Hitlers. Im Gegenteil, er war ein Deutscher, der sein Land und seine Kultur liebte und der also doppelt: nmlich als verfolgter Jude und als deutscher Patriot die Nazis hate und verachtete und der jede Form des Widerstandes wagte, die ihm mglich war.

Verehrte Angela Merkel, ich kann Sie ohne Falsch so nennen, denn es ehrt Sie, dass Sie sich so behutsam und beharrlich einmischen in dem Konflikt der beiden Shne des Stammvaters Abraham: den Brdern Ismael und Isaak. Diese Halbbrder gelten als die Ur-Vter der arabischen Vlker und des Volkes der Juden. Seit Jahrtausenden liegen sie im Familien-Streit. Und dieser Bruderkrieg wird lnger dauern als wir dauern. Es ist unsere mh-selige und not-wendige und also zuverlssig undankbare Aufgabe, den Juden und den Arabern zu helfen. Wir knnen mildern, wir sollen vermitteln, aber nicht als Quacksalber der Weltgeschichte Wunderkuren verordnen.

Bei Gelegenheit will ich Ihnen ein neues Lied vorsingen ber genau diesen heillosen Familienkrieg im Nahen Osten, da heit es am Schlu

Roter Mond ber Banyuls sur Mer

....- wir alle sind ja reingezogen in den KriegDer beiden Shne aus dem Samen Abrahams

CoupletDas sind Tragdien der andern ArtDa hilft kein gut gemeinter RatDa hilft kein TreueschwurKein frommer FluchKein kluggeschissnes Friedens-BuchDa hilft kein Aufschrei in der WeltKein feige abgedrcktes Geld(Schon gaanich Biermann seine Gedichte)Konflikte dieser KategorieFr die gibts keine Lsung. Nie!Die haben nur eine Geschichte