15
Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess Ergebnisse eines Simulationsspiels im Unterricht

Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess · Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess · Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“

Demokratietransfer 2

2

3

Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel

Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer ProzessErgebnisse eines Simulationsspiels im Unterricht

Page 2: Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess · Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“

Andreas Petrik / Anke Köhler / Jannis Hentschel

Lernort Schule:die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess

Ergebnisse eines Simulationsspiels im Unterricht

Page 3: Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess · Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“

Prof. Dr. Andreas Petrik, Lehrstuhl für Didaktik der Sozialkunde an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Jannis Hentschel, Gymnasiallehrerin für Sozialkunde und Biologie, Delitzsch

Anke Köhler, Gymnasial-Referendar für Sozialkunde, Geschichte und Geografie, Berlin

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

CLXXVII

© Universitätsverlag Halle-Wittenberg, Halle an der Saale 2018

Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

ISBN 978-3-86977-176-2

Page 4: Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess · Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“

Vorbemerkung 5

Vorbemerkung

Zum 1. Juli 2012 nahm die Transferstelle Demokratieforschung und Demokratie-politik am Zentrum für Sozialforschung e.V. (ZSH) an der Martin-Luther-Univer-sität Halle-Wittenberg ihre Arbeit auf. Das Ministerium für Wissenschaft undWirtschaft des Landes Sachsen-Anhalt hat die hier angesiedelte Forschungsarbeitvon 2012 bis 2016 finanziert.

Der Transferstelle war laut Vorhabenbeschreibung aufgegeben, vorliegende Be-funde zur lokalen bzw. regionalen Partizipationsforschung fortzuentwickeln unddas generierte Wissen in die gesellschaftliche und politische Praxis zu transferieren.Dieses Ziel wurde in drei parallel arbeitenden Teilprojekten verfolgt. Zum einenwurde im Teilprojekt „Lokale Bedingungen bürgerschaftlichen und politischen En-gagements“ mit Hilfe einer Bevölkerungsumfrage in 60 Gemeinden unterschied-licher Größe und Struktur Sachsen-Anhalts untersucht, inwieweit die sozialräum-liche Umwelt der Menschen, also die so genannten Kontextbedingungen, sichfördernd oder hemmend auf die Bereitschaft auswirken, sich bürgerschaftlich und/oder politisch zu engagieren. Inhaltlich und methodisch knüpfte die Untersuchungan die Vorläuferprojekte „Raumwirksame Perspektiven des demografischen Wan-dels“ sowie „Demografie und Demokratie“ an, die seit 2010, finanziert vom SFB580 (Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch) der DeutschenForschungsgemeinschaft (DFG) und ebenfalls vom Land Sachsen-Anhalt, an denUniversitäten Halle und Jena realisiert worden sind. Fragestellungen und teilweiseauch empirische Ergebnisse dieser Vorgängerprojekte sind in den hier vorgelegtenAbschlussberichts des Teilprojekts eingegangen.1

An Projektentwicklung und Projektdurchführung waren beteiligt: Prof. Dr.Everhard Holtmann (ZSH), Prof. Dr. Rainer K. Silbereisen (Zentrum für ange-wandte Entwicklungswissenschaft/CADS an der Universität Jena), PD Dr. MariaK. Pavlova (CADS), Dr. Astrid Körner, Dr. Sebastian Grümer, Thomas Ritter und

1 Als separate Kurzanalyse liegt vor: Everhard Holtmann/Rainer K. Silbereisen/Tobias Jaeck/MariaK. Pavlova/Astrid Körner: Wasserzeichen. Zusammenhalt in der Flutkatastrophe. Ergebnisse einerBevölkerungsumfrage über das Ausmaß sowie die Bewertung von Flutschäden und Fluthilfe im Juni2013 in Sachsen-Anhalt, Halle 2013.

Page 5: Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess · Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“

6 Vorbemerkung

Karina Weichold (sämtlich Univ. Jena), Dipl. Soz.Wiss. Maik Runberger (SFB 580,Halle), Dipl.Soz. Tobias Jaeck und Rebekka Heyme M.A. (beide ZSH).2

In einem zweiten Teilprojekt des Transferzentrums, betitelt „Demokratischhandeln lernen in der Dorfgründungssimulation“ wurde in dem Zeitraum vonHerbst 2012 bis Herbst 2014 an zwei Pilotschulen sowie 4 Sekundarschulen inSachsen-Anhalt das Lernspiel „Dorfgründung“ in die schulische Praxis eingeführt.Ziel der Simulation war es, das Demokratiebewusstsein und die demokratischeHandlungsfähigkeit von Jugendlichen zu initiieren und nachhaltig zu stärken. Diewissenschaftliche Auswertung des Schulprojekts sollte in einen Leitfaden für Lehr-kräfte münden, verwendbar im Sozialkundeunterricht und in der außerschulischenBildung. Bearbeiter_innen dieses Teilprojekts waren Prof. Dr. Andreas Petrik, AnkeKöhler und Jannis Hentschel (sämtlich Professur für Didaktik der Sozialkunde ander Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg).3

In dem dritten Teilprojekt der Transferstelle, mit dem Logo „Praxisprojekt Die-Wählerischen.de“ ging es darum, mittels selbstbestimmter netzbasierter Kommu-nikation Demokratie zu lernen. Auf der eigens dafür seit 2012 entwickelten dis-kursiven Online-Plattform Die-Waehlerischen.de wurden „Macher“ mit Nutzern,vorwiegend Jugendlichen und jungen Erwachsenen, diskursiv zusammengeführt.Die Plattform kam in der Vorwahlzeit der Landtagswahlen vom März 2016 zumEinsatz. Bearbeiter_innen dieses Teilprojekts waren Prof. Dr. Ilona Wuschig, Cons-tanze Arnold und Jana Dornfeld (Fachbereich Kommunikation und Medien derHochschule Magdeburg-Stendal).

In der hier vorgelegten Publikation sind die Ergebnisse der drei Teilprojekteausführlich dokumentiert. Sie werden als gesonderte Teilbände unter dem gemein-samen Titel Demokratietransfer vorgelegt. Die Autor_innen danken der DeutschenForschungsgemeinschaft und dem Land Sachsen-Anhalt für die finanzielle Förde-rung. Mit der Veröffentlichung der Projektbefunde verbunden ist die Hoffnung

2 Als wissenschaftliche Aufsätze sind erschienen: Maria K. Pavlova/ Rainer K. Silbereisen: SupportiveSocial kontexts and Intentions for Civic and Political Participation: An Application oft he Theoryof Planned Behaviour, in: Journal of Community and Applied Social Psychology (2014) – Dies.:Coping with occupational uncertainty and formal volunteering across the life span, in: Journal ofVocational Behavior 85 (2014), 93–105 – Dies.: Factual Versus Potential Civic Participation in aPost-Communist Region: A Typological Approach, in: Voluntas, published online 05. August 2014.

3 Als wissenschaftliche Aufsätze sind erschienen: Andreas Petrik: Die Argumentationsanalyse als Ins-trument zur Rekonstruktion latent rechtsextremistischer Politisierungstypen, in: Ders. (Hrsg.), For-mate fachdidaktischer Forschung (Schriftenreihe der Gesellschaft für Politikdidaktik und politischeJugend- und Erwachsenenbildung), Schwalbach/Ts. 2015, S. 176–188 – Ders.: Demokratie undNicht-Demokratie im Politikunterricht. Einordnungsversuche der NPD in einer Sekundarschule mitNPD-affinen Schülern, in: Bartels, Hans-Peter/Friedrichs, Werner/Lange, Dirk (Hrsg.), Demkratie-politik, Wiesbaden 2016, S. 159–179.

Page 6: Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess · Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“

Vorbemerkung 7

dazu beitragen zu können, dass die Demokratie als Idee und als Praxis bürger-schaftlicher Beteiligung in Sachsen-Anhalt stärker verankert wird.

Halle, im November 2017

Page 7: Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess · Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“

Inhaltsverzeichnis 9

Inhaltsverzeichnis

1. Ziel und Verlauf des Teilprojekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1.1 Forschungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.2 Erhebungsinstrument Dorfgründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.3 Beteiligte Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.4 Zeitaufwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.5 Beteiligte Lehrerinnen und Lehrer (Auswahl, Vor- und Nachbereitung) 141.6 Datenerhebung (Koordination und Logistik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141.7 Aufbereitung der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2. Auswertungsfokus: Rechtsextremistische Einstellungsmuster im Sozialkundeunterricht . . . . 17

2.1 Das Konzept „gruppenbezogene Ungleichwertigkeitsvorstellungen“ . 172.2 Anpassung des Settings an die Problemdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . 192.3 Analyse des Syndroms gruppenbezogener Ungleichwertigkeits-

vorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202.4 Sokratische Lehrerrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

3. Klassenbezogene Erhebungsverläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3.1 Klassen 1 bis 4: Erschütterung von Ungleichwertigkeitsvorstellungen 233.2 Klasse 5: Probleme mit der sokratischen Lehrerrolle . . . . . . . . . . . . . 283.3 Klasse 6: Die Dorfgründung als Motor für soziales Lernen

gegen Mobbing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

4. Zusammenfassung der zentralen Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

4.1 Schülerinnen und Schüler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334.2 Methodisches Setting der Dorfgründungssimulation . . . . . . . . . . . . . 344.3 Die sokratische Lehrerrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Page 8: Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess · Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“

10 Inhaltsverzeichnis

4.4 Schwerpunkt rechtsextremistische Einstellungsmuster . . . . . . . . . . . . 354.5 Folgen für die Lehrerbildung in Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . 37

5. Leitfaden zur Lehrerbildung: Vier rechtsextremistische Argumentationstypen und sieben sokratische Interventionsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

5.1 Rechtsextremistische Argumentationstypen im Sozialkundeunterricht 395.2 Lehrerstrategien zum Umgang mit rechtsextremistischen

Argumentationstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

Page 9: Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess · Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“

1.1 Forschungsziel 11

1. Ziel und Verlauf des Teilprojekts

1.1 Forschungsziel

Das Teilprojekt umfasst eine Interventionsstudie mit zwei Hauptzielen: Erstens sollmit Hilfe von Dorfgründungs-Simulationen an verschiedenen SekundarschulenSachsen-Anhalts das demokratische Bewusstsein und die demokratische Hand-lungsfähigkeit von Jugendlichen initiiert und nachhaltig gestärkt werden. Dabeistehen Schulen im Vordergrund, deren Schülerinnen und Schüler (etwa bei Junior-wahlen) eine hohe Affinität zur NPD zeigen. Zweitens soll die wissenschaftlicheAuswertung der damit angestoßenen individuellen und kollektiven politischenLernprozesse in einen praxisnahen Leitfaden zur Demokratieförderung münden,verwendbar in der Lehreraus- und Fortbildung sowie für Trainer-Fortbildungen inder außerschulischen politischen Bildung. Dieser Leitfaden soll a) verschiedenerechtsextremistische Argumentationstypen unterscheiden helfen und b) unter-schiedliche Lehrstrategien zum Umgang mit ihnen aus erhobenen Unterrichtssze-nen ableiten.

1.2 Erhebungsinstrument Dorfgründung

Den Forschungsrahmen bildet die vielfach in Schule und Lehrerbildung eingesetzte,25-stündige Lernumgebung "Dorfgründung" (Petrik 2007; 2011, 2013; als Regie-buch mit Materialien und Durchführungsdokumentationen in Vorbereitung, vgl.Petrik 2018): Schüler und Schülerinnen stellen sich vor, ein imaginäres verlassenesPyrenäendorf als „politisches Vakuum“ neu zu besiedeln. Diese Ursprungssitua-tion veranlasst sie zu klären, wie sie Entscheidungen treffen, Güter und Einkom-men verteilen, wirtschaftliche Prozesse organisieren, plurale Sinnvorstellungen ineinen (ehemals katholischen) Kirchenraum integrieren, mit Flüchtlingen undZuwanderern aus fremden Kulturen umgehen wollen usw. Die Simulation bestehtaus drei Akten:

Page 10: Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess · Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“

12 1. Ziel und Verlauf des Teilprojekts

Abb. 1: Das Dorf-Szenario als politischer Mikrokosmos

1. Im ersten Akt entdecken die Schülerinnen und Schüler eigene und fremdelatente Wertorientierungen, lernen sie argumentativ zu begründen sowiefremde Begründungen nachzuvollziehen und mit demokratischen Verfahren(Geschäftsordnung, Abstimmungsregeln usw.) abzugleichen. Auf einer aufdem Boden markierten Streitlinie lernen sie, Pro- und Kontraargumente fürdie Lösung bestimmter dilemmahafter Dorfprobleme zu vertreten – etwa zuder Frage, ob die Dorfgemeinschaft muslimische Flüchtlinge aufnehmen soll.

2. Im zweiten Akt erschließen die Schülerinnen und Schüler unser heutigesdemokratisches Parteienspektrum über die Beschäftigung mit dessen ideellenGrundfiguren: Wie würde ein liberales, konservatives, sozialdemokratischesbzw. demokratisch-sozialistisches und ein grün-libertär-basisdemokratischesDorf aussehen? Jede dieser Grundideen wird über Rollenspiele von innen her-aus erschlossen (Perspektivenübernahme). Am Ende wird der politische

Kompass als Instrument eingeführt, um politische Bewegungen, Parteien undIndividuen verorten zu können. Es handelt sich hierbei um ein Koordinaten-system aus der Parteienforschung (vgl. Kitschelt 1992), dessen y-Achse zwi-schen basisdemokratischen und autoritativen Herrschaftsvorstellungenunterscheidet und dessen x-Achse Umverteilungs- und Regulierungsvorstel-lungen von Deregulierungsmaßnahmen in der Wirtschaftspolitik abgrenzt.

Haus 2 bis 4: (eh. Käserei, Schlachterei &

Schreinerei) je 3 Doppelzimmer á 20 m²

Wohnküche, WC, Waschbecken, Gasheizung, verschiedene Geräte

Haus 1: (eh. Großgrundbesitzer

& Bürgermeister) 3 Zimmer à 24 m2

Wohnzimmer, Küche, WC, Badewanne, Gasheizung

Schul- und Gemeindehaus

1 Saal (28 m²), Gefängnis- zelle (4 m²), Tische und Stühle

Haus 5 & 6: (eh. Feldarbeiter & Hirten)

je 4 Betten, 12 m2, Holzofen, Plumpsklo

Stall 25 m2, verschiedene Gatter und Geräte (Sensen, Harken,

Spaten, Pflug)

Werkstatt 20 m2, einfache Werkzeuge

Montréjeau 31 km (6 km Eselspfad, dann Landstraße)

Dorfplatz mit Brunnen

Ackerland (1 ha)

Armut Reichtum

Soziale Ungleichheit

Religion Produktions-

mittel

Markt zur Güterverteilung

Bildung

Legislative Exekutive Judikative

Zusammenleben in Abgeschiedenheit

Produktions- mittel

Page 11: Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess · Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“

1.3 Beteiligte Schulen 13

3. Im dritten Akt schließlich üben die Jugendlichen den schwierigen Transferdes erworbenen demokratischen Ideen-Wissens auf aktuelle parteipolitischeKonflikte. Hier werden Hartz-IV als verteilungspolitischer und die Homo-Ehe als gesellschaftspolitischer Konflikt diskutiert. Dabei schlüpfen dieJugendlichen in die Rolle von Parteivertretern und diskutieren in einer ArtTalkshow-Simulation (Fishbowlverfahren). Die Jugendlichen lernen, jededemokratische Grundrichtung nebst zugehöriger Parteifamilie als legitimenLösungs-Beitrag mit nachvollziehbaren Begründungen anzuerkennen.Zugleich lernen sie die NPD als Sonderfall einer Partei kennen, die ein demo-kratisch klingendes Programm mit antidemokratischen Zielen verbindet. AmEnde reflektieren die Jugendlichen die Entwicklung ihrer politischen Wert-haltung und ihrer Vorstellung von Demokratie.

1.3 Beteiligte Schulen

Die Erhebungen fanden im Zeitraum von Herbst 2012 bis Herbst 2014 an zweiPilotschulen sowie vier Sekundarschulen in Sachsen-Anhalt statt. Insgesamt konn-ten acht Durchläufe dokumentiert werden, da wir an zwei Schulen mit Parallelklas-sen arbeiten konnten.

Bei den Pilotschulen, die wir als Vergleichshorizonte mit anderem Klientel ge-wählt haben, handelt es sich jeweils um die Jahrgangsstufe 9 einer Gesamtschul-und einer Gymnasialklasse in Großstadtlage. Die sechs dokumentierten Sekundar-schulklassen verteilen sich wie folgt: Zwei Schulklassen der Jahrgangsstufe 10 ineiner Landstadt im Norden Sachsen-Anhalts, zwei Schulklassen der Jahrgangsstufe9 in einer Mittelstadt im Norden Sachsen-Anhalts, eine Schulklasse der Jahrgangs-stufe 9 in einer Mittelstadt im Süden Sachsen-Anhalts und eine Schulklasse derJahrgangsstufe 10 in einer Mittelstadt im Osten Sachsen-Anhalts.

1.4 Zeitaufwand

Zur Implementierung der Simulation in den schulischen Organisationsalltag wur-den in allen Schulklassen jeweils zwei Projekttage und mehrere Doppelstundendurchgeführt. Die Eingliederung dieser Stundenplanung in die Stundentafel derjeweiligen Schule oblag dabei der Eigenverantwortlichkeit der beteiligten Lehrkräf-te.

Während die Projekttage jeweils dem Ein- und Ausstieg der Simulation dientenund circa sieben Unterrichtsstunden benötigten, fanden die Doppelstunden zwi-

Page 12: Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess · Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“

14 1. Ziel und Verlauf des Teilprojekts

schen den Projekttagen statt. An den Sekundarschulen umfasste die Zahl der Dop-pelstunden üblicherweise vier (d.h. acht Unterrichtsstunden), wobei ein hitzebe-dingter Stundenausfall an einer Sekundarschule zu einer einmaligen Erhöhung aufinsgesamt fünf Doppelstunden (d.h. zehn Unterrichtsstunden) führte. Somit betrugder unterrichtliche Zeitaufwand durchschnittlich 22 Unterrichtsstunden.

1.5 Beteiligte Lehrerinnen und Lehrer (Auswahl, Vor- und Nachbereitung)

Die Mitwirkung der Lehrkräfte erfolgte ausnahmslos freiwillig, war aber für dieSekundarschullehrerinnen mit der unbedingten Teilnahme an einem entspre-chenden Fortbildungsseminar (11.–13.7.2013) verbunden. Dieses Seminar dienteder didaktisch-methodischen Vorbereitung auf die Simulation und bezog inhalt-liche Komponenten wie auch erste Erkenntnisse aus den Pilotschulen mit ein. DieLehrerinnen und Lehrer konnten hierbei zentrale methodische Phasen der Simula-tion aus der Schülerperspektive erfahren, um ein Gespür für deren Lernwirkungenzu erlangen. Ergänzt wurde dies durch intensive individuelle Beratungen, die deneinzelnen Lehrkräften die Möglichkeit einräumten, die konkrete Planung derUnterrichtseinheit gemeinsam mit den Projektverantwortlichen detailliert zubesprechen. Hierbei standen vor allem mögliche Problemstellen sowie entspre-chende didaktisch-methodische Hinweise für die an die jeweilige Klasse angepassteDurchführung und den Verlauf des Unterrichts im Fokus. Im direkten Anschlussan die Projekttage bzw. Doppelstunden wurden alle Lehrkräfte im Rahmen halb-standardisierter Interviews sowohl zu ihren persönlichen Eindrücken als auch hin-sichtlich ihrer pädagogischen und didaktischen Beobachtungen befragt.

1.6 Datenerhebung (Koordination und Logistik)

Die Dokumentation der Simulation erfolgte in Form von Videoaufzeichnungen,wofür jeweils drei- bis vierköpfige Projektteams vor Ort zum Einsatz kamen. Zudiesen Teams zählten neben den studentischen Hilfskräften auch der Projektleiter(Prof. Dr. Andreas Petrik) und/ oder einer seiner MitarbeiterInnen (Anke Köhler,Jannis Hentschel, kurzzeitig auch Mirko Bischoff). Die Anwesenheit des Projekt-leiters bzw. seiner MitarbeiterInnen diente neben der Beteiligung an der Videodo-kumentation insbesondere der Koordination der projektbezogenen Aufgaben vorOrt, der Beratung bei schwierigen Unterrichtssituationen, der Sicherstellung der

Page 13: Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess · Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“

1.7 Aufbereitung der Daten 15

benötigen Videoqualität (z.B. passende Aufnahmewinkel oder Einstellungen)sowie der Durchführung der nachträglichen Interviews mit den beteiligten Lehr-kräften. Letztere wurden ebenso videografiert.

Das Unterrichtsgeschehen wurde aus zwei unterschiedlichen Perspektiven, d.h.durch den parallelen Einsatz zweier digitaler Videokameras aufgezeichnet. DiesesVorgehen verhinderte einerseits inhaltliche Verluste verbaler Äußerungen (z.B. auf-grund der Raumakustik, der Entfernung der Akteure von der Kamera oder ihrerSprechrichtung) und erleichterte damit die anschließende Transkription. Anderer-seits konnte auf diese Weise aber auch die Dokumentation nonverbaler Reaktionenund Gesten optimiert werden. Die nachträglichen Interviews mit den beteiligtenLehrkräften wurden hingegen nur durch eine Videokamera aufgezeichnet.

Entsprechend dieser Ausgangslage und unter Berücksichtigung der jeweiligenSchulstandorte wurde die Koordination und der Transport der Projektteams undder entsprechenden technischen Ausstattung (u.a. Videokameras, Kamerastative,Kabeltrommeln) notwendig. Zusätzlich erforderten die Aufnahmen in den beidenSekundarschulen (4 Schulklassen) im Norden Sachsen-Anhalts mehrfache Über-nachtungen sowie die Inanspruchnahme entsprechender Versorgungsleistungenvor Ort.

Die von den Schülerinnen und Schülern im Unterricht erstellten Lerntagebücherund Kompetenztests wurden in Form von Scans digitalisiert und anschließend inein offenes Dateiformat umgewandelt (Abschrift in Word) und entsprechend gesi-chert.

Weiterhin erfolgte in einem zusätzlichen Schritt die Durchführung nachträg-licher Interviews mit ausgewählten Schülerinnen und Schülern. Diese Interviewsfanden am jeweiligen Schulstandort, aber mit einem zeitlichen Abstand zu den je-weiligen Unterrichtsaufnahmen statt. Sie erfolgten durch den Projektleiter oderseine MitarbeiterInnen und wurden mittels Diktiergerät (Audiodatei) aufgezeich-net.

1.7 Aufbereitung der Daten

Im Anschluss an die jeweiligen Unterrichtsstunden wurden die hochqualitativenVideoaufzeichnungen im Originalformat (.mov) auf mehreren externen Festplattengesichert sowie durch entsprechende Programme in weniger speicherintensiveDateiformate (.mp4) konvertiert. Zu Auswertungszwecken mussten zudem einigeVideos mithilfe entsprechender Programme bearbeitet werden.

Page 14: Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess · Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“

16 1. Ziel und Verlauf des Teilprojekts

Erst nach dem erfolgreichen Abschluss der Videobehandlung und Datensiche-rung wurde die Transkription dieser Videodateien (kriteriengeleitete Abschrift desVideomaterials aus der Simulation und den Interviews mit den Lehrkräften) an stu-dentische Hilfskräfte delegiert und von diesen umgesetzt. Die nachträgliche Ano-nymisierung und Korrektur dieser Transkripte oblag wiederum den Projektmitar-beiterInnen. Auf diese Weise entstanden pro Lerngruppe etwa zwischen 800 – 1000Seiten Transkriptionsmaterial.

Neben den Transkripten (aus der Simulation und den Interviews) erstellten diestudentischen Hilfskräfte auch Dateien mit Schlüsselbeiträgen der einzelnen Schü-lerinnen und Schüler. Dies erfolgte ebenfalls unter Berücksichtigung konkreter Vor-gaben und diente, in Form der fertigen Dateien, ebenso der Analyse sowie der Vor-bereitung (Personenauswahl und Fragenerstellung) auf die Interviews mit denSchülerinnen und Schülern.

Auch die Audiodateien der Interviews wurden transkribiert und auf diese Weiseder Analyse zugängig gemacht.

Page 15: Lernort Schule: die „Dorfgründung“ als demokratischer Prozess · Demokratietransfer 2 2 3 Andreas Petrik/Anke Köhler/Jannis Hentschel Lernort Schule: die „Dorfgründung“

www.uvhw.de

ISBN 978-3-86977-176-2

Das Teilprojekt „Lernort Schule: die ‚Dorf-gründung‘ als demokratischer Prozess“ umfasst eine Interventionsstudie mit zweiHauptzielen:

Erstens sollen mit Hilfe von Dorfgründungs-Simulationen an verschiedenen Sekundar-schulen Sachsen-Anhalts das demokratischeBewusstsein und die demokratische Hand-lungsfähigkeit von Jugendlichen initiiertund nachhaltig gestärkt werden. Dazu stellensich die Schülerinnen und Schüler vor, einab gelegenes leerstehendes Bergdorf neu zubesiedeln, und debattieren in mehreren Dorf -versammlungen, wie sie ihr Leben politischund ökonomisch gestalten wollen. Darausergeben sich regelmäßig hitzige Auseinander -setzungen über konträre politische Gestal-tungsideen. Etwa zur Frage, ob Gemeineigen -tum bzw. starke steuerliche Umverteilungeingeführt werden oder ob der Lebensstan-dard jedes Bewohners primär von individu-eller Leistung abhängen sollte.

Für die Erhebung haben wir solche Schulenausgewählt, deren Schülerinnen und Schüler(etwa bei Juniorwahlen) eine hohe Affinität

zur NPD zeigen. Wir konnten per Argumen-tationsanalyse ermitteln, wie für Rechts -popu lismus anfällige Jugendliche ihre Auf-fassungen begründen, wie sie mit Anders-denkenden umgehen und wie ihre demokra-tisch eingestellten Mitschüler auf dieserechtspopulistischen Argumentationen rea-gieren. Ein wichtiges Ziel war die argumen-tative Stärkung der demokratisch eingestelltenMehrheit in den Klassen.

Zweitens hat die wissenschaftliche Auswer-tung der Transkriptionen der Interaktionenim simulierten Dorf uns ermöglicht, vierrechtspopulistische Politisierungstypen zuunterscheiden, die von eher harmlosen Provokateuren über für Gegenargumentezugäng liche Jugendliche bis hin zu manifestenNationalisten und Ausländerfeinden reichen.Aus den Lehrerimpulsen im Unterricht habenwir schließlich sieben Lehrerstrategien zumUmgang mit rechtspopulistischen Argumen-tationsweisen entwickelt.