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Leseprobe aus:

ISBN: 978-3-499-27467-1Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf www.rowohlt.de.

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Astrid Fritz studierte Germanistik und Romanistik inMünchen, Avignon und Freiburg. Als Fachredakteurinarbeitete sie anschließend in Darmstadt und Freiburg undverbrachte mit ihrer Familie drei Jahre in Santiago de Chile.Zu ihren großen Erfolgen zählen «Die Hexe von Freiburg»,«Die Tochter der Hexe» und «Die Vagabundin». Astrid Fritzlebt in der Nähe von Stuttgart.

«Flott erzählt, Spannungsbogen bis zum Schluss: In allenihren Büchern macht Astrid Fritz es dem Leser sehr leicht,in die Geschichte und die Zeit des frühen 15. Jahrhundertseinzutauchen.» (Histo-Couch)

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ASTRID FRITZ

Der HexenjägerHistorischer Roman

Rowohlt Taschenbuch Verlag

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OriginalausgabeVeröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag,

Reinbek bei Hamburg, Dezember 2018Copyright © 2018 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke / Cordula SchmidtUmschlagabbildung bpk, John Foley / Trevillion Images,

The Travellers, 1836 (oil on canvas), Christian ErnstBernhard Morgenstern (1805-67) / Private Collection /

 Photo © Christie’s Images / Bridgeman ImagesSatz aus der Adobe Garamond bei

Pinkuin Satz und Datentechnik, BerlinDruck und Bindung CPI books GmbH, Leck, Germany

ISBN 978 3 499 27467 1

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«Es ist ein überaus gerechtes Gesetz, dass die Zauberin-nen getötet werden, denn sie richten viel Schaden an, wasbisweilen ignoriert wird; sie können nämlich Milch, But-ter und alles aus einem Haus stehlen, indem sie es aus ei-nem Handtuch, einem Tisch, einem Griff melken, das einoder andere gute Wort sprechen und an eine Kuh denken.Und der Teufel bringt Milch und Butter zum gemolkenenInstrument. Sie können ein Kind verzaubern, dass es stän-dig schreit und nicht isst, nicht schläft etc. Auch könnensie geheimnisvolle Krankheiten im menschlichen Knie er-zeugen, dass der Körper verzehrt wird. Wenn du solcheFrauen siehst, sie haben teuflische Gestalten, ich habe ei-nige gesehen. Deswegen sind sie zu töten.»

Martin Luther: Predigt über Exodus 22,18. Wittenberg 1526

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Kapitel 1Schlettstadt im Elsass, Juni 1484

Die letzten Nachbarn hatten das Haus verlassen, um sichan diesem sonnigen Frühsommermorgen an ihr Tagwerkzu machen. In der Wohnstube waren die Kerzen niederge-brannt, die noch immer verschlossenen Fensterläden sperr-ten die Geräusche von der Gasse aus. Nur die leisen Atem-züge meines um drei Jahre älteren Bruders Martin, der aufder Bank in der Fensternische eingenickt war, durchdran-gen die bedrückende, düstere Stille.

Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und trat anden Eichenholztisch, auf dem die Mutter im weißen Toten-hemd aufgebahrt lag. Ein Leintuch, das ihr bis zu den Schul-tern reichte, verbarg ihre zerschmetterten Glieder. Alleindas Gesicht war unversehrt geblieben von dem Sturz ausgroßer Höhe, aber es lag so gar nichts Friedvolles darin,wie damals beim Tod unserer kleinen Schwester. In den fei-nen, noch immer fast mädchenhaften Gesichtszügen schie-nen Schmerz und Verzweiflung wie eingemeißelt zu sein.

Als ich vorsichtig ihre kalte Wange berührte, schluchzteich laut auf. Martin schreckte hoch.

«Entschuldige», murmelte er. «Ich muss eingeschlafensein.»

Er strich sein schwarz-weißes Ordensgewand glatt undsah sich verwirrt um.

«Sind Vater und Gregor noch immer nicht zurück?»Ich schüttelte den Kopf, ohne den Blick vom Leichnam

der Mutter lösen zu können. Gestern Abend noch hatte siebeim Abendessen mit uns gescherzt, war nach etlichen Ta-gen der Schwermut endlich wieder fröhlich gewesen. Hat-te bei dem sauren Kraut mit Schweinespeck herzhaft zuge-griffen, sich nach Vaters Geschäften erkundigt und uns mit-

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geteilt, dass sie am nächsten Tag wieder einmal im Kram-laden mithelfen wolle. Nach dem Essen war sie nicht gleichin ihre Schlafkammer verschwunden wie an den Tagen zu-vor, sondern hatte gemeinsam mit mir den Küchentisch ab-geräumt und den Abwasch gemacht. Als ich schließlich zuBett ging, hatte ich sie noch leise aus der NachbarkammerPsalmen singen hören Und jetzt lag sie vor mir, eine leblo-se Hülle, aus der alles, was ihr Wesen ausgemacht hatte,entschwunden war.

Ein Schauer lief mir über den Rücken. Nie wieder würdeich sonntags an diesem Stubentisch essen können, ohne dasBild der toten Mutter vor Augen zu haben.

«Wo bleiben sie denn nur?», hörte ich Martin sagen. «Siemüssten doch längst hier sein.»

Ich antwortete nicht. Mit einem Mal war ich froh, dassRuhe eingekehrt war nach dieser schrecklichen Nacht, dieich mit meinem Vater und meinen beiden Brüdern in ver-zweifeltem Weinen und Beten zugebracht hatte, bevor heu-te Morgen Nachbarn, Freunde und Bekannte zuhauf insHaus geströmt waren, um von der Mutter Abschied zu neh-men oder uns Trost zu spenden. Wie ein Lauffeuer musstesich die Todesnachricht in den Gassen verbreitet haben.

Martin trat neben mich. Seine Stimme war sanft, sanftwie die unserer Mutter.

«Du solltest in die Küche gehen und was zu essen vorbe-reiten, wenn gleich der Herr Pfarrer kommt. Ich hol derweileinen Krug Wein aus dem Keller und neue Kerzen.»

«Das hat doch noch Zeit.»Wieder und wieder strich ich der Mutter über Stirn, Au-

gen und Wangen, dann wandte ich mich ab und ließ michkraftlos auf den Stuhl neben der Tür sinken. Durch die Stil-le hatte ich plötzlich erneut das Rufen meines ältesten Bru-ders Gregor im Ohr, mit dem er mich in der Nacht geweckthatte: «Susanna! Wach auf  ! Es ist was Schreckliches ge-schehen.»

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Draußen im Hof unter dem Sternenhimmel hatte sie ge-legen, mit verrenkten Armen und Beinen, die Augen weitaufgerissen. So hatte mein Vater sie gefunden und schlepp-te sie gerade in den Hauseingang, als ich die Treppe her-untergerannt kam und zitternd in meinem dünnen Hemdvor ihr stehen blieb. Sie war schon nicht mehr bei sich ge-wesen, ihr Atem ging stoßweise, aber sie lebte noch, alsPfarrer Oberlin, den Gregor geholt hatte, ihr die Absolu-tion erteilte und sie mit Weihwasser besprengte. Als we-nig später der Wundarzt eintraf, hatte der nur noch ihrenTod feststellen können. Da war mein Vater mit einem Auf-heulen, das mehr an ein Tier als an einen Menschen erin-nerte, zusammengebrochen, mitten auf dem kalten Stein-boden. Ich hatte da noch nichts begriffen – wie in einemAlbtraum rief ich immerzu «Warum?», doch niemand ant-wortete mir. Erst als Martin aus dem Kloster eingetroffenwar, hatte sich mein Vater allmählich beruhigt. Da lag dieMutter bereits in der Stube aufgebahrt, die ersten Toten-gebete waren gesprochen, und ich erhielt endlich eine Ant-wort auf meine Frage.

«Sie hat wieder mal genachtwandelt und ist dabei ausdem Dachfenster gestürzt», erklärte mein Vater tonlos.«Sie hätte nicht vom Rotwein trinken dürfen, wo sie dasdoch immer so unruhig macht. Aber sie war endlich wie-der fröhlich, endlich wieder guter Dinge.» Und plötzlich be-gann er zu schreien: «Ich bin schuld! Ich hätte es wissenmüssen!»

Das Herz krampfte sich mir zusammen, als ich nun ne-ben ihrem leblosen Körper an die letzte Nacht, an die Ver-zweiflung meines Vaters dachte. Ich hielt mir die Ohren zu,schlug mir mit den flachen Händen ins Gesicht, hörte michlauthals auf einmal schluchzen. Da spürte ich einen Arm ummeine Schultern.

«Beruhige dich, Susanna», flüsterte Martin. Seine Stim-me zitterte dabei.

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«Ich verstehe es einfach nicht», stieß ich hervor. «Wiekann das sein? Wie kann ein Mensch im Schlaf auf eineLeiter steigen, auf eine wacklige Leiter, und dann aus demDachfenster stürzen?»

«Du weißt doch, dass unsere Mutter immer wieder ge-schlafwandelt hat. Erinnerst du dich, wie wir sie mal ge-sucht und schließlich schlafend im eiskalten Keller gefun-den haben? Komm, lass uns beten.»

Er wirkte zwar gefasst, war aber noch bleicher als zuvor.Dunkel zeichneten sich die Bartstoppeln auf seinen Wan-gen ab, und der tiefschwarze Haarkranz auf dem ansonstenkahl geschorenen Schädel stach noch mehr hervor. So vielMartin innerlich von der Mutter hatte, seine Empfindsam-keit und Verletzlichkeit, so sehr glich er äußerlich dem Va-ter, der wie viele Menschen hier am Oberrhein fast wie einWelscher aussah.

Mitten in unseren Gebeten hörten wir unten die Haus-tür aufspringen. Müde und mit tiefen Schatten unter denAugen betraten der Vater und Gregor die Stube. Sie warte-ten, bis das Amen unser Gebet beendet hatte, dann schlu-gen sie das Kreuzzeichen, und im nächsten Moment war derVater schon wieder aus dem Raum geflüchtet. Gleich dar-auf drangen seine schweren Schritte aus der Schlafkammerherunter.

«Was ist los?», fragte Martin. «Wo bleibt der Pfarrer?»Gregor schüttelte nur niedergeschlagen den Kopf und

setzte sich auf jenen Stuhl an der Tür, auf dem ich zuvor ge-sessen hatte und der am weitesten vom Leichnam entferntstand.

«So red schon, Gregor», flehte ich.Mein großer, stämmiger, um fünf Jahre älterer Bruder

wirkte plötzlich hilflos wie ein kleines Kind.«Der Pfaffe kommt nicht.» Seine Unterlippe bebte. «Weil

wir nämlich ein Haus der Schande sind.»

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Wir starrten ihn an, als hätte ein Geist zu uns gespro-chen. Da packte Martin ihn beim Arm.

«Was soll das? Was redest du da für einen Blödsinn?»«Dann frag halt den Vater», brauste Gregor auf. «Einer

unserer Nachbarn war beim Pfarrer und hat ihm brühwarmgesteckt, dass er genau gesehen hätte, wie die Mutter hell-wach am Fenster stand. Plötzlich hätte sie ‹Verzeiht mir!›gerufen und sich heruntergestürzt. Versteht ihr? Sie hatgar nicht genachtwandelt. Sie hat ihrem Leben ein Endegemacht!»

«Das … das glaube ich nicht», stieß ich hervor. In mei-nem Kopf begann es zu schwindeln, und ich musste michan die Wand lehnen.

«Du glaubst es nicht?» Gregor ballte die Fäuste. «Wermüsste es besser wissen als du? Du hast dich doch immerum sie gekümmert, wenn sie mal wieder den ganzen Tag inder Schlafkammer geblieben ist, alles dunkel gemacht hatund nichts geredet und nichts gegessen hat! Nur deshalbbist du doch noch nicht mit dem Auberlin verheiratet – weilwir dich hier im Haus so nötig brauchen. Und hat sie dirnicht mehr als ein Mal gesagt, dass sie am liebsten gar nichtmehr sein möchte? Hast du das vergessen? Und jetzt hatsie’s endlich getan. Und damit Schande gebracht über unsalle! Im Henkerskarren wird man sie aus der Stadt schaf-fen und in der Ill versenken oder auf dem Schindanger ver-scharren.»

«Hör auf  !», schrie ich und begann, mit den Fäusten aufihn einzuschlagen.

Martin zog mich weg. Er schüttelte nachdrücklich denKopf.

«Das ist böswilliges Geschwätz und gehört bei Gerichtangezeigt. Wer soll dieser Nachbar überhaupt sein?»

Gregor war vom Stuhl aufgesprungen. «Geh doch selbstzum Pfarrer und frag ihn, wer der verfluchte Kerl ist. Ichsag nichts mehr. Und im Übrigen wird nachher nicht der

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Pfaffe bei uns aufkreuzen, sondern der Stadtarzt zur Be-schau. Wie bei jedem Verbrechen, das in der Stadt ge-schieht.»

Dann stürzte er hinaus, und wir hörten ihn auf dem Holzder Außentreppe nach unten poltern.

Am Nachmittag beschloss ich, als verspätetes Mittagesseneine Gemüsesuppe aufzusetzen, obwohl ich wusste, dasskeiner von uns etwas davon anrühren würde. Ich selbst amallerwenigsten, so aufgewühlt war ich noch immer. Martinwar ins nahe Dominikanerkloster zurückgekehrt, Vater hat-te die Schlafkammer nicht mehr verlassen, und Gregor hör-te ich unter mir im Lager unseres Kramhandels hantieren.

Gleich nachdem Martin gegen Mittag gegangen war,hatte ich den Vater aufgesucht, der stumm auf seinem Bettlag und die Deckenbalken anstarrte. Ich fragte ihn, ob esstimme, was Gregor behauptet hatte. Da war er in die Höhegeschossen, hatte sich das ergraute Haar gerauft und ver-zweifelt ausgerufen: «Ich weiß es doch selbst nicht, was ichglauben soll!» Danach war er wieder in Tränen ausgebro-chen. Seither hatte ich die Zeit in der Küche totgeschlagenund gedankenverloren ins Herdfeuer gestarrt. Noch einmalnach der Mutter zu sehen, hatte ich nicht über mich ge-bracht.

Zum Kochen brauchte ich frisches Wasser, und so griffich nach dem Ledereimer. Ich stockte: Der Brunnen befandsich an der nächsten Straßenecke. Alle Leute aus der Nach-barschaft würden mich anstarren. Da kommt sie, die Toch-ter der Selbstmörderin, würden sie tuscheln.

Ich ließ den Eimer wieder sinken und setzte mich zurückan den Küchentisch. Die Reste aus dem Krautfass zusam-men mit eingeweichtem Brot mussten genügen als Essen.

Vor meinem Blick begann die Holzmaserung der Tisch-platte zu verschwimmen. Immer wieder hatte die Melan-cholie meine Mutter niedergeworfen, seit einigen Jahren

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schon. Dann war sie kaum ansprechbar gewesen, hatte nurregungslos und mit offenen Augen in ihrer Schlafkammergelegen. Wir hatten einiges probiert, ihr etwa Granatsteineins Bett gelegt und an den linken Arm gebunden, was ge-gen ihr schwarzgalliges Gemüt helfen sollte, aber es hattenichts genutzt. Ebenso wenig wie der Aderlass durch denBader, der ihre Zustände eher verschlimmert denn verbes-sert hatte.

Einmal, das war im letzten Herbst gewesen, hatte Va-ter viel Geld für die Frau des Henkers ausgegeben, die ei-ne Zauberkundige war. Sie hatte ihn ausgefragt, wie undwann genau die Mutter zum ersten Mal in diese Zustän-de geraten war. Der Vater hatte sich erinnert, dass sie ei-nige Wochen nach der Geburt unserer kleinen Schwesteram Brunnen zusammengebrochen war und stundenlang ge-weint hatte. Da war die dünne Agnes – so nannte alle Weltdie Henkersfrau – zu dem Schluss gekommen, die Krankheitder Mutter sei durch Schadenzauber über sie hereingebro-chen. Wer aus ihrer Bekanntschaft ihr denn bös gesinnt sei,hatte sie uns alle gefragt. Vielleicht habe ja jemand damalsam Brunnen gestanden? Doch uns war niemand eingefal-len. Die Mutter war in ihrer stillen, fürsorglichen Art allseitsbeliebt gewesen, Mein Vater hatte aber einen Ratsherrn er-wähnt, der ihr einst den Hof gemacht und ihr Jahre nachder Hochzeit einmal auf dem Kohlmarkt einen bösen Fluchentgegengeschleudert hatte – dass Margaretha bald keinegesunden Tage mehr erleben solle. Den Namen des Manneshatte Vater jedoch nicht preisgeben wollen. Daraufhin hat-te die Henkersfrau ein Wachsbild gefertigt, Kopf und Brustder Figur mit Öl gesalbt, dabei allerlei Bannsprüche gegenböse Geister vorgetragen und das Bildnis anschließend imHof verbrannt. Zum Schutz unseres Hauses vor Dämonenhatte sie noch einen Drudenfuß auf die Türschwelle gemalt.Danach war es der Mutter tatsächlich eine Zeitlang besserergangen.

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Und jetzt das! Sich selbst zu töten, war ein schändli-ches, ganz und gar gottloses Verbrechen, das nur der Teu-fel selbst bewirken konnte. So jedenfalls predigten es diePfaffen. Es hieß, die Seele sei nun für alle Zeit verflucht unddazu verdammt, umherzugehen und nie zur Ruhe zu kom-men. Um die Wiederkehr zu erschweren, müsse der Leich-nam mit dem Gesicht nach unten in die Grube gelegt undmit Dornengestrüpp bedeckt werden. Noch besser sei es,den Leichnam auf immer auszulöschen, mittels Feuer oderWasser, da eine solch ungeheuerliche Tat großes Unheilnach sich ziehen könne.

Das laute Klopfen am Hoftor ließ mich zusammenzu-cken. Wenn das nun der Stadtarzt war? Für die Nachbarnmusste seine Ankunft wie eine Bestätigung erscheinen,dass in unserem Hause ein Verbrechen geschehen war. Alses erneut und noch heftiger klopfte, schlich ich zur Außen-treppe und spähte durch die kleine Luke der Holzverklei-dung, konnte aber nicht erkennen, wer hinter dem Hoftorwartete.

Während ich die Stufen hinunterstieg, hatte ich Mühe,meine Beine zu bewegen. Ich fand Gregor im Lager, wo erim Schein der Tranlampe Ware einsortierte. Die beiden Lä-den zur Gasse hin waren geschlossen.

«Warum machst du nicht wenigstens den Laden auf ?»,flüsterte ich. «Dann sehen wir, wer’s ist.»

«Ich kann’s mir schon denken.» Mit versteinerter Mienehievte er eine kleine Kiste mit Gürtelschnallen auf den Ver-kaufstisch. «Soll doch der Vater den Stadtarzt einlassen.»

«Du weißt genau, dass er das nicht vermag. Er ist amEnde seiner Kraft.»

«Dann geh halt du! Oder der Medicus soll die Tür vomBüttel aufbrechen lassen. Das ist mir einerlei. Ich macheihm jedenfalls nicht auf. Der hat hier nichts zu suchen.»

Notgedrungen ging ich in den Hof und entriegelte mitpochendem Herzen das Tor. Indes stand nicht der Stadtarzt

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vor mir, sondern ein kleiner, schmächtiger, ältlich ausse-hender Mann im schwarz-weißen Habit der Dominikaner.

Bass erstaunt sah ich ihn an. Was wollte dieser Prediger-mönch von uns? Hatte er etwas mit Martin zu tun? War et-wa auch meinem Bruder etwas zugestoßen?

«Gelobt sei Jesus Christus», grüßte er, während er michaus dunkelgrauen Augen musterte. Zumindest sah er nichtso aus, als wenn er grausame Nachrichten brächte.

«In Ewigkeit. Amen», gab ich verunsichert zurück.«Weißt du denn nicht, wer ich bin, Susanna?»Da erst erkannte ich in ihm den Prior der Dominikaner.

Ich war ihm letztes Jahr zusammen mit der Mutter zufälligvor dem Kloster begegnet, an Martins Seite.

«Ihr seid der Vater Prior von den Predigern, nichtwahr?»

Er nickte. «Nenn mich schlichtweg Bruder Heinrich.Priester und Prior bin ich nur für meine Mitbrüder.» Dannfragte er mitfühlend: «Wie geht es dir, meine Tochter?»

Ich wusste nicht, was ich antworten sollte.«Es ist … es ist alles so schrecklich», murmelte ich.«Darf ich hineinkommen?»Schweigend führte ich ihn die Treppe hinauf zur Küche,

die das gesamte erste Stockwerk einnahm. Ich ging voraus,bat ihn, auf der Küchenbank Platz zu nehmen, und bot ihmetwas zu trinken an. Aber er lehnte ab und verharrte imRundbogen der offenen Tür.

«Das tut mir sehr leid mit eurer Mutter», sagte er leise,murmelte etwas auf Lateinisch und schlug das Kreuz. «DerHerr sei ihrer Seele gnädig.»

Er trat auf mich zu, nahm meine beiden Hände unddrückte sie fest.

«Ich möchte euch Trost spenden in dieser schweren St-unde. Die Wege des Herrn sind unergründlich, aber was ERtut, hat stets seinen Sinn. Zeigst du mir bitte, wo Margare-tha aufgebahrt ist?»

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Jetzt war ich noch mehr verunsichert. Wusste der Priorgar nicht, was für einen Frevel meine Mutter begangen ha-ben sollte? Und warum nannte er sie, gerade so wie ein gu-ter Bekannter, Margaretha?

«Oben in der Stube liegt sie», erwiderte ich.«Dann bring mich zu ihr. Ist dein Vater auch da?»«Ja, aber er hat sich in die Schlafkammer zurückgezo-

gen. Es geht ihm sehr schlecht.»Erneut betraten wir die Außentreppe. Wie alle Gebäu-

de in dieser Gasse war unser Haus sehr schmal und sehrhoch, mit einem Laden oder einer Werkstatt zu ebener Er-de. Eine überdachte, durch Bretterwände geschützte Au-ßentreppe führte, wenn man von der Hofeinfahrt kam, di-rekt in den ersten Stock, zunächst in die Küche mit demgroßen gemauerten Herd, dann weiter hinauf in die Stube,die feierlichen Anlässen vorbehalten war, und schließlichnoch ein Stockwerk hinauf zu den beiden Schlafkammern.Auf den spitzgiebeligen Dachboden indessen gelangte mannur über eine Leiter aus dem Elternschlafzimmer – über je-ne alte Leiter, die meine Mutter im Stockfinstern emporge-klettert sein musste.

Oben angekommen, öffnete ich dem Prior die Tür zurStube und ließ ihn eintreten. Ich selbst blieb stehen. Allesin mir sträubte sich, diese Schwelle zu überschreiten. Dadie Fensterläden immer noch geschlossen waren, hattendie zahlreichen Kerzen die Luft verbraucht. In den würzi-gen Geruch des Weihrauchs hatte sich etwas Süßliches ge-mischt, das in mir einen Würgereiz auslöste. So riecht derTod, schoss es mir durch den Kopf.

Bruder Heinrich schien der Geruch nichts auszumachen.Er hatte sich auf Höhe von Mutters Schultern dicht vor denTisch gestellt, ihr das Kreuzzeichen auf die Stirn gemaltund dabei Worte auf Lateinisch gesprochen. Jetzt betrach-tete er sie aufmerksam, ein stilles Lächeln lag auf dem ha-geren, bartlosen Gesicht. Ein Lächeln, bei dem sich selt-

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samerweise die Mundwinkel nach unten zogen. Mit einemMal sah er aus wie ein verhärmter alter Mann.

Lange Zeit stand er nur da und betrachtete sie.«Deine Mutter war eine ganz besondere Frau», sagte er

endlich und drehte sich zu mir um. Das traurige Lächelnwar verschwunden. «Ich werde alles dafür tun, dass siechristlich bestattet wird.»

«Dann wisst Ihr also … », stammelte ich, «dass sie … »«Ja, ich weiß Bescheid. Mein Klosterbruder Martin hat

mir in seiner Not alles berichtet. Und deshalb bin ich hier.Verlier also nicht den Mut, mein Kind. War der Stadtarztschon da?»

«Nein, noch nicht.» Dann brach es aus mir heraus: «Nie-mals hätte sie uns so etwas angetan!»

«Ich weiß. Aber ich weiß auch, dass sie an der Melan-cholie litt, einer gefährlichen Krankheit des Geistes undder Seele.» Seine Miene wurde plötzlich streng. «Sie hättesich rechtzeitig an ihren Seelsorger wenden sollen. Oder anmich. Mit Hilfe eines Exorzismus hätte man sie möglicher-weise heilen können.»

«Aber wenn sie nun doch bloß genachtwandelt hat?Wenn dieser Nachbar böswillig gelogen hat?»

«Auch das mag sein. Aber was immer es gewesen ist:Wenn Arzt und Seelsorger nachweisen können, dass derSelbstmörder in geistiger Umnachtung gehandelt hat, kön-nen wir ihr die Gnade einer christlichen Bestattung erwei-sen. Ich will mit dem Medicus und Pfarrer Oberlin reden.»

Ich schöpfte zwar Hoffnung, fragte mich aber zugleich,warum der Prior all das mit mir besprach anstatt mit mei-nem Vater als Hausherrn und Ehemann der Toten. Die An-spannung der letzten Stunden presste mir die Brust zusam-men, und ich spürte, wie mir schon wieder die Tränen indie Augen stiegen.

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Er schien es zu bemerken. «Vertrau mir, Susanna. Undvertrau vor allem auf Gott. Jetzt führe mich bitte zu deinemVater.»

Als ich die Tür hinter uns geschlossen hatte, atmete ichfast erleichtert auf.

«Darf ich Euch etwas fragen, Bruder Heinrich?»«Nur zu, Susanna.»«Stimmt es, dass der Leichnam von Selbstmördern gro-

ßes Unheil auf die Menschen ziehen kann, wie zum BeispielKriege, Seuchen oder Unwetter?»

«Nun, das ist nur ein alter Aberglaube. Wahr ist aber,dass sich am nächtlichen Grab Unholde und Zauberer ver-sammeln könnten, um sich mit Hilfe der von Dämonen ver-gifteten, ruhelosen Seele zauberische Kräfte zu verschaf-fen. Deshalb ist es tatsächlich das Beste, die sterblichenÜberreste zu verbrennen. Aber wisse, deine Mutter hat sichnicht willentlich selbst gerichtet. So oder so war es ein Un-fall, und dass alle sich dessen gewahr sind, dafür werde ichmich einsetzen.»

«Kanntet Ihr sie denn?»Erstaunt sah er mich an.«Hat sie euch Kindern nicht erzählt, dass wir zusammen

aufgewachsen sind?»Ich schüttelte den Kopf.«Seltsam. Dabei waren unsere Familien Nachbarn, drü-

ben in der Schustergasse.»Da fiel mir ein, dass die Mutter nach Martins Ordensge-

lübde vor gut acht Jahren so etwas kurz erwähnt hatte. Undals Martin vor einiger Zeit einmal gesagt hatte, dass seinPrior ein gestrenger, etwas verbissener Mensch sei, wennauch klüger und gebildeter als alle anderen im Kloster, dahatte die Mutter leise bemerkt, dass Heinrich bereits alsKind ein wenig seltsam gewesen sei. Aber Letzteres behieltich besser für mich.

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Unterm Dach angekommen, durchquerten wir das Käm-merchen, das ich allein bewohnte, seitdem Martin ins Klos-ter gegangen war und Gregor seine Schlafstatt unten imLaden hinter einer Bretterwand eingerichtet hatte. Es warmir mehr als unangenehm, als der Blick des Priors auf meinnoch immer ungemachtes und zerwühltes Bett fiel. Auf derSchwelle zur Elternkammer hielt er noch einmal inne.

«Wann immer du etwas auf dem Herzen hast, kannst duzu mir kommen. Versprichst du mir das, Susanna?»

Ich brachte nur ein gestottertes «Danke» zustande. Da-bei war es mir in diesem Moment ein unendlicher Trost, ei-nen Mann Gottes an unserer Seite zu wissen.

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Kapitel 2Schlettstadt im Elsass, Frühjahr 1439

Dem neunjährigen Heinrich brannte die Maulschelle, dieihm die Muhme verabreicht hatte, wie Feuer auf der Wan-ge. Aber er schaffte es, die aufsteigenden Tränen zu unter-drücken.

«Damit du dir ein für alle Mal merkst, dass du beimAbendläuten daheim zu sein hast und nicht erst, wenn’sdunkel wird!», zischte sie durch ihre Zahnlücken und zerr-te ihn zur Haustür herein in die kleine, dunkle Werkstatt.«Und jetzt ab mit dir in die Küche!»

Trotzig presste er die Lippen zusammen. Und wenn ihmdie Mutter obendrein noch eine Ohrfeige verpassen würde –das war ihm ganz gleich. Er fühlte sich wie ein tollkühnerRitter, der für seinen Herrn eine feindliche Burg eroberthatte.

Er sah über die Schulter, um noch einen Blick auf Mar-garetha zu erhaschen. Sie stand auf der Gasse und winkteihm zu. Bevor er zurückwinken konnte, fiel die Tür schonins Schloss.

«Kommst du endlich?»Er stapfte hinter der Muhme die Holztreppe hinauf, die

schmal und steil wie eine Leiter war. Bei jedem Schritt derschweren Frau ächzten die Stufen, als hätten sie Schmer-zen. In der Küche stank es nach der ewigen Sauerkohlsup-pe, die die Muhme fast täglich kochte. Seine Mutter, derGeselle Wölfli und sein um vier Jahre älterer Bruder Han-nes saßen schon beim Essen.

«Wo warst du so lang?», fragte seine Mutter barsch.«Auf der Baustelle vom neuen Badhaus», gab er wahr-

heitsgemäß zur Antwort.

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«Dort hast du rein gar nichts verloren», schnauzte sieihn an.

Er hätte ihr sagen können, dass es da wunderbare Sand-haufen zum Spielen gab und dass er seine Arbeit in derWerkstatt wie aufgetragen erledigt hatte, aber er schwieg.Er wollte sie nicht noch mehr gegen sich aufbringen.

Seitdem der Vater vor vier Jahren gestorben war undsie einen Gesellen eingestellt hatte, um die kleine Schus-terwerkstatt weiterzuführen, war sie noch strenger gewor-den. Das heißt, eigentlich konnte er sich an seinen Vatergar nicht mehr richtig erinnern. Lange Zeit hatte er gehofft,dass er einen neuen Vater bekommen würde, aber inzwi-schen hatte er die Vermutung, dass die Mutter mit diesemebenso dreisten wie verschlagenen Wölfli herumtändelte –eine mehr als widerwärtige Vorstellung!

«Das kann ja noch was werden mit diesem Jungen», hör-te er sie in Richtung ihrer Schwester jammern. «Wenn dersich jetzt schon auf der Gasse rumtreibt wie ein Armenkind,statt sich im Haus nützlich zu machen. Dem fehlt einfachdie harte Zucht des Vaters.»

«Mit der Tochter vom Flickschuster war er unterwegs»,petzte die Muhme prompt.

«Was? Mit der kleinen Blattnerin treibst du dich rum?»Die Mutter fuhr mit rotem Kopf von der Küchenbank auf.Kurz glaubte Heinrich, nun würde er die nächste Ohrfeigeeinstecken müssen, doch sie besann sich anders.

«Du entschuldigst dich jetzt, und dann hockst du dichdort drüben in der Ecke auf den Boden, bis wir fertig sindmit Essen. Zur Strafe wirst du heut hungrig ins Bett gehenmüssen.»

Er nickte.«Entschuldigung, Mutter, Entschuldigung, Muhme, dass

ich zu spät bin. Es tut mir leid.»Der Geselle hob den Kopf und grinste frech.«Und was ist mit mir?»

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«Entschuldigung, Wölfli.»Heinrich setzte ein trauriges Gesicht auf, als er sich auf

dem harten Dielenboden niederließ. Innerlich aber strahl-te er. So lange schon hatte er sich nichts sehnlicher ge-wünscht, als einmal mit Margaretha, dem blonden Nach-barsmädchen von gegenüber, zu spielen. Indessen hatte ersich nie getraut, sie anzusprechen, obwohl sie bestimmtdrei Jahre jünger war. Heute aber hatte er allen Mut zusam-mengenommen. Hatte ihr gesagt, dass er ihr etwas Schöneszeigen wolle, und sie war tatsächlich mit ihm gegangen. BisEinbruch der Dämmerung hatten die beiden an dem großenSandhaufen beim Schlangbach gespielt, wo der Sand fürdas neue Badhaus gelagert wurde. Er hatte hierüber völligdie Zeit vergessen, bis am Ende seine wütende Muhme vorihnen gestanden war.

Er schloss die Augen. Sein Magen knurrte zwar gewal-tig, aber das war ihm herzlich gleichgültig. Morgen Nach-mittag würde Margaretha wieder mit ihm spielen. Das hat-te sie ihm hoch und heilig versprochen.

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Kapitel 3Schlettstadt, im Juni 1484

Die Luft auf dem Friedhof von Sankt Georg flirrte in derHitze, und nach Westen hin hatten sich über den Voge-sen dunkle Wolkenberge aufgetürmt. Mit halblauter Stim-me sprach ich das Totengebet mit, strich mir dabei verstoh-len über das Gesicht. Für die Trauergemeinde mochte esaussehen, als ob ich mir die Tränen abwischte, dabei wares nur der Schweiß. In den letzten beiden Tagen hatte ichlange und heftig genug geweint.

Ich folgte dem Beispiel meines Vaters und meiner Brü-der und warf eine Schaufel Erde über den schlichten Holz-sarg zu meinen Füßen, dann trat ich zur Seite, um die an-deren Trauernden Abschied nehmen zu lassen. Nicht nurVaters Zunftgenossen mit ihren Familien, sondern die hal-be Stadt war zum Begräbnis gekommen, und ich entdeck-te sogar manch vornehmen Herrn. Unsere Familie gehör-te zwar nicht zu den reichen Geschlechtern von Schlett-stadt, aber als Kleinkrämer war mein Vater Bertolt Mitt-nacht durchaus angesehen in der Stadt. Vielleicht hatte deneinen oder andern aber auch nur die Neugier hergetrieben:Würde Pfarrer Oberlin die seltsamen Todesumstände er-wähnen? Oder würde vielleicht gar ein Zeichen geschehen,mit dem sich das nicht verstummende Geschwätz bestätig-te, dass die Mittnachtin sich selbst gerichtet habe? Immerwieder hatte ich während der Leichenpredigt besorgt zumHimmel geschaut, ob nicht doch ein Blitz herniederfahrenwürde, doch das Gewitter mit seinem fernen Grollen schienin den Bergen festzuhängen. Den jähen Tod der Mutter hat-te Oberlin nur kurz erwähnt und von einem «tragischen Un-glücksfall» gesprochen.

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«Der Herr gibt, und der Herr nimmt», waren seine ab-schließenden Worte gewesen. «Nun liegt es an uns Leben-den, Margarethas Seele ein Weiterleben in Gnade zu er-möglichen bis zum Jüngsten Tag.»

Ich wusste, dass Vater für ihr Seelenheil alles getan hat-te. Auch wenn die Krämerzunft ihr Scherflein beitrug, hat-te er für diese große Bestattung und für die vierzigtägigeTrauerzeit mit ihren Gedächtnisfeiern tief in die Taschengegriffen. Ein jedes musste bezahlt werden: Glockengeläut,Kerzen und Ewiges Licht, die Vigilien, die Totenmessen, dieGrabbesuche durch die Messdiener, die Jahrzeitstiftung beiden Dominikanern und nicht zuletzt die beiden Seelschwes-tern, die sieben Tage lang am Grab beten würden. Was aber,schoss es mir immer wieder durch den Kopf, wenn die Mut-ter sich nun doch umgebracht hatte? Dann wäre all das um-sonst.

Unwillkürlich sah ich mich um. Tuschelten die alten Wei-ber dort hinten nicht schon über uns? Gerade so wie diedrei Mägde aus unserer Gasse, die ununterbrochen zu mirherüberstarrten? Die alte Kräuterfrau Käthe, die meinerMutter immer eng verbunden gewesen war, stand auffal-lend weit abseits und schlug unablässig das Kreuzzeichen.Schließlich entdeckte ich den Nagelschmied Auberlin, derunentwegt zu mir herüberstierte. Rasch schaute ich in dieandere Richtung.

Mein verunsicherter Blick traf sich mit dem des Priors,der eben vom Grab zurücktrat. Aufmunternd nickte er mirzu, und ich schüttelte meine Zweifel ab. Nein, es hatteschon alles seine Richtigkeit – was meiner Mutter gesche-hen war, war ein Unfall, ein schreckliches Unglück. In allmeiner Trauer und Benommenheit durchfuhr mich das Ge-fühl tiefer Dankbarkeit gegenüber Bruder Heinrich, der dasschier Unmögliche erreicht hatte. Vor allem Gregor hat-te bis zuletzt daran gezweifelt, dass unserer Mutter einechristliche Bestattung zuteilwerden würde. Doch der Pri-

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or hatte sein Versprechen gehalten: Er hatte bei seinemBesuch nicht nur auf den Stadtarzt gewartet, sondern an-schließend auch noch Pfarrer Oberlin aufgesucht. Wie eres geschafft hatte, die beiden davon zu überzeugen, dasssich jener Nachbar, in dem wir den alten Trunkenbold Cle-wi vermuteten, geirrt hatte, wusste niemand von uns.

Zwei Tage und zwei Nächte lag das Furchtbare nunschon zurück, doch der Schmerz wollte einfach nicht nach-lassen. Ohne unsere Mutter war das Haus wie ausgestor-ben, die Stille kaum noch zu ertragen. Mit diesem Grab hat-te ich nun wenigstens einen Ort, an dem ich um sie trauernkonnte.

Sosehr ich damit beschäftigt war, sie jetzt schon qualvollzu vermissen, so ergriff doch an diesem Morgen eine düste-re Ahnung mehr und mehr von mir Besitz: Mein Leben wür-de sich entscheidend verändern. Ich war längst in dem Al-ter, verheiratet zu werden – meine Freundin Elsbeth hatteihren Ruprecht bereits vor einem Jahr geehelicht und warnun guter Hoffnung. Mir hatten die Eltern vor einiger Zeitschon den Nagelschmied Auberlin zugedacht. Mir graustevor ihm. Dass es bislang noch zu keiner Heirat gekommenwar, lag einzig daran, dass meine Mutter, die die Auftrags-bücher geführt und sich auch sonst um vieles gekümmerthatte, was der Kramhandel mit sich brachte, in den letz-ten zwei Jahren immer häufiger ausgefallen war. So gehör-te längst nicht mehr nur der Haushalt zu meinen Aufgaben.An ihren düsteren Tagen musste ich für sie einspringen,musste an ihrer Stelle mit Gregor den Markt beschickenoder im Lager die Bestände an Nadeln, Garnen, Spindeln,Spiegeln, Kämmen, Gürteln, Beuteln und sonstigem Klein-kram erfassen.

Das alles sollte nun bald vorbei sein. Vater hatte ent-schieden, eine Magd einzustellen. Meine Hilfe würde über-flüssig werden. Er hatte sogar schon jemanden im Auge: dieWitwe eines verstorbenen Zunftgenossen, die sich im Han-

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del gut auskannte. «Damit wirst du endlich das tun, waseine junge Frau tun sollte – an der Seite eines rechtschaf-fenen Mannes Kinder großziehen und den Haushalt zusam-menhalten.» Das waren beim Morgenessen seine Worte ge-wesen.

Ich konnte jedoch allein den Gedanken an Auberlin nurschwer ertragen. Ich fand ihn tumb und grobschlächtig,und schon seine äußere Erscheinung –  diese fliehendeStirn, diese hervorstehenden Augen – widerte mich an.

Eine Hand legte sich mir auf die Schulter. Es war BruderHeinrich, der sich neben mich gestellt hatte.

«Alles wird gut», sagte er leise. «Die Seele deiner Mutterist nun auf dem Weg zu Gott. Und denke daran: Je mehrwir für sie beten, desto eher wird sie in Gottes Angesichtschauen dürfen.»

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Kapitel 4Tags darauf im Predigerkloster

Heinrich Kramer stand am Schreibpult der geräumigen,reich mit Handschriften und Druckwerken ausgestattetenKlosterbibliothek und versuchte, seine Gedanken zu Papierzu bringen. Der Sakristan hatte ihm eine neue Wachskerzegebracht, und bis zur Vesper blieb ihm noch ausreichendZeit für seine Arbeit.

Eigentlich war er hochzufrieden mit dem bisherigen Re-sultat. Seine Streitschrift wider die unverzeihliche Nach-giebigkeit des Klerus gegenüber den Hussiten, Juden undjenen hinter übertriebener Frömmigkeit verborgenen Erz-ketzern, zu denen er auch die Beginen und all diese nichtregulierten Frauengemeinschaften zählte, schien ihm rhe-torisch durchweg gelungen. Und er theoretisierte hierbeinicht etwa ins Blaue hinein – o nein! In allen Punkten konn-te er mit eigenen Erfahrungen aufwarten: So hatte er sichin Böhmen an der Bekämpfung der Hussiten beteiligt, hat-te entscheidend zu dem berühmten Ritualmordprozess ge-gen die Trienter Juden beigetragen und war vor nicht allzulanger Zeit in Augsburg gegen frömmlerische, verdächtigeWeiber vorgegangen, auch wenn er sie nicht der Häresieüberführen konnte. Nicht umsonst war er vor zehn Jahrenvon Papst Sixtus zum Inquisitor ernannt worden.

Jetzt, wo das Traktat fast fertig war – es fehlte ihm nurnoch ein brillantes Schlusswort – , hatte er es niemand an-derem als dem Heiligen Vater zugedacht. Aber er spürte,dass ihn diese Sache längst nicht mehr so bewegte wie nochvor Monaten.

Er kaute am Kiel seiner Schreibfeder. Da loderte etwasanderes in ihm, das förmlich darauf brannte, aus ihm em-porzusteigen. Etwas ungleich Größeres wollte er schaffen

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als diese lächerlich kurze Abhandlung, mit der er höchs-tens die Konziliaristen treffen würde, diese heuchlerischenPapstkritiker. Etwas Allumfassendes im Kampf um den rei-nen Glauben und um die Vernichtung des Bösen im Men-schen, danach drängte es ihn. Ein großes Werk schwebteihm vor, von dem im ganzen christlichen Abendland die Re-de sein sollte. Durch den neuen Buchdruck mit seinen be-weglichen Lettern würde es sich rasch überall verbreiten.Sein Gelehrtenname, Doctor Henricus Institoris, würde inaller Munde sein.

Denn wenn er in den letzten Jahren eines erkannte hatte,kraft seines Amtes als päpstlicher Inquisitor per totam Ala-maniam superiorem, für ganz Oberdeutschland also, dannwar es dies: Die wahre Gefahr für die Christenheit drohtenicht etwa durch das Judentum oder das Treiben einigerversprengter Querköpfe, sondern durch jene neue Sekte,die sich wie ein tödliches Geschwür vom Alpenraum aus inalle Richtungen ausgebreitet hatte. Und so sah er es alssein nächstes Ziel an, vom Papst zum Generalinquisitor al-ler großen deutschen Kirchenprovinzen ernannt zu werden.Dafür sollte dieses Werk, das er schon als gedrucktes Buchvor sich sah, den Grundstein legen.

Ach, wäre der Tag doch zweimal so lang! Als Prior die-ses Klosters, dem er seit zwei Jahren vorstand, als Inquisi-tor, als Mann der Wissenschaft, als Theologe und nicht zu-letzt als Seelsorger blieb ihm viel zu wenig Zeit für all seineAufgaben. Doch er hatte schon als junger Mensch gelernt,dass man Schritt für Schritt vorgehen musste, wollte manetwas erreichen. Heute noch würde er das Traktat been-den und morgen schon die Konzeption für sein neues Vorha-ben entwerfen. Ihm war bewusst, dass hierzu umfangreicheRecherchen nötig waren – seine eigenen Erfahrungen soll-ten darin einfließen wie auch die Gedanken anderer großerGeister. Als Erstes würde er für seine Klosterbibliothek ei-ne Ausgabe des Formicarius von Johannes Nider besorgen

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lassen, einem vor Jahrzehnten verstorbenen Ordensbruder.Dieses Buch schien ihm am geeignetsten für den Einstieg.

Er nahm einen tiefen Schluck von dem köstlichen RotenTraminer und setzte zur Schlussbemerkung des Traktatsan. Als er merkte, wie seine Gedanken zum wiederholtenMale abschweiften, ließ er fast ärgerlich die Feder sinken.Die Ereignisse im Hause des Krämers Bertolt Mittnacht be-schäftigten ihn doch mehr, als ihm lieb war. Vor allem diejunge Susanna ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Wie ge-löst, wie erleichtert sie schließlich am Grab ihrer Muttergestanden hatte! Dabei war es ihm dank seiner Eloquenzein Leichtes gewesen, Pfarrer wie Stadtarzt davon zu über-zeugen, dass Margaretha sich in einem Anflug von geisti-ger Umnachtung vom Dach gestürzt hatte. Nebenbei be-merkt auch dadurch, dass er jenen verleumderischen Nach-barn Clewi als notorischen Säufer darstellen konnte – einkleines Detail, das er dem jungen Bruder Martin entlockthatte. Und noch etwas Bedeutsames hatte er von ihm er-fahren: dass ein Schlettstädter Ratsherr Margaretha ausenttäuschter Liebe einst verflucht haben sollte. Wenn demso war, dann traf die Arme erst recht keine Schuld, dannentsprach das dem Tatbestand des Schadenzaubers, undder Ratsherr gehörte mit dem Tode bestraft! Für einen kur-zen Augenblick hatte er in Erwägung gezogen herauszufin-den, wer dieser Frevler war, aber einen Prozess gegen ei-nen angesehenen Mann dieser Stadt anzustrengen, war et-was ganz anderes, als damals gegen die Konstanzer undBasler Hexen vorzugehen. Und so hatte er vor dem Pfar-rer und dem Stadtarzt hierüber wohlweislich geschwiegen.Bei solcherlei Verdächtigungen gegen hohe Herren muss-te man sich in Zurückhaltung üben, wollte man keine Ver-leumdungsklage auf sich ziehen.

Wieder nahm er von dem Wein und empfand endlich dieersehnte Leichtigkeit in seinem Kopf. Was für ein schönesGefühl war es doch gewesen, Susannas Dankbarkeit zu spü-

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ren. Viel zu rar waren solche Augenblicke in seinem Le-ben geworden. Man hatte sich vom einfachen Menschenschlichtweg zu weit entfernt.

Plötzlich verschmolz vor seinen Augen das Bild Susan-nas mit dem der jungen Margaretha. Es war unfassbar, wieähnlich sich die beiden sahen. Susanna war ihrer Mutterwie aus dem Gesicht geschnitten. Dieses goldblonde Haarmit dem leicht rötlichen Schimmer, diese grünen Augen… Nein, noch schöner, noch ebenmäßiger waren SusannasZüge, und erst ihre schlanke Gestalt! Als er ihr letzten Som-mer einmal vor dem Kloster begegnet war, war ihm das erst-mals aufgefallen, doch nun, da er ausreichend Gelegenheitgehabt hatte, sie zu betrachten, war die Ähnlichkeit nochviel deutlicher gewesen.

Er seufzte laut auf. Warum nur hatte Margaretha ihrerFamilie gar nichts über ihn erzählt? Waren sie einstmalsals Kinder nicht echte Freunde gewesen? Hatte er sich dasalles nur eingebildet? Er merkte, wie ein leiser Grimm inihm nagte. So wenig war er ihr also wert gewesen. Aberwarum wunderte ihn das, schließlich hatte sie ihm das jaspäter deutlich zu verstehen gegeben.

Mit einem lauten Klatschen erschlug er eine fette Flie-ge, die sich auf seinem Schreibpult niedergelassen hatte.Was scherte ihn seine Jugendzeit in dieser ärmlichen Gas-se? Viel mehr zählte doch, wo er heute im reifen Alter stand,und da gab es so einiges, worauf er stolz sein konnte. Hat-te er nicht gestern beim Abschied auf dem Friedhof in Su-sannas Augen diese reine, kindliche Bewunderung für ihnund seinen Einsatz gelesen? Für diesen Blick hätte er allesgetan, um Schande von ihr und ihrer Familie abzuwenden.Wenn es hätte sein müssen, hätte er sogar diesen böswilli-gen Ratsherrn ausfindig gemacht.

[...]

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