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DAS LEBEN IST ROCK´N´ROLL Musik ist ein Grundnahrungsmittel. Neben Essen & Trinken, genügend Schlaf zum Erholen & Träumen und der Liebe, ist Musik das Wichtigste für unser Leben. Welcher Mensch kommt ohne Musik aus? 92% aller Menschen hören regelmäßig Musik, aber nur 53% treiben Sport. Rock- und Popmusik liegt bei der Gesamtbevölkerung unserer Erde mit einem Höranteil von rund 54% mit großem Abstand an der Spitze. Weit dahinter folgen Volksmusik(en), Klassik, Jazz, etc. Liegt in Brasilien der Anteil lokaler Bands und Musiker an den Top-100 Album-Verkäufen bei 88%, sind es in Großbritannien nur 54%, in den USA 64%, in Deutschland 55% und in Japan wiederum 77%. Die Geschmäcker und (Musik)-Kulturen sind – wie beim Essen & Trinken auch – sehr verschieden. Es lässt sich nicht darüber streiten. Besser, schlechter, gefällt mir! Mir aber nicht! Jeder Mensch hat seine musikalischen Präferenzen; (fast) jede Musikform hat ihre Berechtigung und die Toleranz unter uns Musikhörern, Musikliebhabern und Musikausübenden sollte so weit gehen, dass man sich nicht über die Hörgewohnheiten und Vorlieben des (Musik)Nachbarn lustig macht, die Nase rümpft, gar verächtlich darüber redet. Obwohl es mir schwerfällt, das muss ich zugeben, denn es gibt auf der einen Seite – für meine Ohren, mein Gefühl, meine Seele, mein Herz, mein ICH – unglaublich bereichernde, tolle Musik! Seit Jahrhunderten, Jahrmillionen (?) kreisen im Kosmos, dann in der Musik-Hirn-Zentrale, den Herzen und Seelen, in jeder einzelnen Zelle genialer Musiker, Komponisten, ebenso geniale Tonfolgen, genannt Melodien. Harmonien, Sounds, Instrumente, Stimmen, Arrangements, Rhythmen. Ja, Rhythmen, die das Salz in der Suppe sind und ohne die Musik nicht funktioniert. Musik hat ´man´ – Komponist(in) - in sich, oder auch nicht. Und wenn man als solcher YESTERDAY, HEY JOE, TAKE FIVE, MY FUNNY VALENTINE (live mit Chet Baker und dem Symphonie-Orchester Hannover), JUMPING JACK FLASH, die SCHICKSALS- SYMPHONIE (Beethoven´s 5. C-Moll) oder GUSTAV MAHLER´s Achte (´Sinfonie der Tausend´ genannt, und hier speziell den Schlusschor: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“) in sich trägt, dann muss das für die Komponisten ein unbeschreibliches Glücksgefühl gewesen sein, Göttliches zu schaffen, und erst recht für uns als Musikhörer ein Glück und eine Ehre, das wir an dem Geschaffenen teilhaben dürfen. Danke den Schöpfern! Erlernen kann man nur das Handwerk. Musiktheorie, ein Instrument, die Stimme formen, beherrschen (wenn man denn eine hat). Selbst das Lernen wird ab einem Grad des Fortschritts schwierig, wenn man sich stets nur an Vorgegebenes hält, wenn das große Talent für Eigenes, Kreatives fehlt, wenn man mittelmäßige Lehrer hat, die einen nicht dazu hinführen, in sich selbst hinein zu hören, um nach Schöpferischem in sich zu suchen. Dass man in der Musik letztlich nur auf sich selbst, auf sein Inneres, sein Fühlen, sein Gefühl, eben seine – was ist das eigentlich?! – ´innere Stimme´ hören muss. Das macht den Unterschied zwischen Handwerkern und Künstlern aus. Jeder Künstler, jeder Musiker – Künstlerin/Musikerin – hat Vorbilder. Das ist OK und sollte so sein: Andere Musiker, Kompositionen, Stimmen, Instrumentierungen, Sounds, die den entscheidenden Kick hin zur eigenen Begeisterung für Musik ausgelöst haben, in sich aufsaugen, um sie und ihn zu animieren, selbst Musiker zu werden. Dazu ist ein solides Handwerk nötig. ´Handwerker´ ist in diesem Zusammenhang keinesfalls despektierlich gemeint. Jeden Tag

Leseprobe DAS LEBEN IST ROCK´N´ROLL 26.7 · 2020-08-02 · wenn Lady Gaga ertönt, oder bekommt ES erste nervöse Zuckungen bei Rammstein und zertritt die Fruchtblase, oder muss

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Page 1: Leseprobe DAS LEBEN IST ROCK´N´ROLL 26.7 · 2020-08-02 · wenn Lady Gaga ertönt, oder bekommt ES erste nervöse Zuckungen bei Rammstein und zertritt die Fruchtblase, oder muss

DAS LEBEN IST ROCK´N´ROLL

Musik ist ein Grundnahrungsmittel. Neben Essen & Trinken, genügend Schlaf zum Erholen & Träumen und der Liebe, ist Musik das Wichtigste für unser Leben. Welcher Mensch kommt ohne Musik aus? 92% aller Menschen hören regelmäßig Musik, aber nur 53% treiben Sport. Rock- und Popmusik liegt bei der Gesamtbevölkerung unserer Erde mit einem Höranteil von rund 54% mit großem Abstand an der Spitze. Weit dahinter folgen Volksmusik(en), Klassik, Jazz, etc. Liegt in Brasilien der Anteil lokaler Bands und Musiker an den Top-100 Album-Verkäufen bei 88%, sind es in Großbritannien nur 54%, in den USA 64%, in Deutschland 55% und in Japan wiederum 77%. Die Geschmäcker und (Musik)-Kulturen sind – wie beim Essen & Trinken auch – sehr verschieden. Es lässt sich nicht darüber streiten. Besser, schlechter, gefällt mir! Mir aber nicht! Jeder Mensch hat seine musikalischen Präferenzen; (fast) jede Musikform hat ihre Berechtigung und die Toleranz unter uns Musikhörern, Musikliebhabern und Musikausübenden sollte so weit gehen, dass man sich nicht über die Hörgewohnheiten und Vorlieben des (Musik)Nachbarn lustig macht, die Nase rümpft, gar verächtlich darüber redet.

Obwohl es mir schwerfällt, das muss ich zugeben, denn es gibt auf der einen Seite – für meine Ohren, mein Gefühl, meine Seele, mein Herz, mein ICH – unglaublich bereichernde, tolle Musik! Seit Jahrhunderten, Jahrmillionen (?) kreisen im Kosmos, dann in der Musik-Hirn-Zentrale, den Herzen und Seelen, in jeder einzelnen Zelle genialer Musiker, Komponisten, ebenso geniale Tonfolgen, genannt Melodien. Harmonien, Sounds, Instrumente, Stimmen, Arrangements, Rhythmen. Ja, Rhythmen, die das Salz in der Suppe sind und ohne die Musik nicht funktioniert. Musik hat ´man´ – Komponist(in) - in sich, oder auch nicht. Und wenn man als solcher YESTERDAY, HEY JOE, TAKE FIVE, MY FUNNY VALENTINE (live mit Chet Baker und dem Symphonie-Orchester Hannover), JUMPING JACK FLASH, die SCHICKSALS-SYMPHONIE (Beethoven´s 5. C-Moll) oder GUSTAV MAHLER´s Achte (´Sinfonie der Tausend´ genannt, und hier speziell den Schlusschor: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“) in sich trägt, dann muss das für die Komponisten ein unbeschreibliches Glücksgefühl gewesen sein, Göttliches zu schaffen, und erst recht für uns als Musikhörer ein Glück und eine Ehre, das wir an dem Geschaffenen teilhaben dürfen. Danke den Schöpfern!

Erlernen kann man nur das Handwerk. Musiktheorie, ein Instrument, die Stimme formen, beherrschen (wenn man denn eine hat). Selbst das Lernen wird ab einem Grad des Fortschritts schwierig, wenn man sich stets nur an Vorgegebenes hält, wenn das große Talent für Eigenes, Kreatives fehlt, wenn man mittelmäßige Lehrer hat, die einen nicht dazu hinführen, in sich selbst hinein zu hören, um nach Schöpferischem in sich zu suchen. Dass man in der Musik letztlich nur auf sich selbst, auf sein Inneres, sein Fühlen, sein Gefühl, eben seine – was ist das eigentlich?! – ´innere Stimme´ hören muss. Das macht den Unterschied zwischen Handwerkern und Künstlern aus. Jeder Künstler, jeder Musiker – Künstlerin/Musikerin – hat Vorbilder. Das ist OK und sollte so sein: Andere Musiker, Kompositionen, Stimmen, Instrumentierungen, Sounds, die den entscheidenden Kick hin zur eigenen Begeisterung für Musik ausgelöst haben, in sich aufsaugen, um sie und ihn zu animieren, selbst Musiker zu werden. Dazu ist ein solides Handwerk nötig. ´Handwerker´ ist in diesem Zusammenhang keinesfalls despektierlich gemeint. Jeden Tag

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höre ich wieder neue Musiker, die mich begeistern, verblüffen, berauschen. Die ihr Handwerk verstehen; zur Kunst machen. Ein guter Musiker fängt nach der Lehre, dem Studium, an, zu experimentieren. Weil er/wie wissen will, woher die Töne und Rhythmen, die (Schall)-Schwingungen kommen, die uns in eine schwer erklärbare Ekstase versetzen, total bezaubern und verzaubern. Wie man Töne & Rhythmen erzeugt, ´bewegen´ kann, zusammenfügen zu unvergesslichen Melodien, Harmonien, knackigen, sensiblen, wundervollen Musikstücken, so, dass sie Menschen erreichen und im besten Fall völlig entrücken lassen. Wenn man irgendwann seinen ureigensten Weg des Schöpfens, der Interpretation findet, ist das das Größte. Die uns Menschen so sehr erfreuende Herstellung von Musikstücken, ob Songs, Symphonien, Improvisationen, Hymnen – whatever - , kann man – leider - nicht erlernen. Wie gerne würden das Millionen von uns machen! Doch den meisten Menschen fehlt dazu das Talent, das Göttliche, Große. Wir sind ´nur´ zum Zuhören verdammt. Und ich finde es toll, dass es Zigtausende, Millionen von Menschen gibt, die einfach voll Freude, einem inneren Drang folgend, Musik just for fun machen.

Wir haben die Klänge des Kosmos in uns, oder auch nicht. Göttliches, Unerklärliches! Wie oft im Leben sind es Töne, Melodien, Stimmen, Sounds, Nuancen, die uns für Momente gefangen nehmen, unsere Aufmerksamkeit erregen und betäuben, bereichern. Die wir, einmal gehört, nicht mehr vergessen können. Weil aus den Momenten des ersten Hörens ein nicht zu verhindernder Hunger, eine Sucht auf genau diese Töne, Melodien, Arrangements, Instrumentationen, Stimmen geworden ist. Ist das nicht göttlich? Denn den Begriff habe ich in den vergangenen Zeilen oft benutzt; ich habe keine andere Erklärung dafür. Es muss für wenige Menschen eine Verbindung geben, die direkt in den Kosmos, die Schöpfung reicht; viel, viel weiter als bei uns Musikhörern ...

Keine Musik ohne Rhythmus. Was war zuerst da? Rhythmus oder Ton? Beide sind untrennbar. Erst der Rhythmus, der gleichmäßige Zeitabstand innerhalb einer Amplitude, lässt eine Schwingung zu einem Ton werden. Wenn diese in sich rhythmische Schwingung nicht vorhanden ist, erhalten wir keinen wahrnehmbaren Ton. Aus der Länge der Schwingungen ergeben sich unterschiedliche Töne und Takte. Grundrhythmen, Tempi. Und jeder Song braucht eine rhythmische Struktur, ohne die die Melodie ansonsten allein nicht leben kann. Rhythmen, die uns verzaubern, gefangen nehmen, mitreißen in einen Strudel der Glückseligkeit. Ein indisches Sprichwort sagt:

DAS AUGE IST DER SPIEGEL DER SEELE, ABER DAS OHR IST DAS TOR ZUR SEELE.

Die Grundlage der Schöpfung ist Klang. Der Musikphilosoph Hazrat Inayat Khan sagt: „Die Schöpfung ist die Musik Gottes“. Und der Jazzpapst Professor Joachim Ernst Berendt, den ich selbst in Baden-Baden vor über zwanzig Jahren kennen und schätzen lernen durfte und so manches an die Substanz meiner Aufnahmefähigkeit, des Verstehens gehende Gespräch über Musik führte, brachte es auf den Punkt: „Die Welt ist Klang“.

Das ist richtig. Als Feingeist, der sich nicht vorstellen wollte – konnte schon! - , dass man Klang auch in schreckliche Formen gießen kann, schwebte Berendt auf einer Wolke der Musik-Glückseligen. Er war ein Besessener, der wissen wollte, woher uns die Gabe zum Erfassen von Musik, vom Schöpferischen der Tonkunst, geschenkt wurde. Mit hohem theoretischen Wissen allein, mit dem Glauben daran, dass der Jazz das Größte in

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der Tonschöpfung sei, ist es allerdings nicht getan. Im tagtäglichen Alltag, im normal verlaufenden Leben, müssen wir uns mit weit Profanerem herumschlagen. Denn:

Es gibt für mich auf der anderen, der negativ gepolten Seite der Tonkunst ebenso abartige Geräusche, die den Begriff Musik nicht verdienen, ihn aber in Anspruch nehmen. Tonnen und Tonnen von akustischen Müll. ´Kreationen´ – um meiner vor wenigen Zeilen eingeforderten Toleranz gleich selbst zu widersprechen –, die, noch einmal, den Begriff ´Musik´ nicht verdienen und mit Kreativität und göttlichen Einfällen, Segnungen, kosmischen Vorgaben, Realitäten und einer soliden handwerklichen Basis des/der Ausführenden absolut nichts zu tun haben. Denn in dem, was uns Menschen von Menschen an Tönen, Rhythmen, Formen des Klangs angeboten wird, lauern auch Gefahren. So, wie in allen anderen Lebensbereichen. Ständig sind Fallen aufgestellt, um die man herum jonglieren muss, um nicht in eine tiefe, dunkle, düstere, stinkende Grube zu stürzen und im Gestank der Musikgülle zu ersaufen! Deshalb wäre es mein Wunschtraum, dass eine Hinführung zu Musik – von der werdenden Mutter bewusst als Bonbon während der Schwangerschaft für ES eingesetzt – bereits im Mutterleib beginnt, sich behutsam im Kindergarten, der Schule fortsetzt. Alles, was wir als Embryo während der neunmonatigen Schwangerschaft aufnehmen, bleibt gespeichert. Schon in dieser Zeit entscheiden sich Musikalität, Sinnlichkeit, Emotion für das heranwachsende, neue Leben. Es hängt ganz entscheidend davon ab, was unsere Eltern, speziell unsere Mutter, während der Schwangerschaft für Musik hört. Hier bildet sich bereits unser Geschmack, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Es werden Reize geschaffen, positive und negative. Oder auch gar keine, weil unsere Mutter selbst unmusikalisch ist und überhaupt keine Musik hört, das arme, bedauernswerte Wesen. Dann bedarf es doppelter Anstrengungen des neuen in die Welt entbundenen Lebens, für Musik ein Gefühl zu entwickeln.

Ich kann nur raten: Mütter, hört während der Schwangerschaft Musik, Musik, Musik. So lange und so intensiv, sanft und liebevoll, laut und lustig, bis sich ES eine eigene Meinung bilden kann, weil musikalisch – bewusst/unbewusst/unterbewusst – bereits (vor)-gebildet, wenn es selbstständig in unserer leider ziemlich verpesteten Luft atmen muss. Und selbst dabei, wenn wir also den Idealfall der musisch/musikalischen Vorbildung vom Embryo zum Endpubertierenden mit unseren Eltern erlebt hätten/haben, gibt’s nun schon wieder Stress: Hat die Mutter für ´ES´, das Kind, den richtigen Geschmack? Was ist Geschmack? Will sie nicht nur das weiter vermitteln, was sie selbst an Musik liebt, für hörenswert hält? Wo bleibt der freie Wille von ES. Ekelt sich ES, wenn Lady Gaga ertönt, oder bekommt ES erste nervöse Zuckungen bei Rammstein und zertritt die Fruchtblase, oder muss ES kotzen, weil Muttern noch auf Modern Talking steht, bevor ES sich selbst musikalisch gebildet – also ein Ton-Bild gemacht hat - und vielleicht irgendwann weiß, was das Leben bereichernde Musik ist, was nicht und was gar keine Musik ist (Modern Talking)? Gefällt dem Embryo Beethovens 8. Symphonie oder Stan Getz mit „Desafinado“? Flippt es aus, wenn Miles Davis „Time After Time“ (von Cyndi Lauper & Rob Hyman) scheinbar gedankenversunken zelebriert, Pink Floyd „Wish You Were Here“ singen und spielen, Whitney Houston „I Will Always Love You“ schmachtet, oder die Beatles „Let It Be“ singen, die Stones etwas von „Satisfaction“?

Man sieht: Geschmacksbildung kann gefährlich sein. Wir müssen alles im Leben erst erlernen und die Dualität des Daseins hat für uns immer gut & böse, ja & nein, schön & hässlich, super & schrottig im Angebot, das ist in der Musik nicht anders. Will heißen, es gibt durchaus riesige Unterschiede in dem, was uns die Komponisten und Musiker - fast immer über die Musikindustrie gefiltert - anbieten. Und so, wie wir freiwillig kein

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verfaultes Gemüse, kein verschimmeltes Stück Fleisch, vollgepumpt mit Antibiotika, kaufen & verschlingen und uns kein Auto mit nur drei Rädern andrehen lassen, oder hässliche Schuhe, einer zu klein ohne Absatz, der andere zu groß und ohne Sohle, so wäre es wünschenswert, wenn wir das Qualitätsprinzip auch beim Hören und Kaufen von Musik berücksichtigen würden; als Embryo, Baby, Kind, Pubertierende, immer jung bleibender Mensch bis hin zum Abschiedsgeläut im Sarg liegend, unsere Sinne ständig und immer wieder schärfen würden und wach bleiben für qualitativ hochwertige Musik und unser Leben lang auf soliden musikalischen Sohlen laufen. Klingt blöd, ist aber so: Man kann auch ´gute Musik´ lernen. Sein Leben lang. Wie das gehen kann, machen uns, beispielsweise, die Schweden vor. Während der Schulzeit haben schwedische Kinder im Schnitt pro Schuljahr 240 Stunden Musikunterricht. In Deutschland 24. In Schweden lernen die Kinder ab dem ersten Schuljahr als erste Fremdsprache Englisch; dann kommt ab dem vierten Schuljahr eine zweite dazu. Nach Wahl. Die Klassen sind kleiner, Lehrer können sich besser auf die Kinder einlassen; jede Schule hat Sozialarbeiter, die sich der ´schwierigen Fälle´ annehmen, es gibt täglich und für alle Schüler – natürlich – warmes Mittagessen, kostenlos! Das alles leistet sich Schweden, ein bevölkerungsmäßig kleines Land, das, mit den schwachsinnigen Maßstäben der Politiker gemessen, auch wirtschaftlich schwach sein sollte, um seine Kinder besser aufwachsen zu lassen. Das Ergebnis der humanen, musikalischen/musischen Bildung: Die Schweden haben einen grundsätzlich etwas besseren Musikgeschmack – wenn man das statistisch betrachten will - , sie haben auf jeden Fall mehr Gefühl für Musik, singen und spielen in weit größerem Umfang als im musiktumben (Schul)-Deutschland zum Beispiel, sie haben jede Menge international anerkannter Jazzmusiker, vom Esbjörn Svennson Trio, den großartigen Posaunisten Nils Landgren, den Trompeter Peter Asplund, den Pianisten Jacob Karlzon bis zur Sängerin Viktoria Tolstoy – nur wenige Beispiele - , sie bringen ständig Gruppen – von ABBA über Roxette bis Mando Diao - hervor, die die Welt mit (Mainstream)-Musik beglücken, weit überproportional zu ihrer Bevölkerung von ca. acht Millionen Einwohnern, wenn man sie mit den USA, Deutschland oder England vergleicht.

Schweden ist der drittgrößte Exporteur englischsprachiger Popmusik, gleich hinter den USA und Großbritannien (die Wochenzeitschrift „ZEIT-online“). Selbige ZEIT wundert sich: „...Pop aus Schweden. Das ist nichts Neues und bleibt doch stets spannend. Hier brodelt die Musikszene, hier klettert offenbar jeden Monat eine andere Band aus dem Probenkeller direkt ins Licht der Öffentlichkeit. Der Schwedenpop hat einen Nimbus, deshalb horcht die Musikbranche seit Jahren nach Stockholm, Malmö und Göteborg. Warum ausgerechnet zwischen Schäreninseln und Elchwäldern, in dieser kleinen Monarchie mit acht Millionen Einwohnern, so viel gute Musik entsteht, bleibt ein Rätsel ...“

Nein, kein Rätsel. Das ist (Schul)-Bildung! Im Schnitt haben die Kinder zehn mal mehr Musikstunden pro Jahr, als in Deutschland! Wo Deutschland von sich doch immer behauptet, das Land der Dichter und Denker, der Genies Bach, Beethoven und Wagner zu sein. Für Bildung gibt man wir in Deutschland im internationalen Vergleich als superreiches Land weit weniger Geld aus als unsere nordischen Nachbarn. Und für musische Bildung – die über die Musik hinausreicht - noch viel, viel weniger. Musik: Unwichtig. Die beiden Fächer, die in Deutschland ständig gekürzt werden, oder gleich ganz ausfallen: Musik & Sport. Noch mal: Englisch, d i e Sprache für populäre Musik, ist in Schweden Pflichtfach ab Jahr Eins der Schulzeit. Hören lernen, das Ohr schulen durch ´Fremd´sprachen (blöder Begriff), ein Gefühl für andere Sounds, für sprachlichen Rhythmus, letztlich damit für Musik bekommen und damit das Gehirn

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immens schulen, in eigene (Volks)-Musik eintauchen und anderen Kulturen verstehen lernen. Als Kind. Und die ZEIT wundert sich ...

Max Martin, ein schwedischer Komponist, um nur ein Beispiel zu nennen, schreibt unter anderem Songs für: Ace of Base, Robyn, Backstreet Boys, Celine Dion, Bon Jovi, Bryan Adams, Kelly Clarkson, Pink, Avril Lavigne, Leona Lewis, Katy Perry und Kesha. Man sieht: Das Spektrum ist ein wenig größer, als bei D.B., dem Paradebeispiel deutscher Pop-Hochkultur! Das Produzentenduo Bloodshy & Avant aus Stockholm arbeitet für Madonna, Maroon 5, Jennifer Lopez, Britney Spears und jede Menge schwedischer Popkünstler. Nun muss man die Art von Musik und Künstlern nicht unbedingt mögen, aber es zeigt, was Bildung vermag. Ein Angebot für die Menschen schaffen. Immer noch viel besser, als bei uns, wo die Schule – nicht nur im musischem Bereich – komplett versagt. Und es stellt sich ein Leben lang die Frage:

Was, bitteschön, ist gute Musik? Jeder, oder fast jeder, mit dem man darüber spricht, hat eine andere Vorstellung von Musik und von dem, was ihm/ihr an Musik guttut, was nicht.

Ein Beispiel aus meiner ersten journalistischen Erfahrung – nachdem ich mich zu alt fühlte, um weiterhin professionell Rockmusik mit meiner Band zu machen (was für ein Irrtum, wenn man sieht, dass die Stones nach fünfzig Jahren Bandgeschichte noch immer auf Tournee gehen und leider zu gierig geworden sind und unverschämte Eintrittspreise verlangen!!) - als „Musikredakteur“ bei BRAVO. Ich weiß, ein Widerspruch in sich. Denn ja, die BRAVO ist nicht gerade bekannt dafür, dass sie die musikalische Weisheit mit Löffeln gefressen hat. Aber als ich dort tätig war, bald vierzig Jahre her, war noch ansatzweise von einigen dort tätigen Journalisten Musikverständnis vorzufinden (ich weiß gar nicht, ob Dieter Stiegler, mein damaliger Abteilungschef der ´Musik´ Redaktion, Musikfreak mit tollem, vielseitigem Geschmack jenseits der Teenie-Stars und des musikalischen Mainstream, Kunstliebhaber, der dem Alkohol viel zu viel frönte, noch lebt?! Und der mich auf Perlen wie Gino Vanelli und AC/DC aufmerksam machte, als die noch keine Sau in Europa kannte und dessen größter Schatz Frank Sinatra war).

Also: Bei der BRAVO gab es damals einen Textchef (derjenige, der die von den Redakteuren verfassten Artikel begutachtet und abnickt, oder in den Mülleimer schmeißt, oder nach seinem Gusto verändern lässt, oder, wie in diesem besonderen Falle, sich oft mit bitterböser Mine, herunterhängenden Mundwinkeln, verärgert, selbst an die Änderungen machte), der kam von einer Autozeitschrift. Hatte vermutlich vorher Bremsen begutachtet, Reifen getestet und an Vergasern gerochen. Musik war für den ein Fremdwort und äußerst suspekt und unangenehm. Kinder hatte er auch nicht, also wusste er natürlich genau, was die ´Kids´ mögen, wovon sie träumen, welche Musik sie hören, auf welche Typen sie abfahren.

Er erwartete, zum Beispiel, dass in jedem Artikel schon in den ersten Zeilen das Wort ´irre´ vorkam. Das fand er irgendwie gut und zeit- und jugendgemäß. Begann man einen Konzertbericht über die Bay City Rollers (eine musikalische Katastrophe!!, die erst durch BRAVO groß wurde. Danke an dieser Stelle an Bubi Heilemann, den damaligen ´Star´-Fotografen, der die Typen aus England anschleppte und eine große Mitschuld daran trägt, dass sie ihren akustischen Einheitsbrei, der mit Musik nicht viel zu tun hatte, von sich geben durften!) nicht mit: „… die Jungs kamen in irren karierten Schals auf die Bühne und der Leslie hatte irre rote Schottenstreifen an seiner Schlaghose und der Eric

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hatte einen irren neuen Haarschnitt und überhaupt war die Show einfach irre ...“ - dann taugte der Artikel nichts und man bekam ihn wieder vor die Füße geworfen. Das hatte ich schnell begriffen und habe nicht mehr über Musik geschrieben, sondern über die ´irren´ Klamotten. (Bis auf wenige Ausnahmen, die ich in ein paar Storys – später folgend - wortwörtlich wiedergegeben habe und die bei der Zeitschrift mit Unbehagen, eher widerwillig geduldet wurden). Und so kam es, wie es kommen musste ...

Die BRAVO veranstaltete damals jedes Jahr die BRAVO-Superparty. Tausende Kids zwischen sechs und sechzehn standen mit ihren verzweifelt dreinschauenden Eltern in der Berliner Olympiahalle und als die Bay-usw.-Rollers die Bühne enterten, kreischten zehntausend Kinder: „IRRRRE!!!“ - und mein Textchef grinste sauer-selig-angewidert wegen des Gekreisches und sagte: „Siehste, habe ich dir doch immer gesagt, d a s ist die Sprache, die die Kids wollen! Ist doch irre, oder?!“

Dass er selber Schuld daran war, dass die Kinder ´irre´ brüllten, dass er über den literarisch wertvollen Beitrag der BRAVO zur deutschen Sprachkultur exorbitant beitrug, hat er vermutlich bis heute nicht begriffen.

Wenige Jahre später hatte ich als Chefredakteur des MUSIK EXPRESS mit ebenso schwierigen Erscheinungen zu kämpfen. Was macht man mit einer Musikredakteurin, die, weil nach meiner Auffassung völlig unmusikalisch, immer auf die falschen, wenig Verheißendes präsentierenden ´independents´ setzte? Ihre Vorschläge, welche wichtige neue Gruppe ins Blatt gehoben werden soll, waren im Grunde unerträglich ... Sorry, wenn wir so manchen Leser des ME damals musikalisch verunsichert haben.

Noch schlimmer war es bei SOUNDS, gleicher Verlag, gleicher Flur, wo sich die für das Blatt Schreibenden für das Non-Plus-Ultra der deutschen Musikjournalisten hielten und glaubten, sie betreiben musikjournalistische Hochkultur. SOUNDS. Das Feuilleton der Pop-Musik-Kultur. Dass ich nicht lache! Mein leuchtendes Vorbild in der Redaktion war der Prototyp des verzickten, verzinkten, sich unverständlich, umständlich, langatmig, nichtssagend ausdrückend, hyperphilosophisch gebenden, verschrobenen, verkorksten, von Musik auch nicht den Hauch eines Hauchs einer Grundahnung habende, Hyper-Intellektuelle Diedrich Diedrichsen. Er kam als Volontär zu Sounds und macht bei dem Haufen Karriere. Woanders wäre ihm das vermutlich nicht gelungen. Wenn er mich auf dem Flur in ein Gespräch verwickelte, wusste ich, der Tag ist gelaufen. So anstrengend, dämlich und angeblich intellektuell wollte er an das Thema Musik gehen. Dem fehlte der Bauch (und die Teile ein Stückchen tiefer), Gefühl, Seele, Wärme – was auch immer. Katastrophal. Da half nur Flucht. Rein ins Büro und The Who auflegen. Ein Journalisten Kollege, Markus Peichel, schrieb mal über Diedrichsen – so steht´s bei Wikipedia zu lesen - : „… Pop-Feuilletonist, linker Linkenhasser, bemühter Buchhalter der Subkultur, Szene-Papst von eigenen Gnaden ...“, sowie: „... lebender Mythos der deutschen Subkultur ...“.

Alles, was der Mann, Dr. D.D., jemals zu Musik abgesondert hat, ist – sorry – komplett gequirlter Mist eines Kopfes, der nichts von Musik und ihrer Wirkung, Emotionalität, Kraft, Würde, Schönheit, Sanftheit, Wärme, Demut und Göttlichkeit begriffen hat und auch niemals, nicht in einer Million von Jahren begreifen wird. Ein total selbstverliebter, sich gerne dozieren hörender, kopfgesteuerter Typ, der glaubt, Musik kann man nur mit dem Intellekt erfassen und verstehen. Irrtum: Ein guter Fick ist tausendmal besser, als das Gerede über einen angeblich guten Fick! Und ein richtig geiler Song ist mindestens so erotisch, vulgär, direkt, so unvergleichlich und spannend, anregend und betörend, bereichernd, versöhnend, verwöhnend aufregend und Energie spendend wie ein guter Fick! Sich in Emotionen fallen lassen. Das ist es. Nicht mit dem

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unverständlichen Pseudo-Intellekt eines selbsternannten Über-Papstes, sich über seine Ergüsse verzückt im Lehnstuhl zurücklehnend und glaubend, er sei nicht Papst, sondern der Schöpfer himself und dafür geboren, dümmliches Zeug über Musik absondern. Die – ebenfalls ziemlich kopfgesteuerte und dennoch durchblickende – Schweizer Elektropopband Saalschutz drückte sich über Diedrichsen in einem Song, der „Diedrich Diedrichsen“ heisst, mal so aus: „Diedrich Diederichsen, wir lieben dich / aber deine Bücher verstehen wir nicht. / Sie sind so introvertiert und originell. / Wir kaufen sie und stellen sie ins Büchergestell.“ Die Jungs sind höflich. Die Art von Höflichkeit kann ich mir nicht leisten. Heute leert, Pardon: Lehrt! der Mann. Ist Professor für Theorie, Praxis und Vermittlung von Gegenwartskunst an der Akademie der Bildenden Künste Wien. Seine akademischen Forschungsgebiete sind: Pop-Musik als Modell einer Gegenwartskultur; Die „dritte Kulturindustrie“: Netzkulturen und Entertainment-Architektur; Neo-Formalismus, Psychedelia; Martin Kippenberger und seine Zeit (Wikipedia). Die armen, armen Studenten, die da für ihr Leben verunbildet werden ...!

So bleibt zu hoffen, dass sich die journalistischen Unfälle im MUSIK EXPRESS, von SOUNDS nicht zu reden, damals, nicht auf das Hören von wertvoller Musik ausgewirkt haben ...

Musik ist viel mehr als ein Grundnahrungsmittel: Musik ist Ausbruch, Wahnsinn, Freiheit, Sehnsucht. Kraft, Versagen, Sex, Liebe, Treue. Enge, Licht, Dunkelheit, Weite. Vor allem aber auch Wahrheit, Leben, Atmen Wahrheit und noch einmal Wahrheit. Hoffnung! Heilung. Therapeut, Arzt. Keine andere Kunstform ist in der Lage, so umfassend, so universell Rassen, Religionen, Grenzen überschreitend Gefühle und Leben, Angst, Schönheit zu erreichen und selbst den Tod auszudrücken, von dem wir als Lebende nicht wissen, was er bedeutet.

Musik: Die organisierte Form von Schallereignissen. Nüchtern betrachtet. Aber Musik ist sehr viel mehr, als die organisierte Form von Schallereignissen, dem Zusammenklang mehrerer Töne von verschieden langer Dauer, aus deren Folge letztlich Rhythmus entsteht und Harmonik, wenn man die Töne in Beziehung setzt ...

Brown, James *****

Hast du schon mal freiwillig für ein Ticket ´n paar Tausender hingelegt? Noch dazu für James Brown? Der teuerste Konzertbesuch, der mir je untergekommen ist. Das Ticket: 2.500 DM! Nur. Also für mich. Plus die Karten für das Konzert für meine geliebte Frau, Tochter Miriam Dylan und mich. Läppische 180 Mark, für alle drei. Macht 2.680 DM ohne Getränke. Wie das? Warum zu den Tickets dann noch mal zweieinhalb Mille? Na ja, das hängt mit einem Jaguar (dem Auto, nicht der Wildkatze) zusammen und einem genialen Zeichner, der sich auf Metall verewigte. Aber der Reihe nach …

Seit Lichtjahren bin ich ein großer Fan von James Brown. Bin überall hingefahren, wenn der mal in Deutschland spielte. Dabei war seine Band in den Siebzigern und Achtzigern des letzten Jahrhunderts ziemlich grottig. Wie ich fand. Davon lasse ich mich

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nicht abbringen. Ein Orchester halt, mit glänzenden, in die Jahre gekommenen, meist lustlos vor sich hinspielenden Handwerkern. Vermutlich schlecht bezahlt - James Brown soll ein ziemlich großer Geizkragen gewesen sein - , und so machten die Dienst nach Vorschrift. Das erste Konzert mit ihm, The Godfather Of Soul, sah und hörte ich in Augsburg. Irgendwann in den frühen Achtzigern. Kaltes Wetter, Regen. War trotzdem hingefahren, weil er München – im Nachhinein kann ich verstehen, warum – ausgelassen hatte. Da saß ein Orchester afroamerikanischer Musiker ganz in Schwarz – nee, nich ´Ganz In Weiß´ vom Pseudo-Rocker Roy Black, dem Weißen! - und spielte getreu vom Blatt die Songs ab. Die hatten einen Dirigenten, der aber wenig zu tun und noch weniger zu sagen hatte, denn der kleine James Brown, der sich mit ekstatischen Bewegungen auf Stiefelchen mit gefühlten zwanzig Zentimeter Absätzen den Wolf tanzte und die Lunge aus dem Hals sang, dirigierte wie der Generalmajor eine ´runtergekommene Armee die nicht mehr an die Front wollte, und hin und wieder stand auf Befehl des Generalmusikdirektors, durch Weiterwinken des Dirigenten, ein Solist auf, spielte sein Solo, um dann wieder brav Platz zu nehmen. Mit Rockkonzert, oder gutem Soul hatte das wenig zu tun. Man konnte ahnen, wie die abgehen, wenn sie denn Lust haben, aber das Konzert war schon gewöhnungsbedürftig und man konnte es nur mit der großen Liebe zum Meister Brown ohne Heulanfälle ertragen. Dabei hatte der Mann geniale Songs geschrieben, die er auch freundlicherweise alle spielte und eine Musikrichtung erfunden, die bis heute lebt – durch ihn, den Spiritus Rector. Generationen von Musikern hat James Brown inspiriert und gelernt haben sie alle von dem Mann, der keine Note kannte und dennoch Welthits geschrieben und den Groove schlechthin erfunden zu haben schien. Schon in den späten Fünfzigern (des zwanzigsten Jahrhunderts, versteht sich).

Mein nächster Versuch, Brown live zu erleben, verlief klasse. Alle Musiker waren gut drauf, James himself sowieso und die Halle tobte. Das war Soul vom Allerfeinsten. Das muss im Jahr 1991/1992 gewesen sein. Frankfurt, Jahrhunderthalle. Was war passiert? Ich weiß es nicht, aber der cholerische Mr. Brown hatte vielleicht einen guten Tag und auch seine Band bezahlt. Er war ja dafür bekannt, seine Musiker zu feuern, wie es ihm beliebte und nur wenige seiner Jungs aus den Anfangstagen haben es lange mit ihm ausgehalten, obwohl er – in der Jahrhunderthalle - jeden der Herren Saxophonisten, Gitarristen, den Drummer, Bassisten, Trompeter, usw., persönlich und mit viel Lob vorstellte. Das war seine Masche. Der totale Showman.

Ein paar Jahre später. James Brown in München. Jürgen Olczyk hat einen Fototermin mit dem Meister im Park Hilton-Hotel. Der Meister lässt auf sich warten. Er kann seinen Kamm nicht finden und braucht einen neuen. Marke: Pferdekamm, um durch seine – echte!! - Mähne zu kommen. Jürgen sagt: „Das ist doch OK. Ihr Haar sitzt perfekt, Maestro!“ „Nein, so gehen Fotos gar nicht!“ Verärgert verlässt er das extra aufgebaute Studio. Also wird ein Angestellter des Hotels in die Stadt geschickt, um gewünschten Pferdekamm zu kaufen. Es dauert Stunden. James Brown wird ungeduldig, die Zeit rennt, Jürgen wartet und wartet. Der Bedienstete kommt aus der Stadt zurück. Hat eine Auswahl von Kämmen bei sich. James Brown ist entzückt! Zieht sich mit den Schätzen aus Holz, Plastik und Eisen in seine Suite zurück und kommt geschlagene vierzig Minuten später wieder raus: Bingo! Die Haare sehen exakt genau so aus, wie vor dem anstrengenden Akt des Kämmens ... Zu sehen im Foto mit der zu klein geratenen Sonnenbrille. Fotos perfekt, Maestro zufrieden, Konzert genial.

Und noch was: Der Typ war gelenkig. Das, was etwas später als James Brown The-Former-usw.-Prince machte, Männerspagat, sich dabei am Mikrofon festhaltend, machte

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der – damals bereits über Fünfzigjährige - noch spielend und das schon seit dreißig Jahren! Alle Achtung! Auch Michael, der Jackson, wird sich bei James so einiges an Performance abgeschaut haben. Fazit: Der Trip nach Frankfurt hatte sich gelohnt, das Konzert in München auch und als ich in Marbella – das ist keine Hunderasse, sondern ein ´mondäner´ Urlaubsport im Südsüdwesten Spaniens – wenige Jahre später, es muss 1997/1998 gewesen sein, die Ankündigung las, dass James Brown zu einem Open Air-Konzert in die Stierkampfarena nach Estepona (ein kleiner Ort westlich von Marbella, Richtung Gibraltar, nur gesagt für die Ortsfremden ...) kommt, kaufte ich für meine Bande sofort drei Tickets.

Romantik pur. Stierkampfarena bei Nacht. Mondschein lässt das Wasser funkeln wie Diamanten; die andalusischen Berge sind in bläuliches Stahlsilber getaucht. Mr. Brown mit Sängerinnen, tanzenden Hühnern und einer absolut geilen Band. Sommernacht, laues Lüftchen vom Meer, ausverkauft die Arena, auch ohne Stiere, und die Sexmachine tobte, fauchte, sang sich die Seele aus dem kleinen Körper und überzeugte mit jedem Song mehr. Einfach sensationell. Faszinierend, wie James Brown, bei dem man kaum eine Textzeile versteht, jeden einzelnen Song fühlt, aus sich herausschreit, ihn mit jeder Faser seines Körpers, seines Herzens lebt. Da gibt es keinen Betrug, der Mann ist Soul. Keiner konnte das wie er. Männlich, auf seine Weise sexy, musikantisch, aus dem Bauch heraus. So muss, so kann man Musik empfinden und hoch professionell, ohne dabei in Normen und Formen zu erstarren, singen & spielen. Soul vom Allerfeinsten. Ein Konzert, das man nie wieder aus seinem Herzen, seiner Seele, der Musikabteilung des alles speichernden Gehirns streichen kann. Eingebrannt. So kann es gehen. Hit reihte sich an Hit. Brown verstand es, Atmosphäre aufzugreifen. Dann konnte ein Song wie „I Feel Good“ schon mal fünfzehn, zwanzig Minuten lang werden, ohne langweilig zu werden. Der hatte ein Gespür, einen Song zum Höhepunkt zu bringen. Sensationell. Und er peitschte, schweissgebadet, Backing-Vocals, Tänzerinnen und die Band zu einer orgiastischen Partie. Die Atmosphäre, die von der Bühne ausging, war einfach genial. Sie erreichte mich - und meine Mädels – , wenn auch sehr unterschiedlich. Wie soll man einer Opernsängerin Soulmusik erklären? Dafür gibt es keine Erläuterung. Man fühlt die Musik, oder nicht. Und unsere Tochter: Hab´ sie nie gefragt. Aber wenn ich sehe, was sie heute, inzwischen erwachsen, musikalisch gereift, an Musik von bis hört, dann muss JB großen Eindruck hinterlassen haben. Gefühle in ihr ausgelöst haben, auch wenn sie vielleicht nicht mehr auf dem Schirm hat, wer ein großes Faible für schwarze Musik in ihr ausgelöst hat. James Brown gehört sicher dazu.

Die Backing-Vocals waren ein Gedicht, die Tänzer für meinen Geschmack überflüssig, aber so sind sie, unsere Schwestern und Brüdern. Immer noch einen drauf. Machen die Rihanna´s heute nicht anders. Die Band: Einfach nur Klasse! Teight, voll Spannung und vermutlich an dem Abend sehr gut bezahlt.

Völlig beseelt, gingen wir nachts um drei – das Konzert hatte erst nach 23:00 Uhr begonnen, bis dahin lief über Stunden Soulmusik der Konkurrenz der Sechziger/Siebziger vom Band – nach der gefühlt 26. Zugabe zum – bewachten/bezahlten - Parkplatz, stiegen in den Jaguar und fuhren nach Hause. Garagentor auf, Licht an. Und dann war sie da, die Bescherung. Ein vermutlich junger Künstler hatte sich mit spitzem, scharfen Gegenstand als (Kunst?)-Maler, besser als Graveur, auf dem schwarzen Automobil verewigt. Es gab buchstäblich KEINE Stelle der keine zehn Wochen alten/neuen Raubkatze, die nicht mit Strichmännchen, Häuserblocks, Straßen, Palmen, Strichmädchen gespickt war. Selbst die Rückspiegel trugen Tattoos. Leider war der

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Künstler noch ein rechter Stümper und kein Roy Lichtenstein. Dann hätte ich die britische Luxuskarosse für ´ne Million bei Sotheby´s versteigern lassen können. So blieb mir nur der Gang zum Lackierer. Die waren damals in Spanien noch relativ human und als der Lackierermeister den Wagen sah, verdrehte er die Augen, streichelte ihn liebevoll; es kamen ihm die Tränen und er machte mir einen absolut fairen Preis, als er die Story hörte, schämte sich für seine Spanier (wenn´s denn ein Spanier war, der Künstler) und so bezahlte ich eben ´nur´ - umgerechnet in DM, es war in Españja noch die Zeit der guten, alten Peseta – 2.500.-- Mark für eine notwendig gewordene Ganzlackierung. Das war der Zusatzpreis für unseren Konzertbesuch beim Meister. Zum Trotz bin ich wenig später mit dem Frischlackierten zu einem Konzert mit Carlos Santana in die Stierkampfarena nach Malaga gefahren. Ebenfalls ein Ereignis der besonderen Art. Wie das Abenteuer ausging ...?

Fendrich, Rainhard ***

Als ich mein Recording Studio „MSM“ - Marbella Sound Machine, in großzügiger Anlehnung an das berühmte Studio Miami Sound Machine Studio - in Marbella, Spanien, im exklusiven Five-Star-Hotel-Resort PUENTE ROMANO eröffnete, 1991, träumte ich davon, die Stars – vorerst aus der deutschsprachigen Musikgemeinde – mit Sonne, Palmen, Meer, Luxus & tollem Studio-Equipment locken zu können, ihre CDs bei mir zu produzieren. Alles war vom Feinsten. Das Studio lag in einem für Fremde nicht zugänglichen Bereich im „Private Wing“ des Luxushotels; man benötigte Schlüssel, um in das riesige Areal der Apartments (Luxuswohnungen, die Wohlhabende & Reiche & noch Reichere der ganzen Welt sich gekauft haben und diese hin und wieder für nur wenige Tage bewohnen) zu kommen. Die Tiefgarage führte direkt an die hintere Studiotür; verspiegelte Fensterfronten sorgten dafür, das man nach außen schauen konnte, aber nicht in den Studiokomplex. Großes Studio mit großem Mischpult, kleines Aufnahmestudio mit kleinem Mischpult, Aufnahmeraum, Schlagzeug-Kabine, Küche, Bad, Toilette, Maschinenraum, eleganter Aufenthaltsraum – na eben alles, was man für ein gutes, professionelles Recording Studio braucht. Bereichert mit abgedrehter Kunst eines jungen spanischen Wilden, der Malerei mit Metallarbeiten kombinierte. Marmor und Luxus, eine große, private Terrasse direkt vor der Tür: Aus allen Studioräumen konnte man auf eine große Pool-Landschaft mit Palmen, Bougainvilleas und manchmal auch schöne Frauen im sparsamen Bikini schauen und war mit fünf Schritten im warmen Wasser der Pools. Not so bad …

Ein falscher Freund hatte mir das Studio technisch gebaut/ausgestattet. Angeblich mit State of the Art-Equipment aus den USA (ich verstand nichts von dem technischen Zeug und hatte ihm leider blind vertraut, statt eine Ausschreibung zu machen! Leute: Macht so etwas NIE! Vertrauen ist gut, Kontrolle ...). Der erste Künstler, der im „MSM“-Studio aufnehmen wollte, war der New Yorker Multi-Künstler John Lurie. Saxophonist und Chef der LOUNGE LIZARDS, Schauspieler, Maler, Filmkomponist, Filmemacher. Ein schräger Vogel, introvertiert und abenteuerlich, aber interessant mit dem, durch das und was er wie machte. Er wollte eine ganze LP bei mir aufnehmen. Kam von New York geflogen – zum Studio gehörten zwei von mir angemietete Luxus-Apartments - , ließ sich zwei Tage nicht blicken und verbrachte die Zeit in seinem Apartment (Wohnzimmer mit

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Kamin, zwei Schlafzimmer, zwei Bäder, Küche, große Sonnenterrasse, alles edelst, teuerst eingerichtet) wie im Paradies. Wie ich später hörte, telefonierte er ununterbrochen mit der ganzen Welt, erschien dann exakt für fünf Minuten im Studio, ging einmal durch, geführt von meinem US-Toningenieur Joe Hollingsworth, und verschwand. Verschwand auf Nimmerwiedersehen.

Komisch. Dachte ich.

Dann sagte mir mein Toningenieur, nachdem er wochenlang alles im Studio gecheckt hatte, ängstlich, weil er um seinen Job fürchtete, dass „irgend etwas“ mit der Technik nicht stimme. Ich bekam Muffensausen, weil sich in zehn Tagen für die nächsten vier Wochen Rainhard Fendrich mit seiner Mannschaft, sprich Musikern, Produzent, Manager, Betreuer, usw., angesagt hatte. Knapp ein Dutzend Leute. Wir hatten einen gegenseitig befriedigenden Deal abgeschlossen. Eine gesamte LP sollte in Marbella entstehen. Alles war exakt durchgeplant und die vier Wochen mussten Fendrich reichen. Fieberhaft telefonierte ich herum, denn mein feiner Studiobauer aus Hamburg wollte partout nicht mehr nach Marbella kommen, er war sich sicher, dass das Studio in perfektem Zustand sei und ich solle meine Idioten von Ton-Ingenieuren feuern, was ich mit einer Münchner Ingenieurin, die ich ebenfalls eingestellt hatte, schon auf sein Anraten hin getan hatte ... Arschloch! Der Pseudo-Hamburger. Stress. Wutausbrüche, Ärger. Also andere Freunde der Tonmeisterbranche angerufen und dann kamen in einer Blitz-Nacht-Und-Nebelaktion zwei Münchner Technik-Asse – Hans Glinka & Peter Vilser –, die sich sofort ins Studio stürzten, um mir nach einer 24-Stunden-Abbau-Anguck-Probier-Aktion mitzuteilen, dass das Studio so nicht funktionieren würde. Gar nicht könne. Die Verkabelung sei der Oberpfusch und überhaupt. Ins Detail zu gehen, würde zu lange dauern. Ich sagte: Klotzt ran, Jungs, bitte! Hans & Peter und Joe und Harly klotzten ran. Verwöhnt von einem Girl, der Studio-Assistentin, auf die so manche der Musiker so manchen heißen Blick warfen – und nicht nur den … Zwischenzeitlich kam noch eine neue 46-Spur OTARI 900/II Aufnahmemaschine – wirklich state of the art anno 1990 -, weitere Ingenieure, die das Studio bevölkerten und die Zeit lief und lief und lief…

Samstag. Der Flieger aus Wien landete. Mit meiner Studio-Crew holten wir mit vier PKWs Fendrich & Co. vom Airport in Malaga ab, während Hans und Peter und Joe fieberhaft arbeiteten, unterstützt von Harly und Adel und „bettreut“ von einer jungen Dame, der Studio-Assistentin, die sich, vermute ich mal ganz unvoreingenommen und unwissend, nicht nur um das leibliche Wohl der Mannschaft kümmerte ...

Herrlicher Sonnenschein – strahlende Gesichter. Rainhard saß bei mir; im offenen Cabrio cruisten wir entspannt nach Marbella. Die Stimmung war prächtig, denn das von Wien geschickte Equipment, sowie Instrumente waren im Zoll angekommen (das war damals noch so). Was wir zu der Stunde noch nicht wussten, war, das ein dringend benötigtes Teil für die Aufnahmen fehlte. Es steckte sicher irgendwo im Zoll und am Wochenende konnte man zu der Zeit in Spanien gar nichts checken. Gut so... Wir fuhren mit der ganzen Bande zu mir ins Penthouse, ich konnte den Profis doch nicht ein komplett zerlegtes Recordingstudio vorzeigen. Blick aufs Meer, Kaffee und Kuchen, Kennenlernen, staunen, weil alles so schön war, aber ich merkte, die waren heiß darauf, ihren Arbeitsplatz für die nächsten Wochen kennenzulernen. Es blieb mir nichts weiter übrig, als sie ins Studio zu führen. Außerdem wohnten sie ja auch in dem Komplex des Puente Romano in fünf edlen Apartments. Auch jetzt: Staunen. So schön, so elegant und

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großzügig, mit Pools & Palmen vor der Nase, der Privatstrand zweihundert Meter vom Studio! Das hatten sie sich von den Fotos aus meinem Prospekt so nicht vorgestellt. Wow! Dann kam der Moment, wo sie ins Studio gingen. Erstaunen, ängstliche Blicke. Meine Ausrede: „Vor jeder neuen Produktion lasse ich das Studio komplett checken. Bis morgen ist alles OK, ihr könnt dann problemlos starten …“

Ha, ha. Es wurden drei Tage, obwohl Fendrich schon am Sonntag mit der Produktion beginnen wollte. Klar, jeder Tag zählt und kostet Geld! Glück, dass das wichtige Gerät, was sie vom ersten Tag an zur Produktion brauchten, nicht aufzufinden war. Das kam mit Verspätung aus Wien. Irgend ein Trottel von der Airline hatte die Kiste einfach vergessen. Aber dann stellte sich heraus, das mein Studio doch einige Mängel aufwies, die man auf die Schnelle nicht beheben konnte. Das große Mischpult, 56-Kanal Wheatstone, USA, wurde sehr schnell von einem der Musiker mit einem Zettel überklebt: Witztone! Denn das war zwar neu und teuer und gut, nur nicht für Recordings unserer Art – es war letztlich ein Broadcast-Pult, also fürs Fernsehen gedacht, und dort stellt man total andere, niedrigere Ansprüche an Tonqualität... Es wurde improvisiert und – danke noch mal an Rainhard, Taato Gomez (Produzent), Hartmut (Ex-Ton-Ing. bei Frank Farian und sehr guter Drummer!) & Co.! – die ganze Mannschaft litt mit mir und zog zugleich mit, die LP-Produktion erfolgreich abschließen zu können, nachdem ich die Hosen runtergelassen und ihnen erzählt hatte, wie ich beschissen worden war. Es lief grandios. Die Musiker hatten Spaß ohne Ende, wer nicht gerade etwas einspielen musste, verbrachte die Zeit im Pool. Wo kann man schon barfuß innerhalb von zehn Sekunden, triefend und in nasser Badehose, im Studio stehen und seinen Saxophon-Part (in der Küche, nicht wahr, Christian Felke, weil dort für dich der beste Sound war!?) einspielen? Es wurde viel gearbeitet, viel gefeiert, viel gelacht und gut gegessen. Herrliche vier Wochen und dem Album NIX IS FIX hört man einfach an, dass es in einer besonderen, sonnigen, lockeren Atmosphäre entstanden war. Ich habe die Verkaufszahlen nicht, aber ich glaube, diese Platte war eine der bestverkauften von Rainhard Fendrich. Fünf Wochen auf Platz Eins, 32 Wochen in den Charts. Not bad.

Wenige Wochen nach der Produktion war Rainhard wieder in Marbella; diesmal zum wohlverdienten Urlaub mit seiner damaligen Frau Andrea. Wir hatten eine schöne Zeit, haben zu Viert viel Tennis gespielt (Andrea war der Crack, sie war mal nationalmannschaftsmäßig in Austria unterwegs), die Gegend unsicher gemacht und prächtig gegessen, nicht nur im >Khans<.

Jetzt wollte ich eigentlich über ein Konzert berichten. Ja, ich habe etliche mit Rainhard gesehen. Das muss man ihm lassen: Er hat immer fantastische Musiker um sich herum. Zumindest kann ich das ab 1990 bis einige Jahre danach beurteilen. Ich habe ihn live in Wien erlebt, im Circus Krone in München und auch in der dortigen Olympiahalle. Ein sensibler Entertainer! Bis es mit ihm bergab ging. Drogen, Ehe kaputt, TV-Sendung „Herzblatt“ bei BR eingestellt. Nun ja – er hat es wieder gepackt. Musikalisch. Es sei ihm gegönnt, obwohl die aktuelle Ehe auch schon wieder im Eimer ist, hört man. Und Songs wie „Bergwerk“, „I Am From Austria“, „Löwin und Lamm“ gehören zur deutschsprachigen Popliteratur, sind ohne Frage Weltklasse und verdienten es, weltweit von anderen Stars gecovert zu werden.

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Haenning, Gitte *** (für das Stimmmaterial) * (für den Rest)

Noch so ´ne Verstrahlte. Die Grüblerin vom Dienst. Immer freundlich, direkt, liebenswert, aber – gefühlt – leicht neben der Kappe. Wir lagen auf dem FKK-Deck der MS Europa, bekleidet mit einem schwül-warmen Monsun, der sich aus der Troposphäre auf das Achterdeck des Luxusliners geschmuggelt hatte, bei herrlichstem Sonnen-Sommerwetter, schipperten ruhig und friedlich bei glatter See, begleitet von schreienden Möwen, quer durch den Indischen Ozean und philosophierten über die schwierige Welt und die anstrengende Situation für Künstler im Allgemeinen und im Besonderen für gehobene Schlagersänger. Abends hatte Gitte ihren Gala-Auftritt vor einem Publikum, das man kaum geschenkt haben möchte, das dich als Künstler dennoch quasi geschenkt bekommt, denn du als All-Inclusive-Schiffsreisender zahlst keinen zusätzlichen Eintritt: Das Künstlervolk ist im Pauschalpreis der Luxusreise inbegriffen. Verwöhnte Kreuzfahrer, die unterhalten werden wollen und einen Geschmack haben, der dem Geldbeutel angepasst zu sein scheint. Fordernde Skeptiker, besser-wissende Oberlehrer, Geldsäcke; zumeist. Also Menschen, die eher Verständnis für Monetäres als für Musisches haben, die Künstler als Dienstboten betrachten, die ihnen, den Feisten, Fettgefressenen, Klunker-Behangenen und Toupet-Bekopften, meist zwischen Sechzig und scheintot, die Langeweile vertreiben sollen, die sich automatisch einstellt, wenn man vom Kost-Ja-Nix-Wenn-Ich-Noch-Mehr-Fresse-Büffet die Wampe ordentliche überfüllt haben,´nebenbei´ sich die jeweilige Show des jeweiligen Künstlers ´reinziehen. Es ist ein harter Job für die verwöhnten Kulturbanausen, die nicht weglaufen oder fortschwimmen können und freiwillig gezwungen sind, sich den Star anzuhören, oder an der Bar ´rumzuhängen, oder am Deck zu stehen und aufs Meer zu schauen. Kommt jemand in dein Konzert, der dafür bezahlt hat, weißt du, der mag dich, der identifiziert sich mit deinem Schaffen. Egal, ob Schlagersänger oder Operndiva, Weltmeister im Zaubern oder Tanzen.

Warum tun sich das Künstler an? Weil sie Geld verdienen müssen, weil sie die Seefahrt im Luxus lieben, weil sie die Welt sehen wollen – es gibt viele Gründe und ganz generell können Kreuzfahrten auch wunderschön und voller Romantik sein. Und es kann unter den Gästen durchaus ein Dutzend Fans von einem Künstler geben, keine Frage. Gitte, langjähriger Profi, die ihre Mutter (was ich ganz toll fand, weil sie sich sehr liebevoll um sie kümmerte) dabei hatte, ging locker auf die Bühne und sang – mit der an Bord engagierten mittelmäßigen, überwiegend lustlos spielenden Band – ihre Hits. Zur Freude der ausnahmslos reiferen Besucher des Gala-Abends. Noch ein Glas Champagner, den Hintern kurz gelüftet, ein Wind will sich aus dem Gesäß verabschieden – wohl doch zu viel vom Lachsfilet gegessen – und dann singt Gitte ´Summertime´ von Meister Gershwin. Bei mir stellte sich ein überraschtes „Wau!“ ein. Was für eine Stimme, welche Kraft, das richtige Feeling für jazziges Phrasieren. Toll, einfach toll. Vorbei an der Band, letztlich nur noch begleitet vom Pianisten, der ihren Groove als einziger aufnahm, waren das vier, fünf Minuten echter Musikgenuss. Die zur See Fahrenden klatschten höflich. Ich war begeistert und dachte mir, was für ein verschleudertes Talent. Hätte Gitte das Singen von Jazz konsequent durchgezogen (sie hat es ja immer mal wieder in ihrer Karriere gemacht, wurde aber kaum ernst genommen, da einmal Schlagerfuzzi immer Schlagerfuzzi), wäre ein Weltkarriere möglich gewesen. Klar, man verdient mit Galas für saufende, rülpsende, furzende, gähnende Abteilungsleiter – die aus Versehen ihrer

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Sekretärin ans ziemlich weit in Höhe der Hüfte gelegene ´Knie´ greifen – auf Betriebsfesten mehr, als mit einer Jazztournee durch kleine Clubs. Aber kann Geld wirklich alles sein?

Jackson, Michael ***

Da stand ich nun neben Michael Jackson und dachte, was für ein body! Und zugleich: Was für ein armer Typ. Schlank, sehnig, ein echter Knackarsch. Tolle Figur, schöner Rücken. Aber dieses Gesicht! Voll von Angst und Neugier zugleich. Echt unecht. Suchend und schüchtern. Gebleicht, bis zum Hals; auch die Handrücken. Feine, schlanke Hände mit langen Fingern. Sensibel, fast zerbrechlich der ganze Mann und zugleich Kraft, Energie ausstrahlend. Die Nase, na ja, die ging gerade noch durch. Bin neugierig. Meine Augen tasten ihn ab. Und, den Blick senkend, die Beine. Die passten wiederum nicht zu dem Gesicht. Schwarz, muskulös. Austrainiert. Tänzer. Kerniger Body. Ein richtiger Schwarzer, ging es mir durch den Kopf. Kräftig, saftig, voller Spannung der ganze Körper. Toll!

Unsere erste Begegnung war unwirklich. Madison Square Garden, New York City, 3. März 1988. Ich bin eingeladen, mir das erste New Yorker Konzert der ersten Welttournee von Michael Jackson anzusehen. Unsere Musik Sponsoring-Agentur CONCERT & CO, die ich mit meinem Partner Christian Timmer vor ein paar Jahren gegründet hatte, bekam den Zuschlag, für PEPSI, den Hauptsponsor der Tour, unter anderem die PR-Arbeit für die Stadion-Tour 1988 (Berlin, Hamburg, Köln, München, Hockenheimring, Würzburg, Hannover, Gelsenkirchen) zu übernehmen. Erstmalig – anno 88 fast ein Weltwunder – machten wir für die Welttournee eine TV-Live-Presse-Konferenz mit Hilfe der Deutschen Post (ja, das klappte sogar!) und schalteten, von München aus, nach New York, wo Michael Jackson auf die Fragen der internationalen Journalisten antwortete, die aus Tokio, London, Paris, München und anderen Städten ihre Fragen stellen sollten/durften. Michael Jackson beantwortete auf sehr schüchtern wirkende, sparsame Weise, die zu seinem Markenzeichen wurde, mehr oder minder die Fragen. 1988 war das ein gigantisches, weltweites PR-Ereignis mit einem ebenso gigantischen technischen Aufwand. SKYPE gab es natürlich noch nicht und das Internet war in heute nicht mehr vorstellbaren Kinderschuhen. Die Deutsche Bundespost als einziger Telefonnetzbetreiber hatte Mühe, uns in München das Headquarters technisch einwandfrei arbeitend hinzustellen – die Zentrale war in der Musikkneipe „Schlachthof“ - und um ein Haar wäre alles umsonst gewesen, weil eine, die wichtigste Telefonleitung nicht funktionierte. Fieberhaft arbeiteten Dutzende Techniker daran, das noch in den Griff zu bekommen. Die Zeit bis zur Live-Schaltung raste. Hektisches Treiben und Schweiß auf der Stirn, auch bei uns. Zudem lag hoher Schnee, es war eisig kalt und ein Abenteuer technischer Art, mit dem wir nicht gerechnet hatten, als wir das Medienereignis planten. Mein Partner Christian Timmer dirigierte die weltweite Pressekonferenz bravourös, während ich im Hintergrund die Fäden zog, so gut ich konnte. Letztlich wurde der PR-Event zu einem großen Erfolg: MJ & Pepsi waren happy und wir ebenfalls, dass alles letztlich sehr professionell gelang und nach außen hin rund ablief ...

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Während andere Geladene durch New York bummeln, habe ich mich am frühen Nachmittag in den riesigen Madison Square Garden gesetzt, in dem noch immer wunderbare, unvergessliche Töne zu hängen scheinen. Von den Stones, The Who, den Eagles! Bonos Stimme schwingt durch die Halle – obwohl ich kein U2-Fan bin -, natürlich Tina Turners „Notbush City Limit“ und der Urschrei der Rockmusik: Joe Cockers unvergleichlicher Hilfe-Schrei in „With A Little Help From My Friends“, mit dem er sich seit Woodstock anno 1969 in die Ohren aller Rockfans eingegraben hat. Ich höre ihn! Ja! Das ist Musik! Die Geschichte des MSG ist umwerfend und liest sich wie das Who is Who der Popgeschichte; die Sportler, die die Halle bespielen, werden mir den Eindruck verzeihen.

Ich stelle mir vor, wie hier Robert Plant mit seiner unvergleichlichen Stimme „Whole Lotta Love“ den Zwanzigtausend entgegen sang/schrie/brüllte und mit Bruststimme Höhen drückt, um die ihn jeder Operntenor beneiden dürfte. Und sah vor meinem geistigen Auge das riesige pinkfarbene Schwein, das sich zu den psychedelisch wabernden, genialen Klängen von Pink Floyd während der „In The Flash“-Tour 1977 an vier Konzertabenden quer über die Halle, hoch über den Köpfen der begeisterten Fans, seinen Weg bahnte: Musikgeschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts. Diese Halle könnte unglaubliche Storys von unvergesslichen Musikereignissen erzählen ...

Sounds werden vorbereitet, der Gitarrist Jon Clark spielt ein paar schnelle Phrasen und sucht den richtigen Gitarrensound für „Billie Jean“, will sein eigenes Gefühl für die Halle bekommen. Dann läuft der erste Titel von MJ. Vom Band. Ich wundere mich. Der Meister steht nicht am Mikrofon. Aber ich höre ihn. Nun gut, denke ich. Ist ´n guter Gag. So geht es weiter. Spielt die Band live, oder kommen die auch vom Tape? Werden da Livesounds mit Playbacks zusammengemixt? Ich laufe suchend durch die Halle. Stehe mal beim Mixer in der Mitte der Halle, dann nahe an der Bühne. Einen Soundcheck in dieser Liga der Musiker habe ich anders in Erinnerung ... Genauer gesagt, ich habe ihn im Laufe der Jahrzehnte x-mal anders erlebt. Von Stars und Musikern, von Musikstars. Die Eagles in der Münchner Olympiahalle während ihrer „Hotel-California“ Tour. Zum Beispiel. Die spielten während des Soundchecks live ihr halbes Programm durch. Voll Power, Enthusiasmus und ständig den Sound verändernd, verbessernd. Das war im Sommer 1977. Mit riesigen Ohren. Alle. Jeder in der Band auf jeden hörend, aufpassend. Joe Walsh dirigierte seine Mitspieler souverän und lässig. Fantastisch. Da wurde echt geprobt, nicht nur für Minuten ein Soundcheck durchgezogen ...

(Von den eigenen Soundchecks mit meiner Band in den frühen Siebzigern den 20ten Jahrhunderts einmal ganz abgesehen. Die endeten meist in überaus kreativen, die Seele erheiternden Sessions, die oft Stunden dauerten. Wir mussten uns bremsen, um nicht abends, zum Konzert, schon völlig ausgepowert zu sein ...)

Anders im Madison Square Garden bei MJ. Da läuft alles ziemlich lasch und – so hat es den Anschein - etwas unkontrolliert ab. Es könnte fast den Anschein haben, die Musiker und Backing-Vocals haben wenig Lust. Dass hier in wenigen Stunden die gesamte Weltpresse zugegen sein wird – Pepsi hatte geladen - , ist nur zu erahnen. Allmählich langweilte mich das Geplänkel auf der Bühne. Außerdem drückte die Blase. Also verließ ich die Arena und suchte im Unterbau, mich einfach in dem riesigen, ovalen Gang treiben lassend, eine Toilette. Gefunden. Wie ich an eines der Becken trete, höre ich Sekunden später wieder die Tür hinter mir und ein leise gehauchtes „Hi“. „Hi“, erwidere ich. Zwei Becken weiter steht Michael Jackson. Schlank, fast zierlich ... So fing meine erste Begegnung mit dem Weltstar an …

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Trotz der mich irritierenden Vorbereitungen zur Show wurde es ein unvergesslicher Abend. Ein Sprecher aus dem Off begrüßte die gesamte Jackson-Family, Spots suchten die einzelnen Familienmitglieder, La Toya, die Mutter, Janet, Jermaine, usw. Alle waren gekommen, jeder aus dem Familienclan wurde einzeln vorgestellt. Nur der Vater nicht. Mein Platz war super. Am Mittelgang, in der Arena, direkt am Sound-Mixer. Neben mir der Reporter, der für die New York Times berichtete und der mich plötzlich antippte und sagte: „Look at left. The godfather himself ...“ Und wie ich meinen Blick nach links wende, sehe ich, wie der ungeliebte Vater sich auf das Mixer-Podest schleicht. Zehn Minuten nach Beginn des Konzertes. Pah! Der hockte während des ganzen Konzertes dort, stur zur Bühne blickend und keine drei Meter von mir entfernt. Kurz vor der ersten Zugabe verlässt der finstere Gesell´ genauso unauffällig seinen Platz. Erst Monate später, als ich das Vergnügen habe, die Tour durch Deutschland zu begleiten und mich nach dem Konzerterlebnis in New York viel mehr mit Michael Jackson beschäftigte – der war vorher nie wirklich in meinem musikalischen Raster –, zu der Tour etliche Radio-Interviews gebe, VIP-Insentives über MJ für Sponsoren und deren Kunden durchführe, etc., kommen mir Gedanken, die ketzerisch, aber nicht von der Hand zu weisen sind. Da ich aber keine Lust habe, mich auf meine alten Tage noch mit US-Anwälten streiten zu müssen, bleiben die Gedanken, die ich damals – unwidersprochen – äußerte, Gedanken. Nur eine Frage, die sei ohne anwaltliche Folgen gestattet: Wie kann es sein, dass eine männliche Stimme nicht in den Stimmbruch kommt? Ich ließ seinerzeit Michael Jacksons Stimme frequenztechnisch in einem Recording Studio eines Freundes von einem HNO-Arzt und Sound-Crack prüfen. Ergebnis: Ihr fehlen sämtliche Frequenzen, die sich normalerweise beim männlichen Heranwachsenden während der Pubertät bilden. Ein Phänomen! Selbst beim Heldentenor, der eine sehr hohe, dünne Stimme haben könnte, bei Pavarottis Luciano, zum Beispiel, waren / sind diese speziellen, männlichen Frequenzen vorhanden.

Nur bei Kastraten nicht. Als Kastraten bezeichnet man einen Sänger, der vor der Pubertät der Kastration unterzogen worden war, um den Stimmwechsel zu unterbinden und seine Knabenstimme – Sopran oder Alt - zu erhalten. So erlangt der junge Mensch zwar die Größe und die äußere Erscheinung eines Erwachsenen, behält aber die hohe Stimme und kann mit ihr so kräftig singen wie ein Mann – nur klingt sie ´anders´. Alle wesentlichen Merkmale und Folgen von Kastration, die man medizinisch belegen und in der Fachliteratur nachlesen kann, treffen auf MJ zu. Von fehlender Körperbehaarung bis zu Hautveränderungen, seinem Gesamtgebaren, kindlich bleiben wollend, Kinder haben wollend (Erektion ist kein Problem, aber Kinder zeugen? No way!) Und man schaue sich „seine“ Kinder an. Erinnern die optisch auch nur irgendwie an MJ, den Sohn des farbigen Kranführers Joseph Jackson aus Gary, Indiana, der Großstadt mit dem höchsten Anteil Afro-US-amerikanischer Bevölkerung – 85,3 % - in den USA.) Michael Jackson der zeugende Vater „seiner“ Kids? Ja sicher doch. Und ein Elefant ist eine Kreuzung aus Ameise und Traktor ...

Wollte der – mir äußerst unangenehme - Vater durch eine Manipulation am Sohn verhindern, dass die Jackson Five ihr stimmliches Aushängeschild, Michael, verliert? Die Zeit festhalten und damit seinen Sohn vernichtend? Denn ohne Michael Jackson keine Jackson Five, heißt: Keine Kohle. Und geldgierig ist der Alte bis zum Abwinken. Eitel und gierig. Jeder Fan kann sich die Fragen selbst beantworten. Das Leben und Sterben Michael Jacksons hat die Antwort längst gegeben. Brutal.

Für mich blieb MJ ein total armer, liebenswerter, kranker, intelligenter, begnadeter Performer, guter – nicht außergewöhnlicher - Musiker und Getriebener. Getrieben durch

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eine brutale Familie und eine Musikindustrie, die man nur verachten kann, wenn sie sich in der Form auslebt, wie sie es bei Michael Jackson tat und nun - dank seines Ablebens ein Segen für die leeren Kassen der Plattenfirma! - weitermacht. Der war und ist für die Manager der Schallplattenindustrie, die Shareholder, die Anwälte und Konzertveranstalter nichts weiter als eine CASH-COW. Geld raffen. Der Tod kam gelegen, denn sie fühlten, dass der arme Mann ausgebrannt war. Quincy Jones würde das bestätigen, wenn er nicht aus Ehrfurcht oder Angst schweigt. Und jetzt ist MJ auch Cash-Cow für die Erben, die Familie, in der alle Geschwister seit Jahren erfolglos sind, denn selbst bei Janet Jackson, die weder gut singen kann (mit ihrer eher komischen Piepsstimme, die gerade noch für nichts sagende Disco-Songs, die man zugedröhnt in irgendeinem Club überlaut hören muss, durchgeht), noch gute Songs hat, fließen noch groß Tantiemen ins Haus. Jetzt hat sie sich wohl einen Milliardär aus Quatar geangelt und wird vielleicht bald als Muslimin Janet Cha-Ching heissen.

Noch einmal zum Tod von MJ: Da kamen das Ableben des Superstars und der unerwartete, aber erhoffte Geldsegen gerade gelegen... Und der Rest der Familie tourt wieder als The Jacksons rund um den Globus, eine traurige Truppe von Mitläufern, die nun noch ein letztes Mal – hoffentlich!! - mit dem Namen des Verstorbenen Kohle absacken wollen. Zu allem Übel verklagen sie jetzt den Konzertveranstalter auch um läppische Summen. Die als seriös geltende „Süddeutsche Zeitung“ schreibt dazu am 03. April 2013 (Auszug/Zitat): ´...Mit der Auswahl der Geschworenen hat in Los Angeles ein milliardenschwerer Schadenersatz-Prozess um den Tod von Popstar Michael Jackson begonnen. Richterin Yvette Palazuelos eröffnete die Verhandlung am Dienstag mit der Verlesung der Vorwürfe von Jacksons Mutter Katherine und seiner Kinder gegen den Konzertveranstalter AEG. Sie geben der Agentur eine Mitschuld am Tod des "King of Pop"...` Und weiter: ´... Der Promi-Webseite TMZ zufolge fordern Katherine Jackson und die Kinder Prince, Paris und Blanket von AEG Schadenersatz in Höhe von mehr als 40 Milliarden Dollar ...´ Klar, vierzig Milliarden sind doch gar nichts für die geldgeile Familie, die nichts zustande bringt! Der Betrag: Lächerlich, den hätte Michael doch locker mit ein, zwei Konzerten eingespielt! Die „Süddeutsche“ an anderer Stelle dazu (Auszug/Zitat): `... Jacksons Angehörige werfen AEG vor, aus Profitgier zu großen Druck auf den Sänger ausgeübt zu haben. Jackson sei bei seinen letzten Proben körperlich am Ende gewesen. Der Veranstalter habe den labilen Zustand des Sängers gekannt und Murray (den Doc) unter Druck gesetzt, seinen Patienten um jeden Preis fit zu halten. E-Mails und vertrauliche Anweisungen der Konzertmanager sollen die Vorwürfe beweisen ...` Profitgier. AEG (nicht zu verwechseln mit der einst deutschen AEG = Aus Erfahrung Gut), die Anschütz Entertainment Group Los Angeles, zählt sicher nicht zu den Zimperlichen in der Branche. Die wollen auch nur Kohle machen. Das ist das Prinzip des Vulgärkapitalismus. Aber die Jackson Familie ist schon besonders heiß ... Eine Schande und pietätlos – aber wer hat 2015 noch Moral! Weder Politiker noch Banker. Warum dann abgehalfterte Popmusiker!

Niemand, wirklich niemand in seinem Umfeld hat sich für den Menschen Michael Jackson je wirklich interessiert. Alle wollten sie sich nur in seiner Sonne sonnen, von seinem Geld leben, von seiner Begabung partizipieren. Und das hört bis zum heutigen Tag nicht auf. Die Maschinerie dreht sich weiter, immer weiter. Filme werden über ihn gemacht und verkauft, CDs werden in immer neuen Compilations und aktualisierten technischen Aufbereitungen auf den Markt geworfen, die Kuh muss ständig weiter Milch geben, obwohl sie nichts mehr fressen kann. Und sie gibt. MJ verkauft, seit er tot ist, wieder viel mehr CDs, als in den letzten Jahren vor seinem Ableben. Rund 33 Millionen

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Stück pro Jahr. Das schaffen andere Superstars oft in ihrem ganzen Leben nicht. Sterben muss man und eine supergute, geldgeile PR-Maschinerie haben, die das Rad am Laufen hält. Es werden Lügen, Märchen, wilde Storys über ihn erfunden – der Tote kommt einfach nicht zur Ruhe. Aber Kohle wird gescheffelt. Für die Recordcompany ein sehr, sehr lohnendes Geschäft, denn außer PR-Kosten fällt nicht mehr viel an. Die üblichen Lizenzen halt für die Erben und Presskosten. Reingewinn pro CD geschätzte acht Euro. Bei 33 Millionen pro Jahr – kann man sich ausrechnen – w i e lukrativ das Geschäft mit dem Toten ist. Geholfen hat dem armen Kerl KEINER! Nicht Marcel Avram, der ihn jahrelang promotete, noch sein Manager Frank Dileo, weder Ärzte, geschweige denn die Familie. Alle wollten nur an sein Geld und sich in seinem Ruhm ebenfalls baden. Menschlich ernst genommen, echter Freund gewesen ist ihm NIEMAND! Alle redeten und reden sich raus. Keiner hat den im Herzen Kind gebliebenen, seiner Männlichkeit beraubten Mann als Mensch wahrgenommen. Nur als Cashcow. Zum Kotzen! Scheinheilig. Ein Herr Wiesner war nach 2000 nach seiner Aussage „persönlicher Manager“ von MJ und mit „Power of Attorney“ ab 2003 versehen. Der hätte also alles im Sinne des total überforderten, hilflosen, kranken Künstlers Michael Jackson regeln – managen? - können. Hatte ja die Power of Attorney. Und? Was hat Mr. Wiesner gemacht? Hat er denn nicht bemerkt, wie schlecht es seinem `Schützling´ ging? Kann ich mir nicht vorstellen. Ich war 1988/89 nur wenige Wochen relativ peripher in seiner Nähe, um es ganz sachlich zu sagen, und habe damals schon gewusst, dass mit dem Mann einiges schief läuft! Und als Frank Dileo 2005 als Jacksons Manager – scheint mit dem Mr. Wiesner nicht so glänzend gelaufen zu sein – zurückkehrt, als es wieder einmal wirklich brenzlich für MJ wird, musste doch spätestens jetzt seine Familie, die Geld-Absauger des kranken MJ wissen, was mit dem schief läuft! Eine Schande. Nur: Frank Dileo, der ein knallharter Hund war und immer versuchte, ALLE Personen, auf die MJ vielleicht in irgendeiner Weise menschlich stehen könnte, abzudrängen und vom Star fernzuhalten, ist inzwischen selber tot. Mit ihm kann man auch keine Aussprache zum Fall MJ durchführen. Ich kann nur sagen, dass ich in den wenigen Gesprächen, die ich mit Michael Jackson führen konnte, auf einen total offenen, liebevollen, zurückhaltenden jungen Mann getroffen bin, der – dazu musste man kein Psychologe sein – riesige Probleme hatte, mit denen er total allein gelassen wurde. Dämliche Ausrede, wenn heute Leute, die um ihn gekreist sind, wie der Mond um die Erde, sagen: „Da konnte man nichts machen!“ Bullshit: Wenn ´man´ so nahe, so intensiv an einem Kranken ist wie die Benannten, kann man immer helfen. Wenn man will und ein anständiger Mensch ist. Was anderes lasse ich nicht gelten. Dass man als weit entfernt stehender Wasserträger keine Chance hatte an Frank Dileo vorbeizukommen – das habe ich selbst erlebt. Der führte ein gnadenloses Regiment und schirmte seine Cash-Cow ab. Und die wenigen Sätze, die ich mit Dileo wechseln ´durfte´ - er hielt sich ja selbst für Gott - , waren nicht wert, darüber zu berichten. Eine arrogante Pfeife.

Und um mal auf den Boden der Tatsachen zu kommen: Michael Jackson war ein außergewöhnliches Talent, aber bei Weitem nicht der begnadete Musiker/Sänger, als der er hingestellt wird. Ohne das Genie von Quincy Jones, Komponist, Producer, hervorragender (Jazz)-Trompeter, außergewöhnlicher Arrangeur, Bandleader und lebende Musiklegende, ein echter Superstar als Musiker und Producer, der für Dutzende von Weltstars tätig war, wäre Michael Jackson, das wage ich zu behaupten, ein mittelmäßig erfolgreicher Popsänger in den USA mit mehr oder minder lokaler US-Bedeutung geblieben und kein Weltstar geworden. Denn erst als seine Plattenfirma Epic Records 1978 Quincy Jones mit der Produktion von „Of The Wall“ (Release: 1979) beauftragte –

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ein cleverer Schachzug – , fing die Solokarriere von MJ an, richtig Fahrt zu bekommen. Die Alben davor waren OK, aber nicht der große, weltweit laufende Renner. Der Rest ist Geschichte. „Of The Wall“ verkaufte sich, dank Quincy Jones genialer Arbeit – ich wiederhole mich – rund zwanzig Millionen Mal, das folgende Album „Thriller“ (Quincy Jones) ist bis heute mit über 110 Millionen verkauften Alben unangefochten an der Spitze der Verkaufscharts einer einzigen Platte; es folgte „Bad“ - ebenfalls von Quincy Jones produziert - mit über 40 Millionen verkauften Copys.

Nach „Bad“ endete die Zusammenarbeit mit Quincy Jones und von nun an ging´s verkaufstechnisch mit MJ bergab, obwohl er den durch die Industrie lancierten Nimbus des „Größten Popstars aller Zeiten“ genoss und quasi immer so sensationell hätte weiter verkaufen müssen. War aber nicht so. Was zeigen könnte, dass meine Einschätzung, dass MJ seinen Erfolg zum sehr großen Teil Mister Quincy Jones und dessen Genie zu verdanken hat, nicht so ganz falsch sein könnte.

Ganz generell: Mir sind Künstler wie Prince – MJ´s großer Gegenspieler in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts – viel, viel lieber. Prince schreibt seine Songs immer selbst (Komposition & Texte), arrangiert, produziert seine CDs, spielt als Multiinstrumentalist – in Meisterschaft – Gitarre, Klavier/Keyboards, Bass, Schlagzeug. Was für ein Musiker! MJ, sorry, war gut, keine Frage, aber ein Spielball seines Vaters, dann der Record Industry, seiner Manager und wurde erst von, durch und mit Quincy Jones und dessen musikalischem Gespür, seiner genialen Produktionen & Arrangements zur Meisterschaft geführt. MJ - eine arme Sau, dessen Leben verpfuscht wurde. Das ist kein Vorwurf an Michael Jackson, den tollen, liebenswerten, gefühlvollen, einfühlsamen, beseelten, total einsamen Künstler und Menschen, aber eine Anklage an das brutale, kapitalistisch, ausschließlich auf Profit getrimmte System der Musikindustrie und seiner gierigen Manager, Anwälte, Anhängsel! Was machen die jetzt? Sie sind auf der Suche nach einer neuen Cashcow ...

Keys, Alicia

* (für die Friseurarie) **** (für ihr Können)

Wie abgehoben und beknackt kann man eigentlich sein, um von München – First Class, auf Kosten der Plattenfirma, das versteht sich von selbst – nach New York zu fliegen, um sich bei seinem Lieblingsfrisur für einen Gig für geladene Es-Kost´-Ja-Nix-Gäste in München die Haare verschönern zu lassen, um dann gleich wieder, Stunden später – First Class, was sonst, natürlich auch der Rückflug auf Kosten der Plattenfirma – an den Ort der Gala, München, Reithalle, Heßstraße 132, zurückzufliegen? Geht. Gibt es. Alicia Keys. Die dann wenig später am Klavier ein paar Lieder für die Geladenen singt, die sich kaum für den Lärm, der von der Bühne kommt, interessieren. Smalltalk, kostenlose Drinks & Fingerfood sind wichtiger ... Geschehen vor ein paar Jahren. Wir waren auch zu dem superwichtigen Event eingeladen worden. Gerne bin ich hingegangen, weil ich die Stimme von Frau Keys sehr mag, neugierig auf einen Live-Gig war. Eine Dame der Firma erzählte mir die Friseur-New-York-Story während ich Häppchen – die gut schmeckten – zu mir nahm. Das Lachsteil blieb mir im Hals schmecken, oder stecken, und meine Aufmerksamkeit galt zwar Alicia Keys, aber ich betrachtete sie von dem Moment an mit anderen Augen. Wie verdorben, arrogant und

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blöd kann man eigentlich sein, deswegen nach NYC zu fliegen? Wenn schon den eigenen Friseur: Dann lasse ich als Superstar den Herren einfliegen und schone mich während der Wartezeit mit Shoppen (andere blöde Beschäftigung) oder Sightseeing (schon besser), oder gar nichts tun (immer noch besser, als zum Frisör nach NYC zu düsen), oder komponiere einen schönen Song (das wär´s doch gewesen, Frau mit den Schlüsseln!), zum Beispiel.

Von dem Abend an war Alicia Keys für mich mehr oder weniger gestorben. Sie sah hinreissend aus – was die Damen mit neidvollem Blick zugeben mussten –, hatte eine von ihrem wundervollen New Yorker Friseur wunderschön gestylte, wunderschön toupierte Mähne – was die Herren sicher mit einem tiefen, vor der eigenen Freundin versteckten Seufzer zur Kenntnis nahmen -, ist eine ernst zu nehmende Pianistin, hat eine besondere Stimme und schreibt großartige Popsongs mit dem gewissen Etwas. Aber in ein Konzert mit ihr werde ich nicht mehr gehen. Schuld: Sie selbst. Denn den Friseur kann man ja dafür nicht verantwortlich machen, oder?

Tedeschi Trucks Band

*****

Vorbei die Zeit, als sich nur Teenies kreischend, zusammengequetscht und selig die Lunge an der Bühnenkante aus dem Hals schrien. Heute stehen dort Fünfzig-, Sechzig- und Siebzigjährige an der Seite von Greenhorns – sprich ganz jungen Fans um die Zwanzig und fröhlichem Mittelalter –, die ihren Idolen frönen. Schon komisch, der Anblick. Aber: Die Rockmusik ist erwachsen geworden und für Derek Trucks, den jüngsten der Musiker auf der Bühne, muss es schon ein erhaben/merkwürdiges Gefühl sein, wenn er von dort – schüchtern/verinnerlicht – auf die ausgelassene Masse schaut, die sich in der Münchner TonHalle begeistert auf sein virtuoses Gitarrenspiel freut, kein Auge von den Saiten seiner Gibson SG ´61 Reissue lässt und insgesamt auf die ziemlich sehr anspruchsvolle Musik der Tedeschi Trucks Band total gerne einlässt …

Vor mir zwei propere junge Damen um die Dreißig, Typ Chefsekretärinnen, die jedes Solo von Derek frenetisch bejubeln, die Arme dermaßen weit hochreißen, sodass die schwarzen Büro-Berufskleidungs-Miniröcke sich unschicklich weit in Richtung Hüfte bewegen und Ansätze von viel zu früh sich einstellender Cellulitis freigeben und die selbst bei ausgedehnten, an Freejazz grenzenden Passagen der Band Gefallen finden. Noch davor, direkt an der Bühne, der klassische Rockfan, lange Haare, Plastikbecher-Bier in der Hand (Zigarette geht nicht mehr), begeisternd Susan Tedeschi jeden Ton aus den Lippen saugend, neben ihm ein Typ Gefäßchirurg, der – zurecht – die Bläser bewundert. Direkt neben mir Herr Ingenieur, zivilisiert, verklemmt, völlig gebannt das Geschehen auf der Bühne verfolgend und gleich den ersten Song tonlos mitsingend, der aber schon nach wenigen Minuten durch ein äußerst rabiates, unhöfliches, junges Pärchen verdrängt wird, das näher an Susan & Derek heran und mich brachial von meinem rechtzeitig ergatterten Superstehplatz an einer Säule kippen will, den ich aber mannhaft verteidige. Schon wieder drängelt ein verdammt junges, verdammt aufgestyltes Couple, das sich wohl in das Konzert verirrt zu haben scheint und eher in den türkischen Aufreiß-Club nebenan passen würde, an mir vorbei, mich dabei abfällig mit dem Spruch

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begutachtend: „Was macht denn der olle Lagerfeld hier?!“ - mein gepflegtes, eigenes, Resthaar mit der albernen, gepudeten Perücke des alternden Modezars vergleichend …

TTB spielen stilistisch quer Beet: Southern-Rock, Blues, Funk, Jazz, Fusion, Weltmusik. Schublade war einmal. Die Südstaaten klingen immer durch, will heissen, dass sie den lässigen Groove draufhaben, den Bands, die nicht ihre Heimat im Süden der USA haben, ewig trainieren können, ohne jemals dieses Laid-Back-Cowboy-Sehnsuchts-Sonne-Feeling in den Griff zu bekommen. Und das alles ohne echte, große, weltweit funktionierende Single-Hits (die man Susan wünscht, ihre Stimme hätte das verdient!) im Repertoire zu haben. Eine Band ohne Allüren. Einfach nur gute Musik. Fantastische Musiker. Das verblüffende: Egal, was für einen Song sie spielen, was sie gerade improvisieren, woran sie sich minutenlang voll Inbrunst und Freude abarbeiten, sie klingen in jeder Sekunde wie TTB. Homogen. Man kann sie identifizieren. Sofort, schon nach einem Song: TTB. Das ist meisterhaft! Eben noch plustern sie einen Song hippiemäßig auf gefühlte vierzig Minuten auf, schon knallen sie dir eine knackige, zum Zerreissen mit Spannung geladene Funknummer präzise auf die Ohren. Angetrieben von zwei immer auf den Punkt kommenden völlig tighten Drummern, Tyler Greenwell und J. J. Johnson, die einen absolut geilen, satten, sich technisch zurücknehmend und gerade dadurch so bestechenden Drums-Sound abliefern, dass man das Atmen vergisst, wenn sie so einen Song phonemäßig brachial-genial auf den Höhepunkt treiben.

TTB setzen im 21. Jahrhundert Maßstäbe für Musikfans, die echte, handgemachte Musik lieben. Besser kann man kaum spielen. Klar, noch konzentriert sich vieles auf das grandiose Spiel des jungen Gitarrenmeisters – er vergisst oft Zeit und Raum – aber das alles auf musikalisch anspruchsvollstem Niveau. Der Trucks driftet ab, sägt sich stilistisch durch alle Gitarrenspielarten; ist er musikalisch-harmonisch eben noch in Indien zu Hause, packt er bruchlos den Blues des Deltas aus, liebt sein das Slide-Spiel, das er um viele Nuancen erweitert hat und um das ihn Könner-Kollegen seiner Zunft seit Jahren beneiden, um sich dann wieder im Hippie-Groove der Doors zu versenken oder sich Phrasen mit Susan zuzuwerfen, die lässig antwortet, oder sich mit dem Trompeter Maurice Brown ein Ideen-Duell zu liefern. Trucks könnte stundenlang an einer Nummer improvisieren. Ein Anflug von Lächeln begleitet ihn dann und wann, bei ihm Ausdruck höchster Ekstase, und er kann happy sein, eine derart gute, auf ihn eingehende Band um sich zu haben.

Wenn TTB durchhalten, die Superstars sich gegenseitig ein wenig mehr Platz zum Spiel einräumen, haben sie das Zeug dazu, Chicago von ihrem angestammten Platz der weltweit besten Live-Band mit einer Bläsercrew zu verdrängen. Und es erstaunt in der TonHalle – die heute TurnHalle heißen könnte, so groovig, Gym-technisch sind die schwitzenden Fans von ganz jung bis stark angegraut fast drei Stunden bei der Soundparty mit unterwegs – , dass Tausende (es sollen exakt 2022 in den hässlichen Saal passen, der knackevoll ist) jeden musikalischen Ausflug der Band mit wahren Begeisterungsstürmen aufgreifen und voll mitgehen.

Und Susan & Co. verlangen schon einiges; da ist nix mit harmlosem Pille-Palle-Song. Es geht durchgehend zur Sache. Wie ich schon schrieb: anspruchsvoll. Die Stimme von Susan Tedeschi verführt dazu, Vergleiche anzustellen. Ist da etwas von einer gewissen – viel zu früh verstorbenen – JJ zu hören, oder von Bonnie Raitt? Gewiss, der Sound ihrer Stimme lässt das zu. Aber sie ist dennoch eigenständig. Die Frau phrasiert brillant, hat riesige, fette balls - das auf jeden Fall!! - auch wenn das Göttergatte Derek zurecht

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bestreiten wird. Madame Tedeschi singt voll Kraft und Inbrunst, zart und wild, phrasiert zum Niederknien. Einfach mitreißend. Ihr hört man einfach gerne zu. Wenn sie mal einen Song von TT-Superhit-Format hätte, würde sie durch die Decke knallen, mehr als jede andere Stimme unserer Zeit (P.S.: Pink, ich liebe Dich, aber da musst Du noch ´ne Weile dran stricken!). Aber es ist vielleicht gut, dass sie – ausgesprochen erfolgreich – Musiker-Musik macht und nicht Hitparadenscheiß.

Susan Tedeschi hat auf der Gitarre Vorbilder wie Buddy Guy und Stevie Ray Vaughan, was man aber nicht hört. Auch das ist gut so. Sie hat ihren eigenen Stil gefunden. Relativ selten spielt sie auch solistisch eine total bediente Gitarre und nicht „nur“ Chords; Susan ist für mich die weibliche Keith Richards. Ihre Riffs und Improvisationen sind sparsam, technisch nicht übermäßig brillant, aber Frau Tedeschi kommt auf den Punkt. Immer. Wie Tüftler Keith. Sie hat ein unglaubliches Gefühl dafür, wo-was-wann-wie passt. Der Sound ihrer Gitarre ist absolut kernig. Ein Statement. Die Lady hat den Blues. Absolut kongenial zu ihrem verspielten, technisch abartig virtuosen jungen Mann.

Überhaupt: Alle Bandmember von TTB sind absolute Weltklasse und durchgehend erstklassige Jazzer: Keyboarder Kofi Burbridge – er hat den Punch, den Groove, den ich bei Keyboardern mag. Man kann sein Spiel schwer erklären, denn technisch haben die Jungs dieser Klasse sowieso alles drauf. Der Unterschied liegt darin, wie sie ihre Improvisationen aufbauen, wie sie sich einfügen, welchen Sound sie fahren. Kofi ist einfach nur geil in der Art, ´ne Hammond zu spielen. Punkt. Oder Maurice Brown. Sein virtuoses, expressives, sich total verausgabendes Spiel auf der Trompete könnte dazu veranlassen, ihn in einigen Jahren als neuen Miles Davis zu sehen, weil er ausgesprochen kreativ ist. Wer ihn mal ganz anders erleben möchte, höre sich seine eigenen Projekte an wie das Album HIP TO HOP, ein Mix aus Hip-Hop, R&B und Jazz. Burbridge arrangiert auch die Bläsersätze der TTB. Nicht weniger gut: Posaunist Saunders Sermons. Natürlich neben TTB auch mit eigenen Projekten und als bedienter Soulsänger unterwegs. Selbst die Backing-Vocal-Sänger Mike Mattison und Marc Rivers singen auf einem Niveau, das ungewöhnlich hoch ist und haben Raum, als Frontsänger die Fans für sich zu begeistern. Mike Mattison, beispielsweise, hat nicht nur einen Abschluss an Harvard in englischer und amerikanischer Literatur. Er spielt natürlich Piano, Klarinette, French Horn, Tenor-Saxophon, Bass und Posaune ... So kann man diese Ausnahmeband quer durchgehen: Das Potential reicht für elf weltweite Solo-Karrieren (wenn Bassist Oteil Burbridge aus dem Schwangerschaftsurlaub zurück in die Band kommt, denn „Aushilfe“ Eric Krasno kann ihn leider nicht ersetzen)! Und sie können mit unterschiedlichen Besetzungen aus dem Team ein halbes Dutzend Bands kreieren und mit ihrer Vielseitigkeit das Montreux-Festival allein erfolgreich bespielen.

Umso bemerkenswerter ist es, dass alle Musiker am Projekt TTB hängen und damit eine der Supergruppen des neuen Jahrtausends auf höchstem spielerischen Niveau geworden sind, die sich sogar noch um einiges steigern können. Anderes Beispiel: Kebbi Williams, der stille Saxophonist der Band, spielte mit Outcast, Branford Marsalis, Mos Def, Betty Carter – um nur einige Weltstars zu nennen.

Wie gut das Gebäude TTB abgeht, zeigt ein Sly-Stones-Medley. Das groovt wie Sau und die Bläser sind tight und obergeil und hammerscharf – sorry, Chicago, so ward ihr auch und dass ihr älter werdet und der Druck ein wenig nachlässt, dafür kann ja niemand etwas!! –, man kommt schon vom Zuhören völlig außer Atem und in Ekstase. Oder: „Love Has Something Else To Say“ - eine Nummer, die abgeht wie Winnetous Pfeil. Trompete und Gitarre werfen sich die Riffs nur so zu, alles strahlt, treibt dampfend nach vorn, was – es wurde schon gesagt – wieder an den beiden Kraftwerken an den Drums

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liegt. „That Did It“ - ein Blues in bester Tradition, bei dem ich mich endlich einmal vom abartigen Verrenken, angetrieben durch den hitzigen Druck der Band ausruhen konnte, der stimmlich über das Format einer Frau Joplin hinausgeht. „Uptight“, die alte Stevie Wonder-Nummer. Pah! Dagegen klingt das Original wie das lahmarschige Ständchen einer Rentnerband bei ´ner Kaffeefahrt für zahnlose Omis & Opas. Da bin ich wieder bei Miles Davis: Der hätte seine Freude daran, Maurice Brown an der Trompete zu hören ... Besser geht nicht.

Zum Abschluss: „Learn How To Love“ hat alles, um die verschnarchten 0-8-15-Radiostations aufzumischen. Aber wer spielt schon solche begnadeten Songs. Dabei müssten die rund um die Uhr Schleife laufen …

Übrigens: Ich werde Schadensersatzklage gegen TTB einreichen. Ich hatte nach dem Konzert vom vielen Mitgrooven und Tanzen tagelang heftigen Muskelkater in meinen untrainierten Beinen ...