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Rheinische
Friedrich-Wilhelms-
Universität Bonn
Zentrum für Europäische
Integrationsforschung
Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. (LSE)
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen
Sachen
Sommersemester 2020
Montags, 14 bis 16 Uhr (c.t.)
Juridicum, Hörsaal E
Aktuelle Informationen
und Downloads:
www.jura.uni-bonn.de/koenig
Fragen zur Organisation:
Tel. Sekretariat: 0228/73-1891
Literaturhinweise
Baldus, Manfred/Grzeszick, Bernd/Wienhues, Sigrid, Staatshaftungsrecht, 5. Auf-
lage 2018
Detterbeck, Steffen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Auflage 2019
Dietlein, Johannes/Hellermann, Johannes, Öffentliches Recht in Nordrhein-
Westfalen, 7. Auflage 2019
Erbguth, Wilfried/Guckelberger, Annette, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Auf-
lage 2019
Haratsch, Andreas/Koenig, Christian/Pechstein, Matthias, Europarecht, 11. Aufla-
ge 2018
Ossenbühl, Fritz/Cornils, Matthias, Staatshaftungsrecht, 6. Auflage 2013
Ehlers, Dirk/Pünder, Hermann (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufla-
ge 2015
Peine, Franz-Joseph/Siegel, Thorsten, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Auflage
2018
Sauer, Heiko, Staatshaftungsrecht. Eine Systematisierung für die Fallbearbei-
tung, JuS 2012, 695 ff., 800 ff.
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 2
Vorlesungsgliederung
A. Einführung in das Staatshaftungsrecht
I. Anspruchsgrundlagen im Staatshaftungsrecht: Unterscheidung nach Resti-
tutions- und Kompensationsansprüchen
1. Restitution: Abwehr hoheitlicher Maßnahmen; Eintritt rechtswidriger
Beeinträchtigungen sollen verhindert bzw. eingetretene Benachteili-
gungen im Wege der Restitution beseitigt werden (Wiederherstellung
des vorherigen – rechtmäßigen – Zustands)
Abwehr-, Beseitigungs-, Unterlassungsansprüche:
Folgenbeseitigungsanspruch
Öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch
Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch
2. Kompensation: Finanzieller Ausgleich für bereits eingetretene Nachtei-
le (Recht der öffentlichen Ersatzleistungen)
Geldzahlungsansprüche gerichtet auf:
Schadensersatz, insbes. Haftung des Staates wegen Pflichtverletzung
(Unrechtshaftung)
Entschädigung, insbes. Ersatzansprüche wegen Eingriff in das Eigentum
(Enteignung)
II. Anspruchsgrundlagen im Staatshaftungsrecht: Unterscheidung nach
Rechtsweg
1. Verwaltungsgerichtsbarkeit: Folgenbeseitigungsanspruch, Öffentlich-
rechtlicher Unterlassungsanspruch, Öffentlich-rechtliche Geschäftsfüh-
rung ohne Auftrag (GoA)
2. Ordentliche Gerichtsbarkeit: Schadensersatz, Entschädigung
III. Anspruchsgrundlagen im Staatshaftungsrecht: Unterscheidung nach Geld-
und Nichtgeldleistungsansprüchen
► Sauer, Heiko, Staatshaftungsrecht. Eine Systematisierung für die Fallbearbeitung, JuS
2012, 695 ff., 800 ff.
B. Der Folgenbeseitigungsanspruch (FBA)
Literatur:
► Detterbeck, Rn. 1201 – 1234
Peine/Siegel, Rn. 896 – 908
Ossenbühl/Cornils, S. 353 ff., 360 ff., 367 ff., 373 ff.
Baldus/Grzeszick/Wienhues, § 1 Rn. 12 – 89; § 3 Rn. 557 – 563
Erbguth/Guckelberger, § 41 Rn. 1 – 16
Grzeszick, in: Ehlers/Pünder, § 45 Rn. 111 – 140
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 3
Detterbeck, Folgenbeseitigungs- und polizeirechtlicher Ausgleichsanspruch beim Vollzug
rechtswidriger Gesetze, NVwZ 2019, 97 – 103
Ellerbrok, Die Grenzen der Zurechnung im Rahmen des Folgenbeseitigungsanspruchs,
Jura 2016, 125 – 138
Mehde, Der Folgenbeseitigungsanspruch, Jura 2017, 783 – 791
Voßkuhle/Kaiser, Grundwissen – Öffentliches Recht: Der Folgenbeseitigungsanspruch,
JuS 2012, 1079 – 1082
Darstellung angelehnt an Wüstenbecker/Sommer, Verwaltungsrecht AT2, 16. Auflage
2019, Rn. 414 – 500
I. Rechtsgrundlage
1. Entwicklung des FBA zur Beseitigung der Folgen des Verwaltungshan-
delns und Wiederherstellung des früheren Zustandes (kein Geldersatz)
2. Begründung des FBA: VA soll nicht nur aufgehoben, sondern auch des-
sen Folgen beseitigt werden können (Vollzugsfolgenbeseitigungsan-
spruch); auch bei schlichtem Verwaltungshandeln (Allg. Folgenbeseiti-
gungsanspruch)
3. Dogmatische Herleitung: unmittelbar aus Art. 20 III GG (Gesetzmäßig-
keit der Verwaltung); Abwehrfunktion der Grundrechte oder Rechtsge-
danken der §§ 1004, 862 BGB (Begründungsansätze ergänzen sich)
jedenfalls gewohnheitsrechtlich anerkannt
II. Hoheitlicher Eingriff in ein subjektives Recht
1. Hoheitliche Maßnahme
- Abgrenzung von Privatrecht und öffentlichem Recht nach allg. Kriterien
- Rechtsnatur des Handelns unerheblich: VA, schlichtes Verwaltungshan-
deln (Realakte, Äußerungen)
- Unterlassen kann grds. keinen FBA begründen (Grund: FBA dient Wie-
derherstellung; d.h. keine Erweiterung der Rechte)
2. Subjektives Recht: aus einfach-gesetzlichen Vorschriften oder Grund-
rechten
III. Schaffung eines rechtswidrigen, fortdauernden Zustandes
1. Rechtswidriger Zustand: keine Duldungspflicht
- Duldungspflichten: auf gesetzlicher Grundlage, (wirksamer) VA, öffent-
lich-rechtlicher Vertrag, Einwilligung
- Erfolgsunrecht der staatlichen Maßnahme ist maßgeblich (Beseitigung
eines rechtswidrigen Zustandes), nicht Handlungsunrecht (h.M.)
- Kein Ausgleich für legislatives Unrecht
- Entfallen der Rechtswidrigkeit bei zwischenzeitlicher Legalisierung
2. Haftungsbegründende Kausalität zwischen Eingriff und Zustand
- Rechtswidriger Zustand infolge des hoheitlichen Eingriffs
- „Besondere Nähebeziehung“ zum Eingriff (nicht jede Ursächlichkeit)
- I.d.R. unmittelbare Folgen
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 4
- Zurechnung mittelbarer Folgen, wenn diese zwangsläufig eintreten oder
typische Gefahrensituation
3. Fortdauer des rechtswidrigen Zustands:
- Keine abgeschlossenen Beeinträchtigungen
IV. Rechtsfolge
1. Wiederherstellung des früheren Zustandes durch VA oder schlichtes
Verwaltungshandeln
2. Kein Schadensersatz (nur Beseitigung der rechtswidrigen Folgen; blo-
ßer Restitutionsanspruch und keine Folgenentschädigung)
3. Haftungsausfüllende Kausalität: Beseitigung der dem Hoheitsträger zu-
rechenbaren Folgen (jedenfalls unmittelbare Folgen)
- Zurechnung mittelbarer Folgen unter besonderen Voraussetzungen
(etwa typische Gefahr)
4. Bei Mitverschulden: § 254 BGB analog (str.) (bei Teilbarkeit des Um-
fanges der Folgenbeseitigung Kürzung des FBA entsprechend dem Mit-
verschuldensanteil, anderenfalls Wandlung des FBA in auf Geld gerich-
teten Ausgleichsanspruch nach § 251 BGB analog, der entsprechend
dem Mitverschuldensanteil zu kürzen ist)
V. Ausschlussgründe
1. Tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit
- Tatsächliche Unmöglichkeit z.B. bei Widerruf ehrverletzender Werturtei-
le
- Rechtliche Unmöglichkeit: Folgenbeseitigung nach Rechtsordnung unzu-
lässig (bei Drittbeteiligung nur FBA, wenn Behörde zum Einschreiten
gegen Dritten befugt ist (h.M.))
2. Unzumutbarkeit (Rechtsgedanke der § 74 II 3 VwVfG, § 906 II BGB),
etwa wenn mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden
3. Unzulässige Rechtsausübung: kein venire contra factum proprium („wi-
dersprüchliches Verhalten“) oder nachträgliche Legalisierung des (noch
rechtswidrigen) Zustandes ist zu erwarten
VI. Verjährung: Regelmäßige Verjährung (3 Jahre; § 195 BGB analog)
VII. Ggf. Folgenersatzanspruch, wenn Wiederherstellung nicht möglich oder
nicht zumutbar (str.)
VIII. Prozessual
1. Rechtsweg: Verwaltungsrechtsweg (§ 40 I 1 VwGO; keine Zuweisung
zu den ordentlichen Gerichten nach Abs. 2); so auch Folgenersatzan-
spruch
2. Klageart:
- Allgemeine Leistungsklage, wenn Folgenbeseitigung durch schlichtes
Verwaltungshandeln
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 5
- Verpflichtungsklage, wenn Folgenbeseitigung den Erlass eines VA erfor-
dert
- Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch: FBA als Annexantrag zur Anfech-
tungsklage (§ 113 I 2, 3 VwGO)
IX. Konkurrenzen
FBA steht neben
- Amtshaftungsanspruch
- Entschädigungsansprüchen aus Polizei- und Ordnungsrecht, enteig-
nungsgleichem und enteignendem Eingriff
- Schadensersatzansprüchen aus öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis-
sen
C. Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Literatur:
► Ossenbühl/Cornils, S. 392 ff.
Darstellung angelehnt an Wüstenbecker/Sommer, Verwaltungsrecht AT2, 16. Auflage
2019, Rn. 501 – 509
I. Rechtsgrundlage
1. Richterliche Rechtsfortbildung, für spezifische Problemlagen im Sozial-
versicherungsrecht
2. Dogmatische Herleitung: tlw. Art. 20 III GG, tlw. Ableitung aus Treu
und Glauben, tlw. Weiterentwicklung des FBA
Gewohnheitsrechtlich anerkanntes Rechtsinstitut
II. Bestehen eines konkreten Sozialrechtsverhältnisses
III. Pflichtverletzung der Behörde (insb. mangelnde Beratung, Auskunft
oder sonstige Irreführung)
IV. Kausaler Nachteil beim Bürger
V. Kein Verschulden erforderlich
VI. Rechtsfolge
1. Herstellung des Zustandes, der bei pflichtgemäßem Handeln (jetzt) be-
stünde (Abgrenzung zum FBA, der auf Wiederherstellung des früheren
Zustandes gerichtet ist)
- Herstellungsanspruch auf Erbringung der ursprünglich gesetzlich vorge-
sehenen Leistungen gerichtet
- Kein Ausgleich für Nachteile; nicht gerichtet auf Schadensersatz oder
Entschädigung
2. Ausschluss bei rechtlicher Unzulässigkeit der Amtshandlung
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 6
VII. Keine Übertragbarkeit auf das allgemeine Verwaltungsrecht
D. Öffentlich-rechtlicher Abwehr- und Unterlassungsanspruch
Literatur:
► Ossenbühl/Cornils, S. 355 ff.
Peine/Siegel, Rn. 909 – 912
Erbguth/Guckelberger, § 41 Rn. 17 – 22
Kranz, Verjährung von öffentlich-rechtlichen Unterlassungsansprüchen, NVwZ 2018, 864
– 868
Kemmler, Folgenbeseitigungsanspruch, Herstellungsanspruch und Unterlassungsan-
spruch, JA 2005, 908 – 911
Darstellung angelehnt an Wüstenbecker/Sommer, Verwaltungsrecht AT2, 16. Auflage
2019, Rn. 510 – 600
I. Allgemeines
1. Unterschied zum FBA: Abwehr eines bevorstehenden oder andauernden
rechtswidrigen Eingriffs, nicht der Folgen
- Eingriff durch VA: Durchsetzung des Abwehranspruchs durch Wi-
derspruch oder Anfechtungsklage (ggf. vorläufiger Rechtsschutz;
Antrag nach § 123 I 1 VwGO, wenn Eingriff unmittelbar bevor-
steht)
- Eingriff durch schlichtes Verwaltungshandeln: Anerkennung eines
allgemeinen öffentlich-rechtlichen Abwehr- und Unterlassungs-
anspruchs und Durchsetzung mittels der allgemeinen Leistungs-
klage in Form der (vorbeugenden) Unterlassungsklage
2. Anwendungsfälle
- Staatliches Informationshandeln
- Ehrschutz gegen Hoheitsträger
- Öffentlich-rechtlicher Immissionsabwehranspruch
II. Herleitung
- Abwehrfunktion der Grundrechte oder analoge Anwendung des §
1004 BGB, str.
- Jedenfalls gewohnheitsrechtlich anerkannt
III. Hoheitlicher Eingriff in ein subjektives Recht
1. Hoheitliche Maßnahme (vgl. FBA)
- VA oder schlichtes Verwaltungshandeln
2. Eingriff in ein subjektives Recht: aus einfach-gesetzlichen Vorschriften,
Grundrechten
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 7
3. Eingriff ist zurechenbar (Unmittelbarkeitszusammenhang)
- Grundrechtsschutz grds. vor unmittelbaren und mittelbaren Beeinträch-
tigungen, sofern zurechenbar (str. ist, ab welcher Schwelle eine mittel-
bare Beeinträchtigung einen Grundrechtseingriff darstellt); Eingriff un-
streitig, wenn Maßnahme ein funktionales Äquivalent zu einem unmit-
telbaren Eingriff darstellt
- Unmittelbare Beeinträchtigung durch Dritte eingetreten: Staat werden
die typischen Beeinträchtigungen zugerechnet (vgl. FBA)
4. Eingriff ist andauernd oder steht unmittelbar bevor
IV. Eingriff rechtswidrig
- Rechtswidrigkeit: keine Duldungspflicht
- Duldungspflichten auf gesetzlicher Grundlage oder VA
- Abstellen auf Handlungsunrecht
V. Unterschied zum Folgenbeseitigungsanspruch
1. Abwehr des Eingriffs selbst und nicht Beseitigung der Folgen
- Vorbeugender Unterlassungsanspruch bei Abwehr künftigen Verhaltens
und (schlichter) Abwehr- und Unterlassungsanspruch bei Beseitigung
bereits eingetretener Störungen
2. Rechtswidrigkeit des Eingriffs, nicht der Folgen
3. Keine Ausschlussgründe beim Unterlassungsanspruch
4. Abgrenzung zum FBA (str.)
VI. Rechtsfolge
- Unterlassungsanspruch: Rechtswidriger Eingriff soll verhindert werden
- Abwehranspruch: Beseitigung der Störung (Anspruch gerichtet auf Be-
endigung des Eingriffs)
- FBA, wenn die Beseitigung der Störungsquelle verlangt wird
VII. Rechtsweg: Verwaltungsrechtsweg § 40 I 1 VwGO
VIII. Verjährung (str.): §§ 195, 199 BGB analog (drei Jahre)
E. Öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA)
Literatur:
► Detterbeck, Rn. 1274 – 1284
Ossenbühl/Cornils, S. 409 – 421
Peine/Siegel, Rn. 819 – 824
Erbguth/Guckelberger, § 44 Rn. 1 ff.
Baldus/Grzeszick/Wienhues, § 1 Rn. 236 ff., 245 ff.
Gurlit, in: Ehlers/Pünder, § 36 Rn. 9 – 16
Oechsler, Die öffentlich-rechtliche Geschäftsführung in den Tierfundfällen, JuS 2016, 215
- 218
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 8
Schoch, Geschäftsführung ohne Auftrag im Öffentlichen Recht, Jura 1994, 241 – 249
Staake, Die Polizei als Geschäftsführer ohne Auftrag?, JA 2004, 800 – 804
Darstellung angelehnt an Wüstenbecker/Sommer, Verwaltungsrecht AT2, 16. Auflage
2019, Rn. 601 – 632
I. Rechtsgrundlage: Anerkennung des Rechtsinstituts der GoA auch im öf-
fentlichen Recht: nach h.M. analoge Anwendung der §§ 677 ff. BGB oder
jedenfalls als allgemeiner Rechtsgedanke
II. Abgrenzung der öffentlich-rechtlichen GoA zur privatrechtlichen GoA
(Anwendungsvoraussetzung ist Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen GoA)
- Z.T.: Abgrenzung nach dem Handeln des Geschäftsführers
- A.A.: Entscheidend ist Rechtsnatur des geführten Geschäftes,
wenn es vom Geschäftsherrn selbst vorgenommen worden wäre
(fiktives Geschäfts des Geschäftsherrn)
III. Anwendbarkeit: Analoge Anwendung der §§ 677 ff. BGB
1. Bestehen einer Regelungslücke: keine vorrangigen Spezialregelungen
(Aufwendungsersatzansprüche)
2. Vergleichbare Interessenlage: (Unterscheidung in Fallgruppen)
Tätigwerden eines Hoheitsträgers für anderen Hoheitsträger:
- Hoheitsträger darf grds. nur die ihm zugewiesenen Kompetenzen wahr-
nehmen (Art. 20 III GG), daher scheidet öffentlich-rechtliche GoA i.d.R.
aus
§§ 677 ff. BGB (analog) grds. nicht anwendbar, aber Ausnahme bei
echtem Notfall (Bestehen eigene Eilkompetenzen, so fehlt es an ei-
nem fremden Geschäft)
Tätigwerden eines Hoheitsträgers für den Bürger (str.):
- Rspr.: „Sowohl-als-auch-Geschäft“, privatrechtliche als auch öffentlich-
rechtliche GoA möglich, §§ 677 ff. BGB (analog) anwendbar, i.d.R. wohl
eher privatrechtliche GoA
- Unstreitig unanwendbar sind GoA-Vorschriften, wenn:
abschließende spezialgesetzliche Regelungen bestehen (Vorrang
spezieller Kostenregelungen),
eine Ermächtigungsgrundlage fehlt (Art. 20 III GG verbietet es,
eine fehlende Ermächtigungsgrundlage durch Rückgriff auf GoA
zu ersetzen, str.),
eine Ermächtigungsgrundlage vorhanden ist („sonst berechtigt“
i.S.v. § 677 BGB) oder deren Voraussetzungen nicht vorliegen
Tätigwerden eines Bürgers für einen anderen Bürger: allein privatrecht-
liche GoA
Tätigwerden eines Bürgers für einen Hoheitsträgers (häufigster Fall):
- Öffentlich-rechtliche GoA möglich; Aufgabenwahrnehmung durch Priva-
ten muss dem öffentlichen Interesse entsprechen
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 9
- Einschränkungen: keine spezifischen hoheitlichen Befugnisse, Ermessen
nicht unterlaufen, Rechtsschutz vorrangig
IV. Besorgung eines (auch) fremden Geschäfts
V. Fremdgeschäftsführungswille (§ 677 BGB analog)
- Objektiv fremdes Geschäft: vermutet
- Auch fremdes Geschäft: vermutet, solange Geschäft seiner äußeren Er-
scheinung nach einem Dritten zu Gute kommt
- Objektiv neutrales oder eigenes Geschäft: Fremdgeschäftsführungswille
muss nach außen in Erscheinung treten
VI. Ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung (§ 677 BGB analog)
VII. Berechtigung zur Übernahme des Geschäfts: Interessen- und wil-
lensgemäß oder § 679 BGB analog
1. Im Interesse und mit dem wirklichen bzw. mutmaßlichen Willen des
Geschäftsherrn
2. Im öffentlichen Interesse der Aufgabenerfüllung (§ 679 BGB analog;
dann ist entgegenstehender Wille unbeachtlich):
- Interesse des Staates, dass der Private gerade in der konkreten Situa-
tion das Geschäft ausführt, denkbar bei echten Notfällen
- kein öffentliches Interesse, wenn Maßnahme spezifische hoheitliche Be-
fugnisse voraussetzt, durch die Geschäftsführung des Bürgers der
staatliche Ermessensspielraum unterlaufen wird oder das vorherige Er-
suchen von Rechtsschutz zumutbar
VIII. Rechtsfolgen
1. Aufwendungsersatz analog §§ 683 S. 1, 670 BGB
- Aufwendungen: Alle im sachlichen Zusammenhang mit der Geschäfts-
führung getätigten Auslagen
- Auch Ausgleich für eigene aufgewendete Arbeitskraft, die zum Beruf
oder Gewerbe des Geschäftsführers gehört (Rechtsgedanke § 1835 III
BGB)
- Umfasst werden auch risikotypische Begleitschäden
2. Herausgabe des Erlangten analog §§ 681 S. 2, 667 BGB
3. § 280 I BGB analog bei Pflichtverletzungen
4. Bei unberechtigter GoA: ggf. Schadensersatz nach § 678 BGB analog
F. Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch
Literatur:
► Detterbeck, Rn. 1235 – 1261
Peine/Siegel, Rn. 913 – 929
Ossenbühl/Cornils, S. 530 – 554
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 10
Baldus/Grzeszick/Wienhues, Rn. 523 – 553
Erbguth/Guckelberger, § 42 Rn. 1 ff.
Gurlit, in: Ehlers/Pünder, § 35 Rn. 17 – 33
Schoch, Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, Jura 1994, 82 – 90
Ossenbühl, Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, NVwZ 1991, 513 – 522
Darstellung angelehnt an Wüstenbecker/Sommer, Verwaltungsrecht AT2, 16. Auflage
2019, Rn. 633 – 663
I. Herleitung (Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs)
1. Z.T.: §§ 812 ff. BGB analog
2. H.M.: ungeschriebener öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch
- Gewohnheitsrechtlich anerkannt (eigenständiges Rechtsinstitut des öf-
fentlichen Rechts)
- Ableitung aus Art. 20 III GG (Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Ver-
waltung; Verpflichtung zur Rückgängigmachung rechtsgrundloser Ver-
mögensverschiebungen)
- Rechtsgedanke der §§ 812 ff. BGB (keine Analogie)
II. Anwendbarkeit
1. Keine spezialgesetzlichen Erstattungsansprüche
- § 49a I 1 VwVfG
- Im Beamtenrecht: § 12 II BBesG, § 52 BeamtVG, § 84a BBG
- Subsidiarität ggü. Kostenerstattungsansprüchen im POR
- Im Übrigen: § 37 II AO, § 50 SGB, § 20 BAföG
2. Keine abschließenden Sonderregelungen für einen Rechtsbereich
III. Anspruchskonstellationen (Fallgruppen)
1. Anspruch des Bürgers gegen den Staat
2. Anspruch des Staates gegen den Bürger (§ 684 BGB analog)
3. Anspruch im Verhältnis zwischen Hoheitsträgern
IV. Öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung zwischen den Parteien
1. Leistungsbeziehung: Kehrseite des Leistungsanspruchs (Kehrseitenthe-
orie; actus-contrarius-Gedanke)
- Erstattung der Leistung teilt als actus-contrarius die gleiche Rechtsna-
tur wie die Gewährung der Leistung
2. Bereicherung in sonstiger Weise (es besteht keine öffentlich-rechtliche
Leistungsbeziehung):
- Rechtsnatur der hoheitlichen Vergünstigung
- öffentlich-rechtliche Beziehung der Beteiligten
V. Vermögensverschiebung durch Leistung oder in sonstiger Weise
- „etwas erlangt“ i.S.v. § 812 I 1 BGB, Gegenstand der Vermögensver-
schiebung: Geldzahlung, Dienstleistungen usw.
- Unmittelbare Vermögensverschiebung zwischen den Beteiligten
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 11
VI. Ohne rechtlichen Grund
- Kein wirksamer VA (VA ist Rechtsgrund, solange nicht nichtig und nicht
aufgehoben; Rechtswidrigkeit ist unerheblich)
- Kein Anspruch aus öffentlich-rechtlichem Vertrag
- Kein gesetzlicher Anspruch (im Widerspruch zum materiellen Recht)
VII. Rechtsfolge
1. Herausgabe des Erlangten (Rechtsgedanke § 818 BGB)
2. Ggf. Anspruchsausschluss
Z.B. Entreicherung (Rechtsgedanke § 818 III):
Entreicherung nur bei Vertrauensschutz: Abwägung des Vertrauens-
schutzes des Betroffenen und des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der
Verwaltung (Art. 20 III GG)
- Hoheitsträger kann sich grds. nicht auf Entreicherung berufen
- Bürger kann sich grds. darauf berufen
- Keine Berufung auf Entreicherung bereits bei grob fahrlässiger Un-
kenntnis von der Rechtsgrundlosigkeit und Rechtshängigkeit
VIII. Durchsetzung
1. Durchsetzung des Erstattungsanspruchs des Bürgers:
- Verwaltungsgerichtliche Leistungsklage
- Als Annex zum Anfechtungsantrag über § 113 I 2 VwGO, wenn Erstat-
tungsanspruch Folge eines VA
2. Durchsetzung des Erstattungsanspruchs des Staates gegen den Bürger:
- Durch VA oder Leistungsklage
IX. Konkurrenzen
Neben Amtshaftungsanspruch und FBA anwendbar (h.M.)
G. Ansprüche auf Schadensersatz
I. Amtshaftungsanspruch
Literatur:
► Detterbeck, Rn. 1053 – 1107
Ossenbühl/Cornils, S. 7 – 123
Peine/Siegel, Rn. 930 – 982
Baldus/Grzeszick/Wienhues, Rn. 90 – 232, Rn. 564 – 569
Erbguth/Guckelberger, § 37 Rn. 1 ff.
Grzeszick, in: Ehlers/Pünder, § 44 Rn. 1 – 45
Greim/Michl, Grundfälle zur Staatshaftung im Baurecht, Jura 2012, 373 – 379
Hartmann/Tieben, Amtshaftung, JA 2014, 401 – 407
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 12
Voßkuhle/Kaiser, Grundwissen – Öffentliches Recht: Der Amtshaftungsanspruch, JuS
2015, 1076 – 1078
Schlick, Die Rechtsprechung des BGH zu den öffentlich-rechtlichen Ersatzleistungen, NJW
2018, 2684 – 2689
ders., Die Rechtsprechung des BGH zu den öffentlich-rechtlichen Ersatzleistungen, NJW
2015, 2703 – 2708
ders., Die Rechtsprechung des BGH zu den öffentlich-rechtlichen Ersatzleistungen, NJW
2017, 2509 – 2514
Darstellung angelehnt an Wüstenbecker/Sommer, Verwaltungsrecht AT2, 16. Auflage
2019, Rn. 667 – 757
1. Anwendbarkeit
a. Spezialregelungen vorrangig
b. Amtshaftungsanspruch verdrängt sonstige verschuldensabhängige De-
liktstatbestände (§§ 823, 826, 831 BGB bei hoheitlicher Tätigkeit)
- Im Übrigen bestehen Ansprüche gegen den Staat neben Amtshaftungs-
anspruch: (vertragliche) Schadensersatzansprüche gem. §§ 280 ff. BGB
analog, Ansprüche wegen Enteignung und Aufopferung, Ansprüche we-
gen Gefährdungshaftung, Haftung nach POR für rechtswidrige Maß-
nahmen (ordnungsrechtliche Unrechtshaftung)
c. Haftung nach §§ 839 ff. BGB bei privatrechtlichem Handeln des Staates
(Verwaltungsprivatrecht, fiskalische Hilfsgeschäfte, erwerbswirtschaftli-
che Tätigkeit)
2. Rechtsgrundlage
- § 839 I BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG als einheitliche Anspruchsgrundlage
- § 839 BGB anspruchsbegründende, Art. 34 GG anspruchsüberleitende
Norm
3. Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes
a. Beamter im haftungsrechtlichen Sinn
- § 839 BGB geht von Beamtem im statusrechtlichen Sinne aus; Modifi-
kation durch Art. 34 GG in haftungsrechtlichen Beamtenbegriff
- Jeder, der in Ausübung eines öffentlich-rechtlichen Amtes gehandelt
hat; entscheidend ist öffentlich-rechtlicher Charakter der ausgeüb-
ten Tätigkeit
- Private als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne:
Öffentlich-rechtliches Handeln bei Einschaltung Privater (Staat bedient
sich Privater zur Ausübung einer an sich hoheitlichen Tätigkeit)
Beliehene: Natürliche oder juristische Personen, die einzelne ho-
heitliche Verwaltungsaufgaben in eigener Verantwortung und in
eigenem Namen wahrnehmen
Verwaltungshelfer: helfen bei der Erfüllung einer dem Hoheits-
träger obliegenden Aufgabe (Unterscheidung in selbstständige
und unselbstständige Verwaltungshelfer)
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 13
Selbstständige Werk-und Dienstunternehmer: str.
(z.B.: privater Abschleppunternehmer)
Rspr.: sog. Werkzeugtheorie
Haftung des Staates, wenn Privater weisungsabhängig ist
und keinen oder nur einen begrenzten Entscheidungsspiel-
raum hat; Gesamtbetrachtung
Lit.: funktionsbezogene Betrachtung
► BGH NJW 2005, 286, 287: Im Bereich der Eingriffsverwaltung soll sich die öf-
fentliche Hand der Amtshaftung für fehlerhaftes Verhalten ihrer Bediensteten
nicht dadurch entziehen können, dass sie die Durchführung einer von ihr ange-
ordneten Maßnahmen durch privatrechtlichen Vertrag auf einen privaten Unter-
nehmer überträgt
► BGH NJW 2005, 286, 287: Private können umso mehr als Beamte im haf-
tungsrechtlichen Sinn angesehen werden, je stärker der hoheitliche Charakter
der Aufgabe in Vordergrund tritt, je enger die Verbindung zwischen den übertra-
genen Tätigkeiten und der von der Behörde zu erfüllenden Aufgaben und je be-
grenzter der Entscheidungsspielraum des Privaten ist
b. Hoheitliches Handeln
- Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Tätigkeit und Abgrenzung zu pri-
vatrechtlichem Handeln (nach allgemeinen Regeln)
c. Handeln in Ausübung des öffentlichen Amtes
- Innerer und äußerer Funktionszusammenhang zwischen Schädigungs-
handlung und öffentlich-rechtlicher Tätigkeit (Äußerer Funktionszu-
sammenhang: räumlich-zeitlicher Zusammenhang zwischen schädigen-
der Handlung und öffentlich-rechtlicher Tätigkeit; innerer Funktionszu-
sammenhang: Handlung als Bestandteil der hoheitlichen Tätigkeit)
4. Verletzung einer einem Dritten ggü. obliegenden Amtspflicht
a. Amtspflichten: Verhaltenspflichten des Amtsträgers in Bezug auf seine
Amtsführung
- Pflichten ggü. dem Dienstherren (Innenverhältnis) nach Gesetz, VO,
Innenrecht, Satzung, interne Anweisung usw.
- Insbesondere: Allgemeine Pflicht zu rechtmäßigem Verwaltungshan-
deln, Pflicht zur Vermeidung unerlaubter Handlungen, Pflicht zu zügi-
gem und konsequenten Verwaltungshandeln, Pflicht zur Erteilung rich-
tiger und vollständiger Auskünfte
b. Drittbezogenheit der Amtspflicht
BGH: Drittbezogen sind nur Amtspflichten, bei denen in qualifizierter
und zugleich individualisierbarer Weise auf schutzwürdige Interessen
eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist
(BGH, Urteil vom 08.11.2012 - III ZR 151/12)
Amtspflicht muss gerade ggü. Geschädigten bestehen und dessen
Schutz bezwecken
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 14
(1) Drittschützende Wirkung der Amtspflicht (Schutznormtheorie:
Amtspflicht begründende Vorschrift muss zumindest auch dem Schutz
der Interessen des Geschädigten zu dienen bestimmt sein)
(2) Persönlicher Schutzbereich
(3) Sachlicher Schutzbereich (konkret betroffenes Interesse des Ge-
schädigten von Drittwirkung erfasst)
c. Verletzung einer Amtspflicht
- (Inzident-)Prüfung der Handlung auf ihre Rechtmäßigkeit
- Keine Amtspflichtverletzung bei rechtswidrigem, aber weisungsgemä-
ßen Verhalten (Amtsträger handelt entsprechend einer internen Dienst-
anweisung, die außenrechtswidrig ist; Haftung des anweisenden Amts-
trägers)
- Unterlassen kann zu einer Pflichtverletzung werden, wenn Pflicht zum
Tätigwerden bestand
5. Verschulden
- In Bezug auf Amtspflichtverletzung
- Objektivierter Verschuldensmaßstab gem. § 276 BGB
- Pflichtgetreuer Durchschnittsbeamte; im Besitz der für das Amt erfor-
derlichen Rechts- und Verwaltungskenntnisse
- Kein Verschulden bei sorgfältiger Prüfung und vertretbarer Rechtsauf-
fassung
- Organisationsverschulden zulasten des Vorgesetzten
6. Kein Haftungsausschluss
a. Keine anderweitige Ersatzmöglichkeit, § 839 I 2 BGB (sog. Subsidiari-
tätsklausel)
- Grundsätzlich Ausschlussgrund des Amtshaftungsanspruchs
o Ansprüche des Geschädigten gegen Dritte
o Nur bei fahrlässiger Verursachung durch den Amtswalter (auch
grobe Fahrlässigkeit)
Teleologische Reduktion (Restriktive Anwendung geboten: nur, wenn
nach Sinn und Zweck der anderweitigen Ersatzmöglichkeiten auch der
Staat von der Haftung befreit werden soll (Stichwort: keine ungerecht-
fertigte Entlastung der öffentlichen Hand))
- Keine Anwendung des § 839 I 2 BGB bei Schädigungen im Straßenver-
kehr
o Öffentlich-rechtliche Teilnahme am Straßenverkehr ohne Inan-
spruchnahme von Sonderrechten
o Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflichten
- Keine anderweitigen Ersatzansprüche i.S.v. § 839 I 2 BGB sind insbe-
sondere:
o Ansprüche gegen anderen Hoheitsträger
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 15
o Ansprüche, die auf eigenständigen Aufwendungen des Geschä-
digten beruhen (Versicherungsleistungen, die wegen der Beiträge
des Geschädigten bestehen)
b. Spruchrichterprivileg, § 839 II BGB
- Für Judikativunrecht Amtshaftung nur bei groben Verstößen, wenn
Pflichtverletzung in Straftat besteht
c. Schuldhaftes Nichtergreifen von Rechtsmitteln, § 839 III BGB
- Vorrang des Primärrechtsschutzes (Pflicht zur Abwehr vorrangig)
- Schuldhaft (§ 276 BGB): Verschulden ausgeschlossen, wenn Einlegung
eines Rechtsmittels unzumutbar oder wenn Fehlerhaftigkeit evident und
trotzdem kein Rechtsmittel eingelegt worden ist; aber keine „über-
spannten Anforderungen“ (Vorsorgliche Einlegung von Rechtsmitteln
mit Blick auf Verfahrensökonomie ist nicht gewollt)
- Kausalzusammenhang (Rechtsmittel hätte Schaden zumindest teilweise
abwenden können)
7. Vorliegen eines Schadens
8. Rechtsfolge: Ersatz des zurechenbar verursachten Schadens
a. Haftungsausfüllende Kausalität
- Adäquat-kausal verursachter Schaden
- Bei Ermessensentscheidungen: Kausalität zwischen Fehlentscheidung
und Schaden nur, wenn Behörde bei gesetzmäßiger Ermessensaus-
übung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders ent-
schieden hätte
- Schutzzweck der Norm
- Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens (Ausschluss der Zure-
chenbarkeit)
b. Ersatzfähiger Schaden (§§ 249 ff. BGB)
- Betroffene ist zu stellen, wie er stünde, wenn Amtspflichtverletzung un-
terblieben wäre
- Ersatzfähig auch entgangener Gewinn (§ 252 BGB) und Schmerzens-
geld (§ 253 II BGB)
- Geldersatz: Ersatzanspruch stets auf Geld gerichtet (§ 251 BGB); Natu-
ralrestitution gem. § 249 BGB ausgeschlossen
c. ggf. Anspruchsminderung bei Mitverschulden gem. § 254 BGB
9. Anspruchsgegner
- I.d.R. Anstellungskörperschaft
- Anvertrauenstheorie: Haftung der Körperschaft, die dem Amtsträger die
Aufgabe, in deren Erfüllung er schuldhaft gehandelt hat, übertragen
(anvertraut) hat
10. Verjährung (§§ 195, 199 BGB)
- Regelmäßige Verjährungsfrist
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 16
11. Rechtsweg
- Art. 34 S. 3 GG: Ordentliche Gerichtsbarkeit (trotz Vorliegen einer öf-
fentlich-rechtlichen Streitigkeit)
- Landgericht sachlich zuständig (§§ 71 II Nr. 2, 23 GVG)
II. Europarechtlicher Staatshaftungsanspruch
Literatur:
► umfassende Darstellung: Haratsch/Koenig/Pechstein, Rn. 640 – 666
Detterbeck, Rn. 1305 – 1316
Peine/Siegel, Rn. 983 – 987
Ossenbühl/Cornils, S. 595 – 629
Erbguth/Guckelberger, § 38 Rn. 9 – 15
Grzeszick, in: Ehlers/Pünder, § 47 Rn. 1 – 71
Frenz/Götzkes, Die gemeinschaftliche Staatshaftung, JA 2009, 759 – 769
Kling, Die Haftung der Mitgliedstaaten der EG bei Verstößen gegen das Gemeinschafts-
recht, Jura 2005, 298 – 305
1. Herleitung und Anspruchsgrundlage:
- Genuin unionsrechtlicher Anspruch, hergeleitet vom Rechtsgedanken
des Art. 340 Abs. 2 AEUV, dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit
des Unionsrechts („effet utile“), dem Grundsatz der Unionstreue nach
Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 EUV und dem Grundsatz des Schutzes der unions-
rechtlich begründeten Individualrechte; entwickelt vom EuGH (vgl.
grundlegend EuGH NJW 1992, 165, 166 f. - Francovich)
- Verhältnis zum nationalen Amtshaftungsanspruch
Z.T.: Europarechtlicher Staatshaftungsanspruch ist modifizierter
nationaler Amtshaftungsanspruch
H.M.: eigenständiger europarechtlicher Staatshaftungsanspruch,
der ggf. neben den nationalen Amtshaftungsanspruch tritt (Arg.:
unionsrechtliche Haftung anders als Amtshaftung, nicht überge-
leitete Haftung für Verhalten eines Amtswalters, sondern originä-
re Haftung des Mitgliedstaates)
2. Verletzung von individualschützendem Unionsrecht
a. Mögliche Rechtsverstöße:
- Verstoß gegen Primär- und Sekundärrecht der Union
- vollständig fehlende (rechtzeitige) Umsetzung einer Richtlinie der EU
- erfolgte, aber fehlerhafte Umsetzung einer Richtlinie der EU
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 17
- falsche Auslegung und/oder Anwendung von Unionsrecht durch mit-
gliedstaatliche Verwaltung/mitgliedstaatliches Gericht
- Nichtanpassung des mitgliedstaatlichen Rechts an unionsrechtliche
Vorgaben
b. Verletzte Unionsnorm muss Verleihung subjektiver Rechte bezwecken
(insb. Grundfreiheiten)
3. Hinreichend qualifizierter Rechtsverstoß
- Verstoß muss offenkundig und erheblich sein; Wertungsfrage: alle Ge-
sichtspunkte des Einzelfalls zu berücksichtigen
- Anspruch grds. verschuldensunabhängig gegeben; etwaiges Verschul-
den aber ggf. i.R.d. Qualifizierung des Rechtsverstoßes zu berücksichti-
gen
- Nichtumsetzung von Richtlinien: immer hinreichend qualifizierter Ver-
stoß, da bzgl. der Umsetzung der Richtlinie als solche kein Ermessen
des Mitgliedstaates besteht
4. Unmittelbare Kausalität zwischen EU-Rechtsverstoß und Schaden
5. Anspruchsausschluss
§ 839 I 2 BGB unanwendbar
§ 839 II BGB unanwendbar
§ 839 III BGB anwendbar, es sei denn unzumutbar
6. Ausgestaltung des Anspruchs/Rechtsfolgen
Haftungstatbestand durch Unionsrecht geprägt, Haftungsfolgen und
Durchsetzung richten sich nach nationalem Recht
- angemessener Schadensersatz in Geld, Naturalrestitution (str.)
- evtl. Mitverschulden des Geschädigten
- Staat als Anspruchsverpflichteter nach Art. 34 S. 1 GG
- Verjährung nach nationalem Recht
- Rechtsweg: Zivilrechtsweg (Rechtsgedanke der Art. 34 S. 3 GG, § 40 II
1 VwGO)
III. Öffentlich-rechtliche Schuldverhältnisse
Literatur:
► Detterbeck, Rn. 1262 – 1293
Peine/Siegel, § 17 Rn. 715 – 813
Baldus/Grzeszick/Wienhues, Rn. 233 – 254
Ossenbühl/Cornils, S. 402 – 447
Erbguth/Guckelberger, § 43 Rn. 1 ff.
Grzeszick, in: Ehlers/Pünder, § 46 Rn. 18 – 25
Barczak, Verwaltungsschuldrecht, VerwArch. 109 (2018), 363 – 401
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 18
Gries/Willebrand, Entstehung der auf Leistung und Nutzung gerichteten verwaltungs-
rechtlichen Schuldverhältnisse, JuS 1990, 193 – 198
Stelkens, Schadensersatzansprüche des Staates gegenüber Privaten, DVBl. 1998, 300 –
306
Windthorst, Staatshaftungsrecht – Das öffentliche Schuldverhältnis, JuS 1996, 605
Darstellung angelehnt an Wüstenbecker/Sommer, Verwaltungsrecht AT2, 16. Auflage
2019, Rn. 762 – 770
1. Schuldverhältnis
a. Öffentlich-rechtlicher Vertrag
b. Öffentlich-rechtliche Verwahrung
- Entsprechende Geltung der Vorschriften des BGB über Verwahrung und
Leistungsstörung wegen Obhutspflichten des Staates
c. Öffentlich-rechtliche Leistungs- und Benutzungsverhältnisse
- Bedürfnis nach Schutz wie im Privatrecht aufgrund eines durch Leistung
und Gegenleistung geprägten Austauschverhältnisses
d. Beamtenverhältnis
- Besondere Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 78 BBG, § 45 BeamtStG)
- Vertragsähnlicher, öffentlich-rechtlicher Schadensersatzanspruch des
Beamten gegen den Dienstherrn bei schuldhafter Pflichtverletzung
ergibt sich schon unmittelbar aus Beamtenverhältnis
e. Haftung wegen sonstiger vertragsähnlicher Sonderbeziehungen möglich
- Haftung kommt insb. bei engen Rechtsbeziehungen mit Obhuts- und
Fürsorgepflichten in Betracht um, soweit ein Bedürfnis besteht, neben
den deliktischen Ansprüchen auch Schadensersatz nach §§ 280 ff. BGB
analog zu gewähren
Fallgruppen b-d. sind nicht abschließend
2. Pflichtverletzung
3. Vermutetes Vertretenmüssen
4. Ggf. Haftungsbeschränkung
- Beschränkungen der Haftung durch den Hoheitsträger denkbar (keine
Überhaftung der öffentlichen Hand)
- Beschränkungen der Haftung durch den Hoheitsträger in Grenzen (insb.
Rechtfertigung durch sachliche Gründe und Wahrung des Grundsatzes
der Verhältnismäßigkeit)
5. Rechtsfolge: Schadensersatz, §§ 249 ff. BGB analog
Geldersatz oder Naturalrestitution möglich
6. Rechtsweg
a. Öffentlich-rechtlicher Vertrag: Verwaltungsrechtsweg (§ 40 I 1 VwGO;
vgl. § 40 II 1 HS 1 VwGO)
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 19
b. Bei Ansprüchen des Bürgers gegen den Staat aus vertragsähnlichen
(öffentlich-rechtlichen) Schuldverhältnissen: ordentliche Gerichtsbarkeit
gem. § 40 II 1 HS 1 3. Alt. VwGO; Ausnahme in § 40 II 2 VwGO, für
die der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist
c. Beamtenrechtliche Ansprüche: Aufdrängende Sonderzuweisung eröffnet
Rechtsweg zu Verwaltungsgerichten (§ 40 II 2 VwGO, § 126 I BBG, §
54 I BeamtStG)
d. Ansprüche des Staates gegen den Bürger: in jedem Fall Verwaltungs-
rechtsweg (Ausnahme aus § 40 II 1 VwGO gilt nur bei Ansprüchen des
Bürgers gegen den Staat)
7. Unterschiede zur deliktischen Haftung
a. Verschulden: bei §§ 280 ff. BGB analog trägt Beweislast für Verschul-
den der in Anspruch genommene Staat (vermutetes Vertretenmüssen;
Beweislastumkehr für Verschulden)
- Amtshaftungsanspruch: Volle Beweislast für Voraussetzungen des §
839 I BGB trägt Anspruchsteller (insb. Nachweis des Verschuldens)
b. Hilfspersonen: Zurechnung von Verschulden Dritter über § 278 BGB
analog (Haftung für Erfüllungsgehilfen)
- Zurechnung findet bei deliktischem Anspruch nur bei Tätigwerden eines
Verwaltungshelfers statt
c. Keine Geltung des Verweisungsprivilegs
d. Kein Anspruchsausschluss nach § 839 III BGB aber Anwendung des
Rechtsgedankens auf vertragliche bzw. vertragsähnliche Haftung (i.d.R.
auch Anspruchsminderung analog § 254 BGB)
e. Art und Umfang des Schadensersatzes: Naturalrestitution möglich
IV. Spezialgesetzliche Ansprüche: Gefährdungshaftung
Literatur:
► Ossenbühl/Cornils, S. 448 – 457
Ehlers, in: Ehlers/Pünder, § 3 Rn. 26
Darstellung angelehnt an Wüstenbecker/Sommer, Verwaltungsrecht AT2, 16. Auflage
2019, Rn. 672 – 673
Anspruchsgrundlagen einer Gefährdungshaftung
- Insb. § 7 StVG, § 33 LuftVG
Haftung des Hoheitsträgers unabhängig von hoheitlichem oder privat-
rechtlichen Handeln (neben Ansprüchen aus Amtshaftung)
- Art. 5 Abs. 5 EMRK: Unmittelbarer verschuldensunabhängiger Scha-
densersatzanspruch im Falle einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung
(konventionsrechtliche Sicherungsverwahrung oder rechtswidrige Ab-
schiebehaft)
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 20
H. Ansprüche auf Entschädigungsleistungen
Überblick über die Ersatzansprüche bei Eigentumsbeeinträchtigungen:
Enteignungsentschädigung
Ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung
Entschädigung wegen enteignungsgleichen Eingriffs
Entschädigung wegen enteignenden Eingriffs
I. Entschädigungsleistungen wegen Eingriffen in das Eigentum nach Art.
14 GG
1. Enteignungsentschädigung
Literatur:
► Detterbeck, Rn. 1110 – 1132
Peine/Siegel, Rn. 1004 – 1018
Baldus/Grzeszick/Wienhues, Rn. 359 – 428
Ossenbühl/Cornils, S. 153 – 211
Erbguth/Guckelberger, § 39 Rn. 2 – 22
Grzeszick, in: Ehlers/Pünder, § 45 Rn. 19 – 41
Kischel, Entschädigungsansprüche für Eigentumsbeeinträchtigungen, VerwArch. 97
(2006), 450 – 481
Papier, Die Weiterentwicklung der Rechtsprechung zur Eigentumsgarantie des Art. 14
GG, DVBl. 2000, 1398
Darstellung angelehnt an Wüstenbecker/Sommer, Verwaltungsrecht AT2, 16. Auflage
2019, Rn. 772 – 786
a. Anspruchsgrundlage für Enteignungsentschädigung
aa. Junktimklausel, Art. 14 III 2 GG: Entschädigungsregel durch Gesetz
vorgeschrieben (kein „dulde und liquidiere“)
bb. Spezialgesetzliche Entschädigungsvorschriften (Subsidiarität der allg.
Enteignungsgesetze): Anspruchsgrundlage für Enteignungsentschädi-
gung ist spezielle Entschädigungsvorschrift und nicht Art. 14 III GG
(keine anspruchsbegründende Norm)
b. Vorliegen einer Enteignung (Abgrenzung zu Inhalts- und Schranken-
bestimmung; Trennungstheorie)
- Eigentumsentzug und Übertragung auf Begünstigten
- Finalität (gewollt und beabsichtigt)
- Güterbeschaffung für öffentlichen Zweck
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 21
- Ausformung: Legalenteignung (ausnahmsweise kraft Gesetzes) oder
Administrativenteignung (kraft VA); keine Finalität bei Realakten oder
unbeabsichtigten Nebenfolgen
c. Rechtmäßigkeit der Enteignung
aa. Gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, Art. 14 III 2 GG
- Wirksamkeit
- Gesetzliche Ermächtigungsgrundlage muss zugleich Art und
Ausmaß der Entschädigung regeln (Junktimklausel)
bb. Zum Wohle der Allgemeinheit, Art. 14 III 1 GG
cc. Verhältnismäßigkeit
- Bei rechtswidrigen Eingriffen (z.B. Unverhältnismäßigkeit trotz wirksa-
mer zur Enteignung berechtigenden gesetzlichen Grundlage) werden
nach h.M. die gesetzlichen Entschädigungsvorschriften analog ange-
wendet (Arg.: Wenn schon bei rechtmäßigen Eingriffen, dann erst
Recht bei rechtswidrigen Eingriffen)
d. Rechtsfolge: angemessene Entschädigung
Angemessener Ausgleich unter gerechter Abwägung der Interessen der
Allgemeinheit und den Beteiligten, Art. 14 III 3 GG (keine volle Kompensa-
tion wie im Rahmen von Schadensersatzansprüchen)
e. Rechtsweg
aa. Rechtmäßigkeit der Enteignung: Verwaltungsrechtsweg (öffentlich-
rechtliche Streitigkeit i.S.v. § 40 I 1 VwGO und Anfechtung des Enteig-
nungsbeschlusses)
bb. Entschädigungsanspruch: Ordentlicher Rechtsweg eröffnet, vgl. Art. 14
III 4 GG
1. Ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung
Literatur:
► Detterbeck, Rn. 1176 – 1179
Ossenbühl/Cornils, S. 212 – 241
Erbguth/Guckelberger, § 39 Rn. 23 – 29
Baldus/Grzeszick/Wienhues, Rn. 426 – 445
Grzeszick, in: Ehlers/Pünder, § 45 Rn. 42 – 61
Darstellung angelehnt an Wüstenbecker/Sommer, Verwaltungsrecht AT2, 16. Auflage
2019, Rn. 787 – 790
a. Inhalts- und Schrankenbestimmungen: Eigentumsbeschränkungen
(unabhängig von der Schwere); Abgrenzung zur Enteignung
b. Grds. entschädigungslos hinzunehmen, vgl. Art. 14 I 2 GG
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 22
c. Ausnahmsweise ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmung gem. Spezi-
algesetz
aa. Unverhältnismäßigkeit bei einer besonders schweren Belastung des
Betroffenen, die auch unter Berücksichtigung der Sozialbindung un-
zumutbar erscheint
bb. Gewährung einer Entschädigung zum Ausgleich der Belastung
cc. Konsequenz: an sich unverhältnismäßige Maßnahme wird verhält-
nismäßig
dd. Entschädigung nur aufgrund einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage
- Entschädigungsregelung bei Inhalts- und Schrankenbestimmung er-
forderlich
- Art. 14 I 2 GG: „Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze
bestimmt.“
d. Rechtsweg für Ausgleichsanspruch im Rahmen des Art. 14 I 2 GG:
Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 II 1 Hs. 2 VwGO
2. Entschädigung wegen enteignungsgleichen Eingriffs
Anspruch bei Eigentumsbeeinträchtigungen durch rechtswidrige ho-
heitliche Maßnahmen
Literatur:
► Detterbeck, Rn. 1133 – 1161
Ossenbühl/Cornils, S. 259 – 324
Peine/Siegel, Rn. 1019 – 1029
Erbguth/Guckelberger, § 39 Rn. 30 – 40
Baldus/Grzeszick/Wienhues, Rn. 446 – 477
Grzeszick, in: Ehlers/Pünder, § 45 Rn. 62 – 85
v. Arnauld, Enteignender und enteignungsgleicher Eingriff heute, VerwArch. 93 (2002),
394 – 417
Schenke, Entschädigungsansprüche bei legislativem Unrecht unter dem Aspekt des ent-
eignungsgleichen Eingriffs, NJW 1988, 857 – 864
Schoch, Die Haftungsinstitute des enteignungsgleichen und enteignenden Eingriffs im
System des Staatshaftungsrechts, Jura 1989, 529 – 537
ders., Die Haftung aus enteignungsgleichem und enteignendem Eingriff, Jura 1990, 140 –
150
Darstellung angelehnt an Wüstenbecker/Sommer, Verwaltungsrecht AT2, 16. Auflage
2019, Rn. 791 – 810
a. Anspruchsgrundlage
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 23
aa. Frühere Rspr.: Analogie zu Art. 14 III GG (Erst-Recht-Schluss; wenn
Entschädigung für rechtmäßige Enteignung, dann muss Entschädi-
gungsanspruch auch bei rechtswidrigem Verhalten ausgelöst werden)
bb. Nassauskiesungsbeschluss des BVerfG1: Herleitung von Entschädi-
gungsansprüchen aus Analogie zu Art. 14 III GG wurde als unzulässig
erachtet (Trennungstheorie)
cc. Heute h.M.: Gewohnheitsrechtlich anerkanntes (eigenständiges) Haf-
tungsinstitut; Einordnung des Anspruchs als richterliche Fortentwick-
lung des in §§ 74, 75 EALR2 enthaltenen Aufopferungsanspruchs
b. Anwendbarkeit
aa. Spezialgesetzlichen Regelungen wie § 39 I lit. b OBG NRW, § 67 PolG
NRW (Regelungen über Haftung von rechtswidrigem schuldlosen Han-
deln der Ordnungs- oder Polizeibehörden) vorrangig
bb. Anwendbar bei rechtswidrigen faktischen Eingriffen (die oftmals nicht
abgewehrt werden können), rechtswidriger Vollzug verfassungsmäßiger
Gesetze, rechtswidrige Konkretisierung von Inhalt und Schranken
durch Einzelakt
cc. Nicht anwendbar bei (zielgerichteter) Enteignung und „legislativem Un-
recht“
Keine Entschädigung für verfassungswidrige Gesetze (Verfassungsver-
stoß kann nicht durch Entschädigung „geheilt“ werden)
Für Entschädigungsanspruch darf Fehler nicht allein auf Parlamentsge-
setz beruhen
c. Hoheitliche Maßnahme
aa. Hoheitliche Maßnahmen:
- Rechtsakte
- Realakte
- Positives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen
- Weites Verständnis: auch Versagen (staatlich kontrollierter) technischer
Einrichtungen (Bei Amtshaftung ist ein menschliches Verhalten notwen-
dig)
bb. Keine hoheitlichen Maßnahmen:
- „Legislatives Unrecht“
- Judikatives Unrecht (Rechtsgedanke § 839 II BGB)
d. Eingriff in das Eigentum i.S.v. Art. 14 I 1 GG
1 BVerfGE 58, 300 ff.
2 Einleitung zum Allgemeinen Landrecht für Preußische Staaten.
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 24
- Verletzung des Eigentums (Eigentum i.S.v. Art. 14 I 1 GG)
- Alle hoheitlichen Maßnahmen mit Ausnahme von formellen Gesetzen
(insb. VA, Satzung, VO, auch Realakt)
- Nur qualifiziertes Unterlassen stellt Eingriff dar (str.)
- Keine Übertragbarkeit auf andere Grundrechte (Beschränkung auf Ei-
gentumsgarantie wegen der früheren analogen Herleitung des An-
spruchs aus Art. 14 III GG)
e. Unmittelbarkeit des Eingriffs
- Unmittelbare Bewirkung des Eingriffs in Eigentum durch hoheitliche
Maßnahme
- Wertende Zurechnung, Realisierung typischer Gefahren, Zielgerichtet-
heit nicht erforderlich
f. Rechtswidrigkeit des Eigentumseingriffs (Enteignungsgleiche Wirkung)
- Rechtswidrigkeit des Erfolges durch Rechtswidrigkeit der Eingriffshand-
lung indiziert
- Anknüpfung für Rechtswidrigkeit an den sachlichen Regelungsgehalt
(materiell-rechtliche Fehler)
- Kein Verschulden erforderlich
g. Kein Anspruchsausschluss: Anspruchsausschluss bei schuldhafter
(vorwerfbarer) Nichteinlegung von Rechtsmitteln
- Vorrang des Primärrechtsschutzes (kein „Dulde und Liquidiere“)
- Herleitung: h.M. Ausschluss gem. § 254 BGB analog (a.A. § 839 III
BGB analog)
- Primärrechtsschutz schuldhaft versäumt
- Folge bei Verstoß (BGH): Anspruch ist bzgl. solcher Nachteile ausge-
schlossen, die durch Rechtsmitteleinlegung hätten verhindert werden
können (gleiche Wirkung wie bei § 839 III BGB)
h. Anspruchsgegner: Begünstigter Hoheitsträger
- Begünstigt ist der Hoheitsträger, dessen Aufgaben wahrgenommen
wurden oder dem die Vorteile zugeflossen sind
i. Rechtsfolge
aa. Angemessene Entschädigung (kein Schadensersatz)
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 25
bb. Umfang: Eingriffsbedingter Substanzverlust und unmittelbare Folge-
schäden (keine mittelbaren Folgeschäden); „unmittelbar und zwangs-
notwendig“ durch Eingriff ins Eigentum
- Entgangener Gewinn nicht erstattungsfähig
- Besonderheit bei Eingriffen ins Grundeigentum
cc. Ggf. Minderung der Entschädigung: § 254 BGB analog und mitwirkende
Betriebsgefahr, § 17 I II StVG
j. Verjährung: Regelmäßige Verjährung analog § 195 BGB (drei Jahre)
k. Rechtsweg Ordentliche Gerichtsbarkeit gem. § 40 II 1 HS 1 Fall 1 VwGO
(„Aufopferung“)
l. Konkurrenzen
aa. Neben Amtshaftungsanspruch anwendbar (unterschiedliche Vorausset-
zungen und Rechtsfolgen; insb. kein Verschulden im Rahmen des Ent-
schädigungsanspruchs erforderlich)
bb. Abgrenzung zum Entschädigungsanspruch wegen (rechtmäßiger) Ent-
eignung und Ausgleichsanspruch wegen ausgleichspflichtiger Inhalts-
und Schrankenbestimmung
cc. Verdrängt durch Spezialregelungen (s.o.)
3. Entschädigung wegen enteignenden Eingriffs
Anspruch bei Eigentumsbeeinträchtigungen durch rechtmäßige ho-
heitliche Maßnahmen
Literatur:
► Ossenbühl/Cornils, S. 325 – 351
Peine/Siegel, Rn. 1019 – 1021, Rn. 1030 – 1041
Baldus/Grzeszick/Wienhues, Rn. 478 – 503
Erbguth/Guckelberger, § 39 Rn. 41 – 49
Grzeszick, in: Ehlers/Pünder, § 45 Rn. 86 – 99
v. Arnauld, Enteignender und enteignungsgleicher Eingriff heute, VerwArch. 93 (2002),
394 – 417
Schenke, Entschädigungsansprüche bei legislativem Unrecht unter dem Aspekt des ent-
eignungsgleichen Eingriffs, NJW 1988, 857 – 864
Schoch, Die Haftungsinstitute des enteignungsgleichen und enteignenden Eingriffs im
System des Staatshaftungsrechts, Jura 1989, 529 – 537
ders., Die Haftung aus enteignungsgleichem und enteignendem Eingriff, Jura 1990, 140 –
150
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 26
Darstellung angelehnt an Wüstenbecker/Sommer, Verwaltungsrecht AT2, 16. Auflage
2019, Rn. 811 – 829
a. Rechtsgrundlage (wie beim enteignungsgleichen Eingriff)
aa. Frühere Rspr.: Art. 14 III GG analog (Erst-Recht-Schluss)
bb. Tlw.: Haftungsinstitut des enteignenden Eingriffs als Unterfall der aus-
gleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen (Art. 14 I 2
GG) ohne gesetzliche Regelung
cc. Heute h.M.: Gewohnheitsrecht; allgemeiner Aufopferungsgedanke §§
74, 75 EALR
b. Anwendbarkeit
aa. Vorrangige Spezialregelungen:
- Planfeststellungsbeschlüsse und Plangenehmigungen: §§ 74 II 3, 75 II
4 VwVfG
- Im POR: § 39 I lit. a OBG NRW, § 67 PolG NRW (Entschädigung des
rechtmäßig in Anspruch genommenen Nichtstörers)
bb. Anwendbar: i.d.R. bei faktischen, zumeist unvorhersehbaren atypi-
schen Nebenfolgen rechtmäßiger Maßnahmen
c. Hoheitliche Maßnahme (vgl. enteignungsgleichen Eingriff)
d. Eingriff in das Eigentum i.S.v. Art. 14 I 1 GG (vgl. enteignungsgleichen
Eingriff)
e. Unmittelbarkeit des Eingriffs
(vgl. enteignungsgleichen Eingriff; wertende Betrachtung, Konkretisierung ei-
ner typischen Gefährdungssituation ausreichend)
f. Rechtmäßigkeit des Eingriffs: Sonderopfer
- Sonderopfer wegen enteignender Wirkung nach Art, Intensität und
Ausmaß: Einwirkungen müssen beim Betroffenen im Vergleich zu ande-
ren betroffenen Personen eine „besondere Schwere“ aufweisen; Unzu-
mutbarkeit bei entschädigungsloser Hinnahme oder Verstoß gegen den
Gleichheitsgrundsatz
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 27
- Umfassende Beurteilung im Einzelfall, ob Überschreiten der Opfergren-
ze oder noch Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums (entscheidend
ist Zumutbarkeit der Beeinträchtigung)
- Kein Sonderopfer:
Beeinträchtigung liegt in der Sache selbst
Verwirklichung eines in der Sache liegenden Risikos
Konkretisierung der Sozialbildung des Eigentums (Art. 14 II GG)
Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos
Verantwortlichkeit des Betroffenen für die Sachlage, die die ho-
heitliche Maßnahme ausgelöst hat
Folgen einer freiwilligen Gefahrübernahme
- Rechtsgedanke des § 906 BGB bei tatsächlichen Einwirkungen auf das
Eigentum
Betroffene hätte bei privatrechtlichen Beeinträchtigungen einen
Ausgleichsanspruch, § 902 II 2 BGB
Rechtswidrige Störungen müssen aus übergeordneten Gründen
hingenommen werden, § 906 II 2 analog (sog. privatrechtliche
Aufopferung)
- Im Übrigen:
Erweiterte Duldungspflicht bei überwiegendem öffentlichen Inte-
resse
Bestehen eines anderweitigen Ausgleichsanspruchs schließt An-
spruch nicht aus (§ 839 I 2 BGB gilt nicht)
g. Anspruchsgegner: Begünstigte Hoheitsträger
h. Rechtsfolge: angemessene Entschädigung (vgl. enteignungsgleichen Ein-
griff)
i. Verjährung: § 195 BGB (drei Jahre)
j. Rechtsweg: Ordentliche Gerichtsbarkeit gem. § 40 II 1 HS 1 Fall 1 VwGO
(Einordnung als Aufopferungsanspruch)
II. Entschädigungsleistungen wegen Aufopferung
Literatur:
► Detterbeck, Rn. 1181 – 1200
Peine/Siegel, Rn. 1042 – 1057
Ossenbühl/Cornils, S. 124 – 152
Erbguth/Guckelberger, § 40 Rn. 1 ff.
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 28
Baldus/Grzeszick/Wienhues, Rn. 334 – 358, Rn. 570 – 575
Grzeszick, in: Ehlers/Pünder, § 45 Rn. 100 – 110
Brüning, Die Aufopferung im Spannungsfeld von verfassungsrechtlicher Eigentumsgaran-
tie und richterrechtlicher Ausgestaltung, JuS 2003, 2 – 8
Ossenbühl, Die Struktur des Aufopferungsanspruchs, JuS 1970, 276 – 281
Schenke, Staatshaftung und Aufopferung – Der Anwendungsbereich des Aufopferungsan-
spruchs, NJW 1991, 1777 – 1789
Darstellung angelehnt an Wüstenbecker/Sommer, Verwaltungsrecht AT2, 16. Auflage
2019, Rn. 830 – 838
1. Rechtsgrundlage: Gewohnheitsrecht, §§ 74, 75 EALR (Aufopferungsge-
danke)
2. Anwendbarkeit: Vorrang spezialgesetzlicher Regelungen, etwa §§ 60 ff.
InfSG (Infektionsschutzgesetz) oder § 39 OBG NRW, § 67 PolG NRW
3. Eingriff in nichtvermögenswerte Rechte oder Rechtsgüter
- Nach h.M. Schutzgüter des Art. 2 II GG: Leben, Gesundheit, körperliche
Unversehrtheit, Freiheit im Sinne körperlicher Bewegungsfreiheit; nicht
hingegen immaterielle Schutzgüter (insb. nicht Persönlichkeitsschutz)
- a.A. fordert Erweiterung des Schutzes auf Geheimsphäre, Ehre und
Namensschutz (dagegen spricht Verständnis von Aufopferung im enge-
ren Sinne)
4. Hoheitlicher Eingriff
- Unmittelbar aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme (gezielt oder unge-
zielt)
- Ausreichend ist Realisierung einer besonderen, typischen Gefahrenlage,
die durch hoheitliche Maßnahme geschaffen wurde
5. Sonderopfer
- Besondere Belastung (unzumutbare Beeinträchtigung), d.h. nicht nur
Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos oder Belastung wegen
Konkretisierung einer auferlegten Pflicht oder Folgen einer freiwilligen
Gefahrübernahme
- Verschulden nicht erforderlich
- Bei Rechtswidrigkeit des Eingriffs ist Sonderopfer indiziert
6. Rechtsfolge: angemessene Entschädigung
- Angemessene Entschädigung (kein Schadensersatz, insbes. kein ent-
gangener Gewinn)
- Frühere Rspr. des BGH: Ausschließlich Ausgleich der eingetretenen
Vermögensnachteile (keine Kompensation des immateriellen Schadens;
kein Schmerzensgeld)
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 29
- Mittlerweile: nach neuerer Rspr. auch Zuerkennung von Schmerzens-
geld (selbst bei rechtmäßigen Maßnahmen)
► BGH, Urteil vom 11.9.2017, III ZR 71/17; siehe hierzu Sing-
bartl/Zintl, NJW 2017, 3384, 3387
7. Rechtsweg: nach § 40 II 1 Hs. 1 Fall 1 VwGO ordentlicher Rechtsweg
I. Recht der Öffentlichen Sachen
I. Begriff der öffentlichen Sache
Literatur:
► Darstellung auf Grundlage von Detterbeck, Rn. 961 – 968
Erbguth/Guckelberger, § 30 Rn. 1 – 2, § 30 Rn. 9 – 15
Papier/Durner, in: Ehlers/Pünder, § 38 Rn. 3 – 5, § 40 Rn. 1 – 54
Peine/Siegel, Rn. 1060 – 1063, Rn. 1067 – 1081
1. Begriffsmerkmale einer öffentlichen Sache und Entstehung
a. Vermögensgegenstand
b. Dient unmittelbar einem öffentlichen Zweck
c. Erhält einen öffentlich-rechtlichen Status durch Widmung
d. Tatsächliche Indienststellung
- Widmung erfolgt durch einen öffentlich-rechtlichen Rechtsakt:
formelles Gesetz
Rechtsverordnung
Satzung, z.B. Bibliothekssatzung
VA i.S.e. Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 Var. 3 VwVfG NRW
Gesetzliche Grundlage grds. nicht erforderlich, Ausnahme: wenn mit Wid-
mung Eingriffe in Rechte Dritter verbunden sind, i.d.R. nur bei Widmung
fremder Sachen gegen den Willen des Eigentümers
- Indienststellung = rein tatsächliche Indienstnahme der Sache (Realakt),
gleichzeitig mit Widmung oder ihr nachfolgend
2. Aufhebung
- Entwidmung durch dieselbe Rechtsform wie die Widmung (actus contrari-
us) und Beendigung der tatsächlichen Indienstnahme
3. Änderung
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 30
- Zur Änderung der öffentlichen Zweckbestimmung, insbesondere durch Ein-
schränkung oder Erweiterung, muss Umwidmung (Änderungswidmung) er-
folgen, dies geschieht grundsätzlich in derselben Rechtsform wie Widmung
4. Beispiele: Straßen, Wege, Eisenbahnen, Untergrundbahnen, Flughäfen
Anwendbarkeit des § 90 BGB (-) (h.M.; a.A. Papier/Durner, in: Eh-
lers/Pünder, § 38 Rn. 4)
Anwendbarkeit der §§ 93-95 BGB (-); auch einzelne wesentliche Bestand-
teile einer privaten Sache können öffentliche Sachen sein
II. Rechtliche Bedeutung und Einordnung der öffentlichen Sache
Literatur:
► Darstellung auf Grundlage von Detterbeck, Rn. 969 – 972
Erbguth/Guckelberger, § 30 Rn. 4 – 8
Papier/Durner, in: Ehlers/Pünder, § 38 Rn. 6 – 32
Peine/Siegel, Rn. 1064 – 1066
1. Modifiziertes Privateigentum
a. Geltung der Privatrechtsordnung
- Anwendung der im BGB ausgeformten Eigentumsordnung, soweit an
der öffentlichen Sache privatrechtliches Eigentum möglich ist
- Öffentliche Sachen sind grundsätzlich Gegenstände privatrechtlichen
Eigentums (insbesondere bei Normalfall, dass ein Träger öffentlicher
Gewalt Eigentümer ist)
- Somit haben auch Träger der öffentlichen Gewalt Privateigentum an
den öffentlichen Sachen
b. Öffentlich-rechtlicher Status
- Begründung durch Widmungsakt, Widmung begründet eine öffentlich-
rechtliche Dienstbarkeit, die auf dem Privateigentum lastet (dualistische
Rechtskonstruktion)
- Einschränkung – keine Verdrängung (!) – des Privateigentums an der
Sache
- Möglich, dass die öffentliche Sache im Eigentum eines Privaten steht
und durch Widmungsakt zur öffentlichen Sache wird
- Grds. Anwendung der Vorschriften des BGB bei Veräußerung öffentli-
cher Sachen
öffentlich-rechtliche Dienstbarkeit geht bei Eigentumsübertragung
mit über
P: Gutgläubiger lastenfreier Erwerb nach BGB möglich ? (str.)
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 31
BVerwG: erkennt eine solche Wirkung des öffentlich-rechtlichen Status, die sich
zum Nachteil Dritter auswirken kann, nur an, wenn eine entsprechende formelle
gesetzliche Grundlage – wie etwa im Straßenrecht – existiert
2. Öffentliches Eigentum
- Einführung aufgrund einer gesetzlichen Grundlage (auch des Landesge-
setzgerbers) möglich
III. Arten der öffentlichen Sachen
Literatur:
► Darstellung auf Grundlage von Detterbeck, Rn. 973 – 1004
Erbguth/Guckelberger, § 31 – 35
Peine/Siegel, §§ 30, 31
Papier/Durner, in: Ehlers/Pünder, §§ 39, 41, 42
Axer, Der Anliegergebrauch an Straßen, DÖV 2014, 323 – 330
Dietz, Grundrechtskollisionen im öffentlichen Raum – Gemeingebrauch, Anliegergebrauch
und Sondernutzung als Beispiele grundrechtsgeprägter Erlaubnisverfahren, AöR 133
(2008), 556 – 605
Mayer/Sokol, Gemeingebrauch im Recht der öffentlichen Sachen, Jura 2012, 913 – 922
Rebler, Das Verhältnis zwischen Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, BayVBl. 2005,
394 – 399
Siegel, Zur Relevanz des straßenrechtlichen Nutzungsregimes, NVwZ 2013, 479 – 482
1. Öffentliche Sachen im Gemeingebrauch
a. Begriff
- „Öffentliche Sachen im Gemeingebrauch sind solche öffentlichen Sa-
chen, die durch öffentlich-rechtliche Widmung einer unbeschränkten
Öffentlichkeit unmittelbar und ohne besondere Zulassung zur zweckbe-
stimmten Benutzung zugänglich gemacht wurden.“ Bspw.: öffentliche
Straßen, Wege, Plätze (§ 7 I FStrG, § 14 StrWG NRW)
- Unentgeltlichkeit der Nutzung keine Voraussetzung des Gemeinge-
brauchs (allgemeine Benutzungsgebühr ≠ besondere Zulassung); vgl.
etwa § 7 I 4 FStrG aus
- Gemeingebrauch ist zulassungsfrei
b. Sondernutzung von Sachen im Gemeingebrauch
- Begriff: Nutzung der Sache über den widmungsgemäßen Gemein-
gebrauch hinaus
– Die weiteren Ausführungen beschränken sich auf das Straßen- und We-
gerecht –
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 32
- Grds.: Beschränkung des straßenrechtlichen Gemeingebrauchs auf die
Straßennutzung zum Zweck des Verkehrs, d.h. der Fortbewegung
- Sondernutzung: Straße wird nicht vorwiegend zum Verkehr, son-
dern zu anderen Zwecken benutzt (§§ 7 I 3, 8 I 1 FStrG; § 18 I 1
StrWG NRW), oder wenn die Straße in einer Weise genutzt wird, die
der bau- und verkehrstechnischen Beschaffenheit der Straße entgegen-
steht
- Bedeutung: Sondernutzung ist nicht zulassungsfrei, nur aufgrund einer
besonderen Erlaubnis, sog. Sondernutzungserlaubnis zulässig (§
8 I 2 FStrG, § 18 I 2 StrWG NRW)
Fallgruppen zur Unterscheidung:
Gemeingebrauch: Ruhender Verkehr3; Dauerparken und Abstellen
eines Wohnwagens4; Abstellen eines mit einer Verkaufsofferte ver-
sehenen Fahrzeuges auf einer öffentlichen Straße, die auch zum
Parken zugelassen ist (anders, wenn die Straße ausschließlich oder
vorwiegend als langfristige Ausstellungsfläche und damit nicht mehr
primär zu Verkehrszwecken genutzt wird5); stilles Betteln auf öf-
fentlichen Straßen und Plätzen6, sog. Kommunikativer Verkehr
i.S.e. von Art. 5 I 1 GG geschützten politischen Kommunikation
(etwa: Verteilen von Flugblättern)
Sondernutzung: Abstellen eines nicht zum Verkehr zugelassenen
Kraftfahrzeuges7; Straßennutzung, mit der ausschließlich oder
überwiegend gewerbliche Zwecke (Verkauf, Werbung) verfolgt wer-
den, z.B. Verteilung von Werbezetteln auf Bürgersteigen8 oder Ver-
kauf von (Sonntags-)Zeitungen in Fußgängerzonen oder auf Bür-
gersteigen9
Anliegergebrauch: Zur angemessenen Nutzung der Grundstücke
ist regelmäßig eine verstärkte Inanspruchnahme der anliegenden
Straßen erforderlich
Differenzierung:
Gesteigerter Gemeingebrauch: soweit die gesteigerte In-
anspruchnahme zur angemessenen Nutzung des Grund-
stücks erforderlich, ortsüblich und gemeinverträglich ist,
ist sie durch Art. 14 I 1 GG geschützt und zulassungsfrei
Bsp.: Aufstellen von Mülltonnen und Sperrmüll
3 BVerwGE 34, 320 ff.
4 BVerwG NJW 1986, 337; a.A. noch BVerwGE 44, 193 ff.
5 OVG Münster NVwZ 2002, 218 ff.
6 VGH Mannheim NVwZ 1999, 560 f.
7 OVG Münster NVwZ-RR 2004, 885.
8 BVerwGE 35, 326 ff.
9 BVerfGK NVwZ 2007, 1306.
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 33
Sondernutzung: soweit die gesteigerte Inanspruchnahme
den Gemeingebrauch anderer erheblich beeinträchtigt, ist
sie zulassungsbedürftig
Bsp.: Aufstellen von Kisten und Regalen mit Waren vor
Geschäften
Anliegerrecht: die dem Eigentümer und Mieter durch Art. 14 I 1
GG garantierte Zugänglichkeit zum öffentlichen Straßennetz; im
Unterschied zum Anliegergebrauch ist das Anliegerrecht nicht auf
die (gesteigerte) Nutzung der vorhandenen Straßen beschränkt
- Bei der Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen ist zu differenzieren:
aa. Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs durch die Son-
dernutzung: Sondernutzung nur zulässig bei behördlicher Er-
teilung einer Sondernutzungserlaubnis
Erteilung der öffentlich-rechtlichen Sondernutzungserlaub-
nis im behördlichen Ermessen (vgl.: § 8 I 2 FStrG, § 18 I 2
StrWG NRW); soweit die Sondernutzung Teil einer Grund-
rechtsausübung ist, kann das Ermessen bei nicht unver-
hältnismäßiger Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs auf
Null reduziert sein
Ablehnung der Erteilung einer straßenrechtlichen Son-
dernutzungserlaubnis darf nur auf straßenrechtliche, städ-
tebauliche Erwägungen gestützt werden
Strenge Akzessorietät der Sondernutzungsberechtigung
zum Gemeingebrauch
Bsp.: Vorübergehender Ausschluss des Gemeingebrauchs–
etwa durch Kanalarbeiten auch Sondernutzung ausge-
schlossen
Gebührenerhebung für die Erteilung der Sondernutzungs-
berechtigung möglich
bb. Keine Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs durch die
Sondernutzung: die Einräumung von Rechten zur Benutzung
richtet sich grds. nach bürgerlichem Recht (siehe § 8 X FStrG).
Bsp.: Verlegung eines sog. Stolpersteins im Gehweg (VGH
München NVwZ 2018, 511 Rn. 18ff.).
nur zulässig, wenn eine entsprechende Sondernutzungser-
laubnis erteilt wurde
Unterscheidung (öffentlich-rechtlicher Sondernutzungser-
laubnisse und privatrechtlicher Gestattung) ist eine Kon-
sequenz der Qualifizierung des Rechtsstatus der öffentli-
chen Sachen als öffentlich-rechtliches Privateigentum
2. Öffentliche Sachen im Sondergebrauch
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 34
Derzeit Gewässer, soweit es um ihre wasserwirtschaftliche Nutzung
geht
- insbesondere das Entnehmen und Ableiten von Wasser, das Aufstauen
und Absenken von Gewässern sowie das Einleiten von Stoffen in Ge-
wässer (§ 3 I WHG)
- Nutzung der Gewässer zu derartigen wasserwirtschaftlichen Zwecken
nur aufgrund einer behördlichen Erlaubnis oder Bewilligung zulässig,
§ 8 I WHG
3. Öffentliche Sachen im Anstaltsgebrauch
„Öffentliche Sachen im Anstaltsgebrauch sind solche öffentlichen Sachen, die
durch besondere Zulassung (=Verwaltungsakt) im Rahmen ihrer hoheitlich fest-
gelegten Zweckbestimmung (Widmung durch Verwaltungsakt, Satzung etc.) be-
nutzt werden können.“
- ≠ öffentlich-rechtliche Anstalten im organisatorischen Sinne, Begriff der
öffentlichen Sache im Anstaltsgebrauch weiter gefasst (z.B. kommunale
Einrichtungen, wie etwa Schwimmbäder, Sportplätze, Schulen, Museen,
Theater)
- Unterschied zu Sachen im Gemeingebrauch: besondere Zulassung er-
forderlich
- Zulassung durch VA oder stillschweigend
- teilweise existieren gesetzlich geregelte Zulassungsansprüche, etwa bei
kommunalen öffentlichen Einrichtungen, § 8 II GO NRW
- Sonst: Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über Zulassung
zur Benutzung; wenn ein Bürger unter den festgelegten Benutzerkreis
einer öffentlichen Sache fällt und diese im Rahmen des Widmungs-
zwecks nutzen möchte (Beachte: Art. 3 I GG mit der Möglichkeit einer
Ermessensreduzierung auf Null)
- Nutzung außerhalb des Anstaltszwecks: Sonderbenutzung
(Achtung Verwechslungsgefahr: Sondernutzung öffentlicher Sachen im
Gemeingebrauch ≠ Sonderbenutzung!)
Kein Anspruch auf Zulassung der Sonderbenutzung, auch nicht
auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (BVerwGE 39, 235
(237f.); Peine/Siegel, Rn. 1096; Schwerdtfeger/Schwerdtfeger,
Rn. 366; a.A. BVerwGE 91, 135 (139f.); VGH Mannheim DÖV
2002, 1000f.)
4. Öffentliche Sachen im Verwaltungsgebrauch
- „Öffentliche Sachen im Verwaltungsgebrauch sind Sachen, die dem Ge-
brauch der Verwaltung zur Erfüllung ihrer Aufgaben dienen.“
Beispiele: Verwaltungsgebäude, Dienstwagen
Staatshaftungsrecht und Recht der Öffentlichen Sachen, SS 2020 Seite 35
- Verwaltungsexterne haben kein Nutzungsrecht
Ausnahme: Wenn Bürger das Verwaltungsgebäude zur Erledi-
gung von Verwaltungsangelegenheiten betritt (derivativer An-
spruch; Annex zum Recht, Verwaltungsangelegenheiten zu ver-
folgen und zu erledigen)
- Versagung der Zugangsberechtigung aufgrund Hausrechts (Rechtsqualität
eines Hausverbots str., auch Ermächtigungsgrundlage häufig problema-
tisch)
5. Res sacrae
- „Res sacrae sind Gegenstände, die den öffentlich-rechtlichen Religionsge-
meinschaften (vgl. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 V WRV) gehören und zum
Zwecke der öffentlich-rechtlich geordneten Funktionen genutzt werden.“
Bsp.: Kirchengebäude, Kirchenglocken, sakrale Gegenstände (Ge-
betsbücher, Kelch, Heiligenfiguren)
Gegenbsp.: kirchlicher Kindergarten (innerkirchlicher Bezug (-))
- sehr umstrittene Materie (vgl. Papier/Durner, in: Ehlers/Pünder, § 39 Rn.
54ff.; Klappert, DÖV 2016, 857ff.; gegen die Zuordnung zu den öffentli-
chen Sachen Kromer, Sachenrecht des Öffentlichen Rechts, 1985, S. 31ff.,
131.)