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Lizentiatsarbeit der Philosophischen Fakultät I der Universität Zürich Referent: Professor Dr. Ulrich Pfister Die FELDMÜHLE - ein Kunstseideunternehmen in Rorschach: Wirtschaftliche und soziale Verhältnisse (1925-1969) und die Auswirkungen auf die Stadt Rorschach. Verfasser: Hofmann Martin St. Gallerstr. 75a (neu: Unterstrasse 13) 9403 Goldach Goldach, 23.02.1997 Rechtschreibung aktualisiert: 9.4.2003

Lizentiatsarbeit Feldmühle

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Hofmann, M. (1997). Die FELDMÜHLE - ein Kunstseideunternehmen in Rorschach: Wirtschaftliche und soziale Verhältnisse (1925-1969) und die Auswirkungen auf die Stadt Rorschach. Lizentiatsarbeit der Philosophischen Fakultät I der Universität Zürich.

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Lizentiatsarbeit der Philosophischen Fakultät I der Universität Zürich Referent: Professor Dr. Ulrich Pfister

Die FELDMÜHLE -

ein Kunstseideunternehmen in Rorschach:

Wirtschaftliche und soziale Verhältnisse (1925-1969)

und die Auswirkungen auf die Stadt Rorschach.

Verfasser: Hofmann Martin St. Gallerstr. 75a (neu: Unterstrasse 13) 9403 Goldach Goldach, 23.02.1997 Rechtschreibung aktualisiert: 9.4.2003

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Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................................... 4 Einleitung ................................................................................................................ 5 Teil 1: Ein Überblick zur Geschichte der Feldmühle ......................................... 10

1 Von der Mühle zur grössten Stickereifabrik der Schweiz.................................... 10 2 Von der wirtschaftlichen Entwicklung der Kunstseidefabrik ................................ 13 3 Von der Übergangszeit bis zur Auflösung der Feldmühle .................................. 18 Teil 2: Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse ..................................... 19

1 Produktionsverhältnisse ..................................................................................... 19 1.1 Die Herstellung von Viskose-Erzeugnissen und Polyamidfasern .................... 20 1.2 Die Produktionsentwicklung in den wichtigsten Sparten ................................. 23 1.3 Die Entwicklung des Produktionsprogramms .................................................. 25

2 Absatzverhältnisse ............................................................................................. 29 2.1 Die allgemeinen Bedingungen der Absatzverhältnisse im Inland .................... 29 2.2 Die Absatzverhältnisse während den 40er Jahren im Inland ........................... 32 2.3 Die Absatzverhältnisse in den wichtigsten Abnehmerstaaten im Ausland....... 34 3 Arbeitsverhältnisse ............................................................................................. 37 3.1 Die Entwicklung des Personalbestandes......................................................... 37 3.2 Die technisch-organisatorischen Rationalisierungsmassnahmen ................... 40 3.3 Die Gestaltung der Lohnbemessung und der Arbeitszeit ................................ 41 3.4 Ein Überblick zu den Arbeitskonflikten vor dem 2. Weltkrieg .......................... 44 4 Ausländische Arbeitskräfte ................................................................................ 46 4.1 Der Arbeitskräftemangel und die Anwerbung von Italienerinnen ..................... 46 4.2 Das Ende der .................................................................................................. 50 4.3 Die ................................................................................................................... 54 4.4 Die Intervention am Arbeitsmarkt und der Abbau des Ausländerbestandes ............................................................................................... 56 5 Soziale Einrichtungen ......................................................................................... 60 5.1 Die Betriebskrankenkasse der Feldmühle und weitere Kassen ...................... 60 5.2 Der Weg vom Wohlfahrtsfonds zur Pensionskasse der Feldmühle ................ 65 5.3 Das Wohnbauprogramm und die Werksiedlung .............................................. 69

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Teil 3: Der Feldmühlestreik von 1946 ................................................................. 72 1 Ursachen ............................................................................................................ 72 2 Streikverlauf und Einigungsversuche ................................................................. 73 2.1 Die ersten Vermittlungsversuche des Einigungsamtes ................................... 73 2.2 Die Ausweitung des Streiks und weitere Vermittlungsversuche ...................... 76 2.3 Der unverbindliche Schiedsspruch und Streikabbruch .................................... 80 3 Strategien der Interessenvertretung ................................................................... 83 3.1 Die Gewerkschaftspolitik und Verhandlungspolitik .......................................... 83 3.2 Die Arbeitgeberpolitik und Verhandlungspolitik ............................................... 87 4 Wahrnehmung des Streiks ................................................................................. 91 4.1 Die Wahrnehmung des Streiks in der Parteipresse ......................................... 91 4.2 Die Wahrnehmung des Streiks in Rorschach .................................................. 93 5 Feldmühle-Gesamtarbeitsvertrag ....................................................................... 95 5.1 Der Feldmühle-GAV als Ergebnis des Streiks ................................................. 95 5.2 Die Vertragsentwicklung und weitere Feldmühle-Gesamtarbeitsverträge ....... 98 6 Auswirkungen ..................................................................................................... 101 6.1 Die finanziellen Auswirkungen des Streiks ...................................................... 101 6.2 Die Situation nach dem Streik ......................................................................... 102 7 Zusammenfassende Diskussion ......................................................................... 104 Schlussbemerkung ................................................................................................. 107 Tabellarischer Anhang ............................................................................................ 110 Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................... 120 Quellen- und Literaturverzeichnis ........................................................................... 121

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Vorwort Die Genesis der vorliegenden Arbeit ist stark mit Autobiographischem verbunden; es sei mir deshalb ein von der Regel abweichendes, recht persönliches Vorwort gestattet. Den grössten Teil der obligatorischen Schulzeit und auch meine spätere Ausbildung zum Primarlehrer verbrachte ich in Rorschach. Zudem hatte ich das Privileg in einem wunderschönen alten Rorschacher Bürgerhaus aufzuwachsen, wel-ches das Seine dazu beitrug, mein Interesse an der Historie der Hafenstadt zu wecken. Das mehrere Gebäudekomplexe umfassende Industrieareal der ehemaligen Feldmühle liegt keine hundert Meter Luftlinie weit von meinem Elternhaus entfernt, so dass ich stets die rauchenden Fabrikschlote aus den Fenstern beobachten konnte. Oftmals ging mir dabei die seltsame Anekdote durch den Kopf, wonach die nach faulen Eiern stinkende Feldmühleluft - die vor noch nicht allzu langer Zeit vorwiegend bei Nebel über der Stadt hing - die weisse Wäsche in ganz Rorschach gelb gefärbt haben soll. Von meiner Biographie her, lässt sich somit das spezielle Interesse an der Erforschung der Firmengeschichte der Feldmühle erklären. Erste konkrete Hinweise zur Geschichte der Feldmühle erhielt ich durch Nach-forschungen zur Abfassung einer Seminararbeit im Wintersemester 1994/95, welche die protoindustrielle Entwicklung der Stadt Rorschach zum Inhalt hatte. Die Absicht die weitere Geschichte der Feldmühle zu untersuchen, scheiterte jedoch zunächst an der fehlenden Quellenbasis. Erst nach einem Jahr gelangte ich mehr zufällig in den Besitz eines Teils des noch erhaltenen Firmenarchivs. Damit war die Möglichkeit gegeben, die Firmengeschichte der Feldmühle und die Bedeutung des Unternehmens für die Industriestadt Rorschach näher zu untersuchen. Zu Dank verpflichtet bin ich dem Betreuer dieser Lizentiatsarbeit, Herrn Professor Dr. Ulrich Pfister. Er gab mir während der Arbeit an dieser Studie immer wieder Anregungen, die meinen lokalgeschichtlich orientierten Blickwinkel etwas zu öffnen vermochten. Mein Dank gilt ferner allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der verschiedenen Archive und Bibliotheken, die mich bei der Suche nach Quellenma-terial unterstützt haben. Besonders erwähnt seien an dieser Stelle: Herrn Dr. Louis Specker, Konservator am Historischen Museum in St.Gallen, für die zeitweilige Überlassung des Firmenarchivs, Herrn Koch vom Bundesamt für Sozialversiche-rungen, Herrn Kaiser vom Staatsarchiv St.Gallen, Frau Strässle von der Textilbiblio-thek St.Gallen, Herrn Goldener vom Stadtarchiv Rorschach und Frau Brändle von der Freihandbibliothek Rorschach. Weitere wertvolle Informationen und Unterlagen verdanke ich Frau Trudy Iseli, Herrn Gebhard Benz, Herrn Felix Karrer, Herrn Dr. Eduard Kobelt, Herrn Peter Müller und Herrn Dr. Max Schär, sowie den vielen ehe-maligen ArbeitnehmerInnen der Feldmühle. Der besondere Dank für die dauernde Unterstützung während meinem Studium gilt meinen Eltern. Meiner Frau Nicole, die mich viele Stunden entbehren musste und mit viel Engagement manchen Tippfehler im Manuskript aufgespürt hat, sei diese Arbeit gewidmet. Goldach, im Februar 1997 Martin Hofmann

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Einleitung

Fragestellung und Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, einen Beitrag zur neueren Ortsgeschichte der Stadt Rorschach zu leisten. Im Anfangsstadium der Arbeit stand allgemein die Frage im Vordergrund, wie ein Industriebetrieb die wirtschaftliche Entwicklung einer Stadt zu beeinflussen vermag. Als Untersuchungsgegenstände wurden hierzu die Feldmühle und die Industriestadt Rorschach ausgewählt. Während der weiteren Be-schäftigung mit dem Thema zeigte sich jedoch immer wieder, dass eine solche Fragestellung eine Reihe von Vorstudien voraussetzen würde. Da aber weder De-tailuntersuchungen zur neueren Wirtschaftsgeschichte der Stadt Rorschach noch Untersuchungen zur Geschichte der Feldmühle vorhanden waren, musste eine neue Fragestellung in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden. Im Zentrum der Arbeit steht nun die eigentliche Erforschung der Firmengeschichte der Feldmühle, wobei hauptsächlich die Verhältnisse während der Kunstseideperiode des Unternehmens beleuchtet werden sollen. Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert: In Teil 1 sollen die wichtigsten Stationen und Fakten zur geschichtlichen Entwicklung der Feldmühle - von der einstigen Mühle aus dem 14. Jahrhundert bis zur vollständigen Liquidation des Rorschacher Kunstseideunternehmens im Jahre 1987 - in einem Überblick dargestellt werden. Dieser erste Teil der Arbeit bezweckt einerseits, die spezielle Rolle der Feldmühle für die Stadt Rorschach deutlich zu machen, andererseits sollen möglichst viele Einzel-fakten - die verstreut in diversen Quellen und Schriften zur Feldmühle zu finden wa-ren - verifiziert werden. Auch sollen hier jene Aspekte besprochen werden, die in den anderen Teilen der Arbeit nicht oder nur ungenügend erwähnt werden. In Teil 2 setzt sich die Studie mit den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen in der Feldmühle während den Jahren 1925 bis 1969 auseinander, wobei für die Bearbeitung einzelner Kapitel auch die Jahre nach 1969 in die Arbeit mitbe-rücksichtigt wurden. Die Eingrenzung auf diese Untersuchungsperiode liegt hauptsächlich darin begründet, weil für die Zeit nach 1969 zu wenig Quellen vor-handen sind. Das Jahr 1925 markierte mit dem Übergang von der Stickereifabri-kation zur Rayonproduktion zugleich eine Verlagerung der Tätigkeit des Unterneh-mens in einen anderen Zweig der Textilindustrie, nämlich der Kunstseidenindustrie. Im Jahr 1969 folgte dann eine deutliche Zäsur in der Entwicklung des Rorschacher Kunstseideunternehmens, obwohl die Feldmühle auch danach noch textile Fasern herstellte und mit ihren Produkten weiterhin auf den internationalen Märkten tätig war. Mit der Übernahme der Feldmühle durch den holländischen Industriekonzern Algemene Kunstzijde Unie N.V. (AKU) brach eine zehnjährige Übergangszeit an, die hauptsächlich durch einen radikalen Abbau und den Verkauf einzelner Produktionsstätten geprägt war. Der Teil 3 der Studie untersucht den Feldmühlestreik von 1946. Dabei soll ein Einblick in die Arbeitsverhältnisse des Rorschacher Kunstseideunternehmens der 40er Jahre gegeben werden. Ausserdem vermittelt der Feldmühlestreik von 1946 einen Eindruck vom Streikverhalten der ostschweizerischen Arbeiterschaft für die ersten Jahre nach dem 2. Weltkrieg. Es scheint kein Zufall gewesen zu sein, dass der längste Arbeitskampf in der Geschichte der Feldmühle in das Jahr 1946 fiel.

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Denn in der unmittelbaren Nachkriegszeit waren durch die kriegsbedingte Teuerung die Reallöhne der ArbeitnehmerInnen zum Teil beträchtlich unter das Vor-kriegsniveau gesunken. Der daraus resultierende soziale Nachholbedarf sowie die Preissteigerung während der günstigen Nachkriegskonjunktur führten in den Jahren 1945 und 1946 zu zahlreichen Streiks und Lohnbewegungen.1 Dass es bei dieser letzten grossen Streikwelle in der Schweiz nicht nur darum ging, das Vorkriegs-Lohnniveau wiederherzustellen, sondern zudem um den Abschluss von Gesamt-arbeitsverträgen, soll auch die Untersuchung zum Feldmühlestreik von 1946 zeigen.

Inhaltsübersicht Die folgende Inhaltsübersicht hat eine doppelte Aufgabe. Einerseits bietet sie einen Überblick über die in den einzelnen Teilen der Arbeit behandelten Kapitel, anderer-seits gibt sie auch Hinweise auf Eingrenzungen und Probleme, die sich bei der Bearbeitung mit den einzelnen Kapiteln ergaben: Teil 1: In Kapitel 1 wird die geschichtliche Entwicklung von der einstigen Mühle zur grössten Stickereifabrik der Schweiz beschrieben. Die wichtigsten Etappen in der Entwicklung des Rorschacher Kunstseideunternehmen (1925-1969) bilden den Inhalt von Kapitel 2. Dabei bietet die schillernde Person von Feldmühledirektor Theodor Grauer, der während über 30 Jahren die Geschicke im Rorschacher Kunstsei-deunternehmen lenkte, einen idealen Bezugspunkt. In Kapitel 3 wird die weitere Entwicklung nach der Übernahme der Feldmühle durch den holländischen Indu-striekonzern Algemene Kunstzijde Unie N.V. (AKU) erläutert. Im Zentrum steht hierbei die Abbauphase und deren Auswirkungen für die Feldmühle und die Stadt Rorschach. Teil 2: In Kapitel 1 werden die Produktionsverhältnisse im Rorschacher Kunstsei-deunternehmen dargestellt. Dabei bilden das Herstellungsverfahren, die Produkti-onsentwicklung in den wichtigsten Sparten, das Produktionsprogramm und die Pro-duktionspalette die wesentlichen Themen. Die Ausführungen in Kapitel 2 über die Absatzverhältnissen setzen sich mit den allgemeinen Bedingungen der Absatzverhältnisse im Inland, sowie mit den speziellen Absatzverhältnissen der Feld-mühle im In- und Ausland auseinander. Da die Feldmühle während über 40 Jahren neben Rayon zu unterschiedlichen Zeiten auch Zellwolle, Kunststroh, technische Schwämme, sowie die «Cellux»-Produkte: transparente Folien und Klebebänder, und seit den 50er Jahren die synthetische Faser «Bodanyl» produzierte, würde eine vollständige Analyse der Absatzverhältnisse aller Sparten den Rahmen dieser Arbeit sprengen.2 Dieses Kapitel beschäftigt sich daher hauptsächlich mit den Ab-satzverhältnissen von Rayon, zumal dieses Produkt den Geschäftsgang der Feld-mühle während mehreren Jahrzehnten massgeblich beeinflusst hat. Die Ausfüh-rungen in Kapitel 3 setzen sich mit den Arbeitsverhältnissen auseinander, wobei besonders die Zustände im Rorschacher Kunstseideunternehmen in der Zeit vor und während dem 2. Weltkrieg im Vordergrund stehen. Die Entwicklung des Personalbe-standes, die technisch-organisatorischen Rationalisierungsmassnahmen, die

1 Vgl. Degen 1987, Der Arbeitsfrieden zwischen Mythos und Realität, S. 11-30; Schiavi /Brassel 1987, Kämpfend in den Arbeitsfrieden, S. 11-30. 2 Um dieses Manko etwas auszugleichen, wurden Statistiken erstellt, die über den Absatz der Feldmühle in allen Sparten orientieren. Die entsprechenden Statistiken sind im Tabellarischen Anhang der Arbeit zu finden.

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Gestaltung der Löhne und der Arbeitszeit sowie ein Überblick zu den Arbeitskonflik-ten vor dem 2. Weltkrieg bilden die wesentlichen Inhalte. Den nachfolgenden Betrachtungen in Kapitel 4 über die ausländischen Arbeitskräfte wurde bewusst viel Platz beigemessen, um die besondere Bedeutung der ausländischen ArbeitnehmerInnen für die Feldmühle hervorzuheben. Dabei sollen Themenbereiche wie, Arbeitskräftemangel, Anwerbepraxis, Niederlassung, Überfremdung, Rekrutierungsschwierigkeiten, bundesrätliche Interventionspolitik und betriebliche Plafonierung auf die Situation im Rorschacher Kunstseideunternehmen untersucht werden. Kapitel 5 setzt sich mit den sozialen Einrichtungen der Feldmühle auseinander. Ausnahmsweise wird hier nicht allein auf die Zeit der Kunst-seideperiode Bezug genommen, sondern auch die Anfänge der Stickereiperiode und die Jahre nach 1969 mitberücksichtigt. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht die Entstehung der Betriebskrankenkasse und der firmeneigenen Pensionskasse. Zudem sollen das Wohnbauprogramm der Feldmühle und die Werksiedlung Neuquartier in die Untersuchung mit einbezogen werden. Teil 3: In Kapitel 1 werden die Ursachen, die den 5-wöchigen Feldmühlestreik zur Folge hatten, dargelegt. Danach folgt in Kapitel 2 eine ausführliche Darstellung des Streikverlaufs und der Einigungsversuche. In Kapitel 3 werden die Strategien be-schrieben, mit denen die Interessenvertreter ihre Ziele im Arbeitskampf durch-zusetzen versuchten. Wie der Streik von 1946 in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, ist der Schwerpunkt in Kapitel 4. Der erste Gesamtarbeitsvertrag der Feld-mühle bildet den Inhalt von Kapitel 5, wobei die wichtigsten Vertragsbestimmungen analysiert und besprochen werden. Zudem sollen in diesem Kapitel die Ver-tragsentwicklung in der Kunstseidenindustrie und die weiteren Gesamtarbeitsver-träge der Feldmühle erläutert werden. Danach werden in Kapitel 6 die finanziellen Auswirkungen und die Situation nach dem Streik dargestellt. Am Schluss von Teil 3 findet sich eine zusammenfassende Diskussion und Wertung zum Ausgang des Feldmühlestreiks von 1946, die in Kapitel 7 zu finden ist.

Quellenlage und Darstellungsprinzip In der Geschichtsschreibung hat die hier im Zentrum stehende Untersuchung über die Feldmühle bisher kaum Beachtung gefunden, sieht man von einzelnen Hin-weisen in Darstellungen zur Ortsgeschichte ab.3 Dagegen liegen verschiedene Arbeiten vor, zu denen sich wenigstens in Teilbereichen thematische Berührungs-punkte ergeben. In einer Studie aus den 50er Jahren zur schweizerischen Kunst-seidenindustrie wird auch das Rorschacher Kunstseideunternehmen für einzelne Aspekte mitberücksichtigt.4 Zudem sind zwei neuere Arbeiten vorhanden, die sich mit dem Feldmühlestreik von 1946 auseinandergesetzt haben.5 Auch existiert vom Schweizerischen Textil- und Fabrikarbeiterverband (STFV) eine ältere Selbstdar-stellung seiner Geschichte, die einige wenige Informationen zum Feldmühlestreik bietet.6

3 Feldmühle AG., Rorschach, in: Brun 1945, S. 363f.; Willi 1932, Geschichte der Stadt Rorschach, S. 78-80. 4 Daetwiler 1952, Die schweizerische Kunstseidenindustrie. 5 Gerlach 1995, Ideologie und Organisation, S. 448-452; Kobelt 1983, Das Streikverhalten der Ostschweizer Arbeiter 1927-1950, S. 952-986. 6 Marti 1954, 50 Jahre STFV 1903-53, S. 337f.

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Die vorliegende Arbeit beruht daher weitgehend auf gedruckten und ungedruckten Quellen, die hauptsächlich aus dem Firmenarchiv der Feldmühle stammen. Weil das Archiv der Feldmühle einerseits durch zahlreiche Unglücksfälle (Feuerschäden, Wasserrohrbrüche) dezimiert wurde, und andererseits während der beinahe zehnjährigen Übergangszeit bis zur vollständigen Liquidation des Unternehmens mehreren Vernichtungsaktionen zum Opfer fiel, besteht es heute noch vorwiegend aus den Beständen der Geschäftsberichte der Feldmühle AG, Rorschach 1926-1969 und der Geschäftsberichte der SASTIG, Glarus 1912-1968.7 Als Ergänzung zu den Geschäftsberichten, welche die hauptsächliche Quellenbasis der Lizentiatsarbeit darstellen, diente der Film von Felix Karrer Fabriklerleben. Die Feldmühle AG Rorschach & so weiter, der vom Schweizer Fernsehen DRS 1984 übertragen wurde und nun in transkribierter Fassung vorliegt.8 Zur bereits erwähnten Quellenbasis wurden die folgenden weiteren Quellenbestände für die Arbeit hinzugezogen: In Teil 1 musste für die Zeit vor der Installation zur Stickerei Feldmühle aus-schliesslich auf Sekundärliteratur zurückgegriffen werden. Leider fehlen auch für die Periode der Stickereizeit grösstenteils die nötigen Originalquellen. In diesem Zusammenhang sei jedoch auf den kleinen Bestand an Quellen im Firmenarchiv zur Gründung der Stickerei Feldmühle hingewiesen.9 Für die Zeit nach 1912 bieten die Geschäftsberichte der SASTIG einen nutzbringenden Einblick in die Stickereiperiode der Feldmühle.10 Leider konnte bis zum jetzigen Zeitpunkt die verschollene Firmenschrift Rorschach, Stickerei Feldmühle (Feldmühle Embroidery Co.) aus dem Jahre 1899 nicht ausfindig gemacht werden. Indirekte Hinweise zur Zeit der Stickereiperiode finden sich im literarischen Zeugnis Das Menschlein Matthias von Paul Ilg aus dem Jahre 1913, von dem zumindest indirekt erschlossen werden kann, dass hierbei die Verhältnisse in der Stickerei Feldmühle beschrieben werden. In Teil 2 wurden für die Darlegungen in Kapitel 1 über die Produktionsverhältnisse die Firmenstatuten der Feldmühle von 1895 bis 1988 - deponiert im Archiv des Handelsregisteramtes, St.Gallen - hinzugezogen. Die Ausführungen über die Absatzverhältnisse in Kapitel 2 stützen sich auch auf einige Verträge und Ver-bandsmitgliedschaften, welche die Feldmühle mit den anderen schweizerischen

7 Die Schweizerisch-Amerikanische Stickerei-Industrie-Gesellschaft (SASTIG), mit Sitz in Glarus, wurde 1911 von den Herren Loeb und Schoenfeld als Holdinggesellschaft gegründet. Zugleich waren die beiden jüdischen Kaufleute Loeb und Schoenfeld auch die Besitzer der damaligen Stickerei Feldmühle, Rorschach. Nachdem die Feldmühle noch im gleichen Jahr in die neu gegründete SASTIG eingegliedert wurde, gehörte sie bis 1969 der Verwaltungsgesellschaft an. Als Tochterfirma der SASTIG war die Feldmühle, nachdem alle amerikanischen Stickereifabriken verkauft waren, die alleinige Betriebsgesellschaft der Holdingfirma SASTIG in Glarus. 8 Für allgemeine Hinweise zur Benutzung des Films als Quelle siehe: Borowsky/Vogel,/Wunder 1989, Einführung in die Geschichtswissenschaft I, S. 134-137. Der Film wurde vom Verfasser (Martin Hofmann) am 11. September 1996 transkribiert, damit die audiovisuelle Quelle besser in die Untersuchung mit einbezogen werden konnte. Die transkribierte Fassung des Films enthält 15 maschinenschriftliche A4-Seiten, nach denen jeweils in der Arbeit zitiert wurde. Einschränkend ist zu bemerken, dass von den Interviews in Mundartfassungen dagegen nur Kurznotizen erstellt wurden. 9 FA Feldmühle, Ordner: Gründung Stickerei Feldmühle. Neben zahlreichen handschriftlichen Korrespondenzen (Verträge, Interimsscheine, Briefe, Entwürfe, Quittungen usw.) für die Zeit vor der Gründung der Stickerei Feldmühle, enthält der Ordner die Statuten der Stickerei Feldmühle von 1895 und das Reglement der Aktiengesellschaft Stickerei Feldmühle von 1896. 10 FA Feldmühle, Gb. SASTIG, Glarus 1912-1968.

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Kunstseideproduzenten einging. Das Quellenmaterial hierzu findet sich in einem separaten Ordner (G16: Verträge nicht mehr aktuell) im Firmenarchiv. Für die Bearbeitung der Arbeitsverhältnisse in Kapitel 3 wurden aus dem Staatsarchiv St.Gallen die Protokolle des Einigungsamtes des Kantons St.Gallen aus den Jahren 1925 bis 1937 hinzugezogen. Diese geben einen Einblick in einzelne, besonders heftige, Auseinandersetzungen in der Feldmühle vor dem 2. Weltkrieg. Ausserdem dienten bei der Darstellung zur Gestaltung der Lohnbemessung und der Arbeitszeit zwei gedruckte Quellenwerke; die Statistischen Jahrbücher von 1931 und 1946 für die Analyse der Löhne und der Bericht des eidgenössischen Fabrikinspektors von 1946 für die Recherchen zur Arbeitszeit. In Kapitel 4 über die ausländische Arbeits-kräfte wurden ferner aus dem Stadtarchiv Rorschach die Verhandlungsprotokolle des Stadtrates verwendet, um Aufschluss über die Gepflogenheiten bei der Erteilung von Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung für italienische Arbeitskräfte im Jahre 1946 zu erhalten. In Kapitel 5 bei der Darstellung zu den sozialen Einrichtungen konnte zur Entstehung der Betriebskrankenkasse der Feldmühle auf eine Zusammenstel-lung der wichtigsten Akten aus dem Archiv des Bundesamtes für Sozialversiche-rungen zurückgegriffen werden. Weitere Hinweise lieferte auch eine Festschrift zum 75jährigen Bestehen der Betriebskrankenkasse.11 Bezüglich der Entwicklung zur firmeneigenen Pensionskasse dienten Statuten und Reglemente, die von der ehemaligen Betreuerin der Pensionskasse der Feldmühle zur Verfügung gestellt wur-den. Im Staatsarchiv St.Gallen befindet sich das wichtigste Quellenmaterial für die Bearbeitung des Teils 3, der sich mit dem Feldmühlestreik von 1946 auseinan-dersetzt. Dort werden die Protokolle und Akten des kantonalen Einigungsamtes aufbewahrt, das sich seinem Auftrag gemäss ausführlich mit dem Streik in der Feldmühle auseinandergesetzt hat. Als zusätzliche Quellen wurden im Archiv des STFV (im Sozialarchiv, Zürich) die Protokollbücher des Sektionsvorstand Rorschach des STFV von 1946 durchgesehen. Praktisch täglich berichteten zudem die drei Parteizeitungen Volksstimme, Rorschacher Zeitung und Ostschweizerisches Tagblatt über den Feldmühlestreik von 1946, deren Artikel ausgewertet und in die Studie mit einbezogen wurden. Dagegen finden sich in den Geschäftsberichten der Feldmühle und der SASTIG praktisch keine Stellungnahmen zum Streik. In den Quellen wird stets die Doppelform für Arbeiterin und Arbeiter verwendet, in der vorliegenden Arbeit wird jedoch grundsätzlich die Gross-I-Schreibung (ArbeiterIn) angewandt. Für alle anderen Personenbezeichnungen wie für Arbeitnehmer finden sich in den Quellen dagegen nur die männlichen Formen. Gemäss den Prinzipien für einen nichtsexistischen Sprachgebrauch wurden in der Arbeit auch alle anderen femininen und maskulinen Personenbezeichnungen durch die Gross-I-Schreibung (ArbeitnehmerIn) oder durch andere geschlechtsneutrale Begriffe (Arbeitskraft) gebildet. Bei historisch gewachsenen, in der Fachliteratur etablierten Bezeichnungen, wie Arbeitnehmerverband, wird die «alte» Schreibweise jedoch grundsätzlich beibehalten. Dabei schliesst die Bezeichnung Arbeitnehmerverband die Unterscheidung nach dem Geschlecht aus - gemeint sind also immer sowohl Frauen wie Männer. Wo dagegen die Geschlechterdifferenz thematisiert wird, wird dies auch sprachlich sichtbar gemacht, indem von Arbeiterin bzw. von Arbeiter gesprochen wird.

11 Vgl. Fritschi 1966, 75 Jahre Betriebskrankenkasse.

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Teil 1:

Ein Überblick zur Geschichte der Feldmühle

1 Von der Mühle zur grössten Stickereifabrik der Schweiz Im 14. Jahrhundert gehörte die Feldmühle den Edlen von Rorschach, denen sie jährlich zwei Viertel Kernen abzuliefern hatte. Nachdem das einst so mächtige Rittergeschlecht ihre Besitzungen in Rorschach an den Fürstabt von St.Gallen verkauft hatte, ging auch die Feldmühle in den Besitz des Klosters über.12 Nach Aufhebung der Fürstabtei im Jahre 1805 kam die Feldmühle in privaten Besitz. Im Jahre 1843 erwarb Josef Faller von Felix Danielis das alte Feldmühlegebäude.13 Ein Aquarell aus der Mitte des letzten Jahrhunderts zeigt eine stattliche Mühle «allein auf weitem Feld», so dass auch der Name «Feldmühle» verständlich wird.14 Zwei Jahre später liess der Unternehmer Faller die alte Mühle abreissen und errichtete an ihrer Stelle eine Dampfbäckerei und Teigwarenfabrik. 1858 kam ein weiteres Gebäude mit Trockenräumen und einem Holzbearbeitungsbetrieb hinzu.15 Für kurze Zeit be-herbergte die Feldmühleliegenschaft zudem eine Werkzeugmaschinenfabrik.16 Weil sich das Teigwarengeschäft nicht im erhofften Ausmasse entwickelt hatte, wurde 1874 der Konkurs über die Feldmühle verhängt und 1881 auch die Dampfbäckerei endgültig aufgehoben. Aus der Liquidation der damaligen Aktiengesellschaft zur Feldmühle erwarben die beiden ausländischen Kaufleute Jakob Loeb und Max Schoenfeld - schon seit vielen Jahren Importeure von St.Galler Stickereien in die USA - die Liegenschaft mit sämtlichen Gebäuden und eröffneten in der Feldmühle eine Filiale ihrer zahlreichen amerikanischen Stickereibetriebe.17

12 Urkundlich belegt ist die Feldmühle erstmals seit 1420, als der Fürstabt von St.Gallen die Konzession für den Betrieb einer Getreidemühle erteilt hatte. Der Feldmüller war damals wie alle anderen Müller an die Berufsordnung gebunden, gleich den Bäckern aber nicht Träger eines selbständigen Gewerbes, sondern Lohnmüller; vgl. Wahrenberger o. J., Rorschach, kleine Stadtgeschichte, S. 16. 13 Vgl. Grünberger, Die Familie Danielis in Rorschach, in: RMC, Juni 1965, S. 85f. 14 Siehe: Weber 1990, Stadt und Bezirk Rorschach in alten Ansichten, S. 192. 15 Vgl. Grünberger, Verschwundene Flur-, Weg- und Gewässernamen, in: RNbl. 1958, S. 20; Specker 1985, Rorschacher Kaleidoskop, S. 38. 16 Im Jahre 1868 hatte Gustav Daverio die Firma Daverio, Sieverdt und Giesker gegründet, die als erste schweizerische Fabrik den Werkzeugmaschinenbau in grösserem Rahmen aufnahm. Neben Werkzeugen und Werkzeugmaschinen wurden auch Maschinen zur Herstellung von Waffen und Munition produziert. Da in Rorschach die Voraussetzungen für eine Erweiterung des Unternehmens fehlten, siedelte die Firma 1872 nach Oerlikon über. Es scheint, dass Verbindungen von der einstigen Rorschacher Firma auch zur Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon Bührle & Co. führen; vgl. Grünberger, Rorschach - Wandel eines Stadtbildes, 2. Teil 1803-1914, in: RNbl. 1963. 17 Zur Feldmühleliegenschaft gehörten: Mühle, Teigwarenfabrik und Wohnhaus, sowie alle unterhalb der Wirtschaftsgebäude und der Wiese zum Rosengarten gelegenen Bauten; insgesamt etwa 8 Jucharten. Hinzu kam südlich der obigen Liegenschaft eine mit Obstbäumen bewachsene Wiese von mehr als 16 Jucharten. Die Firma Loeb & Schoenfeld Co. in St.Gallen erwarb die ganze Liegenschaft für Fr. 225'000.-; siehe: Willi, «Versteigerung der Feldmühle», in: RMC, Januar 1941, S. 93f.

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Der Rorschacher Stickereibetrieb entwickelte sich im Verlaufe weniger Jahrzehnte zum wichtigsten Unternehmen seiner Art in der Ostschweiz und spielte als wirtschaftlicher Faktor für Rorschach und seine Umgebung eine bedeutende Rolle. Die Unternehmer Loeb und Schoenfeld installierten 1882 in den beiden Fabrikge-bäuden 36 elektrisch betriebene Schiffchenstickmaschinen, 20 Handwebmaschinen und sechs Füllwebstühle und beschäftigten dabei zuerst 100, dann 200 bis 300 Personen.18 Produziert wurde hauptsächlich Massenware für den amerikanischen Markt, so dass zwei Jahre später auch ein Stickereiengrosgeschäft eröffnet werden konnte. 1895 wurde die Firma Loeb, Schoenfeld & Co. in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Die neu gegründete Aktiengesellschaft Stickerei Feldmühle, Ror-schach, florierte dermassen, dass innerhalb weniger Jahre ein drittes, viertes und 1898 ein fünftes Fabrikgebäude erstellt werden konnte. Um die Jahrhundertwende beschäftigte das Rorschacher Stickereiunternehmen rund 900 Personen im Hauptbetrieb und ebenso viele in den mit ihr verbundenen Nebenzweigen der Ap-pretur, Zwirnerei, Ausrüsterei und Näherei.19 Da es für die Unternehmer von Vorteil war, die ArbeiterInnen ganz in der Nähe der Fabrik zu haben, errichteten sie gleich hinter den Produktionsstätten eine Werksiedlung. Im Neuquartier, mit Wohnungen und Gärten für die Arbeiterfamilien, künden noch heute die Strassenschilder von den grossen Vorbildern der Fabrikherren: Columbus-Strasse, Franklin-Strasse, Washington-Strasse und Lincoln-Strasse. Eine beherrschende Stellung im Stickereimarkt erlangte die Feldmühle mit der Einführung der Automatenstickerei. Die Herren Loeb und Schoenfeld hatten wohl als erste die neuen Möglichkeiten des Gröbli-Stickautomaten erkannt und sich die Patente auf Gröblis Automaten-Schiffchenstickmaschinen erworben.20 Das Ror-schacher Unternehmen verschaffte sich für einige Jahre das Monopol auf die Ver-wendung von Stickautomaten und stieg zur grössten Stickereifabrik der Schweiz auf. Die Feldmühle exportierte die produzierten Stickereien von Rorschach nach den USA und verkaufte sie dort über amerikanische Firmen wesentlich billiger als die Konkurrenz. Der grosse Vorsprung auf die Konkurrenz war deshalb möglich geworden, weil der Rorschacher Stickereibetrieb kostengünstiger produzieren konnte als alle ihre Mitbewerber, die noch auf den wesentlich langsameren Pantographen arbeiteten.21 Noch war kein Ende der Konjunktur abzusehen. Nach den Plänen von Architekt Adolf Gaudy (1872-1956) wurde 1905 das Gebäude 6 und zwei Jahre später der 240 Meter lange Fabrikbau 7 erstellt. Die Stickerei Feldmühle gehörte nun mit 750 Stickautomaten und 1'800 ArbeiterInnen in der Hauptindustrie - nicht gezählt

18 Vgl. Grünberger 1963, S. 13. 19 Willi 1932, Baugeschichte der Stadt Rorschach, S. 78. 20 Die Stickerei Feldmühle überliess, nachdem sie 1898 die Patente des Gröbli- Stickautomaten erworben hatten, die Ausführung dieser Pläne der sächsischen Maschinenfabrik Dietrich in Plauen mit der Auflage, ohne ihre Einwilligung weder den Gröblischen Automaten noch andere automatische Stickmaschinen in die Schweiz zu exportieren. Als Gegenleistung verpflichtete sich die Stickerei Feldmühle, Rorschach, sofort eine grössere Anzahl Automaten zu übernehmen; vgl. Tanner 1985, Das Schiffchen fliegt - Die Maschine rauscht, S. 119. 21 Der Export in die USA brach 1908 für alle anderen Stickereiexporthäuser praktisch zusammen und löste eine grössere Arbeitslosigkeit aus. Da die marktbeherrschende Stellung der Stickerei Feldmühle so eklatant geworden war und der Bundesrat weitere Arbeitslose befürchtete, wurde ihr das Gröbli-Patent 1909 aberkannt. Danach war es allen Maschinenfabriken in der Schweiz freigestellt, gegen eine Lizenz an die Feldmühle, Automaten-Schiffchenstickmaschinen zu bauen und zu verkaufen; siehe: Tanner 1992, Die Baumwollindustrie in der Ostschweiz 1750-1914, S.187.

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die vielleicht 1'000 HeimarbeiterInnen - zu den bedeutendsten Industriebetrieben der Ostschweiz.22 Rorschach hatte sein Wirtschaftswunder und war weit herum bekannt für seine zahlreichen Gaststätten, in denen die Sticker ihr Geld liegen liessen. Innerhalb von 30 Jahren war der einst kleine Hafenort Rorschach mit rund 4'000 Menschen zu einer ansehnlichen Industriestadt mit knapp 13'000 EinwohnerInnen gewachsen.23 Wie stark das Rorschacher Wirtschaftsleben vom Wohlergehen der Feldmühle abhängig war, hatten die immer wiederkehrenden Krisenzeiten gezeigt. Nachdem die ostschweizerische Stickereiindustrie bereits in den 1890er Jahren die erste Depression durchlebt hatte, folgten weitere Krisen in relativ kurzen Abständen, so 1904, 1908 und 1912/13. Schon seit Jahren hatten nüchtern urteilende Beobachter Zeichen des Niedergangs wahrgenommen. So wurde die Eingliederung der Stickerei Feldmühle in die Schweizerisch-Amerikanische Stickerei-Industrie-Gesellschaft (SASTIG) als «beginning of the end» des Stickereiexports bezeichnet.24 Auch in Rorschach machte sich die herannahende Stickereikrise bemerkbar. Denn in der Zwischenzeit wurden wesentlich schnellere Automatenstickmaschinen erfunden und immer mehr auch in die Absatzländer verkauft.25 Hinzu kam ein Wandel in der Mode, so dass der Verwaltungsratspräsident Herr Schoenfeld 1914 seinen Aktionären mitteilen musste:

«Wir haben im letzten Bericht darauf aufmerksam gemacht, dass die Verhält-nisse des Stickereigeschäftes in den Artikeln, welche die Gesellschaften, bei denen wir beteiligt sind, fabrizierten und im Hauptabsatzgebiet, in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, noch weniger gute gewesen sind, wie 1911/12. Leider sind sie im abgelaufenen Jahre 1913/14 nicht nur nicht besser, sondern noch ungünstiger geworden; man kann ruhig sagen, dass in der zweiten Hälfte 1913 langsam aber andauernd eine Krisis eingetreten ist, die sich 1914 noch verschärft hat.»26

Dann brach der 1. Weltkrieg aus und für Stickereien war nicht mehr die richtige Zeit. Nachdem auch das Kriegsende keinen Aufschwung gebracht hatte, war die Feldmühle gezwungen, ihre Produktion mehr und mehr zu reduzieren. Als infolge der

22 Vgl. Grünberger 1963, S. 14. 23 Der Stickereiboom mit all seinen Folgewirkungen hatte nicht nur ein wirtschaftliches Wachstum, sondern auch einen tief greifenden Wandel in der Bevölkerungszusammen- setzung und den Siedlungsverhältnissen gebracht. Orte wie Rorschach hatten sich ab 1880 infolge der verstärkten Verstädterung zu städtischen Siedlungsschwerpunkten entwickelt: 1850 hatte das Städtchen noch 1'751 EinwohnerInnen, 1880 waren es 4'274, 1900 dann 9'140 und 1910 fast 13'000. Im nahen Goldach verdoppelte sich die Bevölkerung von 1888 bis 1910 ebenfalls, so dass im Einzugsgebiet von Rorschach um 1910 fast 20'000 Menschen lebten; siehe: Tanner 1985, S. 130. 24 Neue Zürcher Zeitung, 12. September 1911. Die SASTIG mit Sitz in Glarus wurde im Jahre 1911 durch die Herren Loeb und Schoenfeld als Holdinggesellschaft gegründet, in welche sie neben der Stickerei Feldmühle ihre drei amerikanischen Besitzungen (Loeb & Schoenfeld Co.; New-York, Camden Curtain and Embroidery Company, Camden und die Glenham Embroidery Company, Fishkill) einbrachten. Die Rorschacher Stickereifabrik sollte den Amerikanern beim Aufbau einer eigenen Stickereiindustrie behilflich sein. Die bösen Konsequenzen blieben jedoch nicht aus, da der bisher wichtigste Abnehmer ihrer Massenprodukte allmählich wegfiel; vgl. FA Feldmühle, Gb. SASTIG, Glarus 1912ff. 25 Bereits 1911 war es der Maschinenfabrik «Ad. Saurer AG» in Arbon gelungen mit einer qualitativ hoch stehenden Weiterentwicklung den Rückstand der Schweiz im Automatenbau aufzuholen; vgl. Tanner 1992, S. 187. 26 FA Feldmühle, Gb. SASTIG, Glarus 1914, S. 1.

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im Jahre 1921 heftig einsetzenden Depression in der ostschweizerischen Stickereiindustrie auch die Stickmaschinen in der Feldmühle stillstanden, stellte Herr Schoenfeld resigniert im Geschäftsbericht von 1922 fest:

«Wir haben leider keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Krisis in Bälde zu Ende gehen wird. Und dass in absehbarer Zeit die frühere Prosperität wieder erreicht werden könnte.»27

Noch im gleichen Jahr entschied der Verwaltungsrat der SASTIG das Rorschacher Stickereiunternehmen auf die Erfolg versprechende Rayonproduktion umzustellen. Für die Errichtung einer Kunstseidefabrik mit dem Standort Rorschach sprach der Umstand, dass sich hier grosse Fabrikanlagen bereits vorfanden; also die Kosten für Neubauten grösstenteils vermieden werden konnten. Dennoch war die Aufnahme der Rayonfabrikation für die Feldmühle mit grossen Schwierigkeiten und Investitio-nen beträchtlichen Ausmasses verbunden gewesen. Da sich der Produktionsbetrieb inmitten des Siedlungsgebietes von Rorschach befand, mussten zur Verminderung der zu erwartenden unangenehmen Gerüche teure Verbauungen vorgenommen werden. Auch die Wasserversorgung - das Wasser wurde unmittelbar unterhalb von Rorschach aus dem Bodensee gefasst und durch Pumpanlagen ins Werk hinaufgepumpt - war nicht leicht zu lösen gewesen. Die Stadt Rorschach versuchte ihrerseits dem Unternehmen bei der Umstellung auf die Produktion von Rayon möglichst entgegen zu kommen. Unter anderem hatte sich der Stadtrat bereit erklärt, der Feldmühle die elektrische Energie zum Selbstkostenpreis abzugeben und ihr ein Darlehen gegen einen geringen Zins zur Verfügung zu stellen.28

2 Von der wirtschaftlichen Entwicklung der Kunstseidefabrik Nach Überwindung der Anfangsschwierigkeiten und beträchtlichen Installations-kosten konnte bereits im Mai 1925 die Rayonherstellung im Rorschacher Betrieb aufgenommen werden.29 Weil das Unternehmen nun zur Hauptsache Rayon produ-zierte, bedingte dies, um Unklarheiten auszuschalten, eine Änderung der bisherigen Firmenbezeichnung in Feldmühle AG, Rorschach.30 In der Feldmühle liefen die Spinnmaschinen Tag und Nacht, die Krise schien überwunden zu sein, und in Rorschach begann es zu stinken. Nachdem eine gehässige öffentliche Kritik be-treffend der Geruchsbelästigung durch die Feldmühle ihren Ausdruck auch in der Presse und bei der Stadtregierung gefunden hatte, liess Herr Schoenfeld einen Gaswaschturm bauen, der die unangenehmen Gerüche beseitigen sollte.31 Bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise von 1929 hatte das Rorschacher Rayon sowohl im Inland und Ausland einen befriedigenden Absatz gefunden. Dann erlitt die Feldmühle jedoch empfindliche Verluste und musste den grössten Teil ihrer

27 FA Feldmühle, Gb. SASTIG, Glarus 1923, S. 6. 28 Siehe dazu: Neue Zürcher Zeitung, 11. Dezember 1923. 29 Als Datum für die Aufnahme der Rayonproduktion in der Feldmühle wird in den meisten lokalen Schriften irrtümlich das Jahr 1924 angegeben. Die Analyse der entsprechenden Geschäftsberichte hat jedoch ergeben, dass die Fabrikation von Rayon erst im Verlaufe des Monats Mai 1925 aufgenommen wurde; vgl. FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1926, S. 1; FA Feldmühle, Gb. SASTIG 1925, Glarus 1925, S. 3. 30 Vgl. FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1926, S. 1. 31 Vgl. FA Feldmühle, Gb. SASTIG, Glarus 1926, S. 4.

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Produktion zu unbefriedigenden Preisen absetzen. Weltweit hatten Unternehmer Kunstseidefabriken gegründet. Die Folge war ein übersättigter Markt, der einen mörderischen Konkurrenzkampf ausgelöst hatte. Negativ für die schweizerischen Kunstseidefabriken wirkte ausserdem, dass die Löhne hier höher waren als anderswo.32 Eine neue Krise bahnte sich im Rorschacher Kunstseideunternehmen an. Dann kam Theodor Grauer (1884-1980) als Direktor in die Feldmühle und ver-sprach das Rorschacher Kunstseideunternehmen aus dem «Sumpf» zu ziehen. Feldmühledirektor Theodor Grauer - der Inbegriff eines starken und eigenwilligen Industriekapitäns - sollte während über 30 Jahren für die weitere Entwicklung des Rorschacher Unternehmens von zentraler Bedeutung sein. Als zweiter Sohn des Stickereifabrikanten Isidor Grauer in Degersheim geboren, absolvierte er nach Ab-schluss seiner Schulzeit ein Berufspraktikum im väterlichen Stickereibetrieb. Danach zog es ihn ins Ausland nach Südamerika, wo er lernte auf eigenen Füssen zu stehen und seine Berufskenntnisse erweitern konnte, bevor er wieder ins elterliche Unternehmen zurückkehrte. Mit gut 30 Jahren nahm Theodor Grauer einen Di-rektorenposten in der Lastwagenfabrik Berna in Olten an. Nach dem Zusammen-schluss dieser Firma mit dem Saurer-Werk in Arbon wurde er schon bald die rechte Hand von Hippolyt Saurer. Bei Saurer in Arbon hatte er sich den Ruf eines eisenharten Managers erworben. Schnell die Karriereleiter emporgestiegen - vom Direktionssekretär zum Direktor -, hatte er den Betrieb in Arbon gründlich saniert und dem schwachen Hippolyt Saurer allmählich die Macht aus den Händen genommen. Nach persönlichen Differenzen mit dem obersten Chef der Saurer-Werke erfolgte 1930 der entscheidende Wechsel in die Geschäftsleitung der Feldmühle nach Rorschach.33 Als 46-jähriger kam Theodor Grauer in die Feldmühle und hielt, was er versprochen hatte. Als erste Handlung kürzte er die Löhne der ArbeiterInnen um 10%. Auch ein daraufhin ausgebrochener Teilarbeitsstreik im Juli 1931 hielt ihn nicht davon ab, den Betrieb weiterhin unerbittlich zu sanieren. Dank der Tat- und Ent-schlusskraft von Feldmühledirektor Grauer - einem autoritären, oft auch rücksichts-losen harten Chef - konnte jedoch diese schwierige Periode für das Rorschacher Unternehmen überwunden werden.34 Die Feldmühle begann in den kommenden Jahren unter der autoritären Führung ihres Direktors zu florieren und zu expandieren. 1933 war es Direktor Grauer gelungen, der Feldmühle einen neuen Fabrikati-onsbetrieb für transparente Viskosefolien anzugliedern.35 Im gleichen Jahr baute das Rorschacher Kunstseideunternehmen ihre finanziellen Beteiligungen im Ausland aus, indem sie die Aktienmehrheit an der neu gegründeten portugiesische Gesellschaft Compania Portugesa de Seda Artificial hielt. Diese Unternehmen war eine Handelsvertretung der Feldmühle für Portugal und besass eine eigene Kunstseide-Spezialzwirnerei.36 Auf den 1. Mai 1937 errichtete die Rorschacher

32 Vgl. Daetwiler 1952, S. 27; Film Feldmühle, S. 3. 33 Weiter Informationen zur Biographie von Theodor Grauer bei: Hug 1980, «Zum Hinschied von alt Feldmühledirektor Grauer», in: Ostschweizer Tagblatt, 11. Januar 1980. 34 Vgl. Film Feldmühle, S. 4ff. Diese Einschätzung der Führungseigenschaften von Theodor Grauer basieren auf den Aussagen von ehemaligen FeldmühlearbeiterInnen: Für die einen war der Feldmühledirektor ein rücksichtsloser Despot - ein Tyrann. Für andere wiederum galt Theodor Grauer als notwendige starke, väterliche Persönlichkeit. 35 Vgl. FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1933, S. 3. 36 Vgl. FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1934, S. 11.

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Kunstseidefabrik zudem eine weitere Fabrikationsanlage in der Nachbargemeinde Goldach.37 Dann kam der 2. Weltkrieg. In Rorschach wurde wegen der Fliegerangriffe ver-dunkelt; Bomben fielen aber glücklicherweise keine. Auch der Feldmühle-Betriebs-luftschutz kam nicht zum Einsatz, deren oberster Befehlshaber Direktor Grauer war.38 In den Fabrikationsstätten der Feldmühle wurde weiter Tag und Nacht gear-beitet, um die stets ansteigende Nachfrage nach ihren Produkten befriedigen zu können. Das Rorschacher Unternehmen produzierte seit Kriegsausbruch neben Rayon und den transparenten Viskosefolien neu auch die beiden Fabrikate Kunst-stroh und Zellwolle. Gegen Kriegsende nahm die Feldmühle ausserdem die Her-stellung von technischen Schwämmen auf. Da infolge der Kriegsmobilmachung dem Unternehmen fast die Hälfte der männlichen Belegschaft entzogen wurde, lag die grosse Arbeitslast vorwiegend bei den Frauen und Hilfskräften. Die ansonsten erfreuliche Entwicklung im Rorschacher Kunstseideunternehmens während dem 2. Weltkrieg wurde jedoch getrübt durch einen Giftgasunfall im Jahre 1942, an dem zwei Menschen ihr Leben lassen mussten.39 Das wichtigste Ereignis in der unmittelbaren Nachkriegszeit war der 5-wöchige Streik der FeldmühlearbeiterInnen, der im November 1946 zur vollständigen Still-legung des Rorschacher Kunstseideunternehmens geführt hatte. Der Streik endete mit dem Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrages, in dem die Lohn- und Arbeits-verhältnisse der FeldmühlearbeiterInnen erstmals vertraglich geregelt wurden.40 Zu-nehmend Schwierigkeiten bereiteten dem Kunstseideunternehmen der Mangel an Arbeitskräften, um die volle Ausnutzung der Produktionsanlagen sichern zu können. Mit über 120 zusätzlichen italienischen Arbeiterinnen konnte die Knappheit an Ar-beitskräften jedoch im Jahre 1947 vorübergehend überwunden werden.41 In der Nachkriegskonjunktur begann für das Rorschacher Kunstseideunternehmen eine Zeit grosser Prosperität.42 Auch Feldmühledirektor Grauer avancierte. Bereits seit Mitte der 40er Jahren gehörte er dem St.Gallischen Handelskammergericht, dem Kaufmännischen Directorium sowie dessen Wirtschaftskommission an.43 Von 1945

Beilage 13 im Geschäftsbericht orientiert ausführlich über die Jahresbilanz der portugiesischen Gesellschaft. Bezüglich der finanziellen Beteiligungen der Feldmühle an anderen ausländischen Kunstseideunternehmen ist zu bemerken: Dass die von der SASTIG kontrollierte Feldmühle AG, Rorschach während dem 2. Weltkrieg auch an einem finnischen und ungarischen Kunstseideunternehmen beteiligt gewesen sein soll; vgl. dazu: Daetwiler 1952, Die schweizerischen Kunstseidenindustrie, S. 47, Anm. 10. Aus der geplanten Gründung einer Kunstseidefabrik in Deutschland wurde jedoch nichts; vgl. Neue Zürcher Zeitung, 8. Januar 1930. 37 Vgl. FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1937, S. 4. 38 Vgl. Film Feldmühle, S. 5. 39 Vgl. FA Feldmühle, Ordner G16, Expertise Unglücksfall vom 27. September 1942 (Gasunfall). 40 Siehe: Teil 3 der Arbeit: Der Feldmühlestreik von 1946. 41 Vgl. FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1948, S. 2. 42 Nach einer Meldung der Neuen Zürcher Zeitung, 12. Januar 1949, hatte sich die Feldmühle finanziell an der Appatex, Textil-Apparate AG in Goldach beteiligt, die hauptsächlich von der Feldmühle entwickelte patentierte Textilapparate herstellte. 43 Nach Auskunft der Industrie und Handelskammer St.Gallen und Appenzell (früher: Kaufmännisches Directorium) war Theodor Grauer seit 1940 als Einzelmitglied eingetragen, gehörte von 1948 bis 1956 dem Directorium und von 1947 bis 1948 der Wirtschaftskommission an. Der Dank für die Auswertung der entsprechenden Jahresberichte des Kaufmännischen

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bis 1954 war Theodor Grauer zudem FDP-Kantonsrat von St.Gallen.44 Seit 1949 sass er im Verwaltungsrat der SASTIG. Theodor Grauer hatte mit seinem Bruder Otto inzwischen so viele SASTIG-Aktien gekauft, dass er nun auch dort zunehmend das Sagen hatte.45 Zusammen mit Direktor Curt Blattner (Aluminiumwerke AG, Rorschach) gründete er den Arbeitgeberverband Rorschach und Umgebung, längere Zeit stand er zudem leitend an der Spitze des Schweizerischen Kunstseide-verbandes wie auch des Verbandes der Chemiefaserindustrie der Schweiz.46 Feldmühledirektor Theodor Grauer war nun ganz oben angelangt und die Feldmühle entwickelte sich zu einem führenden Unternehmen seiner Branche. In den 50er Jahren hatten die Klebebänder, welche seit den 40er Jahren aus den transparenten Viskosefolien entwickelt worden waren, endlich Marktreife erlangt.47 Ausserdem entschied sich auch die Feldmühle in das Geschäft mit synthetischen Textilfasern (Polyamidgarne) einzusteigen, die billiger als Rayon und leichter herzu-stellen waren.48 Eine falsche Entscheidung, wie sich später herausstellen sollte, denn für Polyamide war das Rorschacher Kunstseideunternehmen viel zu klein. Anfang 1954 begann das Bodanyl (Polyamidgarn) aus den Spinnmaschinen der Feldmühle zu laufen. Schon 1957 konnte das Rorschacher Unternehmen einen weiteren Neubau für die Bodanylfabrikation eröffnet werden.49 Wieder einmal war Blütezeit in Rorschach. Die Folien verkauften sich glänzend, weil Verpackungsmaterialien durch das Aufkommen von Supermärkten immer mehr gefragt waren. Probleme hingegen gab es zunehmend beim Rayon, welches durch das weltweite Aufkommen der Polyamidgarne im Absatz stark beeinträchtigt wurde.50 In den 60er Jahren hatten die Schwierigkeiten in der Beschaffung genügend geeigneter Arbeitskräfte stark zugenommen. Hinzu kamen grosse Probleme mit dem Rayon, da die Exporte ins traditionelle Absatzgebiet der Feldmühle (EWG) zollmässig diskriminiert wurden. Nicht zuletzt sanken auch die Preise für die Poly-amidgarne.51 Um das Geschäft mir den Synthesefasern hatte ein mörderischer Konkurrenzkampf eingesetzt: «Fünf Riesen und eine Schar Zwerge zerfleischten

Directoriums (1940-1956) geht an Frau Karin Epper, Sachbearbeiterin der Industrie und Handelskammer St.Gallen und Appenzell. 44 Vgl. Hug 1980. 45 Vgl. FA Feldmühle, Gb. SASTIG, Glarus 1950; 1959; 1960. Seit 1958 war Theodor Grauer Vizedirektor und 1959 bereits Verwaltungsratspräsident der SASTIG. 46 Vgl. Hug 1980. 47 Als die Klebebänder, die unter dem Namen «Cellux» auf den Markt kamen, sich immer grösserer Beliebtheit erfreuten, begann die Feldmühle Ende der 50er Jahre auch Tochterbetriebe in Deutschland, Italien und Frankreich zu eröffnen. Die «Cellux»-Filialen in Konstanz (D), Lindau (D), Somma Lombardo (I) und Hüningen (F) dienten dem Rorschacher Kunstseideunternehmen als Vertriebsgesellschaften; vgl. FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1958ff, Beilage 6. 48 Vgl. FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1954, S. 1. 49 Vgl. FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1958, S. 1. 50 Vgl. FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1969, S. 1. Ausserdem wirkten sich in den 50er Jahren zunehmend die Einfuhrrestriktionen verschiedener Absatzländer, die diese wegen Knappheit an verfügbaren Zahlungsmitteln und auch zum Schutz der einheimischen Kunstseidenindustrien verfügt hatten, negativ auf den wertmässigen Exportabsatz der Feldmühle aus. Daneben zeigten angesichts der Widererstarkung der internationalen Konkurrenz die Preise für Rayon auf den meisten Märkten eine sinkende Tendenz. 51 Vgl. FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1962ff, S. 2.

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sich; die Feldmühle war bei den Zwergen.»52 Allein würde die Feldmühle unterge-hen, das sah auch Verwaltungsratspräsident und Feldmühledirektor Grauer ein und suchte vergeblich Hilfe bei der Viscosuisse und bei der deutschen Glanzstoff AG. Er war jedoch mittlerweile allen lästig geworden, so dass gewisse gemeinsamen Interessen zwischen den übrigen Feldmühledirektoren, Grauers Sohn Ruedi und der Kreditanstalt zu einer merkwürdigen Transaktion führten. Dabei hatte Theodor Grauer für ein «Butterbrot» seine Aktienmehrheit an der Feldmühle, bzw. an der SASTIG, verkauft.53 Mit 80 Jahren zog sich Theodor Grauer nach 34-jährigem Wir-ken als oberster Chef des Feldmühlekonzerns zurück, um sich für den Rest seines Lebens ganz dem Aufbau der Zwirnerei Degersheim zu widmen.54 Die Partnersuche im Rorschacher Kunstseidekonzern dagegen ging weiter. Die wirtschaftliche Lage hatte sich in den folgenden Jahren noch weiter verschlechtert. Im Geschäftsbericht von 1968 war schliesslich von der neuen Kooperation folgendes zu lesen:

«Mit Wirkung ab 1. Januar 1968 ist die Feldmühle mit der Algemene Kunstzijde Unie N.V. Arnhem eine Cooperation eingegangen, wonach sie mit dem Vertrieb von Chemiefasern für textile Verwendung des holländischen Produzenten in der Schweiz betraut ist.»55

Die Zusammenarbeit sollte jedoch schon bald ganz anders aussehen. Bereits ein Jahr später ging die SASTIG Aktiengesellschaft und damit auch die Feldmühle in den Besitz des holländischen Konzerns Algemene Kunstzijde Unie N.V., Arnhem (AKU), später AKZO über.56 Die Feldmühle gehörte seit 1969 als Tochtergesellschaft der AKZO nun zur Enka-Glanzstoff-Gruppe, einer in der Chemiefaserindustrie international führenden Industriegruppe.57 Der Kaufpreis für die Feldmühle wurde in Form von AKU-Aktien getätigt, Gegenwert ca. Fr. 30 Millionen.

52 Zitiert nach: Film Feldmühle, S. 9. 53 Vgl. Film Feldmühle, S. 10. 54 Vgl. Hug 1980. 55 FA Feldmühle, Gb. SASTIG, Glarus 1968, S. 4. 56 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle 1969, S. 1. 57 Vgl. Wicht 1992, Glanzstoff, S. 50-56. Schon früher war aus der Fusion der Produktionsbetriebe des holländische Konzerns AKU und der deutschen Glanzstoff die Enka- Glanzstoff AG hervorgegangen. 1969 fand zudem der Zusammenschluss zwischen der AKU mit dem Industriekonzern Koninklike Zout-Organon (KZO) statt, woraus die Holdinggesellschaft AKZO (später AKZO Nobel) mit Sitz in Arnhem entstand. Zur Enka-Glanzstoff-Gruppe gehörten seit 1969 nun die folgende Chemiefaserunternehmen: Erste Österreichische Glanzstoff-Fabrik AG, die Fabelta S.A. aus Belgien, die Italenka S.p.A. aus Italien und schliesslich auch das Schweizer Kunstseideunternehmen, die Feldmühle AG, Rorschach.

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3 Von der Übergangszeit bis zur Auflösung der Feldmühle Wieder einmal herrschte Optimismus in Rorschach. Zwar wurde die Rayonpro-duktion im Jahre 1971 eingestellt, gleichzeitig aber investierten die neuen hollän-dischen Besitzer Fr. 12 Millionen in eine neue Nylon-66-Anlage.58 Aus dem Zu-sammenschluss mit dem holländischen Konzern erhoffte sich die Geschäftsleitung der Feldmühle «in erster Linie die Nutzung der Forschungsergebnisse und der verfahrenstechnischen Erfahrungen des Konzerns, sowie eine Konzentration der Fabrikation vor allem von Nylon auf einige Haupttypen, um dadurch eine optimale Ausnutzung der Anlagen zu erreichen»59, wie an einer Pressekonferenz im Mai 1971 in Rorschach mitgeteilt wurde. Ausserdem wurde auf die spezielle Bedeutung hingewiesen, die dem Rorschacher Kunstseideunternehmen als Ver-kaufsorganisation der Enka-Glanzstoff-Gruppe zukommen solle.60 Die Feldmühle hatte nun die Aufgabe, auch die nicht in Rorschach hergestellten Chemiefasern der Enka-Glanzstoff-Gruppe zu vertreiben. Aber schon bald sollte die weitere Entwicklung der Feldmühle ganz andere Wege nehmen. Denn der holländische Konzern hatte den Abbau des Rorschacher Kunstseideunternehmens beschlossen. Im Frühjahr 1972 wurde die Nylonfabrikation eingestellt, obwohl vorher Millionen in neue Maschinen investiert wurden. Im Jahre 1975 verkaufte die AKZO-Gruppe die Rorschacher Folienabteilung an die deutsche Polyfilm AG. Vier Jahre später wurde die Klebebandabteilung an die Cellux AG verkauft. Das neu gegründete Unternehmen, mit vorwiegend holländischem Kapital dotiert, hatte mit den Gebäuden und Maschinen zusammen gleich auch den Markennamen «Cellux» erworben. Seit 1979 besass die Feldmühle keine Be-triebsstätten mehr, war aber noch im Besitz von Grundstücken und Kapital. Am 29. September 1987 wurde die Feldmühle AG, Rorschach, aufgelöst und am 16. De-zember 1988 aus dem Handelsregister gelöscht.61 Das Vakuum, welches die Feldmühle hinterlassen hatte, zog Neues an und liess Ausbaupläne zu. Ein ehemaliges Spinnereigebäude wurde abgerissen und das Druck- und Verlagshaus Löpfe-Benz E. AG baute dort ihren Betrieb neu und grösser auf. Beigetragen zu dieser günstigen Entwicklung hatte, dass Rorschach als Folge der Feldmühle-Liquidation zur wirtschaftlich bedrohten Region erklärt wurde und der Staat den neuen Betrieben Finanzierungshilfe gewährt hatte. Von der einstigen Feldmühlebelegschaft konnte jedoch nur ein Teil von den neuen Unternehmen übernommen werden. Am stärksten betroffen von der grossen Abbauphase in der Feldmühle (1972-1979) waren die ausländischen Arbeitskräfte, die zu Hunderten in ihre Heimat zurückgeschickt wurden. Die Stadt Rorschach sollte jedoch in Zukunft nicht mehr so sehr auf Gedeih und Verderben von der wirtschaftlichen Entwicklung eines Unternehmen abhängig sein; das Risiko hatte sich auf mehrere Firmen verteilt.62

58 Vgl. Film Feldmühle, S. 12. 59 Vgl. «Die Feldmühle als Glied der AKZO-Gruppe», in: Neue Zürcher Zeitung, 13. Mai 1971. 60 Ebd. 61 Archiv Handelsregisteramt, Aktennotiz, Löschung der Feldmühle AG, Rorschach aus dem Handelsregister, 16. Dezember 1988. 62 Vgl. Film Feldmühle, S. 13f.

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Teil 2:

Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der Feldmühle von 1925 bis 1969

1 Produktionsverhältnisse Im deutschsprachigen Raum waren anfänglich einige Schwierigkeiten für eine einheitliche Namensgebung der chemisch hergestellten Textilfaser zu überwinden gewesen. Zahlreiche unterschiedliche Begriffe, wie «künstliche Seide», «Kunstseide» oder «Glanzstoff», waren lange Zeit verbreitet gewesen, bis sich die einheitliche Bezeichnung «Kunstseide» allgemein durchzusetzen vermochte. In den angelsächsischen Ländern wurde die Kunstseide ursprünglich mit «artificial silk», im französischen Sprachgebrauch mit «soie artificielle» oder «rayonne» und in der italienischen Sprache mit «raion» bezeichnet. In den 1940er Jahren wurde der Aus-druck «Kunstseide» allmählich durch den Begriff «Rayon»63 abgelöst. Ende 1948 hatten schliesslich auch die schweizerischen Kunstseidefabrikanten die Bezeichnung «Rayon» übernommen, auf die sich Nordamerika, England, Frankreich und Italien bereits vorher geeinigt hatten. Die Geschäftsleitung der Feldmühle dagegen verwendete noch einige Jahre den Begriff «Kunstseide» weiter, bis auch sie 1952 den neuen Ausdruck «Rayon» übernahm. In der vorliegenden Arbeit soll stets dann die Bezeichnung «Rayon» verwendet werden, wenn auf das Produkt, d.h. auf die chemisch hergestellte Textilfaser, hingewiesen wird. Auf den früher gebräuchlichen Ausdruck «Kunstseide» wird jeweils dann zurückgegriffen, wenn der Bezug auf den Produzenten (Kunstseidefabrik, Kunstseideunternehmen, Kunstseidenindustrie, usw.) hergestellt wird.64

63 Der Begriff «Rayon» leitet sich vom französischen «rayon» oder «rayonner» ab, was Strahl oder ausstrahlen bedeutet. Damit bezeichnet das Wort «Rayon» die Eigenschaft des Glanzes, den die chemisch hergestellte Textilfaser besitzt. 64 Vgl. Bauer/Koslowski 1983, Chemiefaser-Lexikon, S. 204. Seit einiger Zeit wird der Fachbegriff «Viskose-Filamentgarn» als internationale Bezeichnung für endlose Einzelfasern bei der Chemiefaserherstellung verwendet. 1974 wurde zur Erleichterung der weltweiten wirtschaftlichen und technischen Beziehungen vom Deutschen Normenausschuss eine einheitliche Chemiefaser-Terminologie eingeführt, wobei stets der Gattungsname der jeweiligen Faserart vorangestellt ist.

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1.1 Die Herstellung von Viskose-Erzeugnissen und Polyamidfasern Der wichtigste Rohstoff zur Herstellung von Viskose-Erzeugnissen war Zellulose, die meistens aus Fichten- oder Buchenholz gewonnen und hauptsächlich aus Schweden, Finnland, Kanada oder den Vereinigten Staaten importiert wurde.65 Das Herstellungsverfahren zerfiel im Wesentlichen in drei Teile: Erstens in die Zuberei-tung der Spinnlösung, zweitens in den eigentlichen Spinnprozess und drittens in die Nachbehandlung. Bei der Zubereitung der Spinnlösung wurde der Ausgangsstoff, der von der Zellulosefabrik in Form von weissgebleichten Zellstoffplatten geliefert wurde, in den Tauchpressen der Kunstseidefabrik mit Natronlauge getränkt. Dabei entstand eine erste chemische Verbindung, die so genannte Alkalizellulose. Nach dem Auspressen der überschüssigen Natronlauge wurde die Alkalizellulose in Zerfasermaschinen zerstückelt und machte unter genau abgestimmten Wärme-bedingungen einen Vorreifeprozess durch. In der zweiten Umwandlungsstufe ent-stand aus der flockigen Alkalizellulose durch Sulfidieren66 mit Schwefelkohlenstoff das orange-gelbe, gallertartige Zellulose-Xanthogenat. Diese neue chemische Verbindung liess sich in stark verdünnter Natronlauge zu einer zähflüssigen Masse auflösen, der Spinnlösung oder Viskose.67 Der Zweck dieses komplizierten chemischen Vorgangs bestand darin, den Zellstoff - der ein in Wasser unlösliches Naturprodukt darstellt - löslich zu machen, damit dieser im flüssigen Zustand durch die Spinndüsenöffnungen hindurchgelangen konnte. Die so zubereitete Spinnlösung enthielt jedoch noch Verschmutzungen und Luft, so dass die Viskose erst nach mehrfachen Filtrieren, Reifenlassen und Lagern den Spinnmaschinen zugeführt werden durfte. Der Spinnprozess68 lief dann folgendermassen ab: In jeder Rohrleitung zu den Spinndüsen war eine Pumpe eingebaut, welche die Spinnflüssigkeit nochmals durch weitere Reinigungsfilter presste und schliesslich in die winzigen Löcher der brausenartigen Spinndüsen spritzte. Dort gelangte die Viskose in ein fliessendes Spinnbad (Fällbad) aus verdünnter Schwefelsäure, Natriumsulfat und Zinksulfat und erstarrte sofort zu feinen endlosen Einzelfasern (Filamenten), die - wie der Aus-gangsstoff - aus reiner Zellulose bestanden. Das ununterbrochen aus der Düse austretende Bündel von Einzelfasern wurde dann zum Rayon-Faden (Filamentgarn) vereinigt und beim Bobinenverfahren von einer Walze abgezogen und aufgewickelt. Beim Zentrifugenverfahren dagegen wurde das Filamentgarn in eine Spinntrommel geführt, die den Faden als ringförmigen «Kuchen» an die Trommelwand schleuderte und ihn gleichzeitig zwirnte.

65 Alle schweizerischen Kunstseidefabriken importierten Zellulose aus dem Ausland, weil der in der Schweiz hergestellte Zellstoff den Anforderungen für die Kunstseidenindustrie nicht genügte. Die Feldmühle verarbeitete hauptsächlich Zellulose aus Schweden und Finnland, weil dieser Zellstoff - nach Ansicht der Geschäftsleitung - von besonders hoher Qualität gewesen sei; vgl. Bader 1946, Kunstseide, in: RNbl. 1946, S. 47. 66 Beim Sulfidieren wird Schwefel in die Sulfid-Bindung eingefügt. 67 Die eben beschriebene Arbeitsweise wird Viskoseverfahren genannt. Da sich die Herstellung von Rayon nach dem Nitrat-, Kupfer- und Azetatverfahren in der Schweiz nicht durchzusetzen vermochte, wurde in sämtlichen Kunstseidefabriken der Schweiz nach 1931 nur noch nach dem Viskoseverfahren produziert; siehe: Daetwiler 1952, S. 55. 68 Der Ausdruck «Spinnen» oder «Verspinnen» bei der Herstellung von Rayon ist irreführend, obwohl er in der Praxis durchwegs gebräuchlich ist. Unter «Spinnen» wird üblicherweise jene Operation verstanden, bei welcher längere oder kürzere Fasern, so genannte Stapel, mittels des Spinnprozesses zu langen Fäden zusammengedreht werden.

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In der Nachbehandlung durchlief der Rayon-Faden die verschiedenen Behand-lungsstufen so gewickelt, wie er der Spinnmaschine entnommen wurde, nämlich auf perforierten Spulen beim Bobinenverfahren oder in Kuchenform beim Zentrifugen-verfahren. Da dem Rayon-Faden nach dem chemischen Werdegang noch zahlreiche Bestandteile von Salzen und Säuren anhafteten, musste dieser durch diverse Wasch-, Entschwefelungs- und Trocknungsprozesse gereinigt werden. Danach wurde der Faden in der Avivage69 mit geeigneten Mitteln behandelt, wo der Feuchtigkeitsgehalt und das Handelsgewicht den internationalen Normen angepasst wurden. Je nach dem weiteren Verwendungszweck erhielt der Rayon-Faden eine der verschiedenen Strangen-, Spulen- oder Kettenbaum-Aufmachungsarten und wurde zum Schluss nach verschiedenen Qualitäten sortiert und verpackt.70 Neben dem Rayon stellte das Rorschacher Kunstseideunternehmen noch zahl-reiche weitere Viskose-Erzeugnisse her. Ähnlich wie für das Rayon vollzog sich die Viskoseherstellung für Zellwolle (Spinnfasern). Bei der Fabrikation von Zellwolle wurden die Einzelfasern, sobald sie im Säurebad aus den Düsen kamen, in dicke Stränge zusammengefasst und gleichmässig auf eine bestimmte Stapellänge zu-geschnitten. Danach konnte die Zellwolle, je nach den Bedürfnissen der weiterver-arbeitenden Industrien, rein oder in Mischung mit Naturfasern (Baumwolle, Wolle) oder in Verbindung mit Synthesefasern zu Garnen versponnen werden.71 Mit dem Rayon und der Zellwolle waren die Möglichkeiten eines so leicht formbaren Stoffes wie Viskose jedoch noch lange nicht erschöpft. Anstatt feine Rayonfasern herzu-stellen, bestand auch die Möglichkeit dicke rosshaarartige Fibern zu spinnen. Falls die Fibern flach statt rund gemacht wurden, entstand ein künstliches Strohband, welches auch die Bezeichnung Kunststroh trug.72 Weiter verarbeitet wurde das Kunststroh hauptsächlich in der Geflechtindustrie, aus dem auch die schweizerische Hutindustrie ihre Produkte herstellte. In den 30er Jahren gelang dem Rorschacher Kunstseideunternehmen die Neuentwicklung eines Spinnverfahren, das für die weitere Entwicklung der Gesellschaft von weittragender Bedeutung war. Indem das künstliche Strohband nun meterbreit versponnen wurde, entstand das so genannte «Cellux», aus dem die Rorschacher Kunstseidefabrik transparente Viskosefolien und später auch Klebebänder herstellte. In der Schweiz war die Feldmühle das einzige Unternehmen, welches sich auf die Herstellung von transparenten Viskosefolien und Klebebändern spezialisiert hatte. Zudem stellte die Feldmühle auch ein nicht gesponnenes Viskoseprodukt her, den technischen Schwamm (Kunstschwamm). Bei der Produktion des technischen Schwammes wurde eine Eigenschaft der regenerierten Zellulose ausgenutzt, die in Gespinsten weniger zur Geltung kam, nämlich die Quellfähigkeit, die sich als Saugkraft praktisch auswirkte.73 Bei der näheren Betrachtung des Herstellungsvorganges von Viskose-Erzeug-nissen zeigte sich, dass dieser technische Prozess hauptsächlich in zwei sehr

69 Der Begriff «Avivage» bezeichnete ursprünglich die Nachbehandlung von gefärbter Seide, um den Griff zu beeinflussen. Heutige Avivage-Mittel sind beispielsweise die Weichspülmittel. 70 Die gemachten Ausführungen zum Viskoseverfahren beruhen im Wesentlichen auf: Bauer/Koslowski1983, S. 102ff. 71 Ausführliche Informationen zur Zellwolle bei: Bauer 1941, Zellwolle siegt. 72 Die Fadendicke wurde bis zur Einführung des Tex-Systems im Jahre 1967 in so genannten Deniers (den.) angegeben. Sie gab das Gewicht einer Faser oder eines Garns von 9000 m Länge in Gramm (g) an. Ein Garn von z.B. 150 den. bedeutet also, dass ein Faden von 9000 m Länge 150 g wiegt. Je niedriger die Denierzahl, umso feiner sind also die Garne oder Fasern. Garne mit der Nummer von 1000 den. und höher zählten bereits zum Kunststroh; vgl. Daetwiler 1952, S. 75. 73 Vgl. Bader 1946, S. 43-50.

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unterschiedliche Teile zerfällt: Erstens in einen chemischen Teil, der die Vorberei-tung und das Verspinnen der Viskose sowie die Reinigung miteinschloss. Zweitens in einen textilen Teil, in dem der Viskosefaden gezwirnt, gehaspelt und in Strangenform oder in eine andere Aufmachungsart überführt wurde. Diese beiden voneinander sehr verschiedenen Arbeitsprozesse haben dazu geführt, dass sich zwei unterschiedliche Auffassungen herausgebildet haben, in welches Industrie-gebiet die Kunstseidenindustrie einzugliedern sei. Obwohl heute die Kunstseiden-industrie allgemein als ein Zweig der Textilindustrie angesehen wird, so könnte in Bezug auf die Art der Herstellung mit den Worten Bodmers gesagt werden, dass die Kunstseidenindustrie «jedoch ihrer Natur nach der chemischen Industrie zuzuteilen wäre».74 In den 50er Jahren begann eine Neuentwicklung die Textilindustrie umzukrempeln - die Polyamidfaser. Die Entwicklung zur synthetischen Textilfaser erfolgte fast gleichzeitig in den USA und Deutschland bereits während den 30er Jahren. In Deutschland fand Paul Schlack (I.G. Farbenindustrie) einen Weg zur Herstellung von Polyamidgarnen aus Caprolactam (für Polyamid 6 = Perlon), in den USA dagegen entwickelte H.W. Carothers (Du Pont) ein Verfahren auf der Basis von Adipinsäure und Hexamethylendiamin (für Polyamid 6.6 = Nylon).75 Die Substanz aus der die synthetische Textilfaser gebildet wurde, kam als solche in der Natur nicht vor, son-dern entstand durch Umgruppierung und Neuverbindung von Molekülen. Bei der Fabrikation von Polyamidfasern wurde die neue chemische Verbindung - das Poly-amid - durch starkes Erhitzen geschmolzen und durch die Löcher der Spinndüsen gepresst. Dabei erstarrte das Polyamid an der Luft zu feinen endlosen Einzelfasern (Filamenten). Die Einzelfasern wurden dann auf das 4-5fache ihrer ursprünglichen Länge verstreckt, damit sie eine hohe Festigkeit und Elastizität erhielten. Danach konnte der Polyamidfaden ähnlich weiterverarbeitet werden wie der Rayon-Faden, nämlich je nach Bedarf der Textilindustrie durch Zwirnen, Färben, Spulen und Zet-teln.76 Auch die Feldmühle produzierte seit Mitte der 50er Jahre Polyamidgarne auf der Basis von Caprolactam, die unter dem Namen «Bodanyl» auf den Markt kamen.

74 Bodmer 1960, Die Entwicklung der schweizerischen Textilwirtschaft, S. 506. Bis zum Jahre 1929 war denn auch die Kunstseidenindustrie in der schweizerischen Fabrikstatistik der chemischen Industrie zugeordnet. 75 Zur Geschichte der Synthesefasern siehe: Bauer 1951, Das Jahrhundert der Chemiefaser. 76 Vgl. Bauer/Koslowski 1983, S. 70ff.

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1.2 Die Produktionsentwicklung in den wichtigsten Sparten Aus der folgenden graphischen Darstellung lässt sich die Entwicklung der Produktion in den wichtigsten Sparten Rayon, Folien, Bodanyl und Klebebänder seit Aufnahme der Rayonproduktion im Jahre 1925 bis zur Übernahme der Feldmühle durch den holländischen Industriekonzern Algemene Kunstzijde Unie N.V. (AKU) im Jahre 1969 ersehen. Gleichzeitig vermittelt Diagramm 1/1 einen Einblick in die einzelnen Entwicklungsstufen des Rorschacher Kunstseideunternehmens überhaupt. Diagramm 1/1: Entwicklung der Produktion von Rayon, Folien, Bodanyl und Klebebändern in Tonnen.77

0

500

1'000

1'500

2'000

2'500

3'000

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1926 1928 1930 1932 1934 1936 1938 1940 1942 1944 1946 1948 1950 1952 1954 1956 1958 1960 1962 1964 1966 1968

Rayon

Folien

Bodanyl

Klebebänder

Aus Diagramm 1/1 ist klar ersichtlich, dass das Rayon fast 40 Jahre lang den Hauptanteil der Gesamtproduktion ausmachte. Während die Tagesproduktion von Rayon im Januar 1926 noch bescheidene 1'400 Kilogramm betragen hatte, erreichte sie 30 Jahre später eine tägliche Produktionskapazität von beinahe 10'000 Kilo-gramm.78 Besonders deutlich zeigt die Graphik, dass die Entwicklung der Rayonpro-duktion keineswegs immer linear verlief, sondern oftmals beträchtlichen Schwankun-gen ausgesetzt gewesen war. Erste Einbrüche erlebte das Rorschacher

77 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1926-1969; vgl. Tabelle 1. 78 Vgl. FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1926, S. 1; 1956, S. 1.

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Kunstseideunternehmen bereits kurz nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise von 1929. Die Inbetriebsetzung neuer Kunstseidefabriken auf der ganzen Welt hatte zu einem Überangebot auf dem internationalen Märkten geführt und einen mörderi-schen Konkurrenzkampf unter den Kunstseideproduzenten ausgelöst.79 Anfangs der 30er Jahre war auch die Feldmühle mehrmals gezwungen, ihre Rayonproduktion zu reduzieren. Einen Ausweg aus der Krise fand das Unternehmen, indem es 1933 zusätzlich die Produktion von transparenten Viskosefolien aufnahm.80 Infolge der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage konnte die Produktion von Rayon 1936 wieder erhöht und im Mai 1937 eine weitere Fabrikationsstätte in Goldach eröffnet werden. Der nun folgende starke Produktionsanstieg wurde erst vor dem Ausbruch des 2. Weltkrieges kurz gestoppt und stieg dann bis ins Kriegsjahr 1942 noch weiter an. Die Zeit während dem 2. Weltkrieg hatte dem Rorschacher Kunstseideunter-nehmen unterschiedliche Produktionsverhältnisse gebracht. Seit Kriegsausbruch stellte die Feldmühle neben Rayon und Folien auch Kunststroh für die Wohlener Hutgeflechtindustrie her.81 Ausserdem wurde von 1941-1947 die Fabrikation von Zellwolle aufgenommen. Der Zellwollfabrikation war im 2. Weltkrieg infolge der nachlassenden Einfuhr von Baumwolle und Wolle eine immer grössere Bedeutung zugekommen. Dies führte dazu, dass während den Kriegsjahren eine Verlagerung von der Rayonproduktion auf die Herstellung von Zellwolle stattgefunden hatte.82 Zunächst nur für den einheimischen Markt produzierte die Feldmühle 1944 auch technische Schwämme, die unter dem Namen «Spungo»-Schwämme in den Handel kamen.83 Damit hatte das Rorschacher Kunstseideunternehmen ihr Sortiment um drei weitere Produkte ausgebaut. Die ersten Nachkriegsjahre standen im Zeichen einer günstigen Konjunktur und hatten dem Rorschacher Unternehmen in allen Bereichen befriedigende Pro-duktionsverhältnisse gebracht. Durch laufende Modernisierung und Hebung der Leistungsfähigkeit der Produktionsanlagen erfuhren die beiden Sparten Rayon und Folien eine erhebliche Steigerung. Insbesondere in der Folienfabrikation konnte durch Erweiterung der bestehenden Einrichtungen im Geschäftsjahr 1948 beinahe eine Verdoppelung der Produktionsleistung erreicht werden. Aus den transparenten Viskosefolien, die seit den 30er Jahren hergestellt wurden, begann die Feldmühle Ende der 40er Jahre auch mit der Entwicklung von «Cellux»-Klebebändern. Mitte der 50er Jahre nahm die Feldmühle zudem die Produktion von synthetischen Textilfasern in ihr Produktionsprogramm auf. Während die Produktionskapazitäten in den Sparten Folien, Bodanyl und Klebebänder stetig ausgebaut werden konnte, musste die Feldmühle ihre Rayonherstellung wegen mangelndem Absatz zu-

79 Vgl. Daetwiler 1952, S. 27. 80 Das neue Feldmühleprodukt wurde unter dem Markennamen «Cellux»-Folien in den Handel gebracht und fand Verwendung in Form von Bändern in der Geflechtindustrie (Hutfabrikation) oder als Verpackungsmaterial. 81 Vgl. Feldmühle AG, Rorschach, in: Brun, 1945, S. 363f. 82 Entscheidend gefördert wurde diese Entwicklung durch eine Bundesgarantie, die den schweizerischen Kunstseidefabriken während einer bestimmten Zeit Preise und Absatz für die Zellwollproduktion sicherte. Auch in der Feldmühle war die Zellwollproduktion in den letzten drei Kriegsjahren fast auf die Hälfte der gesamten Jahresproduktion angestiegen. Sobald aber Wolle und Baumwolle wieder in beliebigen Mengen erhältlich waren, liess das Interesse für die Zellwolle wieder nach. Nach Ende des 2. Weltkrieges musste dann die Fabrikation von Zellwolle in der Feldmühle mangels Absatz eingeschränkt und im Jahre 1947 ganz aufgegeben werden; vgl. Daetwiler 1952, S. 136f.; FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1946, S. 1; 1948, S. 1. 83 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1944, S. 1.

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nehmend reduzieren. Im Geschäftsjahr 1965 hatte die Produktion von Folien erst-mals jene der Erzeugung von Rayon übertroffen. Zwei Jahre später produzierte die Feldmühle auch mehr synthetische Textilfasern und 1968 schliesslich sogar mehr Klebebänder als Rayon.84 1.3 Die Entwicklung des Produktionsprogramms Ein wesentlicher Grundstein für den Erfolg und die Konkurrenzfähigkeit einer Pro-duktionsgesellschaft ist die klare Erfassung ihres Zweckes und somit ein klares Produktionsprogramm. In der Kunstseidenindustrie nahm das Produktionsprogramm insofern eine grosse Bedeutung ein, weil es eine rationelle Gestaltung der Produktion erforderlich machte, um den ganzen Fabrikationsapparat einer Kunst-seidefabrik möglichst gleichmässig und voll auszunützen. Denn zumindest theo-retisch konnte ein Unternehmen den durchgehenden Betrieb im Sinne einer Fliessbandfabrikation aufrechterhalten, wenn es während einer bestimmten Zeit nur ein Produkt in einer bestimmten Qualität erzeugte. In der Praxis war diese Spe-zialisierung in der Kunstseidenindustrie jedoch aus Gründen der Nachfrage oftmals nicht möglich. Deshalb war es notwendig, dass die Betriebsleitung einer Kunstseidefabrik aufgrund der Nachfrage periodisch einen genauen Produktionsplan aufstellte, um eine möglichst rationelle Fabrikation durchführen zu können.85 Die Feldmühle AG, Rorschach, und auch die anderen drei grossen Schweizer Kunstseidefabriken (Société de la Viscose Suisse SA, Emmenbrücke; Société de la Viscose Suisse SA, Heerbrugg-Widnau; Steckborn-Kunstseide AG, Steckborn waren stets gezwungen, verschiedene Produkte von unterschiedlicher Qualität herzustellen. Das Produktionsprogramm der Feldmühle wurde während ihres über 40-jährigen Bestehens fortlaufend erweitert und dem Wandel der Zeit angepasst. Die Veränderungen im Produktionsprogramm der Feldmühle werden besonders deutlich, wenn die Statuten der Firma, in denen der Zweck der Gesellschaft jeweils in Artikel 1 festgelegt wurde, miteinander verglichen werden. Nach Aufnahme der Rayonproduktion im ehemaligen Rorschacher Stickereiunternehmen nahm der Verwaltungsrat des Rorschacher Kunstseideunternehmens im September 1925 eine Revision der Gesellschaftsstatuten in Angriff. Dabei wurde die Firmenbezeichnung in Feldmühle AG, Rorschach, (vormals Loeb Schoenfeld & Cie. Rorschach) abgeändert und der neue Zweck der Aktiengesellschaft in den Statuten wie folgt festgelegt:

«Die Gesellschaft bezweckt den Betrieb des in Rorschach befindlichen Fabri-kations- und Exportgeschäftes in Stickereien und Kunstseide.»86

Obwohl das Rorschacher Textilunternehmen bereits im Jahre 1925 auf die Pro-duktion von Rayon umgestellt hatte, wurde die Herstellung von Stickereien noch bis 1927 weitergeführt. Danach legte die Feldmühle ihre Stickereifabrikationsanlagen endgültig still und konzentrierte sich vorwiegend auf die Produktion von Rayon. Das Produktionsprogramm der Rorschacher Kunstseidefabrik umfasste die Herstellung sämtlicher Typen von Rayon vom Titer (Mass für die Feinheit eines Rayonfadens) 30

84 Im Jahre 1971 sah sich die Feldmühle schliesslich zur Stilllegung ihrer Rayonproduktion gezwungen; vgl. Tabelle 1. 85 Vgl. Daetwiler, S. 76. 86 Archiv Handelsregisteramt St.Gallen, Statutenrevision vom 22. September 1925.

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bis 600 Deniers. Unter den Markennamen87 «Sastiga», «Bodanita», «Bodana» und «Bodanella» produzierte die Feldmühle Garne in verschiedenen Glanz- und Mattabstufungen, sowie spinngefärbtes Rayon.88 Die Angliederung eines neuen Fabrikationsbetriebes für transparente Viskosefolien («Cellux»-Folien) und die Aufnahme weiterer Produkte ins Sortiment, hatten wiederum eine Änderung der Statuten notwendig gemacht. In den Firmenstatuten vom 24. Juni 1941 wurde der Zweck der Feldmühle nun folgendermassen beschrieben:

«Die Gesellschaft bezweckt den Betrieb des in Rorschach befindlichen Unter-nehmens für Fabrikation und Verkauf von Kunstseide und Kunstfasern aller Art und von daraus erstellten Fabrikaten, ferner von transparenten Folien, Stickereien, sowie verwandten Textilfasern jeder Art.»89

Das Produktionsprogramm der Feldmühle hatte besonders in den 40er Jahren eine beträchtliche Ausweitung erfahren und umfasste nun zum Rayon zusätzlich Zellwolle und so genannte Hartkunstseide. Zur Hartkunstseide gehörten die bereits erwähnten transparenten Viskosefolien und das Kunststroh (Visca-Bändchen), das jedoch im Rahmen der Gesamtproduktion vorerst einen eher bescheidenen Platz einnahm. Neu ins Sortiment aufgenommen wurden 1944 auch technische Schwämme. Nach mehrjähriger Entwicklungszeit war es dem Rorschacher Kunstseideunternehmen 1952 zudem gelungen, aus den transparenten Folien Klebebänder herzustellen. Seit 1955 erzeugte die Feldmühle versuchsweise auch Cordrayon für Pneueinlagen, deren Herstellung jedoch wegen mangelnder Rentabilität zwei Jahre später wieder eingestellt werden musste.90 Als in den 50er Jahren die Polyamidfaser Marktreife erlangt hatte - billiger als Ra-yon und leichter herzustellen -, entschied sich auch die Feldmühle in das Geschäft mit den synthetischen Textilfasern einzusteigen. Vorerst befasste sich die Feldmühle nur mit dem Verspinnen von synthetischen Textilfasern. Nachdem das Unternehmen auf diesem Gebiet genügend neue Erkenntnisse und Erfahrungen gesammelt hatte, begann das «Bodanyl» - so hiess die Polyamidfaser aus Rorschach vom Bodensee - aus den Spinnmaschinen der Feldmühle zu laufen. Im Geschäftsbericht von 1954 wurde die Neuentwicklung mit den folgenden Worten gelobt:

«Als wichtiger Markstein in der Geschichte der Entwicklung unseres Unterneh-mens ist der Beschluss der Erstellung einer Anlage zur Herstellung vollsyntheti-scher Gespinste auf der Basis von Caprolactam zu betrachten. Die Arbeiten sind im Frühling 1954 in Angriff genommen worden und befinden sich seither in vollem Gang.»91

Nachdem das zunächst versuchsweise hergestellte Bodanyl gute Aufnahme ge-funden hatte, wurde 1955 die Erstellung einer grossen Bodanylanlage und zwei

87 Der Markenname «Sastiga» leitet sich vom Namen der Holdinggesellschaft SASTIG (Schweizerisch-Amerikanische Stickerei-Industrie-Gesellschaft) ab, der die Feldmühle AG, Rorschach, seit 1911 angehörte. Die anderen Namen «Bodanita», «Bodana» und «Bodanella» - auch das spätere «Bodanyl» - sollten vermutlich den Bezug zum Bodensee herstellen, an deren Ufer die Feldmühle ihre Produktionsstätten in Rorschach hatte. 88 Das spinngefärbte Rayon, welches - wie der Name bereits sagt - im Gegensatz zum gewöhnlichen Rayon aus gefärbter Masse versponnen wird, besitzt den Vorteil der grossen Farbechtheit beim Waschen. 89 Archiv Handelsregisteramt St.Gallen, Statuten vom 24. Juni 1941. 90 Siehe: FA Feldmühle, Gb. Feldmühle 1955, S. 1; Gb. Feldmühle 1957, S. 1. 91 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1954, S. 1.

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Jahre später ein weiterer Neubau für die Bodanylfabrikation in Angriff genommen.92 Die zunehmende Verlagerung der Gesamtproduktion auf die Sparten Folien, Bodanyl und Klebebänder veranlasste die Firma 1962 und 1969 ihre Statuten wie-derum auf den aktuellen Stand zu bringen. Abschliessend soll einmal der gesamte Wortlaut von Artikel 1 der Firmenstatuten zitiert werden:

«Art. 1: Unter der Firma Feldmühle AG, Feldmühle SA, besteht mit Sitz in Ror-schach eine Aktiengesellschaft. Zweck der Gesellschaft ist die Herstellung, Verarbeitung und Handel von chemisch-technischen Produkten, insbesondere von Chemiefasern und Folien und von daraus erstellten Fabrikaten und verwandten Produkten. - Die Gesellschaft kann sich an anderen Unternehmungen direkt oder indirekt beteiligen, solche erwerben oder betreiben. Sie kann Liegenschaften, Erfindungspatente und Lizenzen erwerben, verwalten und veräussern. - Die Dauer der Gesellschaft ist unbeschränkt.»93

Nachstehenden eine kurze Zusammenstellung aus dem Produktionsprogramm der Feldmühle aus den 60er Jahren, welche die Vielfalt der Produkte im Rorscha-cher Kunstseideunternehmen deutlich zum Ausdruck bringt:94 Rayon - textiles Rayon für alle Verwendungszwecke der Weberei, Wirkerei und Strumpfindustrie, von 30 bis 600 Deniers, roh oder gefärbt, Handarbeitsgarne, Spezialität: Kreppgarne, - Kunststroh für die Hut- und Geflechtindustrie, - Cordrayon für die textile Einlage von Autoreifen (Pneuseide); Fibranne - Zellwolle für Rein- und Gemischtverspinnung in der Baumwoll-, Woll- und Schappeindustrie; Schwämme - Viskoseschwämme («Spungo»Schwämme) für den technischen Bedarf, sowie Toilettenschwämme, gepresst und ungepresst; Folien - transparente Viskosefolien der Marke «Cellux» für Verpackungen verschiedenster Art in Rollen, Bogen und Formaten, farblos, farbig und bedruckt, Standardqualität und Wetterfestqualität, fassoniert in Beutel, Hüllen und Etuis; Klebebänder - transparente, farbige und bedruckte Kleberollen der Marke «Cellux» für diverse Zwecke; Bodanyl - Endlosgarn für analoge Verwendung wie textile Rayon und für technische Zwecke.

92 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1955, S. 1; 1957, S. 1. 93 Archiv Handelsregisteramt St.Gallen, Statuten vom 7. November 1969. 94 Die nachstehende Zusammenstellung beruht auf einer Durchsicht von diversen Werbematerialien, die im Firmenarchiv der Feldmühle zu finden sind. Die Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die Produktionsverhältnisse in der Feldmühle Folgendes feststellen: Während Jahrzehnten hatte die Herstellung von Rayon die Produktionsentwicklung in der Feldmühle massgeblich beeinflusst. Als Mitte der 50er Jahre die synthetische Textilfaser das Rayon allmählich vom Markt zu verdrängen begann, nahm auch die Rayonproduktion in der Feldmühle rapide ab. In den 60er Jahren hatte zuerst die Folienherstellung, dann die Bodanylfabrikation und schliesslich auch die Klebebandproduktion dem Rayon den Rang abgelaufen. Die Entwicklung, welche die Feldmühle mit ihrem Produktionsprogramm durchlief, zeigt zudem deutliche Ansätze zu einer Spezialisierung. Besonders während dem 2. Weltkrieg entstanden im Rorschacher Kunstseideunternehmen zahlreiche neue Fabrikate, die oft aus der Weiterentwicklung eines bereits bestehenden Produktes hervorgingen.95 Dadurch war die Feldmühle nun in der Lage, je nach Marktsituation die Produktionskapazität für das eine oder andere Fabrikat zu steigern oder zu drosseln, womit die Kunstseidefabrik eine gewisse Produkten-Unabhängigkeit erlangte. Die Zweckumschreibungen in den Statuten der Feldmühle umfassten weite Gebiete der chemischen Industrie und der Textilindustrie. Das während über 40 Jahre befolgte Prinzip der Firma war jedoch weit mehr der Textilindustrie zugeordnet, nämlich der Herstellung künstlicher textiler Gespinste. Mit Chemie befasste sich das Kunstseideunternehmen nur so weit, als für die Erreichung des textilen Zweckes nötig und dienlich war.

95 Willi Wottreng, «Die Schweizer Wirtschaft und das Dritte Reich (IV): Eine stille Revolution in den Fabriken verhilft zu technologischem Vorsprung», in: Die Weltwoche, Nr. 52, 26. Dezember 1996, S. 28, weist darauf hin, dass gegen Ende des 2. Weltkrieges in vielen Schweizer Industrieunternehmen aus Mangel technologische Lösungen und Produktionsfortschritte entwickelt wurden. Auch die Feldmühle scheint in den Kriegsjahren trotz einem Produktionsrückgang von einem solchen technologischen Innovationsschub profitiert zu haben.

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2 Absatzverhältnisse 2.1 Die allgemeinen Bedingungen der Absatzverhältnisse im Inland Die Feldmühle hatte auf dem inländischen Absatzmarkt neben der schweizerischen Konkurrenz auch mit ausländischen Kunstseideunternehmen in Wettbewerb zu treten. Denn die einheimischen Verarbeitungsindustrien verarbeiteten nicht nur Rayon schweizerischer Herkunft, sondern hatten schon immer auch aus dem Ausland grössere Mengen bezogen. Negativ für die gesamte schweizerische Kunstseidenindustrie war, dass der Inlandmarkt im Gegensatz zu den meisten aus-ländischen Absatzmärkten nie durch einen wirksamen Einfuhrzoll geschützt gewesen war.96 Vor allem durch die von den Kunstseidekonzernen der beiden Nachbarstaaten Italien und Deutschland betriebene Politik der Dumpingpreise hatte die Konkurrenz für die einheimischen Kunstseidefabriken immer bedrohlichere Formen angenom-men.97 Als Abwehrmassnahme begannen die schweizerischen Kunstseideunter-nehmen mit der Fabrikation von qualitativ hoch stehendem Rayon, um dadurch auf dem Schweizer Markt bessere Preise zu erzielen. Neben dieser Produktionspolitik versuchten die schweizerischen Kunstseidefabrikanten auch gemeinsam mittels handelspolitischer Massnahmen einen Schutz gegen die ausländische Konkurrenz auf dem Binnenmarkt zu erwirken. Ihre Forderungen gingen dahin, dass der Inlandmarkt durch eine Erhöhung des Einfuhrzolles auf Rayon und durch Einführung der Kontingentierung besser geschützt werde.98 Die Interessen der schweizerischen Kunstseidenindustrie standen jedoch im krassen Gegensatz zu jenen der einheimischen Verarbeitungsindustrien. Die Verarbeitungsindustrien waren aus diversen Gründen daran interessiert, weiterhin ihren Bedarf an Rayon mit möglichst niedrigen Preisen aus dem Ausland zu decken. Erst nach zähen Verhandlungen zwischen den Vertretern der schweizerischen Kunstseidefabriken und den Verar-beitungsindustrien wurde die Einfuhr von Viskoserayon erstmals im Herbst 1932 durch die staatlichen Behörden kontingentiert. Zwei Jahre später wurde zudem eine Zollerhöhung von 30 Rappen pro Kilogramm beschlossen.99 Trotzdem vermochten auch in den folgenden Jahren weder die behördlich verordneten Zollerhöhungen noch die Kontingentierung auf dem Inlandmarkt einen wirksamen Schutz gegen die ausländische Kunstseidekonzerne zu bieten.100 Um

96 Bis 1933 betrug der Einfuhrzoll in die Schweiz für rohes gezwirntes und ungezwirntes Rayon (Viskose-Rayon) lediglich 2 Rp. pro Kilogramm. 97 Die Nachbarstaaten Deutschland und Italien hatten aus devisenpolitischen Gründen ein starkes Interesse daran, dass ihre Kunstseidefabrikanten einen möglichst grossen Rayonabsatz in der Schweiz erlangen. Daher erhielten die italienischen und deutschen Kunstseidenindustrien in Form von Subventionen und Exportprämien grosse staatliche Unterstützung. 98 Im Gegensatz zur Schweiz hatten praktisch alle ausländischen Produktionsländer die eigenen Märkte durch hohe Einfuhrzölle und Einfuhrbeschränkungen sowie durch Kartellverträge geschützt. 99 Die Einfuhr von Rayon wurde auf dem Niveau des Vorjahresimportes eingefroren, d.h., die gesamte einheimische Verarbeitungsindustrie durfte von nun an mengenmässig nicht mehr Rayon aus dem Ausland beziehen, als im Jahre 1931. Diese Regelung bezog sich jedoch nur auf das Viskoserayon; die Importe von Kupfer- und Azetatseiden waren von dieser Regelung nicht betroffen. 100 Die gemachten Ausführungen zur Konkurrenzstellung der schweizerischen Kunstseidenindustrie gegenüber derjenigen des Auslandes beruhen im Wesentlichen auf: Daetwiler 1952, S. 111-116.

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nicht hoffnungslos der ausländischen Konkurrenz ausgesetzt zu sein, entschlossen sich die Vertreter der schweizerischen Kunstseideunternehmen anfangs der 30er Jahre auf dem eigenen Markt eine gemeinsame Preis- und Absatzpolitik zu betreiben. Am 13. August 1928 schlossen sich die schweizerischen Kunstseidefabriken (Société de la Viscose Suisse SA, Emmenbrücke; Feldmühle AG, Rorschach; Société de la Viscose Suisse SA, Heerbrugg-Widnau; Steckborn-Kunstseide AG, Steckborn) zum Verband schweizerischer Kunstseidefabriken zu-sammen.101 Obwohl anfänglich der Verband lediglich die Aufgabe hatte die Inter-essen und Ansichten seiner Mitglieder gegenüber anderen Fachverbänden und den Behörden zu vertreten, entnehmen wir aus den revidierten Vertragsbestimmungen aus dem Jahre 1932 folgenden Verbandszweck:

«Die Vertragsparteien schliessen sich zusammen zwecks Regelung ihrer Ver-kaufstätigkeit nach gemeinsamen verbindlichen Grundsätzen, die vornehmlich eine Kontingentierung des Absatzes und Einheitlichkeit der Ver-kaufsbedingungen herstellen sollen.»102

Der Syndikatsvertrag aus dem Jahre 1932 regelte im Wesentlichen die jährlichen Absatzquoten der Vertragsparteien, die prozentual zum durchschnittlichen In-landabsatz der letzten drei Jahre der einzelnen Kunstseidefabriken festgelegt wur-den. Dabei wurde der Feldmühle ein Anteil von durchschnittlich 25% am Schwei-zergeschäft zugestanden.103 Der Geltungsbereich des Vertrages erstreckte sich auf das Zollgebiet der Schweiz und bezog sich auf alle Arten von Rayon mit Ausnahme von Abfällen und Bändchen.104 Nachdem die schweizerischen Kunstseidefabriken bereits vorher versucht hatten mit den verschiedenen inländischen Verarbeitungsindustrien bzw. mit ihren Verbänden Lieferungsverträge abzuschliessen, kam es als Folge des Unterneh-menszusammenschlusses zu gemeinsamen und einheitlich geregelten Verträgen. Die Verträge zwischen den Produzenten und den Verarbeitern hatten einerseits den Zweck, die Bezugs- und Absatzverhältnisse des schweizerischen Rayon zu regeln. Andererseits sollten darüber hinaus bessere Voraussetzungen für die Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen auf allen Anwendungsgebieten von Rayon geschaffen werden. Die vertraglichen Abmachungen zwischen den Produzenten und Verbrauchern bezogen sich neben solchen allgemeinen Verpflichtungen im Wesentlichen auf Abmachungen über die Preise, Konditionen und Lieferquoten. Ein besonders günstiger Abnehmervertrag konnte mit der Wirkereiindustrie abgeschlossen werden, in welchem sich die einzelnen Wirkereiunternehmer - soweit sie Mitglied des Schweizerischen Wirkereivereins waren - verpflichteten, 90 % ihres

101 Anfangs gehörten auch die Viscose AG, Rheinfelden-Schweiz und seit 1930 die Novaseta AG, Arbon, dem Verband an. Da beide Unternehmen schon bald ihre Produktion aufgeben mussten, traten diese in den 30er Jahren wieder aus dem Verband aus. 102 FA Feldmühle, Ordner G16, Vertrag mit dem Verband schweizerischer Kunstseidefabriken vom 20. April 1932. 103 Die im Syndikatsvertrag von 1932 festgelegten Quoten wurden in unterschiedlichen Zeitabständen den neuen Verhältnissen angepasst. Jedoch ergaben sich für die Feldmühle über die ganzen Jahre keine wesentlichen Quotenverschiebungen. Aus einer Aktennotiz von 1960 geht hervor, dass der prozentuale Anteil der Feldmühle am Inlandgeschäft auf 27.5 % angewachsen war. 104 Näheres zum Unternehmerzusammenschluss im Verband schweizerischer Kunstseidefabriken bei: Daetwiler 1952, S. 117-124.

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Bedarfes bei den schweizerischen Kunstseidefabriken zu decken.105 Obwohl es den einheimischen Kunstseideunternehmen nicht gelungen war, durch ihren Zusammenschluss ein Monopol auf dem Binnenmarkt zu errichten, so hatte die gemeinsame Preis- und Absatzpolitik viel dazu beigetragen, die Auswirkungen der Konkurrenzkämpfe auf dem Inlandmarkt abzuschwächen.106

105 Siehe: FA Feldmühle, Ordner G16, Vertrag zwischen dem Verband schweizerischer Kunstseidefabriken und dem Schweizerischen Wirkereiverband vom 27. Dezember 1946. 106 Weitere Informationen über die Preis- und Absatzpolitik der schweizerischen Kunstseideunternehmen finden sich bei: Daetwiler 1952, S. 117-124.

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2.2 Die Absatzverhältnisse während den 40er Jahren im Inland Im Folgenden sollen die Absatzverhältnisse der Feldmühle im Inland während den 40er Jahren einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Dieser Zeitraum ist von besonderem Interesse, da der Inlandabsatz von Rayon während dem 2. Weltkrieg erstmals mengenmässig den Export übertroffen hatte. Denn normalerweise hatte das Rorschacher Kunstseideunternehmen nur etwa 30% seiner Rayonproduktion im Inland abgesetzt und rund 70% exportiert. Diagramm 2/1: Mengenmässige Absatzentwicklung von Rayon in Tonnen.107

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Total

Export

Inland

Aus Diagramm 2/1 geht hervor, dass der Inlandabsatz der Feldmühle von Rayon im Geschäftsjahr 1941 erstmals den Export mengenmässige übertroffen hatte. Diese Entwicklung ist darauf zurückzuführen, dass infolge des 2. Weltkrieges eine weltweite Verknappung an Textilrohstoffen entstanden war und eine starke Nach-frage an Rayon im Inland hervorgerufen hatte. Hinzu kam, dass die Schweizer Be-hörden Rayon nur in sehr beschränktem Umfang für den Export zuliessen.108

107 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1926-1969; vgl. Tabelle 2. 108 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1942, S. 2.

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Als nach dem Krieg kein Mangel mehr an Textilrohstoffen vorherrschte, wurde auch die behördliche Zuteilungslenkung, gemäss welcher die normalerweise Baumwolle und Wolle verarbeitenden Betriebe in den Kriegsjahren durch die schweizerischen Kunstseidefabriken in grösserem Ausmass beliefert werden mussten, wieder aufgehoben. Allmählich ging auch der Inlandabsatz von Rayon in der Feldmühle zurück, so dass im Jahre 1949 der Exportanteil den Inlandabsatz wieder bei weitem überflügelt hatte. Tabelle 2/2: Verteilung des Inlandabsatzes in Tonnen auf die wichtigsten Verbrauchergruppen in den Jahren 1940 und 1942.109

Verbrauchergruppen 1940 1942 Menge % a % b Menge % a % b

Wirkerei, Strickerei, Bonneterie 232 41.39 38.41 375 24.78 31.07

Strumpf- und Sockenfabrikation 98 17.29 21.01 130 8.59 20.02

Seidenstoffweberei und übrige Stoffweberei

181 32.31 23.78 702 46.42 54.25

Bandweberei 11 1.96 12.17 38 2.53 15.78

Zwirnerei, Spinnerei 23 4.17 16.26 167 10.97 38.21

Elastique- und Gummibandfa-brikation

5 0.85 4.73 22 1.44 12.54

Mercerie, Posamenten- und Kabelfabrikation

8 1.43 28.73 57 3.37 43.02

Hutgeflechte, Händler und Ex-porteure, Färber und Diverse

3 0.60 41.89 23 1.54 56.72

Total 561 100 23.37 1'514 100 33.95

Tabelle 2/2 zeigt exemplarisch die mengenmässigen Verteilung des Inlandab-satzes der Feldmühle auf die wichtigsten Verbrauchergruppen in den Jahren 1940 und 1942. Wie bereits erwähnt, hatte auch das Rorschacher Kunstseideunter-nehmen mit allen drei Verarbeitungsindustrien bzw. mit deren Verbänden über den Verband schweizerischer Kunstseidefabriken Lieferungsverträge abgeschlossen.110 Zu den wichtigsten einheimischen Abnehmern des Rorschacher Rayon zählten die Wirkerei- und Seidenstofffabrikanten. Verhältnismässig hoch war der prozentuale Anteil der Feldmühle, gemessen an den gesamtschweizerischen Lieferungen, in den Verbrauchergruppen Mercerie und Hutgeflechte. Die Ausführungen über die Absatzverhältnisse der Rorschacher Kunstseidefabrik im Inland sollen nicht geschlossen werden, ohne einen kurzen Hinweis auf die

109 FA Feldmühle, Ordner G16, Lieferungen der Feldmühle auf dem Schweizermarkt. Legende: % a = Prozentualer Anteil der verschiedenen Verbrauchergruppen an den Feldmühle-Lieferungen. % b = Prozentualer Anteil der Feldmühle, gemessen an den gesamtschweizerischen Lieferungen. 110 FA Feldmühle, Ordner Verträge nicht mehr aktuell. Vergleiche dazu die Verträge zwischen der Feldmühle und den folgenden Verbänden: Schweizerischer Wirkereiverein, Zürich, Verband Schweizerischer Seidenstofffabrikanten, Zürich und Schweizerische Zwirnerei- Genossenschaft St.Gallen/ Verein Schweizerischer Seidenzwirner, Zürich.

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Verkaufsorganisation der Feldmühle im Inland zu geben. Im Gegensatz zur Société de la Viscose Suisse SA, Emmenbrücke, die in den wichtigsten Verarbeitungszen-tren und in den grösseren Städten eigene Verkaufsbüros unterhielt, verkaufte die Feldmühle ihre Produkte direkt ab Fabrik. Das heisst, ihre Handelsvertreter be-suchten die Kundschaft im Allgemeinen von Rorschach aus. Einschränkend ist zu erwähnen, dass das Rorschacher Unternehmen in gewissen Textilzentren, wie bei-spielsweise in St.Gallen, besonders ernannte Herren für den Kundenbesuch an-geworben hatte. Durch diese Verkaufsorganisation konnte der Zwischenhandel ausgeschlossen und die Produkte direkt an die Verarbeitungsindustrien abgesetzt werden. Dies hatte zudem den Vorteil, dass die Feldmühle durch den engen Kontakt mit den Verbrauchern in der Lage war, sehr schnell auf die unterschiedlichen Wünsche und Forderungen ihrer Abnehmer zu reagieren. Noch weit wichtiger jedoch war, dass das Rorschacher Unternehmen viel besser Produktion und Absatz infolge der ständigen Verbindung mit dem Markt koordinieren konnte und dadurch die ko-stenverursachende Lagerhaltung auf ein Minimum zu reduzieren vermochte.111 2.3 Die Absatzverhältnisse in den wichtigsten Abnehmerstaaten im Ausland Die Exportmöglichkeiten der Feldmühle wurden hauptsächlich durch folgende Fak-toren beeinflusst: Durch das Bestehen eigener Kunstseidenindustrien in den Ab-satzländern, durch die handelspolitischen Massnahmen des betreffenden Landes und durch die Marktorganisation auf den ausländischen Absatzmärkten.112 Im Ge-gensatz zu den Absatzverhältnissen im Inland bestand zwischen den schweizeri-schen Kunstseidefabriken in Bezug auf den Auslandabsatz keine gemeinsame Preis- und Absatzpolitik, sondern eine freie Konkurrenzsituation. Tabelle 2/3: Wertmässige Absatzentwicklung in den wichtigsten Abnehmerstaaten in Tausend Franken.113

Abnehmerstaaten 1931 1936 1941 1946 1951 1956 1961 1966

Deutschland BRD DDR

3'514 2'025 945 1'507

5'077

4'010

2'086 1'695

Österreich 385 1'606 2'333 872 602

Italien 384 150 1'662

Portugal 5 135 558 2'052 599 182 183

Frankreich 805 404 382

Schweden 594 1'247 1'759 499 275

111 Vgl. Daetwiler 1952, S. 124f. 112 Ebd., S. 128. 113 Vgl. FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1931-1966. In die vorliegende Tabelle fanden jeweils nur die drei wichtigsten Exportländer je Untersuchungsperiode Aufnahme in die Statistik. Bereits aufgeführte Abnehmerstaaten wurden, falls sie in den Absatzstatistiken der Geschäftsberichte der Feldmühle AG verzeichnet waren, mit den entsprechenden Angaben ergänzt. Fehlende Tabelleneinträge zeigen an, dass die entsprechenden Exportländer zum jeweiligen Zeitpunkt keine wichtige Rolle mehr als Exportland für die Feldmühle gespielt haben.

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Dänemark 84 106 636 302 1'310 73 404

Tschechoslowakei 357 597 1'055 1'103

Ungarn 115 195 878 218 460

Irak 704 254

Syrien/Libanon 2'590 798 287 223

Tabelle 2/3 lässt erkennen, dass sich der Auslandabsatz der Feldmühle auf verhältnismässig viele Märkte verteilte. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die in dieser Tabelle aufgeführten Absatzländer nur die wichtigsten Importländer für das Rorschacher Kunstseideunternehmen darstellen. Die Feldmühle pflegte Ge-schäftsverbindungen mit der halben Welt, so dass immer wieder neue Absatzmärkte erschlossen werden konnten. In der Absatzstatistik des Geschäftsberichtes der Firma aus dem Jahre 1931 sind beispielsweise über 40 Abnehmerstaaten verzeichnet, die mit grösseren oder kleineren Beträgen den wertmässigen Auslandabsatz der Firma mit Rayon wesentlich beeinflusst hatten.114 Bis zum Aus-bruch des 2. Weltkrieges waren vor allem Deutschland, Schweden und die ehe-malige Tschechoslowakei die wichtigsten Abnehmerstaaten für das Rorschacher Kunstseideunternehmen. In den Kriegsjahren büsste dann Deutschland die Position als wichtigstes Exportland ein, während Portugal und Schweden deutlich an Bedeutung zunahmen. In den 50er Jahren vermochte die Feldmühle mit Syrien einen neuen bedeutenden Absatzmarkt zu gewinnen. In den folgenden Jahren nahmen auch Deutschland (BRD), Österreich und Dänemark als Exportländer für die Feldmühle wieder an Bedeutung zu. Erstmals zählte 1956 auch Frankreich zu den wichtigsten Abnehmerstaaten der Feldmühle. Während den 60er Jahren dominierte weiterhin Deutschland (BRD) als wichtigstes Abnehmerland das Exportgeschäft der Firma. Am Ende unserer Untersuchungsperiode konnte mit Ostdeutschland (DDR) ein neuer bedeutender Absatzmarkt für das Rorschacher Unternehmen erschlossen werden. Im Folgenden sollen die Marktverhältnisse in Deutschland näher untersucht werden, da Deutschland (später BRD und DDR), mit Ausnahme der 40er bis anfangs der 50er Jahre, das bedeutendste Exportgebiet für das Rorschacher Rayon gewesen war. Weil ähnlich der Situation in der Schweiz auch der deutsche Absatzmarkt nicht durch einen wirksamen Zoll geschützt war, wurde 1931 seitens der deutschen Viskose-Kunstseideproduzenten und unter Mitwirkung der italienischen, holländischen und schweizerischen Kunstseidenindustrien als Syndikat die Kunstseide-Verkaufsbüro GmbH in Berlin gegründet. Das Verkaufskartell hatte die Aufgabe, durch die Festsetzung von festen Absatzquoten, Preisen und Konditionen, geordnete Verhältnisse auf dem deutschen Markt herbeizuführen. Dabei wurden die Produkte der Mitgliederfirmen, unter Ausschluss jeglicher selbständiger Verkaufstätigkeit der einzelnen Unternehmungen, direkt durch das Verkaufsbüro vertrieben.115 1932 trat auch die Feldmühle dem Syndikat bei, um sich weiterhin ihren Anteil am deutschen Exportgeschäft zu sichern. Obwohl für das Rorschacher Kunstseideunternehmen der wertmässige Absatz in Deutschland zunehmend zurückging, hatte sich die Mitgliedschaft beim deutschen Viskosesyndikat als vorteilhaft erwiesen. Denn sonst wäre die Feldmühle während den 30er Jahren wohl kaum in der Lage gewesen, ihren Export nach Deutschland in dem Masse

114 Siehe: FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1931, S. 32. 115 Vgl. Daetwiler 1952, S. 133ff.

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aufrechtzuerhalten. Mit dem Ablauf des schweizerisch-deutschen Wirtschaftsab-kommen kam schliesslich auch die früher namhafte Ausfuhr nach Deutschland im Geschäftsjahr 1943 völlig zum Stillstand. Vom rein finanziellen Standpunkt aus be-trachtet, bedeutete dieser Exportausfall für das Rorschacher Unternehmen jedoch keine allzu grosse Einbusse, da der im Zeichen des Preisstopp stehende deutsche Markt die Erzielung befriedigender Preise nicht mehr weiter erlaubt hatte.116 Nach-dem die Exportkontingentierung seitens der schweizerischen Behörden Mitte De-zember 1947 weggefallen war, nahm auch das Exportgeschäft mit Deutschland (BRD) erstmals wieder ein grösseres Ausmass an. Erst im Jahre 1952 gelang es der Feldmühle den Absatzmarkt Deutschland (BRD) definitiv als wichtigstes Exportland für das Rorschacher Rayon zurückzugewinnen. Zusammenfassend kann bezüglich der Absatzverhältnisse ausgesagt werden: Dass sich das Rorschacher Kunstseideunternehmen vorwiegend im Rahmen der Textilindustrie, d.h. der Herstellung künstlicher und synthetischer Gespinste hielt, brachte sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich. Ein grosser Vorteil lag insbe-sondere darin, dass sich die Feldmühle stets voll auf ihre Spezialgebiete konzen-trieren konnte und damit qualitativ und preislich einen Stand zu erreichen vermochte, der ihr den Wettbewerb auf den Weltmärkten erlaubte. Dies ist nicht selbstverständ-lich, wenn die zahlreichen Hindernisse berücksichtigt werden, die der Feldmühle in Form von höheren Rohstoffpreisen und Lohnkosten, ausländischen staatlichen Exportförderungsaktionen und hohen ausländischen Zollschranken entgegen-standen. Erschwerend kam hinzu, dass sich das Rorschacher Kunstseideunter-nehmen im Inland auf keinen ausgeglichenen Absatz stützen konnte. Als Nachteil wirkte aber, dass die Feldmühle aufgrund ihrer Exportorientierung äusserst anfällig auf Krisen reagierte. Dieser Umstand wurde teils dadurch ausgeglichen, indem sich das Unternehmen auf die Herstellung verschiedener Artikel verlegte, die sich produktemässig gegenseitig ergänzten, absatzmässig jedoch auf unterschiedliche Verbrauchsgebiete verteilten.117 Zu den wichtigsten Abnehmern für das Rorschacher Rayon im Inland während den 40er Jahren zählten die Wirkerei- und Seiden-stofffabrikanten. Das Hauptabsatzgebiet im Ausland lag mit Ausnahme des 2. Weltkrieges und den ersten Nachkriegsjahren in Deutschland.

116 Vgl. FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1943, S. 2. 117 Über die Absatzverhältnisse in allen Sparten orientieren: Tabelle 3-7.

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3 Arbeitsverhältnisse 3.1 Die Entwicklung des Personalbestandes Durch den seit 1920 einsetzenden Niedergang der ostschweizerischen Stickerei-industrie standen der Feldmühle bei Aufnahme der Rayonfabrikation im Jahre 1925 zahlreiche Arbeitskräfte mit relativ bescheidenen Lohnansprüchen zur Verfügung. Viele ArbeiterInnen waren aufgrund ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage darauf angewiesen, wieder eine regelmässige Verdienstmöglichkeit in der Feldmühle zu finden. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die meisten ArbeitnehmerInnen - bedingt durch den seit Jahren anhaltenden schlechten Geschäftsgang im ehemaligen Rorschacher Stickereiunternehmen - über Jahre zu einer ganzen oder doch teilweisen Arbeitslosigkeit verurteilt gewesen waren. Ein weiterer Vorteil für das noch junge Kunstseideunternehmen war, dass es sich schon zu Beginn auf ArbeitnehmerInnen stützen konnte, die durch ihre frühere Tätigkeit in der Sticke-reibranche bereits Erfahrungen für die Bearbeitung von Textilfasern mitbrachte und daher ohne lange Umschulung in den Arbeitsprozess integriert werden konnte.118 Aufgrund der guten Konjunkturlage bis Ende der 20er Jahre war die Anzahl der in der Feldmühle beschäftigten Personen im Jahr 1931 auf insgesamt 1'587 Ar-beitnehmerInnen angewachsen. Davon wurden 92 als Angestellte und 1'495 als ArbeiterInnen beschäftigt, wobei sich die FabrikarbeiterInnen auf die folgenden Kategorien verteilten: 994 Frauen (67%), 407 Männer (27%) und 94 Jugendliche (6%).119 Während in den chemischen Abteilungen fast ausschliesslich Männer be-schäftigt wurden, überwog in den textilen Abteilungen bei weitem die Frauenarbeit. Die verhältnismässig wenigen männlichen Arbeitskräfte, welche in der textilen Abteilung arbeiteten, übten dort hauptsächlich Kontrollfunktionen aus.120 Bereits ein Jahr später sank der Personalbestand der Feldmühle auf 1'422 Ar-beitskräfte und musste bis ins Jahr 1935 auf 905 Personen reduziert werden, wovon jedoch nur 744 Personen effektiv arbeiteten und die übrigen 161 Arbeitskräfte teilarbeitslos waren.121 Das Absinken der Feldmühlebelegschaft liegt in mehreren verschiedenen Ursachen begründet: Einerseits mussten in der rückläufigen Kon-junktur, die bis Mitte der 30er Jahre andauerte, viele Arbeitskräfte infolge Unterbe-schäftigung entlassen werden. Andererseits konnten aufgrund von Rationalisie-rungsmassnahmen und wegen der Umstellung auf vermehrte maschinelle Arbeit zahlreiche Arbeitskräfte eingespart werden. Ein weiterer grösserer Personalabbau im Rorschacher Kunstseideunternehmen konnte in den folgenden Jahren durch die Errichtung einer zusätzlichen Fabrikationsstätte in Goldach und durch die Einführung der Sonntagsarbeit122 verhindert werden.

118 Obwohl bei der Rayonerzeugung im chemischen Teil keine gelernten Arbeitskräfte nötig waren, erforderte jedoch die weitere Bearbeitung des Rayonfadens in den textilen Abteilungen zu einem grossen Teil gelernte oder doch zumindest angelernte ArbeiterInnen. 119 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1931, S. 3. 120 Leider lassen sich aufgrund der fehlenden Datenlage keine detaillierteren Ausführungen zur Gliederung der Belegschaft nach Geschlecht und Berufskategorien für die Feldmühle vornehmen. Weitere Auskünfte zur Struktur der ArbeitnehmerInnen in der schweizerischen Kunstseidenindustrie bei: Daetwiler 1952, S. 67-70. 121 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1935, S. 3. 122 Siehe dazu die nachstehenden Ausführungen zur Sonntagsarbeit.

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Nach Ausbruch des 2. Weltkrieges war die Nachfrage nach dem Textilrohstoff Rayon beträchtlich angestiegen und die Produktion in der Feldmühle seit längerer Zeit auf Vollbetrieb eingestellt. Durch die Generalmobilmachung der schweizerischen Armee im September 1939 und im Mai 1940 wurde dem Unternehmen fast die Hälfte der männlichen Belegschaft entzogen. Der Produktionsbetrieb konnte in den Kriegsjahren daher nur mit Mühe mit den noch verbliebenen Arbeitskräften und durch die Anstellung von mehr Frauen und Hilfskräften aufrechterhalten werden.123 Der grösste Teil der Arbeitslast ruhte nun auf den Frauen, die vermehrt auch in den chemischen Abteilungen und Spinnereien die Männerarbeit erledigten. Von den harten Arbeitsbedingungen, die während des 2. Weltkrieges in der Feldmühle herrschten, berichtet eine ehemalige Arbeiterin:

«Natürlich waren zu wenig Männer da. Sie waren ja im Aktivdienst. Und Krieg oder nicht, die Feldmühle lief 24 Stunden im Tag. Die Kunstseide war sogar noch stärker gefragt als vorher. Und die Spinnereien konnte man sowieso nicht abstellen. Also machten auch die Frauen die Arbeit dort. Alle zwei-drei Wochen hatte man den "Brüeli" von den Säuredämpfen. Das war wie Pfeffer in den Augen. Man konnte gerade noch heimrennen und zwei-drei Tage lang ins Dunkle und Umschläge mit rohen Kartoffeln und Milch machen. Schichtzulage war damals ein Fremdwort. Und übers Wochenende Extraschichten - 12-stündige. Dafür keine Verträge und die niedersten Löhne bald der ganzen Ostschweiz. Das alles wegen dem Krieg.»124

123 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1940, S. 1. 124 Film Feldmühle, S. 5f.

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Diagramm 3/1: Entwicklung des Personalbestandes nach ArbeiterInnen und Angestellten.125

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Personalbestand

ArbeiterInnen

Angestellte

Aus Diagramm 3/1 wird deutlich, dass eine enge Korrelation zwischen dem gesamten Personalbestand und der Anzahl der in der Feldmühle beschäftigten ArbeiterInnen bestand. Praktisch keinen Einfluss auf die Entwicklung des Per-sonalbestandes im Rorschacher Kunstseideunternehmen kam den Angestellten zu, deren Bestand während über 20 Jahren annähernd gleich blieb. Nach Kriegsende war der Personalbestand der Feldmühle wieder kontinuierlich angestiegen. Obwohl der Personalbestand auch in den 50er Jahren weiterhin zunahm, hatte das Unter-nehmen zunehmend Schwierigkeiten genügend Arbeitskräfte zu finden. Eine kurz-fristige Personalreduktion musste die Feldmühle bereits Ende der 50er Jahre vor-nehmen. Im Jahre 1962 hatte der Personalbestand mit 1'745 Personen, wovon 1'515 als ArbeiterInnen und 230 als Angestellte beschäftigt waren, einen Höchststand erreicht. Bereits zwei Jahre später herrschte dagegen ein regelrechter Personal-mangel. Auch die Zukunft brachte dem Unternehmen keine Entschärfung in Bezug auf den Arbeitskräftemangel. Hinzu kamen zudem Absatzprobleme in der Sparte Rayon und ein massiver Preiszerfall auf dem internationalen Märkten für Synthesefa-sern, die den gesamten Geschäftsgang der Feldmühle negativ beeinflussten. Nach

125 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1948-1969; vgl. Tabelle 8. Für die Jahre vor 1948 ist der Personalbestand nur lückenhaft dokumentiert.

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1965 sah sich das Rorschacher Kunstseideunternehmen veranlasst, den Personalbestand weiter zu reduzieren. 3.2 Die technisch-organisatorischen Rationalisierungsmassnahmen Für den wirtschaftlichen Erfolg einer Fabrikationsgesellschaft ist entscheidend, dass die Produktionskosten soweit gesenkt werden, dass die Rentabilität des Unternehmens gewährleistet ist. In der Kunstseidenindustrie wurde vor allem die technisch-organisatorische Rationalisierung innerhalb der Betriebe in starken Masse angewandt. Bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise von 1929 wurde in der schweizerischen Kunstseidenindustrie solchen Massnahmen noch kaum grosse Bedeutung beigemessen, da sich in jener Zeit immer noch beachtliche Gewinne erzielen liessen. Als anfangs der 30er Jahre durch ein Überangebot an Rayon auf den internationalen Märkten und damit verbunden ein Preissturz einsetzte, begannen auch in der schweizerischen Kunstseidenindustrie eine Zeit intensiver Durchrationalisierung der Kunstseidefabriken und ihres technischen Apparates. Neben einer starken Mechanisierung und Maschinisierung des Produkti-onsprozesses, Massnahmen zur Verbesserung der Qualität der Produkte, einer rationelleren Materialwirtschaft und der Beschleunigung der Arbeitsgeschwindigkeit wurden auch Massnahmen angestrebt, um eine erhöhte Produktionsleistung pro ArbeiterIn zu erzielen.126 Die nachstehende Tabelle verdeutlicht auf eindrucksvolle Weise diese Entwicklung für das Rorschacher Kunstseideunternehmen. Tabelle 3/2: Beschäftigte Personen nach ihrer Stellung im Betrieb in Relation zur Gesamtproduktion in den Jahren 1931, 1946 und 1961.127

Jahr Total Beschäftigte ArbeiterInnen Angestellte Gesamtproduktion128

1931 1'587 (100%) 1'495 (94%) 92 (6%) 1'272 Tonnen

1946 1'245 (100%) 1'073 (86%) 172 (14%) 3'365 Tonnen (+264%)

1961 1'612 (100%) 1'421 (87%) 206 (13%) 5'730 Tonnen (+170%)

Die Tabelle 3/2 ist in mancher Hinsicht aufschlussreich. Zum einen zeigt sie, dass es der Feldmühle von 1931 bis 1946 gelang, trotz reduzierter Anzahl der Be-schäftigten, eine Steigerung der Produktion von über 264% zu erzielen. Während die Anzahl der ArbeiterInnen in diesem Zeitraum um mehr als 400 Personen reduziert wurde, stieg dagegen der Anteil der Angestellten im Jahre 1946 auf 14% an. Weitere fünfzehn Jahre später waren wieder annähernd gleich viele ArbeitnehmerInnen in der Feldmühle beschäftigt, wie im Jahre 1931. Die Gesamtproduktion hatte sich von 1946 bis 1961 nochmals um 170% erhöht, wogegen sich das Verhältnis zwischen ArbeiterInnen und Angestellten kaum mehr veränderte hatte. Eine mehr als 4fache Steigerung der Produktion innerhalb von 30 Jahren, bei einer nahezu gleich bleibenden Anzahl von Arbeitskräften, bedingt neben einer intensiven

126 Vgl. Daetwiler 1952, S. 80-82. 127 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1931; 1946; 1961. 128 Für den Vergleich wurde die gesamte Jahresproduktion der Feldmühle in allen Sparten (Rayonerzeugung, Folienfabrikation und Bodanylherstellung) herangezogen.

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Durchrationalisierung des ganzen Betriebes und ihres technischen Apparates natürlich auch eine erhebliche Leistungssteigerung der ArbeiterInnen. 3.3 Die Gestaltung der Lohnbemessung und der Arbeitszeit Der Zeitlohn in der Form des Stundenlohnes war die am meisten angewandte Lohnform in der Kunstseidenindustrie. Das Arbeitstempo wurde weitgehend durch die Leistungsfähigkeit der Maschine und durch die Reaktionsgeschwindigkeit der chemischen Prozesse, kaum aber durch die menschliche Arbeitskraft, bestimmt. Um jedoch das Interesse der ArbeiterInnen an der Qualität der Produkte zu fördern, und um zu bewirken, dass Störungen im Ablauf des Produktionsprozesses möglichst schnell behoben werden konnten, wurde neben dem Zeitlohn auch der Prämienlohn, bzw. eine Verbindung von Zeit- und Prämienlohnsystem angewandt. Neben dieser Art der Lohnbemessung kam bei gewissen Arbeitsverrichtungen zudem der Stücklohn oder Akkordlohn zur Anwendung. Nach dem Akkordlohn wurden hauptsächlich ArbeiterInnen im textil-technischen Bereich und ebenfalls ein Teil der Sortiererei und der Packerei entlöhnt. Zudem fand der Akkordlohn auch bei gewissen Arbeiten in den Reparaturwerkstätten seine Anwendung.129 Im Folgenden sollen die Durchschnittsstundenlöhne, welche in der Feldmühle bezahlt wurden, mit den durchschnittlichen Stundenlöhnen der Textilindustrie und den übrigen Industrien miteinander verglichen werden. Tabelle 3/3: Durchschnittsstundenlöhne in der Feldmühle, Textilindustrie und Industrie allgemein in Franken im Jahr 1931.130

Kategorie Feldmühle Textilindustrie Industrie allgemein

Arbeiter (gelernte/angelernte)

1.39 1.26 1.51

Hilfsarbeiter 1.17 1.10 1.16

Arbeiterinnen 0.62 0.79 0.78

Wie Tabelle 3/3 zeigt, bewegten sich 1931 die Durchschnittsstundenlöhne (ohne Prämien und Sozialzulagen) in der Feldmühle für die männlichen Arbeitskräfte leicht über dem Durchschnitt der schweizerischen Textilindustrie. Allgemein höhere Stundenlöhne für die Arbeit der Männer wurde in den übrigen schweizerischen Industriezweigen (Maschinenindustrie, etc.) bezahlt. Ein verhältnismässig gutes Einkommen hatten die Feldmühle-Hilfsarbeiter, deren Durchschnittsstundenlöhne jenen der übrigen Industrien entsprachen. Deutlich niedrigere Stundenlöhne bezahlte die Feldmühle hingegen ihren weiblichen Arbeitskräften, deren Zeitlohn weit unter

129 Allgemein zum Wandel des Akkordsystems siehe: Jaun 1986, Management und Arbeiterschaft, S. 254-271. Für die speziellen Verhältnisse in der Kunstseidenindustrie siehe: Daetwiler 1952, S. 70-74. Besonders in der Sortierei und Packerei bestand lange Zeit infolge des Fehlens von Arbeitsmaschinen die Möglichkeit, die Produktivität der menschlichen Arbeitskraft mittels Anwendung des Leistungslohns zu erhöhen. 130 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1931; Stat. Jb., 1931: Löhne verunfallter Arbeiter. Für die Beurteilung der Lohnentwicklung muss berücksichtigt werden, dass es sich bei den folgenden Daten um Jahresdurchschnittszahlen handelt, die je nach Branche, Betrieb und Arbeit nach oben oder unten variieren konnten.

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dem Durchschnitt der übrigen Industrien lag. Die deutlich höhere Lohnbemessung für die männlichen Arbeitskräfte wurde von der Firmenleitung der Feldmühle damit begründet, dass die Männer hauptsächlich in den chemischen Abteilungen beschäftigt und daher auch grösseren gesundheitlichen Schäden unterworfen seien. Im Vergleich zu den anderen in der Ostschweiz angesiedelten Kunstseideunternehmen (Société de la Viscose Suisse SA, Heerbrugg-Widnau, Steckborn-Kunstseide AG, Steckborn) bezahlte die Rorschacher Kunstseidefabrik in allen Kategorien rund 10% tiefere Durchschnittsstundenlöhne. Die ungleiche Lohnbemessung innerhalb der schweizerischen Kunstseidenindustrie und das Bestreben der Geschäftsleitung die Lohnkosten möglichst tief zu halten, führte in der Feldmühle immer wieder zu Lohnkonflikten, bei denen die ArbeiterInnen um eine Verbesserung ihrer durchschnittlichen Stundenlöhne kämpften.131 Die Gestaltung der Arbeitszeit war ein weiteres wichtiges Kriterium, um den Lei-stungsertrag der ArbeiterInnen zu steigern und damit die Arbeitskosten zu reduzie-ren. Weil der Fabrikationsprozess, zumindest im chemischen Teil, nicht unterbro-chen werden konnte, war es notwendig, dass dieser Bereich einer Kunstseidefabrik durchgehend, d.h. Tag und Nacht in Betrieb ist. Obwohl die Schichtarbeit in der ostschweizerischen Industrie keine aussergewöhnliche Erscheinung darstellte,132 war sie gerade in der Kunstseidenindustrie eine unvermeidliche Notwendigkeit. Die zunehmende Rationalisierung des Produktionsprozesses führte auch in den textilen Abteilungen immer mehr zu einer Art Fliessprozess, der bis zum verkaufsfertigen Produkt reichte. Auch diese Abteilungen eines Kunstseideunternehmens arbeiteten daher zeitweise im Schichtbetrieb. Nur die Abteilungen für die Ver-kaufsaufmachungen sowie Verpackung, Spedition, Reparaturwerkstätten, Labora-torium und Büros arbeiteten noch im normalen durchschnittlichen 8-stündigen Ta-gesbetrieb. In den chemischen Abteilungen der Feldmühle arbeiteten die Arbeite-rInnen im Dreischichtenbetrieb 8 Stunden, wogegen in den textilen Abteilungen im Zweischichtenbetrieb 8 1/2 Stunden gearbeitet wurde. In diesen Berechnungen war jedoch die Zeit für die Zwischenverpflegung nicht miteingerechnet. Die in der Schichtarbeit beschäftigten Arbeitskräfte erhielten Zuschläge auf den Gesamtlohn, die in ihrer Höhe je nach Tag- und Nachtschicht, Abteilung, Stellung im Betrieb, Alter und Geschlecht variierten. Auch die Schichtarbeit an den Feiertagen und Sonntagen wurde in der Feldmühle mit speziellen prozentualen Lohnzuschlägen entschädigt.133 Schon im Vorfeld zur Einführung der Sonntagsarbeit hatten sich die Vertreter der Gewerkschaften ausführlich mit dem Thema auseinandergesetzt und dabei auf die negativen gesundheitlichen Auswirkungen aufmerksam gemacht, welche die Arbeit am Sonntag auf die betroffenen ArbeiterInnen habe. Widerstand gegen die Einfüh-rung der Sonntagsarbeit kam zudem von kirchlicher Seite. Insbesondere die Evan-gelische Landeskirche des Kantons St.Gallen lehnte die Arbeit an Sonntagen ve-hement ab, da sie neben den gesundheitlichen Schäden auch negative sozialen Auswirkungen befürchtete.134 Trotz kirchlicher Unterstützung war es den Gewerk-

131 Vgl. StASG, R 109 B1, Prot. EASG, 2. Dezember 1925; 15. Juli 1927; 11. September 1929; 24. Februar 1931; 20. Mai 1935; 10. November 1937. 132 Siehe: FIB, IV. Arbeitszeit, Aarau 1946, S. 160. 133 Vgl. Daetwiler 1952, S. 72f. 134 Ebd., S. 124.

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schaften jedoch nicht gelungen, die Einführung der Sonntagsarbeit in der Kunst-seidenindustrie zu verhindern. Der durchgehende Betrieb auch sonntags wurde von den Kunstseidefabrikanten als absolut notwendig erachtet, weil sie sich dadurch eine Rationalisierung des Fabrikationsprozesses und eine Verbesserung der Qualität erhofften. Im Jahre 1934 wurde daher nicht nur in der Feldmühle, sondern in allen Kunstseideunternehmen der Schweiz die Sonntagsarbeit eingeführt.135 Die Sonntagsarbeit im Rorschacher Kunstseideunternehmen war in zwei Schichten zu je 12 Stunden eingeteilt. Dabei wurde der durchgehende Fabrikationsbetrieb an Sonntagen jedoch nur in den chemischen Abteilungen und in den Spinnereien aufrechterhalten, während in den textilen Abteilungen die Arbeit ruhte. Als eine befristete und «krisenbedingte» Massnahme im Jahre 1934 eingeführt, wurde die Sonntagsarbeit in der schweizerischen Kunstseidenindustrie auch in den folgenden Jahrzehnten beibehalten. Die Frage der Sonntagsarbeit bildete daher auch in der Feldmühle immer wiederkehrend Anlass zu Arbeitskonflikten.136 Wie sehr umstritten die Sonntagsarbeit damals war, zeigt auch folgendes Beispiel. Auf eine kleine Anfrage von Nationalrat Müller aus St.Gallen betreffend der Sonntagsarbeit in der Kunstseidenindustrie hatte der Bundesrat am 8. März 1937 folgendes geantwortet:

«Der Bundesrat und seine Organe haben schon zu wiederholten Malen münd-lich und schriftlich auseinandergesetzt, dass die für den ununterbrochenen Betrieb in den Spinnereiabteilungen in der Kunstseidenindustrie, übrigens als befristete Massnahme, erteilten Bewilligungen (Sonntagsarbeit) mit dem Fabrikgesetz durchaus im Einklang stehen. Er kann diese Auffassung nur bestätigen. Der Bundesrat konnte dem Postulat des Verzichts auf die in Frage stehenden Bewilligungen bisher nicht entsprechen, weil die Interessen des Arbeitsmarktes und der Erhaltung der Arbeitsgelegenheit für Hunderte von Arbeitern es nicht zuliessen.»137

135 Ebd., S. 73. 136 Siehe hierzu den Teil 3: Der Feldmühlestreik von 1946. 137 Zitiert nach: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 416, 9. März 1937.

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3.4 Ein Überblick zu den Arbeitskonflikten vor dem 2. Weltkrieg Bereits im Oktober 1925 war es im Rorschacher Kunstseideunternehmen zu einer heftigen Auseinandersetzung um bessere Arbeitsbedingungen zwischen der Be-legschaft und der Firmenleitung gekommen. Die Forderungen der ArbeiterInnen, die durch die Vertreter der Gewerkschaften vor dem Einigungsamt des Kantons St.Gallen vorgetragen wurden, zielten im Wesentlichen auf eine generelle Erhöhung der Stundenlöhne um 20 Rappen, die Umwandlung der Zulagen in festen Lohn, die Abschaffung des Bussenwesens, die kostenlose Abgabe von Arbeitskleidern und die Bezahlung von 8 1/2 Stunden im Zweischichtenbetrieb.138 Auch in den folgenden Jahren war es in der Feldmühle immer wieder zu Konflikten gekommen, welche die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zum Ziel hatten.139 Zu einem grösseren Arbeitskonflikt kam es im Jahre 1931, als die Geschäftslei-tung einen generellen Lohnabbau von 10% für die gesamte Belegschaft verfügt hatte. Da sich die Direktion geweigert hatte mit den Vertretern der Gewerkschaften über den Lohnabbau zu verhandeln, löste der Schweizerische Textilarbeiterverband (STAV) im Juni 1931 einem Teilarbeitsstreik aus. Der ausgebrochene Lohnkonflikt hatte sich noch weiter zugespitzt, als ein Vermittlungsvorschlag des Einigungsamtes von den streitenden Parteien abgelehnt wurde und die Geschäftsleitung zudem Streikbrecher eingesetzt hatte. Seitens der streikenden ArbeiterInnen kam es zu Massenansammlungen und Demonstrationszügen, sowie zu Sabotageakten und handgreiflichen Auseinandersetzung mit den Streikbrechern. Auf der Gegenseite drohte die Geschäftsleitung mit der Schliessung des Betriebes und suchte um Polizeischutz nach für die noch verbliebenen «arbeitswilligen» Arbeitskräfte. Der Streik von 1931 endete mit einer deutlichen Niederlage für die betroffene ArbeiterInnen, wobei die Lohnkürzung von der Geschäftsleitung der Feldmühle unerbittlich durchgesetzt wurde.140 Die geplante Einführung der Sonntagsarbeit im Juni 1933 hatte im Rorschacher Kunstseideunternehmen bereits kurze Zeit nach deren Bekanntmachung grossen Widerstand bei den betroffenen ArbeiterInnen ausgelöst. Seitens der Geschäftslei-tung wurde die Einführung der Sonntagsarbeit mit der schlechten wirtschaftlichen Lage begründet, die derzeit auf den ausländischen und einheimischen Märkten für Rayonerzeugnisse vorherrsche. Zudem wurde den Arbeitern versichert, dass es sich hierbei nur um eine befristete Massnahme handle. Weil die dafür notwendige Bewilligung vom Bundesamt für Industrie und Arbeit (BIGA) ausdrücklich die Zu-stimmung der ArbeiterInnen erforderte, hatte die Firma vorsorglich eine etwas fragwürdige Erhebung bei den von der Sonntagsarbeit betroffenen ArbeiterInnen durchgeführt. Bei dieser als Aufklärung getarnten individuellen Befragung liess die Geschäftsleitung der Feldmühle durchblicken, dass Entlassungen bei einer Ab-lehnung der Sonntagsarbeit nicht auszuschliessen seien. Nachdem das BIGA dem Rorschacher Kunstseideunternehmen im Dezember 1933 definitiv eine befristete Bewilligung zur Einführung der Sonntagsarbeit erteilt hatte, kam es seitens der Gewerkschaften zu einem Klagebegehren vor dem Einigungsamt des Kantons

138 StASG, R 109 B1, Prot. EASG, 2. Dezember 1925. 139 Vgl. StASG, R 109 B1, Prot. EASG, 15. Juli 1927; 9. August 1927; 11. September 1929; 20. August 1930; 30. August 1930. 140 Zum Teilarbeitsstreik von 1931 siehe: StASG, R 109 B1, Prot. EASG, 24. Februar 1931; 12. Juni 1931; 25. Juni 1931; 26. Juni 1931; Kobelt 1983, Das Streikverhalten der Ostschweizer Arbeiter 1927-1950, S. 464-470.

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St.Gallen. An der Einigungsverhandlung forderten die Gewerkschaftsvertreter von der Geschäftsleitung einen schriftlichen Kündigungsschutz für jene ArbeiterInnen, die nicht gewillt seien, Sonntagsarbeit zu leisten. Zudem wurde verlangt, dass die betroffenen ArbeiterInnen einen 100% Lohnzuschlag als Entschädigung für die Sonntagsarbeit erhalten sollten. Die Vertreter der Firma dagegen wollten den Ar-beitskräften nur eine Zuschlag von 25% gewähren. Ausserdem drohte die Ge-schäftsleitung mit der Schliessung des Betriebes, falls weitere Massnahmen die Einführung der Sonntagsarbeit verzögern würden. Das Klagebegehren endete schliesslich mit einem Vermittlungsvorschlag des Einigungsamtes, das den Arbei-terInnen vorschlug sich im Interesse des Unternehmens der Sonntagsarbeit zu unterziehen. Der Geschäftsleitung unterbreitete das Einigungsamt den Vorschlag, den ArbeiterInnen einen Lohnzuschlag von 50% zu bezahlen und die Sonntagsarbeit wieder einzustellen, sobald dies die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens zulassen würden.141 Wie sich die Sonntagsarbeit in der Feldmühle konkret auf die ArbeiterInnen ausgewirkt hatte, vermittelt die folgende Schilderung eines ehemaligen Schichtarbeiters:

«Da wird nun seit zehn Jahren jeden vierten Sonntag, es waren aber auch schon fünf, abgestellt. In diesen vier Wochen hat nun ein Arbeiter an einem Sonntag zwölf Stunden, von morgens 6 Uhr bis abends 6 Uhr zu arbeiten; am zweiten Sonntag von Sonntagabend 6 Uhr bis Montagmorgen 6 Uhr; am dritten Sonntag kommt er um 6 Uhr morgens aus der Nachschicht und muss gezwungenermassen bis am Sonntagmittag schlafen, um am Montagmorgen um 6 Uhr, nach dem Abstellsonntag um 5 Uhr (ohne Bewilligung) wieder mit seiner Arbeit zu beginnen. Erst am vierten Sonntag hat er frei.»142

Betreffend der Arbeitsverhältnisse im Rorschacher Kunstseideunternehmen lassen sich kurz zusammengefasst folgende Ergebnisse feststellen: Weil die Arbeitskosten in der Kunstseidenindustrie - wie allgemein in der schweizerischen Industrie - im Ver-hältnis zu den Produktionskosten relativ hoch waren, war die Geschäftsleitung der Feldmühle stets bestrebt, diesen Ausgabenposten auf ein Minimum zu reduzieren. Die beiden wichtigsten Faktoren, um einerseits die Arbeitskosten zu senken und andererseits den Leistungswillen der ArbeitnehmerInnen zu beeinflussen mit dem Ziel, deren Leistungsertrag zu steigern, waren vor allem die Gestaltung der Lohn-bemessung und der Arbeitszeit. Ähnlich einem Stimmungsbarometer zeugen die Protokolle des kantonalen Einigungsamtes vom teilweisen gespannten Arbeits-verhältnis, das in der Feldmühle zwischen Arbeitgeberin und ArbeitnehmerInnen vor dem 2. Weltkrieg geherrscht hatte. Während in den 20er Jahren vorwiegend um die Erhöhung der durchschnittlichen Stundenlöhne gekämpft wurde, waren die 30er Jahre geprägt durch zwei grössere Auseinandersetzungen. Die Ursachen für diese beiden Arbeitskonflikte waren ein verfügter Lohnabbau von 10% und die Einführung der Sonntagsarbeit.

141 Vgl. StASG, R 109 B1, Prot. EASG, 12. Januar 1934, S. 123-131. 142 Volksstimme, Nr. 265, 12. November 1946.

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4 Ausländische Arbeitskräfte 4.1 Der Arbeitskräftemangel und die Anwerbung von Italienerinnen Weil auf dem Schweizer Arbeitsmarkt nicht zu allen Zeiten genügend einheimische ArbeiterInnen gefunden werden konnten, beschäftigte die Feldmühle stets auch eine Anzahl ausländischer Arbeitskräfte. Bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges arbeiteten regelmässig Grenzgängerinnen aus dem benachbarten Vorarlberg im Rorschacher Kunstseideunternehmen, was besonders während den Krisenzeiten immer wieder zu heftiger Kritik seitens der Gewerkschaften geführt hatte.143 Nach dem 2. Weltkrieg wurden vermehrt auch italienische Arbeitskräfte in der Feldmühle beschäftigt, die sich mit den nicht gerade günstigen Arbeitsbedingungen oftmals besser abfanden als die einheimischen ArbeiterInnen. Die Nachkriegszeit hatte der Schweizer Textilindustrie anstelle der befürchteten Krise eine ausgesprochene Hochkonjunktur gebracht. Die Absatzverhältnisse ge-stalteten sich äusserst günstig, da sowohl im Inland als auch im Ausland ein grosser Nachholbedarf nach Textilwaren bestand. Begünstigt wurde diese Entwicklung dadurch, dass die Schweiz in der Nachkriegszeit, im Gegensatz zu den meisten umliegenden Staaten, auf einen intakten Produktionsapparat zurückgreifen konnte.144 Der Übergang von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft schien sich ohne nennenswerte Störungen des Arbeitsmarktes zu vollziehen, weil die aus dem Aktivdienst entlassenen Wehrmänner ohne Mühe in die florierende Wirtschaft inte-griert werden konnten.145 War somit die Gefahr der Nachkriegsarbeitslosigkeit ge-bannt, so tauchte schon bald ein entgegengesetztes Problem auf, nämlich die Überbeschäftigung begleitet durch einem Mangel an Arbeitskräften. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hatte sich derart verschärft, dass unmittelbar nach Kriegsende in der Textilindustrie rund 10'000 zusätzliche Arbeitskräfte fehlten, um den Anforde-rungen der Wirtschaft gerecht zu werden.146 Neben diesem konjunkturell bedingten Mangel an Arbeitskräften, hatte die Textilindustrie nach dem 2. Weltkrieg vermehrt auch unter einem strukturellen Arbeitskräftemangel zu leiden. Zunehmend machte

143 Vgl. StASG, R 109 B1, Prot. EASG, 26. Januar 1933, S. 18-23. Die Gewerkschaftsvertreter forderten von der Feldmühledirektion, dass mit der «Grenzgängerei» endlich Schluss gemacht werden solle, solange in der Umgebung ansässige Arbeitswillige ohne Beschäftigung seien. Weiter klagten die Vertreter der Arbeitnehmerverbände, dass die ArbeiterInnen den Verdacht nicht los würden, dass die Firma AusländerInnen hereinnehme, um die Löhne zu drücken. 144 Vgl. Bodmer 1960, S. 486f.; Riedo 1976, Das Problem der ausländischen Arbeitskräfte in der schweizerischen Gewerkschaftspolitik, S. 20. 145 Niederberger 1982, Die politisch-administrative Regelung von Einwanderung und Aufenthalt von Ausländern in der Schweiz, S. 32. Der bereits 1945 einsetzende Konjunkturaufschwung wurde in vielen Wirtschaftskreisen als eine kurzfristige Entwicklung beurteilt. Mehrere Stimmen warnten davor, dass nach dem Aufschwung mit Sicherheit eine umso heftigere Depression eintreten würde. 146 Nach Gerlach 1995, Ideologie und Organisation, S. 357, klagten gemäss Umfragen des VATI (Verband der Arbeitgeber der Textilindustrie) im zweiten Quartal 1944 rund 36 % der Mitgliedfirmen über Arbeitermangel, ein Jahr später bereits 54 % und im zweiten Quartal 1946 schon 70 % der VATI-Mitglieder. Anfang 1945 meldeten 134 VATI-Mitglieder (bei einem Mitgliederbestand von 230 Betrieben) einen gegenwärtigen Bedarf von 2'000 Arbeitskräften an. Nach der Erhebung des VATI wären für die volle Ausnützung der bestehenden Betriebskapazitäten rund 10'000 zusätzliche Arbeitskräfte erforderlich gewesen.

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sich hier der Trend bemerkbar, dass immer mehr ArbeiterInnen aus der Textilin-dustrie in andere Branchen abwanderten. Die Textilunternehmer glaubten, dass dieses Problem nur durch die Zulassung von ausländischen Arbeitskräften - ge-sprochen wurde im allgemeinen von «Fremdarbeiterinnen» und «Fremdarbeitern» - wirksam gelöst werden könne. Bereits im Sommer 1945 wandten sich einzelne Textilunternehmen mit entsprechenden Gesuchen an die Behörden, wobei es zunächst vor allem um die Zulassung von Grenzgängerinnen aus Deutschland und Österreich ging, während von italienischen Arbeitskräften erst andeutungsweise die Rede war.147 Ähnliche Verhältnisse, wie sie für die gesamte Textilindustrie dargestellt wurden, herrschten unmittelbar nach Kriegsende auch in der Feldmühle. Die Nachfrage nach dem Textilrohstoff Rayon war nach dem 2. Weltkrieg wiederum stark angestiegen, so dass das Rorschacher Kunstseideunternehmen im ersten Nachkriegsjahr auf einen befriedigenden Absatz zurückblicken konnte.148 Neben der Knappheit an Rohstoffen und gewissen Hilfs- und Betriebsmaterialien, die zur Rayonerzeugung notwendig waren, sah sich auch die Feldmühle zunehmend mit dem Problem des Mangels an Arbeitskräften konfrontiert:

«Als Übergang in die Friedenswirtschaft ist es, soweit die Feldmühle in Be-tracht kommt, gekennzeichnet durch eine weiterhin anhaltende Konjunktur in der Kunstseidenindustrie, die indessen infolge des allgemeinen Mangels an Arbeitskräften und zum Teil an Rohstoffen und Hilfsmaterialien nicht voll ausgenutzt werden konnte. Es bedurfte ausserordentlicher Anstrengungen, um mit dem zur Verfügung stehenden Personal den Vollbetrieb in der Kunst-seidefabrikationsanlage im grossen und ganzen aufrecht zu erhalten [...].»149

Mehrere Gründe dürften für den Arbeitskräftemangel in Bezug auf die Feldmühle von Bedeutung gewesen sein. Neben dem bereits erwähnten konjunkturellen Aspekt hatten sich vermutlich auch die strukturellen Einflüsse verstärkt negativ auf die Arbeitsmarktlage im Rorschacher Kunstseideunternehmen ausgewirkt. Erinnern wir uns an die teilweise prekären Arbeitsverhältnisse, denen die ArbeiterInnen der Feldmühle während des 2. Weltkrieges ausgesetzt waren, so dürften mehrere Arbeitskräfte nach dem Krieg in andere Branchen abgewandert sein. Zudem waren insbesondere die Arbeiterinnen, welche die Mehrheit der Beschäftigten in der Feldmühle stellten, auf dem einheimischen Arbeitsmarkt immer schwerer zu finden.150 Auch die Feldmühle glaubte, den Mangel an einheimischen Arbeitskräften durch die Anwerbung von ausländischen ArbeiterInnen kompensieren zu können. Bereits im ersten Nachkriegsjahr wandte sich daher die Geschäftsleitung der Feldmühle mit einem Gesuch an die Behörden, um die Einreise einer ausreichenden Anzahl weiblicher Arbeitskräfte aus dem benachbarten Vorarlberg und aus Italien zu erwirken.151

147 Gerlach 1995, S. 363. 148 Siehe Kapitel 2.3: Absatzverhältnisse. 149 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1946, S. 1. 150 Boscardin 1962, Die italienische Einwanderung in die Schweiz, S. 33, spricht in diesem Zusammenhang von einem «strukturellen Arbeiterinnenmangel» in der Textilindustrie, wobei er als mögliche Ursache einen jahrelangen Geburtenrückgang angibt. Nicht ohne Einfluss dürfte wohl auch gewesen sein, dass durch die Zunahme von Heiraten nach dem 2. Weltkrieg eine grössere Anzahl von weiblichen Arbeitskräfte allmählich vom Schweizer Arbeitsmarkt verschwanden. 151 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1946, S. 2.

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Grundsätzlich waren für Bewilligungen von GrenzgängerInnen die Kantone zu-ständig, für die Einreise- und Arbeitserlaubnis der übrigen ausländischen Arbeits-kräfte dagegen der Bund, wobei diese Gesuche jeweils zuerst von den Kantonen bearbeitet wurden. Auf beiden Ebenen waren zudem die eidgenössische bzw. die kantonale Fremdenpolizei sowie das BIGA bzw. die kantonalen Arbeits- und Sozi-alversicherungsämter beteiligt.152 Für die Erteilung der Aufenthalts- und Niederlas-sungsbewilligung der italienischen Arbeitskräfte kam das eidgenössische Frem-dengesetz vom 23. März 1931 (ANAG) zur Anwendung.153 Die Aufenthaltsbewilli-gung zu Arbeitszwecken wurde generell auf Widerruf gewährt und war für Saison-arbeiterInnen auf drei Monate und bei den übrigen Arbeitskräften auf sechs Monate befristet. Ausserdem bestand die Möglichkeit, den Aufenthalt um jeweils drei weitere Monate zu verlängern, bevor die ausländischen Arbeitskräfte wieder ausreisen mussten.154 In der Textilindustrie wurden immer mehr auch so genannte Ganzjah-resarbeitskräfte beschäftigt, weil dort die Arbeitsprozesse notgedrungen einen Ganzjahreszyklus aufwiesen und dadurch die Möglichkeit zu einem langen unun-terbrochenen Aufenthalt bestand. Die in dieser Kategorie erteilten Aufenthaltsbe-willigungen waren auf sechs Monate befristet, wurden jedoch in der Regel immer wieder verlängert.155 Im folgenden soll am Beispiel der Feldmühle der Ablauf des Dienstweges dar-gestellt werden, der für die Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung für italienische Arbeitskräfte im Jahre 1946 erforderlich gewesen war. Nachdem der Regierungsrat des Kantons St.Gallen auf Ersuchen der Feldmühle dem Unter-nehmen die Einreisebewilligung für 155 italienische Arbeiterinnen erteilt hatte, wandte sich das kantonale Arbeits- und Sozialversicherungsamt mit einem Schreiben an den Stadtrat, um eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung in der Stadt Rorschach zu erwirken. Die Rorschacher Behörde erteilte daraufhin der Feldmühle eine provisorische Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung für die italienischen Arbeitskräfte unter dem nachstehendem Vorbehalt:

«Für die Unterkunft und Verpflegung sorgt die Arbeitgeberin. Sofern die Arbeit-geberin auch im Krankheitsfalle für die vollen Kosten (für Arbeitslohn, Wartung und Pflege unbeschränkt, Heimschaffung im kranken Zustande) aufkommt und andererseits die Rückreise in den Heimatstaat gesichert ist, wird die Arbeitsaufnahme in Rorschach nichts entgegenhalten.»156

Die von der Stadtregierung geforderte Garantieerklärung bezweckte im Wesentli-chen, dass die Existenzsicherung der italienischen Arbeiterinnen auch für den Fall der Arbeitslosigkeit gewährleistet war, damit keinerlei Lasten für die Stadt anfallen würden. Nachdem das Rorschacher Unternehmen schriftlich die Einhaltung dieser Bestimmung zugesichert hatte, wurde ihm nun definitiv die Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung für die italienischen Arbeitskräfte erteilt. Zu erwähnen bleibt, dass das ganze Bewilligungsverfahren sich über mehrere Monate hinweg erstreckt hatte.

152 Nähere Auskünfte zur Festsetzung der Bedingungen für die Zulassung von ausländischen Arbeitskräften bei: Gerlach 1995, S. 368-376. 153 Niederberger 1982, S. 27f. Das ANAG (Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern), welches am 1. Januar 1934 in Kraft trat, stellt mit den Änderungen von 1948 bis heute die gesetzliche Grundlage der Ausländerpolitik dar. 154 Boscardin 1962, S. 49. Mit der Unterbrechung des Aufenthaltes verloren die italienischen Arbeitskräfte das Recht auf dauernde Niederlassung in der Schweiz, konnten aber wenigstens so einige Monate im Kreise ihrer Familien verbringen. 155 Boscardin 1962, S. 148f. 156 SA Rorschach, Prot. Stadtrat, Trakt. 165, 22. August 1946.

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Für die Feldmühle stellte sich nun die Aufgabe, in möglichst kurzer Zeit genügend Unterkünfte für die italienischen Arbeiterinnen zur Verfügung zu stellen. Auch hierfür fand das Unternehmen eine schnelle und zudem kostengünstige Lösung, indem Armeebaracken als Unterkünfte für die italienischen Arbeiterinnen zur Aufstellung kamen. Das spätere «Mädchenheim», welches unter der Obhut von Ordensschwestern stand, enthielt je Armeebaracke neben den nötigsten sanitarischen Einrichtungen einen Schlafsaal und Essraum, der den Italienerinnen zugleich als Aufenthaltsraum diente. Bereits zuvor hatte die Feldmühle im Hinblick auf mögliche Schwierigkeiten in der Wohnraumbeschaffung den Bau von drei Wohnblöcken in Auftrag gegeben, die jedoch vorwiegend für die einheimischen Arbeitskräfte bestimmt waren. Vorsorglich wurde nun zudem ein grösseres Grundstück erworben, um bei Bedarf die Erstellung von weiteren Wohnbauten sofort realisieren zu können.157 Da nun alle Formalitäten und Vorbereitungen erledigt waren, konnte das Rorschacher Kunstseideunternehmen mit der Anwerbung und Rekrutierung der italienischen Arbeitskräfte beginnen. Die erste Phase der Anwerbung von italienischen Arbeitskräften in der schwei-zerischen Textilindustrie der Nachkriegszeit war vor allem durch private Anwer-beaktionen gekennzeichnet. Einige Textilunternehmen hatten hierzu ihre Agenten in Italien mit der Auswahl und Anwerbung der Arbeitskräfte beauftragt, andere wie-derum liessen sie durch ihre Zweigniederlassungen oder von befreundeten ita-lienischen Handelspartnern durchführen. Auch kam es immer wieder vor, dass ein italienischer Unternehmer einen Teil seiner arbeitslosen Belegschaft seinem Ge-schäftspartner in der Schweiz überliess. Zunehmend wurde die Rekrutierung von italienischen Arbeitskräften durch die zwischen Italien und der Schweiz abge-schlossene Einwanderungsvereinbarung von 1948,158 sowie durch die Vermittlung des reorganisierten italienischen Verwaltungsapparates bestimmt.159 Seit 1950 unternahm die italienische Botschaft in Bern selber Massnahmen, um italienische Arbeitskräfte in die Schweiz zu vermitteln, so dass die schweizerischen Textilunter-nehmer von 1950 bis 1955 gezwungen waren, ca. 50 % der italienischen Arbeite-rInnen von der italienischen Arbeitsvermittlung zu übernehmen. Bereits nach 1955 verzichteten jedoch die italienischen Behörden wieder auf solche Interventionen.160 Die Feldmühle rekrutierte ihre italienischen Arbeitskräfte oft auf die Weise, dass sich die Direktion direkt mit den kirchlichen Behörden in Italien in Verbindung setzte, die ihr bei der Suche nach vorwiegend jungen und weiblichen Arbeitskräften behilflich waren. Auf seinen Geschäftsreisen nach Italien musste der damalige Di-rektor, Theodor Grauer, jedoch dem italienischen Bischof und den Eltern der meist erst 17 bis 20-jährigen Mädchen versprechen, für die Sicherheit und die pastorale Betreuung der Arbeiterinnen in der Schweiz zu sorgen. Die italienischen Arbeits-

157 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1947, S. 3. 158 Die staatsvertragliche Vereinbarung vom 22. Juni 1948 formulierte die wesentlichen Rahmenbedingungen der Einwanderung, wie z.B. Anwerbungspraxis, Arbeitsvertrag, Aufenthaltsdauer, Familiennachzug, Versicherungsfragen usw. 159 Vgl. Haug 1980, Ausländerpolitik und Fremdarbeit in der Schweiz, S. 49. Nach Boscardin 1962, S. 40, wäre es unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg für die italienischen Instanzen praktisch unmöglich gewesen, die von der Schweiz geforderten Arbeitskräfte selbst anzuwerben. Weil nahezu der gesamte italienische Verwaltungsapparat nach Kriegsende zusammengebrochen und desorganisiert war, hatten die schweizerischen Behörden beschlossen, den Arbeitgeberorganisationen zu erlauben, sich die benötigten Arbeitskräfte in Italien selbst auszusuchen. 160 Vgl. Boscardin 1962, S. 46f.

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kräfte der Feldmühle stammten weitgehend aus verarmten Gemeinden, die nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr genügend Arbeit für ihre Bevölkerung anbieten konnten. Feldmühledirektor Grauer hatte daher nie grosse Mühe genügend Arbeitswillige zu finden, die bereit waren für einige Jahre in der Schweiz zu arbeiten. Um die Suche nach den Arbeitskräften zu beschleunigen, wurden möglichst viele Arbeiterinnen aus derselben Gemeinde rekrutiert, so dass beispielsweise praktisch alle noch unver-heirateten und arbeitsfähigen Frauen aus dem Dorf San Pedro Musolino im Ror-schacher Kunstseideunternehmen Arbeit gefunden hatten. Nach einer gewissen Zeit kehrten die Arbeiterinnen dann wieder in ihre Heimat zurück, um dort mit ihren Ersparnissen zumeist einen eigenen Hausstand zu gründen.161 4.2 Das Ende der «Rotationstheorie» und die Niederlassungsfrage In den 50er Jahren war den ausländischen Arbeitskräften in der Schweiz die Funk-tion eines «Konjunkturpuffers» zugedacht. Die «Puffer»-Theorie sah vor, dass die AusländerInnen bereits bei den ersten Anzeichen eines Rückgangs der Wirt-schaftslage wieder hätten ausreisen müssen, um die Vollbeschäftigung der schweizerischen ArbeitnehmerInnen zu sichern.162 Dieses ökonomische Konzept fand seine Ergänzung in einer Theorie über das Verhalten der Einwanderer, der so genannten «Rotationstheorie». Das Prinzip der «Rotation» beruhte vor allem auf der Annahme, dass sich das Aufenthaltsinteresse der AusländerInnen in der Regel auf eine kurze Zeitspanne, etwa zwei bis drei Jahre umfassend, erstrecken würde. Dieses kurzfristige Interesse würde den Bestand an ausländischen Arbeitskräften - so die Annahme - von selber in «Rotation» halten und auf alle Fälle verhindern, dass die AusländerInnen sich für immer in der Schweiz niederlassen würden.163 Auch für die Feldmühledirektion schien es zunächst selbstverständlich, dass der Zuzug der italienischen Arbeitskräfte nur kurzfristigen Charakter haben würde. Die Zahl der so genannten «FremdarbeiterInnen» wurden je nach Wirtschaftslage den ökonomischen Bedingungen angepasst. Weil die Anstellung der 155 italienischen Arbeiterinnen im Jahre 1946 nur vorübergehend eine Entspannung in Bezug auf den Arbeitskräftemangel gebracht hatten, mussten bereits 1948 weitere 111 italienische ArbeitnehmerInnen eingestellt werden.164 Dagegen wurden - aus nicht klar ersichtlichen Gründen - im nächsten Jahr alle männlichen italienischen Arbeitskräfte durch Schweizer ersetzt.165 Die Anstellung oder Entlassung der italienischen Arbeitskräfte erfolgte in der Regel in Gruppen, wobei in erster Linie bei Neuanstellungen immer wieder zuerst diejenigen Arbeitskräfte angefragt wurden, die bereits einmal in der Feldmühle tätig gewesen waren. In einem zweiten Schritt gelangte das Rorschacher Unternehmen an die von diesen empfohlenen Freun-dinnen, Bekannten oder Verwandten, bevor in einer dritten Phase weitere Arbeits-

161 Vgl. Film Feldmühle, S. 8: Interview mit Schwester Elsbeth über die italienischen Arbeiterinnen in der Feldmühle. 162 Braun 1970, Sozio-kulturelle Probleme der Eingliederung italienischer Arbeitskräfte in der Schweiz, S. 17, spricht in diesem Zusammenhang von einem «Krisenpuffer», wobei das Ausländerkontingent von seinem Rechtsstatus her möglichst leicht manipulier- und abstossbar sein und bleiben sollte. 163 Vgl. Niederberger 1982, S. 33f. 164 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1948, S. 2. 165 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1950, S. 2.

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kräfte aus Italien rekrutiert wurden. Der günstige Konjunkturverlauf und die anhal-tenden Probleme bei der Beschaffung von einheimischen Arbeitskräften hatten im Rorschacher Kunstseideunternehmen zunehmend den Ausbau der ausländischen Belegschaft erforderlich gemacht. Allmählich wurde erkennbar, dass die Beschäftigung von ausländischen ArbeitnehmerInnen nicht eine vorübergehende Erscheinung war, sondern die Struktur der Feldmühlebelegschaft langfristig ver-ändern würde. Weil immer mehr Schweizer Arbeitskräfte in andere Branchen ab-wanderten, wurden praktisch nur noch ausländische ArbeiterInnen neu eingestellt. Der wohl wichtigste Grund für den Schwund des schweizerischen Personalbe-standes im Rorschacher Unternehmen ergab sich aus den gegenüber anderen Industriebetrieben zurückgebliebenen Lohn- und Arbeitsbedingungen. Die Abnahme der Schweizer Arbeitskräfte wurde zusätzlich dadurch begünstigt, dass die Überalterung des einheimischen Stammpersonals fortwährend zunahm, und für die abgehenden Arbeitskräfte kaum mehr Schweizer Nachwuchs zu finden war. Einen Einblick in die Entwicklung des ausländischen Arbeitskräftebestandes der Feldmühle mit besonderer Berücksichtigung der Jahre 1946-1969 vermittelt die nachstehende Grafik:

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Diagramm 4/1: Entwicklung der ausländischen ArbeitnehmerInnen in Relation zum Total der Beschäftigten.166

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Diagramm 4/1 lässt erkennen, dass sich seit Mitte der 50er Jahre in der Feldmühle ein starker Anstieg des Ausländerbestandes vollzogen hatte. Während der Anteil der ausländischen Arbeitskräfte in den Jahren 1946 bis 1953 noch unter 20% des Total der Beschäftigten gelegen hatte, betrug der Ausländerbestand 1962 mehr als 50%. 1963 erreichte der Ausländeranteil mit 999 ArbeitnehmerInnen einen Höchststand, so dass nun ca. 58% der gesamten Feldmühlebelegschaft aus dem Ausland stammte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der obigen Tabelle auch die Angestellten miteinberechnet sind. Entsprechend noch höher dürfte das Verhältnis zwischen AusländerInnen und SchweizerInnen bei den ArbeiterInnen gewesen sein; zumal die Feldmühle durchschnittlich ca. 200 Personen als Angestellte beschäftigt hatte (vgl. Diagramm 3/1). Aufgrund der Quellenlage war es jedoch nicht möglich, exakt auszusagen, wie viele AusländerInnen als Angestellte in der Feldmühle angestellt waren. Nachdem bereits 1962 das Total aller ArbeitnehmerInnen in der Feldmühle gesunken war, ging auch der Ausländerbestand erstmals 1964 und dann 1966 wieder deutlich zurück. Auffallend an dieser Entwicklung ist jedoch, dass das Verhältnis zwischen einheimischen und ausländischen ArbeitnehmerInnen seit 1962

166 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1946-1969; vgl. Tabelle 9. Die Angaben des Ausländerbestandes für die Jahre 1950 und 1951 beruhen auf Schätzungen, da sich für diese beiden Zeiträume keine genaue Zahlen ausmachen liessen.

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nie mehr unter 50% fiel. Dies obwohl der Bestand an AusländerInnen von 1963 bis 1969 um 220 Personen reduziert worden ist. Das gleichzeitige Absinken des Total aller Beschäftigten seit Mitte der 60er Jahre lässt weiter den Schluss zu, dass es der Feldmühle nicht gelungen war, den Verlust an ausländischen ArbeitnehmerInnen mit Schweizer Arbeitskräfte auszugleichen. Seit Ende der 50er Jahren hatte sich ein grundsätzlicher Wandel in der Einwan-derungs- und Arbeitsmarktpolitik vollzogen. Die Schweizer Industrie war nun auch im Falle einer wirtschaftlichen Rezession kaum mehr in der Lage, kurzfristig auf die Mithilfe der ausländischen Arbeitskräfte zu verzichten. Es stellt sich daher die Frage nach der Eingliederung derjenigen AusländerInnen, die für die Zukunft als Mindestbedarf benötigt wurden. Anstelle des Rotationsprinzip wurde nun eine aktive Assimilationspolitik angestrebt.167 Zunehmend begann für einzelne ausländische Arbeitskräfte die Frage nach der Niederlassung an Aktualität zu gewinnen. Die wichtigste Voraussetzung für den Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung war ein zehnjähriger ununterbrochener Aufenthalt in der Schweiz.168 Als für einzelne Ganzjahresarbeitskräfte die erfor-derliche Wartezeit zu Ende ging und der Anspruch auf Niederlassung in der Schweiz näher rückte, kam es jedoch oftmals zu Praktiken, die im krassen Widerspruch zu den geltenden Gesetzen standen. Immer wieder kam es vor, dass italienische Arbeitskräfte die sich seit fast zehn Jahre in der Schweiz aufgehalten hatten, von den Arbeitgebern aufgefordert wurden, sich für mindestens drei Monate nach Italien zu begeben. Mit diesem Vorgehen wurde versucht, den Schweizer Aufenthalt der nach Hause beurlaubten ItalienerInnen zu unterbrechen, um ihnen die Niederlassung nicht bewilligen zu müssen.169 Nach Aussage einer ehemaligen Feldmühlearbeiterin, kam es auch im Ror-schacher Kunstseideunternehmen vor, dass ausländische Arbeitskräfte kurz vor dem Erwerb der Niederlassungsbewilligung in ihre Heimat zurückgeschickt wurden. Auch erwies sich die Niederlassungsbewilligung als bewährtes Druckmittel, um so genannte «aufmüpfige» ausländische Arbeitskräfte in die Schranken zu weisen.170 Weil die Niederlassungsbewilligung die ausländische Arbeitskraft aus der Kontrolle entlässt und sie weitgehend dem Schweizer Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt gleichstellt, hatte auch die Feldmühle als Arbeitgeberin wenig Interesse, ArbeiterInnen mit einer Niederlassungsbewilligung zu beschäftigen.

167 Braun 1970, S. 18f. 168 Niederberger 1982, S. 34. Die zehnjährige Wartefrist galt zunächst nur für die italienischen Arbeitskräfte, wurde jedoch später auf fast alle anderen Länder ausgedehnt. 169 Boscardin 1962, S. 151f, weist nach, dass solche Praktiken oftmals auch auf Ersuchen der kantonalen Fremdenpolizei erfolgten. 170 Leider liessen sich keine schriftlichen Belege finden, welche diese Aussagen stützen würden. Auch möchte die Informantin an dieser Stelle nicht namentlich genannt werden.

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4.3 Die «Überfremdungsfrage» und Rekrutierungsschwierigkeiten in Italien Im Rahmen der komplexen «Überfremdungsfrage»171 beschränkten sich die fol-genden Ausführungen darauf, die wichtigsten Tendenzen darzustellen. Die liberale Einwanderungspolitik der späten 50er Jahre hatte bewirkt, dass der Anteil der ausländischen Arbeitskräfte in der Schweiz sichtbar angestiegen war. Mit anwach-sendem Ausländeranteil schien auch eine fremdenfeindliche Stimmung im Schweizer Volk um sich zu greifen. Anfangs der 60er Jahre wurden dann die Stimmen immer zahlreicher und lauter, die in Bezug auf den Bestand der auslän-dischen Arbeitskräfte von einer «Überfremdungswelle» und von einer «Überfremdungsgefahr» für die Schweiz sprachen. Durch die Gründung einer «Partei gegen die Überfremdung der Südländer», auch «Anti-Italiener»-Partei ge-nannt, nahm die krankhafte Angst vor den Fremden im Jahre 1963 sichtbare Formen an. Ein grösserer Bevölkerungskreis wurde bereits ein Jahr später, im Zusam-menhang mit dem «Italienerabkommen» vom 1. November 1964, von dieser xe-nophoben Grundstimmung erfasste. Es begannen sich eigenständige politische Gruppierungen zu bilden, die den Kampf gegen die «Überfremdung» zu ihrem Le-bensinhalt machten, so die «Nationale Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat» und die Republikanische Bewegung. Die Tätigkeit der «Überfremdungsparteien» erreichten ihren Höhepunkt in Volksinitiativen, deren Ziel es war, den maximalen Ausländerbestand in der Verfassung zu verankern, was eine massive Reduktion der ausländischen Bevölkerung zur Folge gehabt hätte. Als in den Jahren 1968/69 eine Liberalisierung der Einwanderungspolitik einsetzte, ging die Opposition erneut zum Angriff über und lancierte eine Abstimmung, die 1970 in der «Schwarzenbach-Initiative» gipfelte. Die nur knappe Verwerfung der Vorlage hatte gezeigt, dass die Propaganda der Überfremdungsparteien in der Schweizer Bevölkerung Gehör gefunden hatte. Der Bundesrat reagierte auf die Zeichen der Zeit und erklärte die Verringerung der ausländischen Bevölkerung zum ausdrücklichen Ziel seiner Politik.172 In Bezug auf die Verhältnisse im Rorschacher Kunstseideunternehmen lässt sich aufgrund der eben gemachten Ausführungen sicherlich soviel aussagen, dass die «Überfremdungsfrage» auch in der Feldmühle ein aktuelles Thema war. Aufgrund des Quellennotstandes lassen sich jedoch keine gesicherten Fakten zur «überfremdungsmässigen» Wahrnehmung der Schweizer ArbeiterInnen der Feldmühle geben. Es darf jedoch angenommen werden, dass aufgrund des be-trächtlichen Ausländerbestandes ein gewisses Unbehagen sich unter den schweizerischen Arbeitskräften breit gemacht haben dürfte, da sie sich zunehmend in die Minderheit befanden und ihre Arbeitsstätten mehr und mehr entfremdet sahen. Die Abwanderung der einheimischen ArbeiterInnen wurde dadurch weiter begünstigt. Anhand von zwei Geschäftsberichten lässt sich konkreteres zur Einstellung der Feldmühledirektion aussagen. Zumindest hier hatte der starke Anstieg der aus-ländischen Arbeitskräfte ein wachsendes Gefühl des Unbehagens ausgelöst. In Hinsicht auf den Bestand der ausländischen Arbeitskräfte wurde von einer «Überfremdung» der Belegschaft und deren Gefahren für den Betrieb gesprochen.

171 Im folgenden soll «Überfremdung» nur in Anführungszeichen benutzen werden, da dieser Terminus im Zusammenhang mit dem Ausländerproblem in der Schweiz nicht mehr wertfrei verwendet werden kann. 172 Braun 1970, S. 378-398 und Haug 1980, S. 57f, bieten einen ausführlichen Überblick zur «Überfremdungssituation».

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Hierzu sei aus dem Geschäftsbericht vom 1. Juli 1957 der nachstehende Wortlaut zitiert:

«Ein schwierig zu lösendes Problem bildet die Beibringung von genügend Ar-beitskräften. In letzter Zeit musste immer mehr auf ausländische Arbeiter und Arbeiterinnen zurückgegriffen werden. Obwohl es sich grösstenteils um geeignete Arbeitskräfte handelt, ist die damit bedingte Überfremdung der Belegschaft nicht ganz ohne Gefahren für den Betrieb.»173

Für die Feldmühle stellte sich aber zunächst ein entgegengesetztes Probleme. Eine immer grösser werdende Sorge bildete seit anfangs der 60er Jahre die Bereitstellung einer für die Aufrechterhaltung des Betriebes genügenden Anzahl von italienischen Arbeitskräften. Die Erschöpfung Italiens als traditionelles Rekrutierungsfeld für die ausländische Belegschaft der Feldmühle lag in einer Kette von Ursachen begründet. Zum einen musste das Rorschacher Unternehmen vermehrt gegen Italien und andere Staaten in Wettbewerb treten, weil das Plus an Wohlstand, welches die Schweiz lange Zeit gegenüber den anderen Ländern zu bieten hatte, relativ zu schwinden begann. Andererseits nutzte die italienische Regierung mit zunehmender Abhängigkeit der Schweiz von Italien als Rekrutierungsland die Möglichkeit, mit Druckmitteln eigene arbeitspolitischen Forderungen durchzusetzen. Ein solcher Versuch kam im Memorandum von 1961 zum Ausdruck, worin Italien bereits nach fünf Jahren die Niederlassung und den Familiennachzug nach einem Jahr forderte, wie dies inzwischen in den Ländern der EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) üblich gewesen war. Zu einem Verhandlungsabbruch mit Italien kam es, als die italienischen EmigrantInnen den italienische Vorschriften der Arbeitslosenunterstützung unterstellt werden sollten, wonach auch die Schweiz dann entsprechend Beiträge zu entrichten gehabt hätte. Erst 1964, nachdem die italienische Regierung auf die umstrittenen Punkte verzichtet hatte, kam es wieder zu offiziellen Verhandlungen zwischen der Schweiz und Italien. Ein Abkommen zwischen den beiden Staaten wurde dann am 4. November 1964 unterzeichnet, das entsprechende Vereinbarungen betreffend der Anwerbung in Italien, die Rückerstattung der Reisekosten, die Einreise- und Aufenthaltsbedingungen, den Familiennachzug, die Arbeitsbedingungen und Sozialmassnahmen enthielt.174 Ein drittes Problem stellten die zunehmend schlechteren beruflichen Qualifikationen der neu einreisenden AusländerInnen dar. Die Ursache dafür hing vorwiegend mit der allmählichen Ausdehnung des Rekrutierungsfeldes nach Süditalien zusammen, wo nur mit Mühe gut qualifizierte Arbeitskräfte zu finden waren.175 Die zunehmende Anstellung wenig qualifizierter italienischer Arbeitskräfte stellte für die Feldmühle jedoch keine nennenswerten Probleme dar, da sie vorwiegend ungelernte ausländische ArbeiterInnen in ihren Produktionsstätten beschäftigte. Ein Ausweg bot zudem die Ausdehnung der Rekrutierungsbasis auf andere Länder. Neben den italienischen Arbeitskräften, die seit Jahren in grosser Anzahl im Rorschacher Kunstseideunternehmen arbeiteten, wurden anfangs der 60er Jahre nun vermehrt auch Arbeitskräfte aus Spanien und Griechenland in der Feldmühle beschäftigt.

173 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1957, S. 3. 174 Niederberger 1982, S. 65-72. 175 Zur geographischen Herkunft der italienischen Arbeitskräfte siehe: Braun 1970, S. 39f. Boscardin 1962, S. 61, hat für den Zeitraum zwischen 1946-1959 nachgewiesen, dass die industriell weniger entwickelten Gegenden Ober- und Mittelitaliens und noch viel stärker die südlichen Depressionsgebiete die Hauptkontingente der jährlich in die Schweiz einreisenden Arbeitskräfte stellten.

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Dieser Schritt wurde unter anderem ermöglicht durch den Abschluss eines Abkommens mit Spanien, welches am 2. März 1961 unterzeichnet wurde. Da aber die Rekrutierungs- und Vermittlungstätigkeit unter der Aufsicht der spanischen Regierung stand, musste die Vermittlung der spanischen Arbeitskräfte auf zwischenstaatlicher Ebene geregelt werden.176 Permanent hatte die Feldmühle das Rekrutierungsfeld für ihre ausländischen Arbeitskräfte auch auf weitere Länder ausgedehnt, so dass ArbeiterInnen aus zahlreichen Nationen im Rorschacher Kunstseideunternehmen ein Auskommen fanden.177 4.4 Die Intervention am Arbeitsmarkt und der Abbau des Ausländerbestandes Seit den späten 50er Jahren hatte in der Schweiz ein konjunktureller Aufschwung eingesetzt, der mit den Vorangegangenen nicht zu vergleichen war. Während die wirtschaftliche Entwicklung bis anhin im Gleichgewicht vor sich gegangen war, trat eine Konjunkturüberhitzung ein. Die Investitionsgüternachfrage konnte nur noch durch gesteigerte Importe aus dem Ausland und durch die Beschäftigung weiterer ausländischer Arbeitskräfte befriedigt werden.178 Dieser Zustand hatte zur Folge, dass die Ertragsbillanz mit dem Ausland defizitär und die Inflation beschleunigt wurde, womit die Ausländerzulassung ihren konjunkturpolitischen Vorteil eingebüsst hatte. Das Wachstumsmodell der Nachkriegszeit war nun radikal in Frage gestellt.179 Ein möglicher Ausweg aus dieser Situation wurde allgemein in der Begrenzung des Ausländerbestandes gesehen. Dabei sollten an die Stelle der liberalen Einwanderungspolitik nun Massnahmen zur Beschränkung der AusländerInnen getroffen werden. 1961 hatte das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement im Einvernehmen mit dem Justiz- und Polizeidepartement eine Studienkommission eingesetzt, die das Problem der ausländischen Arbeitskräfte nach allen Seiten hin untersuchen und Vorschläge für eine künftige Einwanderungspolitik erarbeiten sollte. Die Kommission kam 1964 zum Schluss, dass die Beschäftigung der ausländischen Arbeitskräfte zu beschränken sei. Zudem schlug sie vor, die Mobilität und Eingliederung jener AusländerInnen zu fördern, die sich in der Schweiz bewährt hatten.180 Dass ein weiteres Anwachsen des Ausländerbestandes verhindert werden musste, war bereits vor Bekanntwerden der Ergebnisse der Studienkommission eine von allgemeinem Konsens getragene Einsicht. Der erste Bundesratsbeschluss über die Beschränkung der Zulassung aus-ländischer Arbeitskräfte vom 1. März 1963 enthielt als wesentliche Bestimmung:

«[...] dass die Aufenthaltsbewilligung für ausländische Arbeitskräfte sowie Bewilligungen zum Stellenwechsel nur zu erteilen oder zu erneuern (sind), wenn dadurch der Gesamtpersonalbestand eines Betriebes (Schweizer und

176 Niederberger 1982, S. 53. 177 Film Feldmühle, S. 8. Im Jahre 1972, als die Feldmühle AG bereits zur Enka- Glanzstoffgruppe gehörte, beschäftigte der damalige Direktor Herr van der Hoeven Arbeitskräfte aus 19 Nationen im Rorschacher Kunstseideunternehmen. 178 Niederberger 1982, S. 51. 179 Niederberger 1982, S. 64, beurteilt die geschilderte Situation insofern als kritisch, da ein anhaltender inländischer Preisaufstieg die Exportindustrie international wettbewerbsunfähig und dies unweigerlich in einer grosse Arbeitslosigkeit geendet haben würde. 180 Haug 1980, S. 55f.

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Ausländer) den Höchstbestand im Monat Dezember 1962 nicht überschrei-tet.»181

Neben der betriebsweisen Plafonierung wurden auch andere Massnahmen zur Beschränkung des Ausländeranteils geprüft; beispielsweise die Regelung einer Globalplafonierung auf gesamtstaatlicher Ebene. Das System der betriebsweisen Plafonierung erwies sich jedoch als besonders geeignet, da es administrativ-technisch am einfachsten war, vom Betrieb als Bezugseinheit auszugehen. Bereits am 1. März 1964 trat eine Nachfolgeregelung in Kraft. Der Hauptunterschied zum vorausgegangenen Beschluss bestand darin, dass nun ein eigentlicher Perso-nalabbau verfügt wurde. Neu durfte die Aufenthaltsbewilligung für AusländerInnen nur noch erteilt werden, wenn dadurch der Gesamtpersonalbestand eines Betriebes 97% des Bestandes vom 1. März 1964 nicht überschritt.182 Die konjunkturpolitischen Massnahmen des Bundesrates hatten das Rorschacher Kunstseideunternehmen besonders schwer getroffen. Bereits seit Anfang der 60er Jahre litt die Feldmühle wiederum an einem akuten Mangel an Arbeitskräften, der nun im Gegensatz zu früher nicht mehr durch ausländische Arbeitskräfte ausgegli-chen werden konnte. Ausserdem waren die Personalkosten anfangs der 60er Jahre so stark angestiegen waren, dass sich ein negativer Effekt in Bezug auf die Produktionskosten ergab. Hinzu kam, dass es dem Unternehmen nicht gelang einen entsprechenden Ausgleich durch Rationalisierungsmassnahmen zu schaffen. Dem Rorschacher Kunstseideunternehmen fehlten nun fortwährend eine grössere Anzahl Arbeitskräfte, was sich nicht nur nachteilig auf die Produktion, sondern auf den gesamten Umsatz auswirkte. Aus dem Geschäftsbericht des Jahres 1964 sei hierzu folgenden Wortlaut zitiert:

«Seit dem Sommer 1963 fehlen uns dauernd zwischen 100 bis 150 Arbeiterin-nen. Das Problem der Beschaffung von geeigneten Arbeitskräften, vor allem Ar-beiterinnen, ist für eine Industrie wie die unsrige immer schwieriger zu lösen und gibt Anlass zu ernsten Bedenken für die Zukunft, besonders auch in Hinblick auf die noch zu erwartenden weiteren Massnahmen seitens der Behörden im Rahmen des Konjunkturdämpfungsprogramms.»183

Das Hauptinteresse der Feldmühle galt weniger der Frage einer Plafonierung überhaupt, sondern konkreter der Möglichkeit, weiterhin abwandernde einheimische ArbeiterInnen durch ausländische Arbeitskräfte ersetzen zu können. Besondere Bedenken wurden von der Feldmühledirektion auch gegen die Einführung der völ-ligen Freizügigkeit für AusländerInnen auf dem Arbeitsmarkt geäussert, wie sie zurzeit nicht nur vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB), sondern auch von gewissen Arbeitgeberkreisen propagiert wurde.184 Nicht zu Unrecht befürchtete die Direktion, dass bei der Einführung der Freizügigkeit eine massive Abwanderung der ausländischen Arbeitskräfte eintreten würde, da das Unternehmen mit seinem ununterbrochenen Dreischichten- und Nassbetrieb nicht zu den attraktivsten Betrie-ben der Region zählte. Daher sah die Feldmühle in der Weiterführung des bisheri-gen Systems wohl das kleinere Übel im Vergleich zu einer Globalplafonierung, die eine marktkonforme Verteilung der Arbeitskräfte vorsah.185 Diese Haltung kommt deutlich aus der Stellungnahme der Firma im Jahre 1965 zum Ausdruck:

181 Zitiert nach: Niederberger 1982, S. 59. 182 Niederberger 1982, S. 62. 183 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1964, S. 4. 184 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1965, S. 4. 185 Niederberger 1982, S. 60f.; Haug 1980, S. 56.

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«Schon seit Jahren sind schweizerische weibliche Arbeitskräfte für unsere In-dustrie kaum mehr zu finden. Auch beim männlichen Personal fehlt es an inländischem Nachwuchs. Angesichts unseres grossen Bestandes an Fremdarbeitern treffen uns die neuen verschärften Beschränkungsmass-nahmen des Bundes besonders hart. Es sei hier daran erinnert, dass unsere Firma ihren Personalbestand im Laufe der letzten 10 Jahre nicht erhöht hat und somit an der prekären Lage des Arbeitsmarktes nicht mitschuldig ist. Die Einführung der Freizügigkeit [...] wäre für eine Industrie wie die unsrige [...] ausserordentlich gefährlich.»186

Gemäss dem Bundesratsbeschluss vom 25. Februar 1965 wurde erstmals neben dem Gesamtpersonalbestand auch der Ausländerbestand eines Betriebes vorge-schrieben. Die Bundesratsbeschlüsse der Jahre 1966 und 1967 enthielten eine Fortsetzung der Massnahmen zum Personalabbau, jedoch mit verlangsamter Ge-schwindigkeit.187 Die neuen Verfügungen des Bundesrates hatten dem Rorschacher Unternehmen dermassen hart zugesetzt, dass es eine drastischen Reduktion ihres Ausländerbestandes vornehmen musste. Hinzu kam, dass die Feldmühle aufgrund ihrer peripheren Lage und den vorwiegend ungelernte Arbeitskräfte erfordernden Schichtenbetrieb sich ausser Stande sah, die zwangsweise abgehenden AusländerInnen durch einheimische Arbeitskräfte zu ersetzen. Nach der Durchführung des ersten 5%igen Abbau im Jahre 1965 folgte auf Ende Juli 1966 ein Abbau von 3% und von weiteren 2% auf Ende Januar 1967. Eine Reduktion um weitere 2% fand auf das Ende des Geschäftsjahr 1967 statt, womit sich der behördlich bewilligte Bestand der kontrollpflichtigen AusländerInnen von ursprünglich 991 (100%) auf 872 (88%) vermindert hatte.188 Obwohl durch Beschluss vom 28. Februar 1968 der Bundesrat eine Liberalisie-rung des Arbeitsmarktes durch die stufenweise Entlassung von AusländerInnen aus der Kontrollpflicht angeordnet hatte, musste die Feldmühle ihren Ausländerbestand weiter reduzieren. Zudem konnte das Unternehmen von der Lockerung des Plafonierungssystems keinen Nutzen ziehen, weil dadurch die bereits erwähnte Abwanderung der ausländischen ArbeitnehmerInnen begünstigt worden wäre.189 Insgesamt hatte sich die Abbauquote in der Feldmühle seit Beginn der behördlich erlassenen Ausländerregelung auf 15% erhöht. Hinzu kam, dass das Rorschacher Kunstseideunternehmen auch noch mit einer jährlichen Austrittsquote von rund 27% zu kämpfen hatte. Im letzten Geschäftsbericht aus dem Jahre 1969, der über die bundesrätliche Arbeitsmarktpolitik Auskunft gibt, äusserte sich die Direktion der Feld-mühle wie folgt zur neuen Arbeitsmarktlage:

«112 ausländische Arbeitskräfte sind auf Grund der bundesrätlichen Bestim-mung bis Ende Berichtsjahr aus dem betrieblichen Plafond vorzeitig entlassen worden. Ungefähr ein Drittel davon wanderte in andere Betriebe ab; dieser kann bekanntlich nicht durch im Ausland neu rekrutierte Arbeitskräfte ersetzt

186 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1965, S. 4. 187 Niederberger 1982, S. 75. 188 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1967, S. 4. 189 Niederberger 1982, S. 77. AusländerInnen die sich seit mindestens sieben Jahren in der Schweiz aufgehalten hatten, zählten nicht mehr zum definierten Ausländerbestand. Auf Anfang 1969 wurde die Erweiterung der «Entplafonierung» auf fünf Jahre und länger Anwesende ausgeweitet. Der Stellenwechsel wurde nun bereits nach einjähriger Aufenthaltsdauer bewilligt, wobei für die Bewilligung des Berufswechsels, falls dieser mit einem Betriebswechsel verbunden war, eine fünfjährige Frist galt.

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werden. Unsere Anstrengungen diese Abgänge mit anderen Betrieben entplafonierten Ausländern wettzumachen, haben zu keinem Erfolg geführt.»

Zusammenfassend lässt sich zur Situation der ausländischen Arbeitskräfte im Rorschacher Kunstseideunternehmen Folgendes feststellen: Der allgemein günstige Konjunkturverlauf sowie die zunehmende Abwanderung der Schweizer Arbeitskräfte in andere Industriesparten liessen den Ausländerbestand in der Feldmühle stets an-steigen. Schon bald wurde deutlich, dass das Rorschacher Unternehmen in ab-sehbarer Zeit kaum mehr ohne eine beträchtliche Anzahl ausländischer Arbeitskräfte auskommen würde. Aus diesem Grunde trafen in den 60er Jahren die bundesrätlich verordneten Massnahmen zur Senkung des Ausländerbestandes die Feldmühle be-sonders hart. Das Unternehmen musste aufgrund der betrieblichen Plafonierung eine beträchtliche Reduktion der ausländischen Belegschaft vornehmen, ohne dass es ihm gelang, einen Ausgleich mit einheimischen Arbeitskräften zu schaffen. Das Ziel der bundesrätlichen Intervention am Arbeitsmarkt bestand in der Steuerung und Stabilisierung der Ausländerpolitik. Inzwischen war die Regierung jedoch nicht mehr ungestörter Herr der Ausländerpolitik, da unter anderem der Kampf gegen die «Überfremdung» ihre eigene politische Dynamik entfaltet hatte. Anfangs der 70er Jahre wurde die Festsetzung der maximalen Ausländerzahl nach Betrieben durch die Beschränkung nach Kantonen ersetzt. Allgemein wurde dabei wieder von einer Globalplafonierung gesprochen, die eine gesamtschweizerische Begrenzung des Ausländerbestandes zum Ziel hatte. Den Preis für die bundesrätliche Stabilisierungspolitik bezahlten hauptsächlich die neu eingewanderten Aus-länderInnen, die sich von vornherein in einer schwachen rechtlichen Stellung be-fanden.190

190 Ausführliche Informationen zur Ausländerpolitik der 70er Jahre finden sich bei: Haug 1980, S. 60-63; Niederberger 1982, S. 89-99.

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5 Soziale Einrichtungen 5.1 Die Betriebskrankenkasse der Feldmühle und weitere Kassen Die Gründung der Betriebskrankenkasse der Feldmühle reicht zurück in das Jahr 1890. Zur gleichen Zeit fand auch die schweizerische Unfall- und Versicherungs-gesetzgebung ihren Anfang. Durch Volksabstimmung vom 26. Oktober 1890 wurden der Artikel 34bis in die Bundesverfassung angenommen. Dieser legte die verfas-sungsrechtlichen Grundlagen der Kranken- und Unfallversicherung in der Schweiz fest. Trotzdem sollte es noch einige Jahre dauern, bis das erste eidgenössische Kranken- und Unfallversicherungsgesetz (KUVG) in Kraft trat. Vor allem geschlossene Betriebe erkannten schon früh die Möglichkeit, durch kollektive Er-fassung der Arbeitnehmerschaft so genannte «Krankenunterstützungsvereine» zu gründen, um die durch Krankheit und Lohnausfall entstandene Not zu lindern. Es darf festgestellt werden, dass die daraus gewachsenen Betriebskrankenkassen auch heute noch einen wichtigen Teil im Gefüge der schweizerischen Sozialversi-cherungen einnehmen. Obwohl die Betriebskrankenkasse der Feldmühle keines-wegs die älteste Institution dieser Art war,191 vermittelt sie neben einem exempla-rischen Einblick zugleich auch ein Stück Geschichte des schweizerischen Kran-kenkassenwesens überhaupt. Doch vorerst zurück in das Gründungsjahr 1890:

«Es war im Sommer 1890, als das gesamte Geschäftspersonal der Stickerei Feldmühle durch Initiative von Herrn Schoenfeld eine Bodenseefahrt durchführte. Abgemacht war, dass die Kosten dieses Ausfluges durch die Geschäftsleitung und das Personal je zur Hälfte getragen werde. Die äusserst gut gelungene Seefahrt hatte dann Herrn Schoenfeld veranlasst, die gesamten Kosten zu übernehmen und den von der Arbeiterschaft einbezahlten Betrag von 1200 Fr. zur Gründung eines Krankenvereins zu schenken.»192

Damit war der Grundstein für das erste Sozialwerk in der Feldmühle gelegt. Inner-halb weniger Wochen konstituierte sich eine neunköpfige Kommission und hielt im August des gleichen Jahres die Gründungsversammlung ab, wobei an die hundert Personen ihren Beitritt in den Krankenunterstützungsverein Feldmühle erklärten.193 In das Jahr 1896 fällt zum einen der Anschluss an das St.Gallische Konkordat und zum anderen die Gründung einer Sterbekasse. Schon zuvor hatte die Feldmühle zwei weitere Institutionen geschaffen, welche den Krankenunterstützungsverein in sinnvoller Weise ergänzten. Hierzu gehörten seit 1892 eine Bibliothekskasse und seit 1894 eine Badekasse. 1902 kam als vierte Einrichtung die so genannte Hilfskasse hinzu.

191 Bereits vor 1890 bestanden einige Gemeindekrankenkassen. Als eine der ältesten gilt die Männerkrankenkasse Mörschwil, aus der später die OSKA, Kranken- und Unfallversicherung hervorgegangen ist. Die OSKA ist ein politisch und konfessionell neutraler Verein im Sinne von Art. 60ff. des ZGB mit Sitz in St.Gallen und gehört heute der SWICA, Gesundheitsorganisation an, die zu den grössten Krankenkassen der Schweiz zählt. 192 Fritschi 1966, 75 Jahre Betriebskrankenkasse Feldmühle AG, S. 2. 193 Leider sind aus der Gründungszeit weder Statuten noch Rechnungen vorhanden. Auch die entsprechenden Nachforschungen beim Bundesamt für Sozialversicherungen, für deren Hilfe der Verfasser besonders Herrn Koch zu grossem Dank verpflichtet ist, erwiesen sich leider als erfolglos. Die ältesten heute noch erhaltenen Statuten stammen aus dem Jahr 1915 und traten am 14. März 1915 in Kraft.

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Auf den 1. Januar 1911 traten die neuen Statuten in Kraft, die aufgrund des er-sten eidgenössischen Kranken- und Unfallversicherungsgesetz (KUVG) angepasst werden mussten.194 Ab diesem Datum war die Krankenkasse der Feldmühle vom Staate anerkannt und subventionsberechtigt. Ein Jahr später erfolgte die Einführung einer unentgeltliche Geburtshilfe von maximal Fr. 40.-. Im Jahre 1915 konnte die Krankenkasse bereits auf ihr 25jähriges Jubiläum zurückblicken, womit sie gleichzeitig ihre Tätigkeit als selbständige, private Institution abschloss, um unter der Obhut des Staates weitergeführt zu werden. Zugleich wurde an der Hauptversammlung vom 14. März 1915 die Annahme neuer Statuten und die Um-wandlung in eine Genossenschaft beschlossen. Der Name der Genossenschaft lautete nun neu Krankenkasse der Stickerei Feldmühle.195 Der 1. Januar 1916 war ein Meilenstein von weittragender Bedeutung für die Zu-kunft der Krankenkasse. Zum einen wurden mit diesem Datum die Hilfskasse, Sterbekasse, Bibliothekskasse und die Badekasse von der Krankenkasse getrennt. Andererseits erfuhr die Versicherung eine Ausweitung für Krankenpflege und Krankengeld, die Einteilung nach Klassen und Altersgruppen. Bis anhin hatte das Wochenbett nicht als Krankheit gegolten. Nach den Statuten wurde nun neu unentgeltliche ärztliche Behandlung und ein Krankengeld während sechs Wochen gewährt. Zusätzlich übernahm die Krankenkasse der Stickerei Feldmühle freiwillig die Hebammenkosten. Am 1. April 1918 trat an Stelle des bisherigen Haftpflicht-gesetzes das Schweizerische Unfallversicherungsgesetz196 in Kraft, womit das Personal der Feldmühle zusätzlich zur Krankheit auch gegen Betriebs- und Nicht-betriebsunfall versichert war. Ein Reglement für Zahnpflege wurde schliesslich am 1. Juli 1922 den Statuten beigefügt.197 Es sei noch darauf hingewiesen, dass der Mitgliederbestand der Krankenkasse aufgrund der allgemeinen Krise in der ost-schweizerischen Stickereiindustrie seit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges unauf-hörlich geschrumpft war und im Jahre 1924 einen Tiefstand von lediglich 341 Mit-gliedern erreicht hatte.198 Mit dem Einzug der Kunstseidenindustrie nahm auch der Mitgliederbestand der Krankenkasse einen Aufwärtstrend und erreichte bereits 1925 wieder einen Stand von 842 Mitgliedern.199 Am 23. Juni 1926 wurde der bisherige Name umbenannt in die Bezeichnung Krankenkasse der Feldmühle AG.200 Seit Jahren hatte die Kranken-kasse der Feldmühle eine kleine Bibliothek, verbunden mit der Zirkulation einer Lesemappe, unterhalten, die am 1. Januar 1928 aufgehoben wurde. Zum einen liess es sich mit dem Gesetz nicht mehr vereinbaren, dass die jährlichen Defizite dieser Einrichtung durch die Krankenkasse gedeckt wurden. Andererseits hatte die Stadt Rorschach in der Zwischenzeit zwei Bibliotheken eröffnet, so dass der Bedarf nach

194 Huber 1988, Staatskunde Lexikon, S. 161f. Einen ersten Gesetzesentwurf (die Lex Forrer), der die Kranken- und Unfallversicherung auf eidgenössischer Ebene regeln sollte, hatte das Schweizer Stimmvolk am 20. Mai 1900 noch verworfen. Auf den 13. November 1911 trat dann das erste Kranken- und Unfallversicherungsgesetz (KUVG) in Kraft. 195 Archiv Bundesamt, Aktenmappe 553, Unterlagen betreffend der Anerkennung: Auszug aus dem Journal des Handelsregister-Bureau des Kantons St.Gallen, 23. Oktober 1915. 196 Huber 1988, S. 269f. 197 Archiv Bundesamt, Aktenmappe 553, Statuten der Krankenkasse der Stickerei Feldmühle, Rorschach, 1. Juli 1922. 198 Fritschi 1966, S. 9. 199 Ebd. 200 Archiv Bundesamt, Aktenmappe 553, Statutenrevision vom 23. Juni 1926 betreffend der Namensänderung der Kasse.

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dieser Institution schon seit längerer Zeit zurückgegangen war. Das noch vorhandene Bibliotheksmaterial wurde dem Arbeiterinnenheim übergeben.201 Im Jahre 1931 ereignete sich ein Vorfall, der die Verantwortlichen der Kranken-kasse über mehrere Monate hinweg beschäftigte. Der langjährige Registerführer und Kassier der Badekasse hatte sich der Veruntreuung schuldig gemacht, indem er im Verlaufe der letzten 12 Jahre rund Fr. 7000.- unterschlagen hatte. Diesem oblag neben dem Führen der Kasse auch die Kontrolle der Badebillette, welche die Badekasse ihren Mitglieder zum Besuch der öffentlichen Rorschacher Badeanstalten abgab. Da der Kassier die betreffende Summe unverzüglich zurückbezahlte, wurde von einer Strafanklage abgesehen. Dagegen beschloss die Mehrheit der Krankenkassenkommission, gestützt auf Artikel 16e)202 der Statuten, den fehlbaren Kassenfunktionär aus der Krankenkasse auszuschliessen. Eine zusätzlich besondere Brisanz erhielt der Vorfall, weil das strafbare Mitglied bereits im 61. Al-tersjahr stand und demzufolge keiner neuen Krankenkasse mehr beitreten konnte. Zudem erfolgte der Ausschluss nicht einstimmig, weil von einigen Kommissi-onsmitgliedern Bedenken geäussert wurden, dass der Artikel 16e) der Statuten in diesem Falle nicht zur Anwendung kommen könne. Als Begründung wurde ange-führt, dass hier nicht die Krankenkasse, sondern die Badekasse, die eine Wohl-fahrtseinrichtung für sich sei, geschädigt worden sei. Da die Kommission sich in dieser Frage nicht einigen konnte, entschloss sich der Präsident der Krankenkasse Auskunft beim Bundesamt für Sozialversicherung einzuholen.203 Jedoch vermochte auch das Bundesamt keine Klarheit in dieser Angelegenheit zu schaffen und verwies lediglich darauf:

«[...] dass im Falle von Veruntreuungen nicht wohl nach § 16, lit.e Ihrer Statu-ten der Ausschluss verfügt werden kann, denn es handelt sich hier nicht um eine unredliche Ausbeutung der Kasse, sondern um eine Unterschlagung, die allerdings eine unredliche Handlung darstellt, sich aber nicht als Ausbeutung im eigentlichen Sinne des Wortes qualifiziert.»204

Zudem wies das Bundesamt darauf hin, dass dem fehlbaren Kassier die Möglichkeit offen stehe, sich gemäss Artikel 74 der Statuten an das kantonale Versiche-rungsgericht zu wenden.205 Die Kommission zog aus diesem Vorfall die Lehre, dass die Betriebsrechnungen der Krankenkasse und aller aus ihr hervorgegangenen Institutionen in Zukunft noch gründlicher und gewissenhafter revidiert wurden. Das Jahr 1933 hatte eine Totalrevision der Statuten von 1922 notwendig ge-macht. Auch mussten 1939 auf Weisung des Bundesamtes die Statuten der Hilfs-kasse sowie der Sterbekassen gemäss den Bestimmungen des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) revidiert werden. Zudem wurde nun unter anderem ver-langt, dass über jede der drei Kassenrechnungen separat abgestimmt und eigene

201 Ebd., S. 5. Auch das im Jahre 1907 gegründete Krankenmobilien-Magazin musste wegen mangelnder Nachfrage im Jahre 1937 aufgehoben werden. 202 Artikel 16 e) der Statuten vom 1. Juni 1922 beinhaltet folgenden Wortlaut: «Das Mitglied kann ausgeschlossen werden: [...] wenn es oder sein gesetzlicher Vertreter die Kasseunredlich ausbeutet oder auszubeuten versucht [...].» 203 Vgl. dazu: Archiv Bundesamt, Aktenmappe 553, Brief von der Krankenkasse der Feldmühle AG, Rorschach an das Bundesamt für Sozialversicherung, 11. August 1931. 204 Archiv Bundesamt, Aktenmappe 553, Antwortschreiben vom Bundesamt für Sozialversicherung an die Krankenkasse der Feldmühle AG, Rorschach, 24. August 1931. 205 Ebd. Nach Artikel 74 wurden privatrechtliche Streitigkeiten zwischen der Kasse und ihren Mitgliedern, falls sie nicht durch die Verwaltung oder durch die Hauptversammlung erledigt werden konnten, durch das kantonale Versicherungsgericht endgültig entschieden.

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Protokolle zu führen seien.206 In den Kriegsjahren 1939-45 hatte sich die Verwaltung der Krankenkasse in verschiedenen Sitzungen damit befasst und Vorsorge getroffen, die wichtigsten Krankenkassenutensilien zu evakuieren und die Wertschriften und anderen Vermögensbestandteile in einer Bank zu deponieren. Die bis ins letzte Detail ausgearbeiteten Pläne mussten jedoch glücklicherweise nie ausgeführt werden. Zu erwähnen aus dieser Zeit bleibt, dass 1943 alle Krankenkassen vom Bezirk Rorschach inklusive Gemeindekassen mit dem Stadtrat Rorschach und Vertretern der Ärzteschaft sich zu einer gemeinsamen Sitzung versammelten. Dabei wurde das steuerbare Einkommen für die Versicherungspflichtigen neu festgesetzt. Von besonderer Bedeutung war diese Konferenz auch deshalb, weil die Kassenfunk-tionäre verhindern konnten, dass die gemeinsame Mütterberatungsstelle in Ror-schach abgeschafft wurde.207 Der Beitritt zum Schweizerischen Betriebskrankenkassenverband sowie zur Tu-berkuloserückversicherung dieser Institution erfolgte im Jahre 1948; zugleich be-antragte die Krankenkasse der Feldmühle aus dem Handelsregister gelöscht zu werden.208 1951 wurde die freiwillige Spitalzusatzversicherung, 1954 die erweiterte Krankenversicherung (Ausgesteuertenversicherung) und 1955 der Beitritt zur Kin-derlähmungsversicherung beschlossen. Andauernde Differenzen mit dem Schweizerischen Betriebskrankenkassenverband veranlasste die Verwaltung der Krankenkasse am 31. Dezember wieder aus dem Verband auszutreten und gleichzeitig die Tuberkuloseversicherung beim Konkordat zu tätigen. Gegen Ende der 50er Jahre wurden zudem auf allen Ebenen weitere Leistungsverbesserungen erzielt.209 Mit der Einführung der eidgenössischen Invalidenversicherung (IV) am 1. Januar 1960 konnte eine weitere Lücke im Sozialversicherungswesen der Schweiz geschlossen werden. Zusammen mit der AHV (Alters- und Hinterlassenenversiche-rung) und der EO (Erwerbsersatzordnung) bildet die Invalidenversicherung auch heute noch die «Erste Säule» des modernen Wohlfahrtsstaates der Schweiz.210 1962 führte die Betriebskrankenkasse der Feldmühle die obligatorische Spital-zusatzversicherung (SPITEX) ein. 1965 wurde das neue eidgenössische Kranken- und Unfallversicherungsgesetz (KUVG) in Kraft gesetzt. Am 1. Januar 1966 traten sodann die neuen total revidierten Statuten der Betriebskrankenkasse in Kraft.211 Eine letzte Anpassung und Totalrevision der Statuten der Krankenkasse wurde 1969 erforderlich, als die Feldmühle AG vom holländischen Konzern Algemene Kunstzijde Unie N.V. (AKU) übernommen wurde.212 Weil die Feldmühle seit dem 1. Januar 1979 keine Arbeitnehmerinnen mehr beschäftigte, fusionierte die Krankenkasse der Feldmühle mit der Freiwilligen Kranken- und Unfallkasse St.Gallen213, die seit 1990

206 Fritschi 1966, S. 5. 207 Ebd., S. 6. 208 Archiv Bundesamt, Aktenmappe 553, Statutenrevision betreffend Artikel 75 und Löschung der Kasse im Handelsregister mit Wirkung ab 24. November 1947. 209 Fritschi 1966, S. 7f. 210 Huber 1988, S. 133f. 211 Archiv Bundesamt, Aktenmappe 553, Totalrevision der Statuten von 1954 mit Gültigkeit auf den 1. Januar 1966. 212 Archiv Bundesamt, Aktenmappe 553, Totalrevision der Statuten von 1966 mit Gültigkeit auf den 25. April 1969. 213 Archiv Bundesamt, Aktenmappe 553, Aktennotizen zur Fusion der Krankenkasse der Feldmühle AG, Rorschach, K 553, mit der Freiwilligen Kranken- und Unfallkasse St.Gallen, K 1011, mit Wirkung ab dem 1. Januar 1979.

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mit anderen Krankenkassen zusammen der Schweizerischen Kranken- und Unfallversicherung «EVIDENZIA» angehört.214 An dieser Stelle sollen noch einige wenige Bemerkungen zur Sterbekasse und Hilfskasse angefügt werden. Wie bereits erwähnt, wurden diese beiden Kassen in den Jahren 1896 bzw. 1902 als ergänzende Institutionen zur Krankenkasse der Feldmühle ins Leben gerufen. Mit der Anerkennung der Betriebskrankenkasse durch den Bund im Jahre 1916 mussten die beiden Kassen nun als selbständige Insti-tutionen mit eigenen Rechnungen weitergeführt werden.215 Die Sterbekasse, welche bis 1903 die Bezeichnung Unterstützungskasse bei Sterbefällen trug, bezweckte den Hinterlassenen von verstorbenen Mitgliedern der Feldmühle ein Sterbegeld zu verabreichen. Die Höhe des Sterbegeldes richtete sich nach den Mitgliedsjahren, während denen die Verstorbenen der Sterbekasse angehört hatten. Seit dem Inkrafttreten der neuen Statuten vom 1. März 1922 wur-den pro Mitgliedschaftsjahr Fr. 30.- an die Hinterlassenen ausbezahlt, wobei der Höchstbetrag auf Fr. 450.- begrenzt war.216 Im Jahre 1947 wurde anlässlich einer Statutenrevision beschlossen, dass die Sterbesumme auf maximal Fr. 900.- an-gehoben und zugleich auch eine Teilauszahlung bei Lebzeiten vorgenommen werden konnte. In den Genuss des Vorausbezuges eines Teils der Leistungen kamen jedoch nur sehr wenige Mitglieder, da die betreffende Person geltend ma-chen musste, dass sie bedürftig, allein stehend und arbeitsunfähig, sowie das 65. Altersjahr bereits zurückgelegt und zudem schon seit 30 Jahren der Sterbekasse angehört hatte. Dabei mussten mindestens Fr. 300.- bis zum Ableben des Bedürf-tigen in der Sterbekasse bestehen bleiben. Eine umfassende Revision der Statuten wurde 1962 vorgenommen, wobei pro Mitgliedschaftsjahr neu Fr. 40.- als Un-terstützung ausbezahlt wurden. Gleichzeitig wurde ungeachtet der Mitgliedschafts-jahre ein zusätzliches Sterbegeld von Fr. 400.- ausgerichtet. Erstmals nach 40 Jah-ren wurden zudem die Prämien auf das Doppelte angehoben, die seit 1922 den beinahe rein symbolischen Betrag von 10 Rp. pro Woche betragen hatte.217 Die Hilfskasse der Feldmühle bezweckte die Unterstützung Not leidender Mit-glieder und die Durchführung verschiedener Wohlfahrtseinrichtungen. Diese Insti-tution wurde einerseits durch Halbjahresbeiträge der Mitglieder und andererseits durch Fabrikbussen und allfällige Schenkungen gebildet. Die halbjährlichen Prämien, welche die Mitglieder an die Hilfskasse abzuliefern hatten, betrugen seit 1916 pro Halbjahr 50 Rp. und wurden 1947 auf 75 Rp. erhöht. Finanzielle Zuwendungen wurden an solche Mitglieder ausgeschüttet, die infolge langandauernder Krankheit keine Unterstützung mehr aus der Krankenkasse beziehen konnten, die durch Krankheit in der Familie oder durch sonstige aussergewöhnliche Verhältnisse in Not geraten waren. Ausserdem wurden während Jahrzehnten namhafte Beiträge an die Kosten für warme Bäder sowie für den Besuch der Rorschacher Badeanstalten entrichtet.218

214 Archiv Bundesamt, Aktenmappe 553, Aktennotizen zur Zusammenlegung der Kassen, Gründung der EVIDENZIA, K 1559, mit Wirkung ab 1. Januar 1990. 215 Fritschi 1966, S. 4. 216 Vgl. Archiv Bundesamt, Aktenmappe 553, Statuten der Sterbekasse der Feldmühle AG, Rorschach, 19. Februar 1922. 217 Vgl. Fritschi 1966, S. 16-19. 218 Archiv Bundesamt, Aktenmappe 553, Statuten der Hilfskasse der Feldmühle AG, Rorschach, 24. Oktober 1915.

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Beide Institutionen arbeiteten nach dem Grundsatz, dass sie ein von allen soli-darisch getragenes Werk zur Unterstützung Not leidender Mitglieder waren. Deshalb war der Beitritt zu beiden Kassen für alle in der Feldmühle beschäftigten Personen beider Geschlechter obligatorisch. Dies galt auch für jene Beschäftigten, die nicht der Betriebskrankenkasse angehörten. Die Statuten der Sterbekasse und Hilfskasse sahen vor, dass jedes Mitglied oder deren Hinterlassene ein schriftliches Gesuch an die jeweilige Kommission stellen musste, bevor ihnen eine finanzielle Unterstützung gewährt wurde. Trotz den äusserst bescheidenen Prämien, die wohl auch zu jener Zeit lediglich symbolischen Charakter hatten, dürften diese beiden So-zialeinrichtungen so manche Not gemildert haben. Ein Blick in die Jahresbilanzen der beiden Sozialeinrichtungen zeigt, dass Auszahlungen jedoch nur in äussersten Notfällen vorgenommen wurden und sich somit über die Jahre hinweg ein beachtliches Vermögen in den beiden Kassen angesammelt hatte.219 Dies scheint ein deutliches Indiz dafür zu sein, dass mit dem zunehmenden Ausbau des betrieblichen und staatlichen Sozialnetzes die Sterbekasse und Hilfskasse allmählich ihre Bedeutung eingebüsst hatten und immer weniger in Anspruch genommen werden mussten.220 5.2 Der Weg vom Wohlfahrtsfonds zur Pensionskasse der Feldmühle Die Pensionskasse bildet neben der «Ersten Säule» (AHV, IV) die «Zweite Säule» der Alters- Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge und ist eine Einrichtung des sozialen Wohlfahrtsstaates. Die beiden «Säulen» zusammen sollen den Betagten, Invaliden und Hinterbliebenen «die gewohnte Lebenshaltung in angemessener Weise»221 ermöglichen. Diese beiden sozialen Einrichtungen für den heutigen Men-schen eine Selbstverständlichkeit, wurden erst 1947 (AHV/IV) und 1985 (Pensionskasse) zum Obligatorium erklärt. Bis dahin mussten Wohlfahrtfonds und später Personalfürsorgestiftungen von Privatunternehmen die Aufgabe übernehmen, den berufstätigen Menschen und seine Hinterlassenen gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Invalidität und Tod zu schützen. Im Geschäftsbericht von 1932 ist zum ersten Mal die Existenz eines Wohlfahrt-fonds im Rorschacher Kunstseideunternehmen belegt. Dabei handelt es sich um zwei Konten, bei denen die Guthaben für die Altersversicherungskassa der Ange-stellten und die Spar- und Alterskassa der Arbeiter aufgeführt sind.222 Am 22. De-zember 1941 wurde im Sinne von Artikel 80ff. des Schweizerischen Zivilgesetzbu-ches (ZGB) durch öffentliche Urkunde und den Eintrag im Handelsregister vom 29. Dezember 1941 die Fürsorgestiftung der Feldmühle AG (im folgenden Fürsorge-stiftung genannt) mit Sitz in Rorschach errichtet. Nach Artikel 3 der Urkunde be-zweckte die Stiftung die Fürsorge für das Personal der Feldmühle, im besonderen bei Rücktritten infolge Alters oder Krankheitsinvalidität, oder bei Ableben an Witwen und Waisen. Die Organe der Stiftung setzte sich aus einem dreiköpfigen Stiftungsrat

219 Vgl. Fritschi 1966, S. 14 und 19. 220 An dieser Stelle sei Herrn Gebhard Benz herzlich für seine Informationen gedankt. Als Mitglied der Verwaltung führte Herr Benz während über 20 Jahren in der Krankenkasse das Amt des Aktuars aus. 221 Huber 1988, S. 40f. 222 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle 1932, Beilage 1.

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und einer Kontrollstelle zusammen. Der Stiftungsrat wurde ermächtigt, weitere Versicherungskassen einzurichten oder bei einer schweizerischen Lebensversi-cherungsgesellschaft Versicherungsverträge abzuschliessen. Der Verwaltungsrat der Feldmühle dagegen wurde gemäss Urkunde berechtigt, unter Wahrung des Stif-tungszweckes, Reglemente über die Voraussetzungen, den Umfang und die Art der Fürsorgeleistungen zu erlassen, diese zu ergänzen oder abzuändern. Das Grün-dungskapital der Fürsorgestiftung betrug Fr. 250'000.- bestehend in Wertschriften und barem Geld. Dabei war vorgesehen, das Vermögen durch freiwillige Beiträge der Stifterin (Feldmühle AG, Rorschach), durch Kapitalzinsen und eventuell andere Zuwendungen zu vermehren. Das Vermögen der Fürsorgestiftung durfte auch im Falle einer späteren Liquidation der Feldmühle seinem Zweck nicht entfremdet werden. Als direkte Aufsichtsbehörde hatte der Stadtrat Rorschach dafür zu sorgen, dass das Stiftungsvermögen seinem Zweck gemäss verwendet wurde.223 In den Jahren 1942 bis 1949 war das Vermögen der Fürsorgestiftung durch freiwillige Zuwendungen seitens der Feldmühle derart angewachsen, dass die Stiftung auf Ende des Jahres 1949 ein Kapital von über 4 1/2 Millionen Franken aufwies. Weil es sich hierbei um eine patronale Stiftung handelte, musste das Personal der Feldmühle keine Beiträge bezahlen. Ein derartig starkes Anwachsen des Stiftungsvermögens war aber nur deshalb möglich geworden, weil die Für-sorgeaufwendungen nicht der Fürsorgestiftung belastet, sondern von der Feldmühle direkt über die Betriebsrechnung getragen wurden.224 Im Jahre 1950 beschloss der Stiftungsrat aus der bestehenden Fürsorgestiftung zwei selbständige Fürsorgekassen einzurichten. Die Angestellten-Fürsorgekasse der Feldmühle AG (im folgenden Angestellten-Fürsorgekasse genannt) hatte sich nun den Nöten der Angestellten anzunehmen, wogegen für die Probleme der Arbeiter und Arbeiterinnen neu die Arbeiter-Fürsorgekasse der Feldmühle AG (im folgenden Arbeiter-Fürsorgekasse genannt) zuständig war. Als Stifterin der beiden Fürsorgekassen trat jedoch nicht mehr das Unternehmen auf, sondern die Fürsorgestiftung.225 Obwohl es sich bei den beiden neuen Fürsorgeeinrichtungen weiterhin um Stiftungen handelte, wurde nun allgemein nur noch von so genannten «Fürsorgekassen» gesprochen. Der wichtigste Gründungsakt bestand darin, dass der Angestellten-Fürsorgekasse und der Arbeiter-Fürsorgekasse aus dem Vermögen der Fürsorgestiftung ein Gründungskapital von je Fr. 1'750'000.- zugesprochen wurde.226 Im Vergleich zu früher nahmen die Begünstigten nun je einen von 3 Sitzen im Stiftungsrat ein und waren damit unmittelbar in die Entscheidungsprozesse der Fürsorgekassen miteinbezogen. Bezüglich der Organisation und der Zweckbestimmung ergaben sich jedoch keine grossen Veränderungen. Der Stiftungsrat hielt seine Intentionen bezüglich der Schaffung der beiden neuen Fürsorgekassen in einem Schreiben an den Regierungsrat des Kantons St.Gallen wie folgt fest:

223 Vgl. FA Feldmühle, Ordner Sozialeinrichtungen, Öffentliche Urkunde über die Errichtung der Fürsorgestiftung der Feldmühle AG, Rorschach, 22. Dezember 1941. 224 FA Feldmühle, Ordner Sozialeinrichtungen, Zirkulationsbeschluss des Regierungsrates des Kantons St.Gallen, 27. Dezember 1950. 225 Ebd. Aus den Zirkulationsbeschluss des Regierungsrates geht hervor, dass es grundsätzlich nicht ausgeschlossen war, dass eine Stiftung auch eine andere Stiftung begründen konnte. Dennoch stellte die Schaffung einer neuen, selbständigen juristischen Person durch eine bestehende Stiftung einen aussergewöhnlichen Akt dar, der nicht zu den ordentlichen Verwaltungsbefugnissen eines Stiftungsrates gehörte. 226 Vgl. FA Feldmühle, Gb. Feldmühle 1951, S. 2.

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«Die Begünstigten erhalten im Stiftungsrat der beiden Kassen eine Vertretung eingeräumt; bei der bestehenden Stiftung ist dies nicht der Fall. Die vorgese-hene Versicherungsart ist in beiden Kassen verschieden. Während die eine Kasse Altersrenten in Aussicht nimmt, sieht die andere Kasse die Auszahlung von Alterskapital vor. Damit sind die Risiken der beiden Kassen recht ungleich. Es muss vermieden werden, dass Personalvertreter der einen Kategorie im Stiftungsrat bei Beschlüssen über die Versicherung der einen Kategorie mit-sprechen und mitbestimmen. Je nach dem Versicherungsverlauf wird es not-wendig sein, der einen Kasse mehr zuzuweisen als der andern. Nachdem beide Kassen mit dem gleichen Gründungskapital dotiert werden, könnte es bei der einen Personalkategorie zu Misshelligkeiten führen, wenn bezüglich der künfti-gen Zuwendung nicht der gleiche Grundsatz beachtet wird. Später kann auch die Möglichkeit einer Verbesserung der Versicherungsleistungen der einen oder anderen Kasse, je nach deren Verlauf, gegeben sein. Die in der bestehenden Stiftung verbleibenden Mittel sollen künftig für Härtefälle, die bei den Angehö-rigen beider Kassen auftreten können, reserviert bleiben.»227

Die Reglemente der beiden Fürsorgekassen enthielten Bestimmungen, die de-tailliert die Aufnahme und den Austritt, die Leistungen und deren Finanzierung festlegten. Von den Fürsorgekassen aufgenommen wurden alle im dauernden Dienste der Feldmühle stehenden Angestellte und Arbeiter beider Geschlechter, welche das 25. Altersjahr vollendet, das 55. Altersjahr nicht erreicht und 5 anre-chenbare Dienstjahre zurückgelegt hatten. Bei Inkrafttreten der beiden Kassen am 1. Januar 1951 fanden auch die über 55 Jahre alten Personen mit mindestens 5 Dienstjahren noch Aufnahme in die beiden Kassen. Die beiden neuen Fürsorge-einrichtungen sahen weiterhin für ihre Begünstigten Leistungen im Falle des Alters, der Krankheitsinvalidität und des Todes vor. Bezüglich der Leistungen unterschieden sich die beiden Kassen zur Hauptsache dadurch, dass für die Angestellten Altersrenten, für die Arbeiterinnen und Arbeiter dagegen ein Alterskapital ausbezahlt wurde. Bei der Arbeiter-Fürsorgekasse wurde zudem für die Berechnung der Leistungen neben den Dienstjahren auch zwischen den drei Kategorien «Berufsarbeiter», «Hilfsarbeiter» und «Arbeiterinnen» unterschieden, wobei die Zuteilung in die entsprechende Kategorien der Firma vorbehalten blieb. Ausserdem war in beiden Reglementen festgehalten, dass die Leistungen der Fürsorgekassen in keiner Weise durch die Leistungen der eidgenössischen Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV, seit 1947) berührt würden. Damit brachte die Feldmühle deutlich zum Ausdruck, dass sie ihre Stiftungen bezüglich der Perso-nalfürsorge als Ergänzung zur bestehenden eidgenössischen Vorsorge verstand. Wie bereits erwähnt, musste das Personal der Feldmühle weiterhin keine Beiträge leisten, da die beiden Kassen neben dem vorhandenen Stiftungskapital durch zu-sätzliche freiwillig zu leistende Zuwendungen der Feldmühle finanziert wurden.228 Einen weiteren Schritt in die Richtung Betriebspensionskasse unternahm das Rorschacher Kunstseideunternehmen im Jahre 1958, als die Paritätische Ange-stellten-Pensionskasse der Feldmühle AG (im folgenden Angestellten-Pensions-kasse genannt) ins Leben gerufen wurde. Die neue Angestellten-Pensionskasse

227 Zitiert nach: Zirkulationsbeschluss des Regierungsrates des Kantons St.Gallen, 27. Dezember 1950. 228 Vgl. FA Feldmühle, Ordner Sozialeinrichtungen, Reglement der Arbeiter-Fürsorgekasse der Feldmühle AG, Rorschach, 1. Januar 1951, sowie die entsprechenden Ausführungen im Zirkulationsbeschluss des Regierungsrates des Kantons St.Gallen, 27. Dezember 1950.

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ging aus der Angestellten-Fürsorgekasse hervor und erhielt von letzterer ein Grün-dungskapital von Fr. 850'000.- zugesprochen. Im Geschäftsbericht aus dem Jahre 1958 teilte die Geschäftsleitung hierzu mit:

«Die Angestellten werden je nach ihrer Tätigkeit und Stellung in der Firma der einen oder anderen Kasse zugeteilt. Das Reglement für die paritätische An-gestellten-Pensionskasse sieht auch Beträge seitens der Angestellten vor. Die Firma-Beiträge (sic!) an beide Kassen sind ungefähr gleich hoch.»229

Vorwiegend ältere Angestellte verblieben in der Angestellten-Fürsorgekasse, da sich für diese Gruppe ein Übertritt in die Angestellten-Pensionskasse nicht mehr lohnte. Für diejenigen Angestellten, die der Angestellten-Pensionskasse zugeteilt wurden, bedeutete der Übergang von einer patronal zu einer paritätisch geführten Kasse, dass sie einen prozentual festgelegten Anteil ihres Salärs an die Pensionskasse zu leisten hatten. Auch die Feldmühle war nun - im Gegensatz zu den früher auf freiwilliger Basis geleisteten Zuwendungen - statutarisch verpflichtet, sich gleichmässig an den Kosten für die Angestellten-Pensionskasse zu beteiligen. In der Absicht die Personalfürsorge-Einrichtungen der Firma finanziell weiter zu stärken, wurden ab 1. Januar 1966 die Angestellten-Fürsorgekasse und ein Jahr später auch die Arbeiter-Fürsorgekasse auf paritätische Grundlage gestellt. Auf Ende Kalenderjahr 1965 wiesen die drei paritätischen Kassen der Feldmühle ein-schliesslich der als Reserve gedachten allgemeinen Fürsorgestiftung ein Fonds-vermögen von zusammen rund Fr. 11'358'000.- aus.230 Ein Vergleich der Regle-mente der beiden paritätisch geführten Fürsorgekassen zeigt, dass weiterhin we-sentliche Unterschiede in der Aufnahme, der Art der Leistungen und der Finanzie-rung zwischen den Kassen herrschten. In die Paritätische Arbeiter-Fürsorgekasse wurden alle Arbeiterinnen und Arbeiter aufgenommen, sofern sie gesund und voll arbeitsfähig waren, das 25. Altersjahr vollendet und eine Wartefrist von 2 Jahren (früher 5 Jahre) zurückgelegt hatten.231 Für ausländische Arbeitskräfte hingegen war weiterhin eine Wartefrist von 5 Jahren vorgeschrieben, die jedoch auf Gesuch bis auf 2 Jahre verkürzt werden konnte.232 Für die Aufnahme in die Paritätische An-gestellten-Fürsorgekasse galt die Bestimmung, dass Angestellte beider Geschlechter aufgenommen wurden, sofern sie gesund und voll arbeitsfähig waren, das 20. Altersjahr vollendet, jedoch das 45. Altersjahr (Männer) bzw. das 42. Altersjahr (Frauen) noch nicht überschritten hatten.233 Alle Angestellten und Arbeiterinnen, die wegen ungenügenden Gesundheitszustand nicht in die beiden Fürsorgekassen aufgenommen werden konnten, wurden der Sparkasse der jeweiligen Stiftungen zugeteilt. Somit waren auch diese Arbeitskräfte minimal gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Invalidität und Tod geschützt. Aus den Beiträgen dieser ArbeitnehmerInnen bildete sich mit Zins und Zinseszins das «Personal-Sparkapital», aus denjenigen der Firma das «Firma-Sparkapital». Je nach Art des Ausscheidens

229 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle 1958, S. 3. 230 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle 1966, S. 9. 231 FA Feldmühle, Ordner Sozialeinrichtungen, Reglement der Paritätischen Arbeiter- Fürsorgekasse der Feldmühle AG, Rorschach, 1. Januar 1967. 232 Die höhere Wartefrist für die ausländische Arbeitskräfte wurde gemäss Aussage von Frau Trudy Iseli (Vizedirektorin der ehemaligen Pensionskasse der Feldmühle AG, Rorschach) aufgrund der hohen Fluktuationsrate bei den «FremdarbeiterInnen» eingeführt. Zudem sei ein grosser Teil der AusländerInnen nicht besonders an der Personalfürsorge der Feldmühle interessiert gewesen, weil viele ja als Ziel die Rückkehr in die Heimat verfolgt hätten. 233 FA Feldmühle, Ordner Sozialeinrichtungen, Reglement der Paritätischen Angestellten- Fürsorgekasse der Feldmühle AG, Rorschach, 1. Januar 1966.

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aus dem Rorschacher Kunstseideunternehmen wurde nur das persönliche Sparkapital oder in gewissen Fällen auch das «Personal- und Firma-Sparkapital» ausbezahlt.234 Obwohl die folgende Periode nicht mehr zum gewählten Untersuchungsraum gehört, soll kurz die weitere Entwicklung der Personalfürsorge der Feldmühle dar-gestellt werden. Als letzte Stiftung der Feldmühle wurde am 1. Januar 1971 die Pensionskasse der Feldmühle AG (im folgenden Pensionskasse genannt) ge-schaffen. Mit Ausnahme der Fürsorgestiftung aus dem Jahre 1941 wurden alle drei Personalfürsorgekassen (Paritätische Arbeiter-Fürsorgekasse, Paritätische Angestellten-Fürsorgekasse und Paritätische Angestellten-Pensionskasse) gemäss Beschluss der jeweiligen Stiftungsräte aufgelöst, deren Vermögen in die neue Pensionskasse eingebracht und durch eine Einlage der Fürsorgestiftung mit einem Betrag von Fr 2'650'000.- ergänzt.235 Obwohl die Feldmühle bereits seit 1979 über keine Betriebsstätten mehr verfügte, jedoch noch im Besitz von Grundstücken und Kapital war, wurde die Pensionskasse noch bis zum 1. April 1981 weitergeführt. Daraufhin schloss die Feldmühle einen Vertrag mit der Basler Versicherung ab, die am 1. Januar 1992 auch sämtliche Pflichten der Pensionskasse der Feldmühle AG übernahm. Nachdem die Feldmühle am 29. September 1987 endgültig liquidiert wurde, fand am 11. Dezember 1987 eine letzte Änderung der Statuten der Fürsorgestiftung statt. Die Stiftung bezweckte nun die Fürsorge für das ehemalige Personal der Feldmühle und deren Hinterlassenen, im besonderen in den Fällen von Alter, Tod, Invalidität und Krankheit.236 Weil das Vermögen der Stiftung gemäss Artikel 9 der Stiftungsurkunde auch im Falle der Liquidation der Firma seinem Zweck nicht entfremdet werden durfte, fanden alljährlich eine Adventsfeier und jedes zweite Jahr ein Ausflug für die Pensionäre der Feldmühle statt. Anfang des Jahres 1995 - kurze Zeit nachdem der Verfasser seine Vorberei-tungen für die Arbeit aufgenommen hatte - wurde jedoch auch die Fürsorgestiftung der Feldmühle AG, nach über 50-jährigem Bestehen aufgelöst.237 5.3 Das Wohnbauprogramm und die Werksiedlung «Neuquartier» Die Feldmühle hatte dem Wohnungsbau für Werkangehörige schon früh grosse Aufmerksamkeit geschenkt. Bereits 1895 begann die Stickerei Feldmühle hinter dem südlichen Fabrikareal mit dem Bau von Mehrfamilienhäuser für ihre ArbeiterInnen. Unter dem Namen Neuquartier war 1908 eine Werksiedlung mit 41 dreistöckigen

234 Vgl. dazu: Anhang zum Reglement der Paritätischen Arbeiter-Fürsorgekasse der Feldmühle AG, Rorschach, 1. Januar 1967, sowie Anhang zum Reglement der Paritätischen Angestellten-Fürsorgekasse der Feldmühle AG, Rorschach, 1. Januar 1966. 235 FA Feldmühle, Ordner Sozialeinrichtungen, Reglement der Pensionskasse der Feldmühle AG, Rorschach, 1. Januar 1971. 236 FA Feldmühle, Ordner Sozialeinrichtungen, Stiftungsurkunde der Fürsorgestiftung der Feldmühle AG, Rorschach, 10. November 1987. 237 An dieser Stelle sei recht herzlich Frau Trudy Iseli gedankt, die dem Verfasser mit wertvollen Hinweise bei der Bearbeitung des vorliegenden Abschnitts zur Seite stand.

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Wohnhäusern entstanden, die noch heute einen beträchtlichen Teil des eng begrenzten Stadtgebiets von Rorschach ausmachen.238 Nach dem 2. Weltkrieg hatte das Rorschacher Kunstseideunternehmen Schwierigkeiten genügend Wohnraum für ihre Betriebsangehörigen zur Verfügung zu stellen. Im Rahmen eines gross angelegten Wohnbauprogrammes begann die Feldmühle seit 1946 wiederholt Grundstücke zu erwerben, auf denen sie selber mehrere Mehrfamilienhäuser erstellen liess, um diese dann günstig an ihre Ar-beitskräfte zu vermieten. Im Geschäftsbericht von 1947 wurde dazu folgendes be-richtet:

«Schwierigkeiten in der Wohnraumbeschaffung gaben Veranlassung den Bau von drei, je 8 Wohnungen umfassenden Wohnblöcken an die Hand zu nehmen, wovon sich 2 in Bezugsbereitschaft, der dritte noch im Baustadium befinden. [...] Im Hinblick auf die möglicherweise sich ergebende Notwendigkeit der Erstellung weiterer Wohnbauten, sowie vor allem im Interesse der Gewinnung grösserer Bewegungsfreiheit, wurde vorsorglich ein an das bestehende Areal angrenzendes Grundstück im Ausmasse von 34'337 m2 erworben.»239

Am Ende des Geschäftsjahres 1948 verfügte die Feldmühle bereits über insgesamt 207 betriebseigene Wohnungen. 520 Angestellte und ArbeiterInnen des Un-ternehmens, ca. 43% der Belegschaft, lebten mit ihren Familien in den Feldmühle-Wohnungen, im Mädchen- und Arbeiterheim oder in den Wohnbaracken, wo vor-wiegend die ausländischen Arbeitskräfte untergebracht waren.240 Zu einem vorläu-figen Abschluss des Wohnbauprogrammes kam es im Jahre 1949, nachdem die Feldmühle zwei weitere neue Wohnblöcke mit je sechs Wohnungen für die Beleg-schaft erstellt hatte.241 In den folgenden Jahren erwarb das Rorschacher Kunst-seideunternehmen vermehrt bereits bestehende Wohnhäuser, um ihren Wohnraum-bedarf zu decken. In den 60er Jahren war das Neuquartier immer mehr zu einer Ausländerkolonie geworden, weil die einheimischen Arbeitskräfte es zunehmend vorzogen in den neu erstellten Wohnblöcken des Unternehmens oder in privaten Mietwohnungen zu wohnen. Die Wohnverhältnisse in der Werksiedlung der Feldmühle mochten wohl manchmal etwas eng gewesen sein und entsprachen schon seit längerer Zeit nicht mehr dem ortsüblichen Wohnstandard. Für das ganze Quartier gab es eine Gemeinschaftswaschküche und gemeinsame Duschen. Die Plumpsklosetts be-fanden sich in den Treppenhäusern, Badezimmer gab es keine, und die Wohnungen konnten nicht abgeschlossen werden. Das einzige Telefon besass der Quar-tiercoiffeur, der die wichtigsten Nachrichten im ganzen Quartier ausrichten liess.242 Was die Besonderheit des Neuquartiers ausmachte, war seine soziale Über-schaubarkeit: Denn anders als im modernen Massenwohnungsbau war dort Nachbarschaft und Kommunikation noch möglich, war viel Raum für individuelle Entfaltungsmöglichkeiten vorhanden. Die einstige Arbeitersiedlung besass noch «wilde» Gartenparzellen, noch nicht asphaltierte Hinterhöfe und bot unzählige

238 Vgl. dazu den Zeitungsartikel: «Das Neuquartier in Rorschach: Die Werksiedlung der ehemaligen Feldmühle wartet auf eine neue Zukunft», in: Ostschweizer Anzeiger, Nr. 97, 26. Mai 1986. 239 FA Feldmühle Gb. Feldmühle, 1947, S. 3. 240 FA Feldmühle Gb. Feldmühle, 1948, S. 3f. 241 FA Feldmühle Gb. Feldmühle, 1949, S. 2. 242 Vgl. Film Feldmühle, S. 8.

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Spielmöglichkeiten für Kinder.243 Der pensionierte Feldmühlearbeiter Richard Lüchinger, der über 25 Jahre mit seiner Familie im Neuquartier wohnte, erinnert sich wie folgt an diese Zeit zurück:

«Ich wohnte als Arbeiter der Feldmühle, wo ich verschiedene Funktionen inne-hatte, mit meiner Frau und den Kindern während 27 Jahren im Neuquartier. Als nach acht Jahren das sechste Kind kam, konnten wir in eine etwas grössere Feldmühle-Wohnung an der Washingtonstrasse wechseln. Es war ein rechtes, anständiges Wohnen, und wir verstanden uns mit den andern Hausbewohnern, auch mit jenen ausländischer Nationalität, gut. Der Raum wurde manchmal etwas eng, nicht jedes der schliesslich acht Kinder konnte sein eigenes Zimmer haben. Sie wurden trotzdem gross, und gerade sie und die Grosskinder erinnern sich noch heute gerne an die Zeit, in welcher sie im Neuquartier eine freie Jugend geniessen konnten. Wir hätten auch nach der Pensionierung im Neuquartier wohnen können, suchten uns aber etwas Neues, weil wir aus gesundheitlichen Gründen mehr Komfort brauchten.»244

Bezüglich der sozialen Einrichtungen im Rorschacher Kunstseideunternehmen sei zusammenfassend darauf hingewiesen, dass diese sich im Zuge des Aufbaues der staatlichen Sozialpolitik entwickelten und hauptsächlich der finanziellen Unterstützung von schuldlos in Not geratenen ArbeitnehmerInnen dienten. Als weitere sozialpolitische Massnahme sei ausserdem an die Abgabe von Wohnungen an die ArbeitnehmerInnen des eigenen Unternehmens erinnert. In den Wohnungen der Feldmühle lag die Höhe des Mietzinses etwa 15-25% unter den ortsüblichen Ansätzen. Nicht verschwiegen werden soll aber, dass bei dieser Wohnpolitik der Feldmühle auch rein privatwirtschaftliche Überlegungen mitspielten, weil dem Unternehmen dadurch die Möglichkeit gegeben war, sich einen gewissen Personalstamm zu erhalten. Auf die besondere Bedeutung des Mädchenheims und des Arbeiterheims, die für die ledigen ausländischen Arbeitskräfte unterhalten wurden, ist bereits an einer anderen Stelle hingewiesen worden. Der Vollständigkeit wegen sei zudem die Betriebskantine der Feldmühle genannt, die allerdings bei Schichtarbeit durch das Fabrikgesetz vorgeschrieben war. Neben diesen wichtigsten Institutionen seien noch einige weitere Einrichtungen erwähnt, die von der Feldmühle gefördert und massgebliche finanzielle Unterstützung erhielten. Das Kunstseideunternehmen unterhielt für die Feldmühle-Kinder von 1952-1973 einen betriebseigenen Kindergarten, der anschliessend von der Schulgemeinde Rorschach übernommen wurde. In Bezug auf die Sport- und Freizeitgestaltung ist zu erwähnen, dass neben den jährlich durchgeführten Betriebsausflügen, die Firma zudem den «Sportclub Feldmühle» mit den Sektionen Fussball und Handball sowie den «Bocciaclub Feldmühle» finanziell unterstützte. Einen sportlichen Höhepunkt in der Geschichte des Unternehmens stellte die Eröffnung des «Sportplatzes Feldmühle» im Ochsengarten am 20. August 1966 dar, der natürlich mit einem Fussballspiel eingeweiht wurde.

243 Vgl. Ostschweizer Anzeiger, Nr. 97, 26. Mai 1986. 244 «Ehemalige und heutige Bewohner trafen sich zum Jubiläum "100 Jahre Neuquartier" in der einstigen Arbeitersiedlung», in: Ostschweizer Tagblatt, 14. August 1995.

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Teil 3:

Der Feldmühlestreik von 1946

1 Ursachen Die Hauptursache für den Feldmühlestreik von 1946 war ein seit langem gespanntes Verhältnis zwischen der Mehrheit der ArbeiterInnen und der Geschäftsleitung. Diese Spannungen in der Feldmühle hingen nicht zuletzt auch damit zusammen, dass die Direktion einen äusserst autoritären Führungsstil pflegte. Ein weiterer Grund für diese Missstimmung war die bestehende Schichtordnung, die zu langen Ar-beitszeiten, häufiger Sonntags- und Nachtarbeit und damit zu einer starken Bela-stung der SchichtarbeiterInnen geführt hatte. Gleichzeitig ergab sich damit jedoch für die betroffenen ArbeiterInnen aus Zulagen und Überzeitarbeit ein nicht geringer Zusatzverdienst. Wofür die Betriebsangehörigen während des Krieges angesichts der allgemeinen Bedeutung für die Rayonproduktion noch Verständnis aufgebracht hatten, wurde nun als unzumutbare Ausbeutung empfunden.245 Bereits im Sommer 1946 gelangten die ArbeiterInnen in einem Schreiben an das Bundesamt für Industrie und Gewerbe (BIGA), das für die Erteilung der Bewilligungen für die Nor-malarbeitszeit abweichende Stunden- und Schichtpläne zuständig war, und forderten eine Reduktion der Arbeitszeit durch Änderung des Schichtplans. Weil die bestehende Schichtordnung in der Feldmühle in keiner Weise mehr im Einklang mit dem eidgenössischen Fabrikgesetz stand, wurde die Geschäftsleitung am 9. August 1946 vom BIGA angewiesen, bis spätestens Ende Juni 1947 neue Schichtpläne für ihren Betrieb auszuarbeiten. Die neue Schichtordnung sollte die wesentlichen Arbei-ten in den Spinnereiabteilungen auf zwei Tagschichten verteilen, wobei hauptsäch-lich eine Reduktion der Sonntags- und Nachtarbeit als Bedingung gestellt wurde. Die von der Geschäftsleitung der Feldmühle ausgearbeitete neuen Schichtpläne sahen dann wohl eine Verminderung der Sonntagsarbeit wie auch eine Ein-schränkung der Nachtarbeit vor - es handelte sich dabei um einen revidierten Dreischichtenplan und neu vor allem um einen Zweischichtenplan -, hätten aber gleichzeitig auch beträchtliche Lohneinbussen zur Folge gehabt. Die Schichtarbei-terInnen lehnten daraufhin die neuen Schichtpläne, besonders den Zweischich-tenplan, ab. Darauf überarbeitete die Geschäftsleitung die Pläne nochmals und setzte die Einführung der neuen Schichtordnung zuerst auf den 13. Oktober und dann auf den 4. November 1946 an. Allerdings hatte die Geschäftsleitung es unter-lassen, zuvor die Bewilligung des BIGA für die neuen Schichtpläne einzuholen, wonach sie zumindest gemäss Fabrikgesetz verpflichtet gewesen wäre. Eine neue Opposition schien sich zunächst bei den betroffenen ArbeiterInnen nicht bemerkbar gemacht zu haben. Für die Direktion völlig unvermutet traten am 2. November 1946

245 Zur Einstellung der Belegschaft gegenüber der bisherigen Schichtordnung siehe auch: Archiv STFV, Ar.18.208.30, 14. Juni 1946, Prot. Sektionsvorstand Rorschach: «In der Feldmühle Rorschach wird seitens der Arbeiterschaft Sturm gelaufen um endlich die Sonntagsarbeit zum Verschwinden zu bringen.» Eine Umfrage ergab eine Ablehnung der Sonntagsarbeit durch 90% der ArbeitnehmerInnen (24. Juli 1946, Prot. Sitzung Vertrauensleute Rorschach).

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bei Arbeitsbeginn die SchichtarbeiterInnen der vier Spinnereiabteilungen der Feldmühle aus Protest gegen die neue Schichtordnung in einen Sitzstreik. Sie verlangten von der Geschäftsleitung die Ausarbeitung von neuen Schichtplänen, die jedoch zuerst mit einer Delegation der ArbeitnehmerInnen besprochen werden sollten. Zudem forderten die Streikenden, dass die neue Schichtordnung erst nach Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrages - Verhandlungen über einen Kollektivar-beitsvertrag für das Rorschacher Kunstseideunternehmen fanden bereits seit Anfang August 1946 zwischen den Gewerkschaften und der Geschäftsleitung statt - eingeführt werde.246

2 Streikverlauf und Einigungsversuche 2.1 Die ersten Vermittlungsversuche des Einigungsamtes Durch diese Aktion der SpinnereiarbeiterInnen in der Feldmühle wurde einer der letzten grossen Streiks der Schweiz der unmittelbaren Nachkriegszeit ausgelöst. Der Arbeitskampf im Rorschacher Kunstseideunternehmen dauerte gute 5 Wochen, vom 2. November 1946 bis zum 4. Dezember 1946, und erfasste ca. 1'200 Arbeit-nehmerInnen.247 Über den Streikausbruch selbst wurde soviel bekannt, dass die Frühschicht der SpinnereiarbeiterInnen - zusammen 53 Arbeiterinnen und Arbeiter - am 2. November morgens um 5 Uhr wohl ihre Arbeitsplätze eingenommen, sich aber geweigert hatten, die Spinnmaschinen wieder in Gang zu setzen und ihre Arbeit aufzunehmen. Nach Aussage der Gewerkschaften hatten die SpinnereiarbeiterInnen den Streik spontan, ohne vorherige Absprache mit den Arbeitnehmerverbänden und gegen deren Willen, ausgelöst. Unmittelbar nach Streikausbruch benachrichtigten die Gewerkschaften das Einigungsamt des Kantons St.Gallen, welches noch am sel-ben Nachmittag eine Einigungsverhandlung ansetzte. Wie bereits erwähnt, bildete die geplante Einführung der neuen Schichtordnung die Hauptursache für den Streikausbruch in der Feldmühle. Anlass hierzu gab zu-dem das unsensible Verhalten von Feldmühledirektor Grauer, der ohne Mitwirkung der Betroffenen und ohne deren Zustimmung diktatorisch die neuen Schichtpläne einführen wollte. Jedoch musste sich jede neue Schichtordnung, falls die Firma nicht bereit war, die Löhne derart zu erhöhen, dass damit der Verzicht auf ungesetzliche Überstundenarbeit kompensiert werden konnte, nachteilig auf die Einkommenslage der ArbeiterInnen auswirken.248 Zwar zeigte die Geschäftsleitung der Feldmühle in

246 Zur Vorgeschichte des Feldmühlestreiks von 1946 siehe: StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 2. November 1946; 6. November 1946; Volksstimme, Nr. 256, 2. November 1946; Rorschacher Zeitung, Nr. 255, 4. November 1946; Die Ostschweiz, Nr. 511, 5. November 1946; Neue Zürcher Zeitung, Nr. 2045, 12. November 1946; Kobelt 1983, S. 953f. 247 Vgl. Tschopp 1981, Datenhandbuch über politische Aktivierungsereignisse in der Schweiz, Nr. 46138, Streik in der Feldmühle AG in Rorschach: Schichtplan. In den gleichen Zeitraum wie der Feldmühlestreik von 1946 fällt auch der Streik in den Baumwollbetrieben in Uster (ZH), an dem rund 500 ArbeitnehmerInnen beteiligt waren. 248 Über die Höhe der Lohneinbussen sind keine genauen Angaben vorhanden. Da die Überstunden- und Sonntagsarbeit sehr oft auf freiwilliger Basis geleistet wurden, wirkten sich

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der Lohnfrage ein gewisses Entgegenkommen, wollte jedoch keineswegs eine volle Kompensation leisten. Auch war der Weg über ungesetzliche Überstunden nun verbaut, weil in Zukunft mit schärferen Kontrollen durch das Fabrikinspektorat und die Gewerkschaften zu rechnen war. Wohl fand ein in aller Eile ausgearbeiteter «Alternativschichtplan» der ArbeiterInnen die Anerkennung der Feldmühledirektion, musste aber wieder zurückgezogen werden, weil auch dieser den gesetzlichen Erfordernissen nicht entsprach.249 Die Verhandlungen vor dem Einigungsamt gestalteten sich äusserst schwierig, da vorerst beide Interessenvertreter nicht gewillt waren, über erste Zugeständnisse hinaus weitere Konzessionen zu machen. Die Verhandlung vom 2. November diente daher ausschliesslich der gegenseitigen Information. Dabei zeigte sich, dass beson-ders der Schweizerische Textil- und Fabrikarbeiterverband (STFV) die Schichtplanfrage strikte vom Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrages abhängig machen wollte, während die übrigen Gewerkschaften sich für eine Übergangslösung aussprachen. Natürlich bestand auch die Geschäftsleitung darauf, diese beiden Problemkreise getrennt zu behandeln. Das Einigungsamt machte den Vorschlag, dass die Streikenden den Betrieb wieder verlassen sollten, während die Direktion einen von den ArbeiterInnen ausgearbeiteten Entwurf für eine neue Schichtordnung prüfen und anschliessend mit einer noch zu bildenden Arbeiterkommission bespre-chen sollte. Weitere Verhandlungen wurden auf den folgenden Tag festgelegt.250 Die Verhandlungen am Sonntag, den 3. November, hatten ergeben, dass der «Alternativschichtplan» der ArbeiterInnen den gesetzlichen Vorschriften nicht ent-sprach. Daraufhin unterbreitete das Einigungsamt den Interessenvertretern einen ersten Vermittlungsvorschlag.251 Dieser enthielt unter anderem die Bestimmung, die diese von Fall zu Fall unterschiedlich aus. Die Gewerkschaften bezifferten die Lohneinbusse für die SchichtarbeiterInnen pro Monat auf etwa Fr. 50.- bei einem Jahresgehalt von ca. Fr. 5'700.- (ohne Kinderzulage); siehe: StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 2. November 1946. In den Erwägungen des Einigungsamtes wird der Sonntagsverdienst inkl. Schichtzulage auf ca. Fr. 30.- beziffert; siehe: StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 6. November 1946, S. 218f. 249 Vgl. StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 3. November 1946; Kobelt 1983, S. 958ff. Als den ArbeiterInnen bewusst wurde, dass nicht gleichzeitig beiden Forderungen - einerseits keine Lohneinbussen in Kauf zu nehmen und andererseits eine Reduktion der Sonntags- und Nachtarbeit zu erlangen - entsprochen werden konnte, schlug sie vor, den alten Schichtplan wieder in Kraft zu setzen und weiter nach neue Lösungsmöglichkeiten zu suchen. 250 StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 2. November 1946. 251 Vgl. StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 3. November 1946, S. 214f.: 1. Die beiden durch Anschlag vom 5.10.1946 bekannt gegebenen Schichtpläne der Firma werden ab 4. November 1946 provisorisch für die nächsten zwei Zahltagsperioden in Kraft gesetzt. Die beiden Schichtpläne werden durch das Einigungsamt unverzüglich dem BIGA zur Begutachtung und Vernehmlassung unterbreitet. Nach Ablauf von zwei vollen Zahltagsperioden, welche die zur definitiven Beurteilung der Schichtpläne notwendigen Unterlagen ergeben werden, findet eine weitere Verhandlung vor dem Kantonalen Einigungsamt statt. 2. Die Firma wird den von der Neuordnung betroffenen Arbeitnehmern den sich ergebenden Verdienstausfall (Differenz des Durchschnittes der beiden kommenden Zahltagsperioden gegenüber dem Durchschnitt der vier letzten) mit 50% vergüten. 3. Bei der Zuteilung der Arbeiter zu den einzelnen Schichten ist nach Möglichkeit auf ihren Wohnort Rücksicht zu nehmen. 4. Die Arbeit wird Montag, den 4. November 1946 nach den neuen Schichtplänen der Firma wieder aufgenommen. 5. Die Firma vergütet den durch die Arbeitsniederlegung entstandenen Lohnausfall. 6. Den Parteien wird empfohlen, die Verhandlungen über den Kollektiv-Vertrag möglichst rasch zum Abschluss zu bringen.

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neuen Schichtpläne im Rorschacher Kunstseideunternehmen probeweise für die nächsten zwei Zahltagsperioden einzuführen, um erste Erfahrungen für weitere Ver-handlungen sammeln zu können. Die SchichtarbeiterInnen hingegen sollten von der Firma für die Verdienstausfälle, die aus den neuen Schichtplänen resultierten, zur Hälfte entschädigt werden. Der Vermittlungsvorschlag des Einigungsamtes hatte aber bei beiden Parteien keine Chance. Während die Geschäftsleitung wenigstens bereit war, in einige Punkte ein Entgegenkommen zu zeigen, verlangte die Streikenden kompromisslos einen Aufschub der Inkraftsetzung der neuen Schichtordnung bis zum 31. Dezember 1946. Aus Angst, dass aus dem Provisorium dann schliesslich doch ein Dauerzustand würde, forderten sie ausserdem, dass bis dahin auch ein Gesamtarbeitsvertrag abgeschlossen sein müsse. Ein zweiter Vermittlungsvorschlag des Einigungsamtes vom 6. November kam den Forderungen der Streikenden weitgehend entgegen. Wohl nicht ganz zufällig wurde dieser zwei Tage später vom sozialdemokratischen Tagblatt, der Volks-stimme, vollständig veröffentlicht.252 Der Vermittlungsversuch sah vor, die neue Schichtordnung vorläufig nicht in Kraft zu setzen, gleichzeitig aber die Verhandlun-gen über den Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrages fortzusetzen. Eine wesent-liche Änderung zum vorhergehenden Vorschlag bestand darin, dass nun nicht mehr die Firma den durch die Arbeitsniederlegung entstandenen Lohnausfall vergüten musste (vgl. Punkt 5), sondern die Gewerkschaften für die Entschädigung der Streikenden aufkommen sollten (vgl. Punkt 4). Trotzdem wurde dieser Vorschlag von den Streikenden am nächsten Morgen, den 7. November, einstimmig angenommen. Die Direktion dagegen missbilligte den Vorschlag, der sozusagen restlos den Standpunkt der ArbeitnehmerInnen vertrete, und arbeitete einen Gegenvorschlag aus.253 Der Gegenentwurf der Direktion sah vor, die Verhandlungen über einen

7. Der Fall bleibt beim Kantonalen Einigungsamt pendent. Die Parteien werden ausdrücklich auf Art. 34 des Gesetzes betr. das Einigungsamt verwiesen, wonach sie alles zu unterlassen haben, was die gegenseitigen Beziehungen verschlechtern könnte. Die Punkte 8 bis 9 betrafen das Massregelungsverbot und den Termin, bis zu welchem die Stellungnahmen zum Vorschlag dem Einigungsamt bekannt gegeben werden müssen. 252 StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 6. November 1946, S. 218h, S. 218i; Volksstimme, Nr. 262, 8. November.: 1. Die neue Schichtordnung (Zwei- und Dreischichtenplan) vom 5. 10. 1946) tritt vorläufig nicht in Kraft. Die Parteien treten unter dem Vorsitz des Präsidenten des kantonalen Einigungsamtes baldmöglichst zur Beratung einer neuen Schichtordnung zusammen. Die Parteien stimmen darin überein, dass die neue Schichtordnung eine Reduktion der Sonntagsarbeit herbeiführen muss. Die sich daraus ergebende Lohneinbusse soll auf ein tragbares Ausmass beschränkt sein. 2. In gleicher Weise führen die Parteien die Verhandlungen über den Abschluss eines Kollektiv-Vertrages weiter. 3. Der Streik wird sofort abgebrochen und die Arbeit so bald es die technischen Voraussetzungen gestatten, wieder aufgenommen. 4. Von der Erklärung der Arbeitnehmervertreter, dass die Gewerkschaften für den Lohnausfall der Streikenden aufkommen, wird zu Protokoll Kenntnis genommen. Die Punkte 5 bis 7 entsprechen den Punkten 7 bis 9 im ersten Vorschlag. 253 Der Gegenvorschlag der Firma wurde am nächsten Tag, wohl auch nicht ganz zufällig, im Organ der konservativ-christlichsozialen Partei, die Rorschacher Zeitung, Nr. 259, 8. November 1946, veröffentlicht: 1. Die veränderte Schichtordnung gemäss Plan vom 5. Oktober 1946 wird vorerst nur in Spinnerei 4 eingeführt. Dadurch werden 10 Spinnereiarbeiter inskünftig zweischichtig, statt dreischichtig arbeiten.

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Gesamtarbeitsvertrag weiter voranzutreiben. Dagegen beharrte Direktor Grauer darauf, dass die neue Schichtordnung bis zu Weihnachten wenigstens in einer der vier Spinnereiabteilungen eingeführt werde. Die Streikenden sollten bis zum Nachmittag Stellung zum Gegenvorschlag der Direktion nehmen. Damit waren die ersten Vermittlungsversuche des Einigungsamtes vorläufig gescheitert. Ausserdem musste mit einer Ausweitung des Streiks auf den ganzen Betrieb gerechnet werden. Denn schon nach wenigen Tagen hatten sich weitere Ar-beiterInnen den Streikenden angeschlossen und ihre Arbeit ebenfalls niedergelegt. Die Streikbewegung der Feldmühle umfasste bereits 4 Tage nach Streikausbruch ca. 180 ArbeiterInnen.254 Auch mussten ArbeiterInnen in den nichtbestreikten Abteilungen teilweise ihre Maschinen verlassen, weil ihnen kein Material mehr von den im Streik stehenden Abteilungen zuging.255 Da die Spinnereien zu den Schlüs-selpositionen in der Rayonfabrikation zählen und deren Stillstand nach kurzer Zeit die Beschäftigungsmöglichkeiten der anderen Abteilungen in Frage stellen würde, war es nur noch eine Frage der Zeit, wann der ganze Produktionsbetrieb der Feldmühle lahm gelegt sein würde. 2.2 Die Ausweitung des Streiks und weitere Vermittlungsversuche Am Nachmittag, den 7. November, versuchte das Einigungsamt in einem weiteren Anlauf die verfahrene Situation der Feldmühle zu retten. In separaten Gesprächen zuerst mit den SpinnereiarbeiterInnen, dann mit der Streikleitung betonte es, dass es nun an den Streikenden liege, einige Konzessionen zu machen.256 Die Argu-mentation des Einigungsamtes traf jedoch bei den Streikenden auf wenig Ver-ständnis. Als auch eine zusätzliche Besprechung mit Direktor Grauer nichts Neues

2. In den Spinnereien 1, 2 und 3 wird die bisherige Schichtordnung bis zum Weihnachts- Stillstand beibehalten. Bis dahin sollen Erfahrungen mit Spinnerei 4 gesammelt und diese mit den in Betracht kommenden Arbeitern zwecks Einführung in den Spinnereien 1,2 und behandelt werden. 3. Für den Fall, dass die 10 von der Umteilung in den Zweischichtenbetrieb betroffenen Arbeiter Einkommens-Einbussen erleiden sollten, wird ihnen als Übergangs- und Anpassungsmassnahme die Möglichkeit geboten werden durch Leistung von Hilfs- Schichtarbeit in der Spinnerei die Differenz auszugleichen. Diese Übergangsregelung gilt bis 29. Dezember 1946. 4. Die Verhandlungen über den Abschluss eines Kollektivarbeitsvertrages sollen wegen des Streiks der Arbeiter nicht unterbrochen, sondern baldmöglichst zu Ende geführt werden. 5. Der Streik wird abgebrochen und die Arbeit wieder aufgenommen, sobald es die betriebs-technischen Voraussetzungen gestatten. 6. Massregelungen wegen Beteiligung an der gegenwärtigen Kollektivstreitigkeit sind zu unterlassen. 254 Volksstimme, Nr. 261, 7. November 1946. 255 Schon kurze Zeit nach dem Streik in den Spinnereien waren auch die Arbeiter in den Chemieabteilungen in den Streik getreten. Der zunehmende Materialmangel veranlasste die Firma bekannt zu geben, nun auch die Zwirnereiabteilung der Feldmühle am 7. November schliessen zu müssen; siehe: StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 6. November 1946. 256 Die SpinnereiarbeiterInnen hatten vorgeschlagen, dass die Firma die alte Schichtordnung wieder einführen solle, wobei aber die gesetzlichen Bestimmung nach einer Reduktion der Nacht- und Sonntagsarbeit anzuwenden seien; siehe: StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 7. November 1946.

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brachte, bemühte sich das Einigungsamt, die von der Streikleitung angedrohte Ausweitung des Arbeitskampfes auf den ganzen Betrieb, aufzuschieben. Die Ver-sammlung lehnte jedoch den Gegenvorschlag der Direktion mit 117 gegen 80 Stimmen ab. Zugleich wurde die Stilllegung aller Abteilungen der Feldmühle auf Frei-tagmorgen, den 8. November 1946, beschlossen.257 Am 8. November befanden sich nun über 1'000 ArbeitnehmerInnen im Feldmüh-lestreik, lediglich die Angestellten und Werkmeister waren dem Streikaufruf nicht gefolgt. Zur Lage im Rorschacher Kunstseideunternehmen meldete die Rorschacher Zeitung:

«Die Tore sind überall geschlossen, vor ihnen staut sich die Arbeiterschaft und auch die kaufmännischen Angestellten, welche ebenfalls keinen Zutritt zum Be-triebe haben, ausser jenen die das Lohnbureau besorgen. Im Gegensatz zum letzten Streik 1932 [sic!] verhält sich die Arbeiterschaft vollkommen ruhig und diszipliniert.»258

Unter der Parole «Mehr Lohn, mehr Recht und Freiheit im Betrieb!» fanden sich am Freitagnachmittag, den 8. November, alle ArbeiterInnen der Feldmühle im Saal des Hotels «Krone» ein und erwarteten gespannt die Stellungnahmen der Ge-werkschaftsvertreter. STFV-Zentralsekretär Albert Heyer gab zunächst einen chro-nologischen Überblick zum Streikgeschehen und führte dann weiter aus:

«Heute geht es nicht mehr nur um den Schichtplan, heute geht es um den von der Arbeiterschaft geforderten Kollektivarbeitsvertrag, der ihre Lohn-, Anstellungs- und Arbeitsbedingungen vertraglich regeln soll und der auch ihr mehr Lohn, mehr Recht und mehr Freizeit bringen wird.»259

In der anschliessenden Diskussion teilten auch die Vertreter der übrigen Arbeit-nehmerverbände (SVCTB, SVEA, LFSA, SMUV und CMV) ihre Unterstützung im Ar-beitskampf mit.260 Was die ArbeiterInnen der Feldmühle nun forderten, war endlich der Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrags. Weil es schon bei Ausbruch des Sitzstreiks zu Auseinandersetzungen mit Streikbrechern gekommen war, wurde nun ein Streikpostendienst eingerichtet. Zudem erliess die Streikleitung eine generelle Zutrittssperre auch für die Angestellten und Meister, da es von dieser Seite erneut zu Streikbrecherarbeit gekommen war.261 Da nun ein weiteres Ansteigen der Spannungen im Feldmühlestreik zu erwarten waren und die oberste Kantonsbehörde über die Vorkommnisse in Rorschach informiert werden musste, berief das Einigungsamt unverzüglich eine Konferenz ein. An dieser Sitzung nahmen neben den Vertretern des Einigungsamtes auch Landammann Alfred Kessler, zwei hohe Rorschacher Stadträte sowie der zuständige Polizeileutnant teil. An der Sitzung zeigte sich, dass auch der sozialdemokratische Regierungsrat Kessler an einem raschen Frieden interessiert war, vorläufig aber

257 Ebd. 258 Rorschacher Zeitung, Nr. 259, 8. November 1946. Vermutlich unterlief der Zeitung bei der Nennung der Jahreszahl 1932 ein Druckfehler. Der Streik auf den sich der Artikel bezieht fand 1931, vom 23. Juni bis zum 26. Juni, in der Feldmühle statt. 259 Volksstimme, Nr. 263, 9. November 1946. 260 Kobelt 1983, S. 965, weist darauf hin, dass die Art und Weise wie der Streik von einer Minderheit der Belegschaft ausgelöst wurde, keineswegs in Übereinstimmung der Statuten der verschiedenen Gewerkschaften erfolgt sein könne. Vielmehr wurde der Streik von den Gewerkschaften «moralisch» erlaubt; selbst der STFV-Zentralvorstand hatte den Feldmühlestreik erst im Nachhinein legalisiert. 261 Vgl. Rorschacher Zeitung, Nr. 260, 9. November 1946; Volksstimme, Nr. 263, 9. November 1946.

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noch nicht selber als Vermittler auftreten wollte. Ausserdem beschloss die Ver-sammlung, dass die Polizei möglichst wenig in Erscheinung treten sollte. Die Po-lizisten hatte dabei konkret den Auftrag, die Eingänge zu den Fabriktoren in Zivil-kleidung zu überwachen und nur dann einzugreifen, falls es zu Gewalttätigkeiten kommen würde.262 Diese Taktik sollte sich bewähren, denn abgesehen von einigen eher harmlosen Zwischenfällen - die sich bei einem so grossen Streik kaum vermeiden liessen - verlief der 5-wöchige Feldmühlestreik verhältnismässig ruhig und diszipliniert.263 Einen ersten Vermittlungsversuch nach der Ausweitung des Feldmühlekonfliktes hatte das Einigungsamt noch am gleichen Tag unternommen, der jedoch erneut erfolglos blieb.264 Eine Wende in der Vermittlungsstrategie des Einigungsamtes zeichnete sich am 12. November ab, als die Verhandlungen nun unter dem Vorsitz von Regierungsrat Kessler fortgesetzt wurden. Durch den Einbezug eines Mitglieds der kantonalen Exekutive hatte sich das Einigungsamt nun mehr Autorität verschafft. Zudem verlagerte das Einigungsamt den Schwerpunkt der kommenden Verhandlungen nun darauf, zuerst eine Lösung in der Frage des Gesamtarbeitsvertrages zu finden, bevor weiter zur Schichtplanfrage beraten werden sollte. An einer Verhandlung vom 13. November wurden bereits die wesentlichen Meinungsverschiedenheiten zwi-schen den Gewerkschaften und der Geschäftsleitung bezüglich des Ge-samtarbeitsvertrages weitgehend ausgeräumt. Daraufhin befanden auch die Ar-beitnehmerverbände, mit Ausnahme des STFV, dass die noch bestehenden Diffe-renzen derart gering seien, dass eine Weiterführung des Streiks nicht mehr an-gemessen sei, und sie die Annahme des Gesamtarbeitsvertrages unterstützen würden. Merkwürdigerweise gab die beabsichtigte Einführung der neuen Schicht-ordnung bei den Gewerkschaften plötzlich keinen Anlass mehr zu Diskussionen.265 An der Betriebsversammlung vom 14. November präsentierte das Einigungsamt den Streikenden einen Entwurf zum Gesamtarbeitsvertrag, den auch die Direktion akzeptiert hätte. Während sich die Vertreter der Arbeitnehmerverbände SVCTB, SMUV, SVEA, CMV und LFSA klar für die Annahme des Vertrages aussprachen, gab der STFV dagegen keine eindeutige Empfehlung ab. Da der Gesamtarbeits-vertrag wieder die sofortige Einführung der neuen Schichtordnung vorsah, hatte sich jedoch die Mehrheit der Anwesenden gegen den vorliegenden Vertragsentwurf ausgesprochen hatte. Mit 151 Ja gegen 457 Nein und bei 3 Leer-Stimmen hatte die Betriebsversammlung den Entwurf zum Gesamtarbeitsvertrag deutlich abgelehnt.266

262 SA Rorschach, Prot. Stadtrat, Trak. 468, 8. November 1946. 263 Wiederholt wird in den Zeitungen darauf hingewiesen, dass der Streik in der Feldmühle überaus diszipliniert und ruhig verlaufen sei. Dies darf wohl auch als ein wesentliches Merkmal des Feldmühlestreiks bezeichnet werden; siehe: Rorschacher Zeitung, Nr. 259, 8. November 1946; Volksstimme, Nr. 266, 13. November 1946; Ostschweizerisches Tagblatt, Nr. 270, 18. November 1946. 264 StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 8. November 1946. 265 Vgl. StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 13. November 1946; Kobelt 1983, S. 967f. Uneinig waren sich die Interessenvertreter noch bei zwei Lohnpositionen und den Zuschlägen für SchichtarbeiterInnen, Fr. 15.- statt Fr. 12.-, sowie bei der Bezahlung der Schichtpause im Zweischichtenbetrieb. Diese Forderung wurde aber tags darauf wieder fallen gelassen; siehe: StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 20. November 1946, S. 231. 266 Volksstimme, Nr. 268, 15. November 1946. Das Protokoll zu dieser Versammlung fehlt. Kobelt 1983, S. 969, stellt bezüglich des Abstimmungsergebnisses die interessante Frage - die leider weiterhin unbeantwortet bleibt - weshalb bloss rund die Hälfte der Streikenden an der Betriebsversammlung vom 14. November teilgenommen hatten. Wohl nahmen die ca. 120

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Mit zunehmender Streikdauer begannen sich die Fronten im Feldmühlekonflikt weiter zu verhärten. Am Sonntag, den 17. November, organisierte das örtliche Ge-werkschaftskartell eine Demonstration in Rorschach, an der je nach Quellen 3'000 bis 6'000 Personen aus Rorschach und den umliegenden Industriezentren teil-nahmen.267 Auf der anderen Seite hatte Direktor Grauer in einem Expressschreiben vom 18. November das BIGA um die Genehmigung der neuen Schichtordnung er-sucht, die er noch gleichentags erhalten hatte.268 Die neuen Schichtpläne, welche nun bis zum 30. Juni 1947 befristet waren, ersetzten die alte Schichtordnung durch einen Zwei- und Dreischichtenbetrieb, jedoch nur für eine begrenzte Anzahl von Ar-beiterInnen. Durch die Genehmigung der neuen Schichtpläne hatte sich die Position der Arbeitgeberseite bedeutend gestärkt. Dagegen war der Kompromissvorschlag seitens der ArbeiterInnen wieder zur alten Schichtordnung zurückzukehren, praktisch unmöglich geworden. In der Folge nahmen die Vertreter der ArbeiterInnen parallel zu den Verhandlungen mit dem Einigungsamt auch Gesprächen mit dem BIGA auf.269 Die Auseinandersetzung um die neuen Schichtpläne wurde nun jedoch zunehmend zu einer reinen Machtfrage. Die meisten Streikenden lehnten die neuen Schichtpläne nun hauptsächlich deshalb ab, weil sie diktatorisch eingeführt worden seien. Zudem sprachen die Streikenden davon, dass sie kein Vertrauen mehr in die Aussagen des Direktors hätten. Als sich Feldmühledirektor Grauer schliesslich zu weiteren Konzessionen in der Schichtplanfrage bereit erklärt hatte, wurde dies aber von Teilen der ArbeiterInnen als ein Schwächezeichen ausgelegt und hatte sie in ihrer ablehnenden Haltung nur noch weiter bestärkt.270 Am 25. November versuchte das Einigungsamt nun als letzte Möglichkeit die Beilegung des Konfliktes mit einem verbindlichen Schiedsspruch herbeizuführen. An diesem Vorschlag des Einigungsamtes gingen die Meinungen unter den Arbei-terInnen nun deutlich auseinander. Die eine Gruppe, angeführt von STFV-Zentral-sekretär Heyer, lehnte einen verbindlichen Schiedsspruch unter allen Umständen ab. Die andere Gruppe und auch die Mehrheit der Sekretäre der Minderheitsverbände dagegen unterstützten den Vorschlag des Einigungsamtes. Mit einem ähnlichen Stimmenverhältnis wie am 14. November lehnten die ArbeiterInnen schliesslich auch diesen Vermittlungsversuch des Einigungsamtes klar ab.271 Bei diesem ablehnenden Entscheid spielte offenbar neben der Hoffnung auf noch verbesserte materielle Vertragsbestimmungen auch eine Rolle, dass das Einigungsamt nun wieder vor-schlug, die neue Schichtordnung der Firma sofort einzuführen und erst nachträglich zu verbessern. Dagegen sprachen zudem nicht nur die geringen Zulagen, sondern

italienischen Arbeitskräfte nicht an der Abstimmung teil, da sie zu diesem Zeitpunkt noch von der Firma unterstützt wurden; siehe: StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 30. November 1946. 267 Tschopp 1981, Nr. 46141 Rorschach: Solidaritätskundgebung mit Streikenden; Volksstimme, Nr. 270, 18. November 1946; Ostschweizer Tagblatt, Nr. 270, 18. November 1946. 268 StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 20. November 1946. 269 StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 21. November 1946; Volksstimme, Nr. 270, 21. November 1946. 270 Die Firma war bereit den Beginn der Morgenschicht um eine Stunde zu verschieben, sofern die Mehrheit der Betroffenen das wünschte; vgl. StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 21. November 1946; Kobelt 1983, S. 971ff. 271 Volksstimme, Nr. 277, 26. November 1946.

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auch der Prestigeverlust, falls die den Streik auslösende neue Schichtordnung der Direktion nun doch noch eingeführt würde.272 Nach diesen negativen Entscheid schienen nun die Möglichkeiten über das Ei-nigungsamt eine Lösung zu finden vertan. Während sich die FeldmühlearbeiterInnen weiterhin kämpferisch zeigten, teilte die Geschäftsleitung in einem Zirkularschreiben mit, dass sie entschlossen sei, ihr Unternehmen trotz des Streiks demnächst wieder in Betrieb zu setzen.273 Diese Warnung bedeutete im Klartext, dass Direktor Grauer nun fest entschlossen war, Streikbrecher einzusetzen. Ausserdem verstärkte der Feldmühledirektor zu diesen Zeitpunkt den Druck auf die italienischen Arbeiterinnen, indem er ihnen die bisher gewährte Unterstützung entzogen hatte.274 Die Lage in Rorschacher Kunstseideunternehmen drohte nun jeden Tag zu eskalieren, da keine Seite mehr gewillt war, weitere Konzessionen zu machen. 2.3 Der unverbindliche Schiedsspruch und Streikabbruch Einen ersten Versuch, um aus der aussichtslosen Situation herauszukommen, unternahm der Schweizerische Verband Christlicher Textil- und Bekleidungsarbeiter (SVCTB). In einem Schreiben an das Einigungsamt verlangte er die unverzügliche Einberufung einer Plenarsitzung. Ausserdem machte er eine Eingabe beim Regierungsrat betreffend der Ausarbeitung eines unverbindlichen Schiedsspruches. In der Folge griff der Regierungsrat nun überaus aktiv in das weitere Geschehen des Feldmühlestreiks ein. Seine Weisung an das Einigungsamt, notfalls in Zusammenar-beit mit dem Polizeidepartement weitere Massnahmen zu treffen, machte deutlich, dass nun massiver Druck auf die Streikenden ausgeübt werden sollte.275 Das Poli-zeidepartement konnte ja nur dann von Bedeutung sein, wenn es darum gehen sollte, Polizeischutz für Streikbrecher bereitzustellen oder in Zusammenarbeit mit der Fremdenpolizei ausländische Arbeitskräfte auszuweisen. Damit hatte der Regierungsrat unmissverständlich signalisiert, von welcher Seite er die nächsten Konzessionen erwartete. Bevor über den unverbindliche Schiedsspruch abgestimmt werden sollte, gab das Einigungsamt der Direktion und den ArbeiterInnen nochmals die Gelegenheit, eine direkte Einigung zu erzielen; die jedoch ungenützt blieb. Der unverbindliche Schieds-spruch wurde daraufhin am 30. November beiden Parteien zugestellt und am gleichen Tag im Amtsblatt sowie in den wichtigsten regionalen und lokalen Zeitungen veröffentlicht. Im Wesentlichen enthielt der unverbindliche Schiedsspruch Vereinbarungen zu folgenden Punkten: • Vom Tage der Wiederaufnahme der Arbeit gelte der vom Einigungsamt

ausgearbeitete Gesamtarbeitsvertrag (GAV). • Der Streik werde unverzüglich abgebrochen und die Arbeit, sofern dies die

technischen Voraussetzungen des Betriebes zuliessen, wieder aufgenommen. • Für die Spinnereiabteilungen treten die Schichtarbeitsbewilligungen, wie sie das

BIGA am 18. November 1946 erlassen habe, sofort in Kraft.

272 Vgl. Gerlach 1995, S. 449. 273 Volksstimme, Nr. 280, 29. November 1946. 274 Vgl. StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 30. November 1946, S. 272. 275 StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 30. November 1946, S. 270.

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• Massregelungen seien gegenseitig zu unterlassen, sofern es nicht bereits zu Strafurteilen gekommen sei.276

Weil das Einigungsamt und die Behörden wussten, dass der unverbindliche Schiedsspruch bei den Streikenden einen schweren Stand haben würde, wurde nichts mehr dem Zufall zu überlassen. Anders als bei den bisherigen Abstimmungen wurde die Organisation und Durchführung der Betriebsversammlung nicht mehr den Gewerkschaften überlassen, sondern gleich selber in die Hand genommen. Dabei wurde nun eine «echte» Betriebsversammlung einberufen, an der nun alle FeldmühlearbeiterInnen und nicht wie bis anhin nur die organisierten teilnehmen sollten. Auch wurde eine Kopie des Schiedsspruchs allen ArbeiterInnen schriftlich zugestellt. Für die italienischen Arbeiterinnen - betreut von zwei Nonnen, in Anwesenheit des Einigungsamtes und von Direktor Grauer, nicht aber der Ge-werkschaften - wurde der Schiedsspruch an einer vorgängigen Sitzung vom Se-kretär des italienischen Konsulates übersetzt. Einen grossen Einfluss auf die spätere Haltung der Italienerinnen hatte zweifellos die geschickt fallen gelassene Bemerkung des Feldmühledirektors, dass im Falle einer Ablehnung des Schiedsspruches alle Italienerinnen nach Hause zurückgeschickt werden müssten.277 An die Betriebsversammlung vom 3. Dezember, die im grossen Saal des Kino «Palace» abgehalten wurde, erschienen praktisch alle FeldmühlearbeiterInnen, die Vertreter der Gewerkschaften, Landammann Kessler sowie in corpore der Rorschacher Stadtrat. In der Eröffnungsrede verurteilte Regierungsrat Kessler das während Jahren autoritäre Vorgehen der Feldmühledirektion, das viel zum Streikausbruch beigetragen habe. Danach führte der Landammann weiter aus, dass nun aber an den ArbeiterInnen sei, ein Entgegenkommen zu zeigen. Auch sei inzwischen mehr erreicht worden, als die ArbeiterInnen bei Streikausbruch gefordert hätten. Im Anschluss an das regierungsrätliche Votum folgten zahlreiche Dis-kussionen, die den Schiedsspruch zumeist ablehnend beurteilten. Am meisten Opposition gegen den unverbindlichen Schiedsspruch kam aus dem Lager des STFV. Dagegen sprachen sich die Vertreter der Minderheitsgewerkschaften deutlich für eine Annahme des Schiedsspruches aus. Auch kam es während der Ver-sammlung zu massiven Anschuldigungen gegenüber den Behörden, denen vorge-worfen wurde, dass sie die Interessen der Firma mehr vertreten hatten, als die der ArbeiterInnen. Nur ein einzelner Arbeiter jedoch scheint den Streik ausgesprochen als einen Teil des Klassenkampfes angesehen zu haben. Ihm «geht es nicht mehr so sehr darum, den Kampf um den Schichtplan zu führen, sondern darum, ob die Macht des Kapitals oder die Macht der Arbeit siegt».278 Damit hatte sich herausgestellt, dass es auch in der Feldmühle radikale Mitglieder gab, den derselbe Arbeiter warnte kurz vor der Abstimmung: Wir werden es nicht vergessen, wer ja gestimmt hat; wir merken das dann schon heraus.»279 Nochmals setzte sich gegen Ende der Versammlung Regierungsrat Kessler nicht nur als Behördemitglied,

276 Vgl. Rorschacher Zeitung, Nr. 278, 2. Dezember 1946; Volksstimme, Nr. 278, 2. Dezember 1946; Die Ostschweiz, 2. Dezember 1946. Auf eine wortgetreue Wiedergabe des unverbindlichen Schiedsspruches vom 30. November 1946 wird hier aus Platzgründen verzichtet, zumal der Gesamtarbeitsvertrag in Kapitel 5 näher untersucht wird. 277 StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 3. Dezember 1946, S. 279f. 278 StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 3. Dezember 1946, S. 283. 279 Ebd., S. 290.

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sondern auch als ehemaliger Gewerkschafter, für die Annahme des Schiedsspru-ches ein.280 Im Anschluss an die Versammlung fand eine geheime Urnenabstimmung statt, an der die Streikenden den unverbindliche Schiedsspruch mit knapper Mehrheit annahmen. Von den 961 anwesenden Stimmberechtigten hatten 494 mit Ja, 455 mit Nein und 11 mit ungültig oder leer gestimmt. Nach der Abstimmung behauptete der STFV das Resultat sei deshalb zustande gekommen, weil auch kaufmännische Angestellte mitgestimmt hätten, die gar nicht am Streik beteiligt gewesen seien.281 Obwohl dieser Vorwurf des STFV durch die Quellen nicht belegbar ist, so scheint jedoch eine grössere Anzahl ArbeiterInnen aus unerklärlichen Gründen der Abstim-mung ferngeblieben zu sein. Noch am gleichen Tag nahm auch die Feldmühledirektion den unverbindlichen Schiedsspruch an. Nachdem die fünf Minderheitsgewerkschaften und nach längerem Zögern auch der STFV ihre Zustimmung gegeben hatten, wurde der Streik am folgenden Tag abgebrochen. Damit ging am 4. Dezember 1946 der längste Streik in der Geschichte der Feldmühle zu Ende.

280 Die Betriebsversammlung ist zum Teil zusammenfassend protokolliert in: StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 3. Dezember 1946. Eine gute Zusammenfassung der Versammlung findet sich auch in der Volksstimme, Nr. 284, 4. Dezember 1946. Eine ausführliche Auseinander- setzung mit der Hauptversammlung bietet zudem: Kobelt 1983, S. 981-983. 281 Volksstimme, Nr. 285, 5. Dezember 1946.

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3 Strategien der Interessenvertretung 3.1 Die Gewerkschaftspolitik und Verhandlungspolitik Sechs Gewerkschaften bzw. Arbeitnehmerverbände waren am Feldmühlestreik von 1946 beteiligt gewesen. Als so genannte «Minderheitsgewerkschaft» vertrat der Schweizerische Verband Christlicher Textil- und Bekleidungsarbeiter (SVCTB)282 die Interessen der katholisch organisierten ArbeitnehmerInnen in der Feldmühle. Weitere Minderheitsverbände waren der Schweizerische Verband Evangelischer Arbeiter und Angestellter (SVEA), der Landesverband Freier Schweizer Arbeiter (LFSA)283 sowie die beiden Metallarbeiterverbände: Schweizerischer Metall- und Uh-renarbeiterverband (SMUV) und Christlicher Metallarbeiter Verband (CMV)284. Die zentrale Rolle im Feldmühlekonflikt kam dem Schweizerischen Textil- und Fabrik-arbeiterverband (STFV)285 zu, der mit ihrem Vertreter, STFV-Zentralsekretär Albert

282 Die christliche Textilarbeitergewerkschaft entstand etwas früher als der Schweizerische Textil- und Fabrikarbeiterverband (STFV) und beanspruchte ein ausgedehntes Organisationsfeld. Nachdem 1904 in der Textilbranche und 1907 in der Bekleidungs- branche eine gesamtschweizerische Organisation gegründet werden konnte, fusionierten die beiden Verbände im Jahre 1920 zum Christlichen Verband der Arbeiter und Arbeiterinnen der Textil- und Bekleidungsindustrie der Schweiz. 1930 kam es dann bei der christlichen Textilarbeitergewerkschaft zur Namensänderung in Schweizerischer Verband Christlicher Textil- und Bekleidungsarbeiter (SVCTB); 1966 wiederum umbenannt in Christlicher Chemie-Textil- Bekleidungs-Papier-Personalverband (CTB). Die frühzeitige Konsolidierung des SVCTB und seine Verankerung in ländlichen Gebieten dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, dass die christliche Gewerkschaftsbewegung in der Textil- und Bekleidungsbranche bis in die 1940er Jahre hinein stärker war als die entsprechenden SGB-Verbände. Ein Standortschwerpunkt des SVCTB lag in der Baumwollindustrie des Kantons St.Gallen; vgl. Fluder et al. 1991, Gewerkschaften und Angestelltenverbände in der schweizerischen Privatwirtschaft, S. 476f. 283 Neben den katholisch organisierten Gewerkschaften wurde 1920 der Schweizerische Verband Evangelischer Arbeiter und Angestellter (SVEA) ins Leben gerufen, was eine weitere Fragmentierung des Verbandsystems entlang der konfessionellen Linie bedeutete. Bereits 1919 hatte sich auch der Landesverband Freier Schweizer Arbeiter (LFSA) als «freiheitlich-nationale» Richtungsgewerkschaft gebildet. Beide Gewerkschaften organisierten ArbeiterInnen in allen Branchen; vgl. Fluder et al. 1991, S. 42. 284 1905 erhielt der Schweizerische Metall- und Uhrenarbeiterverband (SMUV) mit der Gründung des Christlichen Metallarbeiterverbandes (CMV) Konkurrenz aus dem Lager der christlichen Gewerkschaften. Gegründet wurde der CMV aus weltanschaulichen Gründen, als Gegenbewegung zu den sozialistisch orientierten Gewerkschaften. Ideologisch wurzelte der Verband in der christlichen Soziallehre. Er bekannte sich zur «natürlichen Interessengemeinschaft» von Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen, die den Interessen- und Klassenkampf ersetzen sollte. Gegenüber Streiks war er deshalb äusserst zurückhaltend; vgl. Fluder et al. 1991, S. 224. 285 Die Wurzeln der Entstehung des Schweizerischen Textil- und Fabrikarbeiterverbandes (STFV) reichen bis in die Jahrhundertwende zurück. 1897 wurde als erster Textilarbeiterverband mit gewerkschaftlicher Ausrichtung und überregionaler Bedeutung der Schweizerische Textilarbeiterverband gegründet. Obwohl dieser den Anspruch erhob, die gesamte Textilbranche der Schweiz zu organisieren, blieb sein Wirken auf Zürich und Basel beschränkt. Erst 1903 kam es dann zur Schaffung des ersten gesamtschweizerischen Verbandes, dem Allgemeinen Schweizerischen Textilarbeiterverband. Dieser Verband war zunächst ein Bündnis von weitgehend autonom fortexistierender Einzelverbände der Textilbranche. 1908 wurde diese Föderation anlässlich der Gründung des Schweizerischen Textilarbeiterverbandes (STAV) aufgelöst. Unstimmigkeiten zwischen Fabrik- und HeimarbeiterInnen führten jedoch schon 1915 zur Spaltung des Verbandes in einen Textilarbeiterverband STAV (Fabrikarbeiterverband) und einen Textilheimarbeiterverband. In den

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Heyer, zum wichtigsten gewerkschaftlichen Sprachrohr für die Interessen der Ar-beiterInnen wurde. Da der STFV zur Zeit des Streikausbruchs die Mehrheit der Or-ganisierten innerhalb der Spinnereiabteilungen besass, übernahm dieser auch die Leitung der Streikbewegung im Rorschacher Kunstseideunternehmen.286 Das Verhältnis der Gewerkschaften untereinander war geprägt durch ihre Zuge-hörigkeit zu den Dachverbänden und durch ihre unterschiedliche Orientierung der In-teressen im öffentlichen und privaten Bereich. Insbesondere zwischen den beiden Textilarbeiterverbänden STFV und SVCTB war es immer wieder zu Konflikten ge-kommen, weil beide Verbände sich um Mitglieder aus derselben Branche stritten. Nachdem sich Mitte der 40er Jahre der STFV auch als repräsentative Gewerkschaft in der Chemiebranche zu etablieren vermochte, wurde der SVCTB zunehmend von seiner Führungsposition im Organisationsfeld verdrängt.287 In der unmittelbaren Nachkriegszeit gab sich insbesondere der STFV nicht mehr mit dem Aushandeln von Sozialplänen zufrieden, sondern legte ein offensiveres gewerkschaftliches Profil zutage. Dabei sollten die Arbeitgeber gezwungen werden, kollektive Arbeitsverträge zu unterzeichnen. Zugleich ging es dem STFV darum, als Interessenvertreter aller ArbeitnehmerInnen der Textilindustrie anerkannt zu werden. Zur Durchsetzung die-ser Strategie wurde mit Streiks, Solidaritätsaktionen und grossen Kundgebungen eine aktive Mobilisierungspolitik verfolgt.288 Nachdem die 53 ArbeiterInnen in den Spinnereiabteilungen der Feldmühle am 2. November 1946 ihre Arbeit niedergelegt hatten, begann der STFV unverzüglich mit der Mobilisierung weiterer ArbeitnehmerInnen. Schon vier Tage nach dem Sitzstreik

folgenden Jahren schlossen sich dem STAV auch FabrikarbeiterInnen aus anderer Branchen an. 1914 wurden die ChemiearbeiterInnen, die bisher verschiedenen anderen Verbänden des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes angehört hatten, dem STAV zugeteilt. Zudem schlossen sich 1926 ein Teil der PapierarbeiterInnen dem STAV an, nachdem sich der Verband der Papier- und Hilfsarbeiter des graphischen Gewerbes aufgelöst hatte. 1937 erfolgte dann die Umbenennung von STAV in Schweizerischer Textil- und Fabrikarbeiterverband (STFV); vgl. Fluder et al. 1991, S. 473-476. 286 Gemäss dem Prot. ZV-STFV vom 29. November 1946 waren rund 800 ArbeiterInnen der Feldmühle in Gewerkschaften organisiert. Davon entfielen ca. 450 Mitglieder auf den STFV und 220 Mitglieder auf den SVCTB; die restlichen Mitglieder auf den SVEA, den LFSA, den SMUV, den CMV. Der SVCTB dagegen meldete, dass von den rund 1'200 ArbeitnehmerInnen der Feldmühle ca. 400 Mitglieder bei ihm organisiert gewesen seien (Prot. ZV-SVCTB vom 12. November 1946). Zudem hielt der SVCTB in seinem Protokoll fest, dass nun 116 Neuaufnahmen gemacht worden seien; siehe Berechnungen von: Kobelt 1983, S. 955. Aus den unterschiedlichen Angaben der beiden Arbeitnehmerverbände schliessen wir, dass die in den Protokollen veröffentlichten Mitgliederzahlen mit entsprechender Vorsicht zu interpretieren sind. Zudem ist anzunehmen, dass die zu diesem Zeitpunkt herausgegebenen Zahlen auch jene Mitglieder enthalten sind, die erst mit dem Streik einer Gewerkschaft beitraten. Über die Höhe der Mitgliederzahlen vor dem Streik lässt sich daher nichts Konkreteres aussagen. Auch behauptete der STFV erst nach dem Feldmühlestreik, mit dem Übertritt von 60 Mitgliedern aus anderen Verbänden, dass er nun die Mehrheit aller Organisierten stelle. Entsprechend ist auch die Bezeichnung «Minderheitsgewerkschaft» für den SVCTB nicht ganz korrekt. Dennoch haben wir diesen Begriff auch in unserer Untersuchung weiter verwendet, zumal der SVCTB in den Quellen oftmals als Minderheitsgewerkschaft betitelt wurde. 287 Fluder et al. 1991, S. 490. 288 Vgl. hierzu die Untersuchung von Gerlach 1995. Im Zentrum dieser Studie steht die Entwicklung von Ideologie und Organisation des Schweizerischen Textil- und Fabrikarbeiterverbandes und des Verbandes der Arbeitgeber der Textilindustrie der Schweiz von 1935 bis 1955. Nicht durch friedliche Verständigung, sondern begleitet von heftigen Auseinandersetzungen und Streiks wurden in den ersten Nachkriegsjahren auch in der schweizerischen Textilindustrie erstmals Tarifverträge abgeschlossen und damit die institutionellen Grundlagen der Sozialpartnerschaft geschaffen.

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hatten sich die Bemühungen des STFV bereits ausbezahlt, so dass sich ca. 180 Ar-beiterInnen den Streikenden angeschlossen hatten. Als auch nach mehreren Eini-gungsversuchen kein Ergebnis im Schichtplankonflikt mit der Geschäftsleitung erzielt werden konnte, rief die Streikleitung zur Betriebsstilllegung und zur Arbeitsniederle-gung der gesamten Feldmühlebelegschaft auf. Mit Ausnahme der Angestellten legten am 8. November rund 1'000 Beschäftigte ihre Arbeit nieder. Obwohl nicht alle ArbeiterInnen der Feldmühle in Verbänden organisiert waren, gelang es den am Konflikt beteiligten Gewerkschaften, alle ArbeiterInnen für den Kampf gegen die Firma zu mobilisieren. Zudem vermochten die Gewerkschaftsvertreter zahlreiche ausserbetriebliche Arbeitnehmerverbände für die Anliegen der streikenden FeldmühlearbeiterInnen zu gewinnen. Täglich gingen bei der Streikleitung und den Gewerkschaftsführern Solidaritätsbotschaften ein, welche die Streikenden sowohl ideell als auch materiell unterstützten.289 So hatte beispielsweise der Schweizerische Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) der Sektion St.Gallen die folgende Botschaft an die FeldmühlearbeiterInnen ausrichten lassen:

«Die Sektion St.Gallen des Verbandes des Personals öffentlicher Dienste [...] Die Sektion spricht der streikenden Arbeiterschaft in Rorschach ihre Sympathie und Solidarität aus und wünscht guten Erfolg in ihrem gerechten Kampf um die Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen und um grössere Freiheit im Betrieb.»290

Massgeblichen Anteil an dieser überaus aktiven Mobilisierungspolitik der Arbeit-nehmerverbände hatte der STFV. Als selektiver Anreiz für das kollektive Handeln der ArbeiterInnen war die Streikunterstützung der Gewerkschaften, d.h. die finanzielle Entschädigung an die Mitglieder, die sich aktiv oder passiv an der Arbeits-niederlegung beteiligten, von grosser Bedeutung gewesen.291 Im Gegensatz zum STFV hatte es der SVCTB jedoch vorerst versäumt, die statutarisch bestimmte Streikunterstützung an die Teuerung anzupassen. Während es beim SVCTB auch zu zahlreichen Pannen bei der Unterstützungsauszahlung gekommen war, be-schloss der STFV-Vorstand noch zwei Tage vor Streikende seinen Mitgliedern in der Feldmühle eine zusätzliche Streikunterstützung zu gewähren.292 Eine überaus aktive Mobilisierungspolitik betrieben auch die Gewerkschaftskar-telle der Sektionen Rorschach und St.Gallen,293 welche alle ArbeitnehmerInnen der

289 Solidaritätsbeweise gingen vorwiegend von den folgenden Mitgliedsverbänden des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) ein: Verband der Handels-, Transport- und Lebensmittelarbeiter der Schweiz (VHTL) der Sektion St.Gallen der Brauer und Küfer; Schweizerischer Eisenbahnerverband (SEV) der Sektion Rapperswil des Zugpersonals. 290 Zitiert nach: Volksstimme, Nr. 270, 18. November 1946. 291 Vgl. Gerlach 1995, S. 123-128. 292 Volksstimme, Nr. 282, 2. Dezember 1946; Kobelt 1983, S. 975a: Der SVCTB liess dagegen nach dem Streikabbruch auf Weihnachten seinen am Streik beteiligten Mitgliedern eine Zuschussprämie von Fr. 25.- an Ledige und Fr. 50.- an Verheiratete zukommen. Nach Aussage eines ehemaligen Feldmühlearbeiters erhielten die Streikenden vom STFV ein Taggeld von Fr. 7.-; vgl. Film Feldmühle, S. 6. 293 Nach Fluder et al. 1991, S. 120, galten die kantonalen Gewerkschaftskartelle als territoriale Untereinheiten des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Sie waren in erster Linie die «verlängerten Arme» oder «Stützpunkte» des SGB, und übten deren Funktion auf regionaler bzw. lokaler Ebene aus. Während die berufs- bzw. branchenspezifische Interessenvertretung beim SGB ausschliesslich in die Kompetenz der Mitgliedsverbände (Gewerkschaften) fällt, nahmen die kantonalen Gewerkschaftskartelle lediglich eine Unterstützungsfunktion wahr. Das eigentliche Tätigkeitsfeld der kantonalen Gewerkschaftskartelle lag daher auch in der politischen Einflussnahme auf den kantonalen

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Ostschweiz mit dem folgenden Aufruf in der Volksstimme zu einer Demonstration nach Rorschach aufriefen:

«Eine grosse Protestversammlung und Solidaritätsaktion in Rorschach findet Sonntag, den 17. November, nachmittags 2 Uhr, auf dem Marktplatz statt. Es gilt zu protestieren gegen die fortwährende Irreführung der Öffentlichkeit durch die Feldmühle AG. Zugleich gilt es, sich mit den Streikenden solidarisch zu erklären und ihnen zu zeigen, dass wir uns mit ihnen verbunden fühlen. Die Arbeiterschaft von St.Gallen, Arbon, aus dem Rheintal und dem Appenzeller Vorderland wird daher gebeten, sich an der Kundgebung zu beteiligen.»294

Obwohl die Demonstrationsveranstaltung von den «nichtsozialistischen» Gewerk-schaften (SVCTB, SVEA, CMV und LFSA) boykottiert wurde, nahmen am 17. No-vember 1946 je nach Quellen zwischen 3'000 bis 6'000 SympathisantInnen an der Protest- und Solidaritätskundgebung für die streikenden ArbeiterInnen der Feldmühle teil.295 Eine Woche später folgten dann 110 ArbeiterInnen der Feldmühle einer Gegeneinladung der STFV-Sektion Zürich, um an einer Demonstration für die streikende Belegschaft in Uster ihre Solidarität kund zu tun.296 Betreffend der Verhandlungspolitik der Gewerkschaften ist zu bemerken, dass die Arbeitnehmerverbände wohl die Interessen der Streikenden an den Einigungs-verhandlungen vertraten, die Entscheidungsfreiheit aber bei den ArbeiterInnen lag. An Betriebsversammlungen und den anschliessenden Abstimmungen entschied je-weils die Mehrheit der anwesenden Streikenden in letzter Instanz über Abbruch oder Weiterführung des Streiks. An den Einigungsverhandlungen traten die Ge-werkschaften keineswegs immer als geschlossene Einheit auf. Das Konkurrenz-verhältnis zwischen den am Streik beteiligten Arbeitnehmerverbänden trat erstmals offenkundig am 14. November zutage, als ihnen vom Einigungsamt ein Ver-tragsentwurf zur Abstimmung zuging. Während sich die Funktionäre der Verbände SVCTB, SMUV, CMV, SVEA und LFSA für die Annahme des Gesamtarbeitsvertra-ges und den damit verbundenen Streikabbruch ausgesprochen hatte, verzichtete dagegen der STFV eine Empfehlung abzugeben. Damit vermied es der STFV, eine Empfehlung gegen die Stimmung unter den Streikenden zu geben, die eindeutig gegen die Einführung der neuen Schichtordnung gerichtet war. Gleichzeitig über-nahm er aber nicht direkt die Verantwortung für eine Weiterführung des Feldmüh-lestreiks, die recht riskant war, da nach den bisherigen materiellen Zugeständnissen der Firma zusätzliche Erfolge nur noch sehr bedingt zu erwarten waren. So vermutete der SVCTB hinter dem Verhalten des STFV «verbandstaktische Erwä-gungen» und warf ihm vor, seine Verantwortung gegenüber den Streikenden zu wenig wahrzunehmen.297 Auch an den folgenden Vertrags- und Einigungsverhand-lungen kam es immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ge-werkschaftsvertretern, da der STFV nach Ansicht der übrigen Arbeitnehmerverbände eine zu aggressive Verhandlungspolitik betrieb. In der Abstimmung vom 3. De-zember über den unverbindlichen Schiedsspruch unterlag der STFV schliesslich an

Gesetzgebungsprozess, im Bereich der Rechtsauskunft und -beratung sowie in der Bildungsarbeit. 294 Volksstimme, Nr. 265, 12. November 1946. 295 Volksstimme, Nr. 270, 18. November 1946. Im Anschluss an die Kundgebung - Hauptredner waren STFV-Zentralsekretär Albert Heyer und STFV-Funktionär Otto Schütz aus Zürich - formierte sich ein Demonstrationszug mit ca. 2'000 - 3'000 TeilnehmerInnen durch Rorschach. 296 Volksstimme, Nr. 279, 28. November 1946. Dem STFV wurde danach vorgeworfen, er habe die Reise der FeldmühlearbeiterInnen nach Zürich aus Spendengeldern finanziert. 297 Vgl. Gerlach 1995, S. 451.

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der sich inzwischen gebildeten Allianz zwischen den behördlichen Instanzen und den Minderheitsgewerkschaften. Die Betriebsversammlung hatte sich mit knapper Mehrheit für die Annahme des unverbindlichen Schiedsspruches und damit für den Streikabbruch in der Feldmühle entschieden.298 3.2 Die Arbeitgeberpolitik und Verhandlungspolitik Die wirtschaftliche Situation der Firma im Streikjahr 1946 war durch die folgenden Gegebenheiten gekennzeichnet. Das erste Jahr nach Kriegsende, das im Zeichen einer günstigen Konjunktur stand, hatte der Feldmühle befriedigende Produktions- und Absatzverhältnisse gebracht. Als Folge der staatlichen Ausfuhrbeschränkungen konnten jedoch nur geringe Mengen exportiert werden, so dass der überwiegende Teil der Rayonproduktion den einheimischen Verarbeitungsindustrien reserviert blieb.299 Weil die Verkaufspreise für Rayon in der Schweiz verhältnismässig tief wa-ren, sah sich die Feldmühle immer wieder gezwungen, die Herstellungskosten zu senken. Somit musste sich eine Erhöhung der Löhne zwangsläufig negativ auf die Gesamtkosten auswirkten. Da jedoch eine Erhöhung der Saläre unumgänglich schien und zudem Mangel an Arbeitskräften herrschte, versuchte die Geschäftsleitung dies durch den vermehrten Einsatz von italienischen Arbeitskräften auszugleichen.300 Um weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben, ergriff sie auch immer wieder Massnahmen zur Rationalisierung der Fabrikation. Nachdem das BIGA der Geschäftsleitung aufgefordert hatte neue Schichtpläne auszuarbeiten, die der Forde-rung nach einer Reduktion der Nachtarbeit und langer Sonntagsschichten ent-sprachen, glaubte die Firma mit der Einführung des Zweischichtenbetriebs dem selbstgestellten Begehren der ArbeiterInnen Rechnung getragen zu haben. Aus technischen und wirtschaftlichen Gründen erachtete es das Unternehmen jedoch als unumgänglich, den durchgehenden Schichtbetrieb aufrecht zu erhalten.301 Das seit langem gespannte Verhältnis im Rorschacher Kunstseideunternehmen hing auch damit zusammen, dass die diktatorisch durchgesetzten Entscheidungen von Feldmühledirektor Grauer die ArbeiterInnen immer wieder aufs Neue erbittert und zu Missstimmung geführt hatten. Die Kommunikation zwischen der Belegschaft und der Geschäftsleitung wurde auch dadurch erschwert, weil im Unternehmen, welches über 1'200 ArbeitnehmerInnen beschäftigte, immer noch keine Arbeiterkommission vorhanden war.302 Bei der umstrittenen Einführung der neuen

298 Vgl. StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 3. Dezember 1946; 299 Vgl. Neue Zürcher Zeitung, Nr. 2161, 26. November 1946. 300 Siehe: SA Rorschach, Prot. Stadtrat, Trak. 165, 22. August 1946. Die Feldmühle ersuchte den Stadtrat Rorschach für weitere 155 Italienerinnen um eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung in der Gemeinde Rorschach. 301 Nach Daetwiler 1952, S. 72, konnte zumindest im chemischen Teil einer Kunstseidefabrik der Herstellungsprozess nicht unterbrochen werden. Deshalb sei es notwendig gewesen, dass in diesen Abteilungen durchgehend, d.h. Tag und Nacht, gearbeitet wurde. Die Entwicklung des modernen Rayonherstellungsverfahrens, Kontinue-Verfahren genannt, habe jedoch auch in den textilen Abteilungen der Kunstseideunternehmen vermehrt zu einer Art Fliessbandprozess geführt. Daher arbeiteten die ArbeiterInnen auch diese Abteilungen teilweise im Schichtbetrieb. 302 Schon im Teilarbeitsstreik von 1931 war die Schaffung einer Arbeiterkommission ein Hauptanliegen der Streikenden gewesen; vgl. StASG, R 109 B1, Prot. EASG, 25. und 26. Juni 1931. Obwohl die Geschäftsleitung nach dem Streik von 1931 der Belegschaft eine Arbeiterkommission zugestanden hatte, war diese immer noch nicht zustande gekommen. Wie

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Schichtordnung zeigte sich besonders deutlich, wie nützlich eine Arbeiterkommission gewesen wäre, die den ArbeiterInnen eine Mitsprache und der Direktion einen direkten Ansprechpartner ermöglicht hätte. Denn schon vor Streikausbruch hatte sich Direktor Grauer jeweils strikte geweigert, auf die von den Gewerkschaften vorgebrachten Forderungen direkt einzugehen, und liess sich auch vom Einigungsamt nicht zu einer gesprächsbereiten Haltung bewegen, sondern ging auch diesem gegenüber auf Konfrontationskurs.303 Auch die spätere Verhandlungspolitik des Feldmühledirektors zeichnete sich durch eine permanente Ablehnung der Gewerkschaften als Verhandlungspartner aus. Nachdem der Arbeitskampf in der Feldmühle ausgebrochen war, klagte Direktor Grauer: «Letzten Endes geht der Streit [...] um das Ausmass des Einmi-schungsrechtes der Arbeitnehmer-Verbände, d.h. ihrer Sekretariate, in die inneren Angelegenheiten des Betriebes.»304 Immer wieder kam es während den Einigungs- und Vertragsverhandlungen seitens der Direktion zu Versuchen die Gewerkschaften zu umgehen, um direkt mit der ArbeiterInnen zu verhandeln. Da diese Taktik jedoch zu keinem Erfolg führte, verfolgte Direktor Grauer mit zunehmender Streikdauer eine Politik der Einschüchterung. Mittels Zirkularschreiben teilte der den ArbeiterInnen mit:

«Die Feldmühle hat während der verflossenen zwei Wochen ihren Betrieb gänzlich stillgelegt, um Spannungen und Ausschreitungen möglichst zu vermeiden. Sie kann indessen Zustand nicht auf die Länge andauern zu lassen, sondern wird, nicht zuletzt im Interesse der Versorgung ihrer nachgeschalteten Betriebe, ihrer Heimarbeiterinnen und ihrer Abnehmer im allgemeinen, den Betrieb sukzessive wieder in Gang bringen.»305

Kurze Zeit später drohte der Feldmühledirektor zudem, dass bei einem Fortdauern des Streiks die italienischen Arbeiterinnen heimgeschafft und die Angestellten für 14 Tage in die Ferien geschickt würden.306 Den ca. 120 italienischen Arbeiterinnen, die erst seit kurzer Zeit im Rorschacher Kunstseideunternehmen beschäftigt waren, kam eine bedeutende Rolle am Ausgang des Feldmühlestreiks zu. Zumindest anfänglich standen auch die Italienerinnen auf der Seite der Streikenden, wie die Einstellung der Unterstützungsleistung von Fr. 1.- im Tag nebst freier Kost und Logis durch die Firma belegt.307 Immerhin bestand für sie die Gefahr, dass sie bei einem länger andauernden Streik keine Beschäftigung mehr finden würden und unter Umständen, falls eine Weitervermittlung ohne Erfolg bliebe, gar in die Heimat zurückkehren müssten. Nachdem Direktor Grauer den Italienerinnen gedroht hatte, sie als «unbemittelte» Ausländerinnen auszuweisen, bemüht sich der STFV darum sie zu organisieren und bezahlte auch ihnen eine Streikunterstützung.308 Dennoch scheint

es scheint, waren an dieser Situation hauptsächlich die Rivalitäten unter den Gewerkschaften schuld, da sie sich nicht über die Zusammensetzung einigen konnten. 303 Vgl. StASG, A 90/30, Akten EASG, 27. Oktober 1945: Der Feldmühledirektor verweigerte dem Einigungsamt telefonisch genaue Lohnangaben: «Er lasse sich weder von den Gewerkschaften noch vom E. A. etwas sagen, werde [...] vor E. A. erscheinen, nicht aber vor der Türe warten, bis das E. A. beraten habe. Ein Erfolg werde nicht resultieren.» 304 Die Ostschweiz, Nr. 515, 7. November 1946. 305 Volksstimme, Nr. 280, 29. November 1946. 306 Volksstimme, Nr. 284, 4. Dezember 1946. 307 StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 30. November 1946, S. 272. 308 Diese Aussage ist nicht direkt durch die Protokolle des Einigungsamtes belegt. Hinweise darauf liefert: Marti 1952, 50 Jahre Schweizerische Textil- und Fabrikarbeiterorganisation 1903-1953, S. 238: «Weil die Fremdarbeiter mitstreikten, wollte er [Direktor Grauer] sie kurzerhand als

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die Einschüchterung des Feldmühledirektors gewirkt zu haben, da die italienischen Arbeiterinnen aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes dem Schiedsspruch zugestimmt und damit Wesentliches zum Streikabbruch beigetragen hatten.309 Zum Zeitpunkt des Streikausbruchs waren ca. 170 Angestellte im Rorschacher Kunstseideunternehmen beschäftigt. Diese verteilten sich neben der Direktion und den übrigen leitenden Führungskräften, je nach ihrem Tätigkeitsbereich, in kauf-männisches und technisches Personal. Obwohl es auch bei den Angestellten der Feldmühle mit den Löhnen und Arbeitsbedingung nach dem 2. Weltkrieg nicht zum Besten stand, nahmen sie nicht am Arbeitskampf der übrigen Belegschaft teil. Vielmehr stellten sich die Angestellten auf die Seite des Arbeitgebers und verrich-teten teils freiwillig oder gezwungenermassen mehrfach Streikarbeit. Zu einer ersten Auseinandersetzung zwischen Streikbrechern und ArbeiterInnen war es kurz nach Beginn des Sitzstreiks am 2. November gekommen. Dabei versuchten die Firma mit Hilfe der Werkmeister und einigen Angestellten die Spinnmaschinen wieder in Gang zu setzen, was jedoch am heftigen Widerstand der SpinnereiarbeiterInnen scheiterte.310 Ausserdem war durch eine gewollte oder unbeabsichtigte Fehlmanipulation Luft in den Spinnprozess gelangt, so dass die noch laufenden Maschinen wieder abgestellt werden mussten.311 Dass sich die Angestellten nicht mit der ArbeiterInnen solidarisieren konnten oder wollten, dürfte mehrere Gründe gehabt haben. Zum einen hatten die Angestellten sich in eigenen Verbänden ausserhalb der am Streik beteiligten Gewerkschaften organisiert. Von Bedeutung war dabei der Schweizerische Kaufmännische Verein (SKV), obwohl dieser nur einen Teil des kaufmännischen Personals der Feldmühle zu organisieren vermochte.312 Mehrmals protestierten die SKV-Sektionen von Rorschach, St.Gallen und Zürich überaus heftig gegen die Streikbrecherarbeit der Angestellten.313 An der monatlich stattfindenden Versammlung der SKV-Sektion St.Gallen äusserte sich ihr Präsident Dr. Büeler wie folgt:

«Ob der Streik gerechtfertigt sei oder nicht, habe er nicht zu untersuchen. Aber in aller Form müsse schärfster Protest und Empörung darüber ausgesprochen werden, dass die Direktion kaufmännische Angestellte zur Bedienung von Maschinen an Stelle der Streikenden heranziehe. Wenn die kaufmännischen Angestellten geschlossen organisiert wären, hätte man sie nicht nötigen können, solche Arbeit zu leisten. Ausserdem sei es empörend, dass es

"unbemittelte Ausländer" ausweisen lassen. Der Verband machte ihm einen Strich durch die Rechnung, indem er die ausländischen Kollegen organisierte und unterstützte.» 309 StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 3. Dezember 1946, S. 280. 310 StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 2. November 1946. Als sich die Meister den ArbeiterInnen entgegenstellten, wurden sie von diesen weggerückt. Bei diesem Handgemenge wurde einem Meister zudem der Arm ausgerenkt. 311 Volksstimme, Nr. 258, 4. November 1946. 312 Nähere Angaben über den Organisationsgrad bei den Angestellten lassen sich nicht ausfindig machen. 313 Volksstimme, Nr. 260, 6. November 1946; 8. November 1946. Nachdem die Angestellten und Meister weitere Streikbrecherarbeit geleistet hatten, erliess die Streikleitung vorerst eine generelle Zutrittssperre auch für die Angestellten. Erst als eine Zusicherung der Firma vorlag, dass die kaufmännischen Angestellten nur noch für Büroarbeiten zugezogen und nicht mehr im Betrieb eingesetzt würden, erlaubte die Streikleitung einige Angestellte, unter Polizeischutz, den Betrieb wieder zu betreten; siehe: Rorschacher Zeitung, Nr. 262, 12. November 1946.

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Angestellte geben soll, die sich sogar freiwillig für diese Arbeit gemeldet und sich dadurch gewollt oder ungewollt zu Streikbrechern gemacht hätten.»314

Das Protestschreiben des SKV-Präsidenten zeigt deutlich, dass sich die Vertre-tungspolitik des Schweizerischen Kaufmännischen Vereins - im Gegensatz zu den Arbeitnehmerverbänden - nicht direkt an den Interessen der Lohnabhängigen ori-entierte, sondern vielmehr am betrieblichen und gesellschaftspolitischen Status der kaufmännischen Angestellten interessiert war. Gerade dieses Statusdenken dürfte eine wesentliche Rolle dabei gespielt haben, dass sich das kaufmännische Personal der Feldmühle klar von den Anliegen der ArbeiterInnen distanzierte.315 Auch enthielt der Forderungskatalog des Gesamtarbeitsvertrages der Feldmühle keine Verbesse-rungen der Lohn- und Arbeitsbedingungen für die Angestellten. Als weiteres wich-tiges Moment kommt hinzu, dass die Geschäftsleitung der Feldmühle lange Zeit eine individuelle Regelung der Angestelltenarbeit bevorzugte und sich somit keine ho-mogene Angestelltenschaft herausbilden konnte. Dies dürften einige Gründe dafür sein, weshalb die Angestellten der Feldmühle während des Streiks weniger als Vertreter der ArbeiterInnen, sondern mehr als UnternehmensvertreterInnen auftra-ten.316

314 Zitiert nach: Volksstimme, Nr. 262, 8. November 1946. 315 Weil sich der Angestelltenstatus weder durch besondere Arbeitsbedingungen (in Abgrenzung zu den ArbeiterInnen) noch inhaltlich (durch einheitliche Arbeitsfunktionen) konsistent definieren lässt, war für die kaufmännischen und technischen Angestellten die symbolische Abgrenzung umso wichtiger geworden; vgl. dazu: Fluder et al. 1991, S. 566. 316 Bezüglich der Interessenvertretung der Werkmeister ist ähnliches zu bemerken. Im Konfliktfall standen auch die Werkmeister, falls sie wie hier im Feldmühlestreik nicht mitstreikten, ja sogar Streikarbeit leisteten und organisierten, eindeutig auf der Seite des Unternehmers. Auch hier handelten die Werkmeister nicht als Vertreter der ArbeitnehmerInnen, sondern als Unternehmensvertreter; siehe: König et al. 1985, Die Angestellten in der Schweiz 1870-1950, S. 262.

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4 Wahrnehmung des Streiks 4.1 Die Wahrnehmung des Streiks in der Parteipresse Der 5-wöchige Arbeitskampf der FeldmühlearbeiterInnen hatte in der Öffentlichkeit ein breites Echo gefunden. Praktisch täglich berichteten die lokalen und regionalen Zeitungen über das Streikgeschehen in Rorschach. Während das Organ der sozialdemokratischen Partei, die Volksstimme, mit zahlreichen Hintergrundberichten fast täglich über die Arbeitsniederlegung informierte, beschränkten sich die Rorschacher Zeitung und das Ostschweizerische Tagblatt auf die wesentlichen Ereignisse. Zu einer grösseren Auseinandersetzung zwischen den Presseorganen war es gekommen, als die Volksstimme den beiden «bürgerlichen» Zeitungen auf dem Platz Rorschach eine parteiische Berichterstattung unterstellte.317 Dem freisinnig orientierten Ostschweizerischen Tagblatt warf die Volksstimme vor, dass es sich eindeutig auf die Seite der Direktion gestellt habe. Weiter lautete der Vorwurf, dass es Direktor Grauer dabei unterstütze, der zugleich auch FDP-Kantonsrat sei, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die ArbeiterInnen böse «Revoluzzer» seien. Auch der Rorschacher Zeitung, dem zweiten in der Hafenstadt ansässigen Tagblatt, hielt die Volksstimme vor, dass sie den Mitteilungen der Direktion einen un-gebührlich grossen Platz im Vergleich zu den Erläuterungen des Standpunktes der ArbeiterInnen eingeräumt habe:

«Ein paar Zeilen für die Arbeiterschaft - ein grosser Berg für die Unternehmerschaft! [...] Immer wieder ist zu lesen: "Von der Geschäftsleitung der Feldmühle AG. wird uns geschrieben...", während die Mitteilungen über den Standpunkt der Streikenden auf den kleinstmöglichen Platz zusammengedrängt werden.»318

Den Vorwurf der einseitigen Berichterstattung wollte die Rorschacher Zeitung da-gegen nicht auf sich sitzen lassen und dementierte die Aussagen der «Volksstimme» als falsch und unwahr. Tatsächlich lässt sich feststellen, dass besonders in der ersten Streikwoche nur sehr wenig im Organ der konservativ-christlichsozialen Partei über die Sichtweise der ArbeiterInnen publiziert wurde. Es erscheint geradezu verwunderlich, dass sich die Zeitung aus Rorschach darüber beklagte, dass sie sehr spät und nur ungenügend von den christlichnationalen Arbeitnehmerverbänden über den Standpunkt der Streikenden im Arbeitskonflikt orientiert worden sei.319 Auch

317 Für das Verständnis der nachfolgenden Pressekampagne ist die Kenntnis der parteipolitische Verhältnisse in Rorschach nach dem 2. Weltkrieg von Bedeutung. Die Partei der Arbeit (PdA) hatte bei den Kantonsrats- und Gemeinderatswahlen im Frühjahr 1945 einige Erfolge errungen. Erstmals nahmen in den Kantonsrat aufgrund der Ergebnisse in den Bezirken St.Gallen und Rorschach vier PdA-Leute Einsitz, die Rorschacher Gemeinderatswahlen verschafften ihnen drei Mandate. Durch das forsche und aufdringliche Politisieren gelang es der PdA hauptsächlich die jüngeren Mitglieder der Arbeiterbewegung für sich zu gewinnen; vgl. Specker 1995, Als der Krieg vorüberging, in: RNbl., 1995, S. 53. 318 Volksstimme, Nr. 265, 12. November 1946. 319 Vgl. Rorschacher Zeitung, Nr. 258, 7. November 1946; Nr. 259, 8. November 1946: «Von Arbeitnehmerseite ist uns bis heute keine Darstellung über den Inhalt und die Tragweite der zwischen Fabrikleitung und Belegschaft bestehenden Differenzen zugegangen. [...] Nachdem wir das Sekretariat des Christlichnationalen Textilarbeiterverbandes in St.Gallen mehrmals vergeblich um eine Darlegung des Arbeitnehmerstandpunktes im Lohnkonflikt bei der Feldmühle ersucht hatten [...].»

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lässt die Analyse der Zeitungsartikel die Schlussfolgerung zu, dass die Rorschacher Zeitung vermehrt auch den Standpunkt der Arbeitgeberseite beleuchtete. Dies zeigt sich deutlich in der ausführlichen Veröffentlichung eines Gegenvorschlages der Firma vom 8. November, während am selben Tag von den anderen Presseorgane ausführlicher ein Vorschlag der Streikenden besprochen wurde.320 Gerade deshalb, weil auch die Intentionen der Arbeitgeberseite miteinbezogen wurden, kann der Rorschacher Zeitung eine durchaus ausgeglichene Berichterstattung attestiert werden. Zum endgültigen Krach zwischen beiden Zeitungen kam es, als das sozial-demokratische Tagblatt die Streikenden mittels Flugblatt aufforderte, nur noch die Volksstimme zu abonnieren, da allein sie die wahren Interessen der ArbeiterInnen vertrete.321 Das Organ der konservativ-christlichsozialen Partei, die Rorschacher Zeitung, entgegnete am nächsten Tag in einem längeren Artikel wütend:

«Die "Volksstimme" lügt und verleumdet [...] Wir sind nicht gewillt, diese ver-leumderischen Vorbehalte der "Volksstimme" auf sich beruhen zu lassen und fordern die Urheber des erwähnten Flugblattes in aller Form auf, ihre unwahren Behauptungen zu widerrufen.»322

In den Artikeln der Volksstimme wurde fast täglich Bericht über den Streikverlauf in der Feldmühle erstattet. Mit zahlreichen Leserbriefen ehemaliger Feldmühlearbei-ter versuchte sie ihrem Leserkreis ein «authentisches Bild» von den wirklichen Arbeitsverhältnissen im Rorschacher Kunstseideunternehmen zu vermitteln.323 Auch sparte das Organ der sozialdemokratischen Partei nicht mit massiven Angriffen gegen die Person des Feldmühledirektors und gegen das Unternehmertum allgemein. Als reine Arbeiterzeitung hatte sie, im Gegensatz zu den anderen Par-teiorganen, auch keine Rücksicht auf eine heterogene LeserInnenschaft zu nehmen. Weil die Volksstimme ihren Standort in St.Gallen hatte, versuchte sie mit einer aggressiven Abwerbekampagne, wie der Aufruf zum Abonnement deutlich gezeigt hat, ihren Heimnachteil wettzumachen. Da sie sich selber als Hauptsprachrohr der ostschweizerischen Arbeiterbewegung324 bezeichnete, verstand die Volksstimme ihre Berichterstattung zudem als einen Beitrag für die «Sache der Arbeiterschaft», wie das folgende Zitat deutlich dokumentiert:

«Die "Volksstimme" als Sprachrohr der ostschweizerischen Arbeiterbewegung entbietet der kämpfenden Feldmühle-Arbeiterschaft solidarischen Gruss und ein herzliches Glückauf zu einem guten Ausgang des opferreichen, aber bedeutungsvollen Konflikts!.»325

Es kann vorausgesetzt werden, dass die täglich erscheinenden Zeitungsberichte über den Streik in der Feldmühle von den streikenden ArbeiterInnen und der Ror-

320 Vgl. Rorschacher Zeitung, Nr. 259, 8. November 1946. 321 Auch das Ostschweizerische Tagblatt reagierte heftig gegen diese Äusserung der Volksstimme: «Man tut so, als ob die Sache der Arbeiterschaft überhaupt nur unter dem sozialistischen Part- eisegen gedeihen könnte. Mit der Wahrheit springt man dabei wie mit einem Putzlappen um - die Hauptsache ist, dass die politische Hetze schön in Gang kommt.»; Ostschweizerisches Tagblatt, Nr. 267, 14. November 1946. 322 Rorschacher Zeitung, Nr. 263, 13. November 1946. 323 Vgl. hierzu die Leserbriefe: Volksstimme, Nr. 265, 12. November 1946 («Ein alter Feldmühle- Arbeiter erzählt»; «Ein Rorschacher zum Feldmühlestreik»); 19. November 1946 («Der Feldmühle-Arbeiter meldet sich wieder»); 28. November 1946 («Erinnerungen an den Feldmühlestreik im Jahre 1901»). 324 Vgl. hierzu die Festschrift «50 Jahre Volksstimme», die einen ausführlichen Einblick zur Geschichte der ostschweizerischen Arbeiterbewegung und Arbeiterpresse liefert. 325 Volksstimme, Nr. 263, 9. November 1946.

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schacher Bevölkerung sicherlich mit viel Interesse gelesen und auch so manchen Diskussionsstoff geliefert haben dürften. Ob die Berichterstattung der diversen Pres-seorgane jedoch einen Einfluss auf das Streikgeschehen hatten, kann nicht schlüssig beantwortet werden, ihr Einfluss auf die Meinungsbildung bleibt jedoch unbestritten. 4.2 Die Wahrnehmung des Streiks in Rorschach In weiten Kreisen der Rorschacher Bevölkerung war der Feldmühlestreik durchaus auf grosses Verständnis gestossen. Ausschlaggebend dürfte wohl gewesen sein, dass sich die streikenden ArbeiterInnen im Gegensatz zu früheren Auseinanderset-zungen, bei denen es zu Krawallen und Sachbeschädigungen gekommen war, völlig ruhig und diszipliniert verhielten.326 Obwohl auch das Rorschacher Gewerbe zunehmend unter der langen Streikdauer zu leiden hatte, kam es immer wieder zu Aktionen, bei denen es seine Solidarität mit den Streikenden bekundete. Mit einer gross angelegten Sammelaktion versuchte es mit Hilfe von Spenden aus der Be-völkerung, die materiell schwierige Situation der Streikenden etwas zu mildern.327 In einem Artikel schrieb die Rorschacher Zeitung zur Stimmung in Rorschach:

«Nach wie vor hat die Bevölkerung grosse Sympathie für die Streikenden, ob-wohl viele Leute unter der langen Streikdauer zu leiden haben. Denn Handel und Wandel gehen alsgemach zurück.»328

Dennoch kam es mit zunehmender Streikdauer auch zu kleineren Auseinanderset-zungen zwischen den streikenden ArbeiterInnen und einzelnen Rorschacher Be-wohnerInnen, wie die folgenden beiden Beispiele dokumentieren:

«Dazu kommt, dass ein Gemeinderat Zoller, der unseres Wissens der Konser-vativen Partei angehört, versucht hat, Arbeitswillige zusammenzubringen, um sie in die Feldmühle zu führen. Die Streikenden bemerkten die Absicht und suchten Zoller von seinem Vorhaben abzubringen. Er hat denn auch gestern bei der Polizei Schutz gesucht und war den ganzen Tag in polizeilichem Gewahrsam. [...] Eine Frau Doktor Tschui, deren Mann bei der Feldmühle arbeitet, hat gestern Streikposten, bei denen sich auch Arbeiterinnen befanden, angepöbelt. Sie hat ihnen unter anderem erklärt, sie zahle mehr Steuern, als alle Postenstehenden zusammen.»329

Für Aufregung unter der Rorschacher Bevölkerung sorgte ausserdem das Vor-haben, die Evangelische Kirche für die Einigungsverhandlungen im Feldmühlestreik auf den 3. Dezember zur Verfügung zu stellen. Die evangelische Kirchenbehörde wurde vom Einigungsamt zur Überlassung der Kirche als Versammlungsort ersucht, weil für diesen Tag kein anderer genügend grosser Raum zur Verfügung stand. Da diese Zusage jedoch auf einem einseitig gestellten Begehren beruhte, von dem die

326 Im Feldmühlestreik von 1931 kam es zwischen den Streikenden und bezahlten Streikbrecher zu zahlreichen gewaltsamen Zusammenstössen. Ein Grossaufgebot der Polizei war die Folge, der Rorschacher Stadtrat drohte gar mit Militäreinsatz; siehe: Volksstimme, Nr. 145, 26. Juni 1931; Kobelt 1983, S. 464-470: 327 Volksstimme, Nr. 280, 29. November 1946. 328 Volksstimme, Nr. 280, 29. November 1946. 329 Volksstimme, Nr. 279, 28. November 1946.

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Streikenden nichts gewusst hatten, zog die evangelische Kirchenvorsteherschaft ihr Angebot wieder zurück. In einer Pressemitteilung erklärte die Kirchenbehörde: «Zugleich wurde aus Kreisen der evangelischen, katholischen und anders

denkenden Arbeiterschaft spontan die Kirche als Versammlungsort abgelehnt. Natürlicher Respekt vor dem Kirchenraum, innere Scheu, das Gotteshaus für solche Besprechungen benützen zu sollen, konfessionelle und weltanschauliche Hemmungen gaben der Besorgnis Ausdruck, in der Kirche nicht frei und offen sich aussprechen zu können. [...] Leider aber wurde in gedrängter Zeit und unter unklaren Voraussetzungen eine Erlaubnis gegeben, die Befremden hat erwecken müssen. Wir hoffen, dass das Vorgehen selber Verstanden wird und bedauern die verschiedenen Folgerungen, die aus Unkenntnis der Sachlage gezogen wurden.»330

Auch der Stadtrat von Rorschach hatte mit grosser Besorgnis die Streikentwick-lung in der Feldmühle mitverfolgt. An fünf Sitzungen behandelte der Stadtrat den Feldmühlekonflikt, wobei sich für ihn die Frage stellte, «ob und welche Schritte er im Hinblick auf die nachteiligen Auswirkungen des Streiks auf weite Bevölkerungskreise in finanzieller und wirtschaftlicher Beziehung zur Streikbeilegung unternehmen soll.»331 Da jedoch kein Interventionsgesuch der Konfliktparteien vorlag, sah sich der Stadtrat nicht veranlasst, irgendwelche weiteren Schritte zu unternehmen. Auch befand er, dass es nicht seine Aufgabe sei, sich materiell mit der Angelegenheit zu befassen, zumal das Einigungsamt die Vermittlungsinstanz sei.332 Daraufhin beschloss der Stadtrat, das Einigungsamt in ihrer Aufgabe weiterhin zu ermuntern, um eine möglichst rasche Beendigung des Konflikts zu erreichen. Nach Abbruch des Feldmühlestreiks liess der Stadtrat dem Einigungsamt und Landammann Kessler ein spezielles Dankesschreiben für ihre Bemühungen zustellen.333 Dem Rorschacher Stadtrat kam im Feldmühlestreik somit keine bedeutende Rolle zu. Dennoch nahm er indirekt Einfluss auf Streikgeschehen, wie der folgende Fall zeigen wird. Von besonderem Interesse ist dabei die Stadtratssitzung vom 12. November, die sich jedoch nur am Rande mit dem Feldmühlekonflikt beschäftigte. Dabei ging es um eine Garantieerklärung der Feldmühle, in der sich die Firma verpflichtete im Falle von Krankheit und Arbeitslosigkeit für den Lebensunterhalt sowie ärztliche Behandlung und Pflege ihrer ausländischen Arbeitskräfte aufzu-kommen. Das Verhandlungsprotokoll hielt hierzu fest:

«Auf jeden Fall ist es gemeindeseits abzulehnen, für die Existenz der ausländi-schen Arbeitskräfte irgendwelche Lasten zu übernehmen, unberücksichtigt darum, ob die Fremdarbeiterinnen selbst Streikende sind oder nur davon unver-schuldet Betroffene sind.»334

Mit dieser Erklärung hatte sich die Situation für die am Streik beteiligten italienischen Arbeitskräfte drastisch verschlechtert. Da sie keine finanzielle Unterstützung im Falle von Arbeitslosigkeit von der Gemeinde erwarten konnten, waren sie nun auf Gedeih und Verderben dem Wohlwollen der Firma ausgesetzt.

330 Rorschacher Zeitung, Nr. 279, 3. Dezember 1946. 331 SA Rorschach, Prot. Stadtrat, Trak. 468, 8. November 1946. 332 Fluder et al. 1991, S. 4, weist darauf hin, dass bei der Konfliktregulierung im Arbeitsbereich der Staat auch heute keinen Einfluss auf die Lohnpolitik in der Privatwirtschaft einnimmt. 333 SA Rorschach, Prot. Stadtrat, Trak. 588, 6. Dezember 1946. 334 SA Rorschach, Prot. Stadtrat, Trak. 482, 12. November 1946.

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5 Feldmühle-Gesamtarbeitsvertrag 5.1 Der Feldmühle-GAV als Ergebnis des Streiks Das wohl wichtigste Ergebnis des Streiks von 1946 war der Abschluss eines Ge-samtarbeitsvertrags (GAV), in dem die arbeitsrechtlichen Interessen der Feldmüh-learbeiterInnen erstmals vertraglich festgelegt wurden. Der Feldmühle-GAV kam für alle ArbeiterInnen zur Anwendung, falls sie dem Fabrikgesetz unterstellt und im Stunden- oder Wochenlohn bezahlt wurden.335 Vorbild für die Ausarbeitung dieses Rahmenvertrages war anfänglich der ostschweizerische Gesamtarbeitsvertrag der Färberei- und Ausrüstindustrie gewesen, der jedoch in vielen Punkten ungenügend war und zuerst auf die speziellen Bedürfnisse der Kunstseidenindustrie angepasst werden musste.336 Der Feldmühle-GAV basierte auf den Ergebnissen, wie sie aus den Verhandlungen der Interessenvertreter bis zum 20. November hervorgegangen waren, sofern der unverbindliche Schiedsspruch vom 30. November keine Änderungen vorsah.337 Wesentliche Verbesserungen brachte der Feldmühle-GAV von 1946 besonders bei den Stundenlöhnen, den Zulagen und bei den bezahlten Ferien- und Feiertagen, wie die folgenden Ausführungen zeigen. Tabelle 5/1: Zusammenstellung der Stundenlöhne bei normaler Arbeitszeit und bei Schichtarbeit, Schichtzulagen pro Zahltag, bezahlten Ferien- und Feiertage pro Jahr.338

Stundenlöhne bei normaler Arbeitszeit: Hilfsarbeiter Angelernte Arbeiter Berufsarbeiter Arbeiter mit besonderer Verantwortung

bisher339 Fr. 1.60/1.70 Fr. 1.70/1.80 Fr. 1.95/2.05 Fr. 2.10/2.20

neu Fr. 1.80 Fr. 1.90 Fr. 2.10 Fr. 2.20

Stundenlöhne bei Schichtarbeit: Arbeiter Arbeiterinnen Angelernte Arbeiterinnen

bisher340 Fr. 1.70 Fr. 0.95/1.10 -

neu Fr. 1.92 Fr. 1.23 Fr. 1.35

Schichtzulagen pro Zahltag:

bisher Fr. 10.-

neu Fr. 12.-

Bezahlte Ferientage pro Jahr: bisher 12 Tage

neu 18 Tage

335 1946 waren von den insgesamt 1'245 Beschäftigten in der Feldmühle 1'073 Personen im Stunden- oder Wochenlohn beschäftigt; vgl. Die Ostschweiz, 21. November 1946. 336 Die Ostschweiz, 13. November 1946. 337 Die Änderungen des Schiedsspruches bezogen sich hauptsächlich auf den Artikel 4 des Gesamtarbeitsvertrages. Darin wurden die Ansätze der Minimallöhne, sowie eine Zusatzklausel für die Akkordarbeit neu eingefügt. 338 Da der erste Gesamtarbeitsvertrag der Feldmühle uns nicht zur Verfügung stand, musste auf eine Zusammenstellung in der Volksstimme Bezug genommen werden; siehe: Volksstimme, Nr. 286, 6. Dezember 1946. 339 Löhne inklusive durchschnittlicher Teuerungszulage. 340 Ebd.

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Bezahlte Feiertage pro Jahr: bisher -

neu 6 Tage

Die durchschnittlichen Stundenlöhne bei normaler Arbeitszeit wurden nach dem Feldmühle-GAV zwischen 5% und 12% erhöht, wogegen die Minimallöhne bei Schichtarbeit mit ca. 13 % leicht höher lagen. Bei den Lohnverhandlungen hatten die Gewerkschaften bei Schichtarbeit für Arbeiter Fr. 1.95 (statt Fr. 1.92) und für Ar-beiterinnen Fr. 1.25 (statt Fr. 1.23) gefordert. Damit lagen die Forderungen der Ar-beitnehmerverbände mit 2 bis 3 Rappen leicht über den Ergebnissen. Auf Wunsch der Streikenden wurde zudem in den Spinnereiabteilungen die neue Lohnkategorie «Angelernte Arbeiterinnen» eingeführt. Im übrigen stand es der Geschäftsleitung natürlich frei, für besonders qualifizierte Arbeitskräfte oder für Arbeiten, die eine längere Anlernzeit erforderten, bessere Löhne zu bezahlen. Auch garantierte die Firma für den ersten Monat nach Wiederaufnahme des Betriebes einen zusätzlichen Verdienst von 20 Rp. pro Stunde.341 Obwohl die ArbeiterInnen sich grundsätzlich gegen Akkordarbeit ausgesprochen hatten, benutzte die Geschäftsleitung den Feldmühle-GAV zur Arbeitsintensivierung, indem sie die Akkordlöhne vertraglich fixierte.342 Nun wurde auch im Zwei-schichtenbetrieb in den Spinnereiabteilungen bei Spulenwechsel und Maschinenun-terhalt auf Akkordlohn umgestellt.343 Die Geschäftsleitung garantierte ihren Arbei-terInnen dabei einen 10% Mehrverdienst (Stundenlohn plus Schichtzulage) bei Ak-kordarbeit. Schon kurz nach Streikende klagten jedoch die ArbeiterInnen, dass die Arbeitsintensität im Zweischichtenbetrieb spürbar zugenommen habe.344 Weitere umfassende Änderungen hatte der Feldmühle-GAV bei den Zulagen gebracht. Erstmals wurden zudem die Dienstalterszulagen einer vertraglichen Re-gelung unterworfen. Die Vereinbarung sah eine Erhöhung des Stundenlohns nach Vollendung des 1., 4., 6., und 8. Dienstjahrs um je 2 Rappen vor. Von dieser Rege-lung ausgeschlossen blieben die jugendlichen ArbeiterInnen, da erst nach Errei-chung des 19. Lebensjahrs die im Betrieb geleisteten Arbeitsjahre als Dienstjahre angerechnet wurden. Bei den Schichtzulagen wurde dagegen den Forderungen der

341 Leider fehlen uns weitere Hinweise zu den entsprechenden Kategorien. Daetwiler 1952, S. 69f, weist darauf hin, dass bei der Rayonproduktion der Anteil der angelernten ArbeiterInnen sehr hoch gewesen sei. Die Anlernzeit in der Kunstseidebranche betrug durchschnittlich drei Monate. Während der grösste Arbeitsanteil im eigentlichen Herstellungsprozess von den Angelernten bewältigt wurde, verrichteten die Ungelernten zur Hauptsache Hilfsarbeiten. Die Gelernten, d.h. diejenigen Arbeiter, welche eine Berufslehre absolviert hatten, waren in der Regel Facharbeiter, also Mechaniker, Schlosser, Spengler, Schreiner usw., welche als Spezialarbeiter hauptsächlich in den Werkstätten beschäftigt wurden. Nach der eidgenössischen Betriebszählung 1939 betrug der Anteil der Angelernten 80%, während auf die Ungelernten nur 11% und auf die Gelernten nur 9% der ArbeiterInnen entfielen. 342 Allgemein zur Arbeitsintensivierung siehe: Jaun 1986, S. 272-284. Bereits seit anfangs der 1930er Jahren scheint in der Schweizer Industrie ein eindeutiger Trend zur Arbeitsintensivierung vorgeherrscht zu haben, der zahlreiche Akkordkonflikte zur Folge hatte. Seit Mitte der 1940er Jahre setzte dann allmählich ein Wandel vom Geldakkord auf den Zeitakkord ein, wobei anstelle von Geldbeträgen nun Vorgabezeiten angegeben wurden. Im Feldmühle-GAV von 1946 wurde jedoch noch der Geldakkord vertraglich fixiert. Allgemein zur Arbeitsintensivierung siehe: Jaun 1986, S. 272-284. 343 Bereits am 15. November wurde von den Streikenden bei den Forderungen zur Verbesserung eines vorgeschlagenen Entwurfes für den Gesamtarbeitsvertrag die beabsichtigte Einführung der Akkordarbeit im Zweischichtenbetrieb grundsätzlich abgelehnt; siehe: Volksstimme, Nr. 269, 16. November 1946. 344 Vgl. StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 3. Dezember 1946, S. 24-29.

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Arbeitnehmerverbände nicht voll Rechnung getragen. Während die Gewerkschaften eine Erhöhung der Schichtzulagen von bisher Fr. 10.- auf Fr. 15.- pro Zahltag gefordert hatten, wurden die Zulagen für Schichtarbeit im Gesamtarbeitsvertrag lediglich um Fr. 2.- erhöht. Das neue Rahmenvertragswerk ergab besonders im Bereich der bezahlten Ferien und bezahlten Feiertage eine deutliche Verbesserung gegenüber dem vorherigen Zustand. Neu wurden den ArbeitnehmerInnen zu den bisher 12 bezahlten Ferienta-gen pro Jahr nun zusätzlich 6 weitere Tage Ferien gewährt. Da die Ferienzeit in ihrer Dauer abgestuft nach geleisteten Dienstjahren im Betrieb war, kamen aber nicht alle ArbeiterInnen in den Genuss von drei Wochen bezahlten Ferien.345 Als eine weitere Errungenschaft darf die vertraglich verankerte Bezahlung von 6 Feiertagen pro Jahr bei vollem Lohn gelten.346 Auch in anderen Bereichen wurden wesentliche Vereinbarungen vertraglich fixiert. Neu war beispielsweise auch die Entschädigung an die Krankenkassenprämien, welche für jugendliche ArbeiterInnen mit Fr. 1.50, für Frauen mit Fr. 2.50 und für Männer mit Fr. 5.- festgelegt wurden. Keine Veränderung ergab der Feldmühle-GAV jedoch bei den Kinderzulagen, die mit Fr. 17.- pro Monat gleich geblieben waren. Als deutliche Niederlage empfanden die ArbeiterInnen die nun vertraglich ver-ankerten neuen Schichtpläne. Damit galten für alle vier Spinnereiabteilungen die Schichtarbeitsbewilligungen des BIGA vom 18. November 1946. Jedoch hatte die Firma eine Abänderung der Arbeitszeiten des Zweischichtenplans ermöglicht, so dass der Beginn der Frühschicht auf 6 Uhr und das Ende der Spätschicht auf 23 Uhr festgelegt wurden. Zudem hielt die Vereinbarung fest, dass die Firma bei der Zuteilung der ArbeiterInnen zur neuen Schichtordnung nach Möglichkeit auf den Wohnort der ArbeiterInnen Rücksicht zu nehmen habe. Auch sollte in Zusam-menarbeit mit der Arbeiterkommission eine Entlastung von der Sonntagsarbeit durch eine zusätzliche Hilfsschicht für die ArbeiterInnen des Zweischichtenplans angestrebt werden. Aufgrund von gemachten Erfahrungen, die sich aus einer vertraglich nicht fixierten Übergangsperiode ergeben würden, sollten die Arbeiterkommission und die Firma zudem über eventuelle Verbesserungen beraten.347 Die gemachten Ausführungen zur neuen Schichtordnung machen deutlich, dass die Behörden bemüht waren, möglichst viel Raum für Änderungen und Erweiterungen offen zu lassen. Jedoch gerade dieser grosse Interpretationsspielraum sollte schon früh wieder zu neuen Auseinandersetzungen zwischen der Geschäftsleitung und den betroffenen ArbeitnehmerInnen führen. 345 Die Gewährung von bezahlten Ferien wurde in der Feldmühle erstmals 1927 eingeführt. Damals wurden nach dem ersten zurückgelegten Dienstjahr 3 Tage und nach dem zweiten Dienstjahr 6 Tage bezahlte Ferien gewährt; vgl. StASG, R 109 B1, Prot. EASG 15. Juli 1927. 346 Eine Erhebung des Eidgenössischen Fabrikinspektors im Jahre 1946 über die bezahlten Feiertage in allen dem Fabrikgesetz unterstellten Betrieben des Kreis IV. ergab folgendes Resultat: Von insgesamt 31 Betrieben der Seiden- und Kunstseidenindustrie wurden in 25 Fabriken bezahlte Feiertage gewährt. Davon erhielten über 90% der ArbeiterInnen, denen Feiertage bezahlt wurden, 6 bezahlte Feiertage. Wobei die Vergütung für die bezahlten Feiertage im Normalfall mit einem festen Betrag und nicht mit dem Normallohn abgegolten wurde; vgl. dazu: FIB, S. 156. 347 Vgl. hierzu den unverbindlichen Schiedsspruch betreffend der Kollektivstreitigkeit in der Feldmühle AG, Rorschach, vom 30. November 1941 in: Rorschacher Zeitung, Nr. 278, 2. Dezember.

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5.2 Die Vertragsentwicklung und weitere Feldmühle-Gesamtarbeitsverträge Der Feldmühlestreik von 1946 hat deutlich gemacht, dass der Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrages nicht durch friedliche Verständigung, sondern begleitet von heftigen Auseinandersetzungen zustande gekommen war. Das abgelaufene Jahr 1946 war aber nicht nur für die FeldmühlearbeiterInnen, sondern für alle Schweizer ArbeitnehmerInnen eine Zeit bedeutender Arbeitskämpfe gewesen.348 In den Forderungskatalogen der Gewerkschaften spielte der Wunsch nach einer Regelung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse im Rahmen von Gesamtarbeitsverträgen jedoch schon vorher eine wichtige Rolle.349 Erschwerend bei der Durchsetzung dieser Forderung war jedoch der Umstand, dass die Anerkennung der Gewerkschaften durch die Arbeitgeber sowohl in der Textilbranche als auch in der chemischen Industrie relativ spät erfolgte. Erst nach dem 2. Weltkrieg gelang den Gewerkschaften der Textilbranche ein gewisser Durchbruch, als die Zahl der dem Branchen-Gesamtarbeitsvertrag unterstellten Firmen zwischen 1945 und 1946 von 7 auf 173 zunahm. Wobei die Anzahl der einzelnen Firmenverträge im selben Zeit-raum von 16 auf 69 wuchs.350 Als Triebfeder für diese Entwicklung in der Textilin-dustrie galt der 7-wöchige Streik der Arbeiterinnen zweier Schlappebetriebe351 im Kanton Baselland von 1945, der mit offensiven Strategien zum Erfolg führte. Im Ja-nuar 1945 trat auch der erste Gesamtarbeitsvertrag der Basler ChemiearbeiterInnen in Kraft, womit die Gewerkschaften nun auch in dieser Branche von der Arbeit-geberseite anerkannt wurden.352 Bei den Auseinandersetzungen für den Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen in der Textilindustrie spielte hauptsächlich der Schweizerische Textil- und Fabrikarbeiterverband (STFV) eine führende Rolle. Auch in der Kunstseidenindustrie, die in den vier grossen Kunstseidefabriken (Société de la Viscose Suisse SA, Emmenbrücke; Feldmühle AG, Rorschach; So-ciété de la Viscose Suisse SA, Heerbrugg-Widnau; Steckborn-Kunstseide AG, Steckborn) ca. 4'500 ArbeitnehmerInnen beschäftigte353, versuchte der STFV durch den Abschluss von einzelnen Kollektivarbeitsverträgen die Grundlage für einen Gesamtarbeitsvertrag zu schaffen. Dieses Endziel musst der STFV jedoch aufgeben, nachdem die Société de la Viscose Suisse SA für ihren Betrieb in Emmenbrücke einen Kollektivarbeitsvertrag ohne den STFV abgeschlossen hatte.354 Die Niederlage

348 Ausser in den Jahren 1918-1920 waren nie mehr so viele ArbeitnehmerInnen an Streiks beteiligt gewesen wie 1946; siehe: Degen 1987, Der Arbeitsfrieden zwischen Mythos und Realität, S. 23. 349 Vgl. Schiavi /Brassel 1987, S. 57. 350 Fluder et al. 1991, S. 539. 351 Als Schlappe werden Gewebe aus Seidenabfall bezeichnet. 352 Degen 1987, S. 22f. 353 Im Jahre 1945 verteilte sich das Total der Beschäftigten in der schweizerischen Kunstseidenindustrie wie folgt auf die Unternehmen: Société de la Viscose Suisse SA, Emmenbrücke (1'826 ArbeitnehmerInnen); Société de la Viscose Suisse SA, Heerbrugg- Widnau (1'236 ArbeitnehmerInnen); Steckborn-Kunstseide AG, Steckborn (426 ArbeitnehmerInnen); Feldmühle AG, Rorschach (1'245 ArbeitnehmerInnen; 1946!); siehe: «50 Jahre Viscose Emmenbrücke 1906-1956», S. 66; Die Ostschweiz, 13. November 1946. 354 Gerlach 1995, S. 425ff. und Kobelt 1983, S. 951f., behandeln den Kollektivarbeitsvertrag in der Société de la Viscose Suisse SA in Emmenbrücke ausführlich: Bereits im Vorfeld zu den Verhandlungen war es dem Emmenbrücker Kunstseideunternehmen gelungen, die Gewerkschaften im Betrieb zu spalten. Obwohl der STFV die weitaus stärkste Arbeitnehmerorganisation (STFV: 800 Mitglieder; SVCTB: 80 Mitglieder; SMUV: 80 Mitglieder; LFSA: 50 Mitglieder; CMV: 10 Mitglieder) im Unternehmen war, hatte die Firma nur

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in Emmenbrücke hatte Auswirkungen auf die Bemühungen des STFV um einen Gesamtarbeitsvertrag im zweiten Betrieb des Unternehmens in Heerbrugg-Widnau. Auch hier scheiterte der Versuch des STFV einen Kollektivarbeitsvertrag mit der Kunstseidefabrik im Rheintal abzuschliessen.355 Der STFV verfolgt nun das Ziel mit den beiden noch verbleibenden Kunstseideunternehmen in Rorschach und Steckborn einen Kollektivarbeitsvertrag auszuhandeln.356 Auch bei den FeldmühlearbeiterInnen bestand schon seit langem der Wunsch nach klar geregelten Anstellungs-, Lohn-, und Arbeitsbedingungen. Nachdem die Geschäftsleitung durch eine Abstimmung im Betrieb abgeklärt hatte, ob das Bedürf-nis nach einen Gesamtarbeitsvertrag überhaupt vorhanden sei, war es im August 1946 schliesslich zu ersten Vertragsverhandlungen gekommen.357 In der gleichen Zeit fanden zwischen den Vertragspartnern auch Gespräche über die Einführung eines neuen Schichtplans statt. Während die Vertragsverhandlungen zum Ge-samtarbeitsvertrag noch in Gang waren, hatten die SchichtarbeiterInnen am 2. No-vember einen Sitzstreik ausgelöst. Als am 8. November die gesamte Feldmühlebe-legschaft in den Streik getreten war, galt der Streik nun nicht mehr allein der neuen Schichtordnung, sondern zugleich zur Durchsetzung eines Gesamtarbeitsvertrages für alle ArbeiterInnen der Feldmühle. Nachdem die Streikenden einen unverbindlichen Schiedsspruch des Eini-gungsamts angenommen hatten, trat am 4. Dezember 1946 der erste Gesamtar-beitsvertrag der Feldmühle AG, Rorschach, mit Gültigkeit bis zum 31. Dezember 1948, in Kraft. Wegen der Auslegung einzelner Bestimmungen waren jedoch schon sehr früh wieder Meinungsverschiedenheiten zwischen den ArbeiterInnen und der Geschäftsleitung aufgetreten, die einem Schiedsgericht unterbreitet wurden.358 Dass die vertragliche Regelung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse in der Feldmühle auch in Zukunft ein beträchtliches Konfliktfeld darstellte, lässt sich aus den zahlreichen Einträgen in den Geschäftsberichten der folgenden Jahrgänge ersehen. Wie der zweite Feldmühle-GAV aussah, ist aufgrund der Quellen nicht ersichtlich. Erste Hinweise auf den Abschluss eines neuen Gesamtarbeitsvertrages mit Gültigkeit bis zum 30. Juli 1959 finden sich im Geschäftsbericht von 1958, wobei die 46-Stundenwoche eingeführt wurde.359 Zwei Jahre später wurde die wöchentliche Ar-beitszeit auf 45 Stunden herabgesetzt und zugleich der bestehende GAV von den

den Entwurf der christlichen Gewerkschaft SVCTB als Verhandlungsgrundlage für den Kollektivarbeitsvertrag akzeptiert. Aus Protest nahm der STFV an den kommenden Vertragsverhandlungen nicht teil; in der Hoffnung, dass eine Einigung zwischen den Minderheitsgewerkschaften und der Firma nicht zustande kommen würde. Dass der STFV den Kollektivarbeitsvertrag in der Société de la Viscose Suisse SA, Emmenbrücke nicht mitunterzeichnete, hatte für ihn katastrophale Auswirkungen. Da der Vertrag ebenfalls die Kautionspflicht für die ArbeiterInnen brachte, die nicht Mitglied eines der unterzeichnenden Gewerkschaften waren, musste auch der STFV die Kaution für seine Mitglieder bezahlen, wollte er nicht Gefahr laufen, seine Mitglieder an die anderen Arbeitnehmerverbände zu verlieren. Dennoch sank das Ansehen des STFV unter den ArbeiterInnen dermassen, dass er in kurzer Zeit rund 500 seiner insgesamt 800 Mitglieder verloren hatte. 355 Über einen Gesamtarbeitsvertrag in der Société de la Viscose Suisse SA, Heerbrugg- Widnau liegen keine Hinweise für die unmittelbare Nachkriegszeit vor. 356 Zum Streik in der Steckborn-Kunstseide AG von 1947 siehe Gerlach 1995, S. 450-452. 357 Jb. STFV 1945/46, S. 29. Die Volksstimme, Nr. 280, 29. November 1946, schreibt hierzu: «[...] man denke immer daran, dass die Feldmühle im letzten Sommer noch über einen kollektiven Arbeitsvertrag nicht einmal mit den Arbeiterorganisationen verhandeln wollte!». 358 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1947, S. 2. 359 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1958, S. 3.

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Gewerkschaften gekündigt.360 1961 konnte mit der Unterzeichnung eines neuen Feldmühle-GAV zugleich eine erhebliche Erhöhung der Löhne und Schichtzulagen sowie eine Ausdehnung der Ferien vorgenommen werden.361 1964 kündigten die Gewerkschaften den bestehende GAV erneut. 1965 wurde schliesslich ein neuer GAV für ein weiteres Jahr eingeführt, im nächsten Jahr wieder gekündigt, schliess-lich wieder eingeführt. Schliesslich konnte 1967 endlich auch die 4. Ferienwoche für die älteren ArbeitnehmerInnen in der Feldmühle von den Gewerkschaften durchgesetzt werden.362

360 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1960, S. 3. 361 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1961, S. 4. 362 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1964, S. 4; 1966, S. 4; 1967, S. 5.

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6 Auswirkungen 6.1 Die finanziellen Auswirkungen des Streiks Für die Firma waren durch den Arbeitskonflikt in der ersten Woche des Streiks grosse Materialverluste entstanden, zumal die vorbereitete Viskose nur zum Teil weiter versponnen werden konnte. In den anschliessenden vier Streikwochen be-schränkte sich der Verlust der Firma lediglich auf ungedeckte Unkosten und ent-gangenen Verdienst. «Die damit zusammenhängenden finanziellen Auswirkungen konnten indessen in erträglichen Grenzen gehalten werden»363, teilte die Ge-schäftsleitung in ihrem Geschäftsbericht von 1947 mit. «Wichtig ist vor allem», führte die Geschäftsleitung in ihrem Jahresbericht weiter aus, «dass die Firma an der veränderten Arbeitsteilung festhalten und damit den durchgehenden Betrieb (Spinnen auch am Sonntag) erhalten konnte, der auf lange Sicht für das Unter-nehmen von lebenswichtiger Bedeutung ist.»364 Zudem war es der Geschäftsleitung durch die Einführung des neuen Zwei- und Dreischichtenbetriebs gelungen die Pro-duktivität der einzelnen ArbeiterInnen, insbesondere derjenigen der Spinnereiar-beiterInnen, noch etwas zu steigern. Dadurch wirkten sich die zugestandenen Lohnerhöhungen auch nur zu einem Teil als Verteuerung der Produktion aus. Obwohl durch den Gesamtarbeitsvertrag wesentliche finanzielle Verbesserungen für die ArbeiterInnen erzielt werden konnten, sah für sie die wirtschaftliche Situation in den ersten Wochen nach dem Streik eher schlecht aus. Zum einen fehlte den ArbeiterInnen durch den 5-wöchigen Arbeitskampf das geregelte Einkommen, da die Streikunterstützung nur für die wesentlichen Bedürfnisse ausgereicht hatte. Andererseits verzögerte sich trotz des Streikabbruchs die Arbeitsaufnahme für einen grossen Teil der Belegschaft, da zuerst die Viskose wieder produziert und der Reifungsprozess abgewartet werden musste. Zuerst nahmen die Arbeitskräfte der Hilfsbetriebe und ein Teil der Textilbetriebe die Arbeit in der Feldmühle wieder auf, wobei besonders die SpinnereiarbeiterInnen warten und weiterhin eine empfindliche Lohneinbusse hinnehmen mussten.365 Nach Abschluss des Streiks forderte der STFV allerdings ergebnislos, dass vor den italienischen Arbeiterinnen in erster Linie die schweizerischen Arbeitskräfte wieder voll beschäftigt werden sollten.366 Als die Direktion infolge des Streiks die übliche Weihnachtsgratifikation gekürzt hatte, sank die Stimmung im Betrieb auf den Nullpunkt. Daraufhin beschloss die STFV-Sektion Rorschach für die Kinder der im Kampf gestandenen ArbeiterInnen der Feldmühle eine Weihnachtsfeier durchzuführen. Die ArbeitnehmerInnen in Rorschach und Umgebung wurde daher zur Spende aufgerufen, damit es möglich sein würde, jedem Kind ein Geschenk zu überreichen.367

363 FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, 1947, S. 1. 364 Ebd., S. 1. 365 Rorschacher Zeitung, Nr. 281, 5. Dezember 1946. 366 Bereits hier kündigte sich ein neues gewerkschaftspolitisches Konfliktfeld an, nämlich die «FremdarbeiterInnenfrage». Fluder et al. 1991, S. 536, weist darauf hin, dass der STFV angesichts der hohen Arbeitslosigkeit seit Ende der 40er Jahre besonders in der Textilindustrie die Bevorzugung von SchweizerInnen auf dem Arbeitsmarkt forderte. 367 Volksstimme, Nr. 286, 11. Dezember 1946.

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6.2 Die Situation nach dem Streik In den ersten Tagen nach dem Streikende kam es nochmals zu heftigen Aus-einandersetzungen zwischen den Vertretern der am Streik beteiligten Arbeitneh-merverbände. Auch bestand unmittelbar nach der Abstimmung die heikle Situation, dass sich nicht alle Streikenden dem Schiedsspruch fügen würden, da sich der STFV, im Gegensatz zu den übrigen Gewerkschaften, in der Betriebsversammlung noch deutlich für das Weiterführen des Arbeitskampfes ausgesprochen hatte. Erst nachdem der STFV in letzter Minute auch seine Zustimmung zum Streikabbruch gegeben hatte, unterzogen sich auch die restlichen ArbeiterInnen mit Widerwillen dem Entscheid.368 Zudem war ein Teil der besonders aktiven Streikenden über den Ausgang des Feldmühlestreiks überaus erbittert, weil sich die Einführung der neuen Schichtordnung schliesslich doch nicht hatte verhindern lassen. Innerhalb von drei Wochen fanden daher auch 60 Übertritte von Mitgliedern der Minderheitsgewerkschaften in den STFV statt.369 In der Folge überschütteten sich die Vertreter der Arbeitnehmerverbände gegenseitig mit zahlreichen Vorwürfen, weil die Streikbewegung zu keinem besseren Abschluss gelangt war. STFV-Zentral-sekretär Albert Heyer warf den Vertretern der Minderheitsgewerkschaften in einem Artikel der Volksstimme vor, dass diese sich dem Druck des Regierungsrates und des Einigungsamtes gebeugt hätten, was ein Weiterführen des Streiks verunmöglicht habe:

«Auf jeden Fall muss der Textilarbeiterverband die Verantwortung für den Aus-gang des Konfliktes dem Regierungsrat, dem Einigungsamt und der Firma sowie den Minderheitsverbänden überbinden. In dem Moment, wo Regierung, Einigungsamt und die Minderheitsgewerkschaften sich zusammen gegen den Schweizerischen Textil- und Fabrikarbeiterverband gewendet haben, ist ein Weiterführen des Kampfes aussichtslos geworden.»370

Alfred Horber, der Sekretär des SVCTB, dagegen kritisierte den STFV-Funktionär, dass diesem für die Verteidigung des nicht verhinderbaren Schichtplans der Mut auch gegenüber den eigenen Mitgliedern gefehlt habe. Weiter konterte der SVCTB-Sekretär im gleichen Artikel der Rorschacher Zeitung:

«Doch hierfür tragen nicht die "Christlichen" und die übrigen Minderheitsge-werkschaften, sondern andere die Schuld. Nämlich jene, welche unter dem Druck des Beifalls der Masse den notwendigen Kurs der Objektivität und der Verantwortung auf weitere Sicht - auch zu unserem Leidwesen - verloren ha-ben müssen.»371

Dass der Streikabbruch nicht in Einigkeit sämtlicher Gewerkschaften beendet wurde, hatte auch zu Missstimmung unter den Mitgliedern des SVCTB, SMUV, SVEA und LFSA in der Streikleitung geführt. Diese warfen ihren Gewerkschaften unter anderem vor, dass sie den eigenen Mitgliedern gedroht hätten, bei Weiter-

368 Besonders eine Anzahl ArbeiterInnen aus der Spinnereiabteilung und dem Bau 8 hatten sich anfänglich geweigert, unter den gegenwärtigen Bedingungen den Streik abzubrechen. Jedoch gelang es dem STFV schliesslich auch diese ArbeiterInnen von der Aussichtslosigkeit eines weiteren Streiks zu überzeugen; siehe: Volksstimme, Nr. 285, 5. Dezember 1946. 369 Gerlach 1995, S. 451. 370 Volksstimme, Nr. 285, 5. Dezember 1946. 371 Rorschacher Zeitung, Nr. 286, 11. Dezember 1946.

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führung der Arbeitsniederlegung die materielle Streikunterstützung zu entziehen. In der abschliessenden Stellungnahme kommt diese distanzierende Haltung der Streikleitung zu den Minderheitsgewerkschaften deutlich zum Ausdruck:

«Die Streikleitung hätte es sehr begrüsst, wenn der Streik gemeinsam abge-brochen worden wäre, d.h. von allen Verbänden, und nicht wie ihn die fünf Minderheitsverbände beendet haben. Ihren Mitgliedern erklärten sie: "Von morgen an könnt ihr nicht mehr stempeln, geht jetzt an die Arbeit!" anstatt die Leute aufzuklären. [...] Für die Folgen (Missstimmung, Massregelung im Be-trieb), die aus dem Vorgehen der fünf Minderheitsverbände entstanden sind, lehnt die Streikleitung und sicher auch der STFV die Verantwortung ab.»372

Auch im neuen Jahr kehrte im Rorschacher Kunstseideunternehmen keine Ruhe ein, so dass sich das Einigungsamt am 2. Februar 1947 erneut veranlasst sah, eine Betriebsversammlung einzuberufen. An dieser Versammlung versuchte das Einigungsamt im Wesentlichen die Meinung der Betriebsangehörigen über die Revision der neuen Schichtpläne, die unterdessen stattgefunden hatte, zu erfahren. Von neuem wurde Direktor Grauer vorgeworfen, dass er eigenmächtig Änderungen am Schichtplan vorgenommen habe. Auch kam es in der Versammlung zu einer Reihe weiterer Klagen über die Geschäftsleitung. Es würden nun einheimische ArbeiterInnen entlassen, obwohl zurzeit Arbeitskräftemangel herrsche, um weitere Italienerinnen einstellen zu können. Zudem gebe es Arbeiterinnen, die weniger verdienen würden als vor Abschluss des Gesamtarbeitsvertrags. Weiter lautete ein Vorwurf, dass auch die Arbeitsintensität nach dem Streik zugenommen habe. Zu diesen Vorwürfen kamen auch zahlreiche Wünsche hinzu, die eine Verbesserung der verschiedenen Lohnansätze und Zulagen forderten. Die allgemeine Unzufriedenheit zeigte sich auch in einigen sehr emotional gefärbten Voten einiger ArbeiterInnen. So hiess es beispielsweise, dass man im Frühling wieder streiken wolle, selbst wenn man dafür ins Zuchthaus käme. Auch werde man mit den Karabinern vor der Fabrik erscheinen, falls weitere Italienerinnen eingestellt wür-den.373 Wiederum schien die Situation in der Feldmühle in etwa die gleiche zu sein, wie vor Arbeitsniederlegung. Zu einem weiteren Streik ist es im Rorschacher Kunstseideunternehmen, der Feldmühle AG, Rorschach, aber trotzdem nicht mehr gekommen.

372 Volksstimme, Nr. 295, 17. Dezember 1946. 373 Vgl. StASG, A 93/73.2, Prot. EASG, 3. Dezember 1946, S. 24-29.

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7 Zusammenfassende Diskussion Ein Grund für die Missstimmung unter den ArbeiterInnen war die bestehende Schichtordnung, die zu langen Arbeitszeiten, häufiger Sonntags- und Nachtarbeit führte, den SchichtarbeiterInnen aber einen guten Zusatzverdienst ermöglichte. Wesentlich mitschuldig am schlechten Betriebsklima in der Rorschacher Kunst-seidefabrik war zudem der diktatorische Führungsstil von Direktor Grauer. Auch fehlte 1946 noch immer eine Arbeiterkommission, die als Gesprächspartnerin und erste Vermittlerin zwischen der Geschäftsleitung und den 1'200 ArbeitnehmerInnen hätte auftreten können. Der Ausgangspunkt für den 5-wöchigen Arbeitskampf in der Feldmühle war die beabsichtigte Einführung einer neuen Schichtordnung, welche die Geschäftsleitung, ohne vorher mit den betroffenen ArbeiterInnen Kontakt aufzunehmen, durchsetzen wollte. Da mittels der neuen Schichtordnung dem Begehren der ArbeiterInnen, nach einer Reduktion der Sonntagsarbeit und nach Lohnerhöhung als Äquivalent für den Einkommensausfall der wegfallenden Sonntagsarbeit, zu wenig Rechnung getragen wurde, kam es in den Spinnereiabteilungen der Feldmühle am 2. November zu einem Sitzstreik. Nachdem trotz zahlreichen Vermittlungsversuchen keine Einigung im Schichtplankonflikt erzielt werden konnte, rief die Streikleitung am 8. November die gesamte Feldmühlebelegschaft zum Streik auf, was zur vollständigen Stilllegung der Betriebe in Rorschach und Goldach führte. Dem Aufruf zur Arbeitsniederlegung war, ausser den Werkmeistern und Angestellten, die ganze Belegschaft gefolgt, so dass die Streikbewegung ca. 1'000 Personen umfasste. Der Arbeitskampf galt nun nicht mehr allein dem neuen Schichtplan, sondern gleichzeitig auch der Durchsetzung eines kollektiven Arbeitsvertrags für alle ArbeiterInnen in der Feldmühle. Schon lange warteten die Streikenden auf die Einführung eines Firmen-GAV und forderten nun rigoros dessen Abschluss. Obwohl es dem Einigungsamt gelang, die Schichtplanfrage immer mehr in den Hintergrund zu drängen, konnte weiterhin keine Einigung im Feldmühlekonflikt erzielt werden. Die Lage im Rorschacher Kunstseideunternehmen drohte jeden Tag zu eskalieren, da beide Parteien zu keinen weiteren Konzessionen mehr bereit waren. Nachdem am 14. November ein Vertragsentwurf und am 26. des gleichen Monats ein Schiedsspruch seitens der ArbeiterInnen abgelehnt wurde, nahmen die Streikenden am 3. Dezember einen unverbindlichen Schiedsspruch des Einigungsamts mit knapper Mehrheit an. Nachdem auch die Direktion und die Arbeitnehmerverbände - der STFV erst nach längerem Zögern - ihre Zustimmung gegeben hatten, wurde am 4. De-zember der Streik abgebrochen. Gleichzeitig trat auch der erste Gesamtarbeitsvertrag in der Geschichte des Rorschacher Kunstseideunternehmens, mit Gültigkeit bis zum 31. Dezember 1948, in Kraft. Mit unterschiedlichen Strategien hatten die Interessenvertreter der beiden Par-teien versucht, Einfluss auf den Streikverlauf zu nehmen. Während die Gewerk-schaften mit einer aktiven Mobilisierungspolitik und einer aggressiven Verhand-lungspolitik - hier besonders der STFV - die Interessen der Streikenden wahrnah-men, war die Einflussnahme der Arbeitgeberseite geprägt durch eine permanente Ablehnung der Gewerkschaften als Verhandlungspartner und eine Politik der Ein-schüchterung. So hatte Direktor Grauer besonders den Druck auf die ca. 120 Ita-lienerinnen zunehmend erhöht und ihnen gedroht, sie bei einer Weiterführung des Streiks nach Hause zu schicken. Damit war der Abfall der italienischen Arbeiterinnen von der Streikbewegung kaum mehr aufzuhalten. Zudem kündigte die Ge-

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schäftsleitung an, dass sie die Produktion demnächst wieder aufnehmen werde, was unmissverständlich darauf hindeutete, dass Streikbrecher eingesetzt werden sollten. Auch hatte Direktor Grauer klar gemacht, dass die Erhaltung aller Arbeitsplätze bei einer Fortsetzung des Arbeitskampfes nicht mehr gewährleistet sei. Während die Geschäftsleitung mit zunehmender Streikdauer den Druck auf die ArbeiterInnen erhöht hatte, begann sich die Streikbewegung noch deutlicher in zwei Lager zu spalten. Massgeblich beteiligt an dieser Entwicklung waren die Gewerkschaften, die aufgrund ihrer unterschiedlichen politischen Orientierung und Interessen, keine einheitliche Verhandlungspolitik im Feldmühlekonflikt zu verfolgen schienen. Während die eine Gruppe, angeführt vom STFV, einen Streikabbruch unter den gegebenen Umständen radikal ablehnten, zeigte sich das andere Lager, unter Führung der Minderheitsgewerkschaften, zunehmend zu einem Kompromiss bereit. Auch deutete vieles darauf hin, dass die Solidarität unter den Streikenden durch die lange Streikdauer gefährdet war. Viele ArbeiterInnen waren, nun vor Weihnachten, des Streiks müde und litten unter den finanziellen Einbussen. Die ungleiche Streikunterstützung der Arbeitnehmerverbände trug auch viel dazu bei, dass sich die kompromissloseren und die kompromissbereiteren Streikenden immer mehr in zwei Lager teilten. Obwohl die Quellenlage keine eindeutige Auskunft darüber gibt, welche Gruppe der Streikenden den Ausschlag für die Annahme des unverbindlichen Schiedsspru-ches und damit für den Streikabbruch gab, so lässt die Analyse des Abstim-mungsresultates wenigstens einige Vermutungen zu. Im Gegensatz zu vorausge-gangen Abstimmungen zeigt sich hier mit 961 Stimmberechtigten eine deutlich höhere Stimmbeteiligung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Betriebsver-sammlung und die anschliessende Abstimmung vom 3. Dezember nicht von den Gewerkschaften, sondern durch die an einem Streikende interessierten Behörden durchgeführt wurden, welche auch die unorganisierten ArbeiterInnen, einschliesslich der ca. 120 Italienerinnen, zu mobilisieren vermochten. Es ist unschwer fest-zustellen, dass die ca. 350 zusätzlichen Stimmen den BefürworterInnen des Strei-kabbruchs zugute kamen. Dabei kann auch angenommen werden, dass alle ita-lienischen Arbeiterinnen wohl aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes dem Schiedsspruch zustimmten. Somit kommt den Italienerinnen und den übrigen un-organisierten ArbeiterInnen eine entscheidenden Rolle am Ausgang des Feldmüh-lestreiks zu. Die überaus knappe Annahme des Schiedsspruches mit 494 Ja gegen 455 Nein bei 11 ungültigen oder Leer-Stimmen zeigt ausserdem, dass die Anzahl der GegnerInnen des Streikabbruchs zu vorherigen Abstimmungen praktisch gleich geblieben war. Daraus lässt sich schliessen, dass es weder den Minderheitsge-werkschaften noch der Geschäftsleitung gelang, einen Einfluss auf diese Gruppe auszuüben. Andererseits vermochte auch der STFV, trotz seiner aggressiven Mobi-lisierungspolitik und der späteren Streikunterstützung für die Italienerinnen, keine weiteren ArbeitnehmerInnen mehr zur Durchsetzung seiner Forderungen zu mobi-lisieren. Insgesamt weist der Feldmühlestreik darauf hin, dass hier der Einfluss der Gewerkschaften auf die ArbeiterInnen begrenzt war und durch ihr internes Konkurrenzverhältnis noch zusätzlich geschwächt wurde. Zur Wahrnehmung des Streiks lässt sich insgesamt feststellen, dass dieser ein grosses Echo in der Öffentlichkeit gefunden hatte. Gemäss der parteipolitischen Ausrichtung der jeweiligen Presseorgane war die Berichterstattung über den Feldmühlestreik jedoch nicht immer frei von Parteinahme. Dabei fällt auf, dass alle drei Zeitungen versucht hatten, den Streik parteipolitisch für sich auszunutzen. In der

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Rorschacher Bevölkerung dagegen stiess der Arbeitskampf in der Feldmühle weitgehend auf grosses Verständnis, was sich in den zahlreichen Solidari-tätsaktionen deutlich zum Ausdruck kommt. Als wichtigstes Ergebnis des Streiks von 1946 darf der Abschluss eines Ge-samtarbeitsvertrags angesehen werden, in dem die arbeitsrechtlichen Interessen der FeldmühlearbeiterInnen erstmals vertraglich festgelegt wurden. Obschon die Schichtordnung nicht ganz so verbessert werden konnte, wie die ArbeiterInnen es wünschten war den Streikenden zumindest in materieller Hinsicht Wesentliches zugestanden worden. Dennoch hatte sich das Betriebsklima in der Feldmühle nach dem Streik vorerst eher verschlechtert. Zum einen gab es offenbar schon Schwierigkeiten bei der Wiederaufnahme der Arbeit, die sich besonders für die SpinnereiarbeiterInnen finanziell nachteilig auswirkten. Ausserdem hatte die Ge-schäftsleitung infolge des Streiks die übliche Weihnachtsgratifikation gekürzt, was grosse Empörung unter den ArbeiterInnen ausgelöst hatte. Auch anderer Bege-benheiten wegen kehrte im Unternehmen noch keine Ruhe ein, so dass das Eini-gungsamt im neuen Jahr gezwungen war, erneut eine Betriebsversammlung ein-zuberufen. Dabei zeigte sich, dass die Probleme in etwa wieder die alten waren. Eine Arbeiterkommission, die all diese Schwierigkeiten mit der Geschäftsleitung zur Sprache hätte bringen können, bestand vorerst immer noch nicht, da sich die Gewerkschaften nicht über den Wahlmodus einigen konnten. Obwohl die Stimmung unter den ArbeiterInnen im Rorschacher Kunstseideunternehmen wieder kämpferisch war, kam es in Zukunft zu keinem weiteren Streik mehr in der Feld-mühle. Aus gewerkschaftlicher Sicht waren die durch den Streik erreichten Lohnver-besserungen nur die eine Seite des Erfolges. Den Gewerkschaften ging es haupt-sächlich auch darum, von der Arbeitgeberseite als Verhandlungspartner und Sprach-rohr der ArbeitnehmerInnen anerkannt zu werden. Dies bedingte jedoch eine Absage an die paternalistische «Herr-im-Haus-Haltung» von Feldmühledirektor Grauer, der davon ausgegangen war, dass er selber der beste Sachverwalter der Interessen der ArbeitnehmerInnen sei. Dieses Ziel konnte jedoch nur bedingt erreicht werden, wie die späteren Klagen gegen den Feldmühledirektor seitens der ArbeiterInnen gezeigt haben. Der Arbeitskampf in der Feldmühle hat zudem deutlich gemacht, dass die Gewerkschaften Mühe hatten, ihr Vorgehen im Konflikt mit der Firma zu koordinieren und zu optimieren. Dieses Konkurrenzverhältnis unter den einzelnen Arbeitnehmerverbänden kam auch nach dem Streik deutlich zum Vorschein, als es nochmals zu heftigen gegenseitigen Anschuldigungen gekommen war. Da ein grosser Teil der organisierten ArbeiterInnen sich über den Streikausgang und die erzielten Ergebnisse enttäuscht zeigte, kam es in den ersten Wochen nach dem Streik ausserdem zu zahlreichen Übertritten von Mitgliedern aus den Minderheitsgewerkschaften in den STFV.

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Schlussbemerkung Die Feldmühle als grösste Arbeitgeberin Rorschachs mit 1'800 Beschäftigten in den besten Zeiten - in den frühen 1880er Jahren von den Kaufmännern Loeb und Scho-enfeld gegründet, nach der Jahrhundertwende zum grössten Stickereiunternehmen der Schweiz aufgestiegen, in der Stickereikrise stillgelegt, 1925 als Kunstseidefabrik neu auferstanden, durch zwei grosse Kriege gegangen, von Feldmühledirektor Theodor Grauer saniert, zur Folien- und Klebebandfabrik erweitert, in den 50er Jah-ren in das Geschäft mit Synthesefasern eingestiegen, von den Holländern Ende der 60er Jahre aufgekauft, am 29. September 1987 vollständig liquidiert -, hat nahezu ein ganzes Jahrhundert die wirtschaftliche Situation und damit auch das soziale Klima der Stadt Rorschach massgeblich beeinflusst. Die wichtigste Ergebnisse, die sich aus der Auseinandersetzung mit der Fir-mengeschichte der Feldmühle ergaben, lassen sich wie folgt zusammenfassen: Am Beispiel des Rorschacher Kunstseideunternehmens lässt sich zeigen, wie sich die Entwicklung von einem zunächst unbedeutenden Betrieb zu einem führenden Konzern der schweizerischen Kunstseidenindustrie vollzogen hat. Von grosser Bedeutung war dabei das Produktionsprogramm der Feldmühle, das stets den neuen Gegebenheiten angepasst wurde, das aber ebenso den Ausschlag für den späteren Niedergang der Firma gab. Den Preis für den rasanten Aufstieg der Feldmühle zu einem bedeutenden Unternehmen seiner Branche bezahlten jedoch die ArbeiterInnen, die unter den oftmals misslichen Arbeitsbedingungen in der Feldmühle zu leiden hatten. Die Arbeitsverhältnisse waren dann auch ein Grund dafür, weshalb das Kunstseideunternehmen nach dem 2. Weltkrieg zunehmend auf ausländische Arbeitskräfte zurückgreifen musste. Als die Firma seit Mitte der 50er Jahren hauptsächlich ausländische ArbeiterInnen in ihren Fabrikationsstätten beschäftigte, hatten die bundesrätlich verordneten Kunjunkturdämpfungsmass-nahmen, die einen massiven Abbau des ausländischen Personals Ende der 60er Jahre zur Folge hatten, die Feldmühle besonders hart getroffen. Die firmeneigene Pensionskasse sowie die Betriebskrankenkasse nahmen schon früh einen wichtigen Stellenwert in der Geschäftspolitik der Feldmühle ein. Ausserdem bildeten die sozialen Einrichtungen der Feldmühle eine wesentliche Ergänzung zum schweizeri-schen Sozialversicherungswesen. Die relativ gute Quellenlage im Falle des Feldmühlestreiks von 1946 erlaubte vermehrt eine analysierende Betrach-tungsweise. Da die Ergebnisse, die sich aus der Auseinandersetzung mit dem Streik ergaben, bereits in Teil 3 besprochen wurden, wird auf eine wiederholte Erläuterung an dieser Stelle verzichtet. Der Feldmühlestreik von 1946 hat abermals gezeigt, wie sehr die Feldmühle das soziale Klima der Stadt Rorschach zu beeinflussen vermochte. Der Feldmühle kommt zudem eine grosse Bedeutung für die städtebauliche Struktur von Rorschach zu. Da die Unternehmer den Wohnort möglichst nahe beim Arbeitsort haben wollten, fällt einerseits die starke Vermischung von Industrie- und Wohnzone in Rorschach auf. Andererseits trug die Feldmühle mit der Ansiedlung ihrer Fabrikbauten im Westen der Stadt viel dazu bei, dass das Schwergewicht der Rorschacher Industrien nach anfänglicher Ostlage zum westlichen Standort über-ging. Weitere Betriebe folgten dem Rorschacher Kunstseideunternehmen nach, und liessen sich ebenfalls im Westen der Stadt nieder. Die Westlage der Industrien in

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Rorschach steht jedoch in Widerspruch zu vielen anderen europäischen Indu-striestädten, bei denen auf die oft wehenden Westwinde Rücksicht genommen wurde, so dass im Westen die Wohnquartiere und im Osten die Fabrikationsstätten liegen. Von Bedeutung ist diese Verlagerung der Rorschacher Industrien nach We-sten nun dann, wenn wie am Beispiel der Feldmühle auf eine saubere Stickereiindustrie eine neue Industrie nachfolgt, die mit ihren Emissionen (Abgase, Rauch, Abwässer, Lärm, usw.) für Jahrzehnte eine massive Beeinträchtigung der Le-bensqualität für die Rorschacher Bevölkerung darstellte. Auch hat die Feldmühle einen bedeutenden Einfluss auf die Bevölkerungsstruktur der Stadt Rorschach ausgeübt. So trug die Feldmühle viel zu dem noch heute verhältnismässig hohen An-teil an AusländerInnen (ca. 37%; Stand 1996) Rorschachs (ca. 9'500 Ein-wohnerInnen; Stand 1996) bei. Problematisch ist diese Situation besonders dann, wenn die ausländische Bevölkerung geballt in einem Stadtteil angesiedelt ist. Da-durch wird beispielsweise auch eine sinnvolle Mischung von einheimischen und ausländischen SchülerInnen innerhalb eines Schulhauses verunmöglicht. Ein aktuelles Beispiel hierzu ist das in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Feldmühleareals gelegene Pestalozzischulhaus, in dem der Verfasser einige Zeit unterrichtet hat und die eben genannten Erfahrungen machen konnte. Durch das fast gänzliche Fehlen der für diese Untersuchung in Betracht kommen-den Literatur, beruht die vorliegende Arbeit weitgehend auf Quellenstudien. Aufgrund der Beschäftigung mit hauptsächlich ungedruckten Quellenbeständen ergaben sich im Verlauf der Arbeit einige Probleme: Um eine einseitige Betrachtungsweise zu vermeiden wurden als Ergänzung zu den Quellen im Firmenarchiv eine audiovisuelle Quelle (Film Feldmühle) sowie orale Quellen (Aussagen von ehemaligen Arbeit-nehmerInnen der Feldmühle) in die Untersuchung mit einbezogen. Bei der Auswertung dieser Quellen zeigten sich jedoch Schwierigkeiten im Bereich der Quel-lenkritik und Quelleninterpretation, zumal in beiden Quellen ein recht unscharfes, disparates Bild von der Feldmühle vorherrschte. Da es ein Anliegen der Arbeit war, einen möglichst breit gefächerten Einblick in die firmengeschichtlichen Gegebenheiten der Feldmühle zu vermitteln, musste auf eine eingehende Auseinandersetzung in vielen Fällen verzichtet werden. Obwohl im Firmenarchiv zahlreiche unterschiedliche Quellenbestände (Geschäftsberichte, Protokolle, Verträge, Handschriften, Fotos, etc.) vorliegen, war eine Begrenzung der ganzen Arbeit auf einen einzelnen Themenbereich, oder auf einen begrenzten Zeitraum, wegen fehlender Quellen nicht möglich. Dass die vorliegende Quellenbasis für viele weiterführende Fragen zu schwach war, hat sich besonders in Teil 2 der Arbeit herausgestellt. Da bis anhin keine vergleichbaren neuere Arbeiten zu den anderen Schweizer Kunstseidefabriken vorliegen, und auch die einzige Studie zur schweizerischen Kunstseidenindustrie nur die Anfänge bis zum 2. Weltkrieg mit-berücksichtigt, musste auf eine Einordnung in einen grösseren wirtschaftsge-schichtlichen Zusammenhang für die Zeit nach dem 2. Weltkrieg weitgehend ver-zichtet werden. Aus diesem Grund trägt die Untersuchung in Teil 2, in dem die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen in der Feldmühle während der Kunst-seideperiode in den Jahren 1925 bis 1969 im Mittelpunkt standen, vorwiegend ex-emplarischen Charakter. Abschliessend sollen noch einige wenige Hinweise gemacht werden, die für eine weitere Beschäftigung mit dem Thema von Bedeutung sind. Die Arbeit an der vorliegenden Studie hat ergeben, dass sich zurzeit aufgrund der bestehenden Quellenlage keine weiteren Untersuchungen zur Firmengeschichte der Feldmühle

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anstellen lassen. Um zusätzliche Erkenntnisse in Bezug auf die Beeinflussung des Unternehmens auf die Stadt Rorschach zu gewinnen, wäre es auch hier notwendig, nach weiteren Quellenbeständen zu forschen. Die Untersuchung der Um-welteinflüsse (Abgase, Abwasser, Lärm, usw.), die von der Rorschacher Bevölke-rung stets als eine massive Belästigung seitens der Feldmühle empfunden wurden, könnte ein weiteres interessantes Untersuchungsfeld darstellen. Jedoch liessen sich bis anhin auch dafür die notwendigen Quellen nicht vollständig ausfindig machen. Eine selbständige Untersuchung zur Firmengeschichte der Feldmühle fehlte bis zum heutigen Tage, womit das wichtigste Ziel der Arbeit erreicht werden konnte.

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Tabellarischer Anhang

Tabellen und Diagramme im Text Diagramm 1/1: Entwicklung der Produktion von Rayon, Folien, «Bodanyl» und Klebebändern in Tonnen ..........................................................................S. 24 Diagramm 2/1: Mengenmässige Absatzentwicklung von Rayon in Tonnen ....... S. 33 Tabelle 2/2: Verteilung des Inlandabsatzes in Tonnen auf die wichtigsten Verbrauchergruppen in den Jahren 1940 und 1942 ....................................... S. 34 Tabelle 2/3: Wertmässige Absatzentwicklung in den wichtigsten Abnehmerstaaten in Tausend Franken ...........................................................S. 35 Diagramm 3/1: Entwicklung des Personalbestandes nach ArbeiterInnen und Angestellten ............................................................................................. S. 40 Tabelle 3/2: Beschäftigte Personen nach ihrer Stellung im Betrieb in Relation zur Gesamtproduktion in den Jahren 1931, 1946 und 1961 ........................... S. 41 Tabelle 3/2: Durchschnittsstundenlöhne in der Feldmühle, Textilindustrie und Industrie allgemein in Franken im Jahr 1931 ........................................... S. 42 Diagramm 4/1: Entwicklung der ausländischen ArbeitnehmerInnen in Relation zum Total der Beschäftigten ........................................................................... S. 53 Tabelle 5/1: Zusammenstellung der Stundenlöhne bei normaler Arbeitszeit und bei Schichtarbeit, Schichtzulagen pro Zahltag, bezahlte Ferien- und Feiertage pro Jahr .......................................................................................... S. 98

Tabellen im Anhang Tabelle 1: Produktionsentwicklung nach Sparten in Tonnen ............................ S. 114 Tabelle 2: Absatzentwicklung von Rayon (Kunstseide) in Tonnen und Franken ................................................................................................. S. 115 Tabelle 3: Absatzentwicklung von Kunststroh in Tonnen und Franken ............ S. 116 Tabelle 4: Absatzentwicklung von Folien («Cellux»-Folien) in Tonnen und Franken ................................................................................................. S. 117 Tabelle 5: Absatzentwicklung von Klebebändern («Cellux»-Klebebänder) in Tonnen und Franken ................................................................................ S. 118 Tabelle 6: Absatzentwicklung von technischen Schwämmen in Tonnen und Franken ................................................................................................. S. 119 Tabelle 7: Absatzentwicklung von «Bodanyl» (Polyamidfasern) in Tonnen und Franken ................................................................................................. S. 120 Tabelle 8: Entwicklung des Personalbestandes nach ArbeiterInnen und Angestellten ........................................................................................... S. 121 Tabelle 9: Entwicklung des Personalbestandes nach AusländerInnen und SchweizerInnen ..................................................................................... S. 122

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Tabelle 1: Produktionsentwicklung nach Sparten in Tonnen.374 Jahr Rayon Cordrayon Zellwolle Bodanyl Folien Klebebänder technische

Schwämme

1926 383

1927 775

1928 1'050

1929 1'160

1930 1'272

1931 1'249

1932 1'314

1933 1'151 116

1934 1'412 162

1935 1'425 192

1936 1'221 198

1937 1'640 265

1938 1'928 217

1939 1'819 220

1940 1'896 282

1941 1'868 279

1942 2'487 274 291

1943 2'464 1'015 212

1944 2'306 1'048 113

1945 2'373 1'108 262 7

1946 2'258 788 300 19

1947 2'034 471 311 15

1948 2'506 510 11

1949 2'775 512 16

1950 2'832 533 22

1951 2'907 679 23

1952 2'980 941 26

1953 2'872 1'011 26

1954 2'860 34 12 1'199 27

1955 2'970 9 24 1'240 30

1956 3'057 146 124 1'352 37

1957 2'968 135 1'608 46

1958 2'875 198 1'776 162 60

1959 2'399 335 1'932 165 47

1960 2'775 615 2'118 363 48

1961 2'447 653 2'122 458 49

1962 2'555 645 2'223 590 47

1963 2'501 916 2'232 707 44

1964 2'172 1'089 2'063 735 40

1965 2'092 1'153 2'120 873 43

1966 1'995 1'388 2'785 1'043 34

1967 1'759 1'769 2'808 1'045 26

1968 1'699 1'968 3'060 1'297 17

1969 1'192 2'346 3'471 1'400

374 Quelle: FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1926-1969. Anmerkung: Alle Angaben inklusive Abfall.

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Tabelle 2: Absatzentwicklung von Rayon (Kunstseide) in Tonnen und Franken.375

Mengenmässiger Absatz in Tonnen Wertmässiger Absatz in SFr.

Jahr Total Schweiz in % Export in % Total Schweiz in % Export in %

1926 426 3'699'709 939'519 25.4 2'760'190 74.6

1927 793 8'174'061 1'895'939 23.2 6'278'122 76.8

1928 1'047 234 22.3 813 77.7 11'433'455 2'650'580 23.2 8'782'875 76.8

1929 1'052 393 37.3 659 62.7 9'731'625 1'673'420 17.2 8'058'205 82.8

1930 1'190 237 19.9 953 80.1 9'973'387 1'935'689 19.4 8'037'698 80.6

1931 1'252 254 20.3 998 79.7 9'205'512 1'748'604 19.0 7'456'908 81.0

1932 1'173 220 18.8 953 81.2 7'858'822 1'277'862 16.3 6'580'960 83.7

1933 1'241 214 17.2 1'027 82.8 6'919'377 1'075'541 15.5 5'843'836 84.5

1934 1'463 359 24.5 1'104 75.5 7'421'862 1'776'859 23.9 5'645'003 76.1

1935 1'263 260 20.7 1'003 79.3 6'380'629 1'290'230 20.2 5'090'399 79.8

1936 1'277 301 23.6 976 76.4 5'890'357 1'325'080 22.4 4'565'277 77.6

1937 1'912 525 27.5 1'387 72.5 9'503'069 2'627'411 27.6 6'875'658 72.4

1938 2'078 455 21.9 1'623 78.1 10'750'047 2'643'425 24.6 8'106'622 75.4

1939 1'859 451 24.3 1'408 75.7 8'942'266 2'662'076 29.8 6'280'190 70.2

1940 1'892 575 26.8 1'317 73.2 9'513'190 2'997'689 27.0 6'515'501 73.0

1941 1'948 777 38.1 1'171 61.9 11'628'595 4'587'143 37.8 7'041'452 62.2

1942 2217 1567 70.7 650 29.3 15'257'821 10'619'470 69.6 4'638'351 30.4

1943 2'077 1'552 74.8 525 25.2 16'521'589 11'511'440 69.7 5'010'149 30.3

1944 1'980 1'286 64.9 694 35.1 17'763'880 10'207'206 57.5 7'556'674 42.5

1945 2'002 1'620 81.0 382 19.0 17'181'041 12'935'573 75.3 4'245'468 24.7

1946 1'938 1'607 82.9 331 17.1 17'578'982 12'892'909 73.3 4'686'073 26.7

1947 1'648 1'242 75.4 406 24.6 16'892'004 11'062'993 65.5 5'829'011 34.5

1948 2'114 1'459 69.0 655 31.0 21'714'340 13'232'075 60.9 8'482'265 39.1

1949 2'480 1'219 49.2 1'261 50.8 24'467'240 10'782'411 44.0 13'684'829 56.0

1950 2'517 901 35.8 1'616 64.2 21'370'135 7'816'106 36.6 13'554'029 63.4

1951 2'795 1'015 36.3 1'780 63.7 23'162'990 8'218'250 35.5 14'944'740 64.5

1952 2'702 1'111 41.1 1'591 58.9 25'563'021 10'514'604 41.4 15'048'417 58.6

1953 2'534 691 27.3 1'843 72.7 19'076'806 5'962'969 31.3 13'113'837 68.7

1954 2'615 835 31.9 1'780 68.1 18'546'527 6'852'741 37.0 11'693'786 63.0

1955 2'663 715 26.9 1'948 73.1 17'991'534 5'729'698 31.8 12'261'836 68.2

1956 2'871 804 28.0 2'067 72.0 18'827'140 6'087'721 32.3 12'739'419 67.7

1957 2'654 782 29.5 1'872 70.5 18'412'768 5'975'562 32.5 12'437'206 67.5

1958 2'379 644 27.0 1'735 73.0 16'493'382 5'046'557 30.6 11'446'825 69.4

1959 2'240 602 26.9 1'638 73.1 14'717'288 4'604'991 31.3 10'112'297 68.7

1960 2'423 705 29.1 1'718 70.9 16'212'181 5'333'330 32.9 10'878'851 67.1

1961 2'222 582 26.2 1'640 73.8 14'808'629 4'357'377 29.4 10'451'252 70.6

1962 2'164 592 27.4 1'572 72.6 14'811'094 4'499'616 30.4 10'311'478 69.6

1963 2'082 589 28.3 1'493 71.7 14'295'280 4'459'150 31.2 9'836'130 68.8

1964 1'832 596 32.5 1'236 67.5 12'811'516 4'480'130 35.0 8'331'386 65.0

1965 1'552 629 40.5 923 59.5 11'431'064 4'865'572 42.6 6'565'492 57.4

1966 1'716 373 21.8 1'343 78.2 11'300'895 2'999'062 26.5 8'301'833 73.5

1967 1'603 335 20.9 1'268 79.1 10'821'791 2'862'759 26.5 7'959'032 73.5

1968 1'289 380 29.5 909 70.5 9'636'135 3'468'113 36.0 6'168'022 64.0

1969 1'206 568 47.0 638 53.0 10'141'923 5'334'422 52.6 4'807'501 47.4

375 Quelle: FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1926-1969. Anmerkung: Alle Angaben ohne Abfall.

Page 113: Lizentiatsarbeit Feldmühle

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Tabelle 3: Absatzentwicklung von Kunststroh in Tonnen und Franken.376

Mengenmässiger Absatz in Tonnen Wertmässiger Absatz in SFr.

Jahr Total Schweiz in % Export in % Total Schweiz in % Export in %

1939 86 86 100.0 0 0.0 645'518 645'518 100.0 0 0.0

1940 258 258 100.0 0 0.0 1'606'749 1'606'749 100.0 0 0.0

1941 93 61 65.5 32 34.5 534'116 328'304 61.5 205'812 38.5

1942 123 108 87.3 15 12.7 924'330 818'347 88.5 105'983 11.5

1943 115 102 88.4 13 11.6 885'940 760'383 85.8 125'557 14.2

1944 157 155 98.4 2 1.6 1'275'454 1'243'521 97.5 31'933 2.5

1945 198 197 99.8 1 0.2 1'686'266 1'682'257 99.8 4'009 0.2

1946 212 211 99.6 1 0.4 1'829'939 1'820'469 99.5 9'470 0.5

1947 201 189 94.1 12 5.9 1'814'609 1'713'942 94.5 100'667 5.5

1948 109 103 94.6 6 5.4 1'016'277 964'565 94.9 51'712 5.1

1949 126 108 85.5 18 14.5 1'116'684 941'546 84.3 175'138 15.7

1950 115 103 89.8 12 10.2 1'057'152 937'525 88.6 119'627 11.4

1951 130 111 85.6 19 14.4 1'162'846 989'370 85.1 173'476 14.9

1952 128 112 87.8 16 12.2 1'350'018 1'192'630 88.3 157'388 11.7

1953 111 89 80.1 22 19.9 1'057'242 842'026 79.6 215'216 20.4

1954 172 143 82.9 29 17.1 1'586'038 1'293'798 81.6 292'240 18.4

1955 181 128 70.5 53 29.5 1'650'721 1'117'668 67.7 533'053 32.3

1956 170 120 70.5 50 29.5 1'444'435 1'063'174 73.6 381'261 26.4

1957 211 141 67.0 70 33.0 1'806'199 1'325'847 73.4 480'352 26.6

1958 120 66 55.3 54 44.7 1'020'506 609'685 59.7 410'821 40.3

1959 135 67 50.1 68 49.9 1'140'339 598'614 52.5 541'725 47.5

1960 170 81 47.8 89 52.2 1'299'338 709'686 54.6 589'652 45.4

1961 212 119 55.9 93 44.1 1'707'221 1'097'385 64.3 609'836 35.7

1962 209 106 50.9 103 49.1 1'710'273 1'008'400 59.0 701'873 41.0

1963 228 125 54.9 103 45.1 1'904'021 1'175'671 61.8 728'350 38.2

1964 232 116 50.0 116 50.0 2'087'028 1'149'256 55.1 937'772 44.9

1965 240 115 48.1 125 51.9 2'194'281 1'173'561 53.5 1'020'720 46.5

1966 231 106 46.2 125 53.8 1'964'362 964'115 49.1 1'000'247 50.9

1967 244 79 32.6 165 67.4 1'862'910 704'585 37.8 1'158'325 62.2

1968 206 66 32.3 140 67.7 1'462'844 556'875 38.1 905'969 61.9

1969 106 33 31.3 73 68.7 807'327 319'395 39.5 487'932 60.5

376 Quelle: FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1939-1969. Anmerkung: Alle Angaben ohne Abfall.

Page 114: Lizentiatsarbeit Feldmühle

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Tabelle 4: Absatzentwicklung von Folien («Cellux»-Folien) in Tonnen und Franken.377

Mengenmässiger Absatz in Tonnen Wertmässiger Absatz in SFr.

Jahr Total Schweiz in % Export in % Total Schweiz in % Export in %

1934 123 68 55.6 55 44.4 591'110 357'237 60.5 213'873 39.5

1935 159 107 67.2 52 32.8 928'066 754'510 81.3 173'556 18.7

1936 180 111 61.9 69 38.1 1'093'865 845'301 77.2 248'564 22.8

1937 220 170 77.5 50 22.5 1'417'972 1'189'897 83.9 228'075 16.1

1938 199 138 69.1 61 30.9 1'406'098 1'106'091 78.7 300'007 21.3

1939 166 113 68.3 53 31.7 1'345'835 1'155'611 85.9 190'224 14.1

1940 262 204 77.8 58 22.2 1'941'521 1'746'526 90.0 194'995 10.0

1941 269 227 84.5 42 15.5 2'189'437 2'003'864 91.5 185'573 8.5

1942 307 292 95.0 15 5.0 3'037'240 2'947'830 97.0 89'410 3.0

1943 182 182 99.7 0 0.3 2'625'420 2'617'661 99.7 7'759 0.3

1944 166 166 99.9 0 0.1 2'353'857 2'350'289 99.9 3'568 0.1

1945 258 258 99.9 0 0.1 3'494'536 3'491'987 99.9 2'549 0.1

1946 337 335 99.6 2 0.4 4'225'861 4'208'195 99.6 17'666 0.4

1947 309 304 98.4 5 1.6 3'861'346 3'807'559 98.6 53'787 1.4

1948 485 425 87.7 60 12.3 5'451'670 4'933'764 90.5 517'906 9.5

1949 526 479 91.0 47 9.0 5'088'550 4'741'727 93.2 346'823 6.8

1950 557 519 93.1 38 6.9 5'164'237 4'900'975 94.9 263'262 5.1

1951 749 714 95.4 35 4.6 6'833'493 6'596'707 96.5 236'786 3.5

1952 885 802 90.7 83 9.3 8'899'140 8'267'311 92.9 631'829 7.1

1953 1'053 884 84.0 169 16.0 9'240'380 8'603'772 93.1 636'608 6.9

1954 1'158 1'003 86.6 155 13.4 10'146'574 9'565'851 94.4 580'723 5.6

1955 1'245 1'042 83.7 203 16.3 11'118'457 10'139'958 91.2 978'499 8.8

1956 1'212 1'040 85.8 172 14.2 10'365'845 9'704'368 93.6 661'477 6.4

1957 1'333 1'094 82.0 239 18.0 11'435'721 10'270'503 89.8 1'165'218 10.2

1958 1'619 1'102 68.1 517 31.9 12'089'757 9'877'721 81.7 2'212'036 18.3

1959 1'666 1'119 67.2 547 32.8 11'959'089 9'705'931 81.0 2'253'158 19.0

1960 1'771 1'270 71.7 501 28.3 12'480'317 10'358'711 83.0 2'121'606 17.0

1961 1'914 1'415 74.0 499 26.0 13'738'622 11'514'563 83.8 2'224'059 16.2

1962 1'938 1'471 75.9 467 24.1 14'182'823 12'087'149 85.2 2'095'674 14.8

1963 1'967 1'473 74.9 494 25.1 14'293'797 12'176'474 85.2 2'117'323 14.8

1964 1'956 1'402 71.7 554 28.3 13'809'952 11'433'092 82.8 2'376'860 17.2

1965 1'782 1'336 75.0 446 25.0 12'789'884 10'894'816 85.2 1'895'068 14.8

1966 2'082 1'448 69.6 634 30.4 13'886'367 11'315'052 81.5 2'571'315 18.5

1967 2'239 1'403 62.7 836 37.3 14'723'364 11'490'229 78.0 3'233'135 22.0

1968 2'168 1'476 68.1 692 31.9 15'083'897 11'640'553 77.2 3'443'344 22.8

1969 2'782 1'844 66.1 938 33.9 18'859'605 14'002'449 74.3 4'857'156 25.7

377 Quelle: FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1934-1969. Anmerkung: Alle Angaben mit Abfall.

Page 115: Lizentiatsarbeit Feldmühle

115

Tabelle 5: Absatzentwicklung von Klebebändern («Cellux»-Klebebänder) in Tonnen und Franken.378

Mengenmässiger Absatz in Tonnen Wertmässiger Absatz in SFr.

Jahr Total Schweiz in % Export in % Total Schweiz in % Export in %

1956 64 25 39.6 39 60.4 1'190'953 659'134 55.4 531'819 44.6

1957 115 34 29.8 81 70.2 1'957'244 867'040 44.3 1'090'204 55.7

1958 161 50 30.8 111 69.2 2'613'178 1'155'938 44.2 1'457'240 55.8

1959 232 61 26.6 171 73.4 3'434'260 1'301'228 37.9 2'133'032 62.1

1960 346 87 25.0 259 75.0 4'796'118 1'681'112 35.1 3'115'006 64.9

1961 496 114 23.0 382 77.0 6'122'415 1'956'627 32.0 4'165'788 68.0

1962 593 146 24.6 447 75.4 6'953'962 2'347'215 33.8 4'606'747 66.2

1963 701 181 25.9 520 74.1 7'934'712 2'827'725 35.6 5'106'987 64.4

1964 771 177 22.9 594 77.1 8'597'700 2'817'258 32.8 5'780'442 67.2

1965 897 190 21.2 707 78.8 9'900'583 3'016'879 30.5 6'883'704 69.5

1966 1'036 203 19.6 833 80.4 11'011'550 3'245'366 29.5 7'766'184 70.5

1967 1'056 217 20.5 839 79.5 11'155'216 3'364'946 30.2 7'790'270 69.8

1968 1'254 241 19.2 1'013 80.8 12'096'011 3'534'136 29.2 8'561'875 70.8

1969 1'431 277 19.4 1'154 80.6 13'261'201 3'949'401 29.8 9'311'800 70.2

378 Quelle: FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1956-1969.

Page 116: Lizentiatsarbeit Feldmühle

116

Tabelle 6: Absatzentwicklung von technischen Schwämmen in Tonnen und Franken.379

Mengenmässiger Absatz in Tonnen Wertmässiger Absatz in SFr.

Jahr Total Schweiz in % Export in % Total Schweiz in % Export in %

1945 6 6 100.0 0 0.0 108'366 108'366 100.0 0 0.0

1946 18 16 88.0 2 12.0 607'043 464'191 76.5 142'852 23.5

1947 25 16 63.4 9 36.6 1'030'056 523'892 50.9 506'164 49.1

1948 12 9 77.2 3 22.8 424'624 290'409 68.4 134'215 31.6

1949 18 9 52.7 9 47.3 387'364 197'384 51.0 189'980 49.0

1950 25 11 46.9 14 53.1 410'423 182'923 44.6 227'500 55.4

1951 29 14 49.6 15 50.4 508'496 231'294 45.5 277'202 54.5

1952 29 17 58.3 12 41.7 548'682 327'124 59.6 221'558 40.4

1953 33 20 60.9 13 39.1 543'473 323'698 59.6 219'775 40.4

1954 34 21 63.8 13 36.2 540'401 347'349 64.3 193'052 35.7

1955 38 20 54.4 18 45.6 587'055 328'843 56.0 258'212 44.0

1956 50 23 45.9 27 54.1 767'649 388'145 50.6 379'504 49.4

1957 45 23 51.2 22 48.8 703'783 370'581 52.7 333'202 47.3

1958 60 26 43.2 34 56.8 844'371 381'667 45.2 462'704 54.8

1959 47 25 53.1 22 46.9 646'549 345'309 53.4 301'240 46.6

1960 49 36 73.8 13 26.2 622'732 450'631 72.4 172'101 27.6

1961 52 39 75.0 13 25.0 626'486 478'480 76.4 148'006 23.6

1962 48 37 78.5 11 21.5 560'345 440'223 78.6 120'122 21.4

1963 45 35 77.0 10 23.0 537'028 417'670 77.8 119'358 22.2

1964 40 34 86.3 6 13.7 485'897 421'618 86.8 64'279 13.2

1965 43 39 91.6 4 8.4 549'871 506'041 92.0 43'830 8.0

1966 34 33 98.6 1 1.4 448'146 443'042 98.9 5'104 1.1

1967 26 25 95.0 1 5.0 342'755 325'807 95.1 16'948 4.9

1968 17 16 92.9 1 7.1 214'676 199'959 93.1 14'717 6.9

379 Quelle: FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1945-1968.

Page 117: Lizentiatsarbeit Feldmühle

117

Tabelle 7: Absatzentwicklung von «Bodanyl» (Polyamidfasern) in Tonnen und Franken.380

Mengenmässiger Absatz in Tonnen Wertmässiger Absatz in SFr.

Jahr Total Schweiz in % Export in % Total Schweiz in % Export in %

1955 22 487'809

1956 101 2'338'197

1957 83 3 3.8 80 96.2 1'995'916 68'871 3.5 1'927'045 96.5

1958 224 14 6.1 210 93.9 5'006'492 293'089 5.9 4'713'403 94.1

1959 312 41 13.2 271 86.8 6'641'058 1'031'235 15.5 5'609'823 84.5

1960 597 60 10.1 537 89.9 12'044'106 1'487'164 12.3 10'556'942 87.7

1961 629 68 10.8 561 89.2 11'910'848 1'580'866 13.3 10'329'982 86.7

1962 639 86 13.5 553 86.5 11'863'348 1'852'717 15.6 10'010'631 84.4

1963 830 79 9.5 751 90.5 13'813'439 1'605'239 11.6 12'208'200 88.4

1964 1'056 76 7.2 980 92.8 16'984'565 1'494'360 8.8 15'490'205 91.2

1965 1'081 125 11.6 956 88.4 16'875'685 2'418'438 14.3 14'457'247 85.7

1966 1'382 129 9.3 1'253 90.7 17'956'867 2'062'518 11.5 15'894'349 88.5

1967 1'683 278 16.5 1'405 83.5 17'294'269 3'245'311 18.8 14'048'958 81.2

1968 2'023 317 15.6 1'706 84.4 18'590'055 3'171'730 17.1 15'418'325 82.9

1969 2'315 511 22.0 1'804 78.0 21'894'439 5'425'522 24.8 16'468'917 75.2

380 Quelle: FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach 1955-1969.

Page 118: Lizentiatsarbeit Feldmühle

118

Tabelle 8: Entwicklung des Personalbestandes nach ArbeiterInnen und Angestellten.381

Jahr Total Beschäftigte ArbeiterInnen in % Angestellte in %

1931 1587 1495 94.2 92 5.8

1932 1422

1933 1169

1934 1118

1935 905

1936 1023

1937 1146

1938 1227

1939 1185

1940

1941

1942

1943

1944

1945

1946 1245

1947 1137

1948 1202 1042 86.7 160 13.3

1949 1349 1162 86.1 186 13.9

1950 1350 1170 86.7 180 13.3

1951 1411 1234 87.6 177 12.4

1952 1437 1259 87.6 178 12.4

1953 1469 1282 87.3 187 12.7

1954 1518 1320 87.0 198 13.0

1955 1561 1366 87.5 195 12.5

1956 1633 1432 87.7 201 12.3

1957 1625 1420 87.4 205 12.6

1958 1694 1489 87.9 205 12.1

1959 1594 1384 86.8 210 13.2

1960 1612 1395 86.5 217 13.5

1961 1627 1421 87.3 206 12.7

1962 1745 1515 86.8 230 13.2

1963 1737 1512 87.0 225 13.0

1964 1607 1375 85.6 232 14.4

1965 1676 1433 85.5 243 14.5

1966 1592 1347 84.6 245 15.4

1967 1568 1321 84.2 247 15.8

1968 1470 1220 83.0 250 17.0

1969 1429 1175 82.2 254 17.8

381 Quelle: FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach, 1931-1966. Anmerkung: Für die Jahre vor 1931 und den Zeitraum zwischen 1940-1945 fehlen die Daten. Die prozentualen Angaben beruhen auf Berechnungen des Verfassers.

Page 119: Lizentiatsarbeit Feldmühle

119

Tabelle 9: Entwicklung des Personalbestandes nach AusländerInnen und SchweizerInnen.382

Jahr Total Beschäftigte AusländerInnen in % SchweizerInnen in %

1946 1245 120 9.6 1125 90.4

1947 1137 123 10.8 1014 89.2

1948 1202 234 19.5 968 80.5

1949 1349 237 17.6 1112 82.4

1950 1350 237

1951 1411 259

1952 1437 259 18.0 1178 82.0

1953 1469 239 16.3 1230 83.7

1954 1518 315 20.7 1203 79.3

1955 1561 431 27.6 1130 72.4

1956 1633 509 31.2 1124 68.8

1957 1625 581 35.7 1044 64.3

1958 1694 707 41.7 987 58.3

1959 1594 657 41.2 937 58.8

1960 1612 721 44.7 891 55.3

1961 1627 806 49.5 821 50.5

1962 1745 953 54.6 792 45.4

1963 1737 999 57.5 738 42.5

1964 1607 902 56.1 705 43.9

1965 1676 975 58.2 701 41.8

1966 1592 891 56.0 701 44.0

1967 1568 872 55.6 696 44.4

1968 1470 777 52.9 693 47.1

1969 1429 779 54.5 650 45.5

382 Quelle: FA Feldmühle, Gb. Feldmühle, Rorschach, 1946-1969. Anmerkung: Für die Jahre vor 1950 und 1951 fehlen die Daten. Die prozentualen Angaben beruhen auf Berechnungen des Verfassers.

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Abkürzungsverzeichnis BIGA Bundesamt für Industrie und Gewerbe CMV Christlicher Metallarbeiter Verband EASG Einigungsamt des Kantons St.Gallen FA Firmenarchiv GAV Gesamtarbeitsvertrag Gb. Geschäftsbericht Jb. Jahresbericht LFSA Landesverband Freier Schweizer Arbeiter Prot. Protokoll RMC Monats-Chronik. Illustrierte Beilage zum Ostschweizerischen Tagblatt und Rorschacher Zeitung RNbl. Rorschacher Neujahrsblatt SA Stadtarchiv SASTIG Schweizerisch-Amerikanische Stickerei-Industrie-Gesellschaft SGB Schweizerischer Gewerkschaftsbund SKV Schweizerische Kaufmännische Verein SMUV Schweizerischer Metall- und Uhrenarbeiterverband StASG Staatsarchiv St.Gallen STFV Schweizerische Textil- und Fabrikarbeiterverband SVEA Schweizerische Verband Evangelischer Arbeiter und Angestellter SVCTB Schweizerische Verband Christlicher Textil- und Bekleidungsarbeiter VATI Verband der Arbeitgeber der Textilindustrie ZV Zentralvorstand

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen

A Ungedruckte Quellen Archiv Bundesamt für Sozialversicherung, Bern (Archiv Bundesamt) Aktenmappe K 553 Krankenkasse Feldmühle AG, Rorschach (bis Juni 1926 unter Stickerei Krankenkasse Feldmühle, Rorschach). Archiv Handelsregisteramt, St.Gallen Statuten der Feldmühle AG, Rorschach 12. Oktober 1895 - 16. Dezember 1988. Archiv STFV (im Sozialarchiv, Zürich) Ar.18.201.1-18.212.13 Protokollbücher von diversen Sektionen des STFV. Firmenarchiv der Feldmühle AG, Rorschach (FA Feldmühle) Geschäftsberichte der Feldmühle AG, Rorschach 1926-1969 (zit. als Gb. Feldmühle). Geschäftsberichte der Schweizerisch-Amerikanische Stickerei-Industrie- Gesellschaft, Glarus 1912-1968 (zit. als Gb. SASTIG). Ordner: Fotos (6 Bundesordner: Diverse, Fabrikationsanlagen, Personal diverse Aktionen, Personal am Arbeitsplatz, Sport, Werbung; Fotoalbum [schwarz]; Ringordner [rot]). Ordner: Gründung Stickerei Feldmühle. Ordner: Industriegleis (Erstellung bis Aufhebung). Ordner: Sozialeinrichtungen. Ordner G16: Verträge nicht mehr aktuell - Verschiedenes (ausgelaufene Verbandsmitgliedschaften, Amtliche Verfügungen, Gutachten, Urteile). Staatsarchiv St.Gallen (StASG) A 90/30 Einigungsamt des Kantons St.Gallen, Akten 1930-1950. A 93/73.2 Einigungsamt des Kantons St.Gallen, Protokolle 1939-1950. R 109 B1 Einigungsamt des Kantons St.Gallen, Protokolle 1918-1942. Stadtarchiv Rorschach (SA Rorschach) Verhandlungs-Protokolle des Stadtrates, Rorschach 1940-1947.

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B Gedruckte Quellen Berichte der eidgenössischen Fabrikinspektoren und des Arbeitsarztes des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit über ihre Amtstätigkeit in den Jahren 1945 und 1946, herausgegeben vom Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement, Aarau 1947 (zit. als FIB). Feldmühle AG, Rorschach, in: Brun, F.: Chronik des Kantons St.Gallen. Chronik st. gallischer Firmen, Zürich 1945, S. 363-364. Fritschi, Walter: 75 Jahre Betriebskrankenkasse Feldmühle AG, Rorschach 1966. Ilg, Paul: Das Menschlein Matthias, Zürich 1913. Jahresberichte des STFV (zit. Jb. STFV). Marti, Ernst: 50 Jahre STFV 1903-53, Zürich 1954. Rorschach, Stickerei Feldmühle (Feldmühle Embroidery Co.), Rorschach 1899. Statistische Jahrbücher der Schweiz (zit. Stat. Jb.). 50 Jahre Viscose Emmenbrücke 1906-1956, Emmenbrücke 1956. 50 Jahre Volksstimme, Zur Geschichte der ostschweizerischen Arbeiterbewegung und Arbeiterpresse, St. Gallen 1952.

C Zeitungen und Zeitschriften Die Ostschweiz. Die Weltwoche. Monats-Chronik. Illustrierte Beilage zum Ostschweizerischen Tagblatt und Rorschacher Zeitung (zit. als RMC). Neue Zürcher Zeitung. Ostschweizer Anzeiger. Ostschweizerisches Tagblatt. Rorschacher Neujahrsblatt (zit. als RNbl.). Rorschacher Zeitung. Volksstimme.

D Audiovisuelle Quellen Film von Felix Karrer: Fabrikleben. Die Feldmühle AG Rorschach & so weiter. Schweizer Fernsehen DRS 1984 [Transkription von Martin Hofmann] (zit. als Film Feldmühle).

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Darstellungen Bader, W.: Kunstseide, in: RNbl. 1946, S. 45-50. Bauer, Robert: Das Jahrhundert der Chemiefaser, München 1951. ders.: Zellwolle siegt, Leipzig 1941. Bauer, Robert/ Koslowski, Hans J.: Chemiefaser-Lexikon. Begriffe, Zahlen, Handelsnamen, 9. überarbeitete Auflage, Frankfurt a. Main 1983. Bodmer, Walter: Die Entwicklung der schweizerischen Textilwirtschaft im Rahmen der übrigen Industrien und Wirtschaftszweige, Zürich 1960. Borowsky, Peter/Vogel, Barabara/Wunder Heide: Einführung in die Geschichtswissenschaft I: Grundprobleme, Arbeitsorganisation, Hilfsmittel, 5., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Opladen 1989. Boscardin Lucio: Die italienische Einwanderung in die Schweiz mit besonderer Berücksichtigung der Jahre 1946-59, Basel 1962. Braun, Rudolf: Sozio-kulturelle Probleme der Eingliederung italienischer Arbeitskräfte in der Schweiz, Erlenbach-Zürich 1970. Daetwiler, Richard: Die schweizerische Kunstseidenindustrie, Diss., Zürich 1952. Degen, Bernard: Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellte in der schweizerischen Geschichtsschreibung, in: Geschichtsforschung in der Schweiz. Bilanz und Perspektiven - 1991, Basel 1992, S. 79-91. Degen, Bernard: Der Arbeitsfrieden zwischen Mythos und Realität, in: Arbeitsfrieden - Realität eines Mythos. Widerspruch-Sonderband (1987), S. 11-30. Fluder, Robert/ Ruf, Heinz/Schöni, Walter/Wick, Martin: Gewerkschaften und Angestelltenverbände in der schweizerischen Privatwirtschaft. Entstehung, Mitgliedschaft, Organisation und Politik seit 1940, Zürich 1991. Gerlach, Thomas: Ideologie und Organisation. Arbeitgeberverband und Gewerkschaften in der Schweizer Textilindustrie 1935 bis 1955; eine Studie zur Logik kollektiven Handelns, Stuttgart 1995. Grünberger, Richard: Die Familie Danielis in Rorschach, in: RMC, Juni 1965, S. 84-87. ders.: Verschwundene Flur-, Weg- und Gewässernamen auf Rorschacher Gemeindegebiet, in: RNbl. 1958, S. 5-24. ders.: Rorschach - Wandel eines Stadtbildes. II. Teil 1803-1914, in: RNbl. 1963, S. 5-20. Haug, Werner: «... und es kamen Menschen». Ausländerpolitik und Fremdarbeit in der Schweiz 1914-1980, Basel 1980. Hug, Paul: Zum Hinschied von alt Feldmühledirektor Grauer, in: Ostschweizer Tagblatt, 11. Januar 1980. Huber, Alfred: Staatskunde-Lexikon. Informationen - Tatsachen - Zusammenhänge, 3., vollständig überarbeitete Auflage, Luzern 1988. Jaun, Rudolf: Management und Arbeiterschaft. Verwissenschaftlichung, Amerikanisierung und Rationalisierung der Arbeitsverhältnisse in der Schweiz 1873-1959, Zürich 1986. Kobelt, Eduard: Das Streikverhalten der Ostschweizer Arbeiter 1927-1950, Ms., St.Gallen 1983. König, Mario/Siegrist, Hannes/Vetterli, Rudolf: Warten und Aufrücken. Die Angestellten in der Schweiz 1870-1950, Zürich 1985.

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