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244 A.E. Kornmtiller: Arteriosklerosen, die Vielherdigkeit besonders bei den Arteriosklerosen mit basalen Veriinderungen, die unvermeidliche Unbestimmtherdiglceit bei den Tumoren und lob~ren Atrophien, vor allem aber die Ungewi6- heiten, die sich aus vermeidbaren Unzuliinglichkeiten der morphologischen Untersuchungsmethoden zwangsls ergeben. Ich ffirchte, dal~ sich ein nicht kleiner Tei! des Kleistschen Materials bei gebfihrender Berfick- sichtigung der unerl~l~lichen methodischen Forderungen, wenigstens fiir feinere Lokalisationen als nicht geeignet erweisen wiirde. Wenn ich deshalb die Kleistschen Ergebnisse in einem Teil nicht als so genfigend gesichert betrachten kann, um letzte Schlu~folgerungen daraus zu ziehen, so bedeutet das nicht, daI~ ich fiber die Kleistschen Bestrebungen ein ablehnendes Urteil abgeben wollte. Es ist ffir mich gar keine Frage, da6 Kleists Forschungen eine Reihe wertvollster Erkenntnisse und neuer Gesichtspunkte auf dem Gebiet der Hirnpathologie gebracht haben, die auch den Psychiater ernstlich angehen und ihn verpflichten, sich damit auseinanderzusetzen. Ihr Hauptwert ffir die Psychiatrie aber scheint mir heute in erster Linie noch ein heuristischer zu sein. Lokalisationslehre oder Ganzheit des Zentral- nervensystems ? Von A. E. Kornmiiller, Berlin-Buch. Nachdem die Frage nach der Lokalisation der Funktionen im Zentra|- nervensystem aufgeworfen war, gab es stets eine Zahl yon Forschern, die mehr oder weniger bestritten, da6 an bestimmte Zentren des Zentral- nervensystems bestimmte Funktionen lest geknfipft sind. In der Gegen- wart sind es zur Hauptsache die Vertreter der Ganzheitslehre oder verwandter Anschauungen, z.B. der Plastizit~tslehre von Bethe. Die Grundanschammg dieser Lehren ist folgenderma~en formuliert worden (Bethe schreibt wSrtlich): ,,Jede Erregung, welche an beliebiffer Stelle in das Zentralnervensystem einbricht, beein/luflt das ganze System." Goldstein spricht wiederholt yon der Annahme, ,,da~ es sich beim Nervensystem um einen einheitlichen Apparat handelt, der stets als Ganzes arbeitet". Andere Autoren (z. B. v. Weizsiicker und Matthaei) haben sich dem Inhalte nach gleichlautend ge~uBert. Die bioelektrischen Erscheinungen sind bekannt- ]ich der sicherste Indikator ffir Erregungsabl~ufe, und die bioelektrische Lokalisationsmethodik ist darum wie keine andere Methode geeignet, diese Grundanschauung experimentell zu prfifen. Dazu konnte ich unter anderen folgende gesicherte Feststelhmgen 1 machen: 1 Eine eingehende I)arstellung dieser findet sich bei A. E. Kornmfdler: Die bio- elektrischen Erseheinungen der Hirnrindenfelder. Leipzig: Georg Thieme 1937.

Lokalisationslehre oder Ganzheit des Zentralnervensystems?

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244 A.E. Kornmtiller:

Arteriosklerosen, die Vielherdigkeit besonders bei den Arteriosklerosen mit basalen Veriinderungen, die unvermeidliche Unbestimmtherdiglceit bei den Tumoren und lob~ren Atrophien, vor allem aber die Ungewi6- heiten, die sich aus vermeidbaren Unzuliinglichkeiten der morphologischen Untersuchungsmethoden zwangsls ergeben. Ich ffirchte, dal~ sich ein nicht kleiner Tei! des Kleistschen Materials bei gebfihrender Berfick- sichtigung der unerl~l~lichen methodischen Forderungen, wenigstens fiir feinere Lokalisationen als nicht geeignet erweisen wiirde. Wenn ich deshalb die Kleistschen Ergebnisse in einem Teil nicht als so genfigend gesichert betrachten kann, um letzte Schlu~folgerungen daraus zu ziehen, so bedeutet das nicht, daI~ ich fiber die Kleistschen Bestrebungen ein ablehnendes Urteil abgeben wollte. Es ist ffir mich gar keine Frage, da6 Kleists Forschungen eine Reihe wertvollster Erkenntnisse und neuer Gesichtspunkte auf dem Gebiet der Hirnpathologie gebracht haben, die auch den Psychiater ernstlich angehen und ihn verpflichten, sich damit auseinanderzusetzen. Ihr Hauptwert ffir die Psychiatrie aber scheint mir heute in erster Linie noch ein heuristischer zu sein.

Lokal isat ionslehre oder Ganzheit des Zentral- nervensystems ?

Von A. E. Kornmiiller, Berlin-Buch.

Nachdem die Frage nach der Lokalisation der Funktionen im Zentra|- nervensystem aufgeworfen war, gab es stets eine Zahl yon Forschern, die mehr oder weniger bestritten, da6 an bestimmte Zentren des Zentral- nervensystems bestimmte Funktionen lest geknfipft sind. In der Gegen- wart sind es zur Hauptsache die Vertreter der Ganzheitslehre oder verwandter Anschauungen, z .B. der Plastizit~tslehre von Bethe. Die Grundanschammg dieser Lehren ist folgenderma~en formuliert worden (Bethe schreibt wSrtlich): ,,Jede Erregung, welche an beliebiffer Stelle in das Zentralnervensystem einbricht, beein/luflt das ganze System." Goldstein spricht wiederholt yon der Annahme, ,,da~ es sich beim Nervensystem um einen einheitlichen Apparat handelt, der stets als Ganzes arbeitet". Andere Autoren (z. B. v. Weizsiicker und Matthaei) haben sich dem Inhalte nach gleichlautend ge~uBert. Die bioelektrischen Erscheinungen sind bekannt- ]ich der sicherste Indikator ffir Erregungsabl~ufe, und die bioelektrische Lokalisationsmethodik ist darum wie keine andere Methode geeignet, diese Grundanschauung experimentell zu prfifen. Dazu konnte ich unter anderen folgende gesicherte Feststelhmgen 1 machen:

1 Eine eingehende I)arstellung dieser findet sich bei A. E. Kornmfdler: Die bio- elektrischen Erseheinungen der Hirnrindenfelder. Leipzig: Georg Thieme 1937.

Lokalisationslehre oder Ganzheit des Zentralnervensystems ? 245

a) Selbst hypermaximale Sinnesreize werden am normalen Tier nur von bestimmten streng umschriebenen Feldern der Hirnrinde durch AktionsstrSme beantwortet. Reagieren auf einen Reiz bestimmter Qualit~t mehrere Felder durch Aktionsstromschwankungen, so sind deren Formen je nach Ableitefeld verschieden. Andere Felder zeigen in Ab- h~ngigkeit yon Reizen Verminderung der Eigenstromproduktion. Der grSl~ere Tell der Hirnrinde aber liiBt unter normalen VerhKltnissen keinerlei Modifikationen der EigenstrSme auf Sinnesreize erkennen.

b) Unphysiologische (chemische, thermische, mechanische u. a.) Reize, die lokal auf die Hirnrinde zur Wirkung gebracht werden, wirken inner- halb eines groI3en Intensi$~tsbereiches ebenfalls nicht auf das ganze System, sondern je nach Angriffsort neben diesem auf andere Stellen gesetzm~Biger Lokalisation.

c) Die EigenstrSme der verschiedenen Zentren sind grSl~tenteils in ihren Potentialschwankungen zeitlich voneinander unabh~ngig, so da$ auch ffir die Tiitigkeit w~hrend der Ruhe nicht die Rede davon sein kann, dab jede Erregung das ganze System trifft.

Jedes meiner Experimente zwingt mich zu der Anschauung, dal3 alle Erregungsabl~ufe im Zentralnervensystem streng lokalisiert sind. Wir haben darum keinen Grund, auch bezfiglich der Funktionen etwas anderes anzunehmen, als dal3 sie letzten Endes ebenfalls streng lokali- siert sind.

Trotzdem ist die Frage, was lokalisiert werden soll, fiberaus schwierig. Man hat sich im allgemeinen nicht darauf beschr~nkt, die Befunde bei herdfSrmigen Einwirkungen auf das Zentralnervensystem festzuhalten, sondern man hat unbewuI3t oder bewul3t, sogleieh eine Interpretation dieser Beobachtungen im Sinne einer Funktionslokalisation vorgenommen.

Weiters wurde die Lokalisation yon Funktionen bis jetzt zur Haupt- sache auf Grund der Gehirnpathologie bzw. im Tierexperiment durch Methoden wie die Exstirpation, elektrische Reizung, die Strychnin- methode nach Dusser de Barenne bearbeitet, die T~tigkeitsab~nderungen mit sich bringen, die weir yon dem Normalzustand des Gehirns entfernt sind, wie ,die bioelektrische Kontrolle der genannten physiologischen Methoden ergeben hat. Gleiches muI3 ffir die Herderkrankungen an- genommen werden. Auch darum ist es in diesem Zeitpunkt schwer, wenn nicht gar unmSglich, auf Grund dieser Methoden etwas Gesichertes auszusagen fiber die Funktionen der normalt~tigen Zentren,

1. weft sieh z. B. Exstirpation oder Durehsehneidungen aueh auBer- halb des akuten Stadiums meist aueh auf die Ts einzelner anderer

- - aber keineswegs aller - - Grisea auswirken und 2. weft diese Ti~tigkeitsab~nderungen nicht nur dureh Steigerungen

oder L~hmungen, also quantitative Merkmale zu kennzeichnen sind, sondern es sich aueh um Ab~nderungen der T~tigkeit in zeitlieher Hin- sicht handelt, ohne dab eine eindeutige Steigerung oder Verminderung

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der Erregungsablitufe vorhanden ist. In diesem Zusammenhang die Diaschisislehre v. Mona]cows zu diskutieren, wiirde zu weit fiihren. Die Pathophysiologie der zentralnervSsen Zentren ist jedenfalls recht kom- pliziert, und wit diirfen hoffen, dab deren Studium der klinisehen Gehirn- pathologie wertvolle Befunde liefern wird zur weiteren FSrderung des Problems der Lokalisation yon Funktionen.

Dureh gleiehzeitige Registrierungen yon mehreren Stellen des Zentral- nervensystems sind wir imstande, auf Grund zeitlieher Verkniipfungen der Potentialschwankungen einzelner Grisea funkbionelle Verknfipfungen der Ti~tigkeit verschiedener Punkte der Hirnrinde und subcorticaler Zentren zu studieren. Derartige Feststellungen diirften uns ohne Zweifel wichtige Hinweise zur Beantwortung der Frage, wie lokalisiert werden soll, geben. Ich beschriinke reich hier auf einzelne allgemeinere Fest- stellungen:

1. Bei der normalen Ti~tigkeit haben nur einzelne Felder der GroB- hirnrinde gerichtete Beziehungen zueinander. FaBt man auf der GroG- hirnrinde Ableitepunkte zusammen, die in ihren Potentialschwankungen strenge zeitliche Verkniipfungen aufweisen, so gelangt man zu einer Gliederung, die

a) sich vielfaeh mit der arehitektonischen Felderung deekt. b) Dariiber hinaus lassen sich einige architektonische Felder auf

Grund yon Iso- bzw. Dyschronismen in kleinere Einheiten untergliedern. Es bleibt dabei offen, ob die Architektonik nicht noch eine analoge Unterfelderung erbringen wird.

c) Innerhalb bestimmter Felder gibt es segment- bzw. streifen- fSrmige Gebiete, die mit angrenzenden architektonischen Feldern bzw. Teilen dieser mehr zeitliche Verkniipfungen haben als mit anderen Punkten des eigenen Feldes.

d) Auch zwischen weir entfernten Feldern bestehen Beziehungen in der T~ttigkeit. Es ist anzunehmen, dab die so ermittelten Verkniipfungen der T~tigkeit verschiedener Zentren /unktionelle Einheiten anzeigen.

2. Unter abnormen Bedingungen z. B. bei unphysiologisehen Reizen, aber auch bei starken L~hmungen ist die Zahl der Zentren, die sich untereinander beeinflussen, grSBer als unter normalen Bedingungen. ,,Erfahrungen am kranken Menschen" kSnnen nur mit gr6Bter Vorsicht fiir die Physiologie der GroBhirnrinde Auswertung finden. Es geht z.B. nicht an, die ,,Rhythmitisierung des ganzen KSrpers durch einen starken an irgendeiner Stelle ansetzenden rhythmischen Reiz" (Gold- stein) zur Stiitzung der Auffassung heranzuziehen, dab unter physio- logischen Verhiiltnissen derartige ,,ganzheitliehe" Reaktionen im Zentral- nervensystem auftreten, da sich unter physiologischen Bedingungen viel weniger Zentren beeinflussen, als unter abnormen Umst~nden 1.

1 Siehe meinen Vortrag auf der vorj~hrigen Tagung!