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Maastricht 2.0
Eine neue Finanzregel für Europa
3
Inhalt
Das Wichtigste in Kürze 5
1 Einleitung 7
2 Institutioneller Rahmen und Entwicklung der Staatsverschuldung 9
2.1 DieRatiodesStabilitäts-undWachstumspakts 9
2.1.1 EinordnungdesStabilitäts-undWachstumspakts 9
2.1.2 BegründungenfürStaatsverschuldung 9
2.1.3 BegrenzungderStaatsverschuldung 11
2.2 EntwicklungderStaatsverschuldungseitEinführungdes
Stabilitäts-undWachstumspakts 14
3 Szenarienrechnungen 18
3.1 Szenario1:EinhaltungdesStabilitäts-undWachstumspakts 18
3.2 Szenario2:EuropäischeSchuldenbremse 20
4 Maastricht 2.0: Tragfähigkeitsregel für europäische Staatsfinanzen 24
4.1 KonzeptionellerRahmen 24
4.2 RegelbeitragfähigerSchuldenstandsquote 24
4.2.1 StaatlicheVerschuldung 24
4.2.2 GesamtwirtschaftlicheVerschuldung 25
Maastricht 2.0
Eine neue Finanzregel für Europa
Dr. Michael Böhmer, Jan Limbers, Sabrina Schmutz, Dr. Johannes Weisser
4
Inhalt
4.3 RegelbeiübermäßigerSchuldenstandsquote 27
4.3.1 ZeitlicherRahmenundHöhedeszulässigenDefizits 27
4.3.2 Übergangszeitraum 30
4.3.3 GesamtwirtschaftlicheVerschuldung 30
5 Europäische Schuldenbremse und Maastricht 2.0 – ein empirischer Vergleich 31
5.1 Modellumsetzung 31
5.2 EntwicklungderStaatsverschuldung 33
5.3 Wachstumswirkungen 36
6 Zusammenfassung 39
Appendix 42
Literaturverzeichnis 44
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 46
Impressum 50
5
Das Wichtigste in Kürze
Das Wichtigste in Kürze
MitdieserStudiewirdeineneue,strengaufdieTragfähigkeitöffentlicherHaushalteausgerichtete
VerschuldungsregelfürdieeuropäischenStaatenvorgestelltundaufihreWachstumsfreundlich-
keituntersucht:Maastricht2.0.DieKonzeptionvonMaastricht2.0basiertaufderAnalyseundauf
SzenarienrechnungenzudenRegelungendesStabilitäts-undWachstumspaktsunddereuropäi-
schenSchuldenbremse.DieKernpunktederStudiesind:
• Aufgrund zahlreicher Defizitverletzungen und stark angestiegener Schuldenstandsquoten
mussderStabilitäts-undWachstumspaktalsgescheitertgelten.AlleindieTatsache,dassin
derVergangenheitSchuldenstandsquotenjenseitsder60-Prozent-MarketrotzEinhaltungdes
Defizitkriteriumssteigenkonnten,zeigtdiefehlerhafteKonzeptiondesVertragsvonMaast-
richt.
• DieeuropäischeSchuldenbremseistgeeignet,Schuldenstandsquotenzurückzuführen.Gleich-
zeitigistdieSchuldenbremseaberwenigflexibelundunnötigrestriktiv,dadieFestlegungder
DefizitquotefüralleLändereinheitlicherfolgtundlangfristigeSchuldenstandsquotenimpli-
ziert,dieweitunterdenErfordernissentragfähigerStaatshaushalteliegen.
• Maastricht2.0istkonsequentamHauptziel„tragfähigeStaatshaushalte“ausgerichtet.Esum-
fassteintransparentesRegelwerk,dasdielandesspezifischenökonomischenRahmenbedin-
gungenberücksichtigtundanzentralerStellezwischentragfähigenundnicht-tragfähigenöf-
fentlichenHaushaltendifferenziert:
–UnterhalbeinerSchuldenstandsquotevon60ProzentbestehtimSinneeinerstabilenWäh-
rungsunionkeineNotwendigkeitzustrengerenVorgabenalsheute.Maastricht2.0siehtaus
diesemGrundeineBegrenzungderDefizitquoteaufmaximaldreiProzentvor.Diegleich-
zeitigeBeschränkungdesLeistungsbilanzdefizitsaufmaximalvierProzentdesBruttoin-
landsproduktsberücksichtigtzudemdieGefahrgesamtwirtschaftlicherÜberschuldung.
–Schuldenstandsquotenoberhalbvon60ProzentwerdenimRahmenvonMaastricht2.0re-
gelgebundenzurückgeführt.DazuwirdzunächstderzeitlicheRahmenverbindlichfestge-
legt,wobeisowohldieSchuldenstandsquoteimAusgangszustandalsauchdaslandesspe-
zifischeTrendwachstumBerücksichtigung finden.DiezulässigestrukturelleDefizitquote
wirdjährlichansichänderndewirtschaftlicheRahmenbedingungenangepasst,sodasseine
EinhaltungdeszeitlichenRahmensjederzeitgewährleistetist.
–ZusätzlichzumstrukturellenDefizitsiehtMaastricht2.0eineKonjunkturkomponentevor,
dieeinfreiesWirkenderautomatischenStabilisatorensicherstellt.DesWeiterengiltauch
fürhochverschuldeteStaatendieBeschränkungdesLeistungsbilanzdefizitsaufmaximal
vierProzentdesBruttoinlandsprodukts.
6
Das Wichtigste in Kürze
• UmdieWachstumsfreundlichkeit vonMaastricht2.0mit jenerder europäischenSchulden-
bremsezuvergleichen,werdenbeideVerschuldungsregelnindasmakroökonomischeModell
VIEWderPrognosAGimplementiert.AusdenSimulationsergebnissenlassensichfolgende
Schlussfolgerungenableiten:
–BeideVerschuldungsregeln führenzueinerReduktionderSchuldenstandsquotenhinzu
tragfähigenNiveaus.WährendSchuldenstandsquotenimRahmendereuropäischenSchul-
denbremseauchnachUnterschreitender60-Prozent-Grenzeweitersinken,stabilisierensie
sichunterMaastricht2.0auftragfähigenNiveaus.DadurchergebensichimRahmenvon
Maastricht2.0zusätzlicheHandlungsspielräume,diefürwachstumsstimulierendeMaßnah-
mengenutztwerdenkönnen.
–Maastricht2.0wirktwachstumsfreundlicheralsdieeuropäischeSchuldenbremse.Dabeier-
gebensichwährendderÜbergangsphaseunterMaastricht2.0sogarstärkereKonsolidie-
rungserfordernissealsunterdereuropäischenSchuldenbremse,diekurzfristigdämpfend
aufdasWirtschaftswachstumwirken.Mittel-undlangfristigprofitiertdasWachstumaber
vondendanngeringerenSchuldenstandsquotenunddenandieLänderspezifikaangepass-
tenDefizitvorgabenunterMaastricht2.0,sodassdieWachstumsverlustemehralsausgegli-
chenwerdenkönnen.
7
1 Einleitung
1 Einleitung
Mitdem1993inKraftgetretenenVertragvonMaastrichtwurdegemeinsammitdem1997ins
EU-RechtaufgenommenenStabilitäts-undWachstumspakteinfinanzpolitischesRegelwerkeinge-
führt,mitdemdieöffentlichenFinanzenindenMitgliedstaatenderEuropäischenUnioneinauf
DauertragfähigesNiveauerreichensollten.Fast20Jahrespäterundmittenindereuropäischen
Schuldenkrisemussjedochkonstatiertwerden,dassdasNachhaltigkeitszieldesStabilitäts-und
Wachstumspaktsnursehreingeschränktverwirklichtwerdenkonnte.
DermäßigeErfolgdiesesPaktsistaufmehrereUrsachenzurückzuführen.Zumeinenmangeltes
demRegelwerkvonMaastrichtanpolitischerDurchsetzbarkeit.AlleindieTatsache,dasskeines
derzahlreichenDefizitverfahrenzugravierendenFolgenfürdasbetreffendeLandführte,verdeut-
lichtdiesaufanschaulicheWeise.DieUrsachen–beispielsweisederMangelanSanktionsauto-
matismenoderdieLangwierigkeitvonDefizitverfahren–wurdenbereitsinzahlreichenwissen-
schaftlichenBeiträgenbehandeltundwerdendeswegenindervorliegendenUntersuchungnicht
anzentralerStellethematisiert.1
ZumanderenistderStabilitäts-undWachstumspakteinseitigaufstaatlicheVerschuldungkonzen-
triertundlässtandereIndikatorenfürvolkswirtschaftlicheUngleichgewichteaußerAcht.2InReak-
tionaufdieseProblematiktratam13.Dezember2011dersogenannte„Sixpack“inKraft,indem
unteranderemeinindikatorenbasiertesmakroökonomischesFrühwarnsystemimplementiertwer-
denkonnte.AuchdieseProblematikwirdhiernuramRandethematisiert.3
NebendermangelndenpolitischenDurchsetzbarkeitunddereinseitigenFixierungaufdieVerschul-
dungderStaatenkonnteindenvergangenenJahrenineinigenLändernbeobachtetwerden,dass
dieSchuldenstandsquoteüber60Prozentanstieg,obwohldieDefizitgrenzeeingehaltenwurde.So
lagdiedurchschnittlicheDefizitquoteDeutschlandsindenJahren1996bis1999beispielsweisebei
2,6Prozent,währendimselbenZeitraumdieSchuldenstandsquotevon58aufüber61Prozentan-
wuchs.EineigentlichaufNachhaltigkeitausgerichtetesBudgetführtesomitimErgebnissogarzu
einerSchwächungderTragfähigkeit.DerartigenFehlentwicklungenliegtzugrunde,dassdieSchul-
denstandsquotenurdanngegen60Prozentkonvergiert,wenneinerDefizitquotevondreiProzent
einnominalesWirtschaftswachstumvonfünfProzentgegenübersteht.4WachstumsratendieserGrö-
ßenordnungkonnteninjüngererVergangenheitabernurvonwenigenEU-Mitgliedstaatenrealisiert
werdenundentsprechenauchnichtdenprognostiziertenWachstumstrends.5
1 Vgl.u.a.Dongesetal.(2010),Hishow(2010),EZB(2010).
2 Vgl.u.a.Hornetal.(2010),Kullas(2011).
3 ZusätzlichzummakroökonomischenFrühwarnsystemwurdenimSixpackauchdieSanktionsmechanismendesStabilitäts-undWachstumspaktsverstärkt.SanktionenfalleninZukunfthöherausundgreifenfrüher.BeschlüssederEuropäischenKommis-sion,Sanktionenzuverhängen,sindnichtlängerzustimmungspflichtig,sondernkönnennurnochmitqualifizierterMehrheitimEcofin-Ratgestopptwerden.DesWeiterenführtkünftigaucheinÜberschreitendermaximalzulässigenSchuldenstandsquotezueinemDefizitverfahren.
4 DerzugrundeliegendeformaleZusammenhangwirdinKapitel2nähererläutert.
5 Vgl.Prognos(2012).
8
1 Einleitung
DerProblembefundlautetsomit:DieEinhaltungdesDefizitkriteriumsalleinkannkeinedauer-
hafttragfähigenöffentlichenFinanzengewährleisten.LangfristighängtdieSchuldenstandsquote
auchvonderEntwicklungderWirtschaftsleistungab.KurzfristigspielenFaktorenwiedieSchul-
denstandsquoteimAusgangszustandeinewichtigeRolle.JedeAusgabenregel,diedauerhafttrag-
fähigeöffentlicheFinanzenermöglichensoll,mussdieseFaktorenmitberücksichtigen.Einesol-
cheFinanzregelabzuleiten,istdasZieldervorliegendenStudie.
ZudiesemZweckwerdenineinemerstenSchrittalternativeEntwicklungspfadederStaatverschul-
dunganhandvonSzenarienrechnungen,zumBeispielzureuropäischenSchuldenbremse,aufge-
zeigt.DieseSzenarienermöglicheneinensystematischenÜberblicküberdiemaßgeblichenwirt-
schaftlichenZusammenhänge.DieanhandderempirischenErgebnissegewonnenenErkenntnisse
ermöglicheneinezielführendeDiskussionunddiekonsequenteAbleitungeinerneuen,aufNach-
haltigkeitausgelegtenFinanzregel–Maastricht2.0.
DieWachstumswirkungenderneuenFinanzregelwerdenmithilfedesmakroökonomischenMo-
dellsVIEWderPrognosAGfüreinenPrognosezeitraumbiszumJahr2030untersuchtundder
prognostiziertenEntwicklungimRahmendereuropäischenSchuldenbremsegegenübergestellt.
Dabeizeigtsich,dassMaastricht2.0zunachhaltigenSchuldenstandsquotenführtundlangfristig
wachstumsfreundlicheristalsdieeuropäischeSchuldenbremse.
DievorliegendeStudieistwiefolgtaufgebaut:InKapitel2erfolgteineHinführungzumThema,
indemzunächstdieRatiodesStabilitäts-undWachstumspaktsinBezugaufnachhaltigeStaatsfi-
nanzenerläutertwird,umanschließenddieEntwicklungderStaatsverschuldungseitEinführung
desPaktszuskizzieren.Kapitel3zeigtmithilfederSzenarienrechnungenalternativeEntwicklun-
genderStaatsverschuldungaufunddiskutiertdieErgebnissemitBlickaufeinemöglicheneue
Finanzregel,diemitMaastricht2.0inKapitel4vorgestelltwird.InKapitel5werdendieeuropä-
ischeSchuldenbremseundMaastricht2.0einandergegenübergestelltundmithilfedesModells
VIEWaufihreWachstumsfreundlichkeituntersucht.DasabschließendeKapitel6fasstdieErgeb-
nissederStudiezusammen.
9
2 Institutioneller Rahmen und Entwicklung der Staatsverschuldung
2 Institutioneller Rahmen und Entwicklung der Staatsverschuldung
2.1 Die Ratio des Stabilitäts- und Wachstumspakts
2.1.1 Einordnung des Stabilitäts- und Wachstumspakts
DerStabilitäts-undWachstumspaktpräzisiertArtikel104cdesVertragsvonMaastricht,derdie
Mitgliedstaatendazuauffordert,übermäßigeDefizitezuvermeiden.6DiekonkretenBestimmun-
gensehenvor,dassdasDefizitdesStaatshaushaltsnichthöherseindarfalsdreiProzentinRela-
tionzumnominalenBruttoinlandsproduktunddassdieSchuldenstandsquotenichtmehrals60
Prozentbetragendarf.GemäßStabilitäts-undWachstumspaktsinddieMitgliedstaatendarüber
hinausdazuverpflichtet,mittelfristigeinennahezuausgeglichenenHaushaltodereinenHaus-
haltsüberschussineinerkonjunkturellenNormalsituationeinzuhalten.DieDefizitgrenzevondrei
Prozent darf nur in Ausnahmefällen (Naturkatastrophen, schwerwiegender Abschwung) über-
schrittenwerden.DieReformdesStabilitäts-undWachstumspaktsimJahr2005hatdieAusnah-
metatbeständebezüglichihrerAnwendungflexibilisiertunddenAusnahmenkatalogerweitert.
GemeinsambildendieseBegrenzungendasHerzstückderpräventivenKomponentedesStabili-
täts-undWachstumspakts.DiesehatzumZiel, finanzpolitischenFehlentwicklungen frühzeitig
entgegenzuwirken.DiezusätzlichekorrektiveKomponentedesPaktsenthältdieRegelungenzum
VerfahrenbeiübermäßigemDefizit,dasbeiNichteinhaltender finanzpolitischenVorgabenzur
Anwendungkommensoll.
2.1.2 Begründungen für Staatsverschuldung
Staatsverschuldungentsteht,wennStaatsausgabennichtüberSteuern,sondernüberKreditefi-
nanziert werden. Zu einer strukturellen oder dauerhaften Verschuldung kommt es, wenn eine
permanenthöhereNeuverschuldunginjederFolgeperiodevorliegt.Davonabzugrenzenisteine
vorübergehende, imRahmenkonjunkturellerEntwicklungenentstehendeNettokreditaufnahme
(konjunkturellesDefizit).DieimStabilitäts-undWachstumspaktfestgelegtenHöchstgrenzenfür
laufende Defizite differenzieren jedoch nicht zwischen konjunktureller und struktureller Ver-
schuldung.FürmöglicheBegründungenkreditfinanzierterMaßnahmenistdieseUnterscheidung
hingegenmaßgeblich.7
Grundsätzlich können Defizite in folgenden Fällen begründet werden:
Konjunkturelle Verschuldung kann eine Glättung wirtschaftlicher Schwankungen bewirken.
Damitermöglichtsie,unerwünschthoheVolatilitätdergesamtwirtschaftlichenAktivitätabzumil-
6 AufdereuropäischenEbenesindhinsichtlichderStaatsverschuldungderArtikel126EG-Vertrag (ex-Artikel104EG-Vertrag)zusammenmitdenBestimmungendesProtokollsNr.5EG-Vertrag(VertragvonMaastricht)undihrePräzisierungdurchdieRe-gelungendesStabilitäts-undWachstumspakts(EG-Verordnungen1467/97und1466/97)beziehungsweisederReformdesSta-bilitäts-undWachstumspaktsausdemJahr2005(EG-VerordnungenNr.1055/05und1056/05)verpflichtend.
7 FüreineumfassendeDarstellungdermöglichenErklärungsansätzefürStaatsverschuldungvgl.u.a.Sachverständigenrat(2007).
10
2 Institutioneller Rahmen und Entwicklung der Staatsverschuldung
dern.EinesolcheGlättungerfolgtentwederüberdiesogenanntenautomatischenStabilisatoren
oderübereineaktivediskretionäreFinanzpolitik.
Automatische Stabilisatoren:DieEigenschaftendesSteuer-undTransfersystemsführenzuau-
tomatischenStabilisierungswirkungenderöffentlichenHaushalte.Währendeineskonjunkturel-
lenAbschwungsverringernsichdieSteuereinnahmen,wohingegendieStaatsausgabenentwe-
derunverändertbleibenoder–wieimFallarbeitsmarktbedingterAusgaben–zunehmen.Ohne
EingreifenderRegierungkommtesdamitautomatischzueinemkonjunkturbedingtenFinanzie-
rungsdefizit(Nachfrageimpuls).
Analog ergeben sich in einer Aufschwungphase automatisch positive Auswirkungen für den
Staatshaushalt.InbeideRichtungenwerdenalsodiekonjunkturellenAusschlägegedämpft.Die
wirtschaftlicheEntwicklungwird„automatischstabilisiert“.EinedauerhafteErhöhungderSchul-
denstandsquoteergibtsichdadurchnicht.InWissenschaftundWirtschaftspolitikbestehtEinig-
keit darüber, dass die Wirksamkeit der Stabilisatoren nicht beschränkt werden sollte und die
damiteinhergehendenkonjunkturellenFinanzierungssaldenhinzunehmensind.
Diskretionäre Finanzpolitik:ZusätzlichzudenautomatischenStabilisatorenkannderVersuch
unternommenwerden,mittelsdiskretionärer finanzpolitischerMaßnahmeneinenoch stärkere
GlättungdesKonjunkturverlaufszuerzielen.GleichwohlergebensichzahlreicheEinwände.Unter
anderembestehteingrundsätzlichesProblemdarin,dasseszueinerzeitverzögertenWirkungder
Maßnahmenkommenkann.EbensokönnendieMaßnahmenaufgrundeinesfalscheingeschätz-
tenzeitlichenZusammenhangsprozyklischwirken,sodasssichdieintendierteStabilisierungswir-
kunginihrGegenteilverkehrt.
EinediskretionäreFinanzpolitikkanndagegenvorteilhaftsein,wenndieUrsacheeinerkonjunk-
turellenUnterauslastungderKapazitätengenau identifiziertwerdenkann.DiskretionäreMaß-
nahmenkönnensomit,ergänzendzudenautomatischenStabilisatoreneingesetzt,grundsätzlich
sinnvoll sein.AufgrunddervielfältigendamitverbundenenProblemesolltensie jedochnur in
AusnahmesituationenAnwendungfinden.
StrukturelleVerschuldunglässtsichnichtdurchkonjunkturelleEntwicklungenbegründen,wohl
aberdurchintergenerativeVerteilungsüberlegungen.KommtesinFolgevonStaatsausgabenzu
einerdauerhaftenSteigerungderProduktivität,vonderauchzukünftigeGenerationenprofitieren,
kanneinesolcheUmverteilungdurchausberechtigtsein.DerimplizitenKostenbeteiligungmuss
jedocheintatsächlicherNutzengegenüberstehen.Die„GoldeneRegelderFinanzpolitik“besagt
demnach,dasslediglichöffentlicheInvestitionenüberKreditaufnahmenfinanziertwerdensollten.
EineKreditfinanzierungreinkonsumtiverMaßnahmenkanndurchUmverteilungsüberlegungen
dagegennichtgerechtfertigtwerden.
11
2 Institutioneller Rahmen und Entwicklung der Staatsverschuldung
Auchwennhinsichtlich intergenerativerVerteilungsfragenkeinwissenschaftlicherKonsenszu
erwartenist,dürftedahingehendÜbereinstimmungbestehen,dasszukünftigeGenerationenvor
einerübermäßigenBelastunggeschützt werden sollten. ImStabilitäts- undWachstumspakt ist
dieserSchutzdurchdieBegrenzungderDefizitquoteundderSchuldenstandsquoteumgesetzt.8
2.1.3 Begrenzung der Staatsverschuldung
StaatsverschuldungkannsomitdurchkonjunkturelleundintergenerativeVerteilungsaspektebe-
gründetwerden.IndiesenFällengehenvonder(vorübergehenden)Verschuldungsogarpositive
Wirkungenaus.SindöffentlicheDefiziteaberwederkonjunkturellbedingtnochinvestitionsori-
entiertundwerdensieimLaufederZeitakkumuliert,stelltsichdieFragenachdenlangfristigen
makroökonomischenRückwirkungeneinersolchenPolitik.
AusSichtökonomischerTheoriebleibtdieseFrageaprioriungeklärt(Box1,Seite12–14).Wäh-
renddiekeynesianischeSichtweisevoneinerexpansivenWirkungderStaatsverschuldungaufdie
wirtschaftlicheAktivitätausgeht,postuliertdasRicardianischeÄquivalenztheoremderenNeutra-
litätinBezugaufdiewirtschaftlicheEntwicklung.NachneoklassischerSichtweiseführtStaats-
verschuldungzunegativenFolgenaufdasWirtschaftswachstum.Damitbleibendietatsächlichen
wirtschaftlichenAuswirkungenstaatlicherSchuldenaufnahmeeinevorwiegendempirischeFrage.
WährendbeigemäßigtenSchuldenstandsquotensowohldiekeynesianischealsauchdieneoklas-
sischeSichtweiseempirischenRückhaltfürsichbeanspruchenkönnen,weisenwissenschaftliche
StudienwiebeispielsweisevonReinhartundRogoff(2010)daraufhin,dassabSchuldenstandsquo-
tenjenseitseinesGrenzwertsvon90ProzentsignifikanteWachstumseinbußenzubefürchtensind.9
Währendaufgrundder theoretischenAmbivalenz jedeFestlegungverbindlicherObergrenzen für
dieSchuldenstandsquoteteilweisewillkürlichbleibt,bestehtaufgrundderempirischenBefundedes-
halbweitgehendEinigkeit,dassSchuldenstandsquotendieserGrößenordnungzuvermeidensind.
WiesoliegtdieimVertragvonMaastrichtvorgegebeneObergrenzederSchuldenstandsquotenun
aberbei60undnichtbei90Prozent?DieFestlegungerfolgtedurcheineeinfacheRechnung:Die
SchuldenallerdamalsbeteiligtenEU-Länderwurdenaufaddiertunddurchdasaggregierteno-
minaleBruttoinlandsproduktdividiert.InsofernerlaubtdieGrenzevon60ProzenteineAussage
überdiedurchschnittlicheSituationderLänderzuBeginnder1990erJahre,umeinwissenschaft-
lichabgeleitetesKriteriumhandeltessichdabeinicht.10DerDifferenzzwischenderGrenzeder
Schuldenstandsquotevon60ProzentunddeminderneuerenLiteraturbeziffertenkritischenWert
von90ProzentkommtzusätzlicheinePufferfunktionzu,umaufmakroökonomischeSchocksre-
agierenzukönnen.
8 EinealternativeArtderBegrenzungbestündedarin,dieMöglichkeitderKreditfinanzierungenganeinengeschärftenInvesti-tionsbegriffzubinden.SoschlägtderSachverständigenrat(2007)beispielsweiseeineDefinitionvor,diesichaufsolcheNettoin-vestitionenbeschränkt,vondenennachweisbarpositiveProduktivitätseffekteausgehen.
9 InderneuerenLiteraturfindensichähnlicheErgebnisseu.a.beiCaner,GrennesundKoehler-Geib(2010),Cecchetti,MohantyundZampolli(2011),ChecheritaundRother(2010),KumarundWoo(2010),Ostryetal.(2010),IMF(2011).
10 Vgl.Strawe(2010).
12
2 Institutioneller Rahmen und Entwicklung der Staatsverschuldung
AuchdieDrei-Prozent-ObergrenzederDefizitquotewurdenichtzufälligfestgelegt,sondernergab
sichausdemZusammenhang,dassdieSchuldenstandsquotelangfristiggegendenQuotientenaus
DefizitquoteundnominalemWirtschaftswachstumkonvergiert.Formalgilt:11
MitBlickaufdasmittlerenominaleWirtschaftswachstumvonrundfünfProzentindenEU-Mit-
gliedstaatenzuBeginnder1990erJahreerschienesalsomöglich,DefizitquotenvondreiProzent
zufinanzierenundgleichzeitigeineSchuldenstandsquotevonhöchstens60Prozenteinhaltenzu
können.
Box 1: Wirkungen der Staatsverschuldung – Theorie und Empirie
Die keynesianische Sichtweise
VertreterderkeynesianischenSichtweiseargumentieren,dasseinekreditfinanzierteAus-
weitungstaatlicherAusgabenzueinerStärkungderprivatwirtschaftlichenNachfragefüh-
renkann,diekurzfristigProduktionssteigerungenunddamiteineinsgesamthöhereWirt-
schaftsleistung zur Folge haben könnte. Werden die erzielten Unternehmensgewinne
reinvestiert,erhöhtsichdergesamtwirtschaftlicheKapitalstock,was langfristigeWachs-
tumseffektenachsichziehenkann.DieStärkedergesamtwirtschaftlichenNachfragewir-
kungen solcher wirtschaftspolitischer Maßnahmen wird durch den sogenannten fiska-
lischenMultiplikatorquantifiziert.Dieser gibt an, umwie vieleGeldeinheiten sichdas
BruttoinlandsproduktinFolgeeinerAusgabensteigerungoderSteuerkürzungumjeweils
eine Geldeinheit erhöht. Die keynesianische Sichtweise impliziert einen Multiplikator-
effektgrößeralseins,dafiskalischeMaßnahmenzusätzlicheEffekteaufdieprivatwirt-
schaftlicheNachfragebewirken.
NachgegenwärtigemStandderempirischenForschungistdavonauszugehen,dassMul-
tiplikatoreffektetatsächlichpositivausfallen,aberoftmalskleineralseinssind.Diesgilt
fürdieUSA(vgl.KampsundCaldara,2006)sowiefürDeutschland(vgl.Bode,Gerkeund
Schellhorn,2009).DieempirischenStudiendivergierendabeistarkinihrenErgebnissen
bezüglichderPersistenzdesMultiplikatoreffektsundderFrage,unterwelchenwirtschaft-
lichenRahmenbedingungenausgabenseitigeodereinnahmeseitigeMaßnahmenvorzuzie-
hensind.
11 FürnähereErläuterungenzurHerleitungvgl.Domar(1944).
langfristige Schuldenstandsquote =Defizitquote
nominale BIP-Wachstumsrate
13
2 Institutioneller Rahmen und Entwicklung der Staatsverschuldung
Nicht-keynesianische Effekte und das Ricardianische Äquivalenztheorem
KritikerderkeynesianischenSichtweisebetonendieAuswirkungenstaatlicherMaßnah-
menaufdieErwartungsbildungprivaterHaushalteundderenRückwirkungenaufwirt-
schaftliches Handeln. Demnach antizipieren Wirtschaftssubjekte, dass eine Steigerung
staatlicherAusgabenzukünftigeSteuererhöhungenzurFolgehat.AlsKonsequenzverrin-
gerndieHaushaltedieKonsumausgabenzugunstenverstärkterErsparnisbildung.Diese
VerhaltensänderungmindertdenMultiplikatoreffekt.HabendieantizipiertenSteuernzu-
sätzlichverzerrendenCharakter,kanneineErhöhungderStaatsausgabendasLebensein-
kommeneinesHaushaltssogarvermindern,waseinennegativenMultiplikatoreffektim-
plizieren würde. Kommt es zu solchen kontraktiven wirtschaftlichen Auswirkungen in
FolgeeinerErhöhungderStaatsausgaben,sprichtmanvonnicht-keynesianischenEffek-
ten.UmgekehrtkönnendamitKonsolidierungsbemühungenstarkverschuldeterStaaten
sogarexpansiveWirkungenaufdieWirtschaftstätigkeitentfalten.
DasRicardianischeÄquivalenztheorembasiert–wienicht-keynesianischeEffekte–auf
demEinflussvonZukunftserwartungen,stelltabereinenSonderfalldar.Esbesagt,dass
sichSteuer-undKreditfinanzierunginihrenAuswirkungenaufdasVerhaltenvonHaus-
haltengleichen,dabeideFinanzierungsartenäquivalenteVeränderungendesverfügbaren
LebenseinkommenseinesHaushaltsnachsichziehen.DieseSichtweisepostuliertdamit,
dassder gestiegeneStaatskonsumdurchdie erhöhteprivateErsparnisbildungvollstän-
digkompensiertwird,basiert allerdingsauf sehr restriktivenAnnahmenwiebeispiels-
weisederRationalitätderErwartungsbildungunddemVorliegeneinesaltruistischenErb-
schaftsmotivs.
WährenddasRicardianischeÄquivalenztheoremempirischvongeringerRelevanzist,be-
stätigen einzelne Forschungsarbeiten die mögliche expansive Wirkung von Konsolidie-
rungsmaßnahmen (vgl. Giavazzi und Pagano, 1990 sowie Alesina und Ardagna, 2010).
Andere Studien kommen dagegen zum Schluss, dass sich Konsolidierungsmaßnahmen
kontraktivaufdieWirtschaftstätigkeitauswirken(vgl.Gujardo,LeighundPescatori,2011).
Die neoklassische Sichtweise: Output- und Verteilungswirkungen
ImGegensatzzurricardianischengehtdieneoklassischeSichtweisedavonaus,dassdie
mit Schuldenfinanzierung einhergehende Erhöhung des staatlichen Kreditbedarfs nicht
vollständigdurchprivateErsparnisbildunggedecktwerdenkann.Folglichkommteszu
einemNachfrageüberhangnachKreditenundsomit imErgebniszusteigendenZinssät-
zen.DerdarausresultierendeRückgangderprivatenInvestitionstätigkeitvermindertden
privatenKapitalstockundführtimVergleichzurSteuerfinanzierungsozueinemniedrige-
renBruttoinlandsprodukt.
14
2 Institutioneller Rahmen und Entwicklung der Staatsverschuldung
DieHöhedesCrowding-Out-EffektsprivaterInvestitionstätigkeithängt imWesentlichen
vonderElastizitätdesZinsniveausinBezugaufdiestaatlicheKreditnachfrageabundist
damitvorwiegendeineempirischeFrage.FürdieeuropäischenStaatenkommenBernoth,
vonHagenundSchuknecht(2003)zuderErkenntnis,dasseinAnstiegderstaatlichenDe-
fizitquoteumeinenProzentpunktzueinerErhöhungderZinssätzeaufstaatlicheWert-
papiereum1,2Basispunkteführt.AfonsoundStrauch(2004)gehendagegenvonbiszu
fünfBasispunktenaus.AllerdingswerdeninbeidenUntersuchungendieWirkungenauf
dasaggregierteNiveaudesSchuldenstandsvernachlässigt.WerdendieseEffekteberück-
sichtigt,ergibtsichgemäßFaini(2006)einAnstiegderlangfristigenZinsenum41Basis-
punkte.BetrachtetmanzusätzlichdieWirkungenderSpilloversvonStaatenaußerhalb
dereuropäischenWährungsunion,gehtgemäßPaesani,StrauchundKremer(2006)bei-
spielsweisevoneinerExpansionderfinanzpolitischenMaßnahmenindenUSAüberden
AnstiegderdortigenZinseneinebensopositiverEffektaufdasZinsniveauinDeutschland
undItalienaus.BezüglichdesZusammenhangszwischenderSchuldenstandsquoteund
demZinsniveaukommenChinnundFrankel(2003)fürEuropazudemSchluss,dassein
AnstiegderSchuldenstandsquoteumeinenProzentpunkteineErhöhungderZinsenum
siebenbiszwölfBasispunktenachsichzieht.GemäßSachverständigenrat(2007)sinddie
EffektefürEuropasomitinihrerHöheinsgesamtgesehenmoderat:Sieliegenzwischen
zweiundzwölfBasispunktenbeiErhöhungderSchuldenstandsquoteumeinenProzent-
punktbeziehungsweisemeistzwischen25und50BasispunktenbeieinemAnstiegder
DefizitquoteumeinenProzentpunkt.
2.2 Entwicklung der Staatsverschuldung seit Einführung des Stabilitäts- und Wachstumspakts
LetztlichmusssichderStabilitäts-undWachstumspaktandertatsächlichenEntwicklungderDe-
fiziteundSchuldenstandsquotenindenEU-Mitgliedstaatenmessenlassen.
Zunächstistfestzuhalten,dassdasmittelfristigeZieleinesausgeglichenenBudgetsdauerhaftvon
keinemderuntersuchtenEU-Mitgliedstaateneingehaltenwerdenkonnte.Angesichtsnichtvorge-
sehenerSanktionenimFallederVerletzungdieserVorgabekanndieskaumverwundern.Zudem
verstießenseitBeitrittzurEuropäischenWährungsunionrespektivezurEuropäischenUnionmit
AusnahmevonEstlandundBulgarienalleStaatenmindestenseinmalgegendasDrei-Prozent-De-
fizitkriterium(Tabelle1).
15
2 Institutioneller Rahmen und Entwicklung der Staatsverschuldung
Tabelle 1: Nominales BIP-Wachstum, Defizitquoten und Schuldenstandsquoten in den EU-Mitgliedstaaten* von Beginn der Beitrittsvorbereitungen bis Ende 2010**
Ø nominales BIP-Wachstum in Prozent
Ø Defizit-quote
# Defizitver-letzungen***
Schuldenstandsquote
Zu Beginn der Beitritts-vorbereitungen
2007 2010
Mitglieder der Europäischen Währungsunion
Belgien 3,7 2,1 3 134 84 96
Deutschland 2,3 3,6 5 46 65 83
Estland 7,5 0,6 0 5 4 7
Finnland 4,5 2,5 3 55 35 48
Frankreich 3,2 4,2 8 46 64 82
Griechenland 6,9 9,3 10 98 107 145
Irland 8,0 4,3 3 94 25 95
Italien 3,7 4,8 7 116 103 118
Niederlande 4,5 1,8 2 78 45 63
Österreich 3,5 3,0 4 61 60 72
Portugal 5,1 5,1 10 55 68 93
Slowakei 12,6 3,6 5 42 30 41
Slowenien 5,2 2,5 3 27 23 39
Spanien 5,9 3,9 3 57 36 61
weitere EU-Länder
Bulgarien 8,3 0,0 0 17 17 16
Dänemark 3,8 0,7 3 80 28 44
Großbritannien 4,2 3,9 7 45 44 80
Litauen 10,0 4,8 3 15 9 45
Lettland 8,2 3,7 2 19 17 38
Polen 9,8 4,8 5 46 45 55
Rumänien 6,8 5,3 3 13 13 31
Schweden 4,4 0,4 1 73 40 40
Tschechische Republik 8,8 3,5 5 29 28 38
Ungarn 4,2 5,3 6 59 67 81
* Da Luxemburg, Malta und Zypern aufgrund von Datenlimitierung in den folgenden Kapiteln nicht berücksichtigt werden können, wird auch an dieser Stelle auf Berechnungen diese Länder betreffend verzichtet.
** Für die Mitglieder des Euro-Raums wird angenommen, dass sechs Jahre vor Beitritt zur Europäischen Währungsunion mit den Konsolidierungsbemühungen begonnen wird. Für EU-Staaten außerhalb des Euro-Raums wird angenommen, dass die Stabilitätskriterien ab dem Beitritt zur Europäischen Union aber frühestens ab 1993 von Bedeutung waren.
*** Defizitberechnungen auf Basis der tatsächlichen Veränderung der Schuldenstände.
Quelle: Prognos; Quelle für Grundzahlen: Ameco-Datensatz
16
2 Institutioneller Rahmen und Entwicklung der Staatsverschuldung
EntsprechendderVielzahlderVerstößeergebensichbeieinigenEU-StaatendurchschnittlicheDe-
fizitquoten,dieteilsdeutlichüberdreiProzentliegen.12DassalldiesenVerstößenkeineStrafen
folgten,istdemMangelanSanktionsautomatismeneinerseitsundfehlenderpolitischerWillens-
kraftandererseitsgeschuldet.13
AlsFolgederhohenDefizitestiegendieSchuldenstandsquotenfastallerEU-MitgliedstaatenimBe-
obachtungszeitraumummehralsdieHälftean.VorallemsämtlichegroßeneuropäischenVolks-
wirtschaftenweisenheuteSchuldenstandsquotenjenseitsder60Prozentauf.DieseEntwicklung
istnichtnureineFolgederweltweitenFinanz-undWirtschaftskrise,sondernwarauchinkon-
junkturellpositivenJahrenzubeobachten.SolagendieSchuldenstandsquotenvielereuropäischer
Kernstaatenbereits2007deutlichüberderObergrenzevon60Prozent.
AngesichtsdererzieltenWachstumsratenderEU-Staatenisteswenigverwunderlich,dassesseit
BeginnderVorbereitungenzumEU-respektiveEuro-Raum-BeitrittzueinemAnstiegderSchul-
denstandsquotenkam.EinzigkleineVolkswirtschaftenkonntenseitEinführungdesStabilitäts-
undWachstumspaktseindurchschnittlichesnominalesWirtschaftswachstumvonüberfünfPro-
zent erzielen. Die wirtschaftliche Entwicklung der großen Volkswirtschaften hingegen reichte
nichtaus,umdieSchuldenstandsquoteaufeinemNiveauvon60Prozentzustabilisieren(Abbil-
dung1).DieBundesrepublikbeispielsweisehättesichanstatteinerdurchschnittlichenDefizit-
quotevon3,6ProzentnureinmittleresBudgetdefizitvon1,4Prozentleistenkönnen.Selbsteine
EinhaltungdervomStabilitäts-undWachstumspaktgefordertenDefizitquotehättealsozueiner
steigendenSchuldenstandsquotegeführt.
DievorangegangeneAnalysezeigtdeutlich,dassdieKriteriendesStabilitäts-undWachstums-
paktsnichtinderLagesind,nachhaltigeStaatsfinanzensicherzustellen.DieSzenarienrechnun-
genimfolgendenKapitelverdeutlichen,wiesehrdieEU-MitgliedstaatenüberihreVerhältnisse
gelebthabenundzeigenaußerdem, obdie früheEinführungeiner einheitlicheneuropäischen
SchuldenbremsezunachhaltigerenHaushaltenhättebeitragenkönnen.
12 Manbeachte,dassdieDefizitquotenindervorliegendenUntersuchungalsVeränderungderabsolutenSchuldenständeberechnetwerden.DiesekönnenvonderamtlichenStatistikderDefizitquoteabweichen,gebenabereinbesseresNachhaltigkeitsmaßwie-der,weilsoauchSondereffekteberücksichtigetwerden,dienichtindieoffizielleDefizitberechnungeingehen,gleichwohlAus-wirkungenaufdieSchuldenstandsquoteunddamitaufdieTragfähigkeitderöffentlichenFinanzenhaben.
13 ImFallevonDeutschlandundFrankreichwurdeneingeleiteteDefizitverfahrensogarwiederausgesetzt,ohnedassdieStaatennachweislichnachhaltigereHaushaltevorweisenkonnten.
17
2 Institutioneller Rahmen und Entwicklung der Staatsverschuldung
Abbildung 1: Tatsächliche Defizitquoten seit Beginn der Beitrittsvorbereitungen und langfristig zulässige Defizitquoten, die bei gegebenem Wachstum kompatibel mit einer Schuldenstandsquote von 60 Prozent sind
Quelle: Prognos, Quelle für Grundzahlen: Ameco-Datenbank
0 2 4 6 8 10
langfristig zulässige Ø Defizitquote Tatsächliche Ø Defizitquote
Ungarn
Tschechische Republik
Schweden
Rumänien
Polen
Lettland
Litauen
Großbritannien
Dänemark
Bulgarien
Spanien
Slowenien
Slowakei
Portugal
Österreich
Niederlande
Italien
Irland
Griechenland
Frankreich
Finnland
Estland
Deutschland
Belgien
in Prozent
Mitglieder der Europäischen Währungsunion
weitere EU-Länder
18
3 Szenarienrechnungen
3 Szenarienrechnungen
DieindiesemKapitelpräsentiertenSzenarienrechnungensollenwichtigeHinweisefürdieAusge-
staltungeinerfinanzpolitischnachhaltigenBudgetregelliefern.DasersteSzenarioskizziertalter-
nativeVerschuldungspfade,beideneneineSchuldenstandsquotevonhöchstens60Prozentein-
gehaltenwordenwäre.DaszweiteSzenariomodelliertdieeuropäischeSchuldenbremseabdem
Jahr2000.
3.1 Szenario 1: Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts
DasersteSzenariowidmetsichderFrage,wiesichdieSaldenderöffentlichenBudgetsvonMitte
der1990erJahrebis2010hättenentwickelnmüssen,damitjedesLandzumZeitpunktdesBei-
trittszurEuropäischenWährungsunionund indenFolgejahreneineSchuldenstandsquotevon
nichtmehrals60Prozentaufgewiesenhätte.DieseFragestellungbildetdenAusgangspunktfür
alleFolgeüberlegungen,dasieeineQuantifizierungermöglicht,umwelcheSummedieStaatsaus-
gabendasvomStabilitäts-undWachstumspakterlaubteNiveauüberschrittenhaben.Konkretwer-
denfolgendeAnnahmengetroffen:
• AlleStaatenbeginnensechsJahrevorEintrittindieEuropäischeWährungsunion,ihreSchul-
denstandsquotenauf60Prozentzurückzuführen.14
• Für die wenigen Staaten, die bei Beitritt zur Europäischen Währungsunion eine Schulden-
standsquote von weniger als 60 Prozent aufweisen konnten, erfolgt die Anpassung sechs
Jahre,bevorsiedasSchuldenstandskriteriumerstmalsnichterfüllenkonnten.15
• StaatenmitBewerberstatuskonsolidierenabdemZeitpunktihresBeitrittszurEuropäischen
Union.
• KonstanzderwirtschaftlichenRahmenbedingungen:DasBruttoinlandsproduktwirdalsexo-
genangenommenundentsprichtderStatistik.
Zunächstsollgezeigtwerden,wiedeutlichdieeuropäischenHaushalteüberihreVerhältnissege-
lebthaben.Dazuwerdendie tatsächlichenSchuldenstände im Jahr2010mit jenenverglichen,
diesichbeiEinhaltungeinerSchuldenstandsquotevon60Prozentergebenhätten.DerDifferenz-
betraggibtdieimVergleichzuderimStabilitäts-undWachstumspaktfestgesetztenObergrenze
übermäßigeVerschuldungwieder(Tabelle2).
14 GründungsmitgliederderEuropäischenWährungsunionseit1999sindBelgien,Deutschland,Finnland,Frankreich,Irland,Italien,Luxemburg(nichtuntersucht),Niederlande,Österreich,PortugalundSpanien.Griechenlandtrat imJahr2001bei,Slowenien2007,MaltaundZypern(beidenichtuntersucht)2008,dieSlowakei2009undEstlandimJahr2011.
15 FüralljeneStaaten,derenSchuldenstandsquotedurchgängigunter60Prozentlag,erfolgtkeineAnpassung.DabeihandeltessichumdiebaltischenStaaten,umFinnland,Polen,Slowenien,dieSlowakeiunddieTschechischeRepublik.
19
3 Szenarienrechnungen
Eszeigtsich,dassbeiweitemnichtalleEU-MitgliedstaatenübermäßigSchuldenangehäufthaben.
InallenskandinavischenundvielenosteuropäischenStaatenliegendieSchuldenstandsquotenun-
terhalbvon60Prozent.DieeuropäischenKernländerhingegenweisenSchuldenständeaus,die
Tabelle 2: Schuldenstände, übermäßige Verschuldung und maximal zulässige Defizitquoten
Schuldenstand im Jahr 2010*
Schuldenstand gemäß Schuldenstandsquote von 60 Prozent*
übermäßige Verschuldung*
maximal zulässige Defi-zitquote seit Beginn der Beitrittsvorbereitungen**
Mitglieder der Europäischen Währungsunion
Belgien 341 213 128 –0,9
Deutschland 2062 1486 576 2,0
Estland 1 9 –8 11,0
Finnland 87 108 –21 2,7
Frankreich 1591 1160 432 2,5
Griechenland 329 136 193 2,1
Irland 148 94 54 3,1
Italien 1843 934 909 –0,1
Niederlande 370 353 17 1,9
Österreich 206 172 34 2,0
Portugal 161 104 58 2,9
Slowakei 27 40 –13 7,9
Slowenien 14 21 –8 5,5
Spanien 642 631 11 3,5
andere EU-Staaten
Bulgarien 6 22 –16 15,3
Dänemark 102 140 –38 1,5
Großbritannien 1358 1020 338 2,7
Litauen 8 11 –3 8,6
Lettland 10 17 –6 8,3
Polen 194 213 –18 6,6
Rumänien 38 73 –35 15,1
Schweden 138 208 –70 1,8
Tschechische Republik 56 90 –34 8,0
Ungarn 79 58 21 1,6
Summe
für übermäßig verschuldete Staaten
9129 6360 2770
für alle Staaten 9811 7310 2501
* in Mrd. Euro** in Prozent
Quelle: Prognos; Quelle für Grundzahlen: Ameco-Datensatz
20
3 Szenarienrechnungen
beachtlichjenseitsdesvomStabilitäts-undWachstumspaktgestattetenNiveausliegen.Besonders
bedenklichsinddieSchuldenständeimAggregat:GemeinsambetragendieübermäßigenSchul-
denDeutschlands,Frankreichs,GroßbritanniensundItaliensrund2,5BillionenEurounddamit
inetwasovielwiedienominaledeutscheWirtschaftsleistungimJahr2010.
AberauchdieSchuldenlastendereinzelnenStaatenhabenbesorgniserregendeHöhenerreicht.
AlleinDeutschland,nachderjüngstenweltweitenKriseoftalsVorzeigestaattituliert,wiesimJahr
2010übermäßigeSchuldeninHöhevon576Mrd.Euroaus.UmdieseSummeseitBeginnderKon-
solidierungsbemühungen1993einzusparen,hättesichdieBundesrepublikHaushaltsdefizitevon
durchschnittlichmaximalzweiProzentinRelationzumnominalenBruttoinlandsproduktleisten
können.16AuchfüranderelangsamwachsendeVolkswirtschaftenfälltdieseKennzifferteilsdeut-
lichniedrigeralsdieimStabilitäts-undWachstumspaktfestgelegteObergrenzeaus.Fürdieklei-
nerenLändermitdynamischemWachstumzeigtsichhingegen,dassselbsterheblichhöhereDefi-
zitquotennichtzuSchuldenstandsquotenvonüber60Prozentgeführthätten.
Esbleibtfestzuhalten,dassvorallemdieKernstaatenEuropasmassivüberhöhteundmitNachhal-
tigkeitteilsunvereinbareSchuldenständeaufweisen.UmeineSchuldenstandsquoteunter60Pro-
zentvorweisenzukönnen,hätteesindiesenLänderndamiteinererheblichrestriktiverenHaus-
haltspolitikbedurft.
3.2 Szenario 2: Europäische Schuldenbremse
MitderEinigungzumFiskalpakthabendieeuropäischenStaats-undRegierungschefsaufdie
ausuferndeStaatsverschuldungreagiertunddieWeichenfüreuropaweiteinheitlicheSchulden-
bremsengestellt.17DiesesnachschweizerischemunddeutschemVorbildkonzipierteInstrument
limitiertdiejährlichestrukturelleNeuverschuldungauf0,5ProzentinRelationzumnominalen
Bruttoinlandsprodukt des jeweiligen Landes und soll damit wesentlich zur Konsolidierung der
Staatsfinanzen beitragen. Liegt die Schuldenstandsquote maßgeblich unter 60 Prozent, ist ein
strukturellesDefizitvoneinemProzentzulässig.18Zusätzlich ist einkonjunkturellesDefizit in
HöhederautomatischenStabilisatorenzulässig.AusnahmeregelungensindnurfürNaturkatas-
trophenundschwereRezessionenvorgesehen.19
16 BeiderBerechnungdermaximalzulässigenDefizitquotenisteinelineareAnpassungdesGesamtschuldenstandsunterstellt.FürdieAnnahmenbezüglichdesBeginnsderKonsolidierungsbemühungenvgl.Tabelle1.
17 DieKonzeptiondereuropäischenSchuldenbremsetrifftnichtnuraufBeifall.BemängeltwerdenbeispielsweisedieFreiheitenhinsichtlichderImplementierungderSchuldenbremseinnationalesRechtoderdasFehleneinesinstitutionellenGedächtnissesfürDefizitverfehlungen.Vgl.Kullas,SauerundHohmann(2012),Heinemann(2012).
18 DieAusgestaltungdesgenauenSchwellenwertsobliegtderEuropäischenKommission.
19 FlankierendenthältderFiskalpaktMaßnahmenzurStärkungdesVerfahrensbeiübermäßigemDefizitundzurRückführungübermäßiger Schuldenstandsquoten. Konkret erhalten Vorschläge der Kommission, ein Defizitverfahren einzuleiten, künftigmehrNachdruck,dasienurnochmittelsqualifizierterMehrheitimECOFIN-Ratrückgängiggemachtwerdenkönnen.ÜberhöhteSchuldenstandsquotenmüssenzudemjährlichumeinZwanzigstelderDifferenzzwischentatsächlicherSchuldenstandsquoteunddemReferenzwertvon60Prozentzurückgeführtwerden.
21
3 Szenarienrechnungen
EmpirischeUntersuchungenfürdieSchweizunddieUSAsindvorsichtigoptimistischhinsichtlich
desschuldenbegrenzendenEffektsähnlicherfiskalischerRegeln.20EineempirischeStudieaufeu-
ropäischerEbenefehlt.
Es stellt sichalsodieFrage, obeine frühzeitigeEinführungeinheitlicherSchuldenbremsenzu
tragfähigenSchuldenstandsquotenindenEU-Mitgliedstaatengeführthätte.DieserFragestellung
wirdimRahmendesvorliegendenSzenariosnachgegangen.Dazuwirdangenommen,dassalle
EU-MitgliedstaatenAnfangdesJahres2000eineverbindlicheBegrenzungdesstrukturellenDefi-
zitsauf0,5ProzentinRelationzumnominalenBruttoinlandsproduktvorgenommenhätten(ohne
mehrjährigenAnpassungspfad).DieBerechnungdeszulässigenjährlichenDefizitserfolgtdann
gemäßderVorgabenderEuropäischenKommissionanhandderfolgendenArbeitsschritte:
• DiestrukturelleKomponentedesDefizitsistbeschränktauf0,5ProzentinRelationzumnomi-
nalenBruttoinlandsproduktdesVorjahres.
• DiekonjunkturelleKomponentedesDefizitsergibtsichalsProduktausabsoluterProdukti-
onslücke und landesspezifischer Budgetsensitivität. Diese Berechnung folgt nachstehender
Logik:DieProduktionslücke,alsodieDifferenzzwischenBruttoinlandsproduktundProdukti-
onspotenzial,misstdieAbweichungdergesamtwirtschaftlichenWertschöpfungvoneinerkon-
junkturellenNormallage.21BefindetsichdieWirtschaftimAbschwung,isteinkonjunkturelles
Defizitzulässig.WelcherAnteilderProduktionslückedurchKreditfinanzierungkompensiert
werdendarf,istdurchdieBudgetsensitivität,alsodieAbhängigkeitdesstaatlichenBudgets
vondergesamtwirtschaftlichenEntwicklungdeterminiert.DiesewirddurchdieOECDaushis-
torischenDatengeschätzt.22
• DieSummeausstrukturellerundkonjunkturellerKomponenteergibtdaszulässigejährliche
Gesamtdefizit.
DieErgebnissestellenderSchuldenbremsezunächsteinpositivesZeugnisaus(Tabelle3).Nach
der Einführung im Jahr 2000 und bei Einhaltung wären die Schuldenstandsquoten aller EU-
Mitgliedstaaten bis 2010 durchgehend gesunken. Dies hätte dazu geführt, dass einzig Belgien
undItalienSchuldenstandsquotenjenseitsdervomStabilitäts-undWachstumspaktgeforderten
Grenzeaufgewiesenhätten.Gleichzeitigistzubeobachten,dassauchStaatenmitbereitstragfähi-
genStaatsfinanzenzuteilsdrastischenKonsolidierungsmaßnahmengezwungengewesenwären.
SolcheRückführungenderSchuldenstandsquotenausgehendvonbereitsniedrigenAusgangsni-
veaussindimSinnetragfähigeröffentlicherHaushalteabernichtnotwendigundkönnengegebe-
nenfallsunnötigstarkeBelastungenfürdiewirtschaftlicheEntwicklungbewirken.
20 Vgl.FeldundKirchgässner(2008),BohnundInman(1996).
21 DieProduktionslückewird,basierendaufAnnahmenzurgesamtwirtschaftlichenProduktionsfunktion,nachVorgabenderEuro-päischenKommissionempirischermittelt.
22 FürtechnischeDetails,vgl.GirouardundAndré(2005).FüraktuelleWertederBudgetsensitivitäten,vgl.EuropäischeKommis-sion(2005).
22
3 Szenarienrechnungen
Tabelle 3: Entwicklung der Staatsverschuldung bei hypothetischer Einführung der europäischen Schuldenbremse ab dem Jahr 2000
in Prozent Schuldenstandsquote im Jahr 1999
Schuldenstandsquote mit Schuldenbremse im Jahr 2010
Ø zulässige Defizitquote, 2000–2010
Mitglieder der Europäischen Währungsunion
Belgien 114 79 0,2
Deutschland 61 56 0,7
Estland 6 0 –0,3
Finnland 46 34 0,3
Frankreich 59 41 –0,1
Griechenland 95 58 0,4
Irland 48 32 0,3
Italien 114 85 0,2
Niederlande 61 46 0,6
Österreich 67 52 0,5
Portugal 50 39 0,4
Slowakei 48 16 0,6
Slowenien 24 14 0,0
Spanien 62 39 0,3
andere EU-Staaten
Bulgarien 78 27 0,0
Dänemark 58 44 0,3
Großbritannien 44 37 0,1
Litauen 12 7 0,4
Lettland 23 11 0,4
Polen 40 21 0,4
Rumänien 22 8 1,0
Schweden 64 48 0,4
Tschechische Republik 16 8 0,4
Ungarn 61 30 0,2
Quelle: Prognos, Quelle für Grundzahlen: Ameco-Datenbank
23
3 Szenarienrechnungen
DiestarkeReduktionderSchuldenstandsquotenhatzweimaßgeblicheUrsachen.Zumeinenbe-
wirktdiestrikteEingrenzungderstrukturellenDefizitquoteauf0,5ProzenteinelangfristigeAn-
passungansehrgeringeSchuldenstandsquoten.GingemanvoneinemNominalwachstumvon
dreiProzentaus,würdesicheinelangfristigeSchuldenstandsquotevonrund17Prozentergeben.
EinsolchesSchuldenniveauistzwartragfähig,abergleichzeitigunnötigrestriktiv.Zumanderen
bedingtdieFestlegungdeskonjunkturellenDefizitsanhandderProduktionslücke,dasssichein-
zelneStaatenmöglicherweiseauchübereinen längerenZeitraumhinwegüberhauptnichtver-
schulden können. So geschehen in Frankreich. Dort spiegelt sich die ausgewiesene konstante
Überauslastungder französischenWirtschaftvorBeginnderweltweitenKrise ineinemdurch-
schnittlichenerforderlichenHaushaltsüberschusswider.Kritischzusehenist,dassdieSchätzun-
gen des Produktionspotenzials empfindlich auf geänderte Annahmen zur Produktionsfunktion
reagieren.Soistnichtausgeschlossen,dasseinefehlerhafteEinschätzungdesProduktionspoten-
zialstrotzkonjunkturellschwacherLagezuschmerzhaftenundprozyklischwirkendenKonsoli-
dierungsmaßnahmenzwingt.23
HättedieeuropäischeSchuldenkrisealsodurcheinefrühzeitigeEinführungderSchuldenbremsen
vermiedenwerdenkönnen?DiebisherigenBerechnungenzeigen,dassdieSchuldenbremsesin-
kende,wennauchteilsunnötigrestriktiveSchuldenstandsquotenzurFolgegehabthätte.Folgen
fürdasWirtschaftswachstumbleibenbeiderbisherigenBerechnungzunächstunberücksichtigt.
UmeineganzheitlicheBeurteilungderWirkungvonSchuldenbremsenzuermöglichen,werden
inKapitel5diegesamtwirtschaftlichenRückwirkungenderKonsolidierungsmaßnahmenmithilfe
desmakroökonomischenModellsVIEWderPrognosAGabgeschätzt.
23 Vgl.auchTrugerundWill(2012).
24
4 Maastricht 2.0: Tragfähigkeitsregel für europäische Staatsfinanzen
4 Maastricht 2.0: Tragfähigkeitsregel für europäische Staatsfinanzen
AusdenAnalysendervorstehendenKapitelwirddeutlich,dasswederderStabilitäts-undWachs-
tumspaktnochdieeuropäischeSchuldenbremseallenAnforderungengerechtwerdenkönnen.Im
RahmendiesesKapitelssollmitMaastricht2.0einetransparenteVerschuldungsregelvorgestellt
werden,diekonsequentamZielnachhaltigeröffentlicherHaushalteausgerichtetistundgleichzei-
tigdieProblematikgesamtstaatlicherVerschuldungmitberücksichtigt.
4.1 Konzeptioneller Rahmen
Das zentrale Element von Maastricht 2.0 ist die differenzierte Regelausgestaltung hinsichtlich
tragfähigerundinihrerTragfähigkeitgefährdeteröffentlicherHaushalte.DieseUnterteilungbe-
rücksichtigt, dass sichvordemHintergrundeiner stabilenWährungsunion insbesonderehoch
verschuldeteStaatenstriktenBudgetregelnunterwerfenmüssen.EinebesondersstrengeRegle-
mentierungnachhaltigwirtschaftenderStaatenwirddagegenimSinnenationalstaatlicherSouve-
ränitätvermieden.ImRahmenvonMaastricht2.0giltdieTragfähigkeitöffentlicherHaushalteals
gefährdet,wenndieSchuldenstandsquoteeinenWertvon60Prozentüberschreitet.24
EinweiteresKernelementvonMaastricht2.0istdieBerücksichtigungländerspezifischerUnter-
schiedewieunterschiedlicherWachstumsratenundSchuldenstandsquotenbeiderAusgestaltung
desSchuldenabbaupfads.ImFolgendenwirddieRegelausgestaltungvonMaastricht2.0differen-
ziertfürdieFälletragfähigerundnicht-tragfähigeröffentlicherHaushalteerläutertundinihren
Auswirkungendiskutiert.
4.2 Regel bei tragfähiger Schuldenstandsquote
4.2.1 Staatliche Verschuldung
DurchkreditfinanzierteMaßnahmen,ausgehendvonniedrigenSchuldenstandsquoten,ergeben
sichwederfürdenNationalstaatnochfürdieeuropäischeStaatengemeinschaftnegativeKonse-
quenzen.ImSinnetragfähigerStaatsfinanzenalleinisteineReglementierungderHaushaltssal-
denunterhalbderGrenzevon60Prozentalsonichtnotwendig.VerbindlicheVorgabenempfehlen
sichtrotzdem,alleinschonumFehlentwicklungenfrühzeitigerkennenundkorrigierenzukön-
nen.WieunsereBerechnungenfürdieeuropäischeSchuldenbremsegezeigthaben,musseine
solcheObergrenzeabernichtzurestriktivausfallen.AußerdemmussdeneinzelnenStaatenauch
eineKonvergenzvonuntenannochtragfähigeSchuldenstandsquotengestattetsein.
24 DieseFestlegunghataufgrundderÜbereinstimmungmitderimVertragvonMaastrichtfestgelegtenObergrenzefürdieSchul-denstandsquotedenVorteil,dasssiesichpolitischleichtdurchsetzenlässt.Außerdemerfülltsie–aufgrundderDifferenzzudemalswachstumsschädlichgeltendenSchwellenwertvon80bis90Prozent–einewichtigePufferfunktiongegenübermakroökono-mischenSchocks.
25
4 Maastricht 2.0: Tragfähigkeitsregel für europäische Staatsfinanzen
AusdiesenGründensiehtMaastricht2.0eineBegrenzungdesjährlichzulässigengesamtstaatli-
chenDefizitsaufmaximaldreiProzentinRelationzumnominalenBruttoinlandsproduktvor.Aus-
nahmenregelungenkönnen–wieimgeltendenRecht–nurimFallevonNaturkatastrophenund
schwerenRezessionenmiteinemRückgangdesBruttoinlandsproduktsummindestenszweiPro-
zent geltend gemacht werden. Auch diese Festlegung orientiert sich an der politisch-ökonomi-
schenDurchsetzbarkeit.Zubeachten istallerdings,dassdieseRegelung,andersals imStabili-
täts-undWachstumspakt,nurgilt,solangedieSchuldenstandsquoteeinNiveauvon60Prozent
unterschreitet.DiesbewirkteineimpliziteKonditionierungderDefizitquoteaufdasWirtschafts-
wachstumdesjeweiligenStaates:WächsteinStaatmitdurchschnittlichüberfünfProzent,isteine
DefizitquotevondreiProzentauchlangfristigzulässig.BeiniedrigerennominalenWachstumsra-
tenführtdieselbeDefizitquotezueinemAnsteigenderSchuldenstandsquoteaufüber60Prozent.
DannjedochgreiftautomatischdieRegelungfürnichttragfähigeStaatsfinanzen,diedaszuläs-
sigeDefizitstärkerbegrenzt.
4.2.2 Gesamtwirtschaftliche Verschuldung
Die jüngsteweltwirtschaftlicheKrise lehrtuns,dassnichtnurdiestaatliche,sondernauchdie
privatwirtschaftlicheVerschuldungzustarkenwirtschaftlichenVerwerfungenführenkann.Hin-
sichtlichletztererergibtsichdieProblematik,dassessichdabeinichtumeinedirektsteuerbare
Größe,sondernumdieKonsequenzvielerEinzelentscheidungenhandelt.Ummakroökonomische
UngleichgewichtewiepreislicheFehlentwicklungenodereinenVerlustanWettbewerbsfähigkeit
vonvornhereinbegrenzenzukönnen,solltezusätzlichzurstaatlichenVerschuldungauchdieEnt-
wicklungderLeistungsbilanzdefiziteberücksichtigtwerden.
Im Rahmen von Maastricht 2.0 werden Leistungsbilanzdefizite aus diesem Grund beschränkt.
AlsGrenzwertbietetsichhierfürdieimSixpackfestgelegteGrenzevonvierProzentdesBrutto-
inlandsproduktsan.ImGegensatzzudenRegelungendesSixpacksiehtMaastricht2.0keineRe-
glementierungvonLeistungsbilanzüberschüssenvor.DieshatzweiGründe.Zumeinenhandelt
es sich bei den EU-Staaten um keinen abgeschlossenen Wirtschaftsraum. Staaten vorzuschrei-
ben,Leistungsbilanzüberschüssezurückzuführen,würdesomitgleichzeitigbedeuten,ihreWett-
bewerbspositiongegenüberStaatenaußerhalbderEuropäischenUnioneinzuschränken.Diesist
wederimSinnedeseinzelnenMitgliedstaatsnochimSinnedeseuropäischenStaatengebildes.
Zum anderen sind die Ursachen von Leistungsbilanzdefiziten vorwiegend im jeweiligen Land
selbstzusuchen.MaßnahmenzurSteigerungderWettbewerbsfähigkeit–beispielsweiseeinege-
mäßigteLohnentwicklungoderverstärkteInnovationen–sindsomitwesentlichbessergeeignet,
LeistungsbilanzungleichgewichteinnerhalbderEuropäischenUnionabzubauen.Gleichzeitigver-
ringernsolcheMaßnahmenLeistungsbilanzüberschüsseinanderenEU-Ländern,ohnedabeidie
WettbewerbsfähigkeitderStaatengemeinschaftalsGanzeszugefährden.
26
4 Maastricht 2.0: Tragfähigkeitsregel für europäische Staatsfinanzen
DieBegrenzungdesLeistungsbilanzdefizitshatimFallehoherprivaterVerschuldungeinezusätzli-
cheimpliziteRestriktionderstaatlichenVerschuldungsmöglichkeitenzurFolge.Verschuldensichdie
privatenAkteurebeispielsweisemiteinemBetragvonnetto2,5ProzentdesBruttoinlandsprodukts,
darfdiestaatlicheKreditaufnahmenochhöchstens1,5ProzentdesBruttoinlandsproduktsbetragen.
4.3 Regel bei übermäßiger Schuldenstandsquote
AngesichtsgroßerUnterschiedeindenWachstumsratenundSchuldenstandsquotenwirddeutlich,
dasseineeinheitlicheFiskalregeldenheterogenenAusgangspositionen innerhalbderhochver-
schuldetenEU-Staatennichtgerechtwerdenkann.Maastricht2.0berücksichtigtdeswegenländer-
spezifischeUnterschiede,indemesdenzeitlichenRahmenunddieHöhedeszulässigenDefizits
flexibelgestaltet.DieseindividuelleBehandlungdereinzelnenStaatenzurErreichungeinesein-
heitlichenZielsistderKernvonMaastricht2.0.ZurvorgeschlagenenVerschuldungsregelgehört
auch,dassdiezulässigeDefizitquotekonjunkturelleEntwicklungenmitberücksichtigt.
4.3.1 ZeitlicherRahmenundHöhedeszulässigenDefizits
Der zeitliche Rahmen für die Durchführung der Konsolidierungsmaßnahmen orientiert sich im
RahmenvonMaastricht2.0maßgeblichanderSchuldenstandsquoteimAusgangszustand.Dieser
Überlegungliegtzugrunde,dasshöhereKonsolidierungserfordernisseimSinnederWachstums-
freundlichkeitübereinenlängerenZeitraumgestrecktwerdenmüssen.UmdieVerbindlichkeitdes
zeitlichenRahmenszugewährleisten,wirddieserzuBeginnderKonsolidierungsphaseeinmalig
festgelegt.25EinejährlicheAnpassungdeszulässigenDefizitsandiewirtschaftlicheEntwicklung
gewährleistet,dassdenjeweiligenlangfristigenWachstumstrendsRechnunggetragenwird.
ZeitlicherRahmen:KonkretwirdfürdeneinzelnenStaatvorBeginnderKonsolidierungsmaßnah-
menbestimmt,zuwelchemZeitpunktdieSchuldenstandsquotedasNiveauvon60Prozentunter-
schreitenwürde,wenndasstaatlicheBudgetaufeineKonvergenzderSchuldenstandsquoteauf
30Prozentausgerichtetwäre.Wichtigist,dassdieSchuldenstandsquotevon30Prozentnichttat-
sächlichalsZielwertausgegebenwird.SiedienteinzigderBerechnungdesKonsolidierungszeit-
raumsundbleibtansonstenhypothetisch,daMaastricht2.0abUnterschreitender60-Prozent-
MarkewiederwenigerrestriktiveVorgabenfürdasjährlicheDefizitvorsieht.DieFestlegungdes
Wertsvon30Prozentistaußerdemnichtreintheoretischbegründet,sondernergibtsichausprag-
matischerAbwägungzwischendenZieleneinerzügigenRückführungderSchuldenstandsquoten
undvermittelbarenKonsolidierungserfordernissen.26
25 DieserAnsatzdecktsichmitdemVorschlag,HaushaltskonsolidierungsplänealspolitischesZielinKoalitionsverträgezuinte-grieren,umsoderenVerbindlichkeitzuerhöhen.Vgl.WagschalundWenzelburger(2006).
26 Beispielrechnungenzeigen,dasssichdaszulässigeDefizitunterdergewähltenFestlegungimVergleichzueinerhypothetischenKonvergenz-Schuldenstandsquotevon15Prozentverdoppelt,währendsichderKonsolidierungszeitraumnurum25bis30Pro-entverlängert.UmgekehrtwürdesichdiezulässigeDefizitquotebeieinerhypothetischenKonvergenz-Schuldenstandsquoteauf45Prozentnurum50Prozenterhöhen,währendderzulässigezeitlicheRahmenummehralsdieHälfteverlängertwürde(vgl.Appendix).
27
4 Maastricht 2.0: Tragfähigkeitsregel für europäische Staatsfinanzen
BezüglichdesWirtschaftswachstumswird fürdieBerechnungendeszeitlichenRahmensange-
nommen,dassdaslangfristigeTrendwachstumdemdurchschnittlichenWachstumdesnominalen
BruttoinlandsproduktsderletztenfünfJahreentspricht.27DersobestimmteZeitpunktgiltalsver-
bindlichesEndzielfürdieeinzuleitendenKonsolidierungsmaßnahmenundsorgtsofüreinhohes
MaßanVerlässlichkeit.GleichzeitiggewährleistetdieRegelgebundenheitderFestlegungeinema-
ximaleTransparenzdespolitischenProzesses.
HöhedeszulässigenDefizits:DaszulässigegesamtstaatlicheDefizitwirdjährlichangepasst.Es
bestehtauseinerStruktur-undeinerKonjunkturkomponente.ZurErmittlungderStrukturkom-
ponentewirdzuBeginneinesJahresdasmaximalzulässigeDefizitberechnet,dasmitBlickauf
dasdurchschnittlicheWirtschaftswachstumderletztenfünfJahreeinEinhaltendesverbleiben-
denzeitlichenRahmensermöglicht.UnterderAnnahme,dassFünfjahresdurchschnitteeinege-
nügende konjunkturelle Glättung bewirken, ermöglicht dieses Vorgehen einen gleichmäßigen
Konsolidierungspfad,dergleichwohlgraduelleVeränderungenderwirtschaftlichenAktivitätbe-
rücksichtigt.Durchdie jährlicheAnpassungdeszulässigenstrukturellenDefizitsgewährleistet
Maastricht2.0aberauchbeivorübergehenderAbweichungvomSchuldenabbaupfaddieEinhal-
tungdeszeitlichvorgegebenenRahmens.
27 BeidieserRegelungwirdbewusstaufeineSchätzungdesPotenzialwachstumsverzichtet.Damitwirdvermieden,dasspolitischeGestaltungsfreiräumebeiderAnwendungverschiedenerSchätzverfahrenbenutztwerden,umKonsolidierungsmaßnahmenzuverschleppen.DasdurchschnittlicheWirtschaftswachstumübereinenZeitraumvonfünfJahrenkannzudemalshinreichendkon-junkturbereinigterSchätzerfürdiezukünftigemittelfristigewirtschaftlicheEntwicklungangesehenwerden.
Abbildung 2: Beispiel für einen Schuldenabbaupfad: Schuldenstandsquote zu Beginn 120 Prozent, vier Prozent nominales Wachstum
Quelle: Prognos
20
40
60
80
100
120
Schuldenstandsquote
605550454035302520151050
zeitlicher Rahmen 28,7 Jahrezulässige Defizitquote 1,2 %
28
4 Maastricht 2.0: Tragfähigkeitsregel für europäische Staatsfinanzen
Die Bestimmung des zulässigen strukturellen Defizits soll mithilfe des folgenden fiktiven Bei-
spielsverdeutlichtwerden:
• Die Schuldenstandsquote sei 120 Prozent. Das durchschnittliche Wachstum des nominalen
BruttoinlandsproduktsüberdieletztenfünfJahrebetragevierProzent.
• DiezulässigestrukturelleDefizitquoteergibtsichalsProduktausdemdurchschnittlichenNo-
minalwachstumundderhypothetischenZielschuldenstandsquotevon30Prozent:
zulässiges strukturelles Defizit = 30 % * 4 % = 1,2 %
• DerzeitlicheRahmenderKonsolidierungsmaßnahmenresultiertausdemZeitpunktzwischen
KonsolidierungsbeginnunddemUnterschreitender60-Prozent-Marke,dersichrechnerischbei
konstantemWirtschaftswachstumundkonstanterDefizitquoteergibt.ImvorliegendenBeispiel
würdederzeitlicheRahmenrund29Jahrebetragen(Abbildung2).
Abbildung 3: Anpassung der zulässigen Defizitquote nach Sprung der Schulden-standsquote auf 105 Prozent, zehn Jahre nach Konsolidierungsbeginn, vier Prozent nominales Wachstum
zeitlicher Rahmen 28,7 Jahrealte zulässige Defizitquote 1,20 %
neue zulässige Defizitquote 0,71 %
Quelle: Prognos
20
40
60
80
100
120
Schuldenstandsquote nach Anpassung Schuldenstandsquote vor Anpassung
605550454035302520151050
29
4 Maastricht 2.0: Tragfähigkeitsregel für europäische Staatsfinanzen
• Weiterhinseiangenommen,dassdieSchuldenstandsquotezehnJahrenachKonsolidierungs-
beginndurcheinenexogenenSchockauf105Prozentansteigt.DasdurchschnittlicheWirt-
schaftswachstum betrage weiterhin vier Prozent. Der gesamte zu Beginn festgelegte Kon-
solidierungszeitraum bleibt trotz des vorübergehenden Anstiegs der Schuldenstandsquote
unverändert(Abbildung3).
DieKonjunkturkomponentedesDefizitssolleinfreiesWirkenderautomatischenStabilisatoren
gewährleisten.SieergibtsichalsProduktausderDifferenzzwischenProduktionspotenzialund
BruttoinlandsproduktundderBudgetsensitivität.Formalgilt:
DieDifferenzzwischenProduktionspotenzialunderwartetemnominalemBruttoinlandsprodukt
isteingeeignetesMaßfürdiegesamtwirtschaftlicheAuslastung.WeichtdasfürdasjeweiligeJahr
erwarteteBruttoinlandsproduktnegativvonseinemPotenzialab,befindetsichdieVolkswirtschaft
in einer Phase der Unterauslastung, was eine zusätzliche Kreditaufnahme rechtfertigen kann.
ImumgekehrtenFallverzeichnetdieVolkswirtschafteinekonjunkturelleÜberauslastung,sodass
einegeringeNettokreditaufnahme(odereinHaushaltsüberschuss)möglichist.DieBudgetsensi-
tivitätgibtan,wiestarkdasstaatlicheBudgetimRahmendesWirkensderautomatischenStabili-
satorenvonderEntwicklungdesBruttoinlandsproduktsabhängt.AusGründenderTransparenz
verwendenwirbeiMaastricht2.0dieSchätzungenderBudgetsensitivität,dienachVorgabender
OECD in regelmäßigenAbständendurchdieEuropäischeKommissionbestimmtwerden.28Als
BlaupausefürdieAbschätzungdesBruttoinlandsproduktsdesjeweiligenJahreskanndiejeweils
aktuellePrognosederEuropäischenKommissiondienen.29
4.3.2 Übergangszeitraum
Eine zu rasche Rückführung staatlicher Defizite kann sich aufgrund politischer Widerstände
schwieriggestaltenundüberdiesnegativewirtschaftlicheFolgenhaben.Maastricht2.0siehtdes-
halbeinensechsjährigenÜbergangszeitraum fürdieAnpassungderstrukturellenDefizitquote
vor.30WährenddiesesZeitraumsmussdieDifferenzzwischendemtatsächlichenunddemnach
Maastricht2.0zulässigenstrukturellenDefizitschrittweiseaufnullzurückgeführtwerden.
28 FürmethodischeDetails,vgl.GirouardundAndré(2005).
29 GrundsätzlichwäreeinVorgehenvorzuziehen,beidemdieAuslastungaufBasisdesTrendoutputsbestimmtwird.AufdieseWeisekönntedieGestaltungsanfälligkeitdesPotenzialkonzeptsumgangenwerden.AufgrunddesUmstands,dasssichdiedurchdieEuropäischeKommissionberechnetenBudgetsensitivitätenaufdasProduktionspotenzialbeziehen,wirdimRahmendieserUntersuchung jedochdaraufverzichtet.Grundsätzlich ließensichaberauchBudgetsensitivitätenaufBasisdesTrendoutputsbestimmen.BeiEinführungvonMaastricht2.0wäredeshalbeinegleichzeitigeUmstellunganzuraten,nachderdieBerechnungvonBudgetsensitivitätenundKonjunkturkomponentenfortanaufBasisdesTrendoutputsbestimmtwürden.
30 DergesamtezeitlicheRahmenderKonsolidierungverlängertsichdurchdenÜbergangzeitraumnicht.
Konjunktur- Produktions- Erwartetes Brutto- Budget-
komponente potenzial inlandsprodukt sensitivität= ( – ) ·
30
4 Maastricht 2.0: Tragfähigkeitsregel für europäische Staatsfinanzen
ImGegensatzzureuropäischenSchuldenbremsebewirktdieFixierungdesKonsolidierungszeit-
raumsunterMaastricht2.0,dassgeringereKonsolidierungserfordernissezueinemfrühenZeit-
punktgrößereEinsparungenzueinemspäterenZeitpunktnotwendigmachen.AusdiesemGrund
istimRahmenvonMaastricht2.0keinelineareAnpassungvorgesehen.Vielmehrkonzentrieren
sichdie Anpassungsanstrengungen auf die ersten Jahre nachEinführung der neuen Verschul-
dungsregel.31
4.3.3 Gesamtwirtschaftliche Verschuldung
AuchfürLändermitnichttragfähigenStaatsfinanzengilt,dassvondergesamtwirtschaftlichen
VerschuldungerheblicheRisikenfürdiewirtschaftlicheStabilitätausgehen.AusdiesemGrund
istinMaastricht2.0auchfürdieseGruppevonLändernvorgesehen,dassLeistungsbilanzdefizite
höchstensvierProzentinRelationzumBruttoinlandsproduktbetragendürfen.
31 ImRahmendieserUntersuchungwirddiezulässigeDefizitquote,dq(t),imÜbergangszeitraumalsgewichtetesMittelderreali-siertenDefizitquotedesVorjahres,dq(t–1),undderohnedieÜbergangsregelungzulässigenDefizitquote,dq(t,zulässig),berech-net.Formalgilt:dq(t)=0,6*dq(t–1)+0,4*dq(t,zulässig).
31
5 Europäische Schuldenbremse und Maastricht 2.0 – ein empirischer Vergleich
5 Europäische Schuldenbremse und Maastricht 2.0 – ein empirischer Vergleich
IndiesemAbschnittwerdensowohldieRegelungenzureuropäischenSchuldenbremsealsauch
jenezuMaastricht2.0indasmakroökonomischeWelt-ModellVIEWderPrognosAGimplemen-
tiert.AufdieseWeisekönnenbeideVerschuldungsregelninihrenAuswirkungenaufdieStaatsver-
schuldungundinihrenWachstumswirkungenbiszumJahr2030verglichenwerden.32Ermöglicht
wirddiesdurchdieexpliziteModellierungzwischenstaatlicherVerflechtungenunddieBerück-
sichtigungvolkswirtschaftlicherRückwirkungenstaatlicherBudgetentscheidungen(Box2,S.32).
5.1 Modellumsetzung
UmdieeuropäischeSchuldenbremsevollständigmodellierenzukönnen,sindaufgrundderge-
genwärtignochlückenhaftengesetzlichenRegelungenergänzendeAnnahmennotwendig.Fürdie
ImplementierunginVIEWwirddeshalbangenommen,
• dasseinestrukturelleDefizitquotevonhöchstenseinemProzentdannzulässigist,wenndie
SchuldenstandsquoteunterhalbeinesWertesvon40Prozentliegt.
• dassnachEinführungderSchuldenbremseeinÜbergangszeitraumvonsechsJahrenveran-
schlagtwird,währenddessendiestrukturelleDefizitquoteausgehendvon2010ingleichmä-
ßigenSchrittenaufdaszulässigeNiveauzurückgeführtwerdenmuss.33
AuchfürdieImplementierungvonMaastricht2.0indasModellsindaufgrundderbesonderen
weltwirtschaftlichenEntwicklungenderjüngerenVergangenheitgewisseAnpassungennotwen-
dig.UmdiewirtschaftlichenVerwerfungenseit2009zukorrigieren,werdenfürdieBerechnung
derzulässigenstrukturellenDefizitquoteunddesKonsolidierungszeitraumsimRahmendervor-
liegendenStudiedeshalbzehnjährigestattfünfjährigedurchschnittlicheWachstumsratenunter-
legt.34GrundsätzlichsollteaberaneinemZeitraumvonfünfJahrenfestgehaltenwerden.35
32 AufgrunddesmomentanenDatenstandes,dersichaufdasJahr2010bezieht,wirddiewirtschaftlicheEntwicklungimRahmendieserUntersuchungenabdemJahr2011modelliert.DiesstelltaufgrunddeslangenPrognosehorizontsvon20JahrenkeineEin-schränkungfürdieAussagekraftdieserStudiedar.
33 MitdieserAnnahmewirddieRegelungzurdeutschenSchuldenbremseübernommen.
34 FürwenigeLänderwarenzusätzlicheAnpassungennotwendig,dawederFünf-nochZehnjahresdurchschnittealsplausiblelang-fristigeProjektionenanzusehenwaren.
35 DiespanischeVolkwirtschaftstellteinenSpezialfalldar.ObwohldieSchuldenstandsquotezumEndedesJahres2010nurrund61Prozentbetrug,warderVerschuldungsdruckauchaufgrundprivatwirtschaftlicherÜberschuldungenorm.DaeineumgehendeImplementierungvonMaastricht2.0 realpolitischnicht durchsetzbareKonsolidierungserfordernisse implizierenwürde,wirdMaastricht2.0fürSpanienimModellerstab2013umgesetzt.
32
5 Europäische Schuldenbremse und Maastricht 2.0 – ein empirischer Vergleich
Box 2: Das Modell VIEW der Prognos AG
DiePrognosAGverfügtmitVIEWübereinglobalesPrognose-undSimulationsmodell,das
detailliertundkonsistentdiezukünftigeEntwicklungderWeltwirtschaftdarstellt.Interak-
tionenundRückkopplungenzwischendeneinzelnenLändernwerdenindemModellex-
pliziterfasstundmodelliert.SeineanalytischeAussagekraftgehtdaherweitüberdieiso-
lierter Ländermodelle mit exogen gegebenen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen
hinaus.InderaktuellenVersionumfasstVIEW42Länderunddamitüber90Prozentder
globalenWirtschaftsleistung.
AusgehendvonzentralenexogengesetztenParameternwieetwaderDemographie,wer-
denmitVIEWPrognosenfürdieWeltwirtschaftunddieeinzelnenLändererstellt.Darüber
hinausermöglichtVIEWverschiedensteSzenarien,indenenzumBeispielalternativeEnt-
wicklungenineinemLandinallihrenKonsequenzenfürdieanderenLänderbisinsDe-
taildargestelltwerdenkönnen.
VIEWsetztsichauseinzelnenLändermodellenzusammen,diesichinzweiGruppenun-
terteilen lassen: Die Modelle für die 32 führenden Industrieländer (EU-24, Norwegen,
Schweiz, Kanada, USA, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland) sind strukturell
gleichaufgebaut.Sieumfassenca.230makroökonomischeVariablensowieeineVielzahl
außenwirtschaftlicherParameter(ImportnachfrageandererLänder,Preis-undLohnrelati-
onen,Wechselkurseetc.).DieModellederSchwellenländersindähnlichstrukturiert,wei-
senaberaufgrundderschlechterenDatenlageeinengeringerenDetaillierungsgradauf.
AufeinedisaggregierteDarstellungderInvestitionsgüteroderdesStaatshaushaltsmuss
hierbeispielsweiseverzichtetwerden.DieEntwicklungderWirtschaftsbereichewird in
aufInput-Output-TabellenbasierendenSubmodulenderLändermodellebestimmt.Ineiner
erweitertenVersiondesModellskönnenauchdieHandelsströmezwischendenLändern
nach27Gütergruppendifferenziertdargestelltwerden.DiehistorischenDatenreichenin
denLändermodelleninderRegelbisindasJahr1970zurück,derPrognosezeitraumer-
strecktsichbeiBedarfbiszumJahr2050.
AufBasisdieserAnnahmenergebensichfürMaastricht2.0Konsolidierungszeiträumezwischen
dreiund44JahrenundmittelfristigzulässigeDefizitquotenzwischen0,74und2,22Prozent(Ta-
belle4).GeradeinderHeterogenitätdieserVorgabenkommtderländerspezifischeAnsatzvon
Maastricht2.0 zumAusdruck.VolkswirtschaftenmithohemVerschuldungsgradwieGriechen-
landundItalienwerdenimRahmenvonMaastricht2.0längereKonsolidierungsphasenzugestan-
denalsLändernmitmittleremoderniedrigemVerschuldungsgradwieDeutschland,Österreich
oderdenNiederlanden.
33
5 Europäische Schuldenbremse und Maastricht 2.0 – ein empirischer Vergleich
AuchdieKonsolidierungserfordernissefallenheterogenaus.LändernmitstarkemWachstumwird
einehöhereDefizitquotezugebilligt,daeinTeildesSchuldendrucksdurchdasWirtschaftswachs-
tumgemindertwird.LändermitschwachemWachstummüssenhingegenstärkerkonsolidieren.
Bemerkenswertist,dassunterMaastricht2.0allenStaateneinhöheresDefizitzugebilligtwirdals
esunterderSchuldenbremsederFallist.Maastricht2.0ermöglichtdamitzusätzlicheHandlungs-
spielräume,diebeispielsweisedieFinanzierungwachstumsstimulierenderMaßnahmenermögli-
chen.GleichzeitigbedingendieVerbindlichkeitdesKonsolidierungszeitraumsunddiejährliche
AnpassungdeszulässigenstrukturellenDefizitseineVerlässlichkeitdergefordertenKonsolidie-
rungsmaßnahmen.DieetwashöherenzulässigenDefizitegehenalsonichtzulastenderGlaubwür-
digkeitdesKonsolidierungspfades.
5.2 Entwicklung der Staatsverschuldung
DieErgebnissederModellrechnungenzeigeneinigeGemeinsamkeitenzwischenbeidenVerschul-
dungsregelnauf.SogelingtinbeidenSzenarieneinerascheRückführungderSchuldenstandsquo-
ten.ImFalldereuropäischenSchuldenbremsesinktdiedurchschnittlicheSchuldenstandsquotevon
63ProzentimJahr2010auf37ProzentimJahr2030(Tabelle5).ImRahmenvonMaastricht2.0sinkt
diedurchschnittlicheSchuldenstandsquoteimselbenZeitraumauf51Prozent.DieserVergleichsig-
nalisiertaberauch,dassdieRegelungenzureuropäischenSchuldenbremseSchuldenstandsquoten
zurFolgehaben,dieüberdasZieltragfähigerHaushaltezumTeildeutlichhinausgehen.
Tabelle 4: Zeitlicher Rahmen und mittelfristig zulässige strukturelle Defizitquote im Rahmen von Maastricht 2.0
Land zeitlicher Rahmen* mittelfristig zulässige strukturelle Defizitquote ab 2011 in Prozent
Belgien 25 1,03
Deutschland 19 0,96
Frankreich 21 0,90
Griechenland 43 1,00
Irland 34 0,74
Italien 44 0,79
Niederlande 3 1,04
Österreich 12 0,97
Portugal 26 0,94
Spanien** 16 1,01
Großbritannien 19 0,93
Ungarn 9 2,22
* gerundet auf die nächste ganze Zahl** Konsolidierung ab 2013
Quelle: Prognos
34
5 Europäische Schuldenbremse und Maastricht 2.0 – ein empirischer Vergleich
InbeidenSzenariengelingtesinnerhalbdesUntersuchungszeitraums,dieSchuldenstandsquoten
fastallereuropäischenStaatenauftragfähigeNiveauszurückzuführen.Besondershochverschul-
detenLändernwerdendazuteilsdrastischeKonsolidierungserfordernisseabverlangt.ImErgebnis
weisenunterdereuropäischenSchuldenbremseimJahr2030lediglichGriechenlandundIrland
Schuldenstandsquotenjenseitsder60-Prozent-Grenzeauf.UnterMaastricht2.0gesellensichBel-
gien,ItalienundPortugaldazu.
UnterschiedeergebensichfürdiebeidenVerschuldungsregelnunteranderemfürdieSchulden-
standsquotengeringverschuldeter Länder.Die striktenRestriktionender strukturellenDefizit-
quoteimRahmendereuropäischenSchuldenbremseführenbeispielsweisedazu,dassauchdie
baltischenundskandinavischenVolkswirtschaftenzurKonsolidierunggezwungensind,obwohl
alledieseLänder schon2010nachhaltigeSchuldenstandsquotenvonunter60Prozentvorwei-
senkonnten. ImGegensatzdazu führtdienachTragfähigkeitdifferenzierteAusgestaltungvon
Maastricht2.0dazu,dassnurstarkverschuldeteLänderkonsolidierenmüssen,währenddenüb-
rigenVolkswirtschaftengrößereHandlungsspielräumeeingeräumtwerden.InderFolgesteigen
dieSchuldenstandsquoteneinigerLänderleichtan,überschreitenaberinkeinemFalldaskriti-
scheNiveauvon60Prozent.
EinweitererUnterschiedlässtsichinderEntwicklungderSchuldenstandsquotenzuBeginndes
Konsolidierungszeitraums beobachten. Während beispielsweise in Irland die Schuldenstands-
quoteunterderSchuldenbremseumfast50Prozentzunimmt,beträgtderAnstiegunterMaast-
richt2.0wenigerals25Prozent.QualitativähnlicheDifferenzenergebensichauchfürPortugal.
BegründetsinddiestarkabweichendenErgebnisseindenunterschiedlichausgestaltetenÜber-
gangsregelungen.WährenddiestrukturelleDefizitquoteunterMaastricht2.0relativschnellauf
daszulässigeNiveauzurückgeführtwerdenmuss,führtdielineareAnpassungimRahmender
europäischenSchuldenbremsezueinerleichtenVerschleppungderKonsolidierungserfordernisse.
DiesgiltinsbesonderefürStaatenwieIrland,PortugalundSpanien,die2010hohestrukturelleDe-
fizitquotenaufwiesen.
AusdiesenBeobachtungenwirddeutlich,dassdasAusgangsniveauderDefizitquotebeiderAus-
arbeitungderÜbergangsregelungdifferenziertBerücksichtigung findenmuss.Einerseitssollten
zustarkeReduktionenderDefizitquotezuBeginnvermiedenwerden.AnderseitsdürfenkeineAn-
reizegebildetwerden,sichvorEinführungderSchuldenbremsemittelsunnötighoherKreditauf-
nahmezukünftigebudgetäreSpielräumezuschaffenundsodieKonsolidierungzuverschleppen.
Festzuhalten bleibt, dass beide Verschuldungsregeln tragfähige Schuldenstandsquoten ge-
währleisten.WährenddieeuropäischeSchuldenbremseauchgeringverschuldeteStaatenzur
(weiteren) Haushaltskonsolidierung zwingt, räumt Maastricht 2.0 diesen Ländern größere
Handlungsspielräumeein,diegenutztwerdenkönnen,umlangfristigesWachstumzufördern.
Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass Übergangsregeln so ausgestaltet sein müssen, dass
FehlanreizevermiedenundeinkurzfristigesAnschwellenderSchuldenstandsquotenverhin-
dertwerden.
35
5 Europäische Schuldenbremse und Maastricht 2.0 – ein empirischer Vergleich
Tabelle 5: Entwicklung der Schuldenstandsquoten unter Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Rückwirkungen im Rahmen der europäischen Schuldenbremse und unter Maastricht 2.0
Schuldenstandsquote in Prozent
Europäische Schuldenbremse Maastricht 2.0
Land 2010 2015 2020 2025 2030 2015 2020 2025 2030
Mitglieder der Europäischen Währungsunion
Belgien 96 80 63 53 46 80 69 66 65
Deutschland 83 69 62 53 46 68 65 61 60
Estland 7 –5 1 5 9 –5 9 19 29
Finnland 48 44 33 27 28 44 38 41 47
Frankreich 82 85 74 57 45 80 67 55 51
Griechenland 145 129 95 71 63 128 92 72 70
Irland 95 144 94 74 69 118 69 61 68
Italien 118 116 90 67 54 113 88 71 65
Niederlande 63 65 51 42 40 65 55 53 56
Österreich 72 70 60 47 40 68 60 51 53
Portugal 93 107 75 64 59 95 63 61 70
Slowakei 41 61 54 41 36 56 58 53 54
Slowenien 39 45 34 24 20 48 46 41 41
Spanien 61 94 70 52 44 91 63 46 46
weitere EU-Länder
Bulgarien 16 30 26 15 14 30 28 24 32
Dänemark 44 36 27 23 25 45 39 37 42
Großbritannien 80 97 73 51 41 88 62 48 48
Litauen 45 44 31 29 29 52 44 46 49
Lettland 38 46 39 34 32 49 51 52 54
Polen 55 71 60 41 35 71 64 54 56
Rumänien 31 38 36 25 19 39 38 25 13
Schweden 40 30 30 28 29 39 41 41 45
Tschechische Republik 38 48 41 34 33 48 50 47 49
Ungarn 81 60 43 40 38 65 55 58 59
EU Durchschnitt 63 67 52 41 37 66 55 49 51
Quelle: Prognos
36
5 Europäische Schuldenbremse und Maastricht 2.0 – ein empirischer Vergleich
5.3 Wachstumswirkungen
NebendereffektivenRückführungderSchuldenstandsquotensinddieWachstumswirkungen
einer Verschuldungsregel ein entscheidendes Beurteilungskriterium. Um die Wachstumswir-
kungendereuropäischenSchuldenbremseundMaastricht2.0vergleichenzukönnen,wirddie
WirtschaftsentwicklungfürbeideSzenarienbiszumJahr2030prognostiziertundeinanderge-
genübergestellt(Tabelle6).
Zunächst fälltauf,dassMaastricht2.0auf langeSicht füralleeuropäischenStaatenzueiner
wachstumsfreundlicherenEntwicklung führt alsdie europäischeSchuldenbremse.Besonders
anschaulichwirddiesindenfürdasJahr2030ausgewiesenenDifferenzendesBruttoinlands-
produkts.IndenbiszumJahr2030akkumuliertenDifferenzendesBruttoinlandsproduktszeigt
sichaußerdem,dassdiemeistenStaatenauchüberdengesamtenZeitraumbetrachtetvoneiner
EinführungvonMaastricht2.0gegenüberdereuropäischenSchuldenbremseprofitierenwür-
den. Einzig die derzeitigen Krisenländer Irland, Portugal und Spanien sowie Großbritannien
verzeichnen leichteWachstumsverluste.36DiesewerdendurchdieZugewinne indenübrigen
Staatenabermehralsausgeglichen,sodasssichfürdieeuropäischenStaatenimRahmenvon
Maastricht2.0insgesamteinWachstumsvorteilvonrund450Mrd.Euroergibt.MitdiesemBe-
trag könnte die Europäische Union rein rechnerisch 65 Prozent des Stammkapitals des per-
manentenEuropäischenStabilitätsmechanismus(ESM)oderdiegesamtenStaatsschulden,die
GriechenlandamEndedesJahres2011hatte(rund355Mrd.Euro)undzusätzlichnoch55Pro-
zentderStaatsschuldenPortugalsEnde2011finanzieren.
ZudengrößtenGewinnernvonMaastricht2.0gehörenDänemark,Frankreich,dieNiederlande,
Italien,Polenund–allenvoran–Deutschland,dasinsbesonderedurchseineausgeprägtewirt-
schaftlicheVerflechtungundseineExportstärkevondergünstigerenwirtschaftlichenEntwick-
lungindenPartnerländernprofitiert.VordemselbenHintergrundistauchzuerklären,weshalb
GroßbritannienundeinigesüdlicheKrisenstaatenzunächstnichtvonderUmsetzungvonMaas-
tricht2.0profitierenkönnen.ZwargiltauchfürdieseStaaten,dassdiedifferenzierteAusgestal-
tungderDefizitquotenundKonsolidierungszeiträumeVorteilebietet.AllerdingsbewirktdieEx-
portschwächedieserLänder,dasssienuringeringemMaßanderwirtschaftlichenErholungin
denübrigenEU-Staatenpartizipierenkönnen.
InBezugaufdieEinwohnerzahlenstellensichandereVolkswirtschaftenalsdiegrößerenGewin-
nerunterMaastricht2.0dar.InsbesonderedienordischenLänderDänemark,FinnlandundSchwe-
denverzeichnenhoheWachstumsgewinnejeEinwohner.DieseLänderprofitierenvonMaastricht
2.0inzweifacherHinsicht.Einerseitssindsie(imUnterschiedzudenRegelungendereuropäi-
schenSchuldenbremse)aufgrundihrerniedrigenSchuldenstandsquotennichtzustriktenweite-
renKonsolidierungsmaßnahmengezwungenundkönnendiebudgetärenFreiräumefürwachs-
36 BeieinerFortsetzungderprognostiziertenwirtschaftlichenEntwicklungüberdenBetrachtungszeitraumhinauswürdederVer-gleichzwischenMaastricht2.0unddereuropäischenSchuldenbremseauchfürdieseLänderzuGunstenvonMaastricht2.0aus-fallen.
37
5 Europäische Schuldenbremse und Maastricht 2.0 – ein empirischer Vergleich
Tabelle 6: Differenz zwischen Maastricht 2.0 und europäischer Schuldenbremse, Bruttoinlandsprodukt und Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, 2015 bis 2030
in Mrd. Euro
Bruttoinlandsprodukt: Differenz zwischen Maastricht 2.0 und europäischer Schuldenbremse
absolut, in Mrd. Euro* je Einwohner*
Land 2015 2020 2025 2030 akkumuliert 2011–2030
2015 2020 2025 2030 akkumuliert 2011–2030
Mitglieder der Europäischen Währungsunion
Belgien 0,3 1,0 1,6 2,2 20,3 27 86 133 180 1696
Deutschland –6,3 7,6 18,4 32,8 186,0 –78 95 229 414 2335
Estland 0,0 0,0 0,1 0,1 0,9 –19 24 49 80 679
Finnland –0,3 1,5 2,4 1,8 23,9 –51 272 418 316 4230
Frankreich –21,1 –1,1 19,1 37,7 74,9 –317 –16 276 534 972
Griechenland –0,2 0,9 1,8 2,5 20,2 –19 79 152 215 1746
Irland –1,7 0,2 0,9 1,4 –0,9 –369 35 175 257 –423
Italien –3,5 –0,9 5,5 13,5 41,2 –56 –14 86 209 627
Niederlande –0,9 1,7 3,5 3,3 32,2 –54 100 198 188 1839
Österreich –0,4 0,6 1,6 3,4 17,1 –49 67 186 382 1931
Portugal –2,2 –0,2 0,1 2,1 –7,5 –206 –20 12 198 –703
Slowakei –0,1 0,3 0,5 0,8 5,6 –17 62 89 137 991
Slowenien 0,1 0,2 0,2 0,3 3,3 36 84 94 149 1513
Spanien –5,0 –7,3 2,2 11,5 –23,5 –106 –151 44 230 –538
weitere EU–Länder
Bulgarien –0,1 0,0 0,2 0,4 2,3 –8 6 33 64 337
Dänemark 2,0 1,8 2,2 2,4 36,8 359 317 373 402 6379
Großbritannien –17,9 –10,0 5,0 21,7 –73,7 –278 –151 72 308 –1240
Litauen 0,0 0,0 0,1 0,1 1,1 19 10 41 42 509
Lettland 0,1 0,3 0,3 0,4 4,4 34 83 91 141 1410
Polen –0,7 2,4 6,0 4,7 54,0 –17 62 156 126 1419
Rumänien 0,2 –0,2 0,0 0,1 –0,6 7 –9 –2 3 –30
Schweden 0,3 0,8 1,9 3,2 25,2 36 78 179 306 2442
Tschechische Republik 0,1 0,4 0,8 1,5 10,8 7 38 75 134 991
Ungarn 0,1 0,3 0,3 0,5 4,9 6 33 28 47 495
EU gesamt –57,0 0,5 74,3 148,3 458,5 –112 1 143 176 861
* zu Preisen von 2005
Quelle: Prognos
38
5 Europäische Schuldenbremse und Maastricht 2.0 – ein empirischer Vergleich
tumssteigerndeMaßnahmenverwenden.AndererseitspartizipierendieseLänderanderpositiven
wirtschaftlichenEntwicklungindenübrigenEU-Staaten.
WährendMaastricht2.0aufmittelfristigeundlangeSichthauptsächlichpositiveAuswirkungen
aufweist,verzeichneneinigeLänderkurzfristigWachstumsverluste.DieseEntwicklungistdurch
dieunterschiedlichenÜbergangsregelungenbegründet.WährendbeidereuropäischenSchulden-
bremseeinelineareReduktionderstrukturellenDefizitquoteaufeinfixesZielvon0,5Prozentbe-
ziehungsweiseeinProzentunterstelltwird,würdedasselbeVorgehenbeiMaastricht2.0imspä-
terenVerlaufzuunnötigstarkenKonsolidierungserfordernissenführen.AusdiesemGrundfallen
dieanfänglichenKonsolidierungsmaßnahmen imRahmenvonMaastricht2.0 imVergleichzur
europäischenSchuldenbremserestriktiveraus,wassichkurzfristignegativaufdasWirtschafts-
wachstumauswirkt.MittelfristighingehenbegünstigtMaastricht2.0aufgrunddanngeringerer
SchuldenstandsquotensowieaufgrundderländerspezifischausgestaltetenDefizitquotendiewirt-
schaftliche Entwicklung, sodass die anfänglichen Wachstumsverluste im Zeitverlauf mehr als
wettgemachtwerdenkönnen.Maastricht2.0bringtdieEU-Länderdamitschnellaufeinennach-
haltigen Konsolidierungspfad, der nach einer kurzen und harten Übergangsphase wachstums-
freundlicheristalsdieeuropäischeSchuldenbremse.
39
6 Zusammenfassung
6 Zusammenfassung
DievorliegendeStudie leistet einenBeitrag zur Lösungder europäischenStaatsschuldenkrise,
indemmitMaastricht2.0eineneueVerschuldungsregelvorgestelltwird.Maastricht2.0orientiert
sichkonsequentamZieltragfähigerStaatsfinanzenundistsokonzeptioniert,dassländerspezi-
fischeRahmenbedingungenBerücksichtigungfinden.Darausresultierentransparente,politisch
umsetzbareRegelungen,die–wiedieSimulationsrechnungenbestätigen–wachstumsfreundli-
cherwirkenalsdieeuropäischeSchuldenbremse.
AusgangspunktdervorliegendenStudieistdieFeststellung,dassdieimVertragvonMaastricht
festgelegten Stabilitätskriterien nicht in der Lage sind, beständig steigende Schuldenstands-
quotenzuverhindern.DieseEntwicklungliegtnichtnuranderVielzahlnichtgeahndeterVer-
stößegegendieStabilitätskriterien,sondern istvoralleminder fehlerhaftenKonzeptiondes
Stabilitäts-undWachstumspaktsbegründet, inder länderspezifischeUnterschiedewieunter-
schiedlicheWachstumsratenkeineBerücksichtigungfinden.Ex-post-Betrachtungenzeigenbei-
spielsweise,dassdieDefizitquotenvielereuropäischerStaatenzuhochsind,umdieSchulden-
standsquotebeigegebenemWirtschaftswachstumdauerhaftaufeinemNiveauvon60Prozent
stabilisieren zu können. In der Folge weisen insbesondere die großen europäischen Staaten
übermäßige,dasheißtdieVorgabendesStabilitäts-undWachstumspaktsübersteigendeSchul-
denstände auf. Für Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien addieren sich diese
übermäßigenSchuldenbeispielsweisezueinerSummeinderGrößenordnungdesnominalen
deutschenBruttoinlandsprodukts.
HoheSchuldenstandsquotenführeninmehrfacherHinsichtzunegativenFolgen.Zumeinenwer-
denzukünftigeGenerationenüberGebührbelastet.ZumanderenweisenwissenschaftlicheStu-
diendaraufhin,dassabSchuldenstandsquotenvon80bis90ProzentmitWachstumsverlustenzu
rechnenist.InEuropasindsolcheGrößenordnungenmittlerweilekeineSeltenheitmehr.Dieaktu-
ellenRefinanzierungsschwierigkeiteneuropäischerKrisenstaatenwieGriechenland,Portugal,Ita-
lienundSpanienzeigenaußerdem,dasshoheSchuldenstandsquotenVertrauensverlusteanden
KapitalmärktenzurFolgehabenkönnen,diedieZahlungsfähigkeitganzerVolkswirtschaftenin
Fragestellen.ImSinneeinesstabileneuropäischenWährungsraumssowieeinerwachstumsori-
entiertenFiskalpolitikisteineNeuordnungdereuropäischenVerschuldungsregelndamitunum-
gänglich.
MitderEinigungaufeineeinheitlicheSchuldenbremsehabensichdieeuropäischenStaats-und
RegierungschefsaufeinInstrumentverständigt,dasstabileStaatsfinanzengarantierensoll.Be-
rechnungenimRahmendervorliegendenStudiebestätigen,dassdieeuropäischeSchuldenbremse
geeignetist,eineRückführungderSchuldenstandsquotenauftragfähigeNiveausherbeizuführen.
DieseBerechnungenbelegenaberauch,dassdieSchuldenbremseunnötigrestriktivausfällt,weil
auchLändermitbereitstragfähigenStaatsfinanzenzuKonsolidierungsmaßnahmengezwungen
werden.VorhandenefiskalischeSpielräumefürWachstumsimpulsebleibensoungenutzt.Einwei-
40
6 Zusammenfassung
tererwesentlicherKritikpunktanderKonzeptionderSchuldenbremseist,dassdiesesInstrument
keineBerücksichtigungländerspezifischerRahmenbedingungenvorsieht.Sobleibenunterschied-
licheWachstumsratenoderSchuldenstandsquotenindenDefizitvorgabenunberücksichtigt.
DievorliegendeStudiegreiftdieKritikpunkteandereuropäischenSchuldenbremseaufundstellt
mitMaastricht2.0eineVerschuldungsregelvor,dietragfähigeStaatsfinanzenermöglicht,länder-
spezifischeUnterschiedeberücksichtigtundsowachstumsfreundlicherwirktalsdieeuropäische
Schuldenbremse.DiewesentlichenkonzeptionellenMerkmalevonMaastricht2.0sind:
• Die Regelausgestaltung differenziert an zentraler Stelle zwischen tragfähigen und in ihrer
TragfähigkeitgefährdetenStaatsfinanzen.
• Schuldenstandsquotenunter60Prozentgeltenalstragfähig.Länder,fürdiedieseBedingung
zutrifft, erhalten deshalb budgetäre Handlungsspielräume bis zu einer maximalen Defizit-
quotevondreiProzent.
• Schuldenstandsquoten über 60 Prozent werden unter Berücksichtigung länderspezifischer
Rahmenbedingungenzurückgeführt.InMaastricht2.0wirdderzeitlicheRahmenfürdieKon-
solidierungsmaßnahmenzuBeginneinmaligfestgelegt,womiteinhohesMaßanpolitischer
Verlässlichkeit gewährleistet wird. Dabei finden sowohl das Wachstum als auch die Schul-
denstandsquote im Ausgangszustand Berücksichtigung. Das zulässige strukturelle Defizit
wirdmitBezugaufdasWirtschaftswachstumsofestgelegt,dassdieSchuldenstandsquotehy-
pothetischaufeinNiveauvon30Prozentkonvergiert.Simulationsrechnungenzeigen,dass
dieseFestlegungeinepragmatischeAbwägungzwischendemZieleinerraschenRückführung
derSchuldenstandsquoteundvertretbarenKonsolidierungserfordernissengewährleistet.Die
Schuldenstandsquotevon30Prozentbleibtfiktiv,weilbeieinemUnterschreitender60-Pro-
zent-GrenzewiederdiewenigerrestriktiveBeschränkungdesGesamtdefizitsaufdreiProzent
zumTragenkommt.UmeinfreiesWirkenderautomatischenStabilisatorenzuermöglichen,
istzudemeinkonjunkturellesDefizitzulässig.
• NebenderstaatlichenKreditaufnahmewirddiegesamtstaatlicheVerschuldungberücksichtigt,
indemLeistungsbilanzdefiziteaufvierProzentdesBruttoinlandsproduktsbegrenztwerden.
UmdieWachstumswirkungendereuropäischenSchuldenbremseundMaastricht2.0abzuschät-
zen,werdendiewirtschaftlichenEntwicklungenbeiderSchuldenregelnmithilfedesmakroökono-
mischenModellsVIEWderPrognosAGprognostiziert.AlszentraleErkenntnisausdiesenSimula-
tionsrechnungenergibtsich,dassMaastricht2.0wachstumsfreundlicherwirktalsdieeuropäische
Schuldenbremse.Diesgilt,obwohlMaastricht2.0indenerstenKonsolidierungsjahrenaufgrund
dergewähltenÜbergangsregelungrestriktiverwirktalsdieSchuldenbremse.Mittelfristighinge-
genbegünstigtMaastricht2.0aufgrunddanngeringererSchuldenstandsquotensowieaufgrund
derländerspezifischausgestaltetenDefizitquotendiewirtschaftlicheEntwicklung,sodassdiean-
fänglichenWachstumsverlusteimZeitverlaufmehralswettgemachtwerdenkönnen.Maastricht
41
6 Zusammenfassung
2.0 bringt die EU-Länder damit schnell auf einen nachhaltigen Konsolidierungspfad, der nach
einerkurzenundhartenÜbergangsphasewachstumsfreundlicheristalsdieeuropäischeSchul-
denbremse.
MitMaastricht2.0wirdeineVerschuldungsregelvorgelegt,derenUmsetzunggewährleistet,dass
dieMitgliedstaatenderEuropäischenUnionglaubwürdig,nachhaltigundgleichzeitigwachstums-
freundlichkonsolidieren.DieserVorschlagleistetdamiteinenwichtigenBeitragundzeigteinen
gangbarenWegauf,dieeuropäischeSchuldenkrisedauerhaftzuüberwinden.
42
Appendix
Appendix
Abbildung 4: Beispiele für Schuldenabbaupfade: Schuldenstandsquote zu Beginn90 Prozent, drei Prozent nominales Wirtschaftswachstum, Zielschulden-standsquoten von 15, 30 und 45 Prozent
Quelle: Prognos
20
40
60
80
100
120
45 Prozent 30 Prozent 15 Prozent
605550454035302520151050
17,4 24 39,3
zulässige Defizitquote bei Zielschuldenstandsquote von 45: 1,35 %30: 0,90 %15: 0,45 %
43
Appendix
Abbildung 5: Beispiele für Schuldenabbaupfade: Schuldenstandsquote zu Beginn 120 Prozent, vier Prozent nominales Wirtschaftswachstum, Zielschulden-standsquoten von 15, 30 und 45 Prozent
Quelle: Prognos
20
40
60
80
100
120
45 Prozent 30 Prozent 15 Prozent
605550454035302520151050
21,8 28,7 43,7
zulässige Defizitquote bei Zielschuldenstandsquote von 45: 1,8 %30: 1,2 %15: 0,6 %
44
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46
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildungen
Abbildung1: TatsächlicheDefizitquotenseitBeginnderBeitrittsvorbereitungen
undlangfristigzulässigeDefizitquoten,diebeigegebenem
WachstumkompatibelmiteinerSchuldenstandsquotevon
60Prozentsind 17
Abbildung2: BeispielfüreinenSchuldenabbaupfad:Schuldenstandsquote
zuBeginn120Prozent,vierProzentnominalesWachstum 27
Abbildung3: AnpassungderzulässigenDefizitquotenachSprungder
Schuldenstandsquoteauf105Prozent,zehnJahrenach
Konsolidierungsbeginn,vierProzentnominalesWachstum 28
Abbildung4: BeispielefürSchuldenabbaupfade:Schuldenstandsquotezu
Beginn90Prozent,dreiProzentnominalesWirtschaftswachstum,
Zielschuldenstandsquotenvon15,30und45Prozent 42
Abbildung5: BeispielefürSchuldenabbaupfade:Schuldenstandsquotezu
Beginn120Prozent,vierProzentnominalesWirtschaftswachstum,
Zielschuldenstandsquotenvon15,30und45Prozent 43
Tabellen
Tabelle1 NominalesBIP-Wachstum,DefizitquotenundSchuldenstands-
quotenindenEU-MitgliedstaatenvonBeginnderBeitritts-
vorbereitungenbisEnde2010 15
Tabelle2: Schuldenstände,übermäßigeVerschuldungundmaximal
zulässigeDefizitquoten 19
Tabelle3: EntwicklungderStaatsverschuldungbeihypothetischerEin-
führungdereuropäischenSchuldenbremseabdemJahr2000 22
Tabelle4: ZeitlicherRahmenundmittelfristigzulässigestrukturelle
DefizitquoteimRahmenvonMaastricht2.0 33
Tabelle5: EntwicklungderSchuldenstandsquotenunterBerücksichtigung
gesamtwirtschaftlicherRückwirkungenimRahmender
europäischenSchuldenbremseundunterMaastricht2.0 35
Tabelle6: DifferenzzwischenMaastricht2.0undeuropäischerSchulden-
bremse,BruttoinlandsproduktundBruttoinlandsprodukt
jeEinwohner,2015bis2030,inMrd.Euro 37
47
48
Über die Autoren
Dr. Michael BöhmeristMarktfeldleiterimBereich„WirtschaftundArbeit“
derPrognosAGinMünchen.
Jan Limbers istProjektleiterimBereich„WirtschaftundArbeit“
derPrognosAGinBasel.
Sabrina Schmutz istJuniorberaterinimBereich„WirtschaftundArbeit“
derPrognosAGinBasel.
Dr. Johannes Weisser istBeraterimBereich„WirtschaftundArbeit“
derPrognosAGinMünchen.
Über das Projekt “Global Economic Dynamics” (GED)
DasProjekt“GlobalEconomicDynamics”(GED)derBertelsmannStiftungsollzueinembesse-
renVerständnisderwachsendenKomplexitätglobalerWirtschaftsentwicklungenbeitragen.Durch
den Einsatz modernster Werkzeuge und Methoden zur Messung, Vorhersage und Darstellung
weltwirtschaftlicherDynamikenzieltdasProjektdaraufab,Globalisierung, ihreökonomischen
EffekteundihrepolitischenKonsequenzentransparenterundfassbarerzumachen.
KontaktBertelsmann Stiftung
GEDTeam
ProgrammNachhaltigWirtschaften
Carl-Bertelsmann-Straße256
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Telefon +49524181-81353
Fax +49524181-681353
GED Team
LeitungAndreas Esche
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49
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Telefon +49524181-81157
Fax +49524181-681157
Samuel George
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Fax +49524181-681384
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Telefon +49899541586-701
Fax +49899541586-719
50
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