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BULLETIN Schutzgebühr Fr.12.– MAGAZIN DER EIDGENÖSSISCHEN TECHNISCHEN HOCHSCHULE ZÜRICH Nummer 294 August 2004 REISE ZUM MITTELPUNKT DER ERDE

MAGAZIN DER EIDGENÖSSISCHEN TECHNISCHEN … · MAGAZIN DER EIDGENÖSSISCHEN TECHNISCHEN HOCHSCHULE ZÜRICH Nummer 294 August 2004 REISE ZUM MITTELPUNKT DER ERDE. ... ETH Zentrum,8092

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BULLETINSchutzgebühr Fr. 12.–

M AG A Z I N D E R E I D G E N Ö S S I S C H E N T E C H N I S C H E N H O C H S C H U L E Z Ü R I C H

Nummer 294 August 2004

REISE ZUM MITTELPUNKT

DER ERDE

IMPRESSUM:

HERAUSGEBERIN: Schulleitung der ETH Zürich

REDAKTION: Lic. phil. I Martina Märki-Koepp (mm), RedaktionsleitungLic. phil. Vanja Lichtensteiger-Cucak (vac), Redaktion & En brefDr. Felix Würsten, Alumni AktuellCorporate Communications der ETH Zürich ETH Zentrum, 8092 ZürichTel. 01-632 42 52 Fax 01-632 35 25

INSERATE: Go! Uni-Werbung, Rosenheimstr. 129008 St. Gallen, Tel. 071-244 10 10

GESTALTUNG: Inform, Agentur für visuelle Kommunikation AG, Zürich

FOTOS: Daniel Fabian: Umschlag, Seite 22, 26, 30, 34, 42, 46, 50, 52, 56Marco Kiessler: Seite 44IG GBTS-Lombardi AG, Bauleitung Bodio: Seite 3, 20, 24, 32, 36, 48, 54Hans Dücker; www.t04.de/stoffel.htm: Seite 4, 14, 28

DRUCK: NZZ Fretz AG, Zürich

AUFLAGE: Erscheint 4-mal jährlichAuflage dieser Ausgabe 27 000

Nachdruck mit Quellenangabe erwünscht. Die nächste Ausgabe, Nr. 295,zum Thema «Biomaterialien» erscheint im November 2004.Bulletin ist auch abrufbar unter: http://www.cc.ethz.ch/bulletin/

I N H A LT

6_ Die Entstehung der Erde und ihres KernsZ U R Ü C K I N D I E E R D G E S C H I C H T E

Rainer Wieler

10_ Ventile des ErdinnernV U L K A N E – F E U E R D E R E R D E

Volker Dietrich

14_ Seismologische UntersuchungenWA S S E R I M T I E F E R E N E R D I N N E R N

Domenico Giardini und Eduard Kissling

18_ Geodäsie und Gebirgsverformung T I E F E T U N N E L B AU W E R K E I N D E N A L P E N

Hilmar Ingensand, Simon Löw und Christian Zangerl

22_ AlpTransit: Tunnelbau und Grundwasser im Aar- und Gotthard-MassivW E LTM E I ST E R I M T U N N E L B AU

Simon Löw

26_ Das Erdmagnetfeld und der PaläomagnetismusDA S G E H E I M N I S D E S E R D I N N E R E N

William Lowrie

30_ Leben unter der ErdoberflächeM E H R A LS N U R R I E S E N P I LZ E ?

Josef Zeyer, Martin Schroth, Jutta Kleikemper und Helmut Bürgmann

34_ Wasser unter der ErdeG R U N DWA S S E R W E LT W E I T

Fritz Stauffer

38_ Erzlagerstätten D I E « W E LT » U N T E R D E N V U L K A N E N

Thomas Pettke, Werner E. Halter und Christoph A. Heinrich

42_ Geothermische EnergieST R O M U N D WÄ R M E F Ü R D I E Z U KU N F T ?

Klaus Fröhlich und Willy Gehrer

46_Gefahr für Leib und LebenKÖ N N E N E R D B E B E N VO R H E R G E S AG T W E R D E N ?

Stefan Wiemer

50_ Die Tiefen der ErdeDA S G E H E I M N I S D E S M AG M A S

Max W. Schmidt und Peter Ulmer

54_ Die Zukunft der internationalen OzeanbohrprogrammeD I E R E I S E U N T E R D E N M E E R E S B O D E N

Flavio S. Anselmetti und Judith A. McKenzie

58_ En bref

68_Alumni Aktuell

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E D I TO R I A L

D I E E R D E – D E R U N B E K A N N T E P L A N E T

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Der Beginn dieses Jahres stand ganz im Zeichen des Mars. Der Wettlauf zum unerforschten roten Planeten zwischen NASA und der European Space Agency bescherte uns atemberau-bende Bilder und Raum für viele Spekulationen. Fast konnte man meinen, die Zukunft liegedort, geheimnisvoll und herausfordernd. Die Erde dagegen: alt vertraut, längst erforschtund ohne Geheimnisse. Wirklich? Ein Blick der Redaktion auf heutige Forschungsfragen derErdwissenschaften zeigte das Gegenteil. Die Idee zu einer aktuellen Version der «Reise zumMittelpunkt der Erde» versprach plötzlich ebenso aufregend zu werden wie der gleichnamigefantastische Roman, den Jules Verne im Jahr 1864 verfasst hat. Seine These allerdings, die Erde sei hohl und berge ein Meer, in dem sich allerlei prähistorische Tiere tummeln, ist schonlange widerlegt.

Heute gehen die Wissenschaftler davon aus, dass der innere Erdkern aus festen, der äussereErdkern aus flüssigen Eisen-Nickel-Verbindungen besteht. Im inneren Erdkern herrschen Temperaturen von etwa 4300 °C. Der fast doppelt so dicke äussere Erdkern ist nur geringfügigkälter. Im unteren Erdmantel sinken dann die Temperaturen rapide auf 1000 °C ab. Er bestehtaus festen Verbindungen von Sauerstoff mit Silizium, Magnesium, Aluminium oder Eisen. Un-terer und oberer Erdmantel sind durch die nur wenige hundert Kilometer dicke Übergangs-zone verbunden. Im oberen Erdmantel wird der Motor für die Bewegung der Erdplatten ver-mutet. Das Gestein in dieser Schale ist meist plastisch, das heisst zäh wie Knetmasse. DerErdball wird von einer harten Kruste bedeckt. Die Erdkruste ist die am besten untersuchte

Schale unseres Planeten. Wissenschaftler haben errechnet, dass die Erde 4,6 Milliarden Jahre alt ist, einen Umfang von rund 40075 Kilometern und einen Durchmesser von zirka 12 742 Kilometern hat und 5976 x 1024 Kilogramm wiegt. Doch wirklich ins Innere des blauenPlaneten sind sie «nur» etwa 9 Kilometer gekommen.

Seismologische Messungen, Magnetfelduntersuchungen, die Analyse von durch Vulkane andie Erdoberfläche geschleudertem Material aus dem Erdinneren oder von Meteoriten und andere Methoden müssen den Erdwissenschaftlern das Floss ersetzen, mit dem Jules VernesForscher das Erdinnere erforschte. Die aktuelle Ausgabe des ETH Bulletins nimmt Sie mitauf eine Entdeckungsreise unter die Erdoberfläche, die mit den verschiedensten MethodenEinblick in ganz unterschiedliche Ebenen des Erdinneren nimmt.

Martina Märki-KoeppRedaktion ETH-Bulletin

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Man sollte meinen, die Entstehung der Erdesei für die Naturphilosophen immer einzentrales Thema gewesen. Lange Zeit wardem aber nicht so. Zwar hatten ImmanuelKant und Pierre Simon de Laplace schon im18. Jahrhundert Sonne und Planeten auseinem «Urnebel» entstehen lassen. Einigeihrer Gedanken klingen so modern, dass dieheutigen Theorien über die Bildung desSonnensystems kollektiv als Kant-Laplace-Kosmogonie bezeichnet werden. In derMitte des 19. Jahrhunderts gewann aberder Aktualismus die Oberhand. Demnachsind alle geologischen Formationen alleindurch Prozesse erklärbar, die wir auchheute beobachten. Die Geschichte der Erdeist zyklisch und nicht gerichtet. In diesesBild passte die Vorstellung kaum, dass dieErde einst von heute verschieden war, undnoch weniger, dass sie einmal einen Anfanghatte. Der Geochemiker Claude Allègrenennt dies das Tabu der Genesis. Erst in derzweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts rücktedas Studium der Entstehung der Erde wie-der ins Zentrum der Naturwissenschaften,ausgelöst zum Beispiel durch Fragen nachder Herkunft der grossen Krater auf demMond oder nach Gemeinsamkeiten zwi-schen Meteoriten und Erde.

Meteorite – wichtig für das Verständnis der Erde

Die Idee, dass Meteorite wichtig für dasVerständnis der Erde sind, wurde allerdingsschon früher geäussert. Zu einer Zeit, alsdie meisten Gelehrten die Möglichkeitrundweg ablehnten, Steine könnten vomHimmel fallen, nahm Ernst F. F. Chladnisolche Berichte ernst. Und weil auch vieleMeteorite Eisenklumpen sind, kam er 1794zum Schluss: Eisen dürfte ein gemeinsamerHauptbestandteil bei der Bildung der Welt-körper sein. Auch im Innern der Erde muss

eine grosse Menge Eisen vorhanden sein, dadie Schwere der Gesamterde viel grösser alsdie der Oberflächengesteine ist.Weitergeführt wurde dieser Gedanke hun-dert Jahre später von Emil Wiechert. Da-mals glaubte man, Festkörper seien auchunter höchstem Druck kaum komprimier-bar. Er schloss deshalb, dass die Erde imZentrum einen Kern aus metallischem Ei-sen haben müsste, welcher klar von einemdarüberliegenden leichteren Mantel ausGestein unterscheidbar sei. Neben Eisenwaren damals auch für uns exotisch anmu-tende Ideen diskutiert worden, wonach diehohe Dichte der Erde durch einen Kern ausBlei oder Gold, oder dann aus hoch kompri-mierten Gasen bedingt sei. Die Idee einesErdkerns wurde also geboren, bevor Erdbe-benwellen direkte Aufschlüsse über deninneren Aufbau unseres Planeten lieferten.Heute wissen wir, dass die Gesteine im Erd-mantel zwar dichter sind als die Krustenge-steine, dennoch sind Chladnis und Wie-cherts Hypothesen bestätigt worden. Nachder Installation von Seismographen auf derSüdhalbkugel konnten Durchmesser undDichte des Erdkerns bestimmt werden. Erbeinhaltet 32% der Masse der Erde, was mitmetallischem Eisen erklärbar ist, nicht abermit Blei oder Gold.

Der Urnebel von einst – Akkretionsscheibe

Wie die Erde vor etwa 4,6 Milliarden Jahrenzusammen mit den anderen inneren Plane-ten gebildet wurde, scheint heute in denGrundzügen einigermassen klar zu sein(siehe auch Artikel Wieler, sowie ArtikelBenz, Bulletin, August 2003). Der Urnebelvon Kant und Laplace heisst heute Akkre-tionsscheibe. Dies war eine Ansammlungaus Gas und Staub in der Äquatorebene derjungen Sonne, aus der die Planeten sich

zusammenballten oder «akkretierten». Ak-kretionsscheiben entstehen, wenn Frag-mente einer astronomischen «Molekül-wolke» aus Staub und Gas wegen derSchwerkraft kollabieren. In der rotierendenAkkretionsscheibe koagulierten zuerstfeinste Staubkörner zu grösseren Aggrega-ten. Diese wiederum verbanden sich erst zukleinen Klumpen und später zu immergrösseren Körpern. Nach wenigen zehntau-send oder hundertausend Jahren kreistenviele «Planetesimale» von der Grösse derheutigen Asteroide um die Sonne. Innertmehrerer 10 Millionen Jahre sind danndurch Kollisionen zwischen Planetesimalen– zum Schluss hatten sie teilweise dieGrösse von Mars – die vier inneren PlanetenMerkur, Venus, Erde und Mars entstanden.

Die Erde früher. . .

Wie sah nun die junge Erde innen aus? Warsie einst homogen und trennte sich erstspäter auf in einen Kern aus metallischemEisen und einen Mantel aus Gesteinen, be-stehend aus siliziumreichen Mineralen (Si-likaten)? Oder ist der Kern zusammen mitdem Planeten gewachsen? Die Frage istschwierig zu beantworten. Die ältesten be-kannten Gesteine auf der Erde sind mehrals 500 Millionen Jahre jünger als der Kern.Wir können also weder «eingefrorene» Mag-netfelder studieren, die ein früher Kern er-zeugt haben mag, noch können wir direktden Eisengehalt solch früher Gesteine mes-sen. Wir können aber Chladnis Idee weiter-führen und Meteorite zu Rate ziehen.Meteorite sind Proben von Asteroiden, dasheisst von überlebenden Bausteinen derPlaneten. In vielen Meteoriten sind in derTat metallisches Eisen und Silikate fein ver-teilt und etwa im gleichen Massenverhält-nis zu finden wie in Kern und Mantel derErde. Es gibt also Asteroide, welche nicht so

D I E E N T ST E H U N G D E R E R D E U N D I H R E S K E R N S

Z U R Ü C K I N D I E E R D G E S C H I C HTER A I N E R W I E L E R

Wie sah die junge Erde aus? Woraus bestand sie? Seit wann existiert der Erdkern? Und schliesslich: Wie alt ist unser Planet? Messungen und Modellrechnungen der ETH-Forscher geben Auskunft.

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heiss wurden, dass sich Eisen und Silikatevoneinander trennten. Dies sind aber nurkleine Körper von kaum mehr als hundertKilometer Grösse. Daneben gibt es sehr ei-senarme Meteorite und solche, die fast nuraus Eisen-Nickel-Legierungen bestehen.Diese kommen offensichtlich aus grösserenAsteroiden, welche innen sehr heiss wur-den, wobei sich metallisches Eisen von denSilikaten trennte und im Kern der Asteroidesammelte. Diese Trennung geschah sehrfrüh, innerhalb weniger Millionen Jahrenach dem Kollaps der Molekülwolke. DieWärmequelle war vermutlich der Zerfallvon radioaktivem Aluminium-26 oder viel-leicht auch Eisen-60. Diese Isotope sindheute vollständig ausgestorben.

Seit wann existiert der Erdkern?

Wir können also davon ausgehen, dass zu-mindest die grösseren Bausteine der Erdeihrerseits bereits einen Kern hatten. Esscheint deshalb äusserst unwahrschein-lich, dass die Erde selbst während ihrerganzen Bildungsphase homogen gemischtblieb. Mit den Mitteln der Isotopengeologielässt sich eine relativ frühe Trennung vonErdkern und Erdmantel beweisen. DasWerkzeug hierfür ist der radioaktive Zerfalldes Isotops Hafnium-182 in Wolfram-182mit einer Halbwertszeit von 8,9 MillionenJahren (siehe Abb. 1). Wolfram hat eine che-mische Affinität zu Eisen und sinkt somitvorwiegend in den Kern ab, während Haf-

nium ausschliesslich in den Silikaten desMantels konzentriert wird. Wenn nun derKern entstand, solange das 182Hf noch nichtvollständig zerfallen war, wird der an Haf-nium reiche Mantel heute ein grössereMenge 182W (oder genauer ein grösseres182W/184W-Verhältnis) aufweisen als derKern ohne Hafnium. Wir haben zwar keineProben vom Erdkern, um dies direkt zu prü-fen, aber wir können davon ausgehen, dassdie Erde im Mittel dasselbe 182W/184W Ver-hältnis hat wie die unveränderten Meteo-rite aus den kleinen Mutterkörpern. DerErdmantel sollte also im Vergleich zu Me-teoriten am Isotop 182W aus dem Zerfall von182Hf angereichert sein. Das ist in der Tat so.Allerdings ist der Unterschied zwischenMantelproben und Meteoriten nicht leichtzu messen, beträgt er doch nur gerade 0,2 Promille.Somit ist klar, dass die Erde bereits einenKern hatte, als noch 182Hf vorhanden war,das heisst, der Erdkern ist seit spätestensetwa 50–60 Millionen Jahren nach der Bil-dung der ersten Meteorite vom silika-tischen Mantel isoliert. Soweit herrscht Ei-nigkeit. Versuche, die Kernbildung genauerzu datieren, stellen uns nun allerdings vordas Problem, dass wir nicht wissen, wie sieim Detail vor sich ging. Hat sich bei jedemneuen Einschlag das gesamte Material desProjektils zuerst gut mit dem Mantel derProtoerde gemischt, bevor dann das Eisendes Projektils relativ schnell in den wach-senden Erdkern absank? Dies ist denkbar,weil die Einschlagsenergien enorm sind

und weil der frühe Erdmantel vielleichtgrossenteils aufgeschmolzen war. Oder istvielleicht das Eisen aus den Kernen vonbereits differenzierten Planetenbausteinenmindestens teilweise direkt in den Kern derProtoerde abgesunken? Für dieses Szenariosprechen nummerische Simulationen desRieseneinschlags, dank dem sich wohl derMond gebildet hat. Ein grosser Teil desMaterials aus dem Eisenkern des Projektils(genannt Theia) kommt in den Simulatio-nen direkt auf den Kern der Protoerde zuliegen (Abb. 2). Oder hat es doch einen wohldefinierten Zeitpunkt in der Geschichte derfrühen Erde gegeben, in dem letztmals dasgesamte Eisen und die Silikatmineralien –und damit die Isotope von Hafnium undWolfram – gut durchmischt waren? Daskönnte zum Beispiel der Fall gewesen sein,wenn der Rieseneinschlag, welchem derMond seine Existenz verdankt, die ganzeErde wieder homogenisierte, was aller-dings im Widerspruch zu den heutigenSimulationen steht.

Wie schnell hat sich die Erde gebildet?

Diese verschiedenen Szenarien resultierenin unterschiedlichen scheinbaren Altern fürden Erdkern. Die letztgenannte Möglichkeitist formal am einfachsten zu behandeln.Eine augenblickliche Kernbildung wäregemäss den Hf-W Daten etwa 30 MillionenJahre nach der Bildung der ersten Meteori-

Abb. 1: Das radioaktive Isotop 182Hf (Halbwertszeit: 8,9 Millionen Jahre) wurde in Sternen nahe der zukünftigenSonne hergestellt und von dort in die solare Akkretionsscheibe aus Staub und Gas eingebracht. Ein Teil davonwurde schliesslich in die Bausteine der Erde und die Erde selbst inkorporiert. Bei einer Trennung von metallischemEisen und gesteinsbildenden siliziumreichen Mineralien geht Wolfram vorwiegend mit dem Eisen in den Kern,Hafnium verbleibt ausschliesslich im silikatischen Mantel. Falls bei der Erde diese Trennung stattfand, solange einTeil des 182Hf noch vorhanden war, so wird der Erdmantel (hohes Hf/W) heute etwas mehr 182W haben als der Kernmit niedrigem Hf/W. Die Häufigkeit des Isotops 182W wird dabei relativ zur Häufigkeit eines anderen Isotops vonWolfram gemessen (meist 184W), welches nicht durch den radioaktiven Zerfall beeinflusst wird (hier nicht gezeigt).Die Unterschiede sind allerdings so klein, dass sie hier 1000-mal vergrössert dargestellt werden müssen.

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ten erfolgt. Da wir oben ausgeschlossenhaben, dass der Kern aus einer bis zu die-sem Zeitpunkt stets homogenen Protoerdeabsank, müsste dieses hypothetische Ereig-nis wie gesagt am ehesten den Riesenein-schlag und die Bildung des Mondes datie-ren. Wenn die Kernbildung kontinuierlicherfolgte und die neu einfallenden Planete-simale alle immer vollständig mit demMantel der Protoerde durchmischt wurden,so definieren die Hf-W-Daten eher eine Bil-dungsgeschwindigkeit statt eines «Alters»für die Erde und ihren Kern. Nach nur etwa10 Millionen Jahren wäre die Erde bereits zuknapp zwei Dritteln vorhanden gewesen,nach 25 Millionen Jahren bereits zu 90%und nach 30 Millionen Jahren hätte siepraktisch ihre heutige Masse gehabt.

Der Erdkern wuchs parallel zur Erde

Eine solch «schnelle» Bildung des Erdkernsist allerdings mit verschiedenen anderenBeobachtungen kaum in Einklang zu brin-gen. Das Wachstum der Erde durch Ein-schläge von Planetesimalen wird von ver-schiedenen Gruppen mit dem Computersimuliert. Mit den wahrscheinlichsten An-fangsbedingungen ergeben die Modellemeist Bildungsdauern von 50 bis 100 Mil-lionen Jahren. Ausserdem deutet auch einanderes Isotopensystem auf eine langsa-mere Bildung der Erde hin, nämlich der ra-dioaktive Zerfall von Uran und Thorium zuBlei. Modellrechnungen am Institut für Iso-

topengeologie und Mineralische Rohstoffeder ETH zeigen denn auch, dass die Häufig-keiten der Wolfram-Isotope eine langsameBildung der Erde bedingen, falls die Plane-tesimale nicht vollständig mit dem Mantelder Protoerde gemischt wurden. Die Datenkönnen zum Beispiel mit einem Einschlagvon Theia nach 55 Millionen Jahren erklärtwerden, wenn dabei etwa drei Viertel desEisenkerns von Theia direkt in den Kern derProtoerde absank und nur das restlicheViertel mit dem Erdmantel gemischt wurde.Auch die Wolfram-Daten des Mondes selbstdeuten auf eine «späte» Bildung nach rund50 Millionen Jahren hin.Wahrscheinlich ist also der Erdkern mehroder weniger parallel zur Erde selbst ge-wachsen. Der absolute Massenzuwachswar am Anfang wohl schneller als später,weil die Zahl der Planetesimale kontinuier-lich abnahm. Der Rieseneinschlag vonTheia passierte vermutlich etwa 50 Millio-nen Jahre nach der Bildung der ersten Me-teorite. Die Modellrechnungen an der ETHzeigen aber auch, dass mit Wolfram-Analy-sen, auch wenn sie noch so präzise sind, dasAlter beziehungsweise die Bildungsrate derErde nicht mit beliebiger Genauigkeit ge-messen werden können, solange wir nichtbesser verstehen, wie die Trennung zwi-schen Mantel und Kern vonstatten ging.

Ich danke Philipp Heck, Ghylaine Quitté undUwe Wiechert für ihre Mithilfe an diesemBeitrag.

Prof. Rainer Wieler Departement für Erdwissenschaften ETH Zürich

Abb. 2: Resultate einer Simulation des Einschlags des Planetesimals «Theia», der zur Bildung des Erdmonds führte.Theia hatte ungefähr die Grösse des Planeten Mars. Die Figuren zeigen Querschnitte durch die Protoerde kurz nachdem Einschlag. In der linken Figur ist Material, das ursprünglich aus Theia kam, rot dargestellt, in der rechten Figurist Eisen rot und die Silikate sind blau codiert. Die Kombination beider Figuren zeigt, dass sich ein grosser Teil vonTheias Eisenkern direkt um den ursprünglichen Kern der Protoerde gelegt hat, während Theias Mantel vorwiegendan der Oberfläche der Erde deponiert wird. Ebenfalls schwach zu sehen ist Material in Umlaufbahnen um die Erde,aus welchem später der Mond akkretiert. [Nachdruck aus: «Simulations of a Late Lunar Forming Impact», Canup R.M., Icarus 168, 433 (2004), mit Genehmigung von Elsevier].

ForschungsinformationenEin Forschungsschwerpunkt des Laborsfür Isotopengeologie ist das Studiumder Frühgeschichte des Sonnensystemsmittels hochpräziser Isotopenanalysenan Meteoriten und irdischen Proben.

[email protected]. 044 632 37 32Fax 044 632 11 79

Weitere Informationen unter:http://www.erdw.ethz.ch/Institut.cfm?ID_Inst=2705&language=1

LiteraturC. Allègre (1992): De la pierre à l’étoile,Paris, Fayard (Englisch: From stone tostar (1992), Harvard University Press,Cambridge MA).

A. N. Halliday (2004): Mixing, volatileloss and compositional change duringimpact-driven accretion of the Earth,Nature, 427, 505.

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V E N T I L E D E S E R D I N N E R N

V U L K A N E – F E U E R D E R E R D EVO L K E R D I E T R I C H

Furcht und Faszination: Unerschöpfliche Flüsse aus heissem und kaltem Wasser fliessen, in der Tiefe ein gewaltiger, gewundener Feuerstrom. Die Erde schmilzt. Vulkanausbrüche gibt es seit der Entstehung unseres Planeten, seit 4,5 Milliarden Jahren. Heute sind ungefähr 600 Vulkane aktiv, einige weitere tausend verharren vorläufig in Ruhe. Kann man Vulkaneruptionen vorhersagen?

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Pro Jahr fördern Vulkane zirka 2 km3 Lavenund Asche sowie grössere Mengen an Was-ser und Gasen. Weit grössere Magmamen-gen (zirka 15 km3/Jahr) ergiessen sich konti-nuierlich in unzähligen Vulkanen und for-men dabei den über 70 000 km langen mit-telozeanischen Rücken. All diese sichtbarenund quantifizierten Magmamengen stellenjedoch nur einen Bruchteil des geschmolze-nen Materials dar, das aus den Tiefen desErdinnern an die Oberfläche gelangt. Dergrösste Schmelzanteil erstarrt in den kal-ten Lithosphärenplatten und oberen Krus-tenpartien.Vulkane an der Erdoberfläche sind Aus-drucksformen hoher geodynamischer Akti-vität des Erdmantels und der Lithosphäresowie Zeugnisse kontinuierlicher Materie-und Energieabgabe. Vulkane treten sowohlan Plattengrenzen als auch innerhalb vonkontinentalen und ozeanischen Platten auf.Im mittelozeanischen Rücken (divergieren-de Plattengrenzen) markiert Vulkanismus das ständige Anwachsen der ozeanischenPlatten, ausgelöst durch das Aufschmelzenheisser Mantelgesteine entlang schmaler,aus der Tiefe aufsteigender Wärmezonen(Prozesse der Mantelkonvektion und De-kompression nahe der Erdoberfläche). ÜberSubduktionszonen (divergierenden Platten-grenzen) der in den heissen Erdmantel ab-tauchenden erkalteten, starren ozeani-schen Platten entstehen die gefährlichenvulkanischen Feuergürtel mit ihren lang-lebigen Stratovulkanen und grossräumigenkrustalen Magmakammern, welche überJahrmillionen zu granitoiden Gesteinsmas-sen (Plutonen) erkalten. Der Ursprung dieserMagmen wird auf ein gewisses Aufschmel-zen von Erdmantelgesteinen zurückgeführt,welchem komplexe thermodynamische Pro-zesse und Eintrag von wässrigem «Fluid» inden Erdmantel zugrunde liegen.

Diamanten – bis zu 200 km tief imErdmantel versteckt

Vulkanfelder auf Kontinenten und Meeres-böden («hot spots») entstehen ebenfallsdurch Aufschmelzen von Erdmantelgestei-nen, bedingt durch den Aufstieg heissenErdmantelmaterials («plumes») aus gros-sen Manteltiefen, die wahrscheinlich bis zu2900 km an den Rand des Erdkerns reichenkönnen. Beispiele stellen Island, die Ketteder Hawaii-Emperor-Vulkane und die zwei-bis dreitausend Kilometer langen, sym-metrischen und erloschenen Vulkankettender Walfisch- und Rio-Grande-Rücken imSüdatlantik dar. Vor 120 Millionen Jahrenwurden aus einer gemeinsamen Mantel-

quelle die grossflächigen Deckenbasaltedes Parana (heute Südamerika) und desEtendeka (Namibia) gefördert. Heute er-giessen sich die Laven, noch immer durchdie gleichen «plumes» gespeist, aus denVulkanen Tristan da Cunha und Gough imZentrum des Südatlantiks.Die eindrucksvollsten Vulkaneruptionen –Ventile des Erdinnern – lieferten uns «kano-nenschussartige» Vulkaneruptionen, welcheTuffschlote und Kimberlit-Diatreme in denalten Kontinentalschilden Südafrikas, Sibi-riens und Australiens hinterlassen. CO2- undMagmaeruptionen fördern in diesen Vul-kanschloten eine riesige Vielfalt von Mine-ralien und Gesteinen aus dem oberen Erd-mantel zutage, darunter den wertvollstennatürlichen Rohstoff, den Diamanten. Seites mit Hochdruckexperimenten gelungenist, Diamanten synthetisch herzustellen,wissen wir, dass seine natürliche Kristallisa-tion 150 bis 200 km tief im Erdmantel liegt.

Die Menschheit im Banne der Vulkankatastrophen

Vulkanausbrüche erzeugen Furcht und Fas-zination. Als unerklärbare Ereignisse wer-den sie verwüstend und todbringend inMythen, Legenden und selbst in der Bibeldargestellt. Sie haben unsere Weltanschau-ung und den Glauben massgeblich beein-flusst.Einzigartig in der Menschheitsgeschichteerscheint die hochstehende kykladisch-mi-noische Kultur und Religion im ägäischenRaum, der Handel und die Schifffahrt sowieihr Untergang durch die gigantische Vulkan-eruption Santorins vor 3640 Jahren.Während Aschewolken tagelang das Son-nenlicht verdrängten, zerstörten riesigeFlutwellen, entstanden durch Glutlawinenund den Einbruch der grossen Caldera, dieKüsten Kretas und der umliegenden kykla-dischen Inselwelt. Die Harmonie des Natur-glaubens wird durch allmächtige Götterdes Guten und des Bösen abgelöst. Die At-lantis-Sage über eine Welt, welche im Meerversank, scheint auf dem grössten Vulkan-ausbruch der Frühantike zu beruhen. Grie-chische Sagen berichten von völliger Fins-ternis, Erde- und Feuerregen, Bergen hoherWellen und der Deukalionischen Flut. Auchdie Schilderungen im «Alten Testament»,die Plagen und Wunder, spiegeln derartigeNaturkatastrophen wider.Erst tausend Jahre später deuten griechi-sche Philosophen und Geographen wie Ais-chylos und Pindar die vulkanische Tätigkeitdes Ätna. Sie ist das Werk von Hephaistos,dem Gott des Feuers. In seiner unterir-

dischen Schmiede bearbeitet er, in Rauchund Funken gehüllt, die Waffen der Göttermit Hammerschlägen auf dem Amboss.Empedokles erklärt die Welt als von vierElementen regiert, die der «Ursprung allerDinge» sind: Das unterirdische Feuer, dasWasser, die Luft und die Erde. In der griechi-schen Mythologie tritt neben der lebens-zerstörenden auch die lebenserhaltendeSeite der Vulkangewalten zutage: mit demGeschenk des Feuers, das er dem Hephais-tos in der Tiefe gestohlen hatte, verhalf Prometheus dem Menschen zu seiner wah-ren Existenz. Als erster erklärt Platon dieEntstehung des Basalts: «Die ‹unterirdi-schen Welten sind durch zahllose Kanäle ver-bunden›, in denen ‹die unerschöpflichenFlüsse aus heissem und kaltem Wasserfliessen. In der Tiefe nährt ein gewaltiger,gewundener Feuerstrom, der Pyriphlegeton,die vulkanischen Öffnungen.›Manchmal, wenn die Erde durch das Feuergeschmolzen wird und sich wieder abkühlt,entsteht ein Stein von schwarzer Färbung.»

Das ewige Feuer der Hölle

In der christlichen Vorstellungswelt verdeutli-chen Vulkanausbrüche sowohl den Allmächti-gen als auch das ewige Feuer der Hölle.Jahwe, der Gott der Israeliten, ähnelt in selt-samer Weise einem Vulkan. Er lässt, berichtetdie Heilige Schrift, Schwefel und Feuer überSodom und Gomorra regnen.Die dramatische Schilderung Plinius’ desJüngeren über die gigantische Eruption desVesuv 79 n. Chr. lässt den Schluss einer direk-ten Beziehung zwischen Naturkatastropheund der visionär phantastischen Bildhaftig-keit der Offenbarung des Johannes zu. Derkausale Zusammenhang wird durch Einbezugder Chronologie deutlicher. Nach einem Le-ben voller Leid und Unterdrückung der Judenund Christen erschütterte die völlig unvorher-gesehene Eruption des Vesuvs am 24. August79, welche die blühenden Städte KampaniensPompeji und Herkulaneum unter Ascheregen,Glutwolken und Schlammströmen begrub,als direkten Zeugen des Chaos seinen Glau-ben und seine Weltanschauung. Nach derMachtergreifung des grausamen DespotenDomitian im Jahre 81 wird Johannes nachPatmos verbannt, wo er noch im hohen Alterdas Evangelium verkündet. Altersgeschwächtund nur von einem Schüler begleitet, ver-bringt er sein Exil in einer Höhle unterhalb derChora, welche zum Quell der Entstehung derApokalypse werden soll. Sie liegt als Erosions-produkt der Stürme eingebettet inmitten ei-nes Vulkankegels, umgeben von MillionenJahre alten Vulkanschloten.

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Zwiespältige Vorstellungen

Während orientalische Überlieferungen voneinem reinigenden Feuerstrom der Vulkaneberichten, benutzt der katholische Funda-mentalismus die feurigen Naturgewalten zurepressiven Fegefeuervorstellungen.Aus der Zwiespältigkeit zwischen dok-trinärem Glauben und rationalem Wissens-drang gründet sich das ständige Interesseum die Erkenntnis des Vulkanismus. GegenEnde des «dunklen Mittelalters» gelang esdem Naturforscher und Jesuiten Athana-sius Kircher mit seinem Werk «MundusSubterraneus» (Die unterirdische Welt, 1664),das Interesse an einer nonkonformistischenEntstehungsgeschichte zu entfachen. DieDarstellung zeigt den kugeligen Aufbauder Erde mit ihren Pyrophylaceen (Feuer-herden), welche die feurigen Naturkräfteveranschaulichen, die Vulkane an der Erd-oberfläche speisen und das Meer erwär-men. Doch es sollten noch zwei Jahrhun-derte, geprägt von kirchlich-dogmatischenDoktrinen und dem an Vermutungen ge-knüpften Zwist zwischen Neptunisten undPlutonisten, vergehen, bis die vulkanischenPhänomene im wissenschaftlichen Denkenrichtig erkannt wurden. Gegen Ende des 18.Jahrhunderts verhalf der Schotte JamesHutton, der Begründer der moderneren Geo-logie, auch der Vulkanologie zum Durch-bruch, indem er erkannte, dass granitischewie basaltische Schmelzen, aus dem Erdin-nern kommend, Sedimentgesteine durch-dringen.

Erfolgreiche Vorhersage

Präzise Schilderungen über Eruptionsab-läufe und damit Information über möglichezukünftige Vulkankatastrophen liegen erst200 Jahre zurück. Weltweit trugen zehnbedeutende Ausbrüche dazu bei: Tambora1815, Krakatau 1883, Mont Pelé 1902, Vesuv1906, Katmai 1912, Bezymianny 1956, Mt. St.Helens, Nevado del Ruiz, Pinatubo 1991 undMontserrat 1997.In den Apriltagen des Jahres 1815 explo-dierte der Vulkan Tambora, einige hundertKilometer südwestlich der Südspitze vonCelebes, welcher seit Menschengedenkenim tropischen Dschungel geruht hatte. Seineunglaubliche Eruptionsenergie sprengte inwenigen Tagen ca. 150 km3 Magma und Ge-

steinsmaterial in den Himmel. Die Bilanzwar grauenvoll. 10 000 Bewohner der um-liegenden Inseln wurden Opfer dieser Erup-tionsphase und der damit verbundenenFlutwellen und Stürme, weitere 80 000Menschen starben an Hungersnöten undSeuchen in den folgenden Monaten. DerSommer 1816 wurde durch die Absorptionder Sonnenstrahlen weltweit zu einer Käl-teperiode mit einer durchschnittlichenAbsenkung der Temperatur von 3 oC undden daraus resultierenden Missernten.Nur 68 Jahre später wurde die gleiche Re-gion durch eine weitere Vulkankatastropheheimgesucht. Am 27. August 1883 ver-schwand unter heftigsten Explosionen,welche 5000 km weit zu hören waren, dieVulkaninsel Krakatau in der Sundastrasse.Auf den Nachbarinseln und an den KüstenSumatras und Javas kamen ca. 36 000 Men-schen in den Flutwellen um. Aus vielenSchilderungen dieser Zeit geht hervor, dasssich die Himmelsfarbtöne während einesJahres, bedingt durch feinste Aschenteil-chen des Krakatau in der Stratosphäre, ineinem Spektrum von Blau zu Violett prä-sentierten.Den erschütterndsten Anblick bot jedochdie Hafenstadt St-Pierre auf der Antillen-insel Martinique am 8. Mai 1902. Innerhalbweniger Minuten wurde die gesamte Stadtmit 30 000 Einwohnern von einer mit rund160 Stundenkilometern den Mont Pelé hi-nunter rasenden Glutwolke hinweggefegt.Am 13. November 1985 flimmertenSchreckensbilder aus Kolumbien über dieBildschirme. Das katastrophale Ausmasseiner durch die Eruption des Nevado del Ruiz ausgelösten Schlammkatastrophe mit25 000 Opfern hätte sicher verringert wer-den können, wären Regierungsstellen undlokale Behörden den Warnungen von Vul-kanologen und Katastrophenexperten recht-zeitig gefolgt.Modernste vulkanologische, geophysikali-sche, geochemische und geodätische Über-wachungsmethoden erlaubten dagegen1991 am Pinatubo, unweit der philippini-schen Millionenstadt Manila, eine erfolg-reiche Ausbruchvorhersage. 250 000 Men-schen wurden aufgrund von Vorwarnungenund einer militärisch koordinierten Evaku-ierung vor dem «Jahrhundertausbruch» ge-rettet, der über 10 km3 Material explosiv bisin 30 km Höhe förderte.

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Neapel – Drei Millionen auf dem Pulverfass

Kaum ein anderes Vulkangebiet hat in denvergangenen 50 000 Jahren derart zahlrei-che und verheerende Vulkanausbrüche er-lebt wie jenes der Campi Flegrei mit ihrenüber 25 Eruptionszentren inmitten und amRande einer Mega-Caldera von 20 km Durch-messer und des 1280 m hohen Stratovul-kans Vesuv.Während katastrophale explosive Eruptio-nen in den Campi Flegrei in Grössenordnun-gen von tausenden von Jahren abliefen,waren es aus dem Vesuv nur hunderte vonJahren. So verwüstete die erste Eruption(der grösste Vulkanausbruch Europas) vorzirka 37 000 Jahren mit ihren Glutwolkenflächenhaft die gesamte kampanische Pro-vinz, ein Gebiet von 33 000 Quadratkilome-tern (zwei Drittel der Fläche der Schweiz).Vor 12 000 Jahren folgte ein weiterer Aus-bruch, der die gesamte Region von Neapelzerstörte. Das letzte vulkanische Ereignisdatiert aus dem Jahr 1538, wo während ei-ner Woche am Ufer des Golfs von Pozzuolider 123 m hohe Vulkan Monte Nuovo ent-stand. Seither ruht «Vulcanus». In grosserKrustentiefe sorgen riesige Mengen vonabkühlenden magmatischen Gesteinskör-pern für ständige Zufuhr heisser Gase undWässer (Solfatara), sowie für seismischeUnrast mit starken Hebungen und Senkun-gen in Meterhöhen.Der Vesuv, der bekannteste Vulkan der Erde,der in den vergangenen zweitausend Jah-ren über 150 Eruptionsabläufe hatte, er-scheint gegenüber den Campi Flegrei umDimensionen kleiner. Der katastrophalsteexplosive Ausbruch Ende August 79 n. Chr.

deckte während dreier Tage die Städte Her-kunaleum und Pompeji vollständig mitBimsen, Aschen und Glutwolken und kos-tete Zehntausenden das Leben. Seit diesemInferno zerstörten zahlreiche Eruptionenmit den ebenfalls geförderten Lavamassennahezu alle Siedlungen an den Hängen des Vesuv und den Ufern des Golfes vonNeapel. Zu den schrecklichsten Ereignissenzählen die Ausbrüche von 1631 und 1906.Obwohl der Vesuv seit seinem letzten Aus-bruch 1944 ruht, ist er nicht erloschen. DerUntergrund ist geodynamisch hoch aktivund kontinuierlich mit modernster Mess-methodik durch das «Osservatorio Vesu-viano» überwacht.Doch ungeachtet möglicher Vulkan- undErdbebenkatastrophen wächst ständig dieBevölkerung. Mehr als drei Millionen lebenin der Region Neapel inmitten der blühen-den kampanischen Provinz. Gerade hiersollte das japanische Sprichwort beherzigtwerden: «Naturkatastrophen schlagen zu,wenn man ihre Gefahr vergessen hat.»Seit Jahren bemühen sich Vulkanologen,Regierungsstellen und Zivilschutz um einerealistische Risikoanalyse und deren mach-bare Umsetzung, denn aus der «rotenZone» auf den Hängen des Vesuvs zwi-schen Neapel, Pompeji und Castellamaremüssten im Ernstfall innerhalb von Tagenallein 600 000 Menschen evakuiert wer-den. So hat die Regierung der Region vonCampania ein Programm zur Risikovermin-derung lanciert. Trotz illegalen Bauens willman die Bevölkerungszahl mittels Umsied-lung aus den am stärksten gefährdeten Ge-bieten reduzieren und grosszügige Flucht-strassen anlegen.

ForschungsinformationenJunge Forscher aus dem Institut fürMineralogie und Petrographie der ETHZürich fanden in den Spurengasenzweier sich kontrastierender Vulkane,der Fossa auf der Insel Vulcano (Italien)und des Kudriavi (Kurilen) bei Fumaro-lentemperaturen zwischen 500 und900 Grad Celsius auch die langlebigenhalogenierten Kohlenwasserstoffe. Men-genmässig übersteigen diese Freoneum mehrere Grössenordnungen ihreKonzentrationen in der Umgebungs-luft. Letztere hat man bis heute nurdem industriellen Eintrag zugeschrie-ben (Protokoll von Montreal). Es istdaher absehbar, dass zukünftige Dis-kussionen und Modelle der Atmosphä-renverschmutzung wie diejenige desOzonabbaus vermehrt den natürlichenEintrag durch schlafende Vulkane be-rücksichtigen müssen.

Prof. Volker J. DietrichInstitut für Mineralogie und Petrographieder ETH Zürich

Abb. 1: Ausbruch des Stromboli-Vulkans 2002. Abb. 2: Die Erde mit ihren Feuerherden, Vulkanen und Ozeanen aus «Mundus subterraneus» (Athanasius Kircher, 1664).

Abb. 3: Aufbau und Dynamik des Erdinnern: Ein Simu-lationsmodell, das auf seismischer Tomographie nach U. Hansen und Mitarbeitern beruht (UniversitätMünster; aus GEO März 2004).

Kruste – bis durchschnittlich 40 km TiefeSubduktionszone

Äusserer Mantel40–650 km

Unterer Mantel650–2890 km

Äusserer Kern2890–5100 km

Innerer Kern5100–6378 km

Antikontinent

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Fast täglich erhalten wir Bilder von Robo-tern, welche die Marsoberfläche erkunden.Wie wir heute wissen, gab es auch auf demMars einmal Wasser und vielleicht Leben.Heute jedoch ist die Marsoberfläche was-serfrei; Wasser ist einzig noch gebunden inGesteinen im Marsinnern vorhanden. Fürdie Erde wird der Anteil von im Planeten-inneren gebundenen Wasser auf bis 50%des gesamten Wasserbudgets geschätzt,wobei diese Zahl mit grosser Unsicherheitbehaftet ist. Zum Verständnis der Evolutionunseres Planeten sind bessere Kenntnisseüber das in der tiefen Erde gespeicherteWasser und ein besseres Verständnis desgesamten Zyklus des Wassers in der Erdenötig. Die Seismologie kann hierzu wich-tige Informationen liefern: Die Analyse vonseismischen Erdbebenwellen, welche dieErde in alle Richtungen durchstrahlen, er-laubt einen Einblick in die Struktur und indie Funktionsweise des tieferen Erdinnern.Seit kurzem ist auch klar: Seismische Unter-suchungen helfen uns, die Menge von Was-ser im tieferen Erdinnern zu bestimmenund die Wechselwirkung von Wasser in denglobalen plattentektonischen Prozessenbesser zu verstehen.

Lithosphäre – isolierende Hautder Erde

Seit ihrer Entstehung vor etwa 4500 Millio-nen Jahren kühlt die Erde langsam ab. DieAbkühlung des heissen Erdinnern wird ver-zögert durch die feste isolierende Haut –

welche als Lithosphäre bezeichnet wird –und durch die Heizwirkung des Zerfalls derradioaktiven Elemente. Konvektionsströ-mungen im zähflüssigen Erdmantel brin-gen heisses Material in die Nähe der kaltenErdoberfläche und kaltes Material zurückzur Kern-Mantel-Grenze. Das dynamischeZusammenspiel von Strömungen im Erd-mantel mit Bewegungen und Veränderun-gen der Lithosphärenplatten wird als glo-bale Plattentektonik bezeichnet und bildetdie Grundlage für unser Verständnis derEntwicklung der Erde.Die Lithosphäre besteht aus mehrerenSchichten mit chemisch verschiedenem Ge-steinsmaterial. Von entscheidender Bedeu-tung für die Funktionsweise der Plattentek-tonik ist der Unterschied zwischen ozeani-scher und kontinentaler Lithosphäre (OLund KL). Letztere ist leichter und wird des-halb nur in unwesentlichen Mengen sub-duziert. Die OL dagegen besteht zum gröss-ten Teil aus an den mittelozeanischenRücken (MOR) und bei etwa 1300 Gradgefrorenem und anschliessend weiter ab-gekühltem Mantelmaterial. Sie ist deshalbschwerer als der direkt darunter liegendezähflüssige obere Mantel und wird fastvollständig subduziert. Die OL bewegt sichvom MOR zur Subduktionszone, wo sieunter die benachbarte Lithosphärenplatteabtaucht und in den Mantel absinkt (sub-duziert). Die OL ist damit integraler Be-standteil der Konvektionsströmungen imErdmantel (Abbildung 1), welche in ihrerGesamtheit als globales Rezykliersystembezeichnet werden kann.

Wasser in der tiefen kontinentalen Lithosphäre

In Sedimenten eingeschlossenes und im li-thosphärischen Gesteinmaterial gebunde-nes Wasser wird mit der OL subduziert undgelangt so in grössere Tiefen, wobei aller-dings der grösste Teil des Wassers bereits inden obersten 150 km abgegeben wird undin die darüberliegende Lithosphärenplatteentweicht. Tomographische Beobachtun-gen nach dem Mag8-Antofagasta-Erdbe-ben (Nord-Chile) 1995 geben Aufschlussüber Prozesse beim Entweichen von Wasserin den obersten 50 km der Subduktions-zone. Die in Nordchile subduzierendeNazca-Lithosphärenplatte (NLP) zeigt anihrer Oberseite eine Horst-Graben-Struktur,welche mit wassergesättigten Sedimentengefüllt ist (Abbildung 2A). Die Grenze zwi-schen der abtauchenden ozeanischen NLPund der darüber liegenden südamerikani-schen kontinentalen Lithosphärenplatte(SALP) besteht aus einer tektonischenStörungszone, in welcher sich aufgrund dergrossen differentiellen Bewegungen derbeiden Platten ein Band von zermahlenemGestein (Mylonit) gebildet hat. Diese imNormalzustand für Wasser undurchlässigeSchicht wird bei einem grossen Erdbebenan verschiedenen Stellen durchbrochenund erlaubt dem unter Druck stehendenWasser, in die darüber liegende SALP zuentweichen. Gesteinsmechanische Modell-rechungen für diesen Prozess erklären inerster Näherung die tomographischen Be-obachtungen der Effekte von diesen ein-

S E I S M O LO G I S C H E U N T E R S U C H U N G E N

WA S S E R I M T I E F E R E N E R D I N N E R ND O M E N I CO G I A R D I N I U N D E D UA R D K I S S L I N G

Wir leben auf einem Planeten mit grossen Mengen von Wasser. Wasser bedecktmehr als zwei Drittel der Erdoberfläche und ist die wichtigste Komponente der Biosphäre. Wasser ist eine Voraussetzung für Entwicklung und Erhalt von Leben.Es steht deshalb zuoberst auf unserer Liste der schützenswerten natürlichen Res-sourcen. Allerdings sollten wir unser Augenmerk nicht nur auf die Oberflächen-wässer richten: Eine grosse Menge von Wasser ist durch geologische Prozesse in den Gesteinen im tieferen Erdinnern gebunden.

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dringenden Fluiden auf die seismischenWellengeschwindigkeiten. Wenige Tagenach dem grossen Antofagasta-Beben wur-den zufällig in der Nähe bereitstehendeseismische Stationen auf dem Meeres-boden vor der Küste und im Landesinnern als temporäres Stationsnetz installiert, umNachbeben zu registrieren. Die Stationenauf dem Meeresboden mussten nach etwazwei Wochen ausgewechselt werden, daihre Speicherkapazität nach dieser Zeit er-reicht war. Die grosse und qualitativ hochstehende Datenmenge erlaubt die Berech-nung eines tomographischen Querschnit-tes durch die Subduktionszone für die bei-den Beobachtungsperioden (Abbildung 2 Bund C). Die Ergebnisse zeigen eine signifi-kante Veränderung des Verhältnisses derseismischen Wellengeschwindigkeiten (P-Welle und S-Welle) im Volumen direkt überder Bruchfläche des Antofagasta-Bebens.

Wasser im tieferen Erdmantel

Sowohl die Temperatur als auch der Was-sergehalt im oberen Mantel sind von Ort zuOrt verschieden. Einiges deutet darauf hin,

dass Mengen von bis zu 1500 ppm (partsper million) Wasser im obersten Mantelvorhanden sein könnten. Die Berichte vonWasservorkommen unterhalb dieser Tiefebasieren auf Hochdruckversuchen und seis-mischer Tomographie. Es ist bisher jedochunbekannt, ob und wie viel Wasser bis inTiefen von 400 km oder mehr transportiertwird. Da im Gesteinsmaterial des oberenMantels gebundenes Wasser die seismi-schen Diskontinuitäten in der Mantelüber-gangzone (zwischen 400 km und 660 kmTiefe) beeinflusst, suchen wir nach Wasserim tiefen Mantel durch die Analyse vonkonvertierten seismischen Wellen. Diessind Wellen, welche auf der einen – meistunteren – Seite der Diskontinuität als P-Welle laufen und an der Grenzfläche zu S-Wellen konvertiert werden. Die verglei-chende Beobachtung und Untersuchungvon nicht konvertierten und konvertiertenWellen in Seismogrammen wird als «Recei-ver Function Analysis» (RFA) bezeichnet.Unsere Untersuchungen belegen eine 20km bis 35 km mächtige Diskontinuität ineiner Tiefe von 410 km, die vermutlich miteinem Wassergehalt von bis zu 700 ppmzusammenhängt (Abbildung 3).

Zwei seismische Hauptdiskontinuitäten innominellen Tiefen von 410 km und 660 kmbegrenzen die Übergangszone des Erdman-tels. Die 410-km-Diskontinuität resultiertaus dem Übergang von Olivin zu Wadsleyit.Die 660-km-Diskontinuität wird vom Über-gang von Ringwoodit zu Perovskit und Magnesiowüstit verursacht. Beide Über-gangsbereiche (Diskontinuitäten) werdenals scharf bezeichnet mit einer Mächtigkeitvon ungefähr 4 km bis 10 km. Es gibt jedochBedingungen, unter denen der Übergangs-bereich der 410-km-Diskontinuität verdicktsein kann, zum Beispiel bei einer Zunahmedes Wassergehaltes in Olivin oder durch eineAbnahme der Temperatur. Da Wasser bevor-zugt in Wadsleyit statt Olivin eingeschlos-sen wird, ist Wadsleyit über grosse Druck-und Temperaturbereiche stabil, wodurch derÜbergangsbereich bis zu 40 km verdickt seinkann. Ein höherer Wassergehalt in der Man-telübergangszone hätte jedoch eine ent-gegengesetzte Wirkung auf die Mächtig-keit des 660-km-Phasenübergangsinterval-les. Dieser Übergangsbereich würde dünnerwerden, da Ringwoodit viel mehr Wasseraufnehmen kann als Perovskit, wodurch seinStabilitätsbereich vergrössert wird.

Abb.1: Schematisches Modell der Plattentektonik: Die ozeani-schen Lithosphärenplatten unterliegen einem Zyklus des Entstehens an den mittelozeanischen Rücken und der Subduk-tion in den Erdmantel. Bei diesem Prozess gelangt Material von der Erdoberfläche bis in grosse Tiefen in der Erde.

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Abb. 3: Gestapelte Seismogramme («Receiver functions») für drei Stationen ausdem Mittelmeergebiet. Zur Stapelung werden die Seismogramme von verschiede-nen Erdbeben (registriert an einer Station) summiert, nachdem sie für die An-kunftszeit der ersten P-Welle ausgerichtet sind. Für jede der drei Stationen ist dasgestapelte Seismogramm für verschiedene Low-pass-Filter dargestellt, wobei die Filterfrequenz von links nach rechts jeweils 0,75, 0,62, 0,5, 0,4, 0,3, 0,25, 0,2,0,15 Hz beträgt. Jede markante Auslenkung in den Signalen bedeutet eine P-S-Wellenkonversion an einer Grenzfläche im Untergrund. Die Tiefenlage der Grenz-fläche kann aus der Zeitverzögerung relativ zur erstankommenden P-Welle ab-geleitet werden. Unter Annahme einer Gauss'schen Fehlerverteilung wird dieStandardabweichung für jedes gestapelte Seismogramm berechnet. In Schwarzsind die Standardabweichungen für die P-S-Konversionen mit 95% Vertrauensin-tervall dargestellt. Alle drei Stationen (VSL Sardinien; PAB Spanien; KEG Ägypten)zeigen frequenzabhängige Konversionen an der 410-km- und frequenzunabhän-gige Konversionen von der 660-km-Diskontinuität.An KEG beobachten wir ausserdem eine konvertierte Welle von einer Grenzflächein etwa 510 km Tiefe.

Abb. 2: In Subduktionszonen wird unter lithostatischem Druck stehendes Wasser inden Sedimenten der Grabenstrukturen in grössere Tiefen gebracht. Wenn bei einemgrossen Erdbeben (Beispiel Antofagasta-M8-Beben 1995 in Nordchile) die Mylonit-zone entlang der Plattengrenze zerstört wird, dringt die Flüssigkeit in die darüberliegende kontinentale Kruste ein. A: schematisches Modell; B und C: tomographi-sche Bilder der seismischen Geschwindigkeiten (Verhältnis von P- zu S-Wellenge-schwindigkeit) für denselben Querschnitt zu verschiedenen Zeiten zeigen im Ver-gleich den Effekt (Pfeil) des eingedrungenen Wassers. Der Stern markiert das Hypo-zentrum des grossen Bebens, die weissen Punkte bezeichnen Nachbeben, welche zur Berechnung der Tomogramme verwendet wurden. Schwarz eingerahmt ist dasgut aufgelöste Gebiet.

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Gibt es Wasser in der Mantelüber-gangszone?

Um zu untersuchen, ob in der Mantelüber-gangszone Wasser vorhanden ist, habenwir die Eigenschaften der seismischen Dis-kontinuitäten unter dem Mittelmeergebietstudiert. Dieses Gebiet war während dervergangenen 190 Millionen Jahre starkdurch die Subduktion von OL beinflusstworden, was zur Bildung von Kollisions-Ge-birgsgürteln wie zum Beispiel den Alpenund dem Apennin sowie zur Öffnung vonjungen ozeanischen Becken wie zum Bei-spiel des Tyrrhenischen und des LigurischenMeeres geführt hat. Aktive Subduktionszo-nen sind gegenwärtig im südlichen Italienund in Griechenland zu finden. Die sub-duzierte Lithosphäre versinkt mit einer Ge-schwindigkeit von 5–10 cm/Jahr im Mantelund bleibt wegen ihrer tiefen Temperatu-ren bis in Tiefen von Hunderten von Kilo-metern zusammenhängend. Tomographi-sche Bilder zeigen eine Ansammlung vonimmer noch kaltem lithosphärischem Ma-terial in der Übergangszone (410–660 kmTiefe) unter dem gesamten Mittelmeerge-biet. Dies ist darauf zurückzuführen, dassdie subduzierte Lithosphäre nur schwer inden viskoseren unteren Mantel einzudrin-gen vermag. Die Übergangszone unter demMittelmeer ist folglich ein ideales Gebiet,um nach Wasservorkommen im Mantel zusuchen – wobei dieses Wasser in Gesteinfest eingebunden und nicht frei ist.

Seismogramme von Fernbeben untersuchen

Wir untersuchten Seismogramme vonFernbeben, registriert an Stationen im Mit-telmeergebiet, nach S-Wellen, die durchUmwandlung aus P-Wellen an Diskonti-nuitäten entstanden sind. Um das Auflö-sungsvermögen des Versuches zu erhöhen,haben wir 18 temporäre seismische Breit-band-Stationen entlang der Plattengrenzezwischen Eurasien und Afrika (MIDSEA)eingesetzt und über 500 Seismogrammeanalysiert. Wir haben durch RFA verschie-dene umgewandelte Wellen identifiziertund haben für alle Stationen von P zu S um-gewandelte Wellen von der 410-km- undder 660-km-Diskontinuität gefunden.

Die Umwandlungen bei der 410-km-Dis-kontinuität sind klein in der Amplitude fürRFA-Seismogramme, welche mit einemLow-pass-Filter von 0,5 Hz oder mehr gefil-tert werden. Die Amplituden nehmen beiabnehmender Filter-Grenz-Frequenz zu.Diese Wirkung wurde für die Umwandlun-gen bei der 660-km-Diskontinuität nichtbeobachtet, welche vergleichbare Amplitu-den für den ganzen Frequenzbereich zeigt.Diese Frequenzabhängigkeit der Amplitu-den und die Bedeutung der Signale erlau-ben uns, die Mächtigkeit der Übergangsbe-reiche der 410-km- und der 660-km-Diskon-tinuitäten abzuschätzen. Die Ergebnissezeigen, dass der Phasenübergang in 410 kmTiefe nicht scharf ist und bei den meistenStationen über einen Tiefenbereich vonetwa 20–25 km vorkommt, unter dem west-lichen Mittelmeer sogar über einen Tiefen-bereich von 30–35 km. So ein breites Inter-vall könnte der Grund sein, warum frühereRFA-Studien versagt haben beim Versuch,die 410-km-Diskontinuität in diesem Ge-biet zu finden. In Einklang mit vorherigenBeobachtungen zeigen unsere Resultateunter den meisten Stationen einen ver-hältnismässig dünnen (5 km) Übergangs-bereich für die 660-km- Diskontinuität.

Das globale Wassersystem besser verstehen

Wir interpretieren unsere Beobachtung derVerdickung der 410-km-Diskontinuität miteinem lokal erhöhten Wassergehalt derMantelmineralien in dieser Tiefe. Diese Mi-neralien können eine beträchtliche Mengean Wasser enthalten: bis zu 1000 ppm fürOlivin und ungefähr 20 000 ppm für Wads-leyit. Der maximale Wassergehalt in Olivinfür einen Übergangsbereich von 20–25 kmMächtigkeit wird auf 500 ppm geschätzt,ein Übergangsbereich von 30–40 km er-fordert einen Wassergehalt in Olivin von700–1000 ppm.Während diese seismologischen Beobach-tungen noch keine bessere Abschätzungdes Anteils von im Gestein des Erdinnerngebundenem Wasser erlauben (siehe oben,Schätzung bis zu 50%), ermöglichen sie unseinen Schritt in Richtung zu einem besse-ren Verständnis des globalen Wassersys-tems und der damit verbundenen Prozessein und auf unserem Planeten.

Prof. Domenico GiardiniProfessor für Seismologie und Geo-dynamik, Direktor des SchweizerischenErdbebendienstes, Departement Erd-wissenschaften ETH Zürich

Prof. Eduard KisslingProfessor am Institut für Geophysik ETHZürich

LiteraturS. Husen & E. Kissling, Postseismic fluidflow after the large subduction earth-quake of Antofagasta, Chile, Geology,29, 847–850, 2001.

A. Koerner, E. Kissling, S. A. Miller, A mo-del of deep crustal fluid flow followingthe Mw=8.0 Antofagasta, Chile earth-quake, J. Geophys. Res., in press, 2004.

M. van der Meijde, F. Marone, D. Giardini& S. van der Lee, Seismic evidence forwater deep in Earth’s upper mantle,Science, 300, 1556–1558, 2003.

S. van der Lee, F. Marone, M. Van derMeijde, D. Giardini et al., Project MID-SEA yields new seismographic datafrom the Eurasia-Africa plate boundaryregion, Eos, Trans. Am. geophys. Un., 82,637–646, 2001.

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Auch wenn heute mit dem Global Positio-ning System (GPS) viele Vermessungsprob-leme einfacher zu lösen sind, so ist dieseTechnik nur unter freiem Himmel einsetz-bar. GPS hat jedoch dazu beigetragen, dassfür den 57 km langen Gotthard-Basistunnelvon Erstfeld bis nach Bodio mit Millimeter-genauigkeit Passpunkte für die unterirdi-sche Vermessung erstellt werden konnten.Diese oberirdischen Koordinaten müssenüber die Zugangsstollen und Schächte derHaupt- und Zwischenangriffe auf das Tun-nelniveau übertragen werden. Dies ge-schieht mit elektrooptischen Messverfah-ren, die sich in den letzen Jahren ebensoweiterentwickelt haben wie GPS. So ge-nannte Robotertheodolite mit automati-scher Anzielung durch eingebaute CCD-Kameras ersetzen inzwischen das scharfeAuge des Geodäten.

Navigation 1 km unter der Erde

Eines der Hauptprobleme bleibt jedoch dieunterirdische Richtungsangabe für denTunnelvortrieb. Dazu werden so genanntenordsuchende mechanische Kreisel einge-setzt, die ihre Drehachse aufgrund des phy-sikalischen Gesetzes der Präzession auf dieRotationsachse der Erde ausrichten (sieheAbbildung 1).Diese Methode ist auch tief im Erdinnerennahezu unabhängig von anderen Einflüs-sen. Einzig die lokalen Lotabweichungenmüssen bei einem bandgehängten Kreiselberücksichtigt werden. In diesem Jahr wurdeauch erstmals in Zusammenarbeit mit demInstitut für Geodäsie und Photogramme-trie der ETHZ und der Technischen Univer-sität München ein Inertialsystem einge-setzt. Wie der Name schon sagt, stellt die-

ses Gerät ein völlig autonomes Messsystemdar, das Koordinaten bestimmt und wel-ches über drei Laserkreisel und drei Be-schleunigungssensoren verfügt. Mit die-sem System können ebenfalls Richtungenvon der Erdoberfläche in den Berg übertra-gen werden. Es wurde in einem der Auf-züge in Sedrun installiert, die mit 11 m/s indie Tiefe fahren. Damit wird erstmals eineunabhängige Kontrolle der eingangs er-wähnten Kreiselmessungen möglich.

Das Gebirge senkt sich

Vor einigen Jahren wurde von den Geodä-ten der Landestopographie und der ETHZfestgestellt, dass sich das Gebirge überdem Gotthard-Strassentunnel in den letz-ten 30 Jahren bis zu 12 cm gesenkt hat (Ab-

G E O DÄ S I E U N D G E B I R G SV E R F O R M U N G

T I E F E T U N N E L B AU W E R K E I N D E N A L P E NH I L M A R I N G E N S A N D, S I M O N LÖW U N D C H R I ST I A N Z A N G E R L

Der neue Gotthard-Basistunnel des AlpTransit-Projektes ist mit 57 km der längste Eisenbahntunnel der Welt in einer alpinen Region. Die technischen Herausforderungen bestehen dabei nicht nur im Tunnelvortrieb unter speziell schwierigen geologischen Bedingungen, sondern auch in der Lösung der Vermessungsaufgaben.

Abb. 1: Vermessungskreisel der ETHZ. Die Erde verhält sich aufgrund der Rotation wie ein Kreisel undist aufgrund der Fliehkraft abgeplattet. Da die Rotationsachse der Erde rund 66,5° gegen die Ebene der Ekliptik geneigt ist, verursacht die Anziehung von Sonne und Mond ein Drehmoment,das die Erdachse aufzurichten versucht. Dieses führt ebenso zu den kreiseltypischen Achsbewegun-gen der Präzession und Nutation. Zusätzliche Effekte entstehen durch Verlagerung von Massen im Erdinneren. Die Bewegung der Rotationsachse der Erde wird als Polbewegung mit hochgenauenVerfahren wie z.B. der Very Long Baseline Interferometry beobachtet. Die Bewegungen haben für die Präzession eine Periodizität von 25 600 Jahren und für die Nutation von 18,6 Jahren. Diemomentane Abweichung der Erdachse von der idealen Achse wird natürlich bei den Kreiselmessun-gen im Gotthard mitberücksichtigt.

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bildung 2). Die Geologen führen diese Be-obachtung auf eine Entwässerung des Ge-birges zurück, die auch im Bereich des Gott-hard-Basistunnels erfolgen könnte. In ge-klüfteten Gneisen, Graniten und Schiefernsind die Zusammenhänge zwischen der Ge-birgsentwässerung entlang einem tief lie-genden Tunnel und den Verformungen ander Geländeoberfläche sehr kompliziertund bis heute nicht vollständig verstanden.Umfangreiche Studien der Ingenieurgeolo-gie an der ETHZ zeigen, dass wasserdurch-lässige Störzonen eine grosse Bedeutungfür die Auslösung und Form von Setzungenhaben (Abbildung 3).Die Analyse dieser Prozesse und die Vorher-sage der Auswirkungen von zukünftigenTunnelvortrieben auf die Geländeober-fläche erfolgt durch eine Kombination vongeologischen Geländekartierungen, fels-mechanischen Laborversuchen und nume-rischen Computermodellen. Abbildung 4zeigt eine Simulation der vertikalen Ver-schiebungen (Setzungen) in einem verein-fachten Längsprofil entlang des Gotthard-Strassentunnels zwischen Hospental undAirolo. Die berechneten Setzungen breiten

sich ausgehend von Sustenegg über meh-rere Kilometer sowohl nach Norden wie Sü-den aus. Die Verbindung zwischen den Tun-nelzuflüssen und den Setzungen stellenStörzonen und Klüfte (in Abbildung 4 gründargestellt) dar, die sich als Funktion der re-duzierten Wasserdrucke schliessen oder lo-kale Scherbewegungen der angrenzendenFelsblöcke ermöglichen (rote Bereiche derStörzonen und Klüfte in Abbildung 4). NeueLaborversuche, welche die ETHZ zusammenmit der Technischen Universität Graz aus-geführt hat, zeigen, dass sich vermutlichauch die Blöcke zwischen den Klüften undStörzonen als Funktion der reduziertenWasserdrucke verformen. Dies könnte einemögliche Erklärung dafür sein, dass es sehrschwierig ist, durch die Verformungen derDiskontinuitäten (Klüfte und Störzonen)allein den gemessenen Setzungsbetrag von12 cm zu erreichen (Abbildung 4). Die Ge-samtsetzung (das Volumen des Setzungs-trichters) ist proportional zur Wasserent-nahme aus dem Gebirge (Tunnelzufluss mi-nus Grundwasserneubildung) im betrach-teten Gebiet.

Abb. 2: Durch Präzisionsnivellements entlang der Gotthardpassstrassegemessene vertikale Oberflächenverschiebungen vor und nach dem Bau des Gotthard-A2-Strassentunnels. Die vertikalen Verschiebungenvor dem Bau (grau) beziehen sich auf eine jährliche Hebungsrate,jene nach dem Bau (rot) auf ein vermutlich mehrjähriges, durch denTunnelbau ausgelöstes Setzungsereignis.

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ReferenzenBundesamt für Landestopographie(1998): Bodensenkungen über demGotthardstrassentunnel. Press Release22.1.1998.Ingensand, H., Ryf, A., Stengele, R.(1998): The Gotthard Base Tunnel – achallenge for geodesy and geotechnics.Symposium on Geodesy for Geotechni-cal and Structural Engineering, April20–22, Eisenstadt, Austria.Salvini, D. (2002): Geotechnic problemsrelated to major construction projects.Proceedings of the 2nd Symposium onGeodesy for Geotechnical and Struc-tural Engineering. Organized by the De-partment of Applied and EngineeringGeodesy, Vienna University of Technolo-gy, Austria. Berlin, May 21–24, 2002.Zangerl, C. (2003): Analysis and SurfaceSubsidence in Crystalline Rocks abovethe Gotthard Highway Tunnel, Switzer-land. Dissertation ETH No. 15051.

ForschungsinformationenForschungsschwerpunkte der Gruppeum Prof. Ingensand (geomETH) des Ins-tituts für Geodäsie und Photogram-metrie (IGP) sind die Gebiete Geodäti-sche Messtechnik sowie Sensorik undIngenieurgeodäsie. Seine Forschungs-gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, hoch-präzise Richtungsmessverfahren zurTunnelvortriebsmaschinensteuerungzu entwickeln. Dies ist unter anderemmit dem weltweit ersten Zweifarblaser-Dispersometer gelungen. Ebenso sindEntwicklungen im Bereich hochpräziserhydrostatischer Messsysteme, Monito-ring von Naturgefahren und der Gleis-messtechnik für Hochgeschwindigkeits-bahnen zu nennen. Prof. Ingensand istauch als Experte im Projekt AlpTransittätig.Kontakt:Prof. Hilmar Ingensand01 633 30 [email protected]

Prof. Hilmar IngensandInstitut für Geodäsie und Photo-grammetrie (ETHZ)

Prof. Simon LöwGeologisches Institut (ETHZ)Christian ZangerlGeologisches Institut (ETHZ)

Sind die Staumauern im Gotthard-gebiet gefährdet?

Es ist von anderen Stauanlagen bekannt,dass Geländeverformungen, wie sie imGotthardgebiet beobachtet wurden, unterUmständen zu Schäden an Bogenstaumau-ern führen können. Aus diesem Grundewurden im Gebiet des Gotthard-Basistun-nels vorsorglich umfassende geodätischeMessanlagen installiert, die permanent dieOberflächengeometrie im potenziellen Ein-flussbereich des Tunnels überwachen. Dasich die Erdoberfläche auch ohne drainie-rende Tunnelbauwerke verformt, zum Bei-spiel als Funktion der mittleren Tagestem-peraturen, der Gezeiten oder des Wasser-standes in den Stauseen, wurden dieseMessungen schon vor dem Bau der Haupt-tunnel am Gotthard begonnen. Wie ersteResultate zeigen, führen die natürlichenGeländeverformungen zum Beispiel zu pe-riodischen Verbreiterungen und Verengun-gen der Talquerschnitte von mehreren Mil-limetern pro Kilometer. Diese Werte sinddurchaus vergleichbar mit jenen, die durchgeringe Tunnelzuflüsse ausgelöst werden –und zu keinen Beeinträchtigungen derStauanlagen führen. Bei grösseren Tunnel-zuflüssen müssten zur Verhinderung grös-serer Geländeverformungen Gegenmass-nahmen – wie abdichtende Gebirgsinjek-tionen – ergriffen werden.

Abb. 4: Vereinfachtes Längsprofil entlang des Gotthard-Strassentunnels zwischenHospental und Airolo mit Störzonen (grün, steil einfallend) und horizontalen Kluft-systemen. Isolinien gleicher vertikaler Verschiebung (schwarze Linien, oberes Bild),aktivierte Störzonen und Klüfte (rote Linie, oberes Bild) und modellierte Gelän-desetzung (rote Linie unteres Bild). Da nur die Verformungen der Klüfte und Störzonen und nicht auch jene der Blöcke modelliert sind, ist die modellierte Gesamtsetzung kleiner als die gemessene der Abbildung 2.

Abb. 3: Geologie und geodätische Messungen im GebietSustenegg nördlich des Gotthardpasses. Die grössten Set-zungen entlang der Passstrasse (118 mm) wurden direkt inder Verlängerung der grössten Zuflüsse (150 und 110 l/s) zum Gotthard-Strassentunnel gemessen. Die Verbindungzwischen Setzungsmaximum und Tunnelzufluss stelltausgedehnte Störzonen dar. Rot eingezeichnet ist der Gams-boden-Granodiorit, grau dargestellt sind ältere Gneise und Schiefer.

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Zumindest was die Länge und Tiefe der ge-bauten oder im Bau befindlichen Tunnelbetrifft, gehören die Schweizer zur Welt-spitze. Auch bezüglich der Erfahrung kannsich die Schweiz sicher in die vorderstenRänge stellen. Die Eisenbahn-Scheiteltun-nel an Gotthard, Lötschberg und Simplon,die vor rund 100 Jahren gebaut wurden,stellen noch heute wichtige internationaleReferenzobjekte dar, gefolgt von einer sehrgrossen Anzahl weiterer Verkehrstunnels,Wasserkraftstollen und militärischer Un-tertagebauwerke.Der Bau dieser Untertagebauwerke ist starkan die Geologie der Alpen gekoppelt: Ohnegenaue Kenntnisse der Gebirgsstruktur derAlpen sowie des Verhaltens der verschiede-nen Gesteinsformationen ist eine erfolgrei-che Bewältigung dieser Bauvorhaben nichtmöglich, und gleichzeitig ergeben grosseUntertagebauwerke einen einmaligen Ein-blick in den Aufbau der oberen Erdkruste,einen Einblick, wie er mit keiner anderenErkundungsmethode gewonnen werdenkann. So hat in der ersten Hälfte des 20. Jahr-hunderts der Tunnelbau wichtige Beiträgezur geologischen Erforschung der Alpengeliefert und geologische Grundlagen ge-schaffen, die noch heute als wichtige Quel-len der praxisorientierten Forschung gel-ten. Ein solches Paradestück, den Gotthard-Scheiteltunnel, erarbeitete zum Beispielder Projektgeologe Stapff vor 130 Jahren.

Schweizer Erfahrung

In diesen historischen Tatsachen liegt derGrund, dass die Schweizer Geologen undIngenieure ihre Tunnelbauwerke hauptsäch-lich basierend auf früheren Erfahrungenplanen und realisieren, ein Vorgehen, wel-ches zum Teil stark von jenen anderer Län-der abweicht. Dabei kann der Erfahrungs-

schatz Schweizer Untertagebauwerke aufunterschiedlichste Art und Weise genutztwerden, nämlich als empirischer Befundoder auch als Grundlage für die Erarbei-tung allgemeiner Gesetzmässigkeiten. Fürdie Forschung und neuartige Tunnelpro-jekte sind generalisierbare Erkenntnissezum Aufbau eines Gebirges und zum Ver-halten der verschiedenen Gesteine und Ge-birgsabschnitte unter verschiedenen Belas-tungszuständen und Belastungsgeschich-ten wichtig. Solche neuen Erkenntnisse ausfrüheren Untertagebauwerken der Gott-hard-Region (Abbildung 1) werden im Fol-genden kurz vorgestellt.

Hoher Wasserdruck und hohe Temperaturen

Tunnelbauwerke im Alpenraum wie dieneuen Basistunnel am Gotthard und amLötschberg sind mit hohen Gebirgsspan-nungen, hohen Wasserdrücken und hohenGebirgstemperaturen konfrontiert. Dieseführen dazu, dass sich das Gebirge um denausgebrochenen Hohlraum (den Tunnel)stark verformt oder sogar einbricht, dassGrundwasser unter Umständen unter ho-hem Druck in den Tunnel einströmt, denVortrieb gefährdet, den gesamten Berg-wasserhaushalt verändert und zum Aus-trocknen von Quellen und zu Setzungen ander Geländeoberfläche führt. Viele dieserGefährdungsbilder sind mit dem Auftretenund den Eigenschaften grösserer tektoni-scher Bewegungsfugen oder Störzonenverbunden.

Störzonen im Aar- und Gotthard-Massiv

In den letzten Jahren wurden hydraulischeund mechanische Eigenschaften von Stör-zonen und ihre Bedeutung für den Tunnel-bau im Rahmen mehrerer Dissertationender Professur für Ingenieurgeologie an derETH Zürich untersucht (Laws 2001, Lützen-kirchen 2003, Zangerl 2003). Wie die Abbil-dung 2 zeigt, treten im Aar- und Gotthard-Massiv Störzonen in enorm hoher Dichteauf. Rund 90% dieser Störzonen stellen fürdie Untertagebauwerke aber keine echteGefährdung oder Vortriebsbehinderungdar. Dies zeigt zum Beispiel die Abbildung3, in der die Häufigkeiten und Summen-kurve der anfänglichen Zuflüsse zu allenUntertagebauwerken der Abbildung 1 dar-gestellt sind und aus der klar hervorgeht,dass nur ein kleiner Prozentanteil allerStörzonen überproportional zum gesamtenGrundwasserzufluss beiträgt. Bei der Inter-pretation dieser Abbildung muss auchberücksichtigt werden, dass in dieser derLogarithmus der Zuflüsse dargestellt istoder, konkreter, dass die Schüttungen zwi-schen 0,01 l/s und 1000 l/s variieren! DieHerausforderung des Ingenieurgeologenliegt nun darin, nicht nur die Gesamtzahlaller Störzonen korrekt zu erkennen, son-dern vor allem jene wenigen Störzonen,welche echte Probleme darstellen, frühzei-tig genug zu identifizieren und bezüglichihres Verhaltens korrekt zu charakterisieren.Detaillierte Analysen des Aufbaus und derMineralogie solcher Störzonen haben nungezeigt, dass diese wertvolle Hinweise so-wohl zum mechanischen wie zum hydrauli-schen Verhalten solcher Strukturen liefernkönnen. So treten hohe Durchlässigkeitennur in Störzonen auf, die noch währendspäter Phasen der alpinen Gebirgsbildungaktiv waren und Mineralfüllungen mit Zeo-

A L P T R A N S I T: T U N N E L B AU U N D G R U N DWA S S E R I M A A R- U N D G OT T H A R D - M A S S I V

W E LTM E I ST E R I M T U N N E L B AUS I M O N LÖW

Die Schweizer sind Weltmeister im Tunnelbau. Dieser ist stark an die Geologie der Alpen gekoppelt. Genaue Kenntnisse der Gebirgsstruktur der Alpen sowie des Verhaltens der verschiedenen Gesteinsformationen sind für eine erfolgreiche Bewältigung dieser Bauvorhaben notwendig.

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Abb. 1: Geologische Karte mit Verlauf des mittleren Abschnitts desGotthard-Basistunnels (gestrichelt), bestehender Tunnelbauwerke und Wasserkraftstollen im Gebiet des zentralen Aar- und Gotthard-Massivs (rote Farbtöne). Das braune Rechteck stellt das Gebietder Abbildung 2 dar.

Abb. 2: An der Oberfläche und im Gotthard-Strassentunnel kartierte Störzonen zwischen Hospental und Airolo (aus Dissertation C. Zangerl, ETH 2003).

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liten enthalten (Abbildung 4). Indikatorenfür solche Bewegungen finden sich bevor-zugt im Gotthard-Massiv, aber kaum mehrim Aar-Massiv (mit Ausnahme seines südli-chen Randes). Diese beiden Massive müs-sen darum auch eine fundamental anderespätalpine Entwicklungsgeschichte erlebthaben.

Wo kommen die Tunnelwässer her?

Analysen der Edelgaskonzentrationen inGrundwässern sowie der stabilen und ra-diogenen Isotope von Kohlenstoff, Wasser-stoff und Sauerstoff, welche am Labor fürIsotopengeologie der ETH, am Physikali-schen Institut der Universität Bern und beider GSF in München gemessen wurden, zei-gen, dass diese den Tunnelbauwerken zu-strömenden Grundwässer sehr unterschied-liche Herkunft und Vorgeschichten haben(Ofterdinger 2001, Lützenkirchen 2002, Kip-fer et al. 2004). Während die grössten Zu-flüsse zum Gotthard-Strassentunnel (beiTunnelkilometer 10) aus Tiefen von vielenKilometern stammen (95% des 4He ist ra-

diogen und nicht atmosphärisch) und einAlter von mindestens 50 Jahren haben, ent-stammen die höchsten Zuflüsse zum Fens-terstollen des Furka-Basistunnels (Abbil-dung 1) zu rund 70% schmelzendem Glet-schereis und -firn und zu rund 30% jungemNiederschlag. Die Wässer aus diesen per-meablen Störzonen sind darum im Gott-hard-Tunnel auch deutlich wärmer, und imFurka-Tunnel deutlich kälter, als nach denregionalen geothermischen Gradienten zuerwarten wäre, und unterscheiden sich auchnamhaft in anderen Wasserinhaltsstoffen.Grundwässer, welche dem Gotthard-Stras-sentunnel und dem Furka-Basistunnel aus-serhalb der hochpermeablen Störzonenund untiefen Portalbereiche zufliessen, ha-ben typischerweise ein Alter von 2 bis 15Jahren und werden primär im Sommerhalb-jahr durch infiltrierende Schnee-Schmelzwäs-ser gebildet.

Verformung des Gebirges

Untertagebauwerke in kristallinen Gestei-nen wie dem Aar- und Gotthard-Massivverändern die Strömungsraten und Strö-mungsrichtungen des Grundwassers überviele Kilometer. Dies zeigen sowohl nume-rische Modellrechnungen wie direkte Be-obachtungen an der Geländeoberfläche. Sofielen vor 30 Jahren während des Baus desObergesteln-Stollens im Oberwallis (Abbil-dung 1) aufgrund einer starken Absenkungdes Bergwasserspiegels zahlreiche wich-tige Quellen der Wasserversorgung desDorfes Obergesteln trocken. Sorgfältige Be-obachtungen und Aufzeichnungen des Pro-jektgeologen während des Baus erlaubenes heute nicht nur, die räumlichen, sondernauch zeitlichen Beziehungen in diesem Pro-zess genauer zu untersuchen. So reagiertenQuellen auf den Tunnelvortrieb nach kurzerZeit auch in grossen Distanzen (bis zu 1,5 Ki-lometer) in Richtung quer zur Tunnelvor-triebsachse, jedoch nie in Richtung des Vor-triebs. Dies lässt Rückschlüsse auf einestarke Anisotropie der Gebirgsdurchlässig-keit zu und ermöglicht die Ermittlung gross-

Abb. 3: Histogramm und Summenkurve der Verteilung von anfäng-lichen Grundwasserzuflüssen zu bestehenden Untertagebauwerken im weiteren Gotthard-Gebiet (Abbildung 1). Dargestellt ist der Loga-rithmus der anfänglichen Zuflüsse in l/s.

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räumiger hydraulischer Gebirgsparameterzum transienten Grundwasserfluss in ge-klüfteten kristallinen Gesteinen. Solche Er-kenntnisse können mit herkömmlichenMethoden nicht erarbeitet werden undsind für viele praktische Probleme (Endla-gerung radioaktiver Abfälle, geothermischeEnergie, Tunnelbau, Wasserkraftanlagen),welche sich im Grössenbereich von Hun-derten bis Tausenden von Metern abspie-len, von sehr hohem Nutzen.Reduktionen der Porenwasserdrucke undder Höhenlage des Wasserspiegels führenzu einer Verformung des Gebirges. Dies warbisher aus weichen Lockergesteinen be-kannt, aber kaum aus harten Gneisen undGraniten. Wie im Artikel von Ingensand,Löw und Zangerl (Seite 18–21) gezeigt wird,haben die grössten Zuflüsse zum Gotthard-Strassentunnel einen über 10 Kilometer inNord-Süd-Richtung ausgedehnten Setzungs-trichter verursacht, mit einem maximalenSetzungsbetrag von 12 Zentimetern. Diffe-renzielle Verformungen im Bereich solcherSetzungsmulden können zu Schäden an sen-siblen Bauwerken wie Bogenstaumauernführen.

Abb. 4: Struktur und Mineralogie von Störzonen im Gotthard-Massiv. Die Strukturen(oben) wurden im Bedretto-Fenster des Furka-Basistunnels kartiert und weisen eineBreite von 5–6 Meter auf (Balkenbreite 1 m). Die Mineralogie (unten) entstammtDünnschliffbildern mit einer Kantenlänge von 3 Millimetern (aus: Dissertation V. Lützenkirchen, ETH 2003).

ForschungsschwerpunkteForschungsschwerpunkt der Professurfür Ingenieurgeologie sind hydrome-chanische Eigenschaften und Prozessein geklüfteten Gesteinen. Neue Er-kenntnisse über diese Eigenschaftenund Prozesse werden erarbeitet im Zu-sammenhang mit tiefen Untertage-bauwerken, der Endlagerung radioakti-ver Abfälle, der Nutzung tiefer geother-mischer Energie, der Bewältigung vonNaturgefahren (Bergstürze, Rutschun-gen) und der Grundwasserbewirtschaf-tung. Viele Projekte der Professur fürIngenieurgeologie sind interdisziplinärund werden in Zusammenarbeit mitGeophysikern und Ingenieuren ausge-führt.

ForschungsinformationenTunnelbauwerke wie die Basistunnelsam Gotthard und am Lötschberg stellendie Geologen und Ingenieure nicht nurvor grosse Herausforderungen, sondernermöglichen im Idealfall auch die Erar-beitung neuer Grundlagenkenntnisse.Dies ist auch ein wichtiges Thema derim September 2005 stattfindenden undvon der Professur für Ingenieurgeologieorganisierten internationalen Tagung«Geologie AlpTransit 2005» (www.geat05.ethz.ch).

Kontakt: Prof. Dr. Simon Löw Tel. 01 633 32 31Fax 01 633 11 08E-Mail: [email protected]

Prof. Simon Löw Institut für Geologie der ETH Zürich

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DA S E R D M AG N E T F E L D U N D D E R PA L ÄO M AG N E T I S M U S

DA S G E H E I M N I S D E S E R D I N N E R E NW I L L I A M LOW R I E

Das Erdmagnetfeld sieht wie ein Dipolfeld aus: Seine Achse fällt im Wesentlichen mit der Rotationsachse der Erde zusammen. Dieses Phänomen erlaubt es,wichtige geologische Informationen aus den Magnetisierungen von Gesteinen zu erhalten. Wie sieht es im Erdinneren aus? Wo lagen frühere Kontinente? Einem Geheimnis auf der Spur.

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Die Geometrie eines magnetischen Feldeswird von Feldlinien dargestellt, welche dieFeldrichtungen im Raum um den Magne-ten herum beschreiben. Ausserhalb derErde ist das Erdmagnetfeld zum grösstenTeil ein so genanntes Dipolfeld, dessenFeldlinien an zwei «Polen» zusammen kom-men, wovon der eine im Norden Kanadasund der andere in der Antarktis liegen(siehe Abb. 1). Die Achse des erdmagneti-schen Dipols weist eine Neigung von 11,5Grad zur Rotationsachse auf. Carl FriedrichGauss hat bereits vor rund 160 Jahren be-wiesen, dass das geomagnetische Dipolfeldim Erdinneren entsteht. Moderne Erkennt-nisse, die zum Teil aus Satellitenbeobachtun-gen des Erdmagnetfeldes stammen, bestäti-gen das Ergebnis von Gauss und lassen Rück-schlüsse über den Ursprung des Feldes zu.

Wie entsteht das Erdmagnetfeld?

Der Entstehungsprozess des Erdmagnetfel-des ist sehr komplex. Wegen der extrem ho-hen Temperatur im flüssigen äusseren Kernentstehen dort Konvektionsströme, welchedas heisse Material von innen nach aussentransportieren, während gleichzeitig derKern mit – im Vergleich zum Erdmantel –leicht erhöhter Rotationsgeschwindigkeitum die Drehachse rotiert. Das Eisen im Kernist ein sehr guter elektrischer Leiter, in demelektrische Ströme fliessen. Infolge derStröme wird ein ringförmiges «toroidales

Feld» erzeugt, dessen Stärke einige hundertMale grösser ist als die Intensität des Erd-magnetfeldes an der Erdoberfläche. Dastoroidale Feld kann aber nicht aus demKern entweichen und ist daher nicht direktmessbar. Auch ein «poloidales Feld» wirderzeugt, dessen Feldlinien ausserhalb derErde vorwiegend einem Dipolfeld entspre-chen. Obwohl das Erdmagnetfeld kompli-zierter ist als ein einfaches Dipolfeld und sogenannte Quadrupol- und Oktupolkompo-nenten sowie Komponenten noch höhererOrdnung enthält, wird es langfristig vonder Dipolkomponente dominiert. Gemitteltüber einige Tausend Jahre verschwindet so-gar die Neigung der Dipolachse gegenüberder Drehachse, sodass das Erdmagnetfeldwie ein Dipolfeld aussieht, dessen Achsemit der Rotationsachse der Erde zusam-menfällt. Dieses Phänomen erlaubt es,wichtige geologische Informationen ausden Magnetisierungen von Gesteinen zuerhalten.

Wie ist das Erdinnere aufgebaut?

Der schalenartige Aufbau des Erdinnerenbesteht aus drei Hauptbereichen. Die sprödeErdkruste mit einer Mächtigkeit von 5 bis50 km umgibt den plastischen Erdmantel,der in eine Tiefe von zirka 2890 km reicht.Darunter liegt der Erdkern, der im Wesentli-chen aus Eisen besteht. Bis zu einer Tiefevon zirka 5155 km ist der äussere Kern auf-

grund der hohen herrschenden Temperatu-ren flüssig. Der immense Druck im Kernführt mit zunehmender Tiefe, trotz eben-falls weiter zunehmender Temperatur, zurVerfestigung des Eisens. Daher ist der in-nere Kern bis zum Erdmittelpunkt bei einerTiefe von ungefähr 6370 km wieder fest.

Paläomagnetismus

Die meisten Mineralien in Gesteinen sindnur schwach magnetisch. Einige wenige, sogenannte ferrimagnetische Mineralien,wovon die wichtigsten die Eisenoxide Mag-netit und Hämatit sind, sind relativ starkmagnetisch und besitzen eine wichtigeFähigkeit: Sie können einen Teil der Magne-tisierung, auch nach dem Ausschalten desMagnetfeldes, bewahren. Die Restmagneti-sierung wird als «remanente Magnetisie-rung» bezeichnet. Sie kann sehr stabil seinund über sehr lange geologische Zeitinter-valle unverändert bleiben. So erhielten Ge-steine im bei der Gesteinsbildung herr-schenden Erdmagnetfeld eine remanenteMagnetisierung, die Millionen von Jahrenspäter im Forschungslabor gemessen wer-den kann. Diese Eigenschaft erlaubt es,geologische und tektonische Interpretatio-nen zu machen und die relativen Bewegun-gen der grossen tektonischen Platten zu re-konstruieren.

Abb. 1: Schematische Darstellung der Feldlinien des Erdmagnetfeldes, der Dipolachse sowie des innerenAufbaus der Erde, bestehend aus dem Erdmantel,dem äusseren und dem inneren Erdkern.

Superkontinent «Pangäa»

Im späten Karbon bildeten alle heute be-kannten Kontinente einen einzigen Super-kontinent namens «Pangäa». Dieser Super-kontinent existierte im späten Karbon undim frühen Perm (vor etwa 320–260 Ma) inder Konfiguration «Pangäa B». Danach ha-ben interne Verschiebungen stattgefun-den. Eine neue Konfiguration, genannt«Pangäa A2», existierte im späten Permund in der frühen Trias (vor etwa 250–230Ma). Noch später fand eine weitere Neuor-ganisation der Platten statt, und die Kon-figuration «Pangäa A1» entstand in derspäten Trias und im frühen Jura (vor etwa230–180 Ma). Seit dem frühen Jura hatsich Pangäa aufgespaltet, und die damitverbundenen plattentektonischen Bewe-gungen haben zur Bildung der modernenOzeane geführt.

Nord gleich Süd

Es passiert in unregelmässigen Zeitabstän-den, dass die magnetischen Nord- und Süd-pole ihre Lagen austauschen und so die Po-larität des Erdmagnetfeldes wechselt. DerVorgang, der zu dieser «Polaritätsumkeh-rung» führt, dauert etwa 4000–6000 Jahre.Zwischen den Umkehrungen, die in zeitli-chen Abständen von etwa 10 000 bis einigeMillionen Jahren stattfinden, besitzt dasFeld eine konstante normale (heutige) bzw.umgekehrte Polarität.Die Polaritätsabfolge des Erdmagnetfeldesspiegelt sich auch in den Magnetisierun-

gen von Gesteinen wider. So werden bei derAblagerung von Sedimenten winzige Teil-chen von Magnetit, die von der Erosion derKontinente stammen, im herrschendenMagnetfeld orientiert. Auch Ergussgesteineregistrieren die Polaritätsabfolge. Bei derAbkühlung von Laven, zum Beispiel bei derBildung neuer Lithosphäre an konstrukti-ven Plattenrändern, wird eine so genanntethermisch-remanente Magnetisierung er-worben. Normal magnetisierte basaltischeLaven verstärken das aktuelle Feld, umge-kehrt magnetisierte Laven schwächen esab. Es entstehen so an den ozeanischenRücken streifenartige magnetische Anoma-lien, die als eine Abfolge von geomagne-tischen Polaritätsintervallen interpretiertwerden können.Abbildung 3 zeigt die magnetischen Ano-malien entlang von magnetischen Mess-profilen in drei Ozeanen und die daraushergeleitete Polaritätsgeschichte des Erd-magnetfeldes. Die Profile sind Hundertevon Kilometern lang. Bei der Ablagerungvon gleichaltrigen Sedimenten, wie z.B. denpelagischen Kalksteinen im nördlichenApennin Italiens, ist auch eine remanenteMagnetisierung erworben worden. Paläo-magnetische Analysen der Polaritätsab-folge in dieser 250 Meter mächtigen Kalk-sequenz ergeben eine Magnetostratigra-phie, welche von einer identischen Pola-ritätsabfolge wie in den entsprechendenozeanischen Profilen gekennzeichnet ist.Anhand des Fossilieninhaltes der Sedi-mente konnte das Alter des Kalksteins be-stimmt und der späten Kreide (vor 90–65Ma) zugeordnet werden. Diese Korrelation

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Wo lagen frühere Kontinente?

Aus den Magnetisierungsrichtungen vonGesteinen kann berechnet werden, wo dergeomagnetische Pol während der Gesteins-bildung lag. Studiert man die paläomagne-tischen Pollagen von Gesteinen verschiede-nen Alters und aus dem gleichen Konti-nent, so stellt man fest, dass scheinbar derPol, und somit auch die Erdrotationsachse,während der geologischen Zeitepocheneiner charakteristischen Kurve entlang ge-wandert ist. Die so genannte «Polwande-rungskurve» Europas unterscheidet sichdeutlich von derjenigen Nordamerikas. Dadie Erde aber nur eine einzige Rotations-achse besitzt, ist es unmöglich, dass diesesich gleichzeitig entlang von zwei Kurvenbewegen konnte. Die Polwanderungskur-ven belegen somit nicht die Bewegungendes Pols, sondern die relative Bewegungder europäischen und amerikanischen Plat-ten bzw. Kontinente. Die Polwanderungs-kurven sind daher als Evidenz für früherePlattenbewegungen zu verstehen. Auspaläomagnetischen Daten dieser Art kön-nen die früheren Positionen der Kontinenterekonstruiert werden. Ein mögliches Mo-dell der Positionen und der relativen Bewe-gungen der Kontinente in den zurücklie-genden 250 Millionen Jahren (Ma) wird inAbbildung 2 gezeigt.

Abb. 2: Modelle des Superkontinents Pangäa. (a) Modell A1 von der späten Trias (LTr) bis zum frühen Jura (EJ);(b) Modell A2 vom späten Perm (LP) bis zur frühen Trias (ETr); (c) Modell B vom späten Karbon (LC) bis zum frühen Perm (EP) [Irving, 2004].

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erlaubt somit die Datierung der ozeani-schen Kruste unter den magnetischenAnomalien in den drei Ozeanen. In dieserWeise haben Geophysiker und Geologendie Geschichte der Polarität des Erdmag-netfeldes in den letzten 180 Ma detailliertaufgeschlüsselt und datiert. Sie dient alsmagnetische Zeitskala für Datierungs- undKorrelationszwecke.

Magnetit im menschlichen Gehirngewebe

Als Folge der Erosion auf den Kontinentenwerden kleine Teilchen von Gesteinen undBöden in die Seen und Ozeane verfrachtetund dort abgelagert. Der Mineralinhalt derso gebildeten Sedimente enthält einenkleinen Anteil an feinkörnigen ferrimagne-tischen Mineralien, hauptsächlich Magne-tit. Auch die Winde transportieren kleineStaubpartikel und lagern sie weit vonihrem Herkunftsort entfernt als so ge-nannte Löss-Sedimente wieder ab. Die Pro-zesse der Erosion und Ablagerung sind ab-hängig von den herrschenden klimatischenVerhältnissen. Daher dienen Sedimente alsgute Klimaarchive der geologischen Ver-gangenheit. Die magnetischen Eigenschaf-ten der Sedimente können wichtige Beiträgezum Verständnis des Paläoklimas liefern.Aus einer Analyse der Variation von magne-tischen Parametern in Sedimentkernen ausschweizerischen Seen ist es beispielsweisemöglich, den Übergang zu wärmeren Tem-peraturen nach der letzten Eiszeit aufgrundder entsprechenden Auswirkungen auf die

Abb. 3: Geschichte der Polarität des Erdmagnetfeldes in der späten Kreidezeit vor90– 65 Ma. Intervalle normaler (umgekehrter) Polarität sind schwarz (weiss) gefärbt. Die Polaritätsabfolge in einer Kalksequenz bei Gubbio im nördlichen Appenin (oben) wird mit der aus drei ozeanischen magnetischen Profilen inter-pretierten Polaritätsgeschichte korreliert (Lowrie & Alvarez, 1977).

Abb. 4: Schwankungen der magnetischen Polarität in einem Bohrkern inLöss-Sedimenten von Luochuan, China, korrelieren mit der magnetischenZeitskala und erlauben somit die Datierung der Sedimente. Die Suszepti-bilitätsänderungen entstehen infolge paläoklimatischer Schwankungen (mit Dank an F. Heller, nach Heller & Evans, 1995).

LiteraturIrving, E., 2004. The case for Pangea B,its origin and development. In: Time-scales of the Paleomagnetic Field, Ame-rican Geophysical Union Monograph,Editors: J. E. T. Channell, D. V. Kent, W.Lowrie, and J. G. Meert, in press.Heller, F. & Evans, M.E., 1995. Loess mag-netism. Rev. Geophys., 33, 210–240.Lowrie, W., & Alvarez, W., 1977. LateCretaceous geomagnetic polarity se-quence: detailed rock- and palaeomag-netic studies of the Scaglia Rossa lime-stone at Gubbio, Italy. Geophys. J. R. astr.Soc., 51, 561–581.

ForschungsinformationenAnhand der magnetischen Eigenschaf-ten von Gesteinen werden die tektoni-sche Deformation der Erdkruste und diefrüheren Bewegungen der Kontinenteerforscht. Polaritätsumkehrungen desErdmagnetfeldes dienen als magneti-sche Zeitskala für Datierungs- und Kor-relationszwecke. Die Magnetisierungenvon Böden und See-Sedimenten lassenRückschlüsse auf klimatische und um-weltrelevante Verhältnisse in der geo-logischen Vergangenheit zu.

Prof. William LowrieInstitut für Geophysik ETH Hönggerberg, 8093 Zürich

Korngrösse des Magnetitinhalts der See-Sedimente zu interpretieren.Als Beispiel der magnetischen Erforschungvon paläoklimatischen Verhältnissen dienteine Untersuchung in den mächtigen Abla-gerungen von Löss-Sedimenten in China(Abb. 4). Diese Sedimente werden in kalten,trockenen Zeiten abgelagert und enthaltenkeine Fossilien, die eine präzise Datierungermöglichen würden. Die Magnetisierungs-richtungen in einem stratigraphischen Auf-schluss weisen eine Polaritätsabfolge auf,die mit der magnetischen Zeitskala korre-liert werden kann. Der Vergleich zeigt, dassdie ältesten Lössproben fast zwei MillionenJahre alt sind, was wesentlich älter ist, alsman vorher angenommen hatte. Die Kon-zentration von ferrimagnetischen Teilchenkann anhand der magnetischen Suszeptibi-lität bestimmt werden. Spitzenwerte korre-lieren mit Bodenschichten, die währendwärmerer Zeitintervalle gebildet wurden.Daher weisen die Variationen des magneti-schen Signals auf paläoklimatische Ände-rungen in China während der zurückliegen-den zwei Millionen Jahre hin.Ein interessantes junges Forschungsgebietist der Biomagnetismus. Kleine Teilchenvon Magnetit sind in den Zellen von Säuge-tieren und Vögeln gefunden worden. Auchim menschlichen Gehirngewebe ist experi-mentell erwiesen worden, dass winzigeTeilchen von Magnetit vorhanden sind.Welche Funktion diese magnetischen Teil-chen haben, ist noch grösstenteils unbe-kannt und wird gegenwärtig erforscht.

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Bis vor wenigen Jahrzehnten war die Mikro-biologie weitgehend eine Domäne der Me-diziner, Biochemiker und Gärungswissen-schaftler. Die Mikroorganismen unter derErdoberfläche waren für die Naturwissen-schaftler kaum ein Thema, und die verfüg-baren Nachweismethoden erlaubten ohnehinkeine zuverlässigen Aussagen über das Le-ben im Untergrund. Das Interesse umfass-te allenfalls ein paar ausgewählte Organis-mengruppen im Oberboden, die für dieLandwirtschaft und die Forstwirtschaft vonunmittelbarem Nutzen waren – allen vorandie Stickstofffixierer und die Mykorrhizen.Schauen wir uns an, was wir auf einer heu-tigen Reise von der Erdoberfläche in dieTiefe zu sehen bekommen. Wir können indiesem Artikel aus Platzgründen keinenumfassenden Reisebericht abliefern undbeschränken uns auf ein paar ausgewählteStationen wie Pionierflächen, Rhizosphäre,Unterboden, Grundwasser und Deep Sub-surface.

Bodenbildung und Pionierflächen

Der Oberboden (A-Horizont) einer land-wirtschaftlich genutzten Fläche wie Acker-land oder Wiese ist rund 10–30 cm mächtig.Ein Kilogramm Boden enthält nebst einerreichhaltigen Fauna (Würmer, Milben, Tau-sendfüssler, Käfer usw.) rund 3 g Bakterienund Pilze. Diese fruchtbaren Habitate vollerLeben sind im Verlaufe der Bodenbildungüber Jahrtausende aus einer anorgani-schen Umwelt aus Silikaten und Karbona-ten entstanden. Unzählige physikalische,chemische und biologische Verwitterungs-prozesse spielen bei der Bodenbildung eineRolle. Insbesondere die biologischen Pro-

zesse in den frühen Phasen der Bodenbil-dung sind schlecht beschrieben, und vieleFragen sind offen. Wie können sich Mikro-organismen den Nährstoff Phosphor ausdem Gestein (zum Beispiel Apatit) biover-fügbar machen, das heisst, wird Phosphordurch rein chemische Prozesse verfügbargemacht oder ist der Auflöseprozess mikro-biell katalysiert? Ist Stickstoff zu Beginntatsächlich ein limitierender Faktor oderwird Stickstoff erst relevant, wenn die Po-pulationsdichten grösser werden?Viele dieser Fragen lassen sich heute aufPionierflächen untersuchen. Beispielsweisewurden in der Region des Mount St. Helensnach dem Ausbruch von 1980 umfassendeStudien zur Bodenbildung lanciert. In unse-rer Arbeitsgruppe studieren wir die boden-bildenden Prozesse im Vorfeld des Dam-magletschers, der sich in den letzten 100Jahren um 500 m zurückgezogen hat. ImPrinzip kann eine Achse entlang des Vorfel-des als Chronosequenz betrachtet werden.Das zu Beginn aus Sand und Steinen beste-hende Vorfeld wird von Bakterien, Pilzenund Pflanzen zunehmend dichter besie-delt. Mit enzymatischen, molekularen (zumBeispiel: Gensonden, PCR-Amplifikationen,Denaturating Gradient Gel Electrophoresis[DGGE]) und geochemischen Methodenkönnen die «Pioniere» und die von ihnenkatalysierten Prozesse detailliert erfasstwerden (Abbildung 1).

Rhizosphäre als Hotspot der mikrobiellen Aktivität

Der Bereich der Pflanzenwurzeln, die so ge-nannte Rhizosphäre, bildet für das mikro-bielle Leben im Untergrund einen eigentli-

chen Hotspot. Die in den Pflanzenblätternphotosynthetisch gebildeten Assimilatewerden von der Pflanze nur zum Teil für daseigene Wachstum und die Atmung verwer-tet. Rund 10–30% der Assimilate werden indie Wurzeln transportiert und dort als sogenannte Exsudate in den Boden ausge-schieden, wo sie das mikrobielle Lebenmarkant stimulieren. In der Rhizosphärefindet man rund zwei bis drei Zehnerpoten-zen mehr Mikroorganismen als im umge-benden Boden. Viele Mikroorganismen ge-hen mit der Pflanze Symbiosen ein. Seitlangem bekannt sind die Mykorrhizen(«Wurzelpilze», deren Myzel eine Brückezwischen Pflanzenwurzel und Boden bil-det. Das Myzel kann in den engsten Poren-räumen des Bodens Wasser und Nährstoffeerschliessen und der Pflanze zuführen –und zur Freude der Feinschmecker bildendie Mykorrhizen hin und wieder auf der Bo-denoberfläche Fruchtkörper, die dann alsMorcheln, Steinpilze und Eierschwämmeauf den Markt kommen. Für die Pflanzen-produktion von grossem Interesse sindauch die Stickstoff fixierenden Symbionten(insbesondere Rhizobien und Frankia), dieN2 aus der Atmosphäre zu pflanzenverfüg-barem NH3 reduzieren. Pro Jahr fixierendiese Symbionten bis 200 kg N pro ha, wasnatürlich für das Pflanzenwachstum nichtunerheblich ist. Mit hochauflösenden mo-lekularbiologischen Methoden (zum Bei-spiel: DGGE, Terminal restriction fragmentlength polymorphism [T-RFLP]) gelingt es,die Populationsstrukturen dieser Organis-men im Boden detailliert zu erfassen undauch die Expression der funktionellen Gene(beispielsweise durch Extraktion der nifH-spezifischen mRNA) zu verfolgen. DieseStudien wiederum erlauben, im Hinblick

L E B E N U N T E R D E R E R D O B E R F L ÄC H E

M E H R A LS N U R R I E S E N P I LZ E ?J O S E F Z E Y E R , M A RT I N S C H R OT H , J UT TA K L E I K E M P E R U N D H E L M UT B Ü R G M A N N

Als Jules Verne vor rund 150 Jahren Professor Otto Lidenbrock auf die Reise zum Mittelpunkt der Erde aussandte, konnten auf der abenteuerlichen Fahrt an den Gestaden der unterirdischen Meere Riesenpilze und Dinosaurier beobachtetwerden. Seit dieser Reise, und vor allem in den letzten 10 bis 20 Jahren, hat sich aber viel verändert. Die Nachweismethoden haben sich markant verfeinert:Mit Hilfe von molekularbiologischen, biogeochemischen und spektroskopischen Methoden kann man heute die biologischen Strukturen und Funktionen im Unter-grund sehr genau erkunden. Was würden wir auf einer heutigen Reise sehen?

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Abb. 1: Im Vorfeld des Damma-Gletschers überlagern sich die Effekte von mikrobiellerSukzession und der Einfluss der Rhizosphäre von alpinen Pionierpflanzen. Mit Hilfevon PCR und Denaturating Gradient Gel Electrophoresis können die Veränderungenin der Populationsstruktur der Bodenbakterien sichtbar gemacht werden.

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auf eine nachhaltige Landwirtschaft diebiologische Stickstofffixierung gezielt zustimulieren und damit die Zugabe von Mi-neraldüngern zu reduzieren.

Unterboden als biologischer Filter

Reisen wir vom Oberboden und der Rhizo-sphäre weiter in die Tiefe, gelangen wir inden Unterboden beziehungsweise in die sogenannte ungesättigte Zone (1–3 m mäch-tig). Mit zunehmender Tiefe nimmt dieDichte der Mikroorganismen ab, weil dieNährstoffquellen (insbesondere Zufuhr vonreduzierten C-Verbindungen) langsam ver-siegen. Mengenmässig weniger Mikroorga-nismen heisst aber noch lange nicht, dassihre Funktion weniger bedeutungsvoll ist.Die Mikroorganismen in den tieferen Hori-zonten tragen beispielsweise entscheidenddazu bei, dass infiltrierende Pestizide ausder Landwirtschaft mineralisiert werdenund nicht ins Grundwasser gelangen. An-dererseits können Mikroorganismen aberauch dafür sorgen, dass Methan (CH4) ausdem Untergrund oxidiert wird und nicht indie Atmosphäre gelangt. Zur Illustrationdieser Aktivität machen wir auf unsererReise in die Tiefe einen kurzen Marschhalt.CH4 wird im Untergrund von den so ge-nannten methanogenen Mikroorganismenunter strikt anaeroben Bedingungen gebil-det. Beispielsweise produzieren Reisfelder,Hochmoore oder kontaminierte Grundwas-serleiter CH4 (Abbildung 2A). Bilanzstudienzeigen aber, dass nur ein geringer Teil des inder Tiefe produzierten CH4 in die Atmo-sphäre gelangt. Der grösste Teil wird vonden so genannten methanotrophen Mikro-organismen oxidiert. Diese Mikroorganis-men entfalten ihre Aktivität im Tiefenbe-reich, wo das aufsteigende CH4 auf Sauer-

stoff (O2) trifft (Abbildung 2B). In einemForschungsprojekt entwickeln wir Verfah-ren, die direkt (in situ) die Quantifizierungder Methanoxidation erlauben. Diese Ver-fahren beruhen darauf, die Reaktionspart-ner CH4 und O2 simultan mit den nichtreaktiven Edelgasen Neon und Argon in denUntergrund zu injizieren. Nach einer genaudefinierten Inkubationszeit werden im zu-rückgepumpten Gas die relativen Anteileanalytisch bestimmt. Aus diesen Datenwiederum lässt sich mit speziellen mathe-matischen Verfahren die Umsatzkinetik be-rechnen.

Grundwasser ist nicht steril

In vielen Gebieten der Schweiz treffen wirin einer Tiefe von 3–10 m auf bis zu 100 mmächtige Grundwasserleiter. Bis vor weni-gen Jahrzehnten glaubte man, dass Grund-wasser weitgehend steril sei. Zur Kontrollewurde jeweils Grundwasser an die Erdober-fläche gepumpt, und Proben wurden aufPetrischalen mit nährstoffreichen Medienausgestrichen, die zur Erfassung von koli-formen Keimen in Oberflächengewässernverwendet wurden. In der Regel wuchsenauf diesen Petrischalen keine Mikroorga-nismen, und man folgerte beruhigt, dassGrundwasser steril sei und ohne Bedenkenkonsumiert werden könne. Im Verlaufe derJahre konnte dann mit Hilfe von verfeiner-ten Methoden gezeigt werden, dass dieMikroorganismen, im Grundwasser zumeinen vorwiegend in sesshaften Biofilmenleben und damit nur zum Teil an die Ober-fläche gepumpt werden können. Zum an-deren wurde erkannt, dass diese Mikro-organismen an oligotrophe (nährstoffarme)Bedingungen angepasst sind und auf nähr-stoffreichen Medien häufig gar nicht wach-

sen können. Heute weiss man, dass sich ineinem oligotrophen Grundwasser bis zu 104

Bakterien pro ml befinden. Diese sind aller-dings für den Menschen unbedenklich.

Schadstoffe abbauen

Viele Mikroorganismen im Grundwasserkönnen Schadstoffe wie Heizöl, Dieselölund Lösungsmittel als Nährstoffquellennutzen und zu harmlosen Endproduktenabbauen. Diese mikrobielle Aktivität ist fürdie Grundwasserqualität von entscheiden-der Bedeutung. In einem Forschungspro-jekt versuchen wir, die am Abbau beteilig-ten Populationen mit molekularbiologi-schen Nachweisprotokollen zu charakteri-sieren und ihre Aktivität mit isotopengeo-chemischen Methoden zu quantifizieren.Ein Beispiel aus dieser Studie ist in Abbil-dung 3 dargestellt. Die Oxidation von Heiz-öl (formal mit CH1.85 beschrieben) ist häufigmit der Reduktion von Sulfat (SO4=) ge-koppelt, wobei das leichte Isotop (32S)schneller umgesetzt wird als das schwereIsotop (34S). Diese so genannte Fraktionie-rung führt entlang der Grundwasserfliess-richtung zu einer relativen Zunahme von34SO4= (Abbildung 3B). In der unkontami-nierten Zone weiter stromabwärts (im vor-liegenden Fall > 60 m) wird wiederum pri-stines Grundwasser zugemischt. Das Aus-mass der Fraktionierung lässt sich mit demso genannten ε-Wert ausdrücken (Abbil-dung 3C). Im Feld können die ε-Werte dazudienen, die mikrobiellen von den geoche-mischen Prozessen zu unterscheiden.

Abb. 2: Methan (CH4) entsteht unter strikt anaeroben Bedingungen durch denmikrobiellen Prozess der Methanogenese (A). Im Unterboden treffen CH4und atmosphärischer Sauerstoff (O2) zusammen und schaffen günstige Be-dingungen für methanotrophe Mikroorganismen, die CH4 und O2 zu Kohlen-dioxid (CO2) und Wasser (H2O) umwandeln. Im gemessenen Bodenprofil von CH4 und O2 ist die methanotrophe Zone deutlich erkennbar (rot schraf-fiert in B).

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Schlüssel zum Weltall?

Erst seit wenigen Jahren verfügen die Mi-krobiologen über Methoden, zuverlässigBohrungen abzuteufen, um das mikrobielleLeben in mehreren Kilometern Tiefe zu er-kunden. Eine der grössten Herausforderun-gen besteht darin, zu beweisen, dass die inden Bohrkernen gefundenen Organismenendogen sind und nicht mit dem Bohrkopfvon der Erdoberfläche nach unten ver-schleppt wurden. Es kann heute als gesi-chert gelten, dass selbst in Tiefen von über3 Kilometern bei hohem Druck, bei schlech-ter Wasserverfügbarkeit und bei Tempera-turen von weit über 100 oC hin und wiedereine grosse Diversität von Mikroorganis-men zu beobachten ist. Es gibt sogar Spe-kulationen, dass die Evolution in der tiefenBiosphäre begonnen haben könnte. For-schungsarbeiten in diesen Tiefen laufenheute unter dem Schlagwort Deep Subsur-face Microbiology.

Woher kommen sie, wovon leben sie?

Es drängt sich natürlich die Frage auf, wo-her diese Mikroorganismen kommen undwovon sie leben. Sicherlich können alte Se-dimente mit organischen Anteilen als Ener-giequelle dienen. Daneben sind aber auchsehr viele andere Energiequellen denkbar.In südafrikanischen Goldminen ergabensich beispielsweise Hinweise, dass natürli-che radiolytische Prozesse Spuren von Was-serstoff freisetzen können, der dann wie-derum den Organismen als Energiequelledienen kann. Es ist nahe liegend, dass dieDeep Subsurface Microbiology zusammenmit den aufregenden neuen Forschungs-ergebnissen aus der Deep Sea Microbiology(Stichwort Hydrothermal Vents) die Phanta-

Prof. Josef ZeyerProfessur für BodenbiologieFachbereich BodenbiologieInstitut für Terrestrische ÖkologieDepartement UmweltwissenschaftenETH Zürich

Martin SchrothOberassistent im Fachbereich Bodenbiologie

Jutta KleikemperPostdoktorandin im Fachbereich Bodenbiologie

Helmut BürgmannPostdoktorand im Fachbereich Bodenbiologie

ForschungsinformationenDie Forschungsaktivitäten im Fachbe-reich Bodenbiologie konzentrieren sichauf die qualitative und quantitativeErfassung von mikrobiologischen Pro-zessen in Böden und in Grundwasser-leitern. Im Weiteren werden mikrobio-logische Interaktionen sowie Kohlen-stoff- und Stickstoffflüsse untersucht. Beidiesen Studien werden vor allem mole-kularbiologische (DNA- und RNA-basie-rend) und biogeochemische Methoden(insbesondere stabile Isotope) einge-setzt. Kontakt: [email protected] undhttp://www.ito.umnw.ethz.ch/SoilBio/

LiteraturSigler W. V., Zeyer J., 2002:Microbial Diversity and activity alongthe forefields of two receding glaciers.Microb. Ecol. 43, 397–407.

Bürgmann H., Widmer F., Sigler W. V.,Zeyer J., 2003:mRNA extraction and reverse transcrip-tion-PCR protocol for detection of nifHgene expression by Azotobacter vine-landii in soil.Appl. Environ. Microbiol. 69, 1928–1935.

Kleikemper J., Schroth M. H., Sigler W.V.,Schmucki M., Bernasconi S. M., Zeyer J.,2002: Activity and diversity of sulfate-reducing bacteria in a petroleum hydro-carbon-contaminated aquifer.Appl. Environ. Microbiol. 68, 1516–1523.

sie der Astrobiologen beflügelt. Im Hinblickauf das mögliche Vorkommen von Mikro-organismen wird intensiv nach Analogienzwischen diesen extremen terrestrischenHabitaten und dem Mars sowie gewissenMonden des Jupiters (vor allem Europa undIo) und des Saturns (vor allem Titan) ge-sucht.Damit ist der Bogen von der Deep Subsur-face zum Weltall geschlagen, und wir kön-nen nach unserer Reise in die Tiefe langsamwieder auftauchen. Noch weiter abzutau-chen hätte sich für einen Mikrobiologenwohl auch kaum gelohnt, denn irgendwokommt die Tiefe, in der seine Wissenschaftdefinitiv nicht mehr gefragt ist und wo erdas Zepter den Geologen übergeben muss.

Abb. 3: In einem heizölverschmutzten Grundwasserleiter werden Proben entnommen (Abb. 3A) und analysiert. Der Abbau von Heizöl ist gekoppelt mit einer Zehrung von Sulfat (SO4=) und einer Erhöhung desδ34S-Wertes im SO4= (Abb. 3B). In der unkontaminierten Zone weiter stromabwärts steigt die Sulfat-konzentration wieder an, und der δ34S nimmt ab. Der so genannte ε-Wert lässt sich mit Hilfe von grafischenVerfahren bestimmen (Abb. 3C). Die Steigung der Geraden entspricht dem ε-Wert, und die Fraktion des noch vorhandenen Sulfats wird mit f angegeben.

A

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Wenn Grundwasser als das Wasser bezeich-net wird, das in zusammenhängenden Po-ren, Hohlräumen beziehungsweise Klüftendes Untergrundes zirkuliert, sind seiner geo-grafischen Ausdehnung kaum Grenzen ge-setzt. Dies gilt durchaus auch in RichtungErdinneres, ist Wasser doch in Tiefen vonbis zu Tausenden von Metern zu finden(Huenges et al., 1997). Im Brennpunkt desInteresses der Öffentlichkeit steht aller-dings das Wasser, das zur Nutzung zur Ver-fügung steht. Tatsächlich stellt Grundwas-ser eine weltweit wichtige Ressource zuBewässerungszwecken dar, als Trinkwasserund als Brauchwasser. Allerdings ist langenicht jede geologische Formation zur Nut-zung geeignet. Kriterien dazu sind die Er-giebigkeit sowie die Zugänglichkeit desVorkommens und die Qualität des Wassers.Somit werden quantitative, qualitative undökonomische Elemente umfasst. Im Vorder-grund stehen geologische Formationen, dieeinen aktiven Wasseraustausch mit der Hy-drosphäre aufweisen. Süsswasser aus Grund-wasservorkommen geniesst generell einenguten Ruf und verdankt seine häufig guteQualität all den physikalischen Filtrations-vorgängen und den chemischen sowie biolo-gischen Transformationsprozessen währendder Untergrundpassage. Ausserdem stelltes eine in der Regel gut geschützte Reservedar, auf welche in Trockenzeiten zurückge-griffen werden kann. Wie muss man sichdie Grössenordnung dieser Vorkommenvorstellen? Die Erdoberfläche ist bekannt-lich zu etwa 71% mit Wasser bedeckt. Insge-samt beträgt der Wasservorrat auf der Erdegemäss UNEP (2000) ca. 1,4 Mrd. km3. Da-von sind aber lediglich ca. 2,5% Süsswasser,was dem Volumen von 35 Mio. km3 ent-spricht. Wiederum davon liegen ca. 8 Mio.km3 im Untergrund. Vom zugänglichennutzbaren Süsswasser macht Grundwasserimmerhin etwa 90% aus, was noch zirka

180 000 km3 ausmacht. Die vorhandenenVolumen sind also beträchtlich.

Grundwasser in der Schweiz

Werfen wir zunächst einen Blick auf dieGrundwasserverhältnisse in der Schweiz: Ausder Sicht der Nutzung stehen an prominen-ter Stelle hochdurchlässige kiesig-sandigeLockergesteinsgrundwasserleiter (Abbildung1). Diese sind hauptsächlich Talfüllungen inden Alpentälern sowie im Alpenvorland. IhreMächtigkeit ist allerdings häufig beschränktund liegt typischerweise im Bereich von 10 bis 20 m. Das Wasservolumen kann insolchen Formationen etwa 10 bis 20% er-reichen. Ihre Entstehung verdanken sie vorallem den fluvio-glazialen Transport- undSedimentationsprozessen der letzten Eiszei-ten. Dank ihrer Oberflächennähe und guterDurchlässigkeit ist ihr Wasserhaushalt engmit Atmosphäre und Oberflächengewässernverbunden. Ein Beispiel für die vorhandeneDynamik ist in Abbildung 2 gezeigt. Es illus-triert die Reaktion des Grundwasserspiegelsauf den trockenen Sommer 2003.Weitere Grundwasservorkommen derSchweiz, welche vor allem kleinere Quellenund Fassungen speisen, sind in Ablagerun-gen von Terrassenschottern, in Sandstein-formationen, aber auch in Moränenablage-rungen usw. zu finden. Im Gebiet der Kalk-alpen und des Schweizer Juras sind zum Teilergiebige Karstgrundwasserleiter mit starkverzweigten Hohlraumsystemen zu finden.Im Bereich der Alpen sind schliesslich aus-gedehnte Kluftgrundwassersysteme in Fels-formationen zu erwähnen. Insgesamt ist inder Schweiz Grundwasser als Trinkwassersehr verbreitet und deckt gemäss BUWALüber 80% des gesamten Bedarfs. Werfenwir einen kurzen Blick auf andere Beispielevon Grundwasservorkommen weltweit.

Grundwasser in Lockergestein

Gut durchlässige sandige und sandig-kie-sige Grundwasservorkommen sind weitverbreitet. In den USA zum Beispiel sind rie-sige Formationen vorhanden, wie etwa derOgallala-Aquifer im Bereich der High Plainsmit Mächtigkeiten von zirka 150 m (Red Ri-ver Authority of Texas). Obwohl sehr gross,ist das System stark von Übernutzungbetroffen, während die Grundwasserneu-bildung hauptsächlich wegen des semi-ariden Klimas sowie geologischer Gege-benheiten limitiert ist. Etwas anders liegtes bei der ausgedehnten marinen Lockerge-steinsformation des Indusbeckens in Pakis-tan (Saeed, 2003). Der Grundwasserleiterbesteht hauptsächlich aus Sand- und Silt-ablagerungen und ist rund 300 m mächtig.Das Grundwasser ist grundsätzlich starksalzhaltig und wird lediglich im oberstenTeil durch infiltrierendes Regenwasser aus-gesüsst. Die Süsswasserschicht ist typi-scherweise etwa 30 bis 60 m dick und wirdgrossflächig durch eine Vielzahl von ange-passten Entnahmesystemen genutzt. Da-bei besteht die Kunst darin, das Grundwas-ser so zu entnehmen, dass langfristig keinSalzwasser angesaugt wird. Es ist dies einklassisches Beispiel einer nachhaltigen Be-wirtschaftung.

Das Sahara-System

Ein Beispiel aus ariden Zonen ist das Sa-hara-Aquifersystem (Sahara and Sahel Ob-servatory, 2003). Dieses besteht hauptsäch-lich aus zwei geologischen Schichtpaketen,dem gespannten Intercalary Continentalmit einer Mächtigkeit von bis zu 1000 mund dem darüber liegenden Terminal Com-plex. Es erstreckt sich über die Staaten Al-gerien, Tunesien und Libyen mit einer

WA S S E R U N T E R D E R E R D E

G R U N DWA S S E R W E LT W E I TF R I T Z STAU F F E R

Ob als Trink- oder Brauchwasser, Grundwasser ist eine weltweit wichtige Ressource.Allerdings ist nicht jede geologische Formation zur Nutzung geeignet.Ausgewählte Grundwasservorkommen rund um die Erde.

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Abb. 1: Ausschnitt aus einer Kiesgrube im Rafzerfeld (Kanton Zürich) miteiner Breite von zirka 5 m. Die sandig-kiesige Formation liegt hier in einer Mächtigkeit von über 50 m vor. Obwohl über dem Grundwasser-spiegel gelegen, sind Aufschlüsse dieser Art äusserst wertvoll für die Visualisierung des heterogenen Aufbaus von Grundwasserleitern. DieDurchlässigkeit für Wasser kann in diesem gezeigten Ausschnitt bereitsüber mehrere Zehnerpotenzen schwanken.

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Fläche von gegen 1 Mio. km2. Das riesigeSystem besteht in den durchlässigen Teilenaus Sandstein- sowie Kalksteinschichtenund wird in erster Linie im Gebiet des Atlas-gebirges in Algerien gespeist. Die gesamteNutzung durch jährlich über 2 Mrd. m3

übersteigt die Infiltration aber bei weitem.Die Folge davon sind stetig fallende Grund-wasserspiegel bzw. Wasserdrücke. Dies hatzur Folge, dass der Aufwand für die Wasser-gewinnung ständig ansteigt und zudemlokal eine zunehmende Versalzung eintritt.Letztere tritt einerseits an der Meeresküsteauf, wo Meerwasser als Folge des sinken-den Wasserdrucks in den Grundwasserlei-ter eindringt. Andererseits findet Versal-zung auch im Landesinnern in der Nähevon Salzwasserbecken statt, bei welchenWasser durch Evaporation verdunstet undversalzt. Als Folge der Übernutzung kehrensich die Strömungsgradienten um, undSalzwasser gelangt in Fassungen.

Kluft und Karstgrundwasser

Während bei Sandsteinformationen das Po-renvolumen gegenüber Lockergesteinenbereits reduziert ist, weist dieses bei Kluft-grundwasserleitern nur noch wenige Pro-zente auf. Diese bilden zusammenhän-gende Spalt- und Hohlraumsysteme in Fels-formationen, in welchen Wasser zirkulierenkann. Ihre Ergiebigkeit ist allerdings häufigbeschränkt. Ein Beispiel solcher Kluft-grundwasserleiter ist die ausgedehnte kris-talline und metamorphe Felsformation inSüdwest-Australien (Lloyd, 1999). Wegendes zum Teil hohen Salzgehalts kann esdort allerdings lediglich vereinzelt genutztwerden. Kluftgrundwasserleiter spielenaber insbesondere in semi-ariden Gebieteneine bedeutende Rolle für die lokale Was-serversorgung.Eine weitere wichtige Gruppe sind dieKarst-Grundwasserleiter in Karbonatfor-mationen. Gemäss dem US Global ChangeResearch Information Office ist bis zu etwa10% der Oberfläche der Erde mit Karstfor-mationen bedeckt, allerdings eher ingemässigten Klimazonen. Etwa ein Viertel

der Weltbevölkerung hängt von Wasser aussolchen Systemen ab. Wasser zirkuliert inmehr oder weniger grossen zusammen-hängenden Hohlraumsystemen, entstan-den durch chemische Auflösungsprozesse.Diese Systeme können zum Teil sehr hoheFliessgeschwindigkeiten aufweisen undreagieren dementsprechend rasch auf Nie-derschläge. Als Folge davon können Karst-quellen in Trockenjahren versiegen. Ausser-dem reagieren Karst-Grundwasserleiterunter Umständen sehr empfindlich auf Verschmutzungen, was besondere Anfor-derungen an ihren Schutz stellt.

Nur ein Teil des Wassers nutzbar

Volumen und Durchlässigkeit wasserfüh-render Formationen sind das eine. Wesent-lich für die nachhaltige Nutzung jeglicherGrundwasserleiter sind die gegebenen Er-neuerungsraten. Global erreichen schät-zungsweise nach Abzug von Verdunstung

und Transpiration jährlich zirka 45 000 km3

Wasser die Erdteile. Davon ist allerdings nurein Teil nutzbar. Gemäss UNEP werden jähr-lich etwa 700 km3 Grundwasser entnom-men. Hauptsächlich erfolgt die Neubildungvon Grundwasser durch den Anteil des Nie-derschlags, welcher versickert oder ausOberflächengewässern infiltriert. Die Neu-bildung ist häufig der begrenzende Faktorfür die Nutzung und ihre Kenntnis dahervon vorrangiger Bedeutung. Die langfris-tige Verfügbarkeit des Grundwassers istaber erst gegeben, wenn auch die Qualitätden geforderten Kriterien entspricht. Er-kundung, Schutz und Bewirtschaftung vonGrundwasservorkommen sowie die dazunotwendigen Grundlagen gehören daherweltweit zu den wichtigen Themen der For-schung.

ForschungsinformationenForschungsschwerpunkte von FritzStauffer sind Strömungs- und Stoff-transportprozesse im Grundwasser mitEinschluss des Kapillarbereichs. Im Vor-dergrund stehen insbesondere mathe-matische Modellierung sowie Metho-den der Geostatistik und der stochas-tischen Modellierung. Ein aktuellesForschungsprojekt ist die Entwicklungvon Methoden zur Einschätzung derGenauigkeit bzw. der Unsicherheit derResultate von Grundwassermodellen alsFolge der Unsicherheit sowie starker räumlicher Variabilität von Parametern.Ein weiteres Forschungsprojekt betrifftdie stochastische Modellierung desTransports von Umwelttracern im Grund-wasser.Kontakt: Tel. 044 633 3079;Fax 044 633 1061;E-Mail: [email protected]

Literatur Lloyd J. W. (1999), Water resources ofhard rock aquifers in arid and semi-aridzones. Studies and reports in hydrology58, UNESCO, Paris.Huenges E., J. Erzinger, J. Kück, B. Enge-ser, and W. Kessels (1997), The perme-able crust: Geohydraulic propertiesdown to 9101 m depth. J. Geophys. Res.102 (B8) 18 255-18 265.Saeed M. M. (2003), Survey of currentpractices, assessment of modeling tools,and development of guidelines for im-proving design and operation of skim-ming wells in Pakistan. Thesis Univ. Col-lege Dublin, Ireland.Sahara and Sahel Observatory (2003),The north-western Sahara aquifer sys-tem. Synthesis Report, Obs. du Saharaet du Sahel, Tunis, Tunisia.UNEP (2000), United Nations Environ-ment Programme, Vital Water Graphics,http://www.unep.org/vitalwater/in-dex.htm.

Prof. Fritz StaufferInstitut für Hydromechanik und Wasser-wirtschaft, ETH Zürich

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Abb. 2: Zeitliche Entwicklung des Grundwasserspiegels im sandig-kiesigenGrundwasserleiter des unteren Glatttals (Kanton Zürich) im Sommer/Winter 2003/2004. Erst stärkere Niederschläge im Januar 2004 vermoch-ten wieder einen nennenswerten Anstieg zu bewirken. Der Grundwasser-spiegel liegt in einer Tiefe von etwa 12 m. Die Lage des Piezometers istin unmittelbarer Nähe der Glatt (Daten H.-J. Hendricks Frannssen und T. Keller, IHW, sowie MeteoSchweiz).

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E RZ L AG E R STÄT T E N

D I E « W E LT » U N T E R D E N V U L K A N E NT H O M A S P E T T K E , W E R N E R E . H A LT E R U N D C H R I STO P H A . H E I N R I C H

Vielleicht haben Sie gerade Licht eingeschaltet, um diesen Artikel zu lesen.Vielleicht geistern die letzten Nachrichten betreffend des steigenden Ölpreises noch in ihrem Hinterkopf umher. Nicht unerschöpflich ist die Quelle fossiler Brennstoffe; erneuerbar ist nur die Wasserkraft, predigt die hiesige Energielobby. Seit dem Altertum basieren verblüffend viele menschliche Errungenschaften auf metallischen Rohstoffen: Eine Aufgabe der Geologen istes, die zukünftige Versorgung unserer Gesellschaft mit essenziellen Metallen zu sichern.

Abb. 1: Schematische Darstellung einer Subduktionszone. Ozeanische Kruste wird unter kontinentale Kruste subdu-ziert und verliert dabei chemische Komponenten, die eine partielle Aufschmelzung im Mantelkeil bewirken.Diese Schmelzen steigen dann auf und sammeln sich in Magmakammern unterhalb von Vulkanen. Die aufgeblähteDetailansicht zeigt schematisch die Koexistenz von Kristallen, Silikatschmelze und Sulfidschmelztropfen imMagma. Solche Kristalle, hier eine Hornblende, enthalten oft Schmelzeinschlüsse, deren chemische Zusammen-setzung mittels Laser-Ablation induktiv gekoppelter Plasma-Massenspektrometrie bestimmt werden kann;Einschlüsse werden einzeln herausgebohrt (siehe Ablationskrater) und analysiert. Erst solche Analysen erlauben es,die Elementverteilungen zwischen diesen unterschiedlichen Phasen zu bestimmen und so die Anreicherungs-prozesse von Metallen besser zu verstehen.

1 km

0,02 mmAblationskrater

Schmelzeinschlüsse1 cm

Sulfidschmelze

Silikatschmelze

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Technologien zur Verteilung von Energiewie unser Stromnetz sind selbstverständ-lich geworden, und die Gesellschaft akzep-tiert mit «gutem Gewissen» weiterhin denstetig steigenden, Benzin-basierten Stras-senverkehr seit der Verbreitung der Kataly-satortechnik. Die Art des gesellschaftlichenUmganges mit den metallischen Rohstof-fen ist erstaunlich. Der Verbrauch metalli-scher Rohstoffe in der modernen Gesell-schaft nimmt stetig zu, der Wiederverwer-tungsgrad ist jämmerlich tief. Das Ver-brauchsmaterial Metall ist momentannicht knapp, doch dessen Gewinnung wirdimmer aufwändiger, und das Auffindenneuer Lagerstätten wird in den nächstenJahrzehnten schwieriger werden. Geologenbefassen sich damit, das Zusammenspielverschiedener geologischer Prozesse, dieunter Vulkanen zu abbauwürdigen Erzan-reicherungen führen können, zu verstehen.Diese Grundlagenforschung trägt dazu bei,neue Vorkommen zu finden und somit denwachsenden Metallverbrauch unserer Ge-sellschaft mittelfristig zu sichern.Als Erzlagerstätte verstehen wir, ganz ge-nerell, eine hinsichtlich finanziellem undenergetischem Aufwand abbauwürdigeMasse an metallhaltigem Gestein. Für Kup-fer (Cu) in porphyrischen Lagerstätten istrund 1 Gewichtsprozent notwendig, unddie kombinierte Gewinnung mehrerer Me-talle (beispielsweise Cu, Gold [Au] und Mo-lybdän [Mo]) erhöht natürlich die Rentabi-lität des grossräumigen Abbaus. SolcheMetallgehalte sind jedoch rund tausend-mal höher als jene gewöhnlicher Krusten-und Mantelgesteine. Unsere moderne For-schung befasst sich mit den Schlüssel-fragen der geologischen Metallanreiche-rungsprozesse.

Grosse Fortschritte in der Analysekleinster Proben

Vieles, was wir heute wissen, verdanken wirden Fortschritten in der Analytik von geolo-gischen Proben, dem stetig wachsendenexperimentellen Datensatz zum chemi-schen Verhalten der Erzelemente bei Tem-peraturen über 300 °C und einem Druck,der bis zu 50 000 bar erreichen kann, sowieder numerischen Modellierung nicht direktbeobachtbarer geologischer Prozesse. Laser-Ablation Induktiv-Gekoppelte-Plasma-Mas-senspektrometrie (LA-ICPMS) erlaubt seitkurzem die chemische Analyse von 0,01 mmgrossen Einschlüssen von Fluiden und Ge-steinsschmelze in Mineralien (siehe Abbil-dungen 1 und 2), mit Nachweisgrenzen, diebeispielsweise für Gold (Au) unter einemGramm pro Tonne liegen. Diese bahnbre-chende Entwicklung am Departement Erd-wissenschaften erlaubt nun erstmals, dieKonzentration und Umverteilung von Erz-metallen zwischen unterschiedlichen Ge-steinsschmelzen und hydrothermalen Flui-den – wässrigen, salzreichen Lösungen –direkt zu studieren (siehe Abb. 2). SolcheDaten sind essenziell zum besseren Ver-ständnis der Entstehung abbauwürdigerVererzungen, wie im Folgenden für die Ge-nese porphyrischer Erzlagerstätten illus-triert wird.

Porphyrische Erzlagerstätten:Lieferanten von Metallen

Porphyrische Erzlagerstätten sind mit Mag-matismus und Vulkanen über Subduktions-zonen assoziiert (Abb. 1) und sind das sicht-bare Resultat komplexer Vorgänge in einer

Tiefe von bis zu hundert Kilometern (sieheArtikel Schmidt/Ulmer, S. 50-54). Unmittel-bar unter Vulkanen in Tiefen von gewöhn-lich weniger als 15 km befinden sich Mag-makammern (hier existieren Mineralienschwimmend in Gesteinsschmelze, Abb. 1),welche als zentrale Zwischenstufe in derkontinuierlichen Entwicklung vulkanischerSysteme gelten. Über solchen Magmakam-mern, jedoch noch unter den Vulkanen,können sich so genannte porphyrische Erz-lagerstätten bilden, unsere Hauptquellevon Cu und Mo; sie sind auch wichtigeLieferanten von Edelmetallen wie Au oderRhenium (Re). Die Entstehungsprozesse vonsolchen Erzlagerstätten erscheinen prinzi-piell einfach, sind aber im Detail sehr kom-plex und in der Erdgeschichte nur relativselten verwirklicht.

Intrusionen und Eruptionen

Die Genese der Gesteinsschmelze ist engverknüpft mit aus der subduzierten ozeani-schen Krustenplatte freigesetzten chemi-schen Komponenten (unter anderem H2O,Alkali- und Erdalkalimetalle, Halogenide,Schwefel), welche dann im darüber liegen-den Mantelkeil partielle Aufschmelzungauslösen (Abb. 1). Diese Schmelzen sam-meln sich, steigen auf und können Magma-kammern bilden. Das zwischenzeitlicheVerweilen von Magma in solchen Kammernerlaubt nun einer grossen Anzahl physiko-chemischer Prozesse, wirksam zu werden.Wichtig dabei sind die periodische Zu-mischung von Gesteinsschmelze aus derTiefe und das Aufsteigen von Magma, sei esbis zur Erdoberfläche als Vulkaneruptionenoder sei es als Intrusionen, die in der Kruste

Abb. 2: Drei zentrale Metallanreicherungsphasen in der Genese porphyrischer Erzlagerstätten, chronologisch vonunten nach oben illustriert. Abbildung 2a zeigt koexistierende Silikat- und Sulfidschmelzeinschlüsse (schwarz = im Kristall, hell = exponiert an der Oberfläche) in einem Amphibolkristall. Metalle wie Kupfer und Gold gehen zu99,9% in die Sulfidschmelztropfen. Dieser Prozess findet bei rund 800 – 1000 °C statt und kann als erste Voran-reicherung verstanden werden. Abbildung 2b zeigt koexistierende Einschlüsse von Silikatschmelze und hydrother-malem Fluid bei 600–800 °C. Metalle gehen zu 99% in das Fluid über, inklusive jener in Sulfidschmelztropfen, denndiese werden durch das Fluid aufgelöst. Metalle im hydrothermalen Fluid sind gegenüber dem Ursprungsmagmaetwa hundertfach angereichert. Abbildung 2c zeigt ein vererztes Gestein mit auffälligen Adern von Kupferkies,Pyrit und Quarz. Die vererzte Gesteinsmasse enthält typischerweise 1 Gewichtsprozent Kupfer und oft bis zu 1 Gramm pro Tonne Gold.

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unterhalb der Vulkane stecken bleiben. Es-senziell für die Entstehung porphyrischerErzlagerstätten aber sind – nach neuestenErkenntnissen in der Grundlagenforschung– chemische Prozesse in der Magmakam-mer. Die Kristallisation von wasserarmenMineralien bewirkt, dass sich die verblei-bende Restschmelze immer mehr mit ge-löstem Wasser anreichert bis zur Sätti-gung, wo sich ein hydrothermales Fluidentmischt. Dieses ist gewöhnlich salzreich(Salzgehalte sind ein Mehrfaches vonMeerwasser) und vermag effektiv eineganze Anzahl Metalle zu lösen. Messungender Elementgehalte koexistierender Flüs-sigkeits- und Schmelzeinschlüsse (Abb. 2b)erlauben nun die direkte Bestimmung vonMetallverteilungskoeffizienten zwischenSchmelze und Fluid, entstanden bei rund700-800 ºC in mehreren Kilometern Tiefe.Solche Resultate zeigen, dass der Gehaltan Cu und Au in der Restschmelze (bereitsangereichert durch die Kristallisation me-tallarmer Mineralien wie Feldspäte, Quarz,Amphibole oder auch Pyroxene) beiFluidsättigung gesamthaft vom Fluid auf-genommen wird, indem die Metalle zusam-men mit den Halogeniden und Schwefelfluidlösliche Komplexe bilden. Der Grad derMetallanreicherung liegt hier im Bereichezweier Grössenordnungen. Sättigen sichnun grosse Teile einer Magmakammer von10-20 km3 Grösse, so bildet sich in der Grös-senordnung von einer Milliarde Tonnen Erz-metall-beladenes Fluid.

Mobile Fluide

Solche Erzmetall-beladenen Fluide sindmobil und erfahren aufgrund ihrer gerin-gen Viskosität und Dichte von weniger als 1g/cm3 starken Auftrieb. Seichte, fingerför-mige Intrusionen bilden oft bevorzugteWegsamkeiten (Abb. 1). Was nun noch fehltzur Bildung einer reichen Erzlagerstätte istdas konzentrierte Ausfällen von Erzminera-lien in einem möglichst begrenzten Ge-steinsvolumen, um eine weitere Aufkon-zentration der Erzmetalle erreichen zu kön-nen (Abb. 2c). Auch hier ist erneut eine Viel-falt von Prozessen am Werk, wobei die Ent-mischung des Fluids in koexistierendewässrige, salzreiche Lösung und salzarmen,aber schwefelreichen Wasserdampf undTemperaturabnahme essenziell ist.

Wie entsteht eine porphyrische Erzlagerstätte?

Sind nun die geologischen Rahmenbedin-gungen derart, dass fokussiertes, langsa-mes Aufsteigen des Fluids dessen fort-schreitende Abkühlung um etliche zehnGrad in einem vertikalen Intervall von we-nigen hundert Metern erlaubt, so kannmehr als 90% des Kupfers in Form von Kup-fersulfiden ausgeschieden werden (Abb.2 c). Diese Ausscheidungseffizienz resul-tiert von der ausgeprägten Temperatur-abhängigkeit der Löslichkeit vieler Metall-komplexe, wie aus Experimenten bekanntist. Wird nun dieser Ausscheidungshorizontüber eine gewisse Zeitspanne von immer

neuem erzbeladenem Fluid durchwandertund verändern sich die geologischen Rah-menbedingungen nur unwesentlich, so er-gibt sich eine ausgeprägt lokalisierte Aus-fällung von Erzmineralien. Somit ist eineporphyrische Erzlagerstätte entstanden(Abb. 3). Modellberechnungen zeigen (einkontinuierlicher Prozess ist dabei vorausge-setzt), dass sich solche Lagerstätten innerteinigen zehntausend Jahren bilden können.

Der Metallinhalt porphyrischerErzlagerstätten

Was genau bestimmt nun die Metallver-hältnisse einer Vererzung? Die genetischeBedeutung vorab des Cu/Au-Verhältnisseswird seit Jahrzehnten diskutiert, denn dieAnwesenheit von Au ist ein zusätzlicher«Bonus» für den Erzabbau. Neueste Er-kenntnisse über den Cu-Au-Metallinhaltvon Magmakammern konnten nun ausAnalysen kleinster Einschlüsse von Sulfid-schmelzen in gesteinsbildenden Minera-lien gewonnen werden (Abb. 2a). Ähnlichwie bei einem wässrigen Fluid, können sichebenfalls geringste Mengen einer Schwefel-Eisen-reichen Schmelze (Sulfidschmelze)aus einem silikatischen Magma früh in des-sen Entwicklung entmischen. Analysen ko-existierender Sulfid- und Silikat-Schmelz-einschlüsse mittels LA-ICPMS zeigen, dassMetalle wie Cu und Au quantitativ in dieSulfidschmelze gehen. Vergleicht man nundie gemessenen Metallverhältnisse in Sul-fid-Schmelzeinschlüssen mit denen desErz-beladenen hydrothermalen Fluids und

Abb. 3: Tagebau in der Kupfer-Gold-Lagerstätte Bajo de la Alumb-rera, argentinische Anden. Täglich werden rund 100 000 TonnenErz abgebaut, was nach der Aufbereitung rund 500 Tonnen Kupferund 60 Kilogramm Gold ergibt. Der elektrisch betriebene Baggerfasst um die 50 Tonnen Erz pro Schaufelladung; die Lastwagen haben eine Nutzlast von 250 Tonnen! Die Erzreserven in Bajo de laAlumbrera werden auf 3 300 000 Tonnen Kupfer und 380 TonnenGold geschätzt.

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denen der daraus entstandenen Erzlager-stätte, so sind diese auffallend gleich. DieMetallverhältnisse der Ursprungsschmelzewerden also durch die unterschiedlichenProzesse der Lagerstättengenese (Fluident-mischung in der Magmakammer, Fluidauf-stieg und die lokalisierte Ausfällung) nurunwesentlich beeinflusst. GrundlegendeSchlussfolgerungen sind einerseits die Tat-sache, dass bereits Prozesse vor der Mag-makammerbildung (Schmelzbildung imMantelkeil oder sogar bereits die Entwässe-rung der subduzierten ozeanischen Kruste;Abb. 1) über das Metallverhältnis einer all-fälligen Vererzung entscheiden. Anderer-seits haben Analysen solcher Sulfid-Schmelzeinschlüsse das Potenzial, die Ab-schätzung der Wirtschaftlichkeit neu ge-fundener Erzkörper massgeblich zu verbes-sern.

Was bringt die Zukunft?

Der Wiederverwendungsgrad von Metallennimmt zu, wird aber nie vollständig mög-lich sein. Neue Rohstoffquellen aus natür-lichen Metallanreicherungen in der Erd-kruste sind daher auch längerfristig vonzentraler Bedeutung für unsere Zivilisation.Neue Vorkommen zu finden ist zunehmendschwieriger, und daher ist ein grundlegen-des Verständnis der erzanreichernden geo-logischen Prozesse immer wichtiger, bisdereinst neue Rohstoffe weit unter der Erd-oberfläche vorhergesagt, lokalisiert undvielleicht sogar ohne Abbau in Minen selek-tiv extrahiert werden können.

ForschungsinformationenThomas Pettke ist Laborleiter der Laser-basierten Plasma-Massenspektrome-trie, in der Gruppe «Fluids and ore de-posits» von Prof. C. A. Heinrich. SeineHauptinteressen gelten dem Stoffkreis-lauf in Subduktionszonen mit Schwer-gewicht auf der chemischen Analysemikroskopischer Einschlüsse von Flüs-sigkeiten und Gesteinsschmelze in Mi-neralien und deren Bedeutung auch fürdie Erzlagerstä[email protected] Werner E. Halter hat zurzeit eine För-derungsprofessur des SchweizerischenNationalfonds am Departement Erd-wissenschaften und ist Leiter der Gruppe«Magma-Thermodynamik». Seine For-schung befasst sich mit der Struktur, derThermodynamik und der Entwicklungvon Silikatschmelzen in vulkanischenund erzbildenden [email protected] Christoph A. Heinrich ist ordentlicherProfessor für mineralische Rohstoffeund Prozesse des Erdinnern und leitetseit 1994 die «Fluids and ore deposits»-Gruppe im Departement Erdwissen-schaften. Sein Hauptinteresse gilt dengeologischen Bildungsprozessen mine-ralischer Rohstoffe im [email protected] Weitere Informationen unter:http://www.erdw.ethz.ch/Heinrich

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Die Nutzung der Erdwärme reicht weit indie Geschichte zurück. Neben den Griechenund Römern nutzten auch noch ältere Kul-turen die Wärme, die in Form von Thermal-quellen und Dampf aus dem Untergrundtritt. Heute wird geothermische Energie inüber 50 Ländern für Wärme- und Strom-erzeugung verwendet. Energie steht derMenschheit in verschiedenster Form zurVerfügung. Global betrachtet, wird die vonder Menschheit verbrauchte Energie (Wärmeund Kraft) zu 80% durch Verbrennung fos-siler Energieträger aufgebracht. Davonwerden im Mittel etwa 25% für die ver-schiedensten Anwendungen des täglichenLebens in elektrische Energie umgewan-delt. Der weltweite Bedarf an elektrischerEnergie wird zu 2/3 aus fossilen Brennstof-fen erzeugt, während der Rest mit Wasser-kraft und Kernkraft ( je 1/6) produziert wird.Nur ein sehr geringer Teil kommt aus so ge-nannten neuen, erneuerbaren Quellen wieWind, Biogas oder Solarenergie. Die bei derVerbrennung fossiler Energieträger erzeug-ten Emissionen haben die uns bekanntenklimatischen Auswirkungen. Zudem gehendie problemlos gewinnbaren fossilen Vorrätezur Neige, und die Energiepreise werdendadurch möglicherweise auf ungewohnteWerte ansteigen. Durch finanzielle Förde-rung erneuerbarer Energieformen versuchtdie Politik dem entgegenzuwirken.

Windenergie in den Alpen speichern

Zur direkten Erzeugung elektrischer Ener-gie wird vor allem die Windenergie in gros-sem Stil vorangetrieben. Allerdings ist der

Wind durch sein unregelmässiges Auftre-ten gekennzeichnet, was mit dem jeweili-gen Bedarf oftmals nicht in Einklang steht.Um die Nachfrage mit einem stabilen elek-trischen Versorgungssystem zu decken,muss daher immer ein sehr hoher Anteilaus Quellen kommen, welche jederzeit ver-fügbar und regelbar (Regelenergie) sind.Der vehemente Ausbau der Windenergie,wie er heute in einigen europäischen Län-dern stattfindet, macht nur dann Sinn,wenn die entsprechende Regelenergie eben-falls vorhanden ist (was nicht der Fall ist)oder wenn die oftmals überschüssige Wind-energie gespeichert werden kann. Bis zu ei-nem kleinen, aber bei weitem nicht ausrei-chenden Teil ist das durch die Pumpspei-cherwerke (wie etwa in den Alpen) möglich.Fazit ist, dass wir noch mehr Wasserkraft,Kernenergie oder fossilthermische Kraft-werke benötigen werden, um den steigen-den Bedarf an ständig verfügbarer Energiezu erzeugen. Im Sinne eines nachhaltigenökologischen Bestrebens müssen wir dahernach Alternativen suchen, welche derartigeEnergie liefern und helfen, die Verbrennungfossiler Energieträger zu reduzieren, ohneunsere Umwelt anderwärtig zu belasten.Spätestens hier sollten wir uns bewusstmachen, dass wir ohnehin auf einem prak-tisch unerschöpflichen Energiereservoir leben. 99% der Erdmasse ist heisser als1000 °C und 99,9% ist immerhin wärmerals 100 °C. Die Quelle ist also vorhanden.Der Mensch müsste nur lernen, wie sieeffektiv zu nutzen ist.

G E OT H E R M I S C H E E N E R G I E

ST R O M U N D WÄ R M E F Ü R D I E Z U KU N F T ?K L AU S F R Ö H L I C H U N D W I L LY G E H R E R

Um die knappen fossilen Reserven mit ihrer klimaschädigenden Wirkung wenigstens teilweise ersetzen zu können, bietet sich die Nutzung der Erdwärme an: Hier müsste man allerdings die Energie aus grösserer Tiefe holen.Ein geologisch geeigneter Standort dafür wäre die Schweiz. Sie hat ein hohes Forschungspotenzial und könnte auf diesem Gebiet eine führende Rolle übernehmen.

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Wärmepumpen: Schweiz weltweitführend

Verschiedene Schichten sind für die Erd-wärmenutzung verfügbar: In oberflächen-nahen Erdschichten (untiefe Geothermie)wird gespeicherte Sonnenenergie dem Erd-reich oder dem Grundwasser entzogen.Dies geschieht mit Hilfe eines Wärmeträ-germediums, das einen im Erdreich verleg-ten Wärmetauscher (Rohrregister in 2 mTiefe oder Erdsonden bis 150 m Tiefe)durchströmt. Die in der Wärmequelle be-findliche Energie wird einer Wärmepumpezugeführt und zur dezentralen Wärmever-sorgung von Objekten eingesetzt. DieSchweiz hat weltweit pro Einwohner diegrösste Verbreitung von Wärmepumpen.Ein weiteres Prinzip ist die hydrother-male Erdwärmenutzung. Das in so genann-ten Aquiferen vorhandene energetischePotenzial von niedrigthermalem, warmem(40 –100 °C) oder heissem (>100 °C), aus derErdkruste gewinnbarem Wasser wird fürWärmeversorgungsaufgaben und zur Strom-erzeugung genutzt. Die weltweit instal-lierte Leistung solcher Geothermiekraft-werke zur Stromerzeugung beträgt rund 10 GW.

Das Hot-Fractured-Rock-Verfahren:terrestrische Wärme nutzen

Das weitaus grösste theoretische Potenzialfür die geothermische Energiegewinnungläge jedoch in der Nutzung der terrestri-schen Wärme in tief liegenden, kristallinenGesteinen. Ein wesentlicher Ansatz dafürist das so genannte Hot-Fractured-Rock-Verfahren. Diese praktisch unerschöpflicheEnergiequelle könnte überall auf der Erdegenutzt werden. Das Prinzip ist relativ ein-fach: Mit einer Bohrung auf 4–6 km Tiefeerreicht man sicher das Grundgebirge, dasheisst kristallines Gestein. In diesen Tiefenbeträgt die Gesteinstemperatur in der Re-gel 150–250 °C. Wird nun Wasser in dieseBohrung gepresst, so verteilt sich dieses innatürlichen kleinen und grösseren Spalten(Klüften) des ursprünglich trockenen heis-sen Gesteins und wird erwärmt. Zur Ver-grösserung der Oberfläche können dieseKlüfte hydraulisch erweitert werden. Wei-tere Bohrungen nehmen das aufgeheizteWasser wieder auf und fördern es an dieOberfläche. Damit ist ein natürlicher Wär-metauscher geschaffen.

Wärme aus der Erde in elektrische Energie umwandeln

Um die Wärme aus der Erde in elektrischeEnergie zu wandeln, stehen verschiedeneProzesse und Anlagen zur Verfügung. Allebeinhalten eine Turbine, in der das Arbeits-medium entspannt wird und über eineWelle einen Generator antreibt. Da geo-thermische Energie, aus thermodynami-scher Sicht, Niedertemperaturenergie dar-stellt, ist die Effizienz der Umwandlungdurch den so genannten Carnot-Wirkungs-grad begrenzt. Neben Reservoirtemperatur,Dampfgehalt und Druck legen der Gehaltan nicht kondensierbaren Gasen, die Mine-ralisation und auch die Ergiebigkeit desWärmevorkommens die Art der Energie-konversion fest.Sind die Temperatur und die Qualität desgeothermischen Fluids ausreichend hoch,so kann es direkt genutzt werden. Aus demgeothermischen Reservoir tritt entwederDampf aus, der direkt eine Turbine treibt,oder es tritt Heisswasser (>150 °C) mit ho-hem Druck aus, welches, über eine Drosselentspannt, der Turbine schlussendlich wie-derum in Dampfform zugeführt wird.

Optimierungspotenziale ausschöpfen

Um Mineralisation, nicht kondensierbareGase, aggressive Fluide usw. besser zu be-herrschen, wird die Turbine über einen Se-kundärkreislauf betrieben. Ersatz von Was-ser im Sekundärkreis durch Arbeitsfluidemit niederen Siedetemperaturen erlaubtdie Nutzung von Reservoiren mit relativniedriger Temperatur. Einer dieser Prozesseist der ORC-Prozess (Organic Rankine Cycle).Als Arbeitsmittel dienen hier kurzkettigeKohlenwasserstoffe wie zum Beispiel Pen-tan. Ein weiteres Verfahren ist der so ge-nannte Kalina-Prozess. Das Arbeitsmediumim Sekundärkreislauf besteht aus einemZweistoffgemisch wie beispielsweise Am-moniak-Wasser. Im Gegensatz zu Wasser,das bei einem gegebenen Druck mit kons-tanter Temperatur (isotherm) verdampftbeziehungsweise kondensiert, siedet dasAmmoniak-Wasser-Gemisch bei ständigsteigenden Temperaturen, sprich konden-siert bei ständig sinkenden Temperaturen.Insgesamt wird damit eine deutliche Ver-besserung des Carnot-Wirkungsgrades er-reicht. Die Optimierungspotenziale dieserVerfahren sind noch nicht vollständig aus-geschöpft, jedoch sicher limitiert. Für diebei der Geothermie zur Verfügung stehen-den Temperaturen werden die Wirkungs-grade auf ihrem jetzigen Niveau bleiben.

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Deshalb ist es wichtig, neue Ansätze zu ver-folgen, die nach Möglichkeit auch in beste-hende Systeme integriert werden können,um die Gesamteffizienz zu verbessern.

Weltweit erstes Geothermie-Kraftwerk in Basel

Vor rund drei Jahren wurde in Basel beimZoll Otterbach eine erste Bohrung als Basisfür ein zukünftiges Geothermie-Kraftwerkerstellt. Millionen Jahre alte Sedimente mitSand und Tonkalk wurden durchbohrt, bisman bei rund 2800 m auf kristallinesGrundgebirge stiess. Da Basel mit demRheingraben eher auf tektonisch aktiverenGebieten steht, bestand die Hoffnung, dassder Temperaturgradient höher liegt als beieinem Durchschnitt von 3 K pro 100 MeterTiefe. Die Hoffnung hat sich bestätigt. Dieerste Probebohrung ergab rund 4 K prohundert Meter Tiefe. Dies ist ein wichtigerwirtschaftlicher Faktor, zumal die Bohr-kosten rund 70% des gesamten Projektesausmachen. Da sich die HFR-Technologie ineinem sehr frühen Stadium befindet (esgibt weltweit nur sehr wenige Forschungs-projekte, zum Beispiel das europäische inSoultz-sous-Forêts), besteht eine gewisseUnsicherheit, ob dieser in 5000 Meter un-ter der Erdoberfläche liegende natürlicheWärmetauscher auch erzeugbar ist. Des-halb waren die Geldgeber lange Zeitzurückhaltend. Nun hat Basel einen erstenKredit von 32 Millionen Schweizerfrankenzugesprochen, und es kann mit der Boh-rung begonnen werden. Das Geothermie-Kraftwerk Basel soll in fünf Jahren Stromund Wärme für rund 5000 Haushalte lie-fern, das heisst rund 30 MW Wärme und 3MW Strom. Die Investitionen für das ganzeKraftwerk sind auf 80 Millionen SchweizerFranken veranschlagt. Daraus ergeben sichStromkosten von rund 15 Rappen pro kWh,eine Grössenordnung, wie sie bei der Wind-energie anfällt. Im Gegensatz zur Wind-energie liefert aber die Erdwärme Energiewährend 365 Tagen jeweils 24 Stundenlang. Es ist hier keine Regelenergie erfor-derlich, wie sie normalerweise benötigtwird, um Windenergie bei Windflauten zukompensieren. Solche Flauten treten sogarin der Nordsee auf, und zwar zu mehr als60% über das ganze Jahr gesehen.Die Ergebnisse der Umweltverträglichkeits-prüfung für das Projekt sind positiv. Esproduziert kein CO2, und auch die Bohr-schlämme (der Aushub) können unbedenk-lich und umweltgerecht deponiert werden.Es gibt in der Schweiz noch weitere Pro-jekte sowie Projektideen. Doch solange

vom Projekt Basel noch keine Resultate vor-liegen, halten sich die Investoren zurück.

Temperaturen in der Tiefe

Das Projekt in Basel kann selbstverständ-lich nur ein Anfang sein. Vieles ist noch unbekannt, viele Probleme werden auchbei Gelingen nur im Ansatz gelöst sein. Um die geothermische Gewinnung elektrischer Energie attraktiv und gegenüber den fossi-len Lösungen konkurrenzfähig zu machen,ist noch ein weiter Weg zu beschreiten.Eine grundlegende Forschung ist erforder-lich. Folgenden drei Themenbereichen istbesondere Aufmerksamkeit zu schenken:

· Exploration· Bohrtechnik· Konversion in elektrische Energie

Das Auffinden geeigneter Stellen für dasHFR-Verfahren ist heute noch aufwändigund damit teuer. Von der Oberfläche aus istwohl eine grobe Ortung möglich; insbeson-dere die Temperatur des tiefen Gesteins istjedoch ohne Probebohrung nicht vorher-sehbar. Die Bestimmung einer geeignetenLage ist daher problematisch. Präzisere undkostengünstigere Methoden sind zu fin-den, welche die Temperaturen in der Tiefemit ausreichender Sicherheit ohne Boh-rung feststellen können.

Sorgenkind Bohrtechnik

Ein weiteres Problem ist die Bohrtechnik.Beim Projekt Basel betragen die Bohrkos-ten etwa 70% der Gesamtkosten. Ein Anteil,der im Hinblick auf eine breite Anwendungund unter dem Konkurrenzdruck der be-reits bestehenden Prinzipien inakzeptabelhoch ist. Erste Schritte zu besseren Metho-den werden zurzeit im Rahmen eines EU-Projekts unter Beteiligung der Fachgruppedes Autors getan mit dem Ziel, durch ein so genanntes intelligentes Bohrsystem dieEffizienz und die Geschwindigkeit zu er-höhen. Kernstück ist ein abrollbares, faser-verstärktes Kunststoffrohr, das einen miteinem Elektromotor getriebenen Bohrkopftragen soll. Der Motor wird über elektrischeLeiter, welche in die Rohrwand eingelegtsind, versorgt. Lichtleiter erlauben einenleistungsfähigen Signalfluss für verschie-denste Sensoren und Diagnosewerkzeugevon und zur Oberfläche.

Visionen der Forschung

Da das im HFR-Verfahren gewonnene Was-ser eine relativ niedrige Temperatur von150–250 °C hat, ist der Umwandlungspro-zess in elektrische Energie heute sehr inef-fizient. Visionen zur Verbesserung sind vor-handen. Eine Idee besteht darin, einen sta-tischen Wandler nach dem Prinzip der ther-mischen Emission von Elektronen zu kons-truieren. Diese könnten selbstverständlichauch zur Erzeugung von Strom aus anderenNiedrigtemperaturquellen oder Abwärmeeingesetzt werden. Dabei sollen die ther-misch angeregten Elektronen von der war-men Elektrode durch einen Vakuumspaltvon wenigen Nanometern zur kalten Elek-trode übertreten. Damit wird eine Span-nungsquelle realisiert, und die Konversionist vollzogen. Geothermisch aufgeheiztesWasser könnte die Wärmequelle dafür sein.Die Eleganz dieses Prinzips läge darin, dassdie Elektronen den Spalt «durchtunneln»können und nicht einen Energie verzehren-den Potenzialwall überwinden müssen, wiedas bei Thermionikelementen der Fall ist.Aber auch andere Quellen wie etwa die Ab-wärme jedweder Kühlsysteme wären denk-bar. Die Machbarkeit eines solchen Konver-ters wird zurzeit am Institut des Autors stu-diert.

Mehr Energie aus der Tiefe gewinnen

Nüchtern betrachtet, stehen der Mensch-heit zur elektrischen Energiegewinnungvier grosse Energieressourcen zur Verfü-gung, welche 24 Stunden am Tag verfügbarsind. Die Wasserkraft, die Kernenergie, diefossilen Brennstoffe und die Erdwärme.Sonne und Wind sind zwar ebenso in gros-sem Masse vorhanden, sie sind aber nichtständig verfügbar, und die geographischeEffektivität ist minimal. Die drohende Ver-knappung der fossilen Brennstoffe sowiederen negativer Einfluss auf unser Klimafordern zum Handeln auf. Substanziellmehr Energie aus der Tiefe zu gewinnenwäre sicherlich ein entscheidender Schritt.Wir müssen aber durch intensive For-schung und Entwicklung lernen, dieses zutun. Die Schweiz ist ein geeigneter Stand-ort, und sie hat auch das Potenzial, eineführende Rolle einzunehmen.

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Abb. 1: Prinzip des Hot-Fractured-Rock-Verfahrens(Quelle: M. Häring, Geothermal Explorers Ltd.)

Abb. 2: Prinzip eines statischen Wandlers von thermischer in elektrische Energie

ForschungsinformationenSchwerpunkte:Neue Isoliermaterialien für elektrischeApparateIntelligenz und Technologie von Ein-richtungen der elektrischen Energiever-sorgungZukunft der elektrischen Energieversor-gungGeothermische EnergiegewinnungWeitere Informationen:http//www.eeh.ee.ethz.ch/hvl/Kontakt: Prof. Dr. Klaus FröhlichTel. +4116322776, Fax +4116321202,E-Mail: [email protected]

Prof. Klaus FröhlichOrdentlicher Professor am Institut fürElektrische Energieübertragung und Hochspannungstechnologie der ETH Zürich

Willy GehrerPräsident der Energietechnischen Gesellschaft der SchweizLeiter des Bereichs Transportation Systems / Siemens Schweiz

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G E FA H R F Ü R L E I B U N D L E B E N

KÖ N N E N E R D B E B E N VO R H E R G E S AG T W E R D E N ? ST E FA N W I E M E R

Im Mittel sterben etwa 10 000 Menschen weltweit pro Jahr an den Folgen von Erdbeben, davon mehr als 1000 in Europa. Durch die zunehmende Urbani-sierung, insbesondere in Ländern der Dritten Welt, durch unzureichende Bausub-stanz und durch die zunehmende Verletzbarkeit moderner Industriegesell-schaften nehmen die Schäden und Todesfälle tendenziell zu. Es wird in den nächsten 50 Jahren wieder katastrophale Erdbeben geben.Kann man Erdbeben vorhersagen?

Abbildung 1: Zerstörte Häuser in der Stadt Boumerdes in Algerien.Das Beben vom 21. Mai 2003 der Magnitude 6,8 hat mehr als 2000 Menschen getötet. Der Schweizerische Erdbebendienst istzusammen mit dem Schweizerischen Korps für HumanitäreHilfe innert 24 Stunden nach dem Hauptbeben in Algerien ange-kommen, um dort Nachbeben zu messen und so mehr über das tektonische Umfeld zu lernen (Foto: Souad Sellami, SED).

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Erdbeben sind ein faszinierendes und prin-zipiell erstaunlich harmloses Naturphäno-men. Ein Mensch, der in der freien Natursteht und ein starkes Erdbeben erlebt, wirdwahrscheinlich das Gleichgewicht verlie-ren, wohingegen bei Überschwemmungen,Vulkanausbrüchen oder Lawinen direkteGefahr für Leib und Leben besteht. Deshalbargumentieren Seismologen und Erdbeben-ingenieure, dass nicht Erdbeben Menschentöten, sondern Häuser (Abbildung 1).Katastrophale Erdbeben wie etwa das Be-ben von 1556 in der Provinz Shensi in China,bei dem etwa 830 000 Menschen starben,oder das Bam-Beben im Iran im Jahr 2003,bei dem annähernd 40 000 Menschen ge-storben sind, werden auch zukünftig pas-sieren, meinen die Wissenschaftler. Die rein ökonomischen Auswirkungen von Erd-beben sind ähnlich erschütternd: Seit 1971haben Erdbeben alleine in Kalifornien Schä-den von mehr als 60 Milliarden US$ verur-sacht. Ein zukünftiges starkes Erdbeben inder Tokioter Region könnte gar die weltwei-ten Aktienmärkte kollabieren lassen, da zuerwarten wäre, dass Japan seine Auslands-investitionen zurückzieht, um die Repara-tur der Schäden zu finanzieren. Angesichtsdieser düsteren Zukunftsaussichten wer-den Seismologen verständlicherweise im-mer wieder gefragt, warum Erdbeben nichtvorhergesagt werden können.

Was ist überhaupt eine Erdbebenvorhersage?

Der Begriff Erdbebenvorhersage wird vonLaien und Wissenschaftlern unterschied-lich verstanden. Wenn Seismologen vonErdbebenvorhersage sprechen, dann diffe-renzieren sie oft zwischen vier verschiede-nen Stufen der Prognose beziehungsweiseVorhersage:1. Zeitunabhängige probabilistische Vorher-sagen (seismische Gefährdungskarten);2. Zeitabhängige probabilistische Vorhersa-gen, die Erdbebencluster (Vorbeben/Nach-beben/Schwärme) mit in Betracht ziehen;3. Probabilistische Vorhersagen, die aufgrundvon Vorläuferanomalien Beben in einemRaum-Zeit-Magnitudenfenster eingrenzen;4. Deterministische Vorhersagen, bei denenOrt und Zeit eines Bebens so genau vorher-gesagt werden, dass Evakuierungen realis-tisch werden.Die Öffentlichkeit versteht unter Erdbe-benvorhersagen in der Regel allein die 4.Stufe. Die Erdbebenvorhersageforschung be-schränkt sich gegenwärtig allerdings in derRegel auf die ersten drei Stufen.

Erdbebenvorhersageforschung imWandel der Zeit

Nach dem grossen Beben von San Franciscoim Jahr 1906 begann die ernsthafte wissen-schaftliche Forschung im Bereich Erdbe-benvorhersage. Vorher wurden Beben oftals göttliche Strafe betrachtet, und Erdbe-benprävention war somit mehr Sache derKirche als der Wissenschaft. Erst nach demBeben von 1906 verstanden Wissenschaft-ler, dass Beben an Verwerfungen durch dieVerschiebung zweier Platten gegeneinan-der auftreten und dass sich die dazubenötigten Spannungen über Jahrzehntehinweg aufbauen. Es entstand bald dieHoffnung, diese Spannungen zu messenund somit den Zeitpunkt eines Bebensvorhersagen zu können. Besonders in den70er-Jahren des 20. Jahrhunderts war unterSeismologen Optimismus weit verbreitet:Die Plattentektonik hatte ein solides Ver-ständnis der Antriebskräfte von Erdbebengeliefert, viele so genannte Erdbebenvor-läufer («earthquake precursors») wurdenbeobachtet. Allgemein wurde erwartet,dass in den folgenden 10 bis 20 Jahrenviele, wenn nicht gar alle gefährlichen Erd-beben präzise vorhergesagt werden könn-ten und somit Evakuierungen realistischwürden. Diese Hoffnung schien sich zumersten Mal 1975 beim Beben von Haichengin China zu bestätigen. Chinesische Seis-mologen hatten es geschafft, die Stadt Hai-cheng Stunden vor dem Beben evakuierenzu lassen und somit Tausenden von Men-schen das Leben zu retten. Erdbebenvorher-sage schien machbar zu sein.Der erste Rückschlag liess dann aber nichtlange auf sich warten: Nur ein Jahr späterstarben eine Viertelmillion Menschen inChina bei Magnitude 7,8 (Tangshan-Erdbe-ben). Die Katastrophe ereignete sich ohnevorherige Warnung. In den nun bald 30 Jah-ren seit dem Erfolg von Haicheng folgtenDutzende katastrophaler Beben, und keineinziges wurde vorhergesagt. Mittlerweilesind die allermeisten Seismologen der Auf-fassung, dass eine allgemeine, verlässlicheVorhersage von Erdbeben auch in dennächsten 20 Jahren nicht möglich seinwird, und viele Experten befürchten nun,dass Erdbeben nie vorhergesagt werdenkönnen.

Warum ist es so schwer, Erdbebenvorherzusagen?

Erdbebenforscher haben mit einigen fun-damentalen Problemen zu kämpfen. Zuerstist da die Tatsache zu nennen, dass Erd-

beben bis zu einigen hundert KilometernTiefe stattfinden und die Gesteinsschich-ten zwischen dem Erdbebenherd und denMesssensoren direkte Beobachtungen un-möglich machen. Das zweite Problem liegtdarin, dass insbesondere grosse Erdbebenselten auftreten. Deshalb können Mess-netze nicht zur richtigen Zeit am richtigenOrt installiert werden. Instrumentelle Mes-sungen reproduzierbarer Vorläufereffektesind deshalb selten. Seismologen in denUSA und in Japan haben in den späten70er- Jahren versucht, dieses Problem zu lö-sen, indem sie jeweils eine Region mit dervermuteten grössten Wahrscheinlichkeitfür ein Beben als Testgebiet zur Erdbeben-vorhersage gewählt haben. Diese Regio-nen, ein Segment der San-Andreas-Verwer-fung in der Nähe der 18 Einwohner zählen-den Ortschaft Parkfield und die Tokai-Region nahe des 40 Millionen Einwohnerzählenden Ballungsgebietes rund um Tokiound Yokohama, wurden mit einer Vielzahlvon Instrumenten versehen. Diese messenetwa die seismische Aktivität, Deformatio-nen der Erdoberfläche, elektromagnetischeSignale sowie die Temperatur und die che-mische Zusammensetzung des Grundwas-sers. In beiden Regionen ist allerdings bisheute kein Beben aufgetreten.Es hat sich in den letzten Jahren herausge-stellt, dass Erdbebenprozesse viel komple-xer sind, als Seismologen früher gedachthaben. Die Spannungsverteilung in der Erd-kruste hat sich als überaus heterogen her-ausgestellt. Bruchmechanische Laborver-suche haben zwar wichtige Hinweise zumVerständnis der Physik von Erdbeben gege-ben, aber sie lassen sich nicht von einerProbe von wenigen Zentimetern auf Kilo-meter skalieren. Numerische Simulationendes Bruchvorganges und der Bruchausbrei-tung waren bislang auch nicht in der Lage,neuen Ideen zur Erdbebenvorhersage zuliefern, da die zugrunde liegende Physiknoch immer zu wenig verstanden wird.

Ein Beben bei Los Angeles diesenSommer?

Ein nicht wissenschaftliches Problem derErdbebenvorhersageforschung besteht zu-dem darin, dass sie mehr als die meistenWissenschaftszweige auch von Pseudowis-senschaftlern – bis hin zu Scharlatanen –betrieben wird. Leider haben sich aber auchimmer wieder ernst zu nehmende Wissen-schaftler im Bereich Erdbebenvorhersagezu weit aus dem Fenster gelehnt und so dieSeismologie in Misskredit gebracht. Das ak-tuelle Beispiel einer solchen umstrittenen

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Vorhersage führt momentan in Südkalifor-nien zu einer öffentlichen Debatte, dieweite Kreise mit einbezieht. Ein Wissen-schaftler der University of California in LosAngeles, Prof. Keilis-Borok, glaubt, eine Me-thode gefunden zu haben, um aus den Mus-tern vom Auftreten kleiner Beben Vorzei-chen eines kommenden Grossbebens ablei-ten zu können. Er sagte mit dieser Methodeeine erhöhte Wahrscheinlichkeit für ein Be-ben der Magnitude M >= 6,4 für den Zeit-raum vom 5. Januar bis 5. September 2004östlich von Los Angeles voraus. Viele Seis-mologen sind skeptisch bezüglich der an-gewandten Methode und unglücklich überdie Tatsache, dass er seine Vorhersage öf-fentlich gemacht hat. Hier steckt die Seis-mologie in einem Dilemma: Einerseits wärees sinnvoll, Erdbebenvorhersagen nicht zuveröffentlichen, bis die Methode an mehre-ren Ereignissen überprüft wurde und in derwissenschaftlichen Gemeinschaft akzep-tiert wird; andererseits setzt sie sich sodem Vorwurf der Verheimlichung aus. Beider erwähnten Vorhersage kommt er-schwerend hinzu, dass in dem seismischsehr aktiven und grossen Vorhersagegebietdie Wahrscheinlichkeit für ein Beben fürjeden zufällig ausgewählten Zeitraum vonneun Monaten bereits 15% beträgt; selbstwenn also ein Beben auftreten würde, istdas keinesfalls eine Bestätigung der Me-thode.

Hoffnung für die Erdbebenvorhersageforschung

Ist es also ein hoffnungsloses Unterfangen,Erdbeben vorhersagen zu wollen? In einer viel beachteten Debatte in denWissenschaftsmagazinen «Science» und«Nature» haben einige prominente Seis-mologen vor einigen Jahren argumentiert,dass Erdbebenvorhersageforschung einge-stellt werden sollte. Die Misserfolge in derVergangenheit und die Vermutung, dassErdbeben prinzipiell nicht vorhersagbarseien, sind Argumente, um Forschungsgel-der lieber für andere Projekte einzusetzen.Anhänger dieser Theorie argumentieren,dass sich die Erdkruste ständig in einemselbst regulierten kritisch gespannten Zu-stand befindet (self organized criticality)und dass in einem solchen System «amRande des Chaos» jede noch so kleine Än-derung des Zustandes mit einer bestimm-ten, wenn auch geringen Wahrscheinlich-keit ein grosses Beben entstehen lassen

Abbildung 2: Die gezeigten drei Karten von Kalifornien zeigen, wieWissenschaftler an der ETH versuchen, Kurzzeitprognosen der Erdbebengefährdung zu erstellen. Die linke Karte zeigt die Hinter-grundswahrscheinlichkeit, an einem Tag (23. 5. 2003) eine starkeBodenbewegung zu erleben. Dieser Wert ändert sich nicht mit derZeit. Die mittlere Karte zeigt den zeitunabhängigen Beitrag zur Ge-fährdung, berechnet aus der Aktivität der Tage und Monate vorher.Rote Flecken sind Regionen mit momentan erhöhter Gefährdung.Die rechte Karte kombiniert beide Anteile und liefert somit ein Ge-samtbild der Gefährdung in Kalifornien.

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kann. Somit hätten Erdbeben mehr Ähn-lichkeit mit dem spontanen Zerfall von Nuk-leiden als mit Prozessen in der Meteorolo-gie, in der zumindest eine recht verlässlicheKurzzeitvorhersage möglich ist.Viele Seismologen sehen trotz alldemHoffnung für die Erdbebenvorhersagefor-schung. Diese begründet sich zum Teil da-durch, dass neue Technologien (etwa dasGlobal Positioning System, auf Satellitenbasierende Radarinterferometrie) in derLage sind, grossräumige und präzise Mes-sungen, etwa der Deformation der Erd-kruste, durchzuführen. Verbesserte Seismo-meternetzwerke liefern zudem ein immerpräziseres und umfassenderes Abbild derseismischen Aktivität. Ausserdem sind vorausgewählten Beben klare Vorläufer er-kennbar, wie etwa die Serie starker Vor-beben, die das Haicheng-Beben ange-kündigt haben. Allerdings sind sich alleSeismologen bewusst, dass es noch vieleJahre dauern wird, bis eine verlässliche Erd-bebenvorhersage selbst für selektive Bebenrealisierbar wird.

Forschung an der ETHZ

In unserer Forschungsgruppe Erdbebensta-tistik des Schweizerischen Erdbebendiens-tes an der ETHZ, versuchen Wissenschaft-ler gegenwärtig, die Grundlagen für dieneue Generation von Erdbebenvorhersage-forschung zu schaffen. Wir verfolgen hier-bei die Philosophie, uns graduell von deretablierten Basis der Stufe-1-Vorhersagenin Richtung zeitabhängige Gefährdungs-einschätzung zu bewegen, dabei aber im-mer die statistische Signifikanz unsererPrognosen beziehungsweise Vorhersagenzu etablieren. In Zusammenarbeit mit demUnited States Geological Survey und demSouthern California Earthquake Center ha-ben wir deshalb ein Umfeld geschaffen, inwelchem die unterschiedlichsten Vorhersa-gemodelle (der Stufen 1, 2 und 3) im direk-ten Vergleich und über einen Zeitraum vonfünf Jahren in Echtzeit gegeneinander ge-testet werden sollen. Am Ende dieser Peri-ode werden wir detailliert die Vorhersage-kapazität der Modelle auswerten.Eines der Modelle, an denen wir intensiv ar-beiten, versucht das Erdbebenwetter dernächsten 24 Stunden möglichst genau vor-herzusagen (Abbildung 2). Basierend aufeiner detaillierten Analyse der Nachbeben-und Vorbebenaktivität werden stündlichVorhersagemodelle berechnet und im In-

ternet publiziert. Erste Tests dieses Modellssind viel versprechend, allerdings mussman immer zu bedenken geben, dass dieresultierenden täglichen Wahrscheinlich-keiten gering sind. Somit erlauben sieSchutzmassnahmen nur im sehr begrenz-ten Umfang. Unsere Hoffung ist es aber,dieses Modell weiter auszubauen und zuverfeinern und somit dem Menschheits-traum von einer verlässlichen Erdbeben-vorhersage in kleinen Schritten näher zukommen.

Danksagung: Der Autor bedankt sich herz-lich bei Dr. Francesca Bay und Danijel Schor-lemmer für wertvolle Anregungen und Kor-rekturen.

Ein kleines 1 x 1 der ErdbebenwissenschaftEin Erdbeben ist die plötzliche Verschiebung zweier Flächen gegeneinander. Solch einBruch in der Erdkruste breitet sich von einem kleinen Startpunkt mit einer Geschwin-digkeit von rund 3 km/s aus. Die Dauer eines Erdbebens ist deshalb direkt proportionalzur Gesamtlänge des Bruches: Ein kleines Beben der Magnitude 4, wie es etwa am28. Juni 2004 in 22 km Tiefe unter Brugg/AG auftrat, erstreckt sich über eine Fläche vonetwa 1 x 1 km und dauert somit nicht mal eine Sekunde. Das bislang grösste bekannteBeben der Magnitude 9,5 in Chile im Jahr 1960 bricht hingegen eine Fläche von unge-fähr 1200 x 50 km und dauert somit bis zu 6 Minuten. Seismologen sind sich deshalbauch einig, dass ein Beben der Magnitude 10 zwar theoretisch möglich ist – schliesslicherwähnen auch Journalisten gerne die nach oben offene Richterskala –, aber praktischnie auftreten wird, da eine derartig lange Bruchfläche auf der Erde schlichtweg nichtexistiert. Die relative Verschiebung der beiden Flächen gegeneinander ist ähnlichproportional zur Magnitude: Bei einem Beben der Magnitude 4 handelt es sich nur umZentimeter, beim Chile-Beben dagegen um mehr als 30 Meter. Die Häufigkeit der Bebenskaliert dabei auch mit einem Exponentialgesetz: Es gibt zehnmal mehr Beben der Mag-nitude 4 als solche der Magnitude 5 usw. Im statistischen Mittel gibt es weltweit proJahr ein Beben der Magnitude 8, aber mehr als 1 Million Beben der Magnitude 2. DieseBeziehung scheint sich bis in den Bereich der Molekularstruktur der Gesteine fortzuset-zen. Im Labor lassen sich Minibeben mit Magnituden von –5 erzeugen und beobachten.Deren Bruchlängen liegen im Sub-Millimeter Bereich. Erdbeben treten bevorzugt anPlattengrenzen und deren näherer Umgebung auf. Aber es treten auch immer wiederBeben weit entfernt von Kontinentalrändern auf. Wirklich erdbebensicher ist deshalb keinOrt der Erde, und auch auf anderen Planeten wird es wohl Erdbeben geben. Mondbebenwurden in der Tat schon aufgezeichnet, und nach Marsbeben soll im Rahmen der NetLan-der Mission mit Beteiligung der ETH Zürich in den nächsten Jahren gesucht werden.

Literatur:Hintergrundinformationen zur Keilis-Borok-Vorhersage:http://earthquake.usgs.gov/eqinthe-news/2004/KB_prediction.html

Is the reliable prediction of individualearthquakes a realistic scientific goal?Online-Debatte in «Nature»:http://www.nature.com/nature/deba-tes/earthquake/equake_contents.html

ForschungsinformationenDie Gruppe Erdbebenstatistik desSchweizerischen Erdbebendienstes ander ETH Zürich befasst sich hauptsäch-lich mit Fragen der seismischen Gefähr-dungsabschätzung und statistischenAnalyse von Erdbebenkatalogen welt-weit. Dazu gehören beispielsweise Ab-schätzung der Nachbebengefährdungin Echtzeit, die Raum-Zeit-Kartierungvon statistischen Erdbeben-Indikatorensowie Vulkanseismologie und Erdbe-benvorhersage.Kontakt: Dr. Stefan Wiemer,Tel. 01 633 38 57, Fax 01 633 10 65,E-Mail: [email protected].

Stefan WiemerSchweizerischer ErdbebendienstETH Zurich, [email protected]

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Die uns direkt zugänglichen obersten Kilo-meter der Erde entsprechen nur 1,5% derErdmasse, entstehen jedoch durch die Dy-namik der darunter liegenden 98,5%. Diegegenwärtige, in der Erdgeschichte variab-le Einteilung der Oberfläche in 30% Land-masse (kontinentale Kruste) und 70% Oze-ane (ozeanische Kruste) ist das Resultatmultipler magmatischer Zyklen, die sich imErdmantel meist in Tiefen von 20 bis 200 kmabspielen. Die Zeitspannen, denen solcheZyklen, unterworfen sind, reichen von hun-derten Jahren (Magmakammern) bis hun-derte Millionen Jahre (Konvektion des Man-tels und plattentektonische Zyklen). Nurwenn sich diese langfristigen Zyklen durchgeologisch momentane Ereignisse (vulka-nische Eruptionen, Erdbeben) manifestie-ren, werden wir daran erinnert, dass auchdas Innere unseres Planeten ein dynami-sches, dem ständigen Wechsel unterworfe-nes System ist.

Tiefe und Temperatur des Magmaozeans

Während der Akretion der Erde vor 4,6 Mil-liarden Jahren führte die Freisetzung derGravitationsenergie der akkumulierendenPartikel zum Aufschmelzen des äusserenBereichs der Proto-Erde. In diesem Magma-ozean, der zwischen 300 und > 1000 km tiefwar, koexistierten eine Fe-Ni-reiche metal-lische und eine silikatische Schmelze. DasInventar aller Elemente hat sich dann zwi-schen diesen beiden unmischbaren Schmel-zen und eventuell bereits vorhandenen Sili-katmineralien verteilt. Die Elemente, die inder metallischen Schmelze konzentriertwaren (zum Beispiel Platinoide, die in derErdkruste sehr abgereichert sind), wurdendann mit dem Absinken der dichteren me-tallischen Schmelze während der Kernbil-dung ins Zentrum der Erde verfrachtet (Ab-

bildung 1). Die Verteilung der Elemente imMagmaozean, die von uns experimentelluntersucht wird, gibt Aufschluss über dieTiefe und Temperatur des Ozeans, was wie-derum eine Randbedingung des Akretions-prozesses definiert. Der Magmaozean wirdmit experimentellen Apparaturen, welcheentsprechende Drücke (10–40 GPa) undTemperaturen (bis 2500 oC) erzeugen, simu-liert. Dabei ist zu beachten, dass der silika-tische Erdmantel aufgrund seiner Minera-logie in zwei Tiefenbereiche unterteilt wird:den oberen Mantel bis 670 km Tiefe (23,5GPa), der als wichtigstes Mineral Olivin(und seine Hochdruckmodifikationen) ent-hält, und den unteren Mantel, der zu mehrals 80% aus silikatischen Perovskiten be-steht. Konventionelle Hochdruckapparatu-ren, die zur Druckübertragung Hartmetall(Wolframkarbid) verwenden, erreichen da-bei «nur» 24 GPa, bei höheren Drückenmüssen Druckstempel aus feinkörnigen,versinterten Diamanten eingesetzt wer-den. In der Ultrahochdruckforschung folgtaus dem physikalischem GrundgesetzDruck = Kraft/Fläche, dass hohe Drücke inKombination mit «grossen» Volumina (mm3)hohe Investitionen erfordern. Die grossenVolumen, dass heisst eine Miniatur-Reak-tionskammer, benötigen wir, um magma-tisch-petrologische Prozesse adäquat zuuntersuchen. In unserem Hochdrucklaborhaben wir in den letzten 3 Jahren dazu eineso genannte «true spherical multi anvil»entwickelt, in der eine in unter Druck ge-setztem Öl gelagerte Gummikugel einmehrstufiges Stempelsystem enthält, indessen innerstem Teil gesinterte Diamant-würfel auf unsere Reaktionskammer drücken(Abb.2). In dieser werden wiederum durcheine Widerstandsheizung Temperaturen bis2700 oC erzielt. Erste Resultate zeigen, dassdie leichten Elemente im Erdkern (S, C, O)das Verteilungsmuster der Spurenelementeim Erdkern stark beeinflussen und dass im

Magmaozean aller Wahrscheinlichkeit nachPerovskit kristallisierte und dieser gegen800–1000 km tief war.

Wie werden Magmen gebildet?

Nach der gravitativen Segregation des Fe-Ni-reichen metallischen Erdkerns kühlteder Magmaozean ab, und Teilschmelzendes Mantels begannen, an diskreten Zonenbasaltische Kruste an der Erdoberfläche zubilden (nicht unähnlich der heutigen ozea-nischen Kruste). Diese Kruste war wohldünn und in viele kleine Platten unterteilt;sie ist nicht erhalten geblieben. Entschei-dend für die Bildung stabiler kontinentalerKruste (die älteste erhaltene Kruste ist3,8 Milliarden Jahre alt) war dann die Eta-blierung eines tief reichenden H2O + CO2-Zyklus: Ozeane an der Erdoberfläche alte-rieren die basaltische Kruste und bildenHydrat- und Karbonat-Mineralien, welchein den Erdmantel subduziert werden unddort durch metamorphe Reaktionen wiederWasser und Kohlendioxid freisetzen. Diesesuperkritischen Hochdruck-Fluids steigenaus den Subduktionszonen in den Mantel-keil auf und führen dort durch Schmelz-punkterniedrigung zur Bildung volatiler,oxidierter, so genannter primärer Magmen,die zu SiO2-reichen granitoiden Schmelzenfraktionieren, die als Intrusionen schluss-endlich die kontinentale Kruste (auf der wir leben) aufbauen. Hochdruckexperi-mente und thermodynamische Modellie-rung aus unserer Gruppe haben wichtigeBausteine zur Quantifizierung der H2O-und CO2-Zyklen (und anderer «lithophiler»Elemente) geliefert; wir konnten beispiels-weise zeigen, dass das Verteilungsmusterder explosiven volatilreichen Vulkane inSubduktionszonen nicht auf den Reaktio-nen beruht, welche die Fluids freisetzen,sondern auf der thermischen Struktur des

D I E T I E F E N D E R E R D E

DA S G E H E I M N I S D E S M AG M A SM A X W. S C H M I DT U N D P E T E R U L M E R

Ereignisse wie vulkanische Eruptionen oder Erdbeben erinnern uns daran,dass auch das Innere unseres Planeten ein dynamisches, dem ständigen Wechsel unterworfenes System ist. Welches Geheimnis birgt das Magma?

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Abb. 1: Modell zur Segregation des metallischen Erdkerns.

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Abb. 3: Rotationstisch der Zentrifuge (Durchmesser 1,4 m) mit 2 Apertu-ren, links die Presse, welche bis 20 000 bar erzeugt und in deren Zent-rum die bis auf 1600 oC heizbare Probe sitzt, rechts das Gegengewichtmit ähnlicher Massenverteilung. Maximale Beschleunigung der Probe:3000fache Erdbeschleunigung bei 2850 U/min; Geschwindigkeitdes Aussenrandes bei 2850 U/min: 750 km/h.

Abb. 2: Kugelförmige Hochdruckapparatur die bis 400 000 bar erzeugenkann. Die Gummischale enthält mehrere Stufen von Druckstempeln, imZentrum sitzt ein Würfel, der aus 8 Würfeln (Kantenlänge 14 mm) ausgesintertem Diamant besteht, in dessen Mitte die Druckkammer liegt.Ein Öldruck von max. 700 bar, der auf die Gummischalen wirkt, erzeugteine Kraft von 3000 Tonnen, die durch die Druckstempel im Inneren derGummischale auf ein Volumen von einem Kubikzentimer fokussiert wird.

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Mantels unter den Vulkangürteln und demdortigen Bildungsort der Magmen. Die ex-perimentell bestimmte Zusammensetzungder Fluids ermöglicht uns, die Alterierungdes Mantelkeils zu quantifizieren und da-durch die Bildungsmechanismen der ver-schiedenen, für Subduktionszonen charak-teristischen Magmen nachzuvollziehen.

Eine weltweit einzigartige Zentrifuge . . .

Die primären (aus dem Mantel stammen-den) Magmen sind an der Oberfläche je-doch nur selten anzutreffen. Zwischenihrem Entstehungsort und ihrer finalenEruption oder Intrusion unterlaufen dieMagmen einen komplexen Prozess, in demKristalle abgetrennt werden, verschiedenhoch differenzierte Magmen sich gegensei-tig kannibalisieren, und älteres krustalesMaterial wieder aufschmelzen und assimi-lieren. Um diese Prozesse zu verstehen,schweissen wir Magmen in komplexe Ar-rangements von Edelmetallkapseln ein, inwelchen die verschiedenen extensiven Pa-rameter, welche relevant für die Magmen-entwicklung sind, kontrolliert unter Hoch-druck und -temperatur variiert werden.Die Chemie der Magmen erlaubt uns, ihreEntstehung zu verstehen. Der Transport derMagmen zu oberflächennahen Niveaus so-wie die finale Eruption oder Platznahme inder Kruste wird hingegen durch die physi-kalischen Eigenschaften, insbesondereDichte und Viskosität (die wiederum starkvom SiO2- und H2O-Gehalt abhängt), be-stimmt. Direkte Viskositätsbestimmungenan H2O-haltigen Schmelzen bei magmati-schen Temperaturen können nur unter zumindest moderaten Drücken (≥ 0,3 GPa)vorgenommen werden, da bei Atmosphären-druck das Wasser aus der Schmelze ab-dampft. Damit scheiden alle klassischenMethoden aus; unsere Gruppe hat deswe-gen eine weltweit einzigartige Zentrifugeentwickelt, in der eine komplette Hoch-druckapparatur (ein so genannter «pistoncylinder», Abbildung 3) und damit auch un-sere Magmenkapsel beschleunigt wird. Ho-mogene Schmelzen sind Newton’sche Flüs-sigkeiten; über die Wegstrecke einer durchdas Magma hindurch beschleunigten Pt-Kugel bestimmen wir die Viskosität derpotenziell explosiven Schmelzen.

Wie entstehen Eruptionen?

Natürliche Magmen sind wesentlich kom-plexer, da sie nicht nur aus Schmelze beste-hen, sondern eine Kristall-Fracht und even-tuell Gasblasen mit sich führen. Die Kris-talle bilden sich durch Abkühlung undDruckentlastung in dynamischen Magma-kammern; dabei reichert sich zum einen dieSchmelze (mit steigendem Kristallanteil)an volatilen Komponenten bis zur Sätti-gung an, zum anderen nimmt die Viskositätdes Magmas exponentiell zu. Das kanndazu führen, dass der «Auspuff» der Mag-makammer (das heisst der Förderschlot)verstopft wird. Das aus dem Magmawährend der Kristallisation freigesetzteGas baut dann Überdruck auf, so lange, bisdie mechanische Festigkeitsgrenze desStopfens erreicht wird. Wenn dieser bricht,kommt es dann zu einer der gefürchtetenexplosiven Eruptionen. Viskositätsbestim-mungen an solchen Kristall- und Gasbla-sen-führenden nicht Newton’schen Flüs-sigkeiten unter magmatischen Temperatu-ren (700 –1200 oC) und Drücken sind einebis jetzt ungelöste technische Herausfor-derung; es ist eines der Forschungsziele un-serer Gruppe, ein solches experimentellesSetup zu entwickeln.

Verständnis und Voraussage von explosiven Eruptionen

Die Dynamik des Inneren unseres Planetenwird sehr stark durch magmatische Pro-zesse bestimmt. Die experimentellen Appa-raturen unserer Hochdrucklabors erlaubenuns, Bedingungen der äussersten 1100 kmunseres Planeten zu simulieren. Dabeireicht unser Interesse von den Anfängender Erde (und anderer Planeten) und Mag-men bei Drücken des unteren Erdmantels,über plattentektonische Zyklen an destruk-tiven Kontinentalrändern bis zu heute akti-ven Magmakammern in wenigen Kilome-tern Tiefe und dem Verständnis und derVoraussage von explosiven Eruptionen (mitden damit verbundenen Konsequenzen).

ForschungsinformationenMax W. SchmidtSegregation des Kerns und früher Mag-maozean, Prozesse im unteren ErdmantelH2O- und CO2-haltige Mineralien in Sub-duktionszonenZentrifugieren unter hohem Druck undTemperatur, unmischbare Schmelzen,Rheologie und Extraktion von Magmen

Peter UlmerBildung und Entwicklung von Magmenin SubduktionszonenViskosität und Eruptionsdynamik nichtNewton’scher MagmenGlobale Zyklen lithophiler Elemente

Kontakt:Institut für Mineralogie und PetrographieDepartement ErdwissenschaftenCH-8092 ETH Zü[email protected] 632 79 [email protected] 632 39 55Fax 01 632 10 88www.imp.ethz.ch

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Prof. Max Schmid und Prof. Peter UlmerInstitut für Mineralogie und PetrographieETH Zürich

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D I E Z U KU N F T D E R I N T E R N AT I O N A L E N OZ E A N B O H R P R O G R A M M E

D I E R E I S E U N T E R D E N M E E R E S B O D E NF L AV I O S . A N S E L M E T T I U N D J U D I T H A . M C K E N Z I E

Wie reist man in die Erde? Was einst bloss Science Fiction à la Jules Verne war,machen die internationalen Ozeanbohrprogramme heute möglich:Dank raffinierter Bohrtechnik öffnet sich uns der Untergrund der Weltmeere.Wie tief kommen wir in der Zukunft?

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In seinem Science-Fiction-Roman liess JulesVerne seinen Professor Otto Lidenbrockmühsam in einen Vulkan absteigen. Vondort aus begannen er und seine zwei Ka-meraden die «Reise zum Mittelpunkt derErde» zu Fuss. Dieses kilometertiefe Vor-stossen unter die Erdoberfläche, wie es beiJules Verne nur mit fiktiven Gedankenspie-len oder wie es in der computerisiertenWelt auch mittels virtuellen Methodenmachbar ist, ermöglichen in Realität seit1968 die internationalen Ozeanbohrpro-gramme: Mittels raffinierter Bohrtechnikkann die Reise in den ozeanischen Unter-grund auch durch kilometerlange Bohr-proben durchgeführt werden. Somit ist eindirekter Einblick in den Untergrund derWeltmeere erhältlich.

Ozeanbohrprogramme:Schweizer von Anfang an dabei

Auch ohne direkten Meeranstoss oder garmarine Hoheitsgebiete war die Schweizvon Anfang an beim «Deep Sea DrillingProgram» (DSDP; 1968–1983) und beimNachfolgeprojekt, dem «Ocean DrillingProgram» (ODP; 1985–2003), aktiv dabei, wo-mit den Forschenden an Schweizer Hoch-schulen der Zugang zum grössten inter-nationalen akademischen Forschungspro-gramm der Erdwissenschaften ermöglichtwurde. Davon haben Dutzende Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler in denvergangenen Jahrzehnten profitiert undhaben an Bord der RV «Glomar Challenger»(DSDP) und der RV «Joides Resolution»(ODP) zahlreiche Bohrkampagnen beglei-tet. Mehr noch, zahlreiche dieser Bohrkam-pagnen sind auf Initiative von SchweizerForschergruppen entstanden und markier-ten so die Präsenz des Forschungsstand-ortes Schweiz auch im Bereich der marinenGeologie und Paläoozeanographie.

Die neuen Bohrschiffe:bis zu 8 km tief

Das äusserst erfolgreiche ODP ist im Okto-ber letzten Jahres, wie seit längerem ge-plant, zu Ende gegangen, was jedoch nichtdas Ende der internationalen Ozeanbohr-projekte bedeutet. Im Gegenteil: WährendODP und DSDP jeweils auf ein Bohrschiffbeschränkt waren, ist seit diesem Jahr einneues Bohrprogramm lanciert, welches diebeiden bisherigen Programme in Grösse beiweitem überragt: Das Integrated OceanDrilling Program (IODP), das sich schwer-punktmässig mit den Themen «Erde, Oze-

ane und Leben» beschäftigt, wird in Zu-kunft von mehreren Bohrschiffen aus dieOzeane erbohren. Der damit verbundeneTechnologiesprung wird Reisen in die Ozean-böden ermöglichen, die bisher technischnicht durchführbar waren. Die Schweiz, alsMitglied einer erstarkten europäischen In-itiative, wird auch in diesem Programmeine aktive Rolle spielen können. Damit bis-her noch nicht entdeckte Bereiche erbohrtund die damit verbundenen wissenschaftli-chen und auch für die Gesellschaft relevan-ten Fragen beantwortet werden können,wird das IODP mit mehreren Schiffen undBohrplattformen operieren. Ein neues, un-ter japanischer Federführung entwickeltesBohrschiff von bisher unerreichten Aus-massen (210 m lang, 150 Personen an Bord)wird bis zu 8 km tief in den Ozeanbodenbohren können, und dies in Wassertiefenvon über 4 km. Dieses Schiff, nach dem ja-panischen Wort für Erde «Chikyu» getauft,ist bereits vom Stapel gelaufen und wird imJahre 2006 für das IODP zur Verfügung ste-hen. Die USA haben die RV «Joides Resolu-tion», das bisherige ODP-Bohrschiff, moder-nisiert, sodass es am 28. Juni dieses Jahresin Oregon für die erste von weiteren zukünftigen Bohrfahrten in See stechenkonnte, um den Juan-de-Fuca-Rücken vorder Küste von British Columbia zu erboh-ren. Während diese beiden Bohrschiffe diemeisten Bereiche der tiefen Ozeane erboh-ren können, bleiben trotzdem einige wich-tige Zonen der Weltmeere für diese Bohr-technik nicht zugänglich. Deshalb habensich die europäischen Mitgliedländer zu-sammengeschlossen, um mit einer drittenInitiative innerhalb des IODP genau solcheOperationen zu ermöglichen, die nur mitso genannten «mission-specific platforms»erbohrt werden können. Dabei wird spezi-fisch für jedes Bohrprojekt die ideale Tech-nik zusammengestellt, die es dann ermög-licht, auch in seichtem Wasser, auf Konti-nentalrändern, um Atolle oder im gefrorenenarktischen Ozean den Meeresboden zu er-bohren.

Entstehung der Erdbeben untersuchen

Mit «Earth, Oceans and Life» umschreibtdas IODP die neuen wissenschaftlichenZiele, die nun mit dem neuen Bohrpro-gramm erreicht werden können. Zum ers-ten Mal wird es möglich sein, mit der «Chi-kyu» in Ozeanböden zu bohren, wo bisherErdöl, Gas oder andere fluide Phasen ausSicherheitsgründen keine Operationen er-laubten oder die entscheidenden Gesteine

schlichtweg zu tief im Untergrund lagen.Eines der gesteckten Hauptziele sind neueErkenntnisse im Bereich der geodynami-schen Prozesse der Erde. Eine bessereKenntnis dieser Prozesse, die zum Beispieldie Plattentektonik kontrollieren, sind auchvon grosser gesellschaftlicher Bedeutung,da zahlreiche geodynamische Vorgängewie Erdbeben oder Vulkanausbrüche dra-matische Naturgefahren darstellen. Diemeisten Erdbeben entstehen in der so ge-nannten seismogenen Zone, wo die sub-duzierte, das heisst abtauchende Litho-sphärenplatte an der darüber liegendenPlatte entlanggleitet und sich Spannungenaufbauen, die dann in Form von Erdbebenabgebaut werden. Das neue japanischeBohrschiff wird es nun zum ersten Mal er-möglichen, eine solche seismogene Zone,also die Erdbeben verursachende Gleit-fläche, direkt zu durchbohren, was einenspektakulären Einstand der «Chikyu» be-deutet. Im Bohrloch werden Messsondeninstalliert, die anschliessend physikalischeund chemische Messungen durchführen,um Hinweise über Prozesse vor, währendund nach dem Beben zu erlangen. Von gros-sem Interesse sind die fluiden Phasen, dieentlang der Gleitfläche zirkulieren, da sieeinerseits direkt den Erdbebenvorgang be-einflussen und andererseits mit ihren mess-baren zeitlichen Veränderungen ein dro-hendes Erdbeben potenziell ankündigenkönnen. Zusammen mit weiteren Bohr-löchern und einem begleitenden regiona-len Messprogramm wird es somit die «Seis-mogenic Zone»-Initiative des IODP ermög-lichen, die Entstehung der Erdbeben insolch gefährdeten Gebieten in bisher uner-reichtem Masse zu untersuchen.

Die tiefe Biosphäre:Leben unter dem Ozeanboden

In Jules Vernes Abenteuerroman «Reisezum Mittelpunkt der Erde» (1864) entdeck-ten seine Protagonisten während des Ab-stiegs ins Erdinnere einen riesigen Ozean,grösser als das Mittelmeer und voll vonprähistorischem Leben. In der Tat hat Ver-nes wissenschaftliche Phantasie in denletzten 15 Jahren im Rahmen des ODP eineneue Bedeutung erlangt, da eines der wich-tigsten Ergebnisse der Meeresbohrungendie Entdeckung eines Ozeans in den Gestei-nen unter dem Meeresboden war. Dieserimmense «sub-seafloor ocean» stellt einriesiges Fluid-System dar, das mit den dar-über liegenden Meeren ein Kontinuum bil-det. In etwa einer Million Jahren wird durchdieses System das gesamte Ozeanvolumen

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Abb. 1: Das neue 210 m lange und 38 m breite Flaggschiff des IODP:Die «Chikyu» wird fähig sein, in Wassertiefen von über 4 km bis zu 8 km unterden Meeresboden zu bohren. Der Bohrturm erhebt sich 120 m über derWasserlinie. Das Schiff wird 150 Personen an Bord haben, davon 50 Wissen-schaftler. Die Helikopterplattform überragt die Brücke am Bug des Schiffes(Foto: Ian Jarvis, Kingston University).

Abb. 2: Unidentifizierte Prokaryoten (Bakterien) aus 50 m Sedimenttiefe amKontinentalschelf von Peru (ODP Site 1229). Ein Organismus hat gerade die Zellteilung vollzogen, was eindeutiges Wachstum anzeigt. Diese Organismenwerden im Geomikrobiologielabor der ETH kultiviert. Rasterelektronenmikro-skopische Aufnahme, zirka 10 000fache Vergrösserung (Foto: Patrick Meisterund Rolf Warthmann, ETHZ).

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rezykliert und somit die chemische Zusam-mensetzung der Weltmeere stark beein-flusst.Ebenfalls in Analogie zu Vernes Beschrei-bungen ist dieses subozeanische Systemvoll von mikrobiellen Lebensformen, die ineinem grossen Bereich von Temperaturenund Drücken bis in einer Tiefe von mindes-tens 750 m unter dem Meeresboden vor-kommen. Diese «deep biosphere» könntebis zu einen Drittel der gesamten Biomasseauf der Erde ausmachen. Die Präsenz diesesweit reichenden Ozeans unter dem Mee-resboden, voll von mikrobiellem Leben,wirft neue Fragen über die Entstehung, dieEntwicklung und die Verteilung des Lebensund des damit assoziierten Kohlenstoff-kreislaufes auf. Es ist bisher nicht bekannt,wie diese riesige Biomasse mit relativ we-nig Ressourcen überleben kann – ein Me-chanismus, der grundlegende Fragen an dieBiochemie, die mikrobiologische Physiolo-gie und die Ökologie stellt. Dieser «sub-seafloor ocean» bildet zusammen mit demdarin enthaltenen mikrobiellen Leben einwichtiges Element, das die Geosphäre mitder Biosphäre koppelt. Das Beproben undBeschreiben dieser Lebensformen, welcheunter diesen extremen Bedingungen über-leben können, stellt auch eine einmaligeGelegenheit dar, neue Materialien und bio-technologische Anwendungen, wie Was-serbewirtschaftung und verbesserte Ölför-dereffizienz, zu entwickeln. Das zukünftigeErbohren dieser ozeanischen Tiefen mit dennun zur Verfügung stehenden Mitteln undder Technologie des IODP wird zweifels-ohne neue Entdeckungen dieses untermee-rischen Ozeans erbringen, die Jules Verneskühnste Träume bei weitem überragen.

Der arktische Ozean: Klimageschichteder Erde entschlüsseln

Das erste Bohrprojekt, welches im Rahmendes «mission-specific platforms»-Program-mes des IODP durch die europäischen Mit-gliedstaaten organisiert wird, soll zum ers-ten Mal in den Untergund des arktischenOzeans bohren, der wegen seiner Unzu-gänglichkeit, der permanenten Eisbe-deckung und den schwierigen ozeanogra-phischen und meteorologischen Bedingun-gen als einziger Ozean bisher noch nie er-bohrt wurde. Die Wissenschaftler erhoffensich von den bis zu 500 m langen Sedi-mentkernen des Lomonosov-Rückens nahedes Nordpols (88 Grad N) entscheidendeRückschlüsse auf die Klimageschichte derErde in den vergangenen 50 Millionen Jah-ren, für die der arktische Ozean eine ent-

scheidende Rolle gespielt haben dürfte.Der Austausch zwischen Atmosphäre undOzean sowie die Kontrolle der Meeresströ-mungen werden stark durch Prozesse indiesem Meer kontrolliert. Die Vereisung,wie wir sie heute kennen, setzte erst vorwenigen Millionen Jahren ein. Es wird pos-tuliert, dass die Eisbildung entweder in di-rektem Zusammenhang mit den Änderun-gen der globalen Meeresströmungen steht,die durch die Schliessung der Meerenge vonPanama vor zirka 4 Mio. Jahren grundlegendverändert wurden, oder aber, dass die He-bung des tibetischen Plateaus vor zirka 10Mio. Jahren die Klimazonen derart verän-derte, dass eine erhöhte Frischwasserzufuhrin den arktischen Ozean die Eisbildung er-möglichte. Solche und weitere Schwankun-gen im regionalen und globalen Klimasys-tem wurden in den Sedimenten am Bodendes arktischen Ozeans an entscheidenderStelle aufgezeichnet. Drei Eisbrecher wer-den am 10. August dieses Jahres in der Nähevon Spitzbergen diese logistisch schwierigeOperation beginnen und Richtung Nordpolfahren. Während ein Eisbrecher als Bohr-schiff ausgebaut wurde, sind die beiden an-deren dazu ausersehen, das Bohrschiffwährend der stationären Bohrarbeiten stän-dig vom Treibeis freizuhalten. Das IODPwird dann sowohl in wissenschaftlicher alsauch in technischer Hinsicht in neue, bisherunerforschte Bereiche vordringen.

Schweizer auch zukünftig mit dabei

Der Schweizerische Nationalfonds wirdauch in Zukunft den Erdwissenschaftlernan den Schweizer Hochschulen die aktiveTeilnahme am IODP ermöglichen, sei esdurch Teilnahme an Forschungsaktivitätenauf dem Bohrschiff oder mit Bohrprobenim Labor als auch durch Mitgliedschaftin den verschiedenen Gremien, die dasIODP planen und beraten. Diese SchweizerMitgliedschaft findet im Rahmen desEuropean Consortium for Ocean ResearchDrilling (ECORD) statt, welches aus 13 Mit-gliedstaaten besteht (Dänemark, Deutsch-land, Finnland, Frankreich, Grossbritannien,Holland, Island, Italien, Norwegen, Portu-gal, Spanien, Schweden, Schweiz) und so-mit einen der drei grossen Partner des IODPneben Japan und den USA bildet. SiebenForschungsanstalten der europäischen Part-ner, der Schweizerische Nationalfonds ein-geschlossen, werden durch die EU für eineERA-NET-Koordination finanziell unter-stützt, um dadurch ECORD in der Vision füreine europaweite Strategie, Finanzierungund Forschung im Rahmen der Ozeanboh-

rungen zu unterstützen. Zusätzlich wurdedie ETH Zürich zum aktiven Mitglied desIODP Managements International Inc. er-nannt, also des internationalen Gremiums,das die Verteilung der wissenschaftlichenund ingenieurtechnischen Dienstleistun-gen aller Bohrplattformen innerhalb desIODP steuert. Durch all diese Entwicklun-gen wird es folglich auch in Zukunft für dieForschenden aus der Schweiz möglich sein,in den Fussstapfen von Vernes Professor Li-denbrock den Untergrund der Ozeane aktivzu erforschen.

ForschungsinformationenDie Forschungsgruppen von Flavio An-selmetti und Judith McKenzie befassensich mit verschiedenen Sedimentarchi-ven in Meeren und Seen, um damit einebreite Palette von vergangenen Um-weltveränderungen zu untersuchen.Dazu gehören Klimaveränderungen,Meeresspiegelschwankungen, geomik-robielle Entwicklungen, wie das Entste-hen der frühen Lebensformen, sowieauch die Häufigkeit von Naturkatastro-phen wie Flutereignisse und Erdbeben.Beide waren mehrfach während ver-schiedener Bohrkampagnen des OceanDrilling Programs als Wissenschaftlerund wissenschaftliche Leiter an Bordder RV «Joides Resolution» tätig. An-selmetti und McKenzie waren ebenfallsaktive Mitglieder in beratenden Gre-mien der internationalen Bohrpro-gramme. Im Moment ist Judith McKen-zie innerhalb der wissenschaftlichenPlanungsstruktur des IODP die Schwei-zer Vertreterin bei ECORD als auch dieECORD-Vertreterin im IODP ExecutiveCommittee.

Weiterführende Links:IODP Earth Oceans and Life:http://www.iodp.orgOD21 – Ocean Drilling in the 21st cen-tury: http://www.jamstec.go.jpEuropean Consortium for Ocean Drilling(ECORD): http://www.ecord.orgSwiss IODP:http://www.swissiodp.ethz.ch

Prof. Flavio S. Anselmetti und Prof. Judith A. MckenzieGeologisches InstitutETH Zürch

E N B R E F

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I N T E R N

Ende 2003 hat die Shanghai Jiao Tong Uni-versity ein internationales Hochschulran-king durchgeführt. Resultat: Unter 2000ausgewerteten Institutionen belegt dieETH Zürich Rang 25. In Europa belegt siehinter vier englischen Universitäten Platz 5.Auf dem Kontinent als führend betrachtetzu werden, ist bereits ein grosser Leistungs-ausweis. Darauf will man sich aber nichtausruhen. «Wir sind fest entschlossen, nochbesser zu werden», erklärt ETH-PräsidentOlaf Kübler. «Die ETH soll mittelfristig zuden Top Ten der Welt zählen.»

Immer wichtiger – die weichen Faktoren

An der Vision Science City lässt sich able-sen, welche Pflöcke die ETH bei ihrer Struk-turentwicklung einschlagen will, um das zuerreichen. – Worum geht es? Um eine«nachhaltige Aufwertung des Campus fürden Wissens- und Denkkulturplatz Zürichund die Schweiz», sagt Gerhard Schmitt,ETH-Vizepräsident für Planung und Logistikund Motor der Vision. Im Mittelpunkt derÜberlegungen stehe «der lernende, for-schende und Dienstleistungen erbringendeMensch», so Schmitt. Hinzu kommt, dassheute fast 60% der Professoren und bereitsüber 50% der Doktorierenden aus dem Aus-land stammen. Vor allem für sie ist die ETHsehr oft mehr als der Arbeitsplatz: Sie wirdvermehrt zur Basis der sozialen Kontakteund «Startrampe» für Freizeitaktivitäten.Im globalen Wettbewerb um Top-Forschendespielen die «soft factors» eine immer wich-tigere Rolle.

Stadtquartier für Denkkultur

Auch generell gilt, dass Lehren, Lernen undForschen in einer Vielzahl von Einbettun-gen stattfinden kann, aber sicher nicht imluftleeren Raum. Ausgehend davon sollScience City den Kern eines neuartigen, of-fenen Zürcher Stadtquartiers für Denkkul-tur darstellen, wo den Studierenden undForschenden, der Quartierbevölkerung undden High-Tech-Firmen Anreize zur Kontakt-aufnahme und für den Ideenaustausch ge-boten werden. Diese Nähe verschiedenerErfahrungswelten, so hoffen die Science-City-Visionäre, soll der Forschung in Formvon überraschenden, innovativen und ge-sellschaftlich adäquaten Lösungen wiederzugute kommen.Denkbar wäre etwa, dass Unternehmen inScience City ihre kleinen «Embassies» un-terhalten, wo in Kooperation mit ETH-Forschenden ohne Reibungsverlust an

markttauglichen High-Tech-Lösungen ge-arbeitet wird. Oder ein Talent Center, dasETH-Angehörige in ihrer Karriereplanungunterstützt. Andere Anknüpfungspunktebieten sich Menschen ohne akademischenFokus: Sie werden sich für Ausstellungeninteressieren, wo Wissenschaft der Bevöl-kerung näher gebracht wird, oder das imVergleich zu heute wesentlich grössere An-gebot an kulturellen und kulinarischenGenüssen zu schätzen wissen. Und Partiesund Events wie das heute schon erfolgrei-che Open-Air-Kino machen den Campuszum lebendigen Ausgehbezirk.Der «Science»-Teil der Vision will den Höng-gerberg zur hoch vernetzten, mit moderns-ter Infrastruktur versorgten Forschungs-stadt für Natur-, Material- und Bauwissen-schaften machen. Den Auftakt dazu bildeteschon das fünfgliedrige Life-Science-Ge-bäude von Mario Campi (1997–2004). Es be-herbergt das First-Lab sowie ab 2005 ein

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Zweckmässig, aber etwas abweisend: die ETH Hönggerberg hat jahrzehntelang diese herbe Aura bewahrt. Jetzt soll sich das grundlegend ändern. Mit Science City entsteht mehr als ein High-Tech-Campus: ein neues Stadtzürcher Quartier nimmt Formen an, wo bald einmal 10 000 Personen arbeiten und wohnen.

Abb. 1: Science City ist mehr als ein High-Tech-Campus:Ein neues Stadtquartier nimmt Formen an.

neues Imaging Center. Zudem genügen dieLabors höchsten technischen Ansprüchen.

Erste Diskussionsbasis

Im Jahr 2003 hat ETH-ArchitekturprofessorAndrea Deplazes mit einer Entwicklungs-studie für den Hönggerberg eine erste Dis-kussionsbasis für Science City vorgelegt. IhrZweck ist, planerische Schneisen zu schla-gen und nicht etwa, endgültige Formenoder Inhalte zu präsentieren. Diese kristalli-sieren sich übrigens auch über ein Beteili-gungskonzept heraus, das die Wünsche allerStakeholders einzubeziehen versucht. Sicherist, dass Wohnhäuser für 1000 Studierendeund Dozierende entstehen sollen. EineScience-City-Studierenden-Umfrage des Ver-bandes der ETH-Studierenden hat ergeben,dass für diese das günstige Wohnen aufdem Campus besonders wichtig ist. Und dasheisst natürlich, dass auf dem Campus auchder tägliche Einkauf möglich sein muss.Deplazes begegnet dieser Herausforderungmit einem das Gelände umgebenden Ringvon sechsgeschossigen, wie Moleküle an-mutenden Wohnhäusern, die den State ofthe Art im nachhaltigen und energieeffi-zienten Bauen berücksichtigen sollen. Jenach benötigtem Bauvolumen können ein-zelne Grundelemente ohne viel Planungs-aufwand zu dichteren «Molekülketten» ver-bunden werden.

Bibliothek ohne Bücher

Ein weiteres, dank seiner Kuppel besondersprägnantes Element der Deplazes-Skizze istdas grosse Learning and Congress Center,das Tor der Science City zur Stadt Zürich so-zusagen. Es ist ein Tagungs- und Veranstal-tungsort für Wissenschaft und Bevölkerung,

ebenerdig begeh- und befahrbar, und wirktwie eine luftige, offene Markthalle. Der Bauenthält gleichzeitig die «Bibliothek der Zu-kunft» mit unterirdischem Bücherspeicher.Dereinst soll hier ganz auf die (physischen)Bücher verzichtet werden können. Ebenfallsgeplant sind ein Gästehaus und ein grösse-res Sportzentrum. Der Architekturwettbe-werb fürs Sportzentrum ist abgeschlossen.

Vier Vorschläge in Testplanung mit der Stadt Zürich

Neben dem Vorschlag Deplazes werden der-zeit in gemeinsamen Workshops mit derStadt Zürich weitere Planungsvarianten er-arbeitet. Vier Planungsteams unter der Lei-tung von Prof. Andrea Deplazes, Prof. VittorioM. Lampugnani, Prof. Kees Christiaanse undWiel Arets (NL) präsentierten bisher unter-schiedliche Vorschläge. Gemeinsam war dieBetonung der Wolfgang-Pauli-Strasse alsHauptachse mit den öffentlichen Funktio-nen wie Läden, Restaurants, Gästehausu. a. m. im Kernbereich des Areals. Drei dervier Entwürfe möchten das studentischeWohnen innerhalb des bestehenden Areal-perimeters durch verdichtetes Bauen reali-sieren. Weitgehend einig war man sich auch,dass die Landschaft im Südteil möglichst fürdie Naherholung, für die landwirtschaftlicheNutzung und als Vernetzung des Naturrau-mes belassen werden sollte.Derzeit werden die Vorschläge weiter ausge-arbeitet und nochmals mit der Stadt disku-tiert. Ab September soll dann der endgültigeMasterplan entstehen.

Neue Wege der Finanzierung

Der Zeitplan für Science City ist ehrgeizig.Bereits im Herbst 2004 soll ein Masterplan

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vorliegen. Gerhard Schmitt hofft, dassScience City 2010 Realität ist. Viel dürftevon der Finanzierung abhängen. Denn derBund wird das Projekt, alles in allem stolze400 Millionen Franken teuer, bei weitemnicht allein berappen können – und auchnicht wollen. So werden vor allem für den«City»-Teil (Wohnen, Gastronomie) nicht-staatliche Quellen erschlossen werdenmüssen. Und das ist neu für die ETH.Ein solches privates Engagement sorgtdafür, dass ein bedeutender Schritt zur Wis-sensstadt von morgen schon im kommen-den Jahr Tatsache wird: die Rede ist vomSpatenstich für das neue Gebäude fürInformations-Wissenschaften. Von diesemjungen Forschungsbereich erhofft man sichzum Beispiel die Weiterentwicklung von Si-mulationen, um teure und risikoreiche Ver-suche zu ersetzen. Das von Baumschlager-Eberle entworfene, flexibel nutzbare Ge-bäude wird Science City gegen Nordenabschliessen und den Namen «BrancoWeiss Information Science Lab» erhalten.Der ETH-Alumnus und Mäzen Branco Weisshat seine alma mater mit 23 MillionenFranken beschenkt und trägt damit dieHälfte der Kosten für den Rohbau.Science City ist ein folgerichtiger Entwick-lungsschritt der ETH Zürich, qualitativ aberbeispiellos – ein eigentliches «Transforma-tionsprojekt» für die Hochschule, wie Ger-hard Schmitt es ausdrückt. Die neue Wis-sensstadt soll gebauter Ausdruck des Selbst-verständnisses der ETH werden: ein offener,ganzheitlich orientierter und Sinn geben-der Wissensorganismus.

Norbert Staub

Informationen zu Science City sind im In-ternet zu finden unter:www.sciencecity.ethz.ch

Abb. 2: Science City findet auch international Beachtung. Eröffnung der Ausstellung zu «Science City» in der renommierten Galerie Aedes East, Berlin.

E N B R E F

Das Projekt eines ETH-Instituts in Basel wirdzu einer intensiven Forschungszusammen-arbeit der drei beteiligten Hochschulen inFragestellungen aus der Systembiologieführen. Da universitäre Forschung wo immermöglich auch eng mit der Lehre verkoppeltsein sollte, drängt es sich auf, in dem Bereichauch über gemeinsame Master- und Dokto-ratsprogramme nachzudenken. Beim erstenHinsehen scheint es ein einfaches Projekt zusein; bisherige Erfahrungen zeigen jedoch,dass in den Details viele Teufel sitzen. DasVorhaben von Universität Zürich und derETH, gemeinsam ein Studienprogramm inBiologie anzubieten, das es den Studieren-den erlauben würde, von den durchaus ver-schiedenen Stärken der beiden Institutionengleichzeitig zu profitieren, droht immer wie-der an scheinbar fast belanglosen Inkompa-tibilitäten zu scheitern: Verschiedene Unter-richtsmethoden, Prüfungsmodalitäten, -ter-mine, und Ähnliches sind nicht so einfachauf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.Noch komplexer ist das Vorhaben eines Mas-terprogramms in Erdwissenschaften, das ge-meinsam mit der RWTH Aachen und der TUDelft angeboten werden soll. Hier stellensich nun die Unterschiede in den akademi-schen Kalendern und in den generellen Re-glementierungen der Hochschulstudien klarals Hürden in den Weg einer, akademisch ge-sehen, äusserst sinnvollen und auch leichtzu konzipierenden Zusammenarbeit. Auchdie Logistik der Unterbringung der Studie-renden wird nicht einfach sein. Die Problemesind lösbar, aber sie erfordern einen grossenEinsatz der Verantwortlichen und die festeÜberzeugung, dass am Schluss etwas resul-tiert, was echt besser ist als alles, was bisherangeboten wurde. Die ETH räumt diesenProjekten höchste Priorität ein und gewährtden Beteiligten jedwede Unterstützung.

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I N E I G E N E R S AC H E

N E U E S F O R S C H U N G S N E T ZW E R K F Ü R SYST E M B I O LO G I E

G R Ü N E S L I C H T F Ü R SYST E M SX

Seit Ende Juni dieses Jahres ist es klar: Das Projekt SystemsX, ein gemeinsames Forschungs-netzwerk für Systembiologie, getragen von der ETH Zürich und den Universitäten Basel und Zürich, wird bald die ersten Konturen annehmen können. Die Schweizerische Universitäts-konferenz (SUK) sicherte eine finanzielle Spritze in Höhe von insgesamt 10 Mio Franken zu.Die Finanzierung nach 2007 bleibt jedoch ungewiss. Erstklassige Forscher für das Netzwerk müssen noch rekrutiert und die Forschungsfelder festgelegt werden. Ein Konzept sollte bis imHerbst dieses Jahres präsentiert werden.

Prof. Dr. Konrad OsterwalderRektor der ETH Zürich

(vac) Die Idee wurde Ende 2002 an einemKick-off-Meeting in Basel in Gegenwart vonVertretern des Bundes und des Kantons Ba-sel sowie der ETH Zürich und der UniversitätBasel lanciert: Im Bereich Life Sciences solleine neue Institution geschaffen werden.Eine hochkarätige internationale Experten-gruppe unter der Leitung von Prof. SirGeorge Radda, Oxford-Biologe und CEO desMedical Research Council (MRC) in London,stellte fast ein Jahr später an einem Hearingin Basel unisono fest, mit der neuen Institution in Basel würde die Schweiz europaweit eine Pionierrolle einnehmenkönnen.

Netzwerk auf der Achse Zürich–Basel

Im Rahmen des SystemsX wird in Basel einneues Forschungszentrum für Biosystemegeschaffen (C-BSSE). Die Kosten für Aufbauund Betrieb bis 2007 belaufen sich auf 33 Mio Franken. Der Kuchen wird wie folgtaufgeteilt: Die beiden Kantone Basel-Stadtund Baselland bezahlen zusammen 20 Mio.Franken, die SUK investiert 5 Mio. Franken,und die restlichen 8 Mio. Franken steuert dieETH Zürich bei, die gleichzeitig auch die Lei-tung des Zentrums inne hat.Zudem wird in Zürich ein Verbund für Bio-systeme angesiedelt (Cluster of BiosystemsScience). Professuren und Institute der bei-den Zürcher Hochschulen werden zu Ar-beitsgemeinschaften zusammengeschlossen.Ebenfalls ist eine enge Zusammenarbeit desVerbundes und des Zentrums auf der AchseZürich–Basel vorgesehen.

Anspruchsvoll, aber zuversichtlich

In Bezug auf die weitere Entwicklung desschweizerischen Netzwerks für Systembiolo-gie zeigt sich Prof. Ulrich Suter, VizepräsidentForschung der ETH Zürich, zuversichtlich:«Das Projekt SystemsX der ETH Zürich, inwelchem wir gemeinsam mit den Univer-sitäten Basel und Zürich die Voraussetzun-gen für den systemischen Ansatz in der Bio-logie auf nationaler Ebene schaffen wollen,ist auf Kurs. Die Terminpläne sind sehr an-spruchsvoll, aber das Projekt wird mit Kraftund grossem Enthusiasmus vorangetrieben;wir sind guter Hoffnung, unsere Ziele er-reichen zu können.»

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T R A N S F E R

Herr Innerebner, Sie befassen sich mit Ge-len. Das sind doch diese wabbelnden Mas-sen, wie das Haargel?Ja, üblicherweise versteht man unter Gelenso was. Für uns sind Gele jedoch dreidimen-sionale Netze grosser Moleküle. Zum Bei-spiel ist Pneugummi ein elastisches Gel,aber Araldit ein sehr hartes.

Mit der neuen Technologie können die Ver-knüpfungen und damit die Eigenschafteneines Gels gezielt eingestellt werden. Wiefunktioniert das?Ich kann hier nur das Grundprinzip verra-ten. Die grossen Moleküle, welche die Bau-steine der Netzwerke sind, können in ver-schiedenen Formen vorliegen – so auch dieStärke. Um nun ein Gel mit ganz bestimm-ten Eigenschaften zu erhalten, mischen wirzwei verschiedene Stärken. Die eine Stärkewird Basis-Stärke genannt, die andere isteine netzwerkfähige Stärke.

Je nachdem, wie wir die netzwerkfähigeStärke vor dem Mischen behandeln – nichtchemisch, sondern physikalisch durch einebestimmte Kombination von Druck, Tempe-ratur und Zeit –, entstehen verschiedenenetzwerkfähige Stärken. Nach dem Mi-schen mit der Basis-Stärke entstehen Gelemit voraussagbaren Eigenschaften.

Warum gerade Stärke-Gele? Stärke ist billig und eine zu 100% natürli-che Ressource, die nachwächst. Zudem istsie biologisch abbaubar.

Was für Anwendungen gibt es für die neuenStärke-Gele?Zum Beispiel bioabbaubare Kunststoffe:Seit den 80er-Jahren wird mit solchenKunststoffen auf Stärkebasis experimen-tiert. Doch die mechanischen Eigenschaf-

ten waren bescheiden. Schlimmer noch: siewaren wasserlöslich. Um diese Mängel zubeheben, wurden sie mit synthetischen, bio-abbaubaren Kunststoffen gemischt. Stärke-Kunststoffe, die mit der von uns entwickel-ten Technologie hergestellt werden, brau-chen diese Zusätze nicht. Sie sind von sichaus wasserunlöslich und weisen ein massivverbessertes Eigenschaftsprofil auf.

Werden ihre Gele auch in der Lebensmittel-technik eingesetzt?Stärke macht in der westlichen Welt etwa50% der täglichen Kalorienzufuhr aus. Beiindustriell hergestellten Lebensmitteln istdie Stärke so aufbereitet, dass sie sehrleicht verdaulich ist. Weissbrot, Corn Flakesoder Instant-Kartoffelstock verhalten sichbezüglich des Blutzuckerspiegels fast gleichwie purer Zucker. Dies ist vor allem für Dia-beteskranke und stark Übergewichtige einProblem. Durch die neue Technologie wirdauch industriell aufbereitete Stärke wiederlangsamer verdaulich, recht ähnlich ihrernatürlichen Form. Zudem wirkt die behan-delte Stärke zum Teil prebiotisch – dasheisst ähnlich wie natürliche Ballaststoffe.

Die neuen Gele bieten zudem eine Alterna-tive zur tierischen Gelatine, zum Beispiel inGummi-Bonbons. Es gibt heute zwar Gummi-Bonbons auf Pektin- oder Stärkebasis.Pektin-Bonbons sind aber eher geleeartig.Wird Stärke eingesetzt, kleben sie – auch anden Zähnen. Mit den neuen Stärke-Gelenverhalten sie sich im Mund wie herkömm-liche Gelatine-Bonbons.

Übrigens: Auch der Pharma-Bereich ist in-teressiert an Alternativen zu Gelatine-Medikamentenkapseln auf Stärkebasis.

Funktioniert das neue Verfahren nur beiStärke?Grundsätzlich funktioniert es bei allen Ma-kromolekülen. Für uns ist vor allem Po-lyvinylalkohol (PVA) wichtig, der auch inder Medizinaltechnik eine Rolle spielt, zumBeispiel beim Ersatz von Bandscheiben. Bis-herige PVA-Gele waren zu weich, ähnlichwie eine zu weiche Sprungfeder. Mit derneuen Technologie können die Eigenschaf-ten von PVA-Gelen deutlich verbessert wer-den, sodass Anwendungen im Bereich derMedizinaltechnik möglich werden.

Und wie geht es nun weiter?Wir verhandeln mit verschiedenen Firmen,um unser Know-how auf den Markt zubringen.

Interview: Gabriele Aebli

N OVO G E L

DA M I T B O N B O N S N I C H T M E H R K L E B E N . . .

Neuartige Gele dank neuer Technologie: Federico Innerebner und Rolf Müller,beides Werkstoffingenieure der ETH, haben 2002 die Firma NovoGEL gegründet,bei der Gele auf Stärkebasis und ihre Anwendungen im Vordergrund stehen.

Gründer der Firma NovoGEL: Rolf Müller und FedericoInnerebner.

E N B R E F

Frau Hellweg, was ist die Aufgabe desSchweizer Zentrums für Ökoinventare?Das Schweizer Zentrum für Ökoinventareist eine Initiative des ETH-Bereichs undschweizerischer Bundesämter, die gemein-sam eine Datenbank mit Ökoinventardatenerstellt und sich dazu verpflichtet haben,diesen Datenbestand kontinuierlich zu ak-tualisieren und zu pflegen. Ökoinventarda-ten sind Daten über Emissionen und Res-sourcenverbräuche (inkl. energetischer Res-sourcen) von technischen Prozessen undProdukten sowie Verknüpfungen von tech-nischen Prozessen untereinander. SolcheInventardaten bilden die Grundlage einerÖkobilanz. In einer Ökobilanz quantifiziertund bewertet man alle Emissionen undRessourcenverbräuche eines Produktes vonder Rohstoffgewinnung über die Herstel-lung, den Gebrauch und die Entsorgung.Ein vereinfachtes Beispiel: Für die Herstel-lung einer Brille braucht man u. a. Plastikoder Metalle für das Gestell sowie Glas fürdie Linsen. Für die Produktion dieser Mate-rialien benötigt man wiederum Energie inForm von Elektrizität und Wärme sowieRohstoffe wie Erdöl, Metall und Sand. Esentstehen hierbei Emissionen, z. B. CO2 undNOx, die an die Luft abgegeben werden. DieSchadstoffemissionen und Ressourcenent-nahmen werden anschliessend aufgrundihrer Umweltwirkungen bewertet. Die soerhaltenen Ergebnisse einer Ökobilanz kön-nen als Entscheidungsgrundlage dienenfür spezifische ökologische Fragestellun-gen, z. B. ob Plastik oder Metall als Materialfür das Brillengestell Umweltvorteile hat.

Unter Leitung der EMPA haben sich ver-schiedene Institute und Abteilungen derETHZ, der EPFL, des PSI, der EMPA, der EAWAG und der Agroscope FAL Reckenholzzusammengeschlossen, um mit dem Pro-jekt ecoinvent 2000 ihre Ökoinventardatenin einer gemeinsamen Datenbank zusam-menzuführen. Wie kam man auf dieseIdee? Die Idee wurde 1998 geboren, als dieSchweiz zwar bereits international führendbei der Erhebung von Ökoinventardatenwar. Jedes Institut hatte jedoch eine eigeneDatenbank mit einem eigenen Datenfor-mat und eigenen Qualitätsrichtlinien. DieDaten waren dementsprechend unter-schiedlich und nicht kompatibel zueinan-der. Einige von diesen Daten waren zudemgeheim und wurden lediglich für die eigeneForschung genutzt. Zu diesem Zeitpunktinitiierte Prof. Konrad Hungerbühler vonder ETHZ ein erstes gemeinsames Projekt-treffen mit allen Instituten, und man ei-nigte sich, alle Kräfte zu vereinen. DieVision war damals, eine harmonisierte Da-tenbank zu schaffen, die alle Kerngebieteder Institute abdecken würde (Energie,Transport, Entsorgung, Bauwesen, Metalle,Holz, Chemikalien, Waschmittelinhalts-stoffe, Papiere und Landwirtschaft). Manwar überzeugt, dass eine solche breit ange-legte und einheitliche Datenbank bahn-brechenden Erfolg haben würde. NachAbschluss des Vorprojekts übernahm dieEMPA den Vorsitz der ecoinvent-Träger-schaft. Die Trägerschaft lancierte dasHauptprojekt, welches die eigentliche Er-

stellung der harmonisierten Datenbankzum Gegenstand hatte. Die operative Lei-tung wurde an Dr. Rolf Frischknecht, Lehr-beauftragter der ETHZ und Inhaber desUmweltberatungsbüros ESU-Services, über-geben.

Auf welchen methodischen Grundlagenbasiert die ecoinvent-Datenbank?Ein wichtiges Grundprinzip, welches ecoin-vent von anderen Datenbanken von Ökoin-ventaren unterscheidet, ist, dass alle (nichtvertraulichen) Daten auf der Ebene von«Einheitsprozessen» erhoben wurden. Diesbedeutet, dass nicht nur die aggregiertenLebenszyklusdaten bereitgestellt werden(also die über Rohstoffgewinnung, Herstel-lung, Verbrauch und Entsorgung aufsum-mierten Emissionen an CO2, SOx usw.), son-

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E CO I N V E N T- DAT E N B A N K

L I C H T I M Ö KO L A N D

Wie reist man klimafreundlicher: mit dem Flugzeug oder mit dem Auto? Grundlagen zur Beantwortungsolcher und ähnlicher Fragen findet man in der ecoinvent-Datenbank, an deren Entstehung auch die ETHZürich beteiligt war: Mit Hilfe von Lebenszyklusanalysen, auch Ökobilanzen genannt, kann ein präzisesUmweltprofil eines Produktes erstellt werden. Dabei werden wichtige Wirtschaftsbereiche abgedeckt. DerDatenbestand ist seit September 2003 verfügbar. Dr. Stefanie Hellweg war zeitweise Mitglied der Träger-schaft seitens des Instituts für Chemie- und Bioingenieurwissenschaften der ETH Zürich und von Anfang anmit dabei. Ein Gespräch.

ETH-Bioingenieurwissenschaftlerin Dr. Stefanie Hell-weg war bei der Entwicklung der ecoinvent-Daten-bank von Anfang an mit dabei.

F O R S C H U N G

dern auch die Daten pro Prozess. DiesesVorgehen gewährleistet die Transparenzder Daten und ermöglicht eine zusätzlicheQualitätskontrolle durch die Nutzer. Dennobwohl alle Daten von ecoinvent intern ge-prüft wurden, sind Fehler bei einer Daten-bank von der Grösse von ecoinvent (mehrals 2500 Prozesse, ca. 1000 Schadstoffe undRessourcen) nicht auszuschliessen. Ausser-dem ermöglicht dieses Vorgehen tiefergehende ökologische Analysen. Im obigenBeispiel der Herstellung einer Brille wäre esnicht nur möglich, die ökologisch relevan-ten Emissionen und Ressourcenverbräuchezu identifizieren, sondern man kann auchfeststellen, durch welche Prozesse dieseverursacht werden. Solche Analysen kön-nen gezielte Optimierungen initiieren.

Seit September 2003 stehen für die Be-reiche Energie, Transport, Entsorgung, Bau-wesen, Metalle, Holz, Chemikalien, Wasch-mittelinhaltsstoffe, Papiere und Landwirt-schaft harmonisierte Ökoinventardatenvon hoher Qualität zur Verfügung. Werkann alles von dieser Dienstleistung profi-tieren?Eine ganze Bandbreite von Nutzern. Firmenkönnen die Daten nutzen, um herauszufin-den, ob ihre Produkte und Prozesse ökolo-gisch konkurrenzfähig sind und wo es Optimierungsbedarf gibt. Umweltbera-tungsbüros können sie bei dieser Tätigkeitunterstützen.Forschungsinstitute können ecoinvent nut-zen, um spezifische ökologische Fragestel-lungen zu untersuchen. Behörden könnendie Daten bei der Abgabe von Empfehlun-gen (z. B. an den Konsumenten oder an dieBaubranche) und bei der Gesetzgebungberücksichtigen. Dies sind nur einige Bei-spiele unter vielen, wie die Daten verwen-det werden können.

Was ist der Beitrag der ETHZ zum Ganzen?Welche Institute der ETHZ sind daran betei-ligt?Heute sind an der ETHZ vor allem zwei In-stitute an ecoinvent beteiligt: Das Institutfür Umweltnatur- und Umweltsozialwis-

senschaften erstellt Daten für Transport-systeme, und unsere Gruppe, Sicherheits-und Umwelttechnologie am ICB, inventari-siert Chemikalien. Beide Institute sowiedas Institut für Stoffhaushalt und Entsor-gungstechnik waren zudem Mitglieder derTrägerschaft.

Gibt es schon erste Erfolge seit der Umset-zung?Führende Ökobilanz-Software-Hersteller ha-ben die ecoinvent-Daten in ihr Angebotaufgenommen. Dadurch erreicht ecoinventeine grosse Verbreitung und hat bereits einJahr nach der Einführung in Fachkreisen ei-nen hohen Bekanntheitsgrad erreicht. DasFeedback von Seiten der Lizenznehmer, wasmir zu Ohren gekommen ist, war sehr posi-tiv. Vor allem werden der grosse Umfangund die Konsistenz der Daten, die transpa-rente Dokumentationsweise und der Willezur Offenheit der beteiligten Institute ge-lobt. Diese Zusammenarbeit setzt interna-tional ein Beispiel: Erst jetzt fangen andereLänder wie Deutschland an, ähnliche Netz-werke zu etablieren.

Ihre Zukunftsvision?Ökologische Analysen wie die Ökobilanzmit Datenbanken wie ecoinvent so einfachmachen, dass man sie im täglichen Lebenproblemlos anwenden kann. Solch qualifi-zierte und umfassende Umweltinformatio-nen könnten einen grossen Beitrag zurÖkologisierung der Gesellschaft leisten.Hierzu ist allerdings noch viel Arbeit not-wendig. Obwohl ecoinvent die Erstellungeiner Ökobilanz erheblich vereinfacht, istdie Lebenszyklusanalyse zurzeit immernoch ein zeitaufwendiges Umweltanalyse-instrument für Experten.

Interview: Vanja Lichtensteiger-Cucak

N E W SNeues Mineral im Erdmantel(CC/vac) Die so genannte D-Schicht, der un-terste Bereich des Erdmantels, ist ein altesSorgenkind der Geophysiker. Mittels quan-tenmechanischer Berechnungen und Hoch-druck-Experimenten haben Artem R. Oga-nov vom Laboratorium für Kristallographieder ETH Zürich und sein japanischer KollegeShigeaki Ono von der Japan Agency for Marine-Earth Science and Technology, her-ausgefunden, dass die D-Schicht aus einemunbekannten Mineral besteht: Dieses weistüberraschenderweise eine geschichteteKristallstruktur auf, mit der sich auch dieungewöhnliche Topographie der D-Schichterklären lässt. Das Resultat wirft ein neuesLicht auf die Vorgänge tief im Erdinneren.

Räumliche Koordination bei der ZellteilunggeklärtWissenschaftler des Instituts für Biochemieder ETH Zürich konnten einige Fragen be-züglich der räumlichen Koordination beider Zellteilung beantworten: Die Cyto-kinese oder Zellteilung ist eine komplexeKaskade von Ereignissen, bei denen Toch-terzellen irreversibel voneinander getrenntwerden. Bislang war wenig bekannt, wiediese Ereignisse räumlich miteinander ko-ordiniert sind.

Reisezeit von AsteroidentrümmernDie neuesten Messungen der Forscher amEdelgaslabor der ETH Zürich zeigen: DieAsteroidentrümmer, die bei Kollisionen imWeltall entstehen, treffen unseren Plane-ten viel früher als bisher angenommen;schon nach einigen hunderttausend Jahrenkann es nämlich zu einer Kollision mit derErde kommen und nicht erst nach mehre-ren Millionen Jahren, wie die Forscher bis-her vermuteten.

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Manfred Schedlowski ist seit April 2004 ordentlicher Professor für Psychologie undVerhaltensimmunbiologie an der ETH Zürich.

Geboren 1957 in Hannover, studierte er Psy-chologie an den Universitäten in Bielefeldund Braunschweig. Nach seiner Promotion1989 an der Abteilung für Medizinische Psy-chologie an der Medizinischen HochschuleHannover und einem Forschungsaufent-halt an der University of Newcastle und amBrain-Behaviour Research Institute der LaTrobe University in Melbourne, Australien,war er in den Abteilungen für Klinische Im-munologie und Klinische Psychiatrie an derMedizinischen Hochschule Hannover wis-senschaftlich tätig. 1993 habilitierte er sichfür das Fach Medizinische Psychologie. VonOktober 1997 bis März 2004 war ProfessorSchedlowski Direktor des Institutes fürMedizinische Psychologie am Universitäts-klinikum Essen.Der Schwerpunkt seiner Forschung liegtauf der Analyse der funktionellen Verbin-dungen zwischen dem Nervensystem, demHormonsystem und dem Immunsystem.Dabei untersucht er, inwieweit sich Verhal-ten auf Funktionen des Immunsystems aus-wirken, welche psychologischen und bio-chemischen Mechanismen diese Effekteauf das körpereigene Abwehrsystem ver-mitteln, und analysiert die biologische Be-deutung dieser Verhaltenseffekte für dieAufrechterhaltung der Gesundheit sowiedie Entstehung und den Verlauf von Erkran-kungen.

Ulrich Weidmann ist seit 1. Juni 2004 ordentlicher Professor für Verkehrssystemeam Institut für Verkehrsplanung und Trans-portsysteme (IVT), Departement Bau, Um-welt und Geomatik.

Weidmann wurde 1963 als Bürger von Ein-siedeln/Schwyz geboren. Nach seinemBauingenieur-Studium an der ETH Zürichwar er ab 1988 Assistent am IVT. In dieserZeit entstand bei Professor Brändli seineproduktionstechnische Dissertation, wel-che mit dem Lehner-Preis des VerbandesDeutscher Verkehrsunternehmungen aus-gezeichnet wurde. 1994 bis 2000 erarbei-tete er bei den Schweizerischen Bundes-bahnen (SBB) langfristige Angebotsstrate-gien und war für den netzweiten Ausbaudes S-Bahn- und Regionalverkehrs im libe-ralisierten Umfeld verantwortlich. 2001 bis2004 führte er den GeschäftsbereichEngineering der Division Infrastruktur SBB(Innovationsmanagement, Bahntechnik, Ar-chitektur, Umwelt, Messtechnik, Normen).Zudem leitete er das Projekt Führerstands-signalisierung der Lötschberg-Basislinie.Im Fokus der Professur stehen die Systemedes öffentlichen Personen- und Güterver-kehrs (Bahn, Bus, Luftfahrt, Schifffahrt), mitden drei Elementen Netz- und Angebots-entwicklung, Anlagenplanung und -reali-sierung sowie Netzbetrieb und -erhaltung.Begleitende Gebiete sind der Mensch imVerkehrssystem, der Ordnungsrahmen unddie Nachhaltigkeit. Weidmanns Forschungs-schwerpunkte sind die Optimierung desSystemaufbaus, die Investitionsstrategienvon Netzbetreibern sowie die Methoden desErhaltungsmanagements. Er ist Mitglied desKuratoriums des Verkehrswissenschaftli-chen Instituts der Universität Stuttgart.

G A L E R I EAkademische Ehrungen

Prof. Dr. Markus Äbi, Professor der ETHZürich für Mykologie, ist als Mitglied einesinternationalen Forschungsteams zur Er-forschung des Eiweiss-Stoffwechsels derKörber-Preis für die Europäischen Wissen-schaften 2004 für Medizin und Biologieverliehen worden.

Prof. Dr. Thomas Bernauer, Professor derETH Zürich für Internationale Beziehungen,ist vom Ausschuss des SNF-Stiftungsratesin den Forschungsrat Abteilung IV gewähltworden.

Prof. Dr. Markus Bläser, Professor der ETHZürich für Informatik, ist der «Best PaperAward 2003» des Journals of Complexityverliehen worden.

Prof. Dr. Corneliu Constantinescu, Professori. R. der ETH Zürich für Mathematik, ist fürsein Wirken vom rumänischen PräsidentenIliescu mit der nationalen «Steaua Româ-nici»-Medaille ausgezeichnet worden.

Prof. Dr. François Diederich, Professor derETH Zürich für Organische Chemie, hat denVorsitz des Fachmagazins «AngewandteChemie» übernommen.

Prof. Dr. Jürg Dual, Professor der ETH Zürichfür Mechanik und experimentelle Dynamik,ist Fellow der American Society of Mecha-nical Engineers (ASME) ernannt worden.

Prof. Dr. Jack D. Dunitz, Professor i. R. derETH Zürich für Chemische Kristallographie,ist zum Ehrenmitglied der SchweizerischenChemischen Gesellschaft ernannt worden.

Prof. Dr. Beno Eckmann, Professor i. R. derETH Zürich für Mathematik, ist von der isra-elischen Ben-Gurion-Universität die Ehren-doktorwürde verliehen worden.

Prof. Dr. Manfred Morari, Professor der ETHZürich für Automatik, ist für die Auszeich-nung mit dem IEEE Control Systems Award2005, der höchsten Auszeichnung des Insti-tute of Electrical and Electronic Engineers(IEEE), ausgewählt worden.

Prof. Dr. Ralf Müller, Inhaber der SNF-Förde-rungsprofessur für Bioengineering am In-stitut für Biomedizinische Technik, ist vonder American Swiss Foundation zum YoungLeader 2004 ernannt worden.

Prof. Dr. Bradley Nelson, Professor der ETHZürich für Robotik und Intelligente Sys-teme, ist an der International Conferenceon Robotics and Automation mit dem BestConference Paper Award 2004 ausgezeich-net worden.

Prof. Dr. Josef Nösberger, Professor i. R. derETH Zürich für Pflanzenbau, ist die Ehren-doktorwürde der Lviv State University inder Ukraine verliehen worden.

Prof. Dr. Gabor Oplatka, Professor i. R. derETH Zürich für Leichtbau und Seilbahntech-nik, ist nach Ablauf seiner Präsidentschaftzum Ehrenmitglied der Organisation inter-nationale pour l'Étude de L'Endurance desCâbles (OIPEEC) gewählt worden.

Prof. Dr. Michele Parrinello, Professor derETH Zürich für Computational Sciences, istvon der World Association of TheoreticallyOriented Chemists (WATOC) die Schrödin-ger Medal 2005 verliehen worden und istdamit zum WATOC Fellow gewählt worden.

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Prof. Dr. Paul Embrechts, Professor der ETHZürich für Mathematik, ist von der Accade-mia Nazionale dei Lincei in Rom der INA-Preis 2004 für Mathematik und Versiche-rungstechnik verliehen worden.

Prof. Dr. Albert Eschenmoser, Professor i. R.der ETH Zürich für Organische Chemie, istvon der Royal Society of Chemistry die SirDerek Barton Gold Medal verliehen worden.

Prof. Dr. Martin Fussenegger, Inhaber derSNF-Förderungsprofessur für MolekulareBiotechnologie, ist für eine hoch qualifi-zierte wissenschaftliche Veröffentlichungim Journal Biotechnology & Bioengineeringder Gaden Award 2003 verliehen worden.

Prof. Dr. Rudolf Glockshuber, Professor derETH Zürich für Molekularbiologie, ist zumMitglied der Deutschen Akademie der Na-turforscher Leopoldina gewählt worden.

Prof. Dr. Alan G. Green, Professor der ETHZürich für Angewandte Geophysik, ist zumHonorary Guest Professor der China Uni-versity of Geosciences in Wuhan, China, ge-wählt worden.

Prof. Dr. Dieter Imboden, Professor der ETHZürich für Umweltphysik, ist auf den 1. Ja-nuar 2005 zum neuen Präsidenten des Na-tionalen Forschungsrats gewählt worden.

Prof. Dr. Ursula Keller, Professorin der ETHZürich für Experimentalphysik, hat den ers-ten Preis im Wettbewerb um den Inter-nationalen Berthold-Leibinger-Innovations-preis 2004 (internationaler Laser-Preis inFertigung, Medizin und Biotechnologie)gewonnen.

Prof. Dr. Wolfgang Kröger, Professor derETH Zürich für Sicherheitstechnik, ist zumEhrenmitglied der Schweizerischen Gesell-schaft der Kernfachleute gewählt worden.

Prof. Dr. Dimos Poulikakos, Professor derETH Zürich für Thermodynamik, ist von derPurdue University, West Lafayette, als Haw-kins Memorial Lecturer 2004 eingeladenworden.

Prof. Dr. Klaas P. Prüssmann, Professor derETH Zürich für Magnetic Resonance Ima-ging Technology, ist im Rahmen der 9. Bi-Annual Conference on NMR and Intermo-dality Contrast Agent Research mit demEuropean Magnetic Resonance Award aus-gezeichnet worden.

Prof. Dr. Peter Rieder, Professor der ETHZürich für Agrarwirtschaft, hat die KingAlbert I Memorial Foundation die «KingAlbert Memorial Medal of Merit» zuge-sprochen.

Prof. Dr. Renate Schubert, Professorin derETH Zürich für Nationalökonomie, ist in dasOutreach Advisory Board of the Center forthe Study of Individual and Group DecisionMaking Under Climate Uncertainty an derColumbia University berufen worden.

Prof. Dr. Dieter Seebach, Professor i. R. derETH Zürich für Chemie, ist zum Ehrenmit-glied der Schweizerischen ChemischenGesellschaft gewählt worden.

Prof. Dr. Erich Josef Windhab, Professor derETH Zürich für Lebensmittelverfahrens-technik, ist von der Europäischen Akademieder Wissenschaften (EAS) die Blaise-Pascal-Medaille 2004 verliehen worden.

Prof. Dr. Renato Zenobi, Professor der ETHZürich für Analytische Chemie, ist vomCouncil of the Analytical Division der RoyalSociety of Chemistry zum Theophilus Red-wood Lecturer 2005 gewählt worden.

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Jürgen FreundSpezielle Relativitätstheorie für Studien-anfängerEin Lehrbuch252 Seiten, broschiert, Fr. 44.–vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich,2004

Die Spezielle Relativitätstheorie ist nichtsSchwieriges und Geheimnisvolles. Studien-anfänger der Natur- und Technikwissen-schaften können sie mit ihren Kenntnissender Mathematik und der Physik in vollemUmfang und bis ins Detail verstehen, wennsie sich die Mühe machen, sich durch diesesLehrbuch durchzuarbeiten. Zahlreiche, zumTeil auch kompliziertere Problemstellun-gen, bis hin zum Energie-Impuls-Vierer-vektor und zum elektromagnetischen Feld,werden ausführlich behandelt und zeigendem Anfänger, wie relativistische Rechnun-gen anzupacken sind. Auch die bekanntenParadoxa werden umfassend erklärt. Fürden Wissenschaftler, der mit diesem Gebietschon vertraut ist, ist dieses Lehrbuch we-gen seiner umfangreichen Formelauflistun-gen wertvoll.

Gotsch, N., Flury, C., Kreuzer, M., Rieder, P.,Heinimann, H.R., Mayer, A.C.,Wettstein, H.-R.Land- und Forstwirtschaft im Alpenraum –Zukunft im Wandel.Synthesebericht des Polyprojektes «PRIM-ALP – Nachhaltige Primärproduktion amBeispiel des Alpenraums» der ETH Zürich.Schriftenreihe Nachhaltige Land- und Forst-wirtschaft im Alpenraum, Bd. 8,305 Seiten, EUR 43.–Wissenschaftsverlag VAUK, Kiel, 2004

Die Land- und Forstwirtschaft der Bergge-biete gerät durch ihre Standortnachteilezunehmend in Bedrängnis. Der Verlust derökonomischen Basis und damit verbun-dene soziale Probleme sowie eine nichtnachhaltige Land- und Raumnutzung sindzum Teil bereits eingetreten oder sind inZukunft zu befürchten. Der wirtschaftlicheDruck auf den Primärsektor hat vor allem inAgrarregionen weitreichende Folgen, weildie Land- und Forstwirtschaft dort wesent-lich zur Beschäftigung und Besiedlungbeiträgt. Die Agenda 21, das Schlussdoku-ment des Erdgipfels von Rio, fordert für dieGebirge eine schonende Bewirtschaftungnatürlicher Ressourcen und die sozioöko-nomische Entwicklung von Bergregionen.Diese politischen Vorgaben bedürfen derwissenschaftlichen und politischen Präzi-sierung.Vor diesem Hintergrund wurde von 1997 bis2002 an der Eidgenössischen TechnischenHochschule in Zürich das Projekt «PRIMALP– nachhaltige Primärproduktion am Bei-spiel des Alpenraumes» durchgeführt. DieLeitidee dieses Projektes bestand in der Entwicklung von Nutzungsverfahren und Handlungsstrategien für eine ressourcen-effiziente, gesellschafts- und umweltver-trägliche sowie wirtschaftlich tragbareRaum- und Landnutzung durch die Land-und Forstwirtschaft im Alpenraum. Das vor-liegende Buch ist der Schlussbericht unddie Synthese dieses interdisziplinären Pro-jektes.

Elmar HolensteinPhilosophie-AtlasOrte und Wege des Denkens306 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag,mit 41 vierfarbigen Karten und Schaubil-dern, Begleittexten, Personen- und Geogra-phischem Register, Fr. 79.90Ammann Verlag, 2004

Dass Philosophie nichts Abstraktes ist,macht der neue Philosophie-Atlas von El-mar Holenstein sichtbar: Auf 41 Karten undSchaubildern zeichnet er die «Orte undWege des Denkens» nach und veranschau-licht die Ideengeschichte der Menschheit.Verständnis der Philosophie und ihrer Ver-treter ist nur eines der zentralen Anliegendes emeritierten ETH-Professors Elmar Ho-lenstein. Das besondere Augenmerk liegtauf dem gedanklichen Austausch zwischenden Kulturen. Philosophische Lehren lassensich nicht isoliert betrachten, sie ent-wickeln und verändern sich in Abhängig-keit von ihrem Umfeld. So führte der Wegder so genannten «europäischen Philoso-phie» nicht direkt von Hellas über Romnach Paris, Oxford oder Königsberg, son-dern erhielt gerade auf seinen «Umwegen»von Südwestasien und Nordafrika ent-scheidende Impulse. Die Karten und ihreBegleittexte fordern auf, die Geschichte desDenkens einmal aus einem anderen Blick-winkel zu sehen. Erdteile werden gleichran-gig behandelt, eurozentrische Namen aus-gespart, Fremdbezeichnungen durch Eigen-bezeichnungen versetzt: So wird Vorder-asien zu Südwestasien, Korea zu Han’guk.Begleitet wird die Reise zu den «Orten undWegen des Denkens» von zwei umfangrei-chen Registern, einem Personen- und ei-nem Geographischen Register. Alle Stättender Philosophie, die Lebensstationen dergrossen und kleinen Denkerinnen und Den-ker sind dort minutiös erfasst – fundierteQuellen für den Spezialisten, ergiebige Fund-gruben für den Interessierten.

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Deutscher Manager-Verband e.V. (Hrsg.)Handbuch Soft SkillsBand II: Psychologische Kompetenzvdf – Management, 352 Seiten, gebunden,Fr. 67.50vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich,2004

In Zeiten wachsender Herausforderungenan Manager gelten neben der fachlichenExpertise vor allem Soft Skills als die kri-tischsten Faktoren für den Erfolg. Das Pro-blem: Soft Skills werden in keiner Ausbil-dung systematisch vermittelt oder einge-übt. Die meisten Manager weisen hierernsthafte Defizite auf und werden denzunehmenden Anforderungen nicht mehrgerecht.Das Handbuch Soft Skills vermittelt in dendrei Bänden umfangreiches und systemati-sches Wissen. Im Band «PsychologischeKompetenz» werden die KompetenzfelderMotivation, Konzentration und Entspan-nung, Denktechniken und Denkgewohn-heiten, Effiziente Lerntechniken sowieLesetechniken praxisnah, anschaulich undnachvollziehbar aufgearbeitet. Das Ziel desBuches liegt nicht nur darin, den Leser überSoft Skills zu informieren, sondern ihn inseiner psychologischen Kompetenz auchtatsächlich fit zu machen. Methodisch ori-entiert sich das Buch daher an höchstendidaktischen Ansprüchen.

Mario Fontana und Andreas Tönnesmann(Hrsg.)«Luftschloss – Festarchitektur zwischenImagination und Realität» Mit Beiträgen von Martina Desax, WernerOechslin, Philip Ursprung und Andreas Tönnesmann 56 Seiten, 30 x 21,5 cm, gebunden,85 Abbildungen, s/w und farbig, Fr. 22.–gta Verlag, 2004

Die Festarchitektur erhob die Feiern des Ba-rock zu unvergesslichen Spektakeln; die ak-tuellsten Ergebnisse aus Forschung undWissenschaft, Mythologie, Sensation undausgelassene Festkultur fanden hier zu-sammen. Der um 1800 spürbare Wandelspiegelt die gesellschaftlichen Entwicklun-gen: In den ephemeren Installationen neh-men nun die Sehnsucht nach einer sich neuordnenden Gesellschaft und die Forderungnach dem Nutzen der Kunst für das öffent-liche Wohl Gestalt an. Erst in neuster Zeitaber bindet die ephemere Kunst – sei sievertreten an den Biennalen in Venedig oderbeispielsweise an der Expo.02 – den Zu-schauer als «Benutzer» restlos in das Kunst-werk ein.Ein Stück Utopie, ein Stück Luftschloss,schwingt in der atmosphärischen Kunst –also einer Kunst, die auf Stimmung undAmbiente mehr als auf ewige Dauer setzt –stets mit. Das Potenzial dieser Utopie nichtzu verspielen, sie also nicht losgelöst vonder gesellschaftlichen Wirklichkeit zu ins-zenieren, sondern sie auch konkret mitdieser zu verschränken, gehört zu denwichtigsten Aufgaben in nächster Zukunft.Dieses Ziel haben auch die 49 Teams jungerArchitekten, Bauingenieure, Künstlerinnenund Medienschaffenden verfolgt, die anläss-lich des Wettbewerbes zur Feier des 150-jährigen Bestehens der ETH Zürich «Luft-schlösser» entwarfen; mit Hilfe modernsterInformationstechnologie sollen sie das Ju-biläum als zukunftsorientierten Anlass aus-zeichnen.

Ein interaktiver Lehrgang über geologischeProzesseDie Erde – der dynamische PlanetEin interaktiver Lehrgang über geologischeProzesseCD-ROM für Windows und Mac, Fr. 68.–vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich,2004

Wohin entwickelt sich die Erde? Woherkommt unser Planet? Wie können wir dieEntwicklung der Erde über die menschlicheErfahrungsspanne von wenigen 1000 Jah-ren hinaus rekonstruieren oder vorher-sagen? Die geologische Wissenschaft mitihren Teilbereichen Geologie, Geophysik,Mineralogie und Paläontologie versuchtdurch systematisches Studium der Erdge-steine, ihrer Geschichte, ihrer Nutzungspo-tenziale und Gefahren diese Fragen zu be-antworten. Dieser Lehrgang zeigt Ihnen diePhänomene und Gesetzmässigkeiten desSystems Erde sowie die geologische Wis-senschaft und ihre Methoden als Disziplin.Systemanforderungen:Windows 98/Me/2000/NT/XP, Pentium 90MHz, 32 MB RAM, Soundkarte; MacintoshOS 9, OS X; Internet Explorer ab Version 5.0;Netscape Navigator ab Version 6.0; FlashMX Plug-In.

A L U M N I A K T U E L L

Herr Amberg, welches sind die wichtigstenEntwicklungen im Tunnelbau in den letztenJahren?Als erstes stellt man fest, dass immer grös-sere Tunnel gebaut werden. «Grösser» be-zieht sich sowohl auf die Länge als auch aufden Querschnitt. Zum zweiten hat die tech-nische Machbarkeit an Bedeutung verlo-ren. Die Verkehrsplaner und Politiker sagen,wir brauchen eine Verbindung von A nachB; an den Ingenieuren ist es dann, das zubewerkstelligen. Grundsätzlich lässt sichheute jeder Boden und jedes Gebirgedurchqueren. Das führt dazu, dass Hollandinzwischen ein regelrechtes Tunnelbau-Land ist. Man verfügt eben nun über Ver-fahren, um in tonreichen, weichen BödenTunnel zu bauen. Das wäre vor zwanzig,dreissig Jahren nicht möglich gewesen.

Die dritte wichtige Entwicklung ist die zu-nehmende Mechanisierung und Automati-sierung. Der deutlichste Ausdruck dafürsind die Tunnelbohrmaschinen. Der Trendzur Mechanisierung wird sich in den nächs-ten Jahren fortsetzen. Es gibt völlig fantas-tische Ideen, etwa dass in zehn, zwölf Jah-ren unter Umständen gar niemand mehrim Tunnel arbeiten wird, sondern dass allesferngesteuert abläuft. Das ist sicher nocheine Utopie, aber es zeigt, in welche Rich-tung es geht.

Wie muss man vor diesem Hintergrund diefrüheren Diskussionen um die Machbarkeitdes Gotthard-Basistunnels einstufen?Die Machbarkeit war in zwei Bereichenfraglich: bei der Pioramulde mit demzuckerkörnigen Dolomit und dem so ge-nannten Tavetscher Zwischenmassiv. BeideZonen hat man intensiv erkundet. DieKenntnisse über das Gebirge wurden soweit verbessert, dass die entsprechendenTechniken bereitgestellt werden konnten.Heute steht die Machbarkeit ausser Frage.Ungewiss ist einzig, ob es etwas schnelleroder langsamer geht.

Hat man denn inzwischen auch die Kostenbesser im Griff?Ein gewisses Risiko bleibt immer, daranändert auch die modernste Technik nichts.Die spektakulären Kostenüberschreitun-gen der Vergangenheit sind aber nicht nurauf technische und geologische Problemezurückzuführen. Beim Furka-Tunnel bei-spielsweise war der ursprüngliche Kosten-voranschlag einfach viel zu tief. Für dieseSumme konnte man den Durchstich garnicht bauen.Bei der aktuellen Diskussion um die NEATmuss man klar sehen, dass es neben geolo-gischen Problemen auch Projektänderun-gen gab. Man realisiert etwas anderes alsursprünglich geplant, und das kostet jenachdem auch mehr. Beim Ceneri-Tunnel

etwa war zuerst eine zweispurige Röhrevorgesehen. Aus Sicherheitsgründen wer-den nun zwei einspurige Röhren gebaut,und das kostet einfach mehr.

Die Kosten sorgen also zu unrecht fürheisse Köpfe?Wenn man im Untertagebau tätig ist, dannweiss man, dass Diskussionen um die Kos-ten offenbar zum Spiel gehören. Ich nehmedas relativ emotionslos entgegen. Es trifftmich nur etwas im Berufsstolz, dass die Dis-

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I M G E S P R ÄC H

D I E T E C H N I S C H E M AC H B A R K E I T I ST K E I N E F R AG E M E H R

Felix Amberg gehört mit seiner Firma zu den führenden Tunnelbauern der Schweiz. Unter anderem ist er auch beim Bau des Gotthard-Basistunnels mit von der Partie. Den plan-mässigen Fortschritt bei den beiden NEAT-Bauwerken wertet er als Erfolg für seine Zunft.Dennoch sieht er mittelfristig schwierige Zeiten auf die Schweizer Tunnelbauer zukommen.

ETH-Bauingenieur Felix Amberg gehört zu denführenden Tunnelbauern der Schweiz.

kussion nicht sachlicher geführt wird undeine ganze Ingenieurrichtung einfach alsunfähig bezeichnet wird. Viele Tunnel derBahn 2000 oder der Vereina-Tunnel wur-den billiger gebaut als geplant. Doch dasscheint einfach «courant normal» zu sein.Die Medien berichten nur, wenn esirgendwo Kostenüberschreitungen gibt.Diese ungleiche Wahrnehmung stört michschon etwas.

Welches war denn, abgesehen von der Geo-logie, bisher die grösste Herausforderungbeim Bau der NEAT?Die grösste Herausforderung ist sicherlichdie Logistik. In Sedrun wird an sechs ver-schiedenen Vortrieben rund um die Uhr ge-arbeitet. Das gesamte Material muss übereinen 800 Meter tiefen Schacht rechtzeitighinunter- und hinaufgebracht werden.Auch bei den anderen Vortrieben ist dieVer- und Entsorgung der zentrale Punkt.Die Arbeiter an der Tunnelbrust sollten jamöglichst nie warten müssen.

Wie sind die mittelfristigen Aussichten fürdie Schweizer Tunnelbauer?Man darf sich keine Illusionen machen:Wenn die NEAT fertig gebaut ist, gibt es ei-nen drastischen Rückgang. Ob die hiesigenPlaner und Bauunternehmer dann fit sindfür den internationalen Markt, muss sichweisen. Wir selber versuchen jedenfalls, be-reits jetzt im Ausland zu bestehen, und ha-ben inzwischen auch verschiedene Nieder-lassungen gegründet. Aber wir SchweizerPlaner und Unternehmer sind im interna-tionalen Wettbewerb im besten Fall nurmittlere Player. Unsere Stärke ist der Tun-nelbau im Gebirge. In anderen Gebieten,die heute mindestens so wichtig sind –etwa der städtische Untertagebau oder dasBauen in weichen Böden –, fehlt uns hinge-gen noch Know-how. Das müssen wir zu-erst im Ausland erwerben.

Ihre Firma betreibt auch Forschung. In wel-chem Rahmen muss man sich das vorstel-len?Wir haben Kontakte zu verschiedenenHochschulen. Einerseits geschieht diesüber die Tätigkeit in unserem Versuchsstol-len Hagenbach bei Sargans. Zum anderen

realisieren wir im Bereich Messtechnik ver-schiedene Projekte zusammen mit Hoch-schulen. Beispielsweise haben wir mit derETH einen Spritzbeton-Roboter entwickelt.Auch mit der EPF Lausanne oder demGeoforschungszentrum Potsdam habenwir schon Projekte durchgeführt.

Wie sehen Sie die Ingenieurausbildung ander ETH?Wenn man bedenkt, welchen Stellenwertdas Bauingenieurwesen früher hatte undwie viele Studierende dieses Fach heute ander ETH belegen, dann kommt schon einegewisse Wehmut auf. Es wurde offenbar so-gar diskutiert, ob es an der ETH überhauptnoch ein Bauingenieurwesen braucht. Ichmache mir daher keine Illusionen, in wel-che Richtung sich dieses Fach entwickelnwird. Im Vergleich zu anderen Ländern, woes eine Bergbautradition gibt oder der Un-tertagbau grundsätzlich gefördert wird,sind wir Bauingenieure als kleine Unterab-teilung der ETH in der Schweiz relativschwach repräsentiert.

Ist das für die Schweizer Unternehmen mit-telfristig ein Problem?Wir haben uns kürzlich in Singapur um eingrösseres Projekt beworben, und wir muss-ten zur Kenntnis nehmen, dass z. B. unsereKonkurrenten aus Norwegen ganz andersauftreten. Diese waren nicht nur durch In-genieurfirmen vertreten wie wir, sondernverfügten auch über politische Unterstüt-zung und Support durch Hochschulen.Auch in Österreich gibt es solche Koalitio-nen. Dort versucht man, den «österreichi-schen Tunnelbau» sozusagen als Marke indie Welt hinauszutragen. Im Vergleich dazusind wir Schweizer wirklich bieder. Die Si-tuation an der ETH ist da sicher nicht sehrhilfreich.

Was müssten wir denn anders machen?Nun, ich will nicht sagen, der Zug sei abge-fahren. Aber wir haben schon eine grosseChance verpasst. Wir hätten in den Neunzi-gerjahren einen Schulterschluss machensollen. Bauunternehmer, Planer, Bauherrenund Hochschulvertreter hätten zusammeneine Kampagne starten müssen, um denSchweizer Untertagebau weltweit klarer zu

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Zur PersonFelix Amberg, Jahrgang 1957, hat an derETH Bauingenieur studiert und 1981 mitdem Diplom abgeschlossen. Seit 1994ist er Inhaber der Amberg EngineeringAG und der Amberg Messtechnik AG.Er ist zudem Mitinhaber und Verwal-tungsratspräsident des VersuchsstollensHagenbach in Flums. Amberg ist Vize-präsident der Fachgruppe für Unterta-gebau des SIA.

positionieren. Inzwischen ist der Lötsch-berg bereits auf der Zielgeraden, die Aus-gangslage für eine solche Kampagne alsonicht mehr so günstig. Und bis das nächste«Jahrhundertvorhaben» in der Schweiz rea-lisiert wird, vergehen wohl noch etlicheJahre.

Interview: Felix Würsten

Die Amberg-GruppeDie Amberg-Gruppe besteht aus drei eigenständigen Firmen: Amberg En-gineering AG befasst sich mit der Pro-jektierung und Bauleitung von unter-irdischen Infrastrukturen, sowohl beiNeubauten als auch bei bestehendenTunneln. Die Firma Amberg Messtech-nik AG entwickelt und baut Messgeräteund -systeme für den Untertagebau.Die dritte Firma, die VersuchsstollenHagenbach AG, ist einerseits ein Prüf-labor für mineralische Baustoffe wieBeton oder Fels. Andererseits besitztdie Firma in der Nähe von Flums eineStollenanlage für Forschungs- und Ent-wicklungsarbeiten. Untersucht werdenetwa neue Sprengstoffe und Spritzbe-tonmischungen, aber auch Sicherheits-fragen in Tunneln. Die Amberg-Gruppebeschäftigt rund 180 Mitarbeiter undweist einen Umsatz von über 25 Mio.Franken aus.

A L U M N I A K T U E L L

Obwohl in Deutschland die meisten ehe-maligen Studierenden der ETH ausserhalbder Schweiz zu finden sind, wurde erst imHerbst 2003 die Gründung einer eigenenAlumni-Landesgruppe konkret ins Auge ge-fasst. Nach einem Kick-off-Meeting AnfangJahr konnte nun im Mai 2004 die Landes-gruppe Deutschland offiziell gegründetwerden. Zweck des Vereins ist die Förde-rung von Wissenschaft und Forschungsowie Bildung und Erziehung. Die Landes-gruppe will insbesondere den Erfahrungs-austausch unter den Ehemaligen sowie denDialog der ETH mit der Öffentlichkeit un-terstützen.Als erstes grosses Event steht nun am 2. Oktober 2004 die offizielle Gründungs-veranstaltung auf dem Programm. DieAlumni aus der Schweiz sind dazu herzlicheingeladen! Die Teilnehmer erwartet einattraktives Programm, das unter anderemauch einen Empfang in der Schweizer Bot-schaft vorsieht. Nach einem ersten infor-

mellen Zusammentreffen am Freitagabendfindet am Samstag ab 15 Uhr die Grün-dungsversammlung mit anschliessendemFest statt. Der Sonntag schliesslich stehtfür ein «Berlinprogramm» nach Wahl zurVerfügung.

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T R E F F P U N K TG R Ü N D U N G S F E I E R I N B E R L I N

B U S I N E S S D I N N E RBusiness Dinner mit Dr. Henri B. Meier,HBM BioVentures AG, BaarOhne Risikokapital kein Wachstum – ohneWachstum Verteilungskämpfe

Die Schweizer Wirtschaft krebst seit zweiJahrzehnten der Entwicklung Europas undAmerikas hinterher und ist von der Spitzen-position vor 50 Jahren ins Mittelfeld ab-gerückt. Setzt sich der Trend fort, ist dieSchweiz in 25 Jahren Schlusslicht Europas.Ursachen und Lösungen werden aufge-zeigt.Henri B. Meier, Dr. oec. der Universität St.Gallen, begann seine Karriere in Venezuela.Nach einem neunjährigen Engagement fürdie Weltbank und die International FinanceCorporation in Washington übernahm er inder Schweiz leitende Funktionen bei MotorColumbus und bei der Handelsbank Natio-nal Westminster, Zürich. Von 1986 bis 2000war er Mitglied der Roche-Konzernleitung.

Heute ist er Präsident des Verwaltungsra-tes der Givaudan SA und der HBM BioVen-tures AG.ETH Alumni Business Dinner,Dienstag, 28. September 2004, 18.00–21.00Uhr, ETH Zentrum, Dozentenfoyer

Business Dinner mit Johann N. Schneider-Ammann, Ammann Gruppe, LangenthalDie Exportindustrie als volkswirtschaftli-che Lokomotive?!

Johann N. Schneider-Ammann spricht überdie Bedeutung der Industrie, die internenund externen Chancen und Risiken, welchedie Lokomotive fahren oder eben nicht fah-ren lassen. Die Herausforderungen sindgross, es muss jetzt gehandelt werden!Schneider, dipl. El. Ing. ETH und MBA IN-SEAD, sammelte erste Berufserfahrungen

bei Oerlikon Bührle. 1981 trat er in die Ammann Unternehmungen ein. Nach fünf-jähriger Leitung der U. Ammann Maschi-nenfabrik AG wurde er 1988 zum Vorsitzen-den der Ammann-Gruppenleitung undzwei Jahre später zum Präsidenten und De-legierten des Verwaltungsrates berufen. Erist Präsident der Swissmem und sitzt seit1999 für die FDP des Kantons Bern imNationalrat.

ETH Alumni Business Dinner,Montag, 25. Oktober 2004, 18.00 –21.00Uhr, ETH Zentrum, Dozentenfoyer

ETH Alumni aus der Schweiz sind Anfang Oktober herzlich nach Berlin eingeladen.(Bild: Berlin Tourismus Marketing GmbH)

Vereinigung der Absolventinnen undAbsolventen der ETH Zürich, ETH Zen-trum, 8092 Zürich, Tel. 01/632 51 00,Fax 01/632 13 29, [email protected],www.alumni.ethz.ch

Für die Gäste der Gründungsfeier konntenim Swissôtel in Berlin günstige Sonderkon-ditionen vereinbart werden. Das detail-lierte Programm findet sich unter:www.alumni.ethz.ch/events/study_trip