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MANAGEMENT & INNOVATION QUALITÄTSMANAGEMENT Es ist ei- gentlich ganz egal, ob es sich um ein externes Call Cen- ter, den Handwerker oder einen sonstigen Dienstleister handelt: Nicht selten fühlt sich der Auftraggeber von der Dienstleistung des Auftragnehmers enttäuscht! Erwartungshal- tung und Ergebnis treffen aufeinander, ohne deckungsgleich zu sein. Doch woran liegt das? Sind Dienstleister wirklich so schlecht, wie mancher Auftraggeber sie er- lebt, oder sind umgekehrt die Er- wartungen der Auftragnehmer maßlos überzogen? Die Geschichte über ent- täuschte Erwartungshal- tungen im Dienstleistungs- bereich beruht auf einem alten Missverständnis: Wer einem anderen einen Dienst leistet oder einen Dienst er- weist, der hilft bei etwas maß- geblich mit, so versteht es un- ser Kulturkreis. Das Verb „be- dienen” schwingt laut mit und prompt treten bestimmte Asso- ziationen auf. Karl Marx be- schäftigte sich als Erster wissen- schaftlich intensiv mit der Un- terscheidung zwischen einer Dienstleistung und dem Leisten oder Erweisen eines Diensts. Problem des Dienst- begriffs Marx bezeichnete eine Dienstleistung in ei- nem Fall als Ware, als ein Produkt, das Mehr- werte schafft und damit handelbar ist: „Für den Produzenten dieser Dienste sind diese Dienstleistungen Waren. Sie haben einen be- stimmten Gebrauchswert und einen be- stimmten Tauschwert“, so Marx. Im anderen Fall klassifizierte er jemanden, der einem an- deren einen Dienst erweist, als einen Bedien- steten. Hier stellt die Leistung eines Diensts keine Ware und kein Produkt dar, obwohl es durchaus einen Mehrwert für den Leis- tungsempfänger schaffen kann, wenn ein Dienst geleistet wird. Diese Unterscheidung gilt in unserem Wirtschaftssystem bis heute und ist ein Hauptgrund für enttäuschte Er- wartungen bei Auftraggebern und Unver- ständnis bei Auftragnehmern – eben auch von Call Center-Dienstleistungen. Wer also eine Dienstleistung einkauft, darf nicht er- warten, dass ihm auch ein Dienst erwiesen wird. Wenn dies trotzdem geschieht, stellt es einen zusätzlichen Bonus dar. Folgt man der etymologischen Spur des Dienstbegriffs, so werden als Dienste his- torisch einerseits niedere Tätigkeiten be- zeichnet, wie etwa die von Dienstboten in Leibeigenschaft, andererseits aber auch be- sonders hochgeschätzte Tätigkeiten, wie et- wa der Dienst am Volk oder der Gottes- dienst. Diese Spreizung in der Wertschät- zung schwingt bis heute in unseren Köpfen mit. Ist es also das Gefühl der Leibeigen- schaft über einen Dienstleister, das manchen Auftraggeber zu überzogenen Forderungen verleitet und ihn selbst verspätet zum Ter- min erscheinen lässt, während der Auftrag- nehmer überpünktlich vor Ort zu sein hat? Oder handelt es sich umgekehrt um die nicht hoch genug zu wertende Tätigkeit ei- nes Spezialisten, der seine Kunden trotz Zu- sage seinerseits schon einmal einen Monat lang auf Ergebnisse warten lassen darf? Die Spanne vom Dienstboten in Leibeigenschaft Wieviel Dienst leistet eigentlich ein Dienstleister? Und was sind die Ursachen für immer wieder enttäuschte Erwartungshaltungen im Dienstleis- tungsbereich? Von Dienern und Dienstleistern 12 TeleTalk 04/2011 www.teletalk.de

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Page 1: MANAGE MENT & INNOVATION QUALITÄTSMANAGEMENT Von …€¦ · Dienstleister handelt: Nicht selten fühlt sich ... Spanne vom Dienstboten in Leibeigenschaft Wieviel Dienst leistet

MANAGEMENT & INNOVATION QUALITÄTSMANAGEMENT

Es ist ei-gentlich ganzegal, ob es sich um ein externes Call Cen-ter, den Handwerker oder einen sonstigenDienstleister handelt: Nicht selten fühlt sichder Auftraggeber von der Dienstleistung desAuftragnehmers enttäuscht! Erwartungshal-tung und Ergebnis treffen aufeinander, ohnedeckungsgleich zu sein. Doch woran liegtdas? Sind Dienstleister wirklich so schlecht,

wie mancher Auftraggeber sie er-lebt, oder sind umgekehrt die Er-wartungen der Auftragnehmer

maßlos überzogen? Die Geschichte über ent-täuschte Erwartungshal-tungen im Dienstleistungs-bereich beruht auf einemalten Missverständnis: Wereinem anderen einen Dienstleistet oder einen Dienst er-weist, der hilft bei etwas maß-geblich mit, so versteht es un-ser Kulturkreis. Das Verb „be-dienen” schwingt laut mit undprompt treten bestimmte Asso-ziationen auf. Karl Marx be-schäftigte sich als Erster wissen-schaftlich intensiv mit der Un -terscheidung zwischen einer

Dienstleistung und dem Leistenoder Erweisen eines Diensts.

Problem des Dienst -begriffs

Marx bezeichnete eine Dienstleistung in ei-nem Fall als Ware, als ein Produkt, das Mehr-werte schafft und damit handelbar ist: „Fürden Produzenten dieser Dienste sind dieseDienstleistungen Waren. Sie haben einen be-stimmten Gebrauchswert und einen be-stimmten Tauschwert“, so Marx. Im anderenFall klassifizierte er jemanden, der einem an-deren einen Dienst erweist, als einen Bedien-

steten. Hier stellt die Leistung eines Dienstskeine Ware und kein Produkt dar, obwohles durchaus einen Mehrwert für den Leis-tungsempfänger schaffen kann, wenn einDienst geleistet wird. Diese Unterscheidunggilt in unserem Wirtschaftssystem bis heuteund ist ein Hauptgrund für enttäuschte Er-wartungen bei Auftraggebern und Unver-ständnis bei Auftragnehmern – eben auchvon Call Center-Dienstleistungen. Wer alsoeine Dienstleistung einkauft, darf nicht er-warten, dass ihm auch ein Dienst erwiesenwird. Wenn dies trotzdem geschieht, stelltes einen zusätzlichen Bonus dar.

Folgt man der etymologischen Spur desDienstbegriffs, so werden als Dienste his-torisch einerseits niedere Tätigkeiten be-zeichnet, wie etwa die von Dienstboten inLeibeigenschaft, andererseits aber auch be-sonders hochgeschätzte Tätigkeiten, wie et-wa der Dienst am Volk oder der Gottes-dienst. Diese Spreizung in der Wertschät-zung schwingt bis heute in unseren Köpfenmit. Ist es also das Gefühl der Leibeigen-schaft über einen Dienstleister, das manchenAuftraggeber zu überzogenen Forderungenverleitet und ihn selbst verspätet zum Ter-min erscheinen lässt, während der Auftrag-nehmer überpünktlich vor Ort zu sein hat?Oder handelt es sich umgekehrt um dienicht hoch genug zu wertende Tätigkeit ei-nes Spezialisten, der seine Kunden trotz Zu-sage seinerseits schon einmal einen Monatlang auf Ergebnisse warten lassen darf? DieSpanne vom Dienstboten in Leibeigenschaft

Wieviel Dienst leistet eigentlich ein Dienstleister?

Und was sind die Ursachen für immer wieder enttäuschte

Erwartungshaltungen im Dienstleis-tungsbereich?

Von Dienern und Dienstleistern

12 TeleTalk 04/2011 www.teletalk.de

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bis hin zum gottgleichen Dienstleister lässtsich in allen Facetten ausmalen.

Wen wundert es da, dass bereits in dergriechischen Antike ähnliche Wortgebräuchevorkommen. Der Begriff Diakonéo bezeich-net das Dienen als sachlich und zeitlich ab-geschlossene Tätigkeit. Allerdings schwingtdarin auch die Bedeutung eines persönlicherwiesenen Dienstes mit – im Gegensatzetwa zu duleo, das die Unterworfenheit desDienenden, eines Knechts oder Sklaven, be-tont. In der griechischen Mythologie wirdHermes, der geflügelte Götterbote und gött-licher Diakon, in Situationen geschildert, indenen die Rollen des Dieners, des Dienst-leisters und des Diensterweisers vorkommen,wenngleich diese nicht immer strikt vonein-ander zu trennen sind. Er ist getreuer Voll-bringer der Befehle seines Vaters Zeus, wenner etwa den neugeborenen Dionysos zu denNymphen bringt oder die Herde des KönigsAgenors mit Zeus in Stiergestalt zur jungenEuropa treibt. Hermes ist der wahre Schutz-patron für Dienstleistungs-Unternehmen.

Typische Zielkonflikte und Lösungen

Doch worin besteht der Marx’sche Dienst-leistungsbonus? Sicherlich nicht im Min-destmaß an professioneller Höflichkeit, dasim Gegensatz zur Dienst-nach-Vor schrift-Mentalität eine Grundvoraussetzung für ge-glückte Kommunikation ist, und kein Mehr-wert der immateriellen Ware Dienstleistungim Marx’schen Sinne. Die gängigen Kli-schees vom überaus zuvorkommenden Gent-leman und dem typisch grantigen WienerKellner sind dabei nur zwei Seiten einer Me-daille. Dahinter steht ein kulturelles Bedürf-nis nach Interaktionsregeln. Diese geltenauch im Geschäftsleben auf Ebene der Be-ziehung Auftraggeber und Auftragnehmereiner Call Center-Dienstleistung. Höflichkeitist das klassische Beispiel einer Interaktions-regel. Doch der Dienstleistungsbonus mussanders definiert werden, denn dabei geht esnicht um ökonomisches Kalkül. Es gehtnicht um den heute populären vulgär-öko-nomistischen Verdacht, jedem erwiesenenDienst ein rein ökonomisches Motiv zuunterstellen, um damit gegebenenfalls einFolgeprojekt zu gewinnen. In diesem Fallewäre der Dienstleistungsbonus eine Dienst-leistung und damit Ware an sich – gemäßder Defintion nach Marx.

Enttäuschte Erwartungen beruhen ne -ben dem Missverständnis darüber, was eineDienstleistung eigentlich ausmacht, auchauf einem Rollenkonflikt zwischen dem Auf-traggeber einer Call Center-Dienstleistungund dem Dienstleister. Viele Anlässe für Dis-kussionen und Disharmonien sind bereitsprogrammiert: Will einerseits der Auftrag-geber den Fokus auf die Qualität legen, somuss es umgekehrt im Sinn des Auftrag-nehmers sein, produktionsoptimiert zu ar-beiten. Dabei kann es sich beispielsweise umindividuelle Kundenschreiben als Antwortenauf Anfragen handeln, die der Dienstleistergerne durch vorgefertigte Textbausteine ab-gearbeitet wissen möchte. Das schließt Qua-lität nicht per se aus, erfordert aber einenKonsens darüber, wie ein gemeinsames Qua-litäts-Ziel – hier Individualität und Korrekt-heit – mit einem gleichen Verständnis davonerreicht werden kann. Denn strebt der Auf-traggeber nach Individualität, möchte derDienstleister möglichst standardisiert arbei-ten. Das ermöglicht ihm die größte Effizienzund lässt ihn sein Ziel – positive Gelderträge– viel leichter erreichen.

Liegt es naturgemäß im Interesse desje-nigen, der eine Leistung fremdvergibt, Kon-trolle und Transparenz zu behalten, somöchte der Auftragnehmer seine Betriebs-geheimnisse bestmöglich bewahren. Konkretmöchte jeder Dienstleister wahrscheinlichnur höchst ungern seinem Auftraggeber dieeigenen Schulungs- und Personalauswahl-prozesse sowie Entlohnungssysteme im De-tail darlegen, damit dieser die Stundensätzeberechnen kann. Der größte Konflikt be-steht aber freilich darin, dass ein Grund fürdas Outsourcing häufig in einer erwartetenKostenreduktion besteht. Dem steht dasnatürliche Ziel des Auftragnehmers gegen-über, seinen Gewinn zu optimieren.

Es gibt drei Arten von Zielkonflikten: sys-tembedingte, hausgemachte und solche, dieauf unrealistischen Erwartungen beruhen.Systembedingte Zielkonflikte können nichtgelöst werden, ohne dass eine Änderung desganzen Systems notwendig ist. Vereinbarenbeide Seitenetwa ein pau-schales Ver-gütungsmo-dell, werdenin neun vonzehn Fällendie Auftrag-

Dr. Peter Kaiser ist Lehrbeauftragter am Institut für Philosophie der Universität Wien, Bernhard Gandolf ist Certified ManagementConsultant/ BDU und Inhaber von EisqEuropean Institute for Service Quality. [email protected]@eisq.eu

geber unzufrieden mit der Leistungserbrin-gung sein. Die Ausnahme wäre: Sie bezahlenüberhöhte Marktpreise – ansonsten hat derAuftragnehmer keinen Anreiz, die Ziele desAuftraggebers zu erreichen. Die Lösung lau-tet: Veränderung des Vergütungsmodells.

Ein typisches Beispiel eines hausgemach-ten Zielkonflikts ist, wenn die Qualität be-mängelt wird – diese aber vorab nicht defi-niert wurde. Solche Zielkonflikte könnenmindestens gemildert, aber auch abgestelltwerden. Das setzt voraus, dass beide sichder Ziele und Ansprüche des jeweils anderenbewusst sind und möglichst von Anfang anmit hoher Transparenz genaue Definitionenkommunizieren. Hier kann etwa ein Nor-mierungshandbuch helfen: Alle relevantenKriterien, die die Qualität eines Vorgangsdefinieren, werden in der jeweiligen Aus-prägung genau festgelegt, und zwar so exaktwie nötig, so offen wie möglich, um der In-dividualität der Kommunikation Rechnungzu tragen. Die Kriterien erfahren unterein-ander eine Gewichtung und beide Seitenbekräftigen durch eine Unterschrift derenGültigkeit.

Bei unrealistische Erwartungen schafft einKommunikationspaket Abhilfe. Der häufig-ste Grund für Konflikte, die auf unrealisti-schen Zielen oder auch nicht geklärten Kom-petenzen oder ähnlichem beruhen, bestehtin der mangelnden Kommunikation. Be-sonders immanent wird das Problem, wennein Ansprechpartner wechselt. Ein Kommu-nikationspaket sollte daher stets so aufgebautwerden, dass es die Projekt-Ziele, die -Or-ganisation und -Historie widerspiegelt. DasKommunikationspaket sollte für unterschied-liche Rezipienten wie Management, Projekt-leitung und Agents aufbereitet sein, damitschnell und verlässlich ein Bild kommuniziertwerden kann. Hinzu kommt, dass sich Vor-gänge und Tatsachen im Laufe der Zeit ver-ändern und sich verselbstständigen. Ein ein-facher, kleiner Ordner kann da in einer Kri-sensituation Wunder wirken.

Peter Kaiser, Bernhard Gandolf