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Maria Majce-Egger (Hg.) Gruppentherapie und Gruppendynamik – Dynamische Gruppenpsychotherapie

Maria Majce-Egger (Hg.) Gruppentherapie und Gruppendynamik

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Page 1: Maria Majce-Egger (Hg.) Gruppentherapie und Gruppendynamik

Maria Majce-Egger (Hg.)Gruppentherapie und Gruppendynamik – Dynamische Gruppen psychotherapie

Page 2: Maria Majce-Egger (Hg.) Gruppentherapie und Gruppendynamik

BIBLIOTHEK PSYCHOTHERAPIEherausgegeben von Gernot Sonneck

Band 9

Page 3: Maria Majce-Egger (Hg.) Gruppentherapie und Gruppendynamik

Maria Majce-Egger (Hg.)

Gruppentherapie und Gruppen dynamik –

Dynamische Gruppenpsychotherapie

Theoretische Grundlagen, Entwicklungen und Methoden

Facultas Universitätsverlag

Page 4: Maria Majce-Egger (Hg.) Gruppentherapie und Gruppendynamik

Inhalt:Die Beiträge vermitteln Modelle, Theorien, Methodik und Interventionstechniken für die psychotherapeutische und beratende Arbeit mit Gruppen und geben einen Überblick über die Entwicklung sozial- und tiefenpsychologischer Konzepte der

Dynamischen Gruppenpsychotherapie (DG). Raoul Schindlers Modell der Sozialdynamischen Rangstruktur wird erstmals in seinen vielfältigen

Anwendungsmöglichkeiten praxisbezogen dargestellt. Der Beitrag der DG zum ganzheitlichen Verständnis sozio-psycho-somatischer Denkweise wird beschrieben.

Herausgeberin: Maria Majce-Egger ist Psychotherapeutin (DG, KP) und Klinische Psychologin

und Gesundheitspsychologin, Gruppendynamik-Trainerin (ÖAGG), Lehr- therapeutin für Dynamische Gruppenpsychotherapie (ÖAGG), Lehrsupervisorin und Coach (ÖAGG, ÖGWG, ÖBVP) und Lehrtherapeutin für Bioenergetische

Analyse (DÖK/ÖK). Sie lebt und arbeitet in Wien.

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Unverändertes pdf der 1. Auflage 1999© 1999, 2013 facultas.wuv, Facultas Verlags- und Buchhandels AG,

Stolberggasse 26, 1050 Wien, ÖsterreichUmschlaggestaltung: A+H Haller

Print: ISBN 978-385076-482-7 (vergriffen)pdf: ISBN 978-3-99030-025-1

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

Page 5: Maria Majce-Egger (Hg.) Gruppentherapie und Gruppendynamik

Vorwort

Gruppentherapie und Gruppendynamik sind eng mit der Gründung desÖsterreichischen Arbeitskreises für Gruppentherapie und Gruppendyna-mik (1959) verbunden. Historisch betrachtet wurden sozial- und tiefen-psychologische Sichtweisen in gruppenpsychotherapeutischen Konzeptenverbunden, wie die Modelle der Bifokalen Gruppentherapie und derRangdynamik von Raoul Schindler, die die Grundprinzipien der Psycho-dynamik der Gruppe beschreiben und eine Brücke zur Feldtheorie KurtLewins, zur Tiefenpsychologie der Gruppe und zur Systemtheorie darstel-len. Die Basiskompetenz für die Arbeit mit Gruppen liefert die MethodeGruppendynamik.

Die theoretische Einheit von Gruppentherapie, Gruppendynamik undOrganisationsentwicklung konstituiert sich in ihrer Zusammengehörig-keit und ihrem Zusammenhang, sie differenzieren sich nach Ziel, Systemund Umfeld, in dem sie stattfinden. Integratives, ganzheitliches, psycho-therapeutisches Vorgehen auf der Basis des von Raoul Schindler initiiertenProjekts der umfassenden Organisation aller mit dem Phänomen Gruppearbeitenden Methoden ist ein wesentlicher Aspekt der DynamischenGruppenpsychotherapie.

Die Weiterentwicklung der Psychotherapie und vor allem das in Öster-reich seit 1991 gültige Psychotherapiegesetz haben die Abgrenzung derMethoden voneinander gefördert und Gruppentherapien differenziert.

Das gruppentherapeutische Theoriegebäude wurde von unterschiedlichorientierten Personen errichtet, und diese Tradition der Vielfalt wollen wirin diesem Band aufrecht erhalten. Die AutorInnen sind in psychosozialenFeldern, in Institutionen, Organisationen und Privatpraxen psychothera-peutisch, beratend, forschend und lehrend tätig, die meisten in der Aus-und Weiterbildung von PsychotherapeutInnen.

Die Beiträge stellen die Entwicklung sozial- und tiefenpsychologischerKonzepte der Dynamischen Gruppenpsychotherapie dar und geben einenÜberblick über aktuelle Theorien, Modelle, Methoden, Techniken undAnwendungen.

Es werden die Parallelen der Entwicklung der Gruppendynamik zurDynamischen Gruppenpsychotherapie und zur Entwicklung der system-theoretischen Denkweise zur Diskussion gestellt und der Beitrag derDynamischen Gruppenpsychotherapie zum ganzheitlichen Verständnissozio-psycho-somatischer Gesundheit beschrieben. Erstmals wird dabeidas Modell der Soziodynamischen Rangstruktur von Raoul Schindler inseinen komplexen Anwendungsmöglichkeiten praxisbezogen dargestellt.

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Modelle der Anwendung im psychotherapeutischen und psychosozialenBereich ergänzen den Band.

Das Buch wurde nicht als Lehrbuch im üblichen Sinne konzipiert, son-dern stellt die Grundlagen der Methode aus verschiedenen Perspektivenzu Theorie und Praxis dar. Psychotherapie kann nichts Fertiges sein, nutztModelle, Konstrukte, Wissen und Nichtwissen und bleibt in Bewegung, inDiskussion und Erforschung. Eine Lehre der Psychotherapie würde unse-rem Selbstverständnis der „ständig zu entwickelnden Kunst der Begeg-nung“ in wechselnden sozialen Umfeldern widersprechen.

Psychotherapie ist Wissenschaft und Kunst.

Maria Majce-Egger

6 Vorwort

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Inhaltsverzeichnis

I. Entwicklung und Geschichte

Sozialpsychologische Wurzeln und Aspekte der Methode – Die Entwicklung der Gruppendynamik und deren Auswirkungen auf die Dynamische Gruppenpsychotherapie ..................................... 17Hans-Rainer Teutsch, Gertraud Pölzl1. Einleitung: Die präkonzeptionelle Phase .................................... 172. Kurt Lewin und die Feldtheorie ................................................. 203. Gruppendynamik und Gruppenpsychotherapie ......................... 26

Tiefenpsychologische Wurzeln und Aspekte der Methode – Psychoanalytische Tradition ............................................................ 35Rainer Fliedl, Ingrid Krafft-Ebing1. Freud: Die Kultur und ihre „neurotische“ Organisation ............ 352. Burrow: Der Patient ist krank, weil er eine andere Neurose hat,

als die Neurose, die die Gesellschaft hat .................................... 373. Slavson: Die Implikationen einer therapeutisch

wirksamen Gruppe .................................................................... 394. Bion: Der Mensch als „vergrupptes“ Wesen .............................. 405. Ezriel: Die Spannung der Objektbeziehungen in der Gruppe ..... 436. Stock-Whitaker und Lieberman: Gruppenfokalkonflikt ............ 457. Yalom: Die parataktische Verzerrung – Jeder Neurose liegt eine

Beziehungsstörung zugrunde ..................................................... 468. Schindler: Rangdynamik und Bifokale Familientherapie ........... 479. Heigl-Evers: Das Göttinger-Modell der Gruppenebenen ............ 49

10. Dynamische Gruppenpsychotherapie ........................................ 52

Die Entwicklung der Persönlichkeit aus der Sicht der Feldtheorie ...... 58Hans-Rainer Teutsch1. Einleitung .................................................................................. 582. Die Feldtheorie Kurt Lewins ..................................................... 603. Das Personmodell der Feldtheorie ............................................. 654. Konstrukte der Feldtheorie ........................................................ 675. Anwendung der Feldtheorie auf verschiedene psychologische

Problembereiche: Psychologie der Entwicklung ......................... 696. Lewins Begriff der Entwicklung ................................................ 70

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Sozialpsychologische Theorien und ihre Bezüge zur Feldtheorie ....... 77Ursula Margreiter1. Kommunikationsmodelle ............................................................ 782. Attributionstheorie ...................................................................... 813. Balancetheorie ............................................................................. 824. Dissonanztheorie ......................................................................... 855. Reaktanztheorie und gelernte Hilflosigkeit .................................. 86

II. Theorien und Modelle

Persönlichkeit, Gruppe, Organisation ................................................ 89Waldefried Pechtl1. Persönlichkeit .............................................................................. 892. Gruppe ........................................................................................ 913. Organisation ............................................................................... 934. Gesellschaft ................................................................................. 94

Gruppenmodelle ................................................................................ 95Rainer Fliedl, Maria Majce-Egger1. Einleitung .................................................................................... 95

1.1 Lewin: Balance-Modell ....................................................... 962. Modelle sozialen Lernens ............................................................ 98

2.1 Luft: Das Johari-Fenster ...................................................... 982.2 Miles: Individuelles und gruppales Lernmodell ................ 1002.3 Milowiz und Käfer: Mikadomodell ................................... 103

3. Gruppenentwicklungs-Modelle ................................................. 1043.1 Bennis und Shepard: Interaktionelles Phasenmodell .......... 1043.2 Tuckman: Phasenmodell ................................................... 1063.3 Rechtien: Soziologisch orientiertes Modell ........................ 106

4. Gruppenstruktur-Modelle ......................................................... 1074.1 Schindler: Personalisationsphasen ..................................... 1074.2 Schindler: Dynamische Rangstruktur ................................ 108

5. Tiefenpsychologische Modelle ................................................... 1095.1 Bion: Gruppenprozeß als Abwehrprozeß .......................... 1095.2 Andere tiefenpsychologische Modelle ............................... 111

6. Zusammenfassung .................................................................... 111

8 Inhaltsverzeichnis

Page 9: Maria Majce-Egger (Hg.) Gruppentherapie und Gruppendynamik

Systemische Denkweise und Dynamische Gruppenpsychotherapie .. 113Bernhard Dolleschka1. Einleitung .................................................................................. 1132. Systemtheorie und Gruppendynamik ........................................ 1143. Entwicklungen der Systemtheorie .............................................. 1194. Praxis – Anwendung ................................................................. 1225. Ausblick .................................................................................... 126

Konfliktmodelle und Entscheidungsprozesse in Gruppen ................ 127Susanna Schenk1. Definition und Prozeßverläufe ................................................... 1272. Hypothesen für die Arbeit mit und in Gruppen ......................... 1293. Anwendungsmodelle ................................................................. 132

Autonomie-Entwicklung in Gruppen ............................................... 135Maria Majce-Egger1. Einleitung .................................................................................. 1352. Bedingungen für Handlungsfreiheit und Bindung ...................... 136

2.1 Strukturelle soziale Bedingungen ....................................... 1362.2 Gruppale Bedingungen ...................................................... 1392.3 Persönliche Bedingungen ................................................... 140

3. Handlungsfreiheit und Gruppenbewußtheit .............................. 1424. Austausch zwischen Gruppen .................................................... 1445. Gruppeneinfluß, Gegeneinfluß und Bezogenheit von Gruppen .. 1466. Anwendung ............................................................................... 147

III. Diagnostik

Krankheitsrolle ................................................................................ 153Bernhard Dolleschka1. Einleitung .................................................................................. 1532. Begriffsklärung .......................................................................... 1543. Erstgespräch, Anamnese, Diagnose bzw. Diagnostik ................. 1584. Rollenverhalten ......................................................................... 1605. Konsequenzen für die therapeutische Einzel- und

Gruppen-Arbeit ......................................................................... 1626. Ausblick .................................................................................... 165

Inhaltsverzeichnis 9

Page 10: Maria Majce-Egger (Hg.) Gruppentherapie und Gruppendynamik

Erstgespräch, Anamnese, Diagnose ................................................. 166Rainer Fliedl1. Einleitung .................................................................................. 1662. Ziele des Erstgesprächs ............................................................. 1663. Historischer Abriß .................................................................... 1674. Das psychiatrisch diagnostische Interview ................................. 1685. Das Erstgespräch als „Dynamische Situation“ .......................... 1716. Das strukturelle Interview nach Kernberg ................................. 1747. Der Patient, das Symptom und die Umwelt ............................... 1778. Allgemeines zum Erstgespräch .................................................. 181

Psychosomatik ................................................................................ 184Bernhard Dolleschka, Hans-Rainer Teutsch1. Theoretische Grundlagen und Entwicklung der Psychosomatik 184

1.1 Entwicklung der Psychosomatik ....................................... 1861.2 Charakterologisches Modell ............................................. 1861.3 Konversionsmodell S. Freuds ............................................ 1871.4 Modell der krankheitsspezifischen psychodynamischen

Konflikte nach F. Alexander .............................................. 1881.5 Modell der zweiphasigen Verdrängung nach

A. Mitscherlich ................................................................. 1911.6 Modell der Alexithymie – Operatives Denken ................... 1911.7 Integratives Modell ........................................................... 1931.8 Sozio-psycho-somatische Sichtweise .................................. 194

2. Von der Anamnese zur Diagnose ............................................... 1953. Spezielle Psychosomatik ............................................................ 197

3.1 Konversionsneurosen ........................................................ 1983.2 Funktionelle Syndrome ..................................................... 1993.3 Psychosomatosen .............................................................. 2013.4 Somatopsychische Störungen oder sekundäre psycho-

somatische Krankheiten .................................................... 2023.5 Streß und Burnout ............................................................ 204

4. Behandlung: Dynamische Gruppenpsychotherapie und Psychosomatik .......................................................................... 206

Störungen des Person-Umwelt-Bezuges ........................................... 209Christine Andreas1. Krankheitsbegriff der Dynamischen Gruppenpsychotherapie .... 2092. Anwendbarkeit von Methoden der DG bei Persönlichkeitsent-

wicklungsstörungen wie sie nach psychoanalytischer Theorie definiert werden ........................................................................ 213

10 Inhaltsverzeichnis

Page 11: Maria Majce-Egger (Hg.) Gruppentherapie und Gruppendynamik

2.1 Symbiotische Phase ........................................................... 2132.2 Individuationsphase und ihre Subphasen .......................... 2152.3 Phallisch-narzißtische Phase .............................................. 2172.4 Ödipale Phase ................................................................... 2182.5 Latenzphase ...................................................................... 218

3. Aus dem Gruppenprozeß abgeleitete Diagnosemöglichkeiten für individuelle Störungen ............................................................... 220

4. Vorteile gruppendynamisch-gruppentherapeutischer Methodengegenüber psychoanalytischen Therapiemodellen ...................... 221

Psychotherapie und Psychopharmakotherapie – eine Zwangs-gemeinschaft? .................................................................................. 223Werner Schöny1. Einleitung .................................................................................. 2232. Kurze Geschichte der Psychopharmaka ..................................... 2233. Einteilung der Psychopharmaka ................................................ 225

3.1 Antidepressiva .................................................................. 2253.2 Antipsychotika .................................................................. 2283.3 Sedativa ............................................................................ 230

4. Nebenwirkungen von Psychopharmaka .................................... 2325. Zusammenfassung .................................................................... 233

IV. Methoden und Techniken

Methodik der Dynamischen Gruppenpsychotherapie ...................... 237Maria Majce-Egger1. Einleitung .................................................................................. 2372. Prinzipien der gruppendynamischen und gruppenthera-

peutischen Arbeit ...................................................................... 2412.1 Kriterien und Verhaltensänderung ..................................... 2422.2 Hier-und-Jetzt-Prinzip ....................................................... 2432.3 Relative Unstrukturiertheit ............................................... 244

3. Interventionsmethoden .............................................................. 2443.1 Systematisierung von Interventionen ................................. 2453.2 Kommunikationsebenen ................................................... 2473.3 Prozeßanalyse ................................................................... 249 3.4 Kräftesystem in der Gruppe .............................................. 2503.5 Dynamische Subsysteme im Gruppenprozeß ..................... 2513.6 Dynamische Rangstruktur ................................................ 2523.7 Zielorientiertes Vorgehen .................................................. 253

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Interventionstechniken .................................................................... 255Maria Majce-Egger1. Gruppale Intervention ............................................................... 255

1.1 Kritische Entwicklungen in Gruppen und präventive Interventionen ................................................................... 257

1.2 Strukturale Interventionen ................................................ 2581.3 Gruppenkonflikt und Kräftefeldanalyse ............................ 259

2. Interpersonale Intervention ....................................................... 2612.1 Psychosoziale Kompromißbildung .................................... 2622.2 Widerstandsarbeit – Realitätsprüfung im Hier-und-Jetzt ... 2622.3 Beziehungsanalyse ............................................................. 263

3. Personale Intervention ............................................................... 2643.1 Krankheitsrolle ................................................................. 2653.2 Kriterien für Symptombeobachtung .................................. 266

4. Interventionsplanung ................................................................ 2684.1 Situationsanalyse .............................................................. 2694.2 Entscheidung (Diagnose) ................................................... 2694.3 Zielfestlegung ................................................................... 2704.4 Durchführung, Überprüfung ............................................. 270

Rangdynamik in Anwendung .......................................................... 271Raoul Schindler1. Vorgeschichte ............................................................................ 2712. Allgemeine Rangdynamik ......................................................... 2723. Rangdynamische Diagnostik ..................................................... 2774. Rangdynamische Interventionen ............................................... 279

4.1 Schutzstellungen ............................................................... 2825. Institutionalisierung .................................................................. 286

Kreative Techniken in der Dynamischen Gruppenpsychotherapie ... 287Gertraud Pölzl1. Spiegeltechnik ........................................................................... 2882. Rollenspiel ................................................................................ 2883. Rollentausch ............................................................................. 2904. Sculpting ................................................................................... 2915. Stegreifspiele ............................................................................. 2916. Soziometrie ............................................................................... 292

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Page 13: Maria Majce-Egger (Hg.) Gruppentherapie und Gruppendynamik

Rahmenbedingungen und Konzeptdarstellung in der DynamischenGruppen psychotherapie .................................................................. 293Susanna Schenk1. Definition von Arbeitsplanung, Konzept und Design ................ 293 2. Einfluß des Rahmens auf die psychotherapeutische

Gruppenarbeit ........................................................................... 2933. Wirkung von Menschenbildern und Funktionsverständnis ........ 2944. Inhaltliche Vorüberlegungen bezogen auf die KlientInnen-

Arbeit ........................................................................................ 2955. Inhaltliche Vorüberlegungen bezogen auf die Institution/

Organisation ............................................................................. 2976. Designentwicklung .................................................................... 298

Funktion und Rolle der PsychotherapeutInnen in der DynamischenGruppen psychotherapie .................................................................. 300Susanna SchenkEinleitung ........................................................................................ 3001. Schaffen eines Rahmens für die Psychotherapie ......................... 3012. Verhütung von Schaden ............................................................ 3023. Leitung auf Reflexionsebene ..................................................... 3024. Vermittlung zwischen Innen- und Außenwelt der Gruppe ......... 3035. Begleitung des Prozesses der Einzelperson sowie des

Gruppenprozesses im Therapieverlauf ....................................... 303

Beobachtung und Beobachtungskriterien in der Dynamischen Gruppenpsychotherapie .................................................................. 306Konrad Wirnschimmel, Friederike Goldmann ................................. 3061. Theoretische Überlegungen ....................................................... 3062. Methoden und Verfahren .......................................................... 3083. Kriterien der Beobachtung von Gruppen ................................... 3154. Aufgaben und Ziele ................................................................... 320

V. Anwendungsbereiche

Prävention und Rehabilitation ......................................................... 327Hans-Rainer Teutsch1. Prävention ................................................................................. 3272. Formen der Prävention .............................................................. 3313. Rehabilitation ........................................................................... 334

Inhaltsverzeichnis 13

Page 14: Maria Majce-Egger (Hg.) Gruppentherapie und Gruppendynamik

Stationäre Gruppenpsychotherapie .................................................. 337Christine Andreas

Ambulante Gruppenpsychotherapie ................................................ 342Eva Adler, Friedrich Demel1. Konzept und Design .................................................................. 3422. Gruppenbildung und Gruppenentwicklung als therapeutischer

Prozeß ....................................................................................... 3452.1 Beginn ............................................................................... 3452.2 Beziehungsentwicklung ..................................................... 3502.3 Zunahme der Gruppenkohäsion ....................................... 3512.4 Vertiefung und Erprobung der Arbeitsfähigkeit ................. 352

3. Resümee .................................................................................... 354

Prozeßbeschreibung einer therapeutischen Einzelarbeit ................... 355Lilli Lehner1. Zu den Rahmenbedingungen .................................................... 3552. Erstkontakt ............................................................................... 3553. Geschichte ................................................................................. 3564. Das erste Jahr „Jetzt muß ich sterben“ ...................................... 3595. Das zweite Jahr „Die Krankheit sorgt für mich“ ....................... 3636. Zusammenfassung .................................................................... 3657. DG im Einzelsetting, einige methodische Überlegungen ............ 367

VI. Ausbildung in Dynamischer Gruppenpsychotherapie

Ausbildung und Curriculum ............................................................ 371Susanna Schenk1. Der ÖAGG und die Fachsektion GD+DG ............................... 3712. Besonderheiten der Ausbildung zu Dynamischen Gruppen-

psychotherapeutInnen ............................................................. 3723. Ausbildungsgang (Curriculum und Umsetzung) ...................... 3744. Kontaktadressen ..................................................................... 376

Literatur .......................................................................................... 377Abbildungsverzeichnis ..................................................................... 395Index ............................................................................................... 397AutorInnen ...................................................................................... 403

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I. Entwicklung und Geschichte

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Sozialpsychologische Wurzeln und Aspekte der Methode – Die Entwicklung der Gruppendynamik und deren Auswirkungen auf die Dynamische Gruppen -psycho therapie

Hans-Rainer Teutsch, Gertraud Pölzl

1. Einleitung: Die präkonzeptionelle Phase

Obwohl wir seit Menschengedenken in Gruppen leben und damit Grup-pendynamik als Kräftespiel in den Gruppen erleben, ist es erstaunlich,daß die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen Gruppe erstzu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgt.

Die von S. R. Slavson (1977, S. 14) genannten acht grundlegendenGruppen, denen wir im Verlauf unseres Lebens angehören – Familie, Kin-dergarten, Schule, Gruppen mit Angehörigen des gleichen und des ande-ren Geschlechts, Arbeits- und Freizeitgruppen, Familie –, steuern jeweilseinen spezifischen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung bei, führen zurAusformung des Ichs und zur Anpassung an die jeweiligen gesellschaftli-chen Verhältnisse.

Von entscheidender Bedeutung für die wissenschaftliche Beschäftigungmit gesellschaftlichen Verhältnissen und damit auch Gruppen ist die Kon-stituierung der Soziologie im 18. und 19. Jahrhundert als Wissenschaftvom menschlichen Zusammenleben, von den sozialen Beziehungen undden Formen, Institutionen und sonstigen Funktionszusammenhängen dermenschlichen Gesellschaft. Die von Georg Simmel 1917 formulierte Ein-sicht, daß „der Mensch in seinem ganzen Wesen und allen Äußerungendadurch bestimmt ist, daß er in Wechselwirkung mit anderen Menschenlebt“ (Simmel, 1970, S. 16), führt in der Folgezeit zur Erforschung politi-scher Institutionen, soziokultureller Denkschemata und den gesellschaftli-chen Erscheinungen in Form großer Menschengruppen, wobei es „umBeziehungen und Verhältnisse innerhalb der Gruppe und ihren Erzeugnis-sen geht“ (Vierkandt, 1923).

Die im 19. Jahrhundert als eigenständige Wissenschaft entstandenePsychologie und deren Beschäftigung mit der individuellen Persönlichkeitnähert sich thematisch in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts durch dieKleingruppenforschung der Soziologie an. Als Teildisziplin der empirisch-wissenschaftlichen Psychologie entsteht die Sozialpsychologie, die sich

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Page 18: Maria Majce-Egger (Hg.) Gruppentherapie und Gruppendynamik

insbesondere mit den sozialen Bedingungen und Konsequenzen desmenschlichen Verhaltens befaßt. Ideengeschichtliche Ursprünge oderhistorisch frühe Ansätze sozialpsychologischen Denkens finden sichbereits in den einflußreichen Arbeiten von A. Comte und E. Durkheimsowie in der Massenpsychologie von G. LeBon (1895). Zu Beginn des20. Jahrhunderts erscheinen die ersten Lehrbücher von W. McDougall(An introduction to social psychology, 1908) und E. A. Ross (Socialpsycho logy, 1908), entsteht die entwicklungstheoretisch orientierte ver-gleichende „Völkerpsychologie“ von W. Wundt (1900–1920) und befaßtsich S. Freud in mehreren Arbeiten mit dem Verhältnis des Individuumszur Kultur und Gesellschaft, insbesondere in „Massenpsychologie undIch-Analyse“ (1921).

In ihrer systematischen Form ist die Sozialpsychologie eine vergleichs-weise junge Disziplin und um 1930 vor allem mit der experimentellenErforschung von Gruppenleistung und Gruppenstrukturen in den USAentstanden. Dabei hat Kurt Lewin mit seinen Untersuchungen zur Feld ab -hängigkeit, d. h. dem sozialen und ökologischen Lebensraum des mensch -lichen Verhaltens, prägenden Einfluß.

Neben der Beschäftigung mit dem sozialen und sozialpsychologischenPhänomen „Gruppe“ ist die Entdeckung der „Gruppe als Therapeuti-kum“ für seelisch Leidende von großer Bedeutung und kann als Fort-schritt im klinischen Bereich angesehen werden. Zu den Pionieren in dersog. „präkonzeptionellen Phase der Gruppentherapie“ (Pritz, 1990) bisca. 1933 gehören u. a. J. H. Pratt, der schon 1905/1906 Gruppentherapiemit Tuberkulosekranken macht, T. L. Burrow, der in Anlehnung an diePsychoanalyse „Gruppenanalysen“ durchführt und S. R. Slavson, der1934 im angelsächsischen Bereich die Bezeichnung „group psychothera-py“ einführt.

In Wien wirken Alfred Adler, August Aichhorn, Siegfried Bernfeld mittherapeutischer und pädagogischer Gruppenarbeit sowie Jacob LeviMoreno, der einen eigenständigen Ansatz mit seinem Psycho- und Sozio -drama verfolgt und sozialpsychologische Forschung (Soziometrie) undklinische Praxis miteinander verbindet. Mit der Erkenntnis, daß die Sozio-logie über keine objektiven Untersuchungsmethoden verfügt, mit derenHilfe eine Analyse der Gruppe hätte vorgenommen werden können, ent-wickelt er die Methode der Soziometrie, eine Mikrosoziologie und dyna-mische Soziologie kleiner Gruppen, die auf der sorgfältigen Erforschungkonkreter Gruppen im Experiment und im wirklichen Leben gründet. Erverwendet 1932 erstmals die Bezeichnung „Gruppenpsychotherapie“;ihm wird auch die erstmalige Verwendung der Bezeichnung „Gruppendy-namik“ zugeschrieben. Der Terminus „action research“ und der sozial-

18 Hans-Rainer Teutsch, Gertraud Pölzl

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wissenschaftliche Ansatz, für den er steht, geht auch auf Moreno zurück;sein Aktionsforschungskonzept findet sich bereits 1937.

Jacob Levi Moreno wird am 18. 5. 1889 als Sohn eines reisenden jüdi-schen Kaufmannes und einer reichen Kornhändlerstochter als ältestes vonsechs Kindern in Budapest geboren. Nach Übersiedlung der Familiezunächst nach Wien und dann nach Sachsen kehrt der 13jährige alleinnach Wien zurück, arbeitet als Hauslehrer, besucht das Gymnasium undstudiert zunächst Philosophie. Nach dem Wechsel zur Medizin speziali-siert er sich auf Psychiatrie. Zusätzlich spielt er Theater; zuerst mit Kin-dern in den Wiener Parkanlagen und ab 1922 im Stegreiftheater, das fürdie spätere Entwicklung zum Psychodrama entscheidende Bedeutung hat.Vor seiner Emigration in die USA 1925 arbeitet er als medizinischerBetreuer in einem Flüchtlingslager und als Werksarzt in Vöslau. In denVereinigten Staaten führt er als Gefängnispsychiater psychotherapeutischeund mikrosoziologische Interventionen ein. Das Psychodrama als grup-penpsychotherapeutische Methode entsteht in den 30er Jahren. Ein Psy-chodramatheater und eine psychodramatisch orientierte Klinik in Beacon(1935) sowie das New Yorker Psychodramainstitut (1942) werden vonMoreno gegründet. Moreno stirbt am 14. 4. 1974 in Beacon.

Für S. H. Foulkes, der durch L. Pirandellos Stück „Sechs Personensuchen einen Autor“ (1921) dazu angeregt wird, über die Bedeutung derGruppe im Erleben des einzelnen nachzudenken, liegt die Beschäftigungmit Gruppen sozusagen in der Luft (Foulkes, 1965). Foulkes, der bereits1919 Bekanntschaft mit Freuds Gedanken gemacht hat und seitdem festentschlossen ist, sein „Leben der Psychoanalyse zu widmen“ (Foulkes1965, dt. Ausgabe, S. 113), hat die konsequente Anwendung der Psycho-analyse auf eine Mehr-Personen-Situation gedanklich als einer der erstengefördert und betrieben. Er nennt sein Verfahren „group-analytic psycho-therapy“.

„Einer der tragenden Gedanken der Gruppentherapie in ihren Anfän-gen war, daß die sich versammelnden Gruppenmitglieder für den Augen-blick ihres Zusammenseins in actu die Gesamtheit der sozialen Beziehun-gen und Bezüge ihres Lebens darstellen und vergegenwärtigen“ (Schulte-Herbrüggen, 1979, S. 735).

Die weitere Entwicklung der Gruppentherapie steht in engem Zusam-menhang mit der von der Psychoanalyse beeinflußten gruppenpsychothe-rapeutischen Behandlung sogenannter „Kriegsneurotiker“ in England undAmerika während des 2. Weltkrieges (Bion, Foulkes etc.).

Die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit der Kleingrup-pe als Gegenstandsbereich und Medium von Gruppentherapie wird in den40er Jahren durch die aus der Lewinschen Feldtheorie hervorgegangene

Sozialpsychologische Wurzeln und Aspekte der Methode 19

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Gruppendynamik entscheidend angeregt, bzw. kommt es zu einer wech-selseitigen Anregung der in der Gruppendynamik engagierten Sozialpsy-chologen und der an der Anwendung von Gruppen in der klinischenArbeit interessierten Psychoanalytiker, Psychiater und klinischen Psycho-logen in den Vereinigten Staaten. Dieser interdisziplinäre Austausch hatweitreichende Folgen für die Gesamtentwicklung der Gruppenpsychothe-rapie einerseits und der Gruppendynamik andererseits.

2. Kurt Lewin und die Feldtheorie

Kurt Lewin kann, obwohl er keine Schule oder Therapierichtung gegrün-det hat, zu den einflußreichsten Psychologen des 20. Jahrhunderts gezähltwerden. Seine Leistungen liegen in den unterschiedlichsten Bereichen:neben wissenschaftstheoretischen Arbeiten, entwicklungs- und erziehungs-psychologischen sowie feldtheoretischen Untersuchungen (z. B. Auswir-kung verschiedener Führungsstile auf das Gruppenverhalten) ist er Mitbe-gründer der experimentellen Sozialpsychologie (Gruppendynamik, Akti-onsforschung) und gab wichtige Impulse zur ökologischen Psychologie.

Kurt Tsadek Lewin wird am 9. 9. 1890 in Mogilno in der damaligenpreußischen Provinz Posen (heute Polen) geboren. Er wird jüdisch erzo-gen, besucht die Religionsschule und lernt somit neben Latein und Grie-chisch auch Hebräisch; zusätzlich Französisch, aber kein Englisch, was erspäter bedauert. Zuhause wird Deutsch gesprochen. 1905 übersiedelt dieFamilie nach Berlin, und Lewin besucht das Kaiserin-Augusta-Gymnasi-um bis zum Abitur 1908. Sein Studium beginnt er in Freiburg mit Medi-zin, übersiedelt dann nach München und studiert ab 1910 in Berlin,zuerst noch Medizin, um sich dann ganz der Philosophie, Wissenschafts-lehre und Psychologie zuzuwenden, hört bei Ernst Cassirer und wirdbereits als Student Mitglied der Gesellschaft für experimentelle Psycholo-gie. Er promoviert 1914 mündlich bei Carl Stumpf, dem damaligenDirektor des Berliner Psychologischen Institutes, und meldet sich alsKriegsfreiwilliger wie seine Brüder. In diese Kriegszeit fallen seine Disser-tation (1916) und seine erste Veröffentlichung „Kriegslandschaft“ (1917).Schon hier vertritt er die These, wonach das Verhalten des Menschen inkeinem Fall unmittelbar von den Eigenschaften des „objektiven“, physi-kalisch-geographischen Umfeldes gesteuert wird, sondern ausschließlichvon denjenigen des erlebnismäßig strukturierten Raumes oder deranschaulichen Umwelt, von Lewin später als Lebensraum bezeichnet. Mitjeder Änderung der Bedürfnisse oder Willenshaltung geht eine spezifischeÄnderung der anschaulichen Umwelt, also des Lebensraumes einher.

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Lewin wird im August 1918 verwundet, sein Bruder Fritz stirbt zur glei-chen Zeit.

Lewin wird Mitglied einer Studentengruppe, der auch der Marxist KarlKorsch, dessen Frau und Lewins erste Frau Dr. phil. Maria Landsbergangehören, die sich sozialreformerischen Aufgaben verschreibt undAbendkurse für Erwachsene aus der Arbeiterklasse organisiert. Auf Anre-gung von Karl Korsch schreibt er 1920 über „Die Sozialisierung des Tay-lor-Systems“.

Wissenschaftstheoretisch ist er durch Ernst Cassirer (1875–1945), derder Marburger Schule des Neukantianismus zuzuordnen ist und einesystematische Einheit der Wissenschaften vertritt, geprägt und beschäftigtsich mit willenspsychologischen Fragestellungen. Trotz des preußischenAntisemitismus – eine beamtete Professur ist für Juden kaum erreichbar –wendet er sich einer akademischen Laufbahn zu und habilitiert sich 1920mit der 1922 unter dem Titel „Der Begriff der Genese in Physik, Biologieund Entwicklungsgeschichte“ (KLW 2, S. 47-318) erscheinenden Arbeit.Er gehört damit als Lehrender und Mitarbeiter dem berühmten BerlinerPsychologischen Institut für experimentelle Psychologie an und ist Kollegeder Begründer der Berliner Schule der Gestaltpsychologie Max Werthei-mer (1880–1943), Wolfgang Köhler (1887–1967) und Kurt Koffka(1887–1941). Seine Stellung zur Gestaltpsychologie beschreibt er so: „Eswar mein Glück, daß in Berlin Max Wertheimer mein Lehrer und fürmehr als zehn Jahre Wolfgang Köhler mein Kollege war. Ich brauche nichtzu betonen, wieviel ich diesen hervorragenden Personen verdanke. Diefundamentalen Ideen der Gestalttheorie sind die Grundlage aller unsererUntersuchungen des Willens, der Affekte und der Persönlichkeit. In denwenigen Artikeln, in denen die Probleme der allgemeinen Gestalttheorienicht ausdrücklich erörtert werden, ist das nur deswegen so, weil sie dieselbstverständliche Grundlage des experimentellen Handelns gewordensind“ (Lewin, 1935a, S. 240).

Zwischen 1926 und 1933 führt er in intensiver Zusammenarbeit mitseinen Studentinnen und Studenten – u. a. Tamara Dembo (1902–1993),Anitra Karsten (1902–1988), Bluma Zeigarnik (1900–1988), Maria Ovsi-ankina und Richard Meili (1900–1991) – jene experimentellen Untersu-chungen und theoretischen Arbeiten zur Willens-, Handlungs- und Affekt-psychologie durch, die später zur Feldtheorie führen. In Fortsetzung derTradition seines Lehrers Carl Stumpf lehrt er gleichviel Psychologie undPhilosophie, nimmt an Tagungen teil, dreht Filme zur Veranschaulichungund Unterstützung seiner theoretischen Auffassungen, lernt über seinenFreund Alexander Luria den russischen Regisseur Sergej Eisenstein ken-

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nen und wird international so bekannt, daß er 1932 eine sechsmonatigeGastprofessur an der Stanford University erhält.

Die Umweltkräfte im Lebensraum Kurt Lewins zu Anfang der 30erJahre sind bemerkenswert: neben der Arbeit interessiert er sich für Litera-tur, Theater und Segelsport, läßt sich ein Haus bauen und im Bauhausstilvon Marcel Breuer radikal modern einrichten. Aus erster Ehe hat er zweiKinder (Miriam und Daniel) und heiratet in zweiter Ehe die Kindergärtne-rin Gertrude Weiss.

Die politische Situation in Deutschland und der Rassismus zwingenLewin 1933 zur Emigration in die USA, wo er zuerst an der Cornell Uni-versity in New York und von 1935 bis 1944 an der Child Welfare Rese-arch Station der Iowa State University als Kinderpsychologe arbeitet.Während Lewin sich in der Berliner Zeit vorwiegend mit der Psychologiedes Individuums in dessen sozialer Umgebung auseinandersetzt, erfolgtnach seiner Emigration die Ausformulierung seiner Feldtheorie und Topo-logie, der Übergang zur Beschäftigung mit entwicklungs- und erziehungs-psychologischen Fragen, den neuartigen Untersuchungen, die die experi-mentelle Sozialpsychologie begründen und die theoretische sowie prakti-sche Auseinandersetzung mit Gruppen.

„Die Gruppe, der man angehört, als Boden, auf dem man steht, unddie Selbstverständlichkeit und Sicherheit dieser Zugehörigkeit als unent-behrliche Grundlage aller Sicherheit und des bescheidensten konkretenHandelns“ ist bezeichnenderweise nach seiner Emigration das erste sozial-psychologische Thema Lewins, das er in englischer Sprache behandelt. Ab1933/34 trifft sich die sogenannte Topology group regelmäßig jährlichmehrere Tage um Weihnachten (übrigens bis 1964, also lange nachLewins Tod 1947). Diese Gruppe trägt zur Verbreitung LewinschenGedankenguts in den USA wesentlich bei und ist ein lockerer Zusammen-schluß von Lewin-Schülern aus der Berliner Zeit (Tamara Dembo, DonaldW. MacKinnon, Jerome D. Franck) sowie Kollegen wie Fritz Heider undKurt Koffka und anderen bedeutenden Persönlichkeiten wie Edward C.Tolman, William Stern, Donald K. Adams, Erik H. Erikson, MargaretMead, Ruth Benedict und Gordon Allport. Neben Themen der topologi-schen Psychologie werden psychoanalytische, anthropologische und psy-chiatrische Fragen in offener Form behandelt. Die von Lewin mitbegrün-dete Psychological Society for the Study of Social Issues mit ihrem Journalof Social Issues führt ebenfalls zur Verbreitung feldtheoretischen Denkensin verschiedenen Praxisbereichen.

Gemäß seinem politischen Interesse betreibt Lewin die Gründung einespsychologischen Instituts an der Hebräischen Universität in Jerusalem,arbeitet mit jüdischen Organisationen, Behörden, Ministerien und Indu-

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strieunternehmen im Sinne der angewandten Gruppendynamik zusam-men. 1937 und 1938 erhält er eine Gastprofessur an der Harvard Univer-sity und 1939 an der University of California in Berkeley. Im gleichenJahr beginnt Lewin die „Action Research“ mit Studien und Gutachten fürIndustriebetriebe und Behörden. Am 5. Jänner 1940 wird er eingebürgert.Ab 1943 versucht er ein relativ unabhängiges Institut für Sozialforschungzu gründen, zuerst an der University of California, dann am Massachu-setts Institute of Technology in Cambridge. 1944 entsteht als Ergebnisdieser Bemühungen das erste Forschungsinstitut für Gruppendynamik(Research Center for Group Dynamics) am Massachusetts Institute ofTechnology (MIT). Zusammen mit mehreren Schülern (Leon Festinger,Herbert F. Wright, Roger Baker und Ronald Lippitt) prägt Lewin neueEntwicklungen in der Psychologie, insbesondere der Sozialpsychologie. Inder sogenannten Aktions- oder Handlungsforschung werden soziale Inter-vention, Forschung und Training zusammen mit den Betroffenen integra-tiv erarbeitet. Die zufällige Entdeckung des Feedbacks und der Bedeutungder Thematisierung von Gruppenprozessen auf das weitere Geschehen inder Gruppe sowie die Möglichkeit der Selbsterfahrung in Gruppen führen1947 zur Gründung der National Training Laboratories in Bethel/Maine.

Lewin, der sich bis zur Erschöpfung in seinen Projekten verausgabt,stirbt unerwartet am 12. 2. 1947 in Newtonville bei Boston im Alter von56 Jahren an Herzversagen. Nach seinem Tod kommt es zur Übersiedlungdes Reserach Center for Group Dynamics an die University of Michiganin Ann Arbor als Abteilung des „Survey Research Center“. Edward Tol-man ehrt ihn anläßlich einer akademischen Trauerfeier im Todesjahr alsden Experimentator, der neben dem Kliniker Freud in der Geschichte derPsychologie vor allen stehen werde. Die Feldtheorie, die für die Gruppen-dynamik und die Dynamische Gruppenpsychotherapie gleichermaßeneine theoretische Basis abgibt, ist untrennbar mit Lewins Biographie ver-bunden, daher möchten wir an dieser Stelle einen Überblick über siegeben. Eine weitere Auseinandersetzung mit der Feldtheorie findet sich imArtikel Teutsch: Die Entwicklung der Persönlichkeit aus der Sicht derFeldtheorie, Kapitel I, S. 58 ff.

Die in der gestalttheoretischen Denktradition stehende Feldtheorie istkeine Theorie im üblichen Sinn, sondern eine „Methode der Analyse vonKausalbeziehungen und der Synthese wissenschaftlicher Konstrukte“(Lewin, 1963, S. 87). Die Gestalttheorie nimmt zu Beginn des 20. Jahr-hunderts die in der Physik des 19. Jahrhunderts entwickelte Feldtheorie(M. Faraday, J. C. Maxwell, A. Einstein), die sich mit dem Denken imVorstellungsraum von Energiefeldern auseinandersetzt, auf und versuchtWahrnehmungsreaktionen mit Hilfe von Feldprinzipien zu erklären.

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Lewin erweitert dieses Konzept, indem er jede Form von psychischerAktivität einbezieht, die eine Person innerhalb des Lebensraumes, alsodem Bereich, in dem sich individuelles Verhalten vollzieht, zeigt. Er bevor-zugt dabei die Methode der schrittweisen begrifflichen Präzisierung, dieHand in Hand mit experimentellen Arbeiten vorgenommen wird.

Die Feldtheorie beschäftigt sich mit dem Verhalten einer Person in sei-ner Gesamtheit: Erleben, Handeln, die Persönlichkeit und ihre Entwick-lung sowie zwischenmenschliche Prozesse werden als Folgen einer struk-turierten, dynamischen Gesamtheit von Bedingungen aufgefaßt. Mit ihrerHilfe sollen Handlungsabläufe möglichst umfassend und konkret auf diebedingenden Konstellationen des jeweils gegenwärtigen Feldes zurückge-führt und erklärt werden. Mit dem Begriff des „Feldes“ werden alleBedingungsfaktoren sowohl der Umgebung, d. h. der äußeren Situation,als auch der Person (innere Situation) zu erfassen versucht. Die verhal-tenswirksamen Bedingungen, die die gegenwärtige Situation und denZustand der Person charakterisieren, gilt es aufzuspüren und zueinanderin eine kausalanalytische Beziehung zu setzen. In der Feldtheorie bildenPerson und Umwelt einen interdependenten, unauflöslichen Systemzu-sammenhang, in welchem der Zustand jedes Teiles von jedem anderenTeil abhängig ist. Die Gesamtheit dieser Bedingungen ist der Lebensraumoder das psychologische Feld einer Person. Das Verhalten einer Personergibt sich also aus der Totalität der gemeinsamen Faktoren, den Feld-kräften, die ein dynamisches Feld im Hier-und-Jetzt konstituieren. DasVerhalten ist somit eine Funktion des Lebensraumes, der durch die Perso-nenfaktoren und die Umweltfaktoren konstituiert ist.

Die Feldtheorie ist wie die Gestalttheorie und die Systemtheorie einedynamische, ganzheitliche Theorie; der ganzheitliche Charakter und derdynamisch-interdependente Zusammenhang von Wahrnehmung, Erlebenund Verhalten im jeweiligen Umfeld werden betont.

Lewin versucht, psychologische Situationen möglichst exakt mathema-tisch darzustellen, „damit wissenschaftliche Ableitungen möglich wer-den“ und um „eine logisch zwingende und zugleich mit konstruktivenMethoden übereinstimmende Sprache (zu) verwenden“ (Lewin, 1963,S. 106). In der 1932 verfaßten Arbeit „Grundlagen der topologischen Psy-chologie“, die im nationalsozialistischen Deutschland nicht mehr veröf-fentlicht werden konnte, daher 1936 in Amerika erschien und erst 1969als Rückübersetzung (!) in deutscher Sprache, geht es Lewin um eine ein-heitliche wissenschaftliche Darstellung, die den Aufbau der Person unddie Struktur der psychologischen Umwelt erfassen soll, mittels ganzheit-lich gerichteter Psychologie und moderner Mathematik in Form der Topo-logie und Vektormathematik. In der Topologie, einer Geometrie qualitati-

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ver Natur, geht es um die Nachbarschaft von Regionen ohne Entfernun-gen und Richtungen; ergänzend tritt die Vektormathematik hinzu, in deres um Stärke, Richtung und Ansatzpunkt von Vektoren (Kräften, die imFelde wirken) geht. Die topologische oder Vektorpsychologie mit ihrentopologischen Darstellungen in Form der sog. „Jordankurve“ – denberühmten „Eiern“, die Lewin zur Veranschaulichung seiner Gedankenaufzuzeichnen pflegt – wird zum unverkennbaren Kennzeichen Lewin-schen Denkens. Sie ist ihm nicht nur eine Theorie, sondern auch Spracheund Begriffssystem, nicht bloße Veranschaulichung, sondern Darstellungrealer Begriffe, hilfreich, um psychologische Sachverhalte und Realität zurepräsentieren und den höchstmöglichen Grad an Genauigkeit in der Psy-chologie zu erreichen.

Die Feldtheorie wird auf der Basis der in der Berliner Zeit verfaßtenForschungsbeiträge nach der Emigration endgültig ausformuliert. Diese20 zwischen 1926 und 1934 verfaßten Arbeiten beschäftigen sich mit derPsychologie des einzelnen Menschen, wobei dem Einfluß der Struktur desUmfeldes auf das Verhalten mehr und mehr Bedeutung beigemessen wird.

Wissenschaftstheoretisch wird die Feldtheorie durch die 1931 in einerdeutschen philosophischen Zeitschrift und noch im gleichen Jahr in eineramerikanischen psychologischen Zeitschrift veröffentlichten Arbeit „DerÜbergang von der aristotelischen zur galileischen Denkweise in Biologieund Psychologie“ (KLW 1, S. 233–278) untermauert. Die aristotelischeSichtweise der psychologischen Verhaltenserklärung mittels Klassifikationdes äußerlich Erscheinenden soll zugunsten der galileischen Denkweise,die eine Bedingungsanalyse der Erscheinungen und deren Rückführungauf letzte, allgemeine Erklärungskonstrukte anstrebt, aufgegeben werden.Die Erklärungskonstrukte sollen Grundbegriffe einer allgemeinen Dyna-mik sein, der Substanzbegriff durch den Funktionsbegriff ersetzt und all-gemein gültige Gesetze gefunden werden, die nicht auf einzelne Gebiete,wie z.B. die „Normalpsychologie“, beschränkt bleiben. Schon „durch diePsychoanalyse, die die Trennung von krank und gesund aufgehoben habe,sei ein wichtiger Schritt in Richtung galileische Sichtweise getan worden“(Lück, 1996, S. 43).

Das Ergebnis von Lewins Bemühen, im Kontext der galileischen Denk-weise einen theoretischen Rahmen zu entwickeln, mit dem möglichst allepsychologischen Prozesse besser verstanden werden können, ist einerseitsdie Feldtheorie und andererseits die topologische Psychologie.

Durch das umstürzende Lebensereignis der Emigration in die USA imHerbst 1933, durch den Verlust der Heimat und den Wechsel des Stand -ortes sowie dem Bewußtsein, einer gefährdeten Minderheit anzugehören,wird Lewin definitiv zum Sozialpsychologen.

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3. Gruppendynamik und Gruppenpsychotherapie

Gruppendynamik als Forschungs- und Anwendungsbereich innerhalb derSozialpsychologie ist 1945 in den Vereinigten Staaten entstanden. Dazuwaren 3 wesentliche Bedingungskonstellationen notwendig und Voraus-setzung:1. Die praktischen und wissenschaftlichen Vorarbeiten von Lewin und

Moreno: Wie schon ausgeführt, schaffen Moreno und Lewin, die ein-ander 1935 erstmals und in der Folgezeit öfter begegnet sind, aus sehrunterschiedlichen Positionen wesentliche Voraussetzungen für die Ent-wicklung der Gruppendynamik: der Psychiater Moreno wird mit seinerklinisch-therapeutischen Sicht sowohl zum Begründer der Soziometrieals auch zum Initiator der Gruppenpsychotherapie; der PsychologeLewin wird mit seiner Feldtheorie aus sozialpsychologischer Sicht zumeigentlichen Begründer der Gruppendynamik. „Gruppendynamik isteine Errungenschaft der Gegenwart und stammt im großen und ganzenvon Lewin“ (Marrow, 1977, S. 249).

2. Die soziale Situation in den USA: Diese ist nach zwei Jahrzehnten dersozialen und ökonomischen Krisen, die ihren Höhepunkt im 2. Welt-krieg und den Atombombenabwürfen erreichen, nach dem Krieg durcheinen massiven Aufschwung der (Natur-)Wissenschaften und dem NewDeal gekennzeichnet; einer Aufbruchsstimmung, die sich auch in derErwachsenenbildung manifestiert und aus der heraus sich die Gruppen-dynamik entwickelt.

3. Der Entwicklungsstand der Sozialpsychologie in den USA: Diese befaßtsich mit Kleingruppenforschung, also dem Geschehen in und zwischenGruppen, und Aktionsforschung; beide sind gleichermaßen für dieBegründung der Gruppendynamik relevant.

Als bedeutsam für die Entwicklung der Kleingruppenforschung in dermodernen Sozialpsychologie, die die Beziehung zwischen Individuum undGesellschaft als ihr zentrales Thema begreift, ist Charles H. Cooley(1864–1929) zu nennen. Er betrachtet Individuum und Gesellschaft alskomplementäre Aspekte der gleichen Sache und nennt die für die sozialePersönlichkeitsentwicklung bedeutsamen Gruppen Primärgruppen (Fami-lie, Spiel-, Nachbarschafts- und Arbeitsgruppen). Sie sind durch unmittel-baren Kontakt und kooperative Interaktionen gekennzeichnet.

Im behavioristischen Ansatz von Floyd Allport stellen Gruppen nochAbstraktionen dar; für ihn sind nur Individuen wirklich. Gruppen gestehter keine eigenen Eigenschaften zu. Einzelpersonen verhalten sich in Grup-pen so, wie sie es auch alleine tun würden.

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Lewins Verdienst für die Sozialpsychologie besteht darin, daß er in sei-ner gestaltpsychologischen Auffassung den in der Soziologie schon selbst-verständlichen Begriff der Gruppe als ein überindividuelles, reales undganzheitliches System für die Psychologen akzeptabel macht. Das von ihm1945 gegründete Research Center for Group Dynamics wird zur treiben-den Kraft einer kognitiv betonten Kleingruppenforschung, und in den50er Jahren wird die Untersuchung kleiner Gruppen zum zentralenBereich der gesamten sozialpsychologischen Forschung.

Neben Lewin ist der aus der Türkei stammende Muzafer Sherif zu nen-nen, der sich mit „Gruppenqualitäten“ (Normen, Bezugssystem etc.) aus-einandersetzt. Zu den Höhepunkten der Kleingruppenforschung in den30er Jahren gehören seine Untersuchung zur Entstehung von Gruppen-normen für die Wahrnehmungs- und Beurteilungsprozesse (1935) undseine Ferienlager-Untersuchungen (Sherif und Sherif, 1953 und Sherifu. a., 1961), die mit Recht zu den Meilensteinen moderner Kleingruppen-forschung gezählt werden.

Für die Aktionsforschung kann neben Moreno Lewin als der bedeut-samste Pionier angesehen werden. Der sozialwissenschaftliche Ansatz, dermit dem Terminus „action research“ erfaßt wird, geht auf Moreno zurück(1937). Das von Moreno entwickelte Verfahren der Interventionssoziome-trie mit Rollenspiel, Rollentausch, Soziodrama und Psychodrama beinhal-tet bereits die zentralen Prinzipien der Aktionsforschung: Interdisziplina-rität, Situationsbezogenheit, Einbeziehung der Beforschten in den Prozeß,teilnehmende Beobachtung des Forschers und der Beforschten, Entwick-lung von Forschungsinstrumenten aus der Situation, Umgestaltung bzw.Veränderung der beforschten Situation (Rechtien, 1995, S. 40–41). Dabeibesteht für Moreno zwischen den am Forschungsprozeß Beteiligten einegalitäres Verhältnis, während für Lewin zwischen Handeln und For-schen, Forscher und Beforschten ein komplementäres Verhältnis gegebenist. „Aktionsforschung ist Forschung im Feld, die sich an einer vorgefun-denen Aufgabe orientiert und eine von außen geplante Veränderunganstrebt“ (Rechtien, 1995, S. 42). Der „aktionale“ Ansatz ist bereits inLewins feldtheoretischen Konzepten angelegt; die Lewin-Schüler Lippitt,Benne und Bradford bringen die auf Morenos Veranstaltungen gemachtenErfahrungen ein.

Für die Arbeitsweise am Research Center for Group Dynamics wähltLewin die Bezeichnung „Aktionsforschung“ („action research“). Ent-scheidend für ihn ist die Art des Herangehens mit Arbeit vor Ort, Analyseder Situation unter Einbeziehung der Beteiligten und deren Selbstanalyse,Erarbeitung neuer Lösungen und deren Erprobung, Erhebung deren Aus-wirkungen und Diskussion mit den unmittelbar Betroffenen über die Aus-

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wirkungen. Alle diese Maßnahmen zielen auf einen Zugewinn an Selb -ständigkeit, Demokratisierung und Autonomie ab. Aktionsforschung istihm die experimentelle Anwendung sozialwissenschaftlicher Forschungs-ergebnisse, die Verbindung von Theorie und Praxis unter dem Motto„Keine Forschung ohne Praxis, keine Praxis ohne Forschung“: was fürLewin bedeutet, „gemeinsam mit dem Forschungsobjekt zu forschen“.Neues Wissen und Einsicht kann nur durch eigene Erfahrung erfolgen,besonders dann, wenn die Betroffenen die Gelegenheit haben, über ihreeigene Gruppe die Wirkung ihres gewohnheitsmäßigen Verhaltens aufsich und andere kognitiv und emotional wahrzunehmen (Teutsch, 1996).

Der Standpunkt des Aktionsforschers, als pädagogischer oder psycho-logischer Fachmann die Betroffenen zu Subjekten, d. h. Mitarbeitern imProzeß der Forschung und Veränderung zu machen, wird ein wesentlichesElement der Gruppendynamik.

Die Entwicklung der Gruppendynamik als Gegenstand der sozialpsy-chologischen Forschung beginnt Herbst 1936 und Frühjahr 1937 mit denExperimenten von Lewin, Lippitt und White über die Auswirkung ver-schiedener Führungsstile auf Gruppenatmosphäre und Erleben und Ver-halten der Gruppenmitglieder.

Für die durch die Gruppe hervorgerufenen Kräfte, die ihre Wirkungnach innen und außen zeigen, verwendet Lewin erstmals 1939 in demArtikel „Experiments in social space“ die Bezeichnung „Gruppendyna-mik“. „Die Untersuchung des Gruppen-Lebens sollte über eine Beschrei-bung hinausgehen; die Bedingungen des Gruppen-Lebens und die Kräfte,die Veränderungen verursachen oder einer Veränderung Widerstand lei-sten, sollten erforscht werden. Der Terminus Dynamik bezieht sich aufdiese Kräfte“ (Lewin, 1947a). Der Begriff einer psychologisch verstande-nen Dynamik geht auf S. Freud zurück, der ihn für die Persönlichkeit ver-wendet und von „Psychodynamik“ spricht.

Heute meint Gruppendynamik zumindest dreierlei:1. Das Phänomen der Dynamik, d. h. die Kräfte und den Prozeß des Kräf-

tespiels in den zwischenmenschlichen Beziehungen in einer Gruppe.2. Die Wissenschaft davon. Die unter 1. beschriebenen Phänomene wer-

den zum Gegenstand soziologischer, sozialpsychologischer, pädagogi-scher und psychotherapeutischer Reflexion.

3. Die Praxis in Form sozialen und organisatorischen Handelns („ange-wandte Gruppendynamik“), indem die unter 1. beschriebenen Phä-nomene und die unter 2. erforschten Erkenntnisse angewandt werden.

Historisch und wissenschaftstheoretisch bedeutet dies, daß Forschungund Lehre, Theorie, Methodologie und Praxis eng zusammenhängen.

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Die Geburtsstunde der T-Gruppe (Trainings-Gruppe), die Rogers alsdie „vielleicht bedeutsamste soziale Erfindung des Jahrhunderts und einesder am raschest wachsenden sozialen Phänomene bezeichnet“ (Rogers,1968), ist 1947 am „Connecticut-Seminar“ für Lehrer und soziale Berufein New Britain. In dessen Verlauf wird die Bedeutung der Konfrontationmit dem „Hier und Jetzt“ entdeckt und die überraschende Erfahrung, wiemotivierend und lernintensiv die unmittelbare Rückmeldung über eigenesVerhalten durch andere sein kann; woraus sich Feedback als Interventionentwickelt. Lewin erkennt erstmals die Möglichkeit der Selbsterfahrung inGruppen und will sie zum Bestandteil künftiger Trainings machen, wasnicht mehr möglich ist, weil er unerwartet stirbt.

Ermutigt durch die Erfolge des Workshops gehen die Mitarbeiter desTrainingsstabes (Bradford, Benne und Lippitt) an die Planung neuerLaboratorien, die in stärkerem Maße die Gruppe und das Gruppengesche-hen in den Vordergrund stellen sollen. Ab 1947 finden die nun so genann-ten National Training Laboratories (NTL) regelmäßig an der Gould Aka-demie in Bethel/Maine statt. Es sollen dabei alle Methoden, die für dieArbeit mit Gruppen brauchbar erscheinen, vorgestellt und erprobt wer-den, eine Auseinandersetzung mit allgemeinen Gruppenproblemen statt-finden und an speziellen Themen und Problemstellungen der Teilnehmergearbeitet werden; die „Basic skill training groups“ zum Lernen innovato-rischer Fertigkeiten und Kenntnisse entstehen. Die Erfahrungen aus diesenersten Laboratorien führen zu einer Vielzahl von Experimenten, Trai-ningsformen und -techniken, wobei die Fokussierung auf das Erleben undVerhalten der Teilnehmer sowie zwischen den Teilnehmern und gegenüberdem Trainer sowie die Funktion des Trainers immer stärker betont wird.

Bereits 1949 werden deutlich klinische Aspekte durch die entsprechendvorgebildeten Mitarbeiter (klinische Psychologen, Psychiater, Psychoana-lytiker bzw. Psychotherapeuten und Vertreter des Ansatzes nach Rogers)in die T-Gruppen eingebracht. Dazu kommen therapeutische Bedürfnissevon Teilnehmern. Die Grenzen zwischen Gruppendynamik und Gruppen-therapie beginnen sich zu verwischen. Der Lewinsche Ansatz, „die Grup-pe als spezifisches, d.h. die Summe der einzelnen Mitglieder und ihrerjeweiligen Dynamik übersteigendes Kraftfeld zu sehen und Gesichtspunk-te bereitzustellen, um dieses Kraftfeld zu untersuchen und durch gezielteInterventionen zu beeinflussen“ (Hürter, 1979, S. 653), mit den darinenthaltenen therapeutischen Möglichkeiten, wird rasch erkannt. 1952nimmt das Western Training Laboratory als regionale Zweigstelle derNTL seine Arbeit auf und legt von Anfang an den Schwerpunkt auf das„Wachstum der Persönlichkeit“. Die T-Gruppe wird durch die Einbezie-hung klinischer Gesichtspunkte zur „Therapie für Normale“ (Weschler,

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Massarik, Tannenbaum, 1962). Unter dem Einfluß der HumanistischenPsychologie entwickeln sich die Personal Growth Laboratories, die baldEncountergruppen (Begegnungsgruppen) genannt werden. Die T-Gruppewird immer mehr zum Ausgangspunkt für eine Vielfalt anderer Gruppen-verfahren, die mehr oder weniger gruppendynamische Gesichtspunkteeinbeziehen und/oder mit anderen Methoden kombinieren. Dennoch:„Das zentrale Thema in der Arbeit der T-Gruppe ist in den siebzehn Jah-ren ihrer Entwicklung geklärt worden. Sie wird heute grundsätzlich alseine Gruppe angesehen, die der wechselseitigen Förderung des Lernensaller ihrer Mitglieder dient. Einer der wichtigsten Inhalte des angestreb-ten Lernens ist die sich entwickelnde Erfahrung der Gruppe und ihrerMitglieder im Verhalten hier und jetzt. Jeder wird ermutigt, zugleich alsBeobachter und als Teilnehmer, als Diagnostiker und als Handelnder, alsPlaner, Ausführender und Auswertender, als Theoretiker und Praktiker,als ein Gefühl Ausdrückender und als Kritiker ihres Ausdrucks, als Hel-fender und als Klient zu fungieren“ (Bradford, Gibb, Benne, 1964, dt.Ausgabe 1972, S. 140).

Eine Voraussetzung für die Wirkfaktoren der T-Gruppe, die auch thera-peutische Möglichkeiten eröffnet, ist einerseits die konsequente Berück-sichtigung des Gruppenprozesses und andererseits der Hier-und-Jetzt-Situation. Der Gruppenprozeß zeigt den Weg und die Entwicklung derGruppe in Richtung auf ein Ziel mit dem dabei stattfindenden Wandel derBeziehungen nach innen und außen auf. Dabei wird besonders auf dieaugenblickliche Gestaltung der interpersonalen Beziehungen in ihremWerden Augenmerk gelegt. Das Verhalten vollzieht sich dabei in der Inter-dependenz von Einzelnem und Gruppe. Interpersonales Lernen imgeschützten Raum der Gruppe, die korrigierende emotionale Erfahrungmit der daran gebundenen Einsicht und Katharsis, der Abbildung sozialerAußenbeziehungen der Mitglieder innerhalb der Gruppe sowie das Wie-deraufleben und Wiederholen unverarbeiteter Primärgruppenerfahrungenmit der Chance des Durcharbeitens und dem Einüben von Alternativensind die wesentlichen therapeutischen Elemente der T-Gruppe. Diese Fak-toren sind in ihrem Effekt voneinander abhängig und deswegen nichtallein wirksam; ein Grund für die Schwierigkeit der Überprüfung. DieUntersuchungen von Lieberman, Yalom und Miles (1973) zeigen außer-dem, daß die persönliche menschliche Qualität des Trainers und die Bezie-hung zu ihm und den anderen Gruppenmitgliedern therapeutisch wirksamsind. Irving Weschler, Fred Massarik und Robert Tannenbaum (1962)weisen darauf hin, daß die klare Unterscheidung von Training und Thera-pie nicht immer aufrecht erhalten werden kann. „Beide Aktivitäten wid-men sich der Steigerung der Sensitivität von Gruppenmitgliedern für ihr

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